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Zwischen ewiger Liebe und liebloser Ewigkeit
Leilas gemeinsame Jahre mit Vlad Tepesch – genannt Drakula – haben sie bereits einiges gelehrt. Doch nichts hat sie auf die wahren Konsequenzen vorbereitet, die es mit sich bringt, für immer mit dem berüchtigsten Vampir der Welt verheiratet zu sein. Denn während dieser ihre Begierde zwar ungebrochen und wie kein anderer entfacht, droht erneut Gefahr, als Vlads Erzfeind Szilagyi zurückkehrt. Dieser macht unerbittlich Jagd auf Vlads größte Schwäche: Leila. Und sie hätte nie erwartet, dass ausgerechnet Vlads beschützende Liebe zu ihr sich am Ende als tödliche Leidenschaft erweisen würde …
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Seitenzahl: 432
Buch
Leilas gemeinsame Jahre mit Vlad Tepesch – genannt Drakula – auf dessen Anwesen haben sie bereits einiges gelehrt. Doch nichts hat sie auf die wahren Konsequenzen vorbereitet, die es mit sich bringt, für immer mit dem berüchtigsten Vampir der Welt verheiratet zu sein. Denn während dieser ihre Begierde zwar ungebrochen und wie kein anderer entfacht, droht erneut Gefahr, als Vlads Erzfeind Szilagyi zurückkehrt. Dieser macht unerbittlich Jagd auf Vlads größte Schwäche: Leila. Und sie hätte nie erwartet, dass ausgerechnet Vlads beschützende Liebe zu ihr sich am Ende als tödliche Leidenschaft erweisen würde …
Autorin
Jeaniene Frost lebt mit ihrem Mann und ihrem Hund in Florida. Obwohl sie selbst kein Vampir ist, legt sie Wert auf einen blassen Teint, trägt häufig schwarze Kleidung und geht sehr spät zu Bett. Und obwohl sie keine Geister sehen kann, mag sie es, auf alten Friedhöfen spazieren zu gehen. Jeaniene liebt außerdem Poesie und Tiere, aber sie hasst es zu kochen. Zurzeit arbeitet sie an ihrem nächsten Roman.
Von Jeaniene Frost bereits erschienen ( jeweils auch als E-Book):
Die Abenteuer von Cat & Bones:
1. Blutrote Küsse (26605)
2. Kuss der Nacht (26623)
3. Gefährtin der Dämmerung (37381)
4. Der sanfte Hauch der Finsternis (37554)
5. Dunkle Sehnsucht (37745)
6. Verlockung der Nacht (37916)
7. Betörende Dunkelheit (38378)
Die Spin-Offs aus der Welt von Cat & Bones:
Nachtjägerin (37867)
Rubinroter Schatten (26923)
Die Night Prince-Serie um Vlad & Leila:
1. Dunkle Flammen der Leidenschaft (26992)
2. Im Feuer der Begierde (6027)
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Jeaniene Frost
Im Bann
der Sehnsucht
Roman
Deutsch
von Sandra Müller
Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel
»Bound by Flames« bei Avon, New York.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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1. Auflage
Copyright der Originalausgabe © 2015 by Jeaniene Frost
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2016
by Penhaligon in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Rainer Michael Rahn
Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de
JvN · Herstellung: kw
Satz: omnisatz GmbH, Berlin
ISBN 978-3-641-13023-7V002
www.penhaligon.de
1
Hunderte von Kerzen brannten in mächtigen Kronleuchtern und tauchten die Gästeschar darunter in sanftes bernsteinfarbenes Licht. An modernen Leuchtmitteln mangelte es nicht etwa, weil das Anwesen einmal eine mittelalterliche Festung gewesen war. Nein, der Eigentümer war ein pyrokinetisch begabter Vampir, und Feuer war sein Element.
Ich hockte in luftiger Höhe auf einem Deckenbalken, um mir eine kurze Auszeit von den Spionagetätigkeiten zu gönnen, die ich mir für den heutigen Abend vorgenommen hatte. Die Gäste, die sich tief unter mir tummelten, trugen allesamt Masken und Kostüme, aber selbst wenn man Fänge und grün leuchtende Augen nicht sehen konnte, war leicht zu erkennen, wer Mensch war und wer nicht. Vampire hatten eine natürliche Grazie an sich, die ihre Bewegungen fließend wirken ließ wie Wasser, das über Steine strömt. Ihre sterblichen Gegenüber hingegen … na ja, sagen wir, ihnen fehlte diese Finesse. Wofür sie nichts konnten. Sie besaßen eben einfach nicht die übernatürliche Gabe, jeden Muskel in ihrem Körper einzeln kontrollieren zu können.
Und bis vor wenigen Wochen war das bei mir nicht anders gewesen. Die Bluttrinkerei war eben nicht der einzige Nebeneffekt, wenn man zum Vampir wurde. Auch die Fähigkeit, für kurze Zeit die Elektrizität zurückzuhalten, die in meinem Körper floss, seit ich mit dreizehn eine abgerissene Überlandleitung berührt hatte, besaß ich erst, seit ich ein Vampir war.
Die Kerzen in den Kronleuchtern loderten heller, als ein Mann auf den Balkon über dem Ballsaal trat. Und als hätte das nicht ausreichend auf sein Erscheinen hingewiesen, flammte noch seine Aura auf und sandte unsichtbare Ströme aus, die den Saal durchfluteten. Als sie mich trafen, hatte ich das Gefühl, von einem elektrischen Energiefeld eingeschlossen zu werden, was angesichts der energetischen Ladung meines eigenen Körpers einer gewissen Ironie nicht entbehrte. Lediglich eine Handvoll Meistervampire besaß Auren, deren Größe ausgereicht hätte, um den riesigen Ballsaal auszufüllen. Vlads Aura war so mächtig, dass ein Neonschild seine Identität nicht deutlicher hätte kundtun können.
Weshalb auch seine Verkleidung überflüssig war. Unter der aus dem Film V wie Vendetta bekannten Maske erkannte man ein mit dunklen Bartstoppeln bedecktes Kinn, hohe Wangenknochen, geschwungene Augenbrauen und Augen wie poliertes Kupfer in einem smaragdfarbenen Ring. Der schwarze Smoking umschmeichelte elegant seinen schlanken, muskulösen Leib, sodass man geradezu animiert wurde, sich zu fragen, was er verbarg. Als er eine Hand hob, um den Musikern Stille zu gebieten, blitzte das Kerzenlicht auf seinem Ehering, sodass die verschlungenen Goldbänder kurz aufflammten.
»In einer Stunde werden die Masken abgenommen«, verkündete er, einen leicht slawischen Akzent in der kultivierten Stimme. Dann trat ein gleichermaßen charmantes wie herausforderndes Lächeln auf seine Lippen. »Bis dahin genießt es zu rätseln, wer die mysteriöse Person an eurer Seite ist, wenn ihr es nicht schon herausgefunden habt.«
Auf seine Worte hin erschallten leises Gelächter und Applaus, aber ich war alarmiert. Wenn in einer Stunde schon die Masken abgenommen wurden, blieb mir fast keine Zeit mehr.
Eine schnelle Handbewegung von Vlad, und die Kapelle spielte wieder auf, woraufhin sich das Parkett wieder mit kostümierten, sich im Walzertakt wiegenden Pärchen füllte. Für das Geschehen am Boden hatte ich keinen Blick mehr, als ich mit einem Sprung auf den nächsten Deckenbalken wechselte, ohne auf dem schmalen Holzsteg auch nur einen Moment das Gleichgewicht zu verlieren. Als ich noch Zirkusartistin gewesen war, hätte ich solche Reflexe gut brauchen können, ganz zu schweigen von meiner Kindheit, als ich es als Turnerin in die Olympiaauswahl hatte schaffen wollen. Übermenschliche Gewandtheit war ein weiterer Vorteil, den das Leben als Vampir mit sich brachte.
Als ich es bis zu der Reihe von Orgelpfeifen geschafft hatte, an denen ich zur Decke hinaufgeklettert war, rutschte ich hinunter und landete in einer Abstellkammer zwischen zwei Wänden. Mit beinahe ohrenbetäubender Lautstärke setzte die Orgelmusik ein, aber genau darum ging es ja. Nicht einmal die Vampire mit ihren übernatürlich scharfen Sinnen konnten mich über den Lärm hinweg hören. Ich erreichte einen Filter des Airconditioning-Systems, entfernte ihn und quetschte mich in den engen Belüftungsschacht. Zum Glück trug ich ein hautenges Kostüm; als Marie Antoinette verkleidet hätte ich da nie reingepasst.
Als ich mein Ziel erreicht hatte, zwängte ich mich aus dem Schacht in einen Wandschrank. Ich setzte den Filter wieder ein, wedelte den Staub von meinem schwarzen Kostüm und machte mich auf in den Ballsaal, um weiterzuspionieren. Nach kaum drei Metern landete allerdings eine Hand auf meiner Schulter.
»Da bist du ja«, sagte jemand mit ausgeprägtem ungarischem Akzent.
Ich drehte mich um. Der Vampir vor mir trug eine weitaus prächtigere Version des violetten Anzugs, in dem man den Joker aus Batman kannte, und hatte das, was man von seiner natürlich bleichen Haut sehen konnte, mit Theaterschminke zugekleistert. Seine Maske reichte ihm bis zur Unterlippe, und das fiese Lächeln der Oberlippe aus Keramik ließ sein Gesicht aussehen, als wäre es zu einem dreckigen Dauergrinsen erstarrt.
Meine Maske dagegen ließ meinen Mund unbedeckt, sodass der Vampir es sehen konnte, als ich lächelte.
»Da bin ich«, antwortete ich. Ich hatte mich an diesem Abend bereits mit dem Joker bekannt gemacht, weil er eins meiner Zielobjekte war, aber da war er noch in Begleitung gewesen. Meine Geheimwaffe hatte also nicht zum Einsatz kommen können, denn dafür benötigte ich engeren Körperkontakt, als die Dame an seiner Seite gutgeheißen hätte. Jetzt war er allein, und so packte ich die Gelegenheit beim Schopf.
»Ich hoffe doch, du willst mich zum Tanz auffordern«, sagte ich, den Kopf einladend geneigt. Zumindest hoffte ich, dass es einladend wirkte. Durch meinen Hörnerkopfschmuck kam ich mir vor wie ein Kaninchen mit zwei langen steifen Ohren.
»Aber natürlich«, antwortete er und nahm meinen Arm.
Dank meines Ganzkörperanzugs spürte er nichts von der Elektrizität, die mich durchströmte, sonst hätte er sofort gewusst, wer ich war. Aus diesem Grund hatte ich mich auch als Maleficent verkleidet, nervige Hörnerhaube hin oder her. Bis auf mein Gesicht war ich von Kopf bis Fuß in isolierendes Latex gehüllt. Die Maske besorgte den Rest, und meinen Geruch kannten nur die, denen ich schon einmal begegnet war, also die wenigsten hier.
Die wenigsten. Als der Joker – ja, sein echter Name war mir bekannt, aber der passte besser zu ihm – mich zur Tanzfläche führte, konnte ich nicht umhin, einen Blick hinauf zum Balkon zu werfen. Der Platz, an dem Vlad gestanden hatte, war jetzt leer. Gut. Der einzige Vampir, der mir heute Abend Sorgen machte, war er.
Als wir zwischen den Tanzenden angekommen waren, zog der Joker mich in seine Arme und taxierte mit übermenschlich grün aufleuchtenden Augen meinen Körper. Dank meines hautengen Kostüms blieb kaum eine meiner Kurven der Fantasie überlassen, aber der Joker sah aus, als würde er sich trotzdem Fantasien hingeben. Drastischen Fantasien.
Ich unterdrückte ein Schaudern, froh, dass der Latexanzug den angewiderten Geruch zurückhielt, den ich bestimmt verströmte. Das Seidenoutfit des Jokers war keine olfaktorische Barriere. Der Lustgestank, der von ihm ausging, ließ mich fast ersticken, dabei atmete ich nicht einmal mehr. Da ich aber Informationen von ihm brauchte, lächelte ich, als wir anfingen zu tanzen. Walzer hatte ich erst einen Tag zuvor gelernt, aber das war anscheinend völlig ausreichend. Der Joker wirbelte mich übers Parkett, und ich konnte gut mithalten. Er zog mich allerdings enger an sich, als die Tanzhaltung vorsah, und seine Hand streifte wohl auch nicht zufällig meinen Hintern.
Wieder ging mein Blick zum Balkon. Gott sei Dank war er leer.
»Wann verrätst du mir deinen Namen, meine verführerische Fremde?«, wollte der Joker wissen, die Hand noch immer gefährlich tief unten auf meiner Hüfte. »Ich merke schon, dass du neu erschaffen bist. Wem gehörst du?«
Ich war nicht überrascht, dass er mich gleich als Babyvampir erkannt hatte. Mein Kostüm konnte zwar die von meinem Körper ausgehende elektrische Energie und auch meinen Geruch zurückhalten, meine Aura hingegen war für jeden zu spüren, und wie die aller jungen Vampire war sie schwach. Vlads Gästeliste umfasste die mächtigsten und fiesesten Untoten Osteuropas, sodass ich unter normalen Umständen höchstens als Dienerin eines stärkeren Vampirs hätte hier sein können. Als unbedeutend abgestempelt zu werden passte mir allerdings gut in den Kram. Wusste der Joker nicht, wer ich war, wusste er auch nichts von meinen Fähigkeiten, und wenn es nach mir ging, sollte das auch so bleiben.
Ich nutzte die nächsten Walzerschritte, um seine Hand von meinem Hintern fortzumanövrieren. Dann schenkte ich ihm ein, wie ich hoffte, mysteriös verführerisches Lächeln. »Nur Geduld. Bei der Demaskierung sage ich ihn dir.«
»Geduld?«, äffte er mich nach. Von wegen mysteriöse Verführerin!
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, besaß ich auch nicht viel Flirterfahrung. Im Alter von dreizehn Jahren hatte ich angefangen, jedem, den ich anfasste, Elektroschocks zu verpassen, was mich die nächsten zwölf Jahre zu einem Dasein als Mauerblümchen verdammte. Nicht einmal Vampire konnten den Hautkontakt mit mir ertragen, selbst wenn ich gar nicht vorhatte, ihnen zu schaden. Da ich den Joker allerdings noch ein paar Minuten lang in meiner Nähe haben wollte, musste die Farce weitergehen, schlechte Verführungskünste hin oder her. Bald würde ich heimlich die dafür vorgesehenen Finger meines rechten Handschuhs abnehmen und die elektrische Energie in mir zurückhalten, um ihn dann anfassen und so sein düsterstes Geheimnis erfahren zu können.
Darin war ich besser als jeder Lügendetektor, denn eine einzige Berührung verriet mir die schwerste Sünde, die ein Mensch oder Untoter je begangen hatte. Ich hatte diese psychometrischen Fähigkeiten gehasst, bis sie vor Kurzem überlebensnotwendig für meine Lieben und mich selbst geworden waren.
Der Joker schien mit einem Lächeln über meine nicht gerade virtuosen Flirtkünste hinwegzusehen. Oder ihm stand der Sinn ohnehin nach etwas anderem, dachte ich, als er tänzelnd die Privatsphäre eines verhangenen Separees anstrebte.
»Geduld ist eine Tugend, und ich hasse Tugendhaftigkeit«, murmelte er, während er mich mit seinem Körper in das Separee drängte. »Außerdem ist mir egal, wie du heißt oder wem du gehörst. Mich interessiert nur, wie eng du bist.«
Junge, Junge. Der ging aber ran! »Nicht jetzt, mein ungestümer Freund«, sagte ich lachend, als hätte er einen Witz gemacht. »Später vielleicht, aber jetzt tanzen wir erst noch ein bisschen …«
»Wohl kaum«, unterbrach er mich, während er mich mit einem Ruck an sich zog. Dann landete auch noch seine Hand auf meinem Hintern, als hätte ich um Schläge gebeten. Mir blieb die Luft weg. Was gleich passieren würde, erfüllte mich mit solchem Schrecken, dass ich erstarrte. Der Kopf des Jokers senkte sich, seine Lippen näherten sich meinen …
Da kreischte er auf, und sein Gesicht ging in Flammen auf. In einem instinktiven Versuch, sie zu löschen, ließ er mich los, um auf sein brennendes Gesicht einzuschlagen. Doch noch bevor ich das Wort »Aufhören!« zu Ende brüllen konnte, breitete sich das Feuer greller lodernd aus.
Als ich zwischen den Drapieren vorspähte, sah ich Vlad, der sich zwischen den Gästen hindurchdrängte, die inzwischen nicht mehr tanzten, sondern den schreienden, brennenden Mann anstarrten. Vlad hatte die Maske abgenommen, und sein langes Haar schwang bei seinen schnellen Schritten hin und her. Seine Hände standen in Flammen, aber im Gegensatz zum Joker, der noch immer verzweifelt auf sein Gesicht einschlug, konnte Vlad das Feuer nichts anhaben. Die Macht, die es ihm erlaubte, Flammen zu erzeugen und zu beherrschen, machte ihn auch immun gegen ihre todbringende Kraft.
»Aufhören?« Vlads Stimme peitschte durch den Saal, sodass die Vampire, die sich dem Joker genähert hatten, sofort kehrtmachten, als ihnen klar wurde, wer für das Feuer verantwortlich war. »Warum sollte ich?«
Auch wenn es den Anwesenden nicht klar war, würde ich keinesfalls dulden, dass ein Mann den Flammentod starb, nur weil ich nicht auffliegen wollte.
Ich trat aus dem Separee. »Weil er nicht wusste, dass ich deine Frau bin.«
2
Ich nahm meine Maske ab und zog das Kopfteil meines Anzugs herunter. Schwarzes Haar ergoss sich über meine Schultern, aber mein herausstechendstes Merkmal war die Narbe, die von meiner rechten Gesichtshälfte bis hinunter zu meiner Hand reichte.
Man hörte entsetztes Keuchen, und ich bekam fast Mitleid mit den Kerlen, die sonst noch mit mir getanzt hatten. Die fürchteten jetzt sicher, sie würden als Nächste in Flammen aufgehen. Vampire verteidigten ihr vermeintliches Eigentum buchstäblich mit Zähnen und Klauen. Da Vlad auch noch ein jahrhundertealter Eroberer war, der sich bereits als Mensch den Beinamen »der Pfähler« erworben hatte, gab er eine weitaus furchterregendere Persönlichkeit ab als Bram Stokers Romanheld.
»Verschließt die Türen. Keiner verlässt den Raum«, befahl Vlad, was die inzwischen unheilvolle Atmosphäre im Saal noch verstärkte.
Eilig gehorchten seine Leute. Über Schloss Dracula konnte man sagen, was man wollte; ob offen sichtbar oder nicht, Vlads Wachen waren überall.
»Jetzt hör schon auf, ihm das Gesicht abzuflammen, die Nachricht ist angekommen«, versuchte ich es noch einmal.
Vlad warf dem kreischenden Mann einen mitleidlosen Blick zu. »Wäre ihm sein Leben lieb, hätte er dein Nein akzeptiert. Dass du meine Frau bist, hat er vielleicht nicht gewusst, aber er wusste, dass du mein Gast bist.«
Hatte ich schon erwähnt, dass Vlad ein richtiger mittelalterlicher Gewaltherrscher war? Die fiese Anmache des Jokers mit dem Feuertod zu ahnden war in seinen Augen eine vollkommen angemessene Reaktion. Ein Mann von heute hätte ihm eine reingehauen und die Angelegenheit für erledigt erklärt.
Ich ging zu Vlad und schlang ihm die Arme um den Hals, obwohl seine Hände noch in Flammen standen. Seine Gefühle hielt er bedeckt, sodass weder ich noch die anderen von ihm erschaffenen Vampire in der Lage waren, sie wie üblich zu erfühlen. Innerlich kochte er aber sicher vor Wut, sonst hätte er meine Tarnung nicht durch einen solch spektakulären Gewaltausbruch auffliegen lassen.
Andererseits hatte er von vornherein etwas dagegen gehabt, dass ich heute auf die Pirsch ging. Ich hatte ihm tagelang in den Ohren gelegen, bis er endlich zustimmte. Und jetzt das. Mein Flehen würde den Joker nicht retten; es gab nur ein Wort, das Vlad mehr hasste als Dracula, und das war bitte. Also stellte ich mich auf die Zehenspitzen, legte ihm die Lippen ans Ohr und flüsterte: »Ich bin noch nicht dazu gekommen, ihn zu berühren und die Informationen zu beschaffen, du kannst ihn also noch nicht umbringen. Du weißt doch, wie schwierig es für mich ist, aus seinen Knochen zu lesen.«
Er sagte nichts, und auch sein Körper war noch steif wie eine Statue. Irgendwann verlosch das Feuer auf seinen Händen, und er grub sie in mein Haar, um meinen ohnehin zerzausten Dutt zu lösen.
»Dann mach.«
Zwei knappe Worte, aber er klang schon weniger ätzend. Die Flammen auf dem Gesicht des Jokers erloschen so plötzlich, als hätte jemand mit dem Feuerwehrschlauch daraufgehalten.
Ich wartete noch, bis die Haut im Gesicht des Jokers bis auf den Ruß wieder normal aussah. Ja, auch übermenschlich schnelle Selbstheilungskräfte waren ein Vorteil des Vampirdaseins. Ohne sie hätte der Joker für den Rest seines Lebens eine Maske tragen müssen.
»Nicht bewegen, während meine Frau dich anfasst«, wies Vlad ihn an. Strenger musste er nicht werden. Sein Tonfall war Drohung genug.
»Deine Frau?«, rief der Joker entsetzt. Das hatte er wohl nicht mitbekommen, als er noch dabei gewesen war, sein brennendes Gesicht zu löschen. Der Blick des Jokers ging zu seiner Hand, als wäre ihm gerade wieder eingefallen, dass die vor wenigen Minuten noch an meinem Hintern geklebt hatte.
»Die ist für mich«, sagte Vlad kühl und riss sie ihm mit einem einzigen, brutalen Ruck ab.
Ich fuhr zusammen. Das hatte Vlad also auch beobachtet. Ich musste mich beeilen, bevor er dem Joker noch etwas abriss, das nicht nachwuchs. Ich näherte mich dem Mann, der unter harschem Grunzen seinen Stumpf umklammerte. Jetzt schrie er wenigstens nicht. Eine Hand abgerissen zu bekommen tat offensichtlich weniger weh als ein brennendes Gesicht.
»Khal Drogo muss ich auch noch anfassen«, sagte ich, womit ich den Vampir meinte, der als Kriegsherr aus Game of Thrones zum Ball gekommen war. Wenigstens musste ich jetzt niemanden mehr heimlich befummeln. Ich warf einen frustrierten Blick auf die schweigende, kostümierte Menge. Genau das hatte ich heute Abend vermeiden wollen.
Was hast du denn erwartet?, wisperte meine verhasste innere Stimme. Was du auch anpackst, geht schief.
Ich versuchte das kleine Miststück zu ignorieren (und die vielen Leute, die mich anstarrten, gleich mit) und berührte den Joker mit der bloßen rechten Hand. Er bekam einen Stromschlag und fuhr zusammen, weil ich mir nicht die Mühe gemacht hatte, die Elektrizität in mir zurückzuhalten. Wozu auch? Jetzt wusste schließlich jeder über mich Bescheid, also auch über meine Fähigkeiten. Das hatte ich Vlads Erzfeind, Mihaly Szilagyi, zu verdanken.
Kaum hatte ich den Joker berührt, füllten farblose Bilder meinen Kopf, bis der Ballsaal sich in ein Bauernhaus verwandelte und ich zum Joker selbst wurde.
Ich trat eine hölzerne Tür auf und musterte den kargen Raum dahinter mit einem einzigen Blick. Zwei Strohsäcke lagen vor der Herdstelle auf dem Boden, die Decken dünn und ausgefranst vom langen Gebrauch. Etwas blubberte auf dem irdenen Topf über dem Feuer vor sich hin, und ein Schwung Feuerholz wirkte wie hastig fallen gelassen. Ich lächelte. Das Häuschen schien menschenleer zu sein, aber das war es nicht.
Ich brauchte nicht lange, um die Falltür unter dem einzigen Tisch im Raum zu entdecken. Das Geschrei begann schon, bevor ich sie öffnete, und mein Lächeln wurde breiter. Ich mochte es, wenn sie schrien. Wenn sie sich wehrten, auch. Die beiden Mädchen, die ich aus dem Kartoffelkeller zerrte, waren noch zu klein und mager, um groß Widerstand leisten zu können, aber man musste nehmen, was man kriegen konnte …
Als ich aus den Erinnerungen des Jokers auftauchte, war seine Hand nachgewachsen. Ich starrte sie an, während ich gegen den Drang ankämpfte zu kotzen oder mir die Haut vom Leib zu reißen, je nachdem, wodurch ich mich schneller wieder sauber fühlte. Wenn ich die schwersten Sünden anderer durchlebte, als wären es meine, war ich oft angeekelt. Manchmal, wie in diesem Fall, war es sogar schlimmer. Als meine übersinnlichen Fähigkeiten noch neu gewesen waren, hatte mich diese Finsternis zu einem Selbstmordversuch getrieben. Jetzt sammelte ich mich, bis ich all die Wut und Abscheu sinnvoller einsetzen konnte.
»Reißt ihm die Klamotten runter«, sagte ich.
Eilig führten Vlads Wachen meinen Befehl aus. Als Frau ihres Herrn gehorchten sie mir aufs Wort, es sei denn, Vlad hatte explizit etwas dagegen, und er wusste, warum ich für das, was ich jetzt vorhatte, bloß Haut brauchte.
Als der Joker nur noch seine verschmorte Maske trug, fuhr ich von den Schultern aus mit der rechten Hand über seinen Körper. Seine schwerste Sünde erlebte ich nicht noch einmal; das passierte glücklicherweise nur, wenn ich jemanden zum ersten Mal berührte. Allerdings entfalteten sich jetzt Essenzspuren unter meinen Fingerspitzen, unsichtbare Fährten von Personen, die ihre Emotionen wie Stempel auf seiner Haut hinterlassen hatten. Viele stammten von denen, die seiner Grausamkeit zum Opfer gefallen waren, es gab aber auch ein paar zärtliche, die mich daran erinnerten, dass selbst ein Monster geliebt werden konnte. Nachdem ich ihn an Schultern, Hals, Armen und Beinen berührt hatte, ließ ich die Hand sinken. Dutzende von Essenzspuren hatte ich erspürt, aber keine war mir bekannt vorgekommen.
»Nichts von Szilagyi«, sagte ich schließlich.
Vor Erleichterung sackte der Joker in sich zusammen. Ich wollte Vlad gerade sagen, dass er ihn für seine schwerste Sünde trotzdem verbrennen sollte, doch da explodierte der Joker auch schon.
Mit einem Satz versuchte ich, den brennenden Vampirteilen auszuweichen. Ich warf einen Blick auf Vlad und merkte, dass er noch immer freundlich lächelte. Wäre mir das ein bisschen früher aufgefallen, hätte ich gleich gewusst, dass ich mich schnellstens in Sicherheit bringen musste. Vlad war stets am gefährlichsten, wenn er dieses lässige, joviale Grinsen aufsetzte. Jetzt galt es mir, und ich erstarrte. Ja, er war noch sauer. Sein Grinsen und die Tatsache, dass er den Joker in die Luft gejagt hatte, ohne abzuwarten, bis ich mich vor den spritzenden Überresten in Sicherheit gebracht hatte, gaben mir das deutlich zu verstehen.
»Bei deiner nächsten Party wird es wohl Absagen hageln«, bemerkte ich, während ich mir die schwelenden Fleischstücke vom Kostüm wischte.
Sein Lächeln wurde breiter. »Das ist nicht meine erste Party, bei der weniger Gäste gehen als kamen.«
So war es. Das meiste, was über Vlad Basarab Dracul, auch bekannt als Graf Dracula oder Vlad »Tepesch« (»den Pfähler«) in den Geschichtsbüchern stand, war schlichtweg falsch, einiges aber hatte sich auch haarklein so zugetragen, zum Beispiel das berüchtigte Festmahl im vierzehnten Jahrhundert, bei dem er irgendwo zwischen Hauptgang und Dessert seine adligen Gäste abgeschlachtet hatte. Und sie hatten es genauso verdient wie der Joker.
Ob das auch auf den Vampir im Khal-Drogo-Kostüm zutraf, wusste ich nicht, aber ich würde es gleich herausfinden. Drei von Vlads Wachen zerrten ihn vor mich hin und hielten ihn fest, weil er sich so sträubte. Was ich ihm nicht verübeln konnte, wenn man bedachte, was dem Typen passiert war, den ich vor ihm angefasst hatte. Wenigstens musste ich ihm nicht die Kleider vom Leib reißen lassen. Sein Oberkörper war ohnehin so gut wie nackt.
Ich ignorierte seinen Protest und legte ihm die Hand auf den bulligen Arm. Wie üblich brachen farblose Bilder seiner schwersten Sünde über mich herein, was einmal mehr unter Beweis stellte, dass mit diesem Aspekt meiner Fähigkeiten alles zum Besten bestellt war. Als ich mental wieder im Hier und Jetzt angekommen war, begann ich, seinen Körper abzusuchen wie vor ihm beim Joker, dessen Überreste noch auf dem Marmorfußboden des Separees vor sich hinschmurgelten.
Diesmal entdeckte ich eine mir bekannte Essenzspur auf dem Körper des Vampirs. Ich schenkte Vlad ein grimmiges Nicken. Entweder begriff Khal Drogo, was das hieß, oder das Lächeln, das auf Vlads Gesicht erschienen war, versetzte ihn in Angst und Schrecken, jedenfalls fing er sofort an, stotternd alles abzustreiten.
»Ich habe ihn vor Ewigkeiten kennengelernt, noch bevor alle geglaubt haben, er wäre tot. Ich habe ihn seit Jahrhunderten nicht gesehen, ehrlich!«
Lügen. Die Essenzspur, die ich erfühlt hatte, war nicht vom Alter verblasst. Sie hatte mich sogar regelrecht angesprungen, so lebendig war sie. Ich machte einen Schritt zurück, diesmal allerdings nicht, um aus der Spritzzone zu kommen. Ich wollte bloß nicht angerempelt werden, als Samir, der neue Anführer von Vlads Wachen, den sich sträubenden Vampir wegzerrte. Vlad würde das Khal-Drogo-Double für die Konspiration mit seinem gefährlichsten Feind nicht umbringen. Nein, ihm stand ein weit schlimmeres Schicksal bevor.
»Wer noch?«
Vlads Gletscherstimme kappte das aufkeimende Mitgefühl, das ich eben noch für den Vampir empfunden hatte, der da in den Kerker geschleppt wurde. Ach ja, ich hatte zu tun.
Nachdem ich noch vier weitere Vampire medial befummelt hatte, um herauszufinden, ob sie mit Szilagyi im Bunde waren (waren sie nicht), machte ich für diesen Tag Schluss. Beziehungsweise für diese Nacht, denn in ein paar Stunden würde bereits die Sonne aufgehen. Und dann war mit mir nichts mehr anzufangen, ob ich es wollte oder nicht. Anders als in den Sagen gingen Vampire im Sonnenlicht nicht in Flammen auf, aber junge Untote wie ich verloren bei Sonnenaufgang das Bewusstsein und erlangten es erst in der Abenddämmerung wieder. Vlad hatte also jede Menge Zeit, um herauszufinden, ob unser verräterischer Gast wusste, wo Szilagyi sich verkrochen hatte. Hoffen konnte man ja, aber ich hatte so meine Zweifel, dass er etwas wusste. Bisher hatte Vlads Erzfeind noch keinem seiner Mitverschwörer verraten, wo er sich versteckt hielt, sollte der Typ im Khal-Drogo-Kostüm also keine Ausnahme sein, standen wir wieder ganz am Anfang.
Und davon hatte ich allmählich die Schnauze voll, weshalb ich Vlad auch überredet hatte, mich heute Abend unsere Gäste parapsychologisch bespitzeln zu lassen. Hätte ich meine übrigen Fähigkeiten noch besessen, die Gabe, in die Zukunft zu sehen zum Beispiel oder anhand von Essenzspuren den Aufenthaltsort einer Person herausfinden zu können, hätten wir Szilagyi vermutlich längst geschnappt. Aber diese Gaben hatte ich verloren, als ich zum Vampir geworden war, und niemand wusste, ob sie je zurückkehren würden. Im Augenblick beschränkten sich meine medialen Fähigkeiten darauf, die schwersten Sünden anderer erkennen und Essenzspuren lesen zu können. Klang exotisch, aber Ersteres schenkte mir lediglich Albträume, und Letzteres würde mich nicht zu dem Vampir führen, der, wie sich bereits in der Vergangenheit herausgestellt hatte, praktisch nicht totzukriegen war. Anhand seiner Mitverschwörer ließ sich lediglich ermessen, wie groß Szilagyis Einflussbereich bereits war, und der Mann hatte sich als ziemlich umtriebig erwiesen, während er sich dreihundert Jahre lang tot gestellt hatte.
»Noch jemand?«, fragte ich, während ich mir die rechte Hand an meinem Hosenbein abwischte. Egal, wie oft ich das hier tat, stets hatte ich dabei das Gefühl, die abstoßenden Bilder, die ich sah, würden mir anhaften.
Vlad ließ den Blick über die Menge schweifen. Ausnahmslos leere Gesichter starrten ihn an. Jeder, der sich unsicher oder ängstlich zeigte, würde unweigerlich unter meiner Hand enden.
»Nein, das war’s«, verkündete Vlad schließlich. »Verabschiede dich von unseren verbliebenen Gästen, Leila. Ich geleite dich in unser Gemach.«
Sein herablassender Tonfall machte mich stinkwütend. Ja, er hatte für den Rest des Abends grausame Pläne, und nein, ich würde nicht an den Verhören teilnehmen, aber deshalb ins Bett geschickt zu werden wie ein Kind?
»Ich bleibe«, sagte ich und zog herausfordernd die Augenbrauen hoch.
Kurz bekam sein Panzer Risse, und seine Emotionen versengten mich, bevor die unsichtbare Wand wieder herunterkrachte. Ich war nicht der einzige von ihm erschaffene Vampir, der einen Schritt rückwärts machte, als er von diesem rasenden Zorn getroffen wurde. Äußerlich war Vlad die Selbstbeherrschung in Person, aber im Innern kochte er wie der Vesuv vor dem Ausbruch.
»Dann bin ich eben müde«, murmelte ich. Uns stand offensichtlich ein Streit bevor, und den wollte ich nicht vor Hunderten von Fremden austragen.
Vlad packte mich am Arm und schob mich aus dem Ballsaal. Unsere Gäste bildeten eine breite Gasse, zweifellos froh, dass nicht länger sie im Zentrum seiner Aufmerksamkeit standen. Ich machte mir nicht die Mühe, mich bei jemandem zu verabschieden. Aber nachdem Vlad die Tür des Ballsaals hinter uns zugeknallt hatte, war das wohl sowieso überflüssig.
3
»Was zum Teufel hast du dir bloß gedacht?«, fauchte Vlad, als wir die Privatsphäre unseres Schlafzimmers erreicht hatten.
»Wann?«, fragte ich zurück, entschlossen, jetzt, wo ich mit ihm allein war, nicht mehr klein beizugeben. Sich tot zu stellen funktionierte vielleicht bei einem wütenden Grizzly, Vlad war dagegen eher ein Drache. Entweder man setzte sich zur Wehr oder verbrannte sich beim Wegrennen den Arsch.
Er taxierte mich mit smaragdgrünen Augen. »Als du dir die Freiheit genommen hast, mit einem anderen Vampir allein zu verschwinden.«
Er hatte den Joker doch schon geröstet; sollte er da nicht langsam mal über den Arschgrabscher hinweg sein? »Ich musste ihn hinhalten, bis ich heimlich den Handschuh abnehmen und ihn anfassen konnte. Ich konnte ja nicht ahnen, dass er quasi in aller Öffentlichkeit so eine Nummer abziehen würde …«
Vlad packte mich bei den Schultern, die Hände so heiß, dass ich fast fürchtete, mein Anzug würde schmelzen.
»Du glaubst also, ich wäre wütend, weil er dich begrabscht hat?« Ein harsches Lachen entrang sich ihm. »Aus dem Grund habe ich ihn vielleicht umgebracht, aber das ist es nicht, was mich wütend macht.«
»Was denn?«, schoss ich zurück. »Dass ich nicht gegangen bin, als du es mir befohlen hast?«
»Dass er dich hätte umbringen können!« Wäre unser Schlafzimmer nicht kürzlich schalldicht isoliert worden, hätte jeder im Ballsaal sein Brüllen gehört. »Meine Erlaubnis, heute Abend deine Fähigkeiten anzuwenden, hattest du nur, weil du versprochen hast, dich nicht allein mit jemandem herumzutreiben, und doch bist du mit einem Vampir ins Separee gegangen, der, wie du bereits wusstest, skrupellos genug hätte sein können, mit Szilagyi gemeinsame Sache zu machen. Du kannst von Glück sagen, dass er nur versucht hat, dich zu vögeln, statt dir ein Silbermesser ins Herz zu stoßen!«
»Ich war zehn Sekunden mit ihm allein«, fauchte ich.
»In zehn Sekunden könnte ich dich ein Dutzend Mal umbringen«, gab Vlad mit inzwischen leiserer Stimme zurück. »In meinem Kopf spielte ich bereits all die Möglichkeiten durch, wie du zu Tode kommen könntest, als ich sah, wie du mit ihm in diesem Separee verschwunden bist. Nur weil du noch so dicht bei ihm warst, habe ich ihn nicht gleich in die Luft gejagt.«
Mein Zorn verflüchtigte sich etwas, als ich ihm in die Augen sah. Ja, sie waren grün vor Wut, aber in ihren Tiefen lag noch etwas anderes. Ein völlig untypisches Gefühl für Vlad. Furcht.
Er hatte tatsächlich geglaubt, mein Leben sei in Gefahr. Vlad wusste durchaus, dass ich mich zur Wehr gesetzt hätte, wenn der Joker mir krumm gekommen wäre, aber er wusste auch, wie entsetzlich weh es tat, eine geliebte Person zu verlieren. Die Schuld, die Vlad sich am Selbstmord seiner Frau gab, war die Sünde, die ich gesehen hatte, als ich ihn zum ersten Mal berührte. Außerdem hatte er nicht ganz unrecht. Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass der Joker mich in dieses Separee zog. Ich war zwar verkleidet gewesen, aber eine Verkleidung war kein todsicherer Schutz, und Vlads Feinde hatten bereits versucht mich umzubringen. Einem war es sogar gelungen. Nur weil Vlad mich in einen Vampir verwandelt hatte, nachdem ich in seinen Armen verblutet war, stand ich überhaupt noch hier und konnte mit ihm streiten.
»Ich hätte vorsichtiger sein sollen«, gab ich seufzend zu. »Ich bin leichtsinnig geworden, weil ich Szilagyi endlich schnappen wollte. Er hat schließlich nicht nur uns das Leben schwer gemacht, sondern auch meine Schwester und meinen Vater dazu gebracht, in den Untergrund zu gehen, bis alles vorbei ist. Wir beide haben ja alle Zeit der Welt, um Szilagyi das Handwerk zu legen, aber sie sind Menschen, und für sie sieht es anders aus.«
»Ist mir gleich«, antwortete er brutal ehrlich. »Wenn sie es wünschen, kann ich ihnen jede Minute ersetzen, die sie im Untergrund verbringen müssen, du aber bist unersetzlich.«
Typisch Vlad. Seine Antwort war zwar lieb gemeint, konnte mich aber auch auf die Palme bringen. Ja, tranken meine Angehörigen genug Blut von ihm, ließ ihr Leben sich um Jahrzehnte verlängern. Für meine Schwester, Gretchen, wäre das vielleicht sogar noch in Frage gekommen, wenn unsere Suche nach Szilagyi sich noch lange hinzog, für meinen Vater aber sicher nicht. Er sprach nicht mal mehr mit mir, seit er herausgefunden hatte, dass ich kein Mensch mehr war.
»So weit wird es hoffentlich nicht kommen, aber nächstes Mal werde ich trotzdem vorsichtiger sein.« Ich strich ihm über das Gesicht, die Berührung federleicht verglichen mit seinen Händen auf meinen Schultern. »Ich habe es dir doch schon gesagt; du wirst mich nicht verlieren …«
»Du hast ja recht«, murmelte er und verhinderte mit seinen Lippen, dass ich meinen Satz zu Ende brachte.
Ich hatte keine Zeit, überrascht über seinen abrupten Stimmungswechsel zu sein. Vlad drängte mich gegen die nächste Wand, ließ seinen emotionalen Panzer fallen und riss auch gleich das Vorderteil meines Kostüms herunter. Zorn, Lust und Liebe jagten durch mein Unterbewusstsein und vermischten sich mit meinen Gefühlen, bis ich seine und meine Emotionen nicht mehr auseinanderhalten konnte. Aber das störte mich nicht. Ich liebte ihn genauso wahnsinnig, sehnte mich mehr nach ihm als nach dem Blut, das ich inzwischen zum Überleben brauchte – und niemand konnte mich wütender machen als Vlad. Auch das funktionierte gegenseitig.
Vor ein paar Monaten noch hätte der abrupte Wechsel von Zorn zu Leidenschaft mir Angst gemacht, jetzt aber konnte ich alles fühlen, was Vlad nicht sagen konnte. Er musste mich anfassen, mich schmecken, um die verhasste Furcht zu lindern, die in ihm aufgekommen war, als er mich in Gefahr gewähnt hatte. Er gebärdete sich zwar eher brutal als sinnlich, aber hätte ich ihn weggestoßen, hätte er aufgehört. Und mit jeder Emotion, die sich durch meine Nervenbahnen brannte, drängte er mich, es nicht zu tun. Nein, er wollte sogar, dass ich ihm mit der gleichen ungezügelten Leidenschaft begegnete, meine Hemmungen ebenso ablegte wie er seine Unberührbarkeit.
Ich tat ihm den Gefallen, indem ich in sein Haar griff und ihn an den langen dunklen Strähnen enger an mich zog. Sein Mund war fest und sinnlich zugleich, als er über den meinen herfiel, bis ich nicht einmal mehr stöhnen konnte. Er küsste mich, als wollte er mich mit Lust strafen, und als er seinen Smoking aufriss und seine bloße Haut auf meine traf, schauderte ich. Vlads gefährliche Fähigkeiten brachten auch unerwartete Nebeneffekte mit sich, die sehr angenehm waren, indem sie beispielsweise dafür sorgten, dass sein Körper sich anfühlte wie geschmolzener Stahl, wenn Macht oder Verlangen sich in ihm regten.
Ich löste die Hände aus seinem Haar und befreite ihn von seinem zerfetzten Hemd. Sein heißer, muskulöser Leib versengte meine Brüste, als er mich an sich presste. Ein dunkles, animalisches Knurren entrang sich ihm, während meine Hand über seinen straffen Bauch in seine Hose glitt. Er schlang meine Beine um seine Hüften und drängte mich mit seinem ganzen Körper gegen die Wand, während er an der unteren Hälfte meines Kostüms zerrte.
Meine Fänge ritzten seine Zunge, sodass der kupfrige Geschmack seines Blutes unseren Kuss erfüllte. Ich saugte es von seiner Zunge auf und rieb mich an seinem Geschlecht, das ich hart an meinem Schenkel spürte. Sein Griff wurde fester, und als er meine Hüften mit Macht an seine zog, bog ich mich ihm in blindem, animalischem Verlangen entgegen.
Sein erster Stoß ließ mich aufschreien, so herrlich brannte er in mir. Das Gefühl war so intensiv, dass ich es Schmerz genannt hätte, hätte ich mich nicht in Vlads Rücken verkrallt, um ihn anzutreiben. Die Schreie, die ich dann ausstieß, waren pure Ekstase, und sie hielten an, bis die Morgendämmerung mir das Bewusstsein raubte.
Als ich erwachte, waren die Schlafzimmervorhänge aufgezogen, sodass ich die rosigen Farben des späten Nachmittagshimmels über Rumänien sehen konnte. Wenigstens war es noch nicht ganz dunkel. Ich machte allmählich Fortschritte im Kampf gegen die narkotisierende Kraft der Sonne.
Vlads Betthälfte war natürlich leer. Ihm konnte die Sonne schon seit Jahrhunderten nichts mehr anhaben. Für gewöhnlich legte er großen Wert darauf, im Schlafzimmer zu sein, wenn ich zu mir kam, nur heute nicht. Was mich nicht groß wunderte, da wir einen neuen Gefangenen im Kerker hatten. Vlad bezweifelte zwar, dass der als Khal Drogo zurechtgemachte Vampir wusste, wo Szilagyi sich aufhielt, aber um sicherzugehen würde er ihn trotzdem verbrutzeln. Erforderliche Sorgfalt, hatte er einmal gesagt.
Auf meinem Nachttisch stand ein abgedeckter Becher, dem warmer, köstlicher Blutgeruch entströmte. Ich zwang mich, ganz langsam nach ihm zu greifen, obwohl ich ihn am liebsten an mich gerissen hätte. Ich war schließlich noch damit beschäftigt, meine Blutgier in den Griff zu bekommen, und da wäre es kontraproduktiv gewesen, darüber herzufallen wie ein Tier. Außerdem hätte ich den Becher komplett zerbröselt, wenn ich ihn nicht mit äußerster Vorsicht behandelte, und ich wollte das Blut schließlich trinken, nicht auf mir verteilen.
ENDE DER LESEPROBE