13,99 €
Fez Inkwright entführt mit ihrem bezaubernd illustrierten Werk ins Reich der Schatten. Dort, wo dunkle Pflanzen blühen und der Grat von Heilen zu Töten ein schmaler ist, verwebt sie botanisches Wissen mit fantastischer Folklore, Natur mit Geschichte. Dabei beschreibt sie eine große Bandbreite an giftigen Gewächsen wie die halluzinogene Engelstrompete, den Bittersüßen Nachtschatten oder den Roten Fingerhut und die Mythen, die sich um sie ranken. Die Ethnologin legt besonderen Wert auf Eigenschaften, Wirkung und Wesen der Pflanzen sowie ihre Verwendung in Religion und Magie. Zusätzlich gewährt sie Einblicke in die berüchtigtsten Todesfälle und Vergiftungen durch Pflanzen im alten Rom, Mittelalter – bis heute. Fez Inkwright enthüllt die faszinierenden, unerzählten Geschichten hinter einer Vielzahl von tödlichen Pflanzen, Hexenkräutern und Pilzen. Ideal für alle, die eine tiefe Faszination für Natur und Mystik hegen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 320
Im Garten der Gifte
Fez Inkwright
Im Garten der Gifte
Das geheimnisvolle Schattenreich der Pflanzen
Fez Inkwright
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen
Wichtiger Hinweis
Dieses Buch dient ausschließlich zu Informations- und Unterhaltungszwecken. Es ist weder als Quelle für medizinische Ratschläge gedacht, noch sind die Abbildungen als genaue Referenz zur Identifizierung zu verwenden. Wenn du medizinischen Rat einholen willst, konsultiere bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und die Autorin haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.
Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.
1. Auflage 2025
© 2025 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89
80799 München
Tel.: 089 651285-0
Die englische Originalausgabe erschien 2021 bei Liminal 11 unter dem Titel Botanical Curses and Poisons: The Shadow-Lives of Plants. © 2021 Fez Inkwright. Written and illustrated by Fez Inkwright. Cover design by Fez Inkwright. First published in 2021 by Liminal 11.
© 2021 by Fez Inkwright. All rights reserved.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.
Übersetzung: Simone Fischer
Redaktion: Ulrike Reinen
Umschlaggestaltung: Fez Inkwright | Pamela Machleidt
Abbildungen Innenteil: Fez Inkwright | Adobe Stock/HTGanzo
Satz: Christiane Schuster | www.kapazunder.de
eBook: ePUBoo.com
ISBN Print 978-3-7474-0642-7
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-953-7
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.mvg-verlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de
Einleitung
Die Geschichte des Vergiftens
Von weisen Frauen und Hexen
Hexenkräuter
Heilen und töten
Die Signaturenlehre
Pflanzen von A – Z
Ackerbohne: Vicia faba
Alraune: Mandragora officinarum und Mandragora autumnalis
Apfel: Malus domestica
Asphodill: Asphodelus spp.
Basilikum: Ocimum basilicum
Bittersüßer Nachtschatten: Solanum dulcamara
Blauregen: Wisteria spp.
Brechnuss: Strychnos nux-vomica
Dieffenbachie: Dieffenbachia spp.
Diptam: Dictamnus albus
Drachenblutbaum: Dracaena cinnabari
Efeu: Hedera helix
Eibe: Taxus baccata
Eisenhut: Aconitum napellus
Engelstrompete: Brugmansia suaveolens
Fichtenspargel: Monotropa uniflora
Fingerhut: Digitalis purpurea
Fleischfressende Pflanzen
Gefleckter Aronstab: Arum maculatum
Gefleckter Schierling: Conium maculatum
Gelbe Azalee: Rhododendron luteum
Gräser
Hahnenfuß: Ranunculus spp.
Hanf: Cannabis sativa
Hasenglöckchen: Hyacinthoides non-scripta
Herbstzeitlose: Colchicum autumnale
Holunder: Sambucus spp.
Hortensie: Hydrangea spp.
Hundsgift: Apocynum spp.
Hundspetersilie: Aethusa cynapium
Japanische Kamelie: Camellia japonica
Kalebassenbaum: Crescentia alata
Kapokbaum: Ceiba pentandra
Kirschlorbeer: Prunus laurocerasus
Kleinblütige Königskerze: Verbascum thapsus
Kletternder Giftsumach, Eichenblättriger Giftsumach und Giftsumach: Toxicodendron spp.
Kornrade: Agrostemma githago
Maiglöckchen: Convallaria majalis
Manchinelbaum: Hippomane mancinella
Mistel: Viscum album
Nachtschattengewächse: Solanaceae spp.
Narzisse: Narcissus pseudonarcissus
Nieswurz: Helleborus officinalis
Nieswurz, Falsche: Veratrum spp.
Oleander: Nerium oleander
Paprika: Capsicum spp.
Paternostererbse: Abrus precatorius
Pilze
Rhabarber: Rheum rhabarbarum
Riesen-Bärenklau: Heracleum mantegazzianum
Rose: Rosa spp.
Safranrebendolde: Oenanthe crocata
Schlafmohn: Papaver somniferum
Schlehe: Prunus spinosa
Schwarzes Bilsenkraut: Hyoscyamus niger
Stechapfel: Datura stramonium
Taumel-Lolch: Lolium temulentum
Teufelsabbiss: Succisa pratensis
Teufelsbaum: Alstonia scholaris
Tollkirsche: Atropa belladonna
Upasbaum: Antiaris toxicaria
Veilchen: Viola spp.
Wald-Bingelkraut: Mercurialis perennis
Walnuss: Juglans regia
Weide: Salix spp.
Würgefeige: Ficus spp.
Zaunrübe: Bryonia dioica
Zerberusbaum: Cerbera odollam
Bibliografie/Literatur
Notizen
Du bist des Schicksals, des Zufalls, der Könige Knecht,Und hältst dich an Gift, an Krieg und Krankheit fest;Doch auch Mohn und Zauber uns gut schlafen lässt,Sogar besser als dein Hieb; warum also prahlst du schlecht?Nun erwachen wir ewig nach nur kurzer Ruh,Der Tod ist dann nicht mehr; Tod, dann stirbst du.
John Donne, Tod sei nicht stolz
Die Entwicklung der menschlichen Spezies ist unbestreitbar eng mit den Pflanzen verwoben, mit denen wir unseren Planeten teilen. Als Nahrungsmittel haben sie uns gestärkt und uns durch Zeiten der Armut und des Hungers getragen. Als Materialien haben sie uns gekleidet und unseren Behausungen gedient. Als Medizin haben sie uns vor Krankheiten und Unwohlsein bewahrt. Und schließlich sind sie auf unseren Gräbern gewachsen. In frühen Religionen, Legenden und Mythologien haben Pflanzen eine zentrale Rolle dabei gespielt, wie wir mit unseren Göttern und unserer Umwelt interagieren.
Aber nicht alle Pflanzen sind zu unseren Freunden geworden. Und so werden wir als Kinder vor denjenigen gewarnt, die stechen, die kleben und die wir nicht in den Mund nehmen sollten. Es sind diese versteckten, unerwarteten Gefahren und die Vorstellung, dass etwas so Harmloses wie eine Pflanze uns Schaden zufügen kann, die unsere Fantasie seit Anbeginn der Zeit beflügelt haben. In vielen Stücken Shakespeares tauchen dunkle Dramen um Pflanzenvergiftungen auf, von Hamlet über Romeo und Julia bis hin zu Antonius und Cleopatra. Schon die alten Griechen füllten ihre Abende mit den Geschichten der Zauberin Medea, die Jason durch ihr Kräuter- und Zauberwissen hilft, das Goldene Vlies zu finden und zu gewinnen. Ähnliches sieht man auch in der Geschichte von Herakles und Nessus, in der Herakles durch eine List und ein vergiftetes Gewand den Tod findet. Die Herzogin von Northumberland war von einem Besuch des Giftgartens der Medici in Italien so inspiriert, dass sie in Alnwick Castle in Großbritannien einen eigenen Garten mit Pflanzen anlegte, die töten statt heilen können, mit nur einer Bedingung für alle Gartenbewohner: Sie mussten eine gute Geschichte erzählen.
Wir möchten gerne glauben, dass wir alle üblichen Verdächtigen kennen, die eine Gefahr in unseren Gärten darstellen, wie Tollkirsche oder Eisenhut. Manche ihrer gebräuchlichen Namen wirken so abschreckend, dass sie bereits als Warnung dienen, wie zum Beispiel Hundsgift, Gift-Hahnenfuß, Stechpalme, Stinkwacholder und Selbstmordbaum. Einige Pflanzen werden aufgrund ihrer giftigen Eigenschaften auch mit dem Teufel aus der christlichen Legende in Verbindung gebracht. Es ist nicht ungewöhnlich, Namen wie Teufelsabbiss, Teufelsauge, Teufelskralle, Teufelszwirn, Teufelskirsche, Teufelspeterlein, Teufelsstrauch, Teufelsbaum, Teufelszunge und weitere zu hören, die meist daher rühren, dass die arme Pflanze eine optische Ähnlichkeit mit einem der Namensteile hat.
Aber nicht alle Pflanzen sind offenkundig gefährlich, und versteckte Gefahren können sie genauso tödlich machen wie ihre deutlicher bezeichneten Verwandten. Viele Gärtner*innen sind schon den Blausäure-Dämpfen zum Opfer gefallen, die Kirschlorbeerschnitt beim Transport in einem Fahrzeug ausstößt. Und selbst die harmlos wirkenden Kartoffeln und Tomaten, beides gängige Nutzpflanzen, können ernsthafte Krankheiten verursachen. Viele der Pflanzen, denen wir im Alltag begegnen, sind zu einem gewissen Grad giftig oder in irgendeiner Weise schädlich. So sind beispielsweise von den rund 20 000 Arten der in den Vereinigten Staaten heimischen oder eingebürgerten Samenpflanzen etwa 700 als giftig bekannt. In Mitteleuropa kennt man etwa 50 Pflanzenfamilien, deren zahlreiche Arten Giftstoffe enthalten. Das deutsche Bundesministerium hat 2021 eine Liste von über 60 besonders giftigen Pflanzen in Gärten und in der freien Natur veröffentlicht.
Womöglich ist es unsere eigene Schuld, dass wir immer wieder mit Pflanzen in Kontakt kommen, die uns töten können. Ihre giftigen Inhaltsstoffe sind aus der Notwendigkeit entstanden, sich vor dem Verzehr zu schützen, und trotzdem konsumieren wir sie weiterhin und entwickeln immer neue und raffiniertere Methoden, um die unangenehmen Wirkungen zu vermeiden, die uns eigentlich aufhalten sollten. Viele beliebte stärkehaltige Wurzelpflanzen enthalten zum Beispiel Blausäureglykoside, die tödlich sein können, wenn die Wurzeln nicht eingeweicht und anschließend entwässert werden, was mehrfach oder sogar über mehrere Tage wiederholt werden sollte, bevor sie zu Mehl gemahlen werden. Manche Menschen machen sich nicht einmal die Mühe, sie vor dem Verzehr zu verarbeiten: Viele essen Chilischoten und genießen sogar das brennende Gefühl, ohne zu wissen, dass sie ein naher Verwandter tödlicher Nachtschattengewächse sind. Giftige Tiere und Insekten warnen ihre Fressfeinde durch ihre leuchtenden Farben, doch zahlreiche Pflanzen setzen stattdessen auf einen bitteren Geschmack oder einen scharfen Stachel. Und für diejenigen, die zu langsam sind, um den Hinweis zu verstehen, ist Gift eine effektivere – und meist auch dauerhaftere – Lösung.
Giftig bedeutet allerdings nicht immer tödlich. Die offizielle Definition einer Giftpflanze lautet: »Enthält Stoffe, die bei Menschen und Tieren mehr oder weniger starke Unannehmlichkeiten und schädliche physische oder chemische Auswirkungen oder sogar den Tod hervorrufen können, wenn sie verzehrt werden oder man auf andere Weise mit ihnen in Berührung kommt«.1 Nicht alle Pflanzen in diesem Buch sind von Natur aus Giftpflanzen, hier finden sich auch Gewächse, die andere ruchlose Methoden entwickelt haben, um ihr Überleben zu sichern. Unter anderem entdeckst du auf diesen Seiten den Diptam (Dictamnus albus), der auch als Brennender Busch bekannt ist und eine hochentzündliche Atmosphäre um sich herum erzeugt, die Waldbrände entfacht und damit seine Konkurrenz auslöscht. Außerdem lernst du die Würgefeige kennen, die ihr Leben in den Ästen anderer Bäume beginnt und dann ihren Wirt derart erstickt, dass der ältere Baum verrottet und von ihm nur eine leere Hülle zurückbleibt.
Auch in der Pflanzenwelt gibt es unglückliche, verfluchte und trauernde Exemplare, die eigentlich harmlos sind, aber im Laufe der Menschheitsgeschichte mit Trollen, Geistern, Morden, bösen Geistern oder sogar dem Teufel selbst in Verbindung gebracht wurden. Schließlich lieben wir doch alle gute Geistergeschichten oder ungelöste Mordfälle. Die Verbindung zwischen Pflanzen und dem Übernatürlichen hat eine lange und verworrene Geschichte, und unser Vertrauen in die Ressourcen der Erde – und unsere Angst vor ihren Gefahren – hat stets eine starke, instinktive Anziehungskraft ausgeübt und tut dies noch heute. Seit Jahrhunderten wird Kindern die Gefahr von »Feen-« oder »Hexenringen«, also Ringen aus Pilzen, beigebracht. Es gibt sogar Figuren in der Populärkultur, die auf eine Weise diese Warnungen ausdrücken, die wir möglicherweise gar nicht erwarten: Shakespeares berühmter Puck zum Beispiel basiert auf dem »echten« König der Feen, dessen Name sich vom altenglischen Pogge – dem Begriff für Fliegenpilz – ableitet.
Wälder, alte Bäume und Sümpfe können furchterregende Orte sein, weshalb auf der ganzen Welt viele fiktive Kreaturen entstanden sind, die uns das Unbehagen erklären sollen, das die wilden Teile unserer Erde in uns wecken. Der indische Bhuta, ein ruheloser Geist, wohnt in den Bäumen und wartet darauf, sich unachtsamer Menschen zu bemächtigen. Der Siltim ist eine ähnliche Kreatur, die in den Wäldern Persiens, dem heutigen Iran, spukt. Ein altes russisches Sprichwort besagt, dass aus allen alten Bäumen entweder eine Eule oder ein Teufel hervorgeht. Und bei uns in Deutschland, wo die Landwirtschaft seit Jahrhunderten eine wichtige Lebensgrundlage darstellt, haben der Erntekalender und die Rituale rund um die Aussaat und Ernte im Volksglauben Generationen von Erntekobolden und -geistern hervorgebracht, die den Bauern helfen oder diese behindern. Zu den Dutzenden von ihnen gehören der Aprilochse, ein Frühlingsfelddämon; der Korndämon namens Roggenwolf; der Graswolf auf den Feldern; der Bilmesschneider, der Getreide von den Feldern stiehlt, und die Heukatze und der Heupudel, die das in den Scheunen gelagerte Heu verderben.
Obwohl die Vorstellung von Dämonen und Kobolden an eine wildere, primitivere Welt erinnert, haben sich viele dieser Geschichten und Weisheiten bis weit ins 20. Jahrhundert gehalten und sind in einigen Formen auch heute noch in unserem Leben präsent. In vielen Ländern glaubt man noch immer, dass man sich vor dem Teufel schützen kann, indem man Salz über die Schulter wirft, und dass der Gruß an eine allein auftretende Elster Unglück abwehren soll. Das klingt vielleicht skurril, aber unsere Kultur beruht auf der Landwirtschaft und ist somit von der ländlichen Bevölkerung geprägt, und unser jahrhundertelanger Aberglaube lässt sich nur schwer gänzlich ablegen. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert lebte das akademische Interesse an der Volkskunde wieder auf, vor allem auf den Britischen Inseln, wo Bücher und Zeitschriften, die den lokalen Glauben erforschten und dokumentierten, in großer Zahl veröffentlicht wurden. Obwohl diese Bücher einen bemerkenswerten Einblick in das ländliche Leben jener Zeit bieten, basierte ein Großteil des Inhalts auf Geschichten, die direkt aus der Quelle zusammengetragen wurden, also von Einheimischen und nicht von Akademikern, weshalb viele der gesammelten Geschichten eine eher fantastische Vorstellung von Magie aufweisen. Deshalb sind einige der Geschichten in diesem Buch – und die Erwähnung dieser mystischen Menschen, die als Druiden und Heiden bekannt sind – mit Vorsicht zu genießen.
Obwohl das Druidentum auch heute noch als spirituelle Bewegung existiert, sind Erwähnungen von Druiden in alten Schriften, insbesondere in solchen, die sich mit lokalen Überlieferungen und Erörterungen des Okkulten beschäftigen, häufig übertrieben und ungenau. Historisch gesehen waren Druiden ein Teil der keltischen Religion auf den Britischen Inseln, zudem praktizierten sie in der historischen Region Gallien, die große Teile Europas umfasste. Druiden waren Lehrer, Wissenschaftler, Philosophen und vor allem Priester, aber die Legenden über Mystik und Macht, die sich um sie rankten, haben Hunderte von Geschichten hervorgebracht, von denen die meisten aus dramaturgischen Gründen aufgebauscht wurden. Auch wenn die Vorstellung von goldenen Sensen und weißen Stieren als Opfergabe sicherlich großartige Erzählungen hervorbringt, müssen wir bedenken, dass sich diese auf das romantische Konzept des »Druidentums« als magische Kunst beziehen und historisch nicht ganz korrekt sind.
Das Gleiche gilt für den Sammelbegriff des »Heidentums«, der durch die frühchristliche Angst vor Magie und Teufelsanbetung vor allem in der Zeit der Hexenprozesse im 16. Jahrhundert verbreitet wurde. Ursprünglich war »heidnisch« ein Schimpfwort, das von den spätrömischen Christen gegen die Landbevölkerung eingesetzt wurde, die weiterhin die traditionellen Götter verehrte, anstatt sich der Kirche anzuschließen. Dabei war »heidnisch« eigentlich nie ein religiöses Bekenntnis, bezeichnete aber dennoch ein loses System religiöser Überzeugungen und Lebensweisen, die im antiken und mittelalterlichen Europa auf sehr unterschiedliche Weise praktiziert wurden.
So ungenau oder übertrieben manche auch sein mögen, so sind die meisten Volksmärchen im Kern eine Warnung an die Unvorsichtigen. Geh nicht nachts in den Wald, sprich nicht mit Fremden. Sei nicht respektlos gegenüber dem Land, auf dem du lebst; behandle es freundlich und du wirst belohnt werden. Unsere Abhängigkeit von den Ressourcen der Erde ist nicht zu bestreiten, weshalb viele frühe Glaubenssysteme die Pflanzen heiligten, die einen so wichtigen Teil ihrer Lebensgrundlage bildeten. Es ist daher nur folgerichtig, dass es überall auf der Welt eine Fülle von Geschichten über die Beziehung zwischen Mensch und Natur gibt. Zahlreiche dieser Überlieferungen sind mündlicher, manche auch schriftlicher Natur, und sie alle verraten viel über die Menschen von damals, über ihre Werte und ihre Lebensweise. Dies wird von der britischen Volkskundlerin Christina Hole treffend auf den Punkt gebracht:
Die Überlieferungen eines Volkes müssen für diejenigen, die das Wesen und die Geschichte seiner Menschen verstehen wollen, immer von großer Bedeutung sein.
Dieses Buch stellt eine kleine Auswahl dieser Erzählungen zusammen.
Lange bevor es Gewehre und Bomben gab und giftige chemische Elemente wie Arsen und Quecksilber in Mode kamen, entledigte man sich eines Problems am einfachsten dadurch, dass man sich das zunutze machte, was die Natur zu bieten hatte. Von Kleopatras giftigen Wespen bis hin zum Untergang Alexanders des Großen und des römischen Kaisers Augustus – die Natur hat ebenso viele tödliche Waffen bereitgestellt, wie der Mensch selbst konstruiert hat. Natürlich ist die Geschichte voll von Legenden über Kriege und Attentate, doch viele der faszinierendsten und denkwürdigsten Morde geschahen durch Vergiftungen. Die Kenntnis über das richtige Gift und die richtige Anwendungsmethode war in früheren Zeiten eine unschätzbare Fähigkeit, um sich eines lästigen Rivalen – oder sogar des Ehepartners oder der Eltern! – zu entledigen.
Wir Menschen sind seit jeher sehr geschickt in der Kunst des Mordens, vor allem, wenn es um das Streben nach Macht und Selbstbehauptung geht. In unserer frühen Geschichte finden sich immer wieder ungeklärte Fälle von Vergiftungen, einer davon sogar im Alten Testament der christlichen Bibel: der Tod des Hohepriesters Alkimos (angeblich durch einen Schlaganfall) im Jahr 159 vor Christus. Der Bericht über seinen Tod in der Septuaginta, der frühesten existierenden altgriechischen Übersetzung der Heiligen Schrift, zeigt die typischen Symptome eines Schlaganfalls: Zusammenbruch und Sprachverlust, gefolgt von einem schnellen Tod. Allerdings wird auch berichtet, dass der Hohepriester vor seinem Tod unter starken Schmerzen litt, was bei Schlaganfallpatient*innen ungewöhnlich ist, aber den Symptomen einer Eisenhutvergiftung verblüffend ähnlich ist. Der Eisenhut (Aconitum napellus) war seinerzeit eine weitverbreitete und leicht zu kultivierende Giftpflanze. Zudem hatte Alkimos kurz vor seinem Tod an Popularität eingebüßt, indem er den Bau des Tempels von Jerusalem genehmigte – ein Projekt, das von vielen in seinem Umfeld als Sakrileg angesehen wurde. Obwohl man immer noch davon ausgeht, dass sein Tod eine göttliche Strafe war, vermuten Wissenschaftler*innen inzwischen, dass sein frühes Ableben möglicherweise eher durch menschliches Eingreifen verursacht wurde.
Man muss bedenken, dass eine Vergiftung immer verdeckt und vorsätzlich erfolgt. Es ist ein Verbrechen, das nicht in einem Moment der Leidenschaft oder aus einem Impuls heraus begangen wird. Es ist ein Verbrechen, das geplant werden muss.
Richter William Windeyer, Central Criminal Court Sydney,Zusammenfassung des Falls Dean, 6. April 1895
Eine der berühmtesten Vergiftungen in der Antike ist die des Sokrates im Jahr 399 vor Christus, bei der er mit Schierling hingerichtet wurde. Dem berühmten Philosophen warf man vor, die Jugend Athens zu verderben und sich zu weigern, die Götter des Staates anzuerkennen. Er und seine antidemokratischen Methoden sollen zwei seiner Schüler dazu gebracht haben, die athenische Regierung zu stürzen, was zu zwei kurzen, aber aufrührerischen Perioden führte, in denen Tausende von Bürgern aus der Stadt verbannt oder schnell hingerichtet wurden, um die demokratischen Gesetze der Stadt wiederherzustellen.
Nach einem hart umkämpften Prozess, der zwölf Stunden dauerte, wurde entschieden, dass Sokrates für seine Beteiligung an den Unruhen sterben musste – und zwar durch seine eigene Hand. Ihm wurde ein Schierlingsbecher gereicht, den er austrinken sollte, um der Wirkung zu erliegen.
Die beste Schilderung dieser Szene stammt von Platon, einem seiner Schüler, der Sokrates’ Tod und das Thema der Unsterblichkeit der Seele in seinem Dialog Phaidon sehr ausführlich behandelt hat:
Als nun Sokrates den Menschen sah [der ihm den Trank reichen sollte], sprach er: »Wohl, Bester, denn du verstehst es ja, wie muss man es machen?«
»Nichts weiter«, sagte er, »als wenn du getrunken hast, herumgeh’n, bis dir die Schenkel schwer werden, und dann dich niederlegen, so wird es schon wirken.« Damit reichte er dem Sokrates den Becher, und dieser nahm ihn.
[…]
Er [Sokrates] aber ging umher, und als er merkte, dass ihm die Schenkel schwer wurden, legte er sich gerade hin auf den Rücken, denn so hatte es ihn der Mensch geheißen. Darauf berührte ihn eben dieser, der ihm das Gift gegeben hatte, von Zeit zu Zeit, und untersuchte seine Füße und Schenkel. Dann drückte er ihm den Fuß stark und fragte, ob er es fühle; er sagte Nein. Und darauf die Knie, und so ging er immer höher hinauf und zeigte uns, wie er erkaltete und erstarrte. Darauf berührte er ihn noch einmal und sagte, wenn ihm das bis ans Herz käme, dann würde er hin sein.
Als ihm nun schon der Unterleib fast ganz kalt war, da enthüllte er sich, denn er lag verhüllt und sagte, und das waren seine letzten Worte: »O Kriton, wir sind dem Asklepios einen Hahn schuldig, entrichtet ihm den, und versäumt es ja nicht.«
»Das soll geschehen«, sagte Kriton, »sieh aber zu, ob du noch sonst etwas zu sagen hast.«
Als Kriton dies fragte, antwortete er aber nichts mehr, sondern bald darauf zuckte er, und der Mensch deckte ihn auf; da waren seine Augen gebrochen.
Als Kriton das sah, schloss er ihm Mund und Augen. Dies, o Echekrates, war das Ende unseres Freundes, des Mannes, der unserm Urteil nach, von den damaligen, mit denen wir es versucht haben, der trefflichste war, und auch sonst der vernünftigste und gerechteste.
Platon, Phaidon, in der Übersetzungvon Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Zu Sokrates’ Zeiten war das Vergiften ein weitverbreitetes Mittel, um einen politischen Gegner, einen ungewollten Ehepartner oder ein Stiefkind zu beseitigen, und wurde sogar eingesetzt, um einen älteren Elternteil zu töten und sich somit das Erbe vorzeitig zu sichern. Und da giftige Pflanzen wie Eisenhut, Herbstzeitlose, Bilsenkraut, Alraune, Nieswurz, Mohn und Eibe in den meisten Gärten zu finden waren oder wild wuchsen, war es nicht nur bequem, sondern auch billig und leicht zugänglich.
Der erste dokumentierte Fall einer Massenvergiftung in Rom ereignete sich im Jahr 331 vor Christus. Obwohl die große Zahl der Todesfälle zunächst als Folge einer Epidemie abgetan wurde, informierte eine Sklavin die zuständigen Beamten darüber, dass die Todesfälle auf Gifte zurückzuführen waren, die von römischen Frauen zubereitet und verabreicht worden waren. Bei der darauffolgenden Untersuchung wurden etwa 20 Matronen – meist wohlhabende Landbesitzerinnen – dabei überführt, wie sie Giftmischungen herstellten. Obwohl sie behaupteten, diese Mischungen seien harmlos, wurden sie gezwungen, sie zu trinken, um ihre Unschuld zu beweisen, und starben prompt. Bei späteren Untersuchungen wurden weitere 170 Personen des gleichen Vergehens für schuldig befunden und hingerichtet.2
Fast 150 Jahre später, im Jahr 184 vor Christus, kam es zu einem weiteren Fall von Massenvergiftung, der im Zusammenhang mit der Verehrung von Dionysos, dem griechischen Gott des Weins, des rituellen Wahnsinns und der religiösen Ekstase, stand. Die weiblichen Dionysos-Kultanhängerinnen waren als Mänaden bekannt und berauschten sich durch das Kauen von Efeublättern, die Wahnsinn und Raserei auslösen können. Dann zogen sie betrunken durch die Lande und griffen dabei gleichermaßen Tiere als auch Menschen an. Ein Ableger dieses Kults sorgte für so viel Ärger, dass der Prätor Quintus Naevius eine riesige Summe öffentlicher Gelder für eine viermonatige Untersuchung der Angelegenheit ausgab, die mit dem Prozess und der Hinrichtung von 2000 Menschen unter dem Hauptanklagepunkt der Vergiftung endete.3 Weitere Hinrichtungen wurden vier Jahre später im Jahr 180 vor Christus durchgeführt, als die Beamten versuchten, diese erhebliche Bedrohung der römischen Gesellschaft einzudämmen.
Im Jahr 82 vor Christus waren Vergiftungen in Rom so alltäglich geworden, dass der Feldherr und Staatsmann Sulla sie zu einem Kapitalverbrechen erklärte. Die Herstellung, der Kauf, der Verkauf, der Besitz oder die Weitergabe von Gift zum Zweck der Tötung wurde unter Androhung von Deportation und Konfiszierung des Eigentums verboten (obwohl die Beschaffung von Gift zur Schädlingsbekämpfung und für medizinische Zwecke weiterhin legal war). Da der Eisenhut eine so beliebte Gartenpflanze war – sowohl wegen seiner Schönheit als Blume als auch wegen seines praktischen Nutzens –, wurde er in diesen Gesetzen besonders erwähnt. Sullas Versuche scheinen jedoch nur wenig Einfluss auf die Beliebtheit der Pflanze gehabt zu haben, denn 81 Jahre später, im Jahr 1 vor Christus, stellte der damals populäre römische Satiriker Juvenal in einer Bemerkung über den moralischen Verfall der Elite fest, dass das Vergiften zum eigenen Vorteil und vor allem aus Gier zu einer Art Statussymbol geworden war.
Giftmord spielt in der Geschichte der römischen Kaiser und dem stürmischen Aufstieg und Fall ihres Reiches eine große Rolle. Eine berühmte politische Akteurin war Lucusta, eine berüchtigte Giftmörderin, die für die Ermordung zahlreicher hochrangiger Personen verantwortlich war, darunter auch Kaiser Claudius, der 54 nach Christus durch vergiftete Pilze starb.
Lucusta war eine Gallierin, die zusammen mit Canidia und Martina zu einem berüchtigten Trio von Giftmischerinnen und Zauberinnen gehörte. Solche Giftmischer*innen oder Gifthersteller*innen bezeichnete man als Veneficus oder Venefica. Über Lucustas frühes Leben ist nicht viel bekannt, man weiß allerdings, dass sie mit einem tödlichen Wissen über Pflanzenkunde nach Rom kam und Schierling, Fingerhut, Nachtschatten und Opium in ihrem Arsenal hatte. Sie testete ihre Extrakte an Tieren und verfeinerte sie mit tödlicher und wissenschaftlicher Effizienz. Obwohl sie im Laufe ihrer Karriere mindestens zweimal im Gefängnis landete, kam sie jedes Mal durch den Einfluss ihrer vermögenden Wohltäter, die ihre besonderen Fähigkeiten brauchten, wieder frei. Tacitus beschreibt sie in seinen Annalen als eine Meisterin in solchen Dingen, die wegen Giftmischerei verurteilt worden war, aber lange als Werkzeug der Regierung diente. Durch ihren Erfindungsgeist sei ein Gift bereitet worden, welches einer der Beschnittenen Claudius darreichen musste.
Eine Zeit lang stand Lucusta in Diensten der Kaiserin Agrippina der Jüngeren, der Nichte und damaligen Ehefrau von Claudius. Als Agrippina sie beauftragte, Claudius zu ermorden, um Platz für Nero zu schaffen, Agrippinas Sohn aus einer früheren Ehe, war Lucusta bereits wegen einer früheren Vergiftungsanklage inhaftiert. Nero selbst beauftragte Lucusta später damit, seinen Stiefbruder, Claudius’ Sohn Britannicus, zu beseitigen. Im Gegenzug wurde Lucusta begnadigt und erhielt einen Landsitz, auf den Nero Schüler schickte, die bei ihr das Handwerk des Giftmischens lernen sollten. Nero unterhielt weiterhin einen persönlichen Giftmischer und zog zudem Zyanid den langsamer wirkenden Tropanalkaloiden vor, die Lucusta verwendete. Er hatte jedoch noch eine letzte Verwendung für sie: Als er 68 nach Christus aus Rom fliehen musste, besorgte er sich von ihr ein Gift für seinen persönlichen Gebrauch, falls er es jemals benötigen sollte – starb aber letztendlich auf andere Weise.
Doch nicht nur die Römer wussten Gift zu nutzen. Mithridates VI., der König von Pontos zwischen 114 und 63 vor Christus, fürchtete den Tod durch Gift so sehr, dass er sein ganzes Leben lang täglich winzige Dosen davon einnahm, um eine Immunität aufzubauen. Als er schließlich 63 vor Christus in den Mithridatischen Kriegen von den Römern gefangen genommen wurde, versuchte er, sich selbst zu vergiften, überlebte aber – was zu diesem Zeitpunkt wenig überraschend war.
Mithridates verbrachte im Laufe seiner Herrschaft viele Jahre damit, den zum Tod Verurteilten Gifte zu verabreichen, um seine Gegenmittel zu testen. Wie die meisten medizinischen Praktiken zu dieser Zeit waren auch diese Experimente stark von der Religion beeinflusst: Mithridates hatte immer ein Kontingent skythischer Medizin-Schamanen bei sich, die viele seiner Studien beaufsichtigten und die Arbeit des Königs maßgeblich beeinflussten. Sie kamen vom Stamm der Agari nördlich des Asowschen Meeres, in der heutigen Ukraine, und waren Experten für Gifte und Gegengifte gleichermaßen. Einmal sollen sie ihm auf dem Schlachtfeld das Leben gerettet haben, indem sie Schlangengift auf eine Wunde an seinem Oberschenkel auftrugen, um die Blutung zu stillen. Obwohl sie vom Rest des mithridatischen Hofes als mystische Nordmänner gefürchtet wurden, waren sie wegen ihres Wissens über eine Vielzahl hochgiftiger Pflanzen und deren Anwendung sehr wertvoll.
Im Land von Pontos mangelte es keineswegs an Ressourcen, die Mithridates in seinen Studien einsetzen konnte. Bienen, die sich vom Nektar des Oleanders und der Rhododendren ernährten, produzierten wilden Honig, der tödliche Nervengifte enthielt, und Biber, die Weiden als Futter nutzten, wurden wegen ihres salicylsäurehaltigen Fleisches geschätzt. In Armenien, Pontos’ östlichem Verbündeten, gab es Seen voller giftiger Fische und Schlangen. Enten ernährten sich von Nieswurz und Nachtschatten, ohne dass dies ihrer Gesundheit schadete, und sie waren die Quelle einer Zutat, von der Plinius berichtet, dass sie in Mithridates’ Präparaten verwendet wurde: Er beschreibt, dass man das Blut einer Ente nahm, die in einer bestimmten Gegend von Pontos lebte und von der man annahm, dass sie sich von giftiger Nahrung ernährte, aber selbst keinen Schaden erlitt. Aus diesem machte man das Mithridatikum.
Mithridates schuf schließlich eine Rezeptur, die als Antidotum Mithridaticum oder auch als Mithridatikum bekannt wurde, ein allgemeines Gegenmittel gegen viele gängige Gifte. Dieses Mittel war so wirkungsvoll, dass die Römer es auch nach seinem Tod weiterverwendeten und die Rezeptur übersetzten und es selbst nach Mithridates’ Niederlage gegen Pompeius den Großen weiterhin einsetzten. Das einzige Rezept, das wir für das Antidotum Mithridaticum haben, ist das von Plinius aufgezeichnete.
Es enthält nicht nur Dutzende der bekanntesten pflanzlichen Heilmittel der damaligen Zeit, sondern auch 54 Gifte in kleinen Mengen. Obwohl die Berichte behaupten, dass das Gegenmittel tatsächlich wirksam war – es wurde sogar so bekannt, dass der Begriff Mithridat eine Zeit lang das gängige Wort für jedes Gegenmittel war –, ist keiner der von Plinius aufgeführten Inhaltsstoffe als besonders wirksam gegen Gifte bekannt – abgesehen von ein paar milden Abführmitteln wie Rhabarberwurzel. Daher wird bis heute unter Historikern darüber diskutiert, ob seine stärkenden Eigenschaften wirklich der Wahrheit entsprachen oder nur erfunden waren. Es könnte sogar sein, dass die Geschichten über die Wirksamkeit des Allheilmittels von Mithridates selbst verbreitet wurden, weil er sein wahres Geheimnis verbergen wollte: die erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen Gifte, die er durch die tägliche Einnahme erlangte.
Unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt ist die Geschichte so berühmt geworden, dass sie sogar in Gedichten wie dem folgenden des berühmten Dichters Alfred Housman vorkommt:
Im Osten regierte einst ein König mal:Wo seinesgleichen erhalten beim festlichen Mahl,Noch ehe auch nur einer dran denke,Fleisch voller Gift, auch giftige Tränke.Er sammelte alles, was Gift enthält,Von der mannigfaltig vergifteten Welt;Erst ein wenig, dann immer mehr,Kostete er all die Gifte, egal wie schwer.Und einfach lächelnd nahm er es an,Wenn man auf seine Gesundheit trank.Sie mischten ihm Arsen ins FleischUnd starrten bestürzt, es war ihm gleich;Sie gossen ihm Strychnin ins Glasund bibberten, als er noch saß.Sie zitterten, erschreckt, entsetzt,Denn sie warn’s, die das Gift verletzt.Ich erzähle dies, wie man’s sich sagt:Mithridates starb erst hochbetagt.
A. E. Housman, A Shropshire Lad LXII
Ab dem 16. Jahrhundert wurde die Verwendung von giftigen Chemikalien wie Arsen vor allem in Europa immer beliebter. Die Symptome bei der Einnahme von Arsen ähneln denen der Cholera, die damals eine weitverbreitete Krankheit war, und so war es die perfekte Methode, um unliebsame Menschen zu beseitigen. Zweifellos erfreute sich die Vergiftung aus denselben Gründen wie bei den Römern weiterhin großer Beliebtheit, denn bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde Arsen umgangssprachlich als »Erbschaftspulver« bezeichnet.
Am berüchtigtsten für solche Machenschaften waren die Häuser Borgia und Medici, zwei prominente italienische Familien, die insgesamt fünf Päpste und zwei Königinnen von Frankreich hervorbrachten und die beide im Verdacht standen, zahlreiche Verbrechen begangen zu haben. Die Borgias erlangten enormen Reichtum, indem sie Gesetze missbrauchten, nach denen die Besitztümer ihrer Opfer an die Kirche (und damit an sie selbst) zurückfielen. Und den Medicis – vor allem den edlen Damen Caterina und Maria de’ Medici – wurde nachgesagt, dass sie ein Zimmer mit 237 winzigen Giftschränken hinter ihren Wänden versteckt hatten. Vor allem Caterina, die Ehefrau des französischen Königs Heinrich II. und Mutter von drei weiteren Königen, mischte sich gerne in Staatsangelegenheiten ein und war in mehr als nur ein paar mysteriöse, aber für sie günstige Todesfälle verwickelt.
Im Jahr 1531 erklärte Heinrich VIII. die »Vergiftung als vorsätzliche Tötung« zum Hochverrat und bestrafte alle Angeklagten mit der Hinrichtung durch Gekochtwerden bei lebendigem Leib. Dies mag zum Teil eine Reaktion auf die weitverbreiteten politischen Attentate in ganz Europa gewesen sein, denn König Heinrich selbst hatte große Angst davor, ein solches Schicksal zu erleiden. Zudem wird angenommen, dass eine Vergiftung auch für den Tod seiner früheren Frau Katharina von Aragon verantwortlich war. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass es sich um ein Gesetz handelte, das zu seinem eigenen Vorteil geschaffen wurde: Zum Zeitpunkt des Todes saß ein Koch namens Richard Roose im Gefängnis, der im Verdacht steht, von Heinrich beauftragt worden zu sein, Bischof John Fisher zu ermorden.
Fisher war Heinrichs ehemaliger Tutor, der sich nun in Staatsangelegenheiten gegen den König stellte, und Roose wurde angeheuert, um sein Essen zu vergiften. In der Nacht des Ereignisses fühlte sich Fisher jedoch zu unwohl, um zu essen, und stattdessen nahmen zwei Diener etwas von der ungesunden Mahlzeit zu sich. Als Roose wegen ihres Todes verhaftet wurde, konnte er weder einen Grund für die Vergiftung des Essens nennen, noch konnte Heinrich es sich leisten, ihn freizulassen. Ein Gesetz über die Vergiftung wurde in aller Eile durch das Parlament gebracht, und Roose wurde verurteilt, als hätte er einen König getötet und nicht zwei Diener, die zufällig von der Mahlzeit genascht hatten. Er wurde vor Gericht gestellt, für schuldig befunden und anschließend innerhalb von sechs Wochen nach dem Verbrechen durch das Siedefeuer hingerichtet.
Nur drei Menschen wurden jemals dieser ungewöhnlichen Strafe unterworfen: Richard Roose, eine unbekannte Magd aus King’s Lynn und Margaret Davie im Jahr 1542, welche die Bewohner aller drei Haushalte, für die sie arbeitete, vergiftet hatte. Das Gesetz wurde 1547 von Heinrichs Sohn, Edward VI., aufgehoben, sechs Jahre bevor er starb – angeblich an einer Vergiftung.
Nach der Vergiftungswelle im Europa des 16. Jahrhunderts verlagerte sich die Vorliebe der Menschheit für Attentate mehr auf chemische und mechanische Kriegsführung. Aber für eine bestimmte Gruppe von Menschen hielt sich der Vorwurf der »Giftmörder« noch viele Jahre lang, und das mit schrecklich brutalen Folgen. Um die ganze Tragweite dieser Entwicklung zu verstehen, müssen wir jedoch einige Jahrhunderte früher ansetzen.
Um 1300 begann ein dreieinhalb Jahrhunderte währender fanatischer Hass auf Kräuterkundige, zumeist Frauen, die als »berührt« oder anderweitig heilkundig galten. Dieser massive und lang anhaltende Kreuzzug wurde sowohl von der christlichen Kirche als auch von der Regierung – die zu dieser Zeit so eng miteinander verflochten waren, dass es sich praktisch um ein und dieselbe Einheit handelte – geheiligt und löste eine Hysterie aus, in deren Verlauf schätzungsweise 63 850 Hexen (nach offiziellen Angaben, ohne die ungezählten, die der Selbstjustiz zum Opfer fielen) verbrannt, ertränkt, gehängt und erschlagen wurden.
Aber selbst um 1300 waren Hexen in der Welt nichts Unbekanntes. Bereits Plinius schrieb oft über ortsansässige »weise Frauen«, die für ihre Fähigkeit zu heilen oder zu verfluchen bekannt waren und dafür auch aufgesucht wurden. Hexen waren Hekate, der griechischen Göttin der Hölle, die über Magie und Zauberei herrschte, treu ergeben. Hekates Töchter, Circe und Medea, waren berühmt für ihre mystische Kräuterapotheke – vor allem für giftige Kräuter.
Botanische Gifte, so scheint es, wurden schon seit den frühen römischen Aufzeichnungen und wahrscheinlich noch lange davor mit Frauen und Hexen in Verbindung gebracht. Als Waffe der Schwachen gegen die Starken, als unsichtbare und unauffindbare Quelle der Angst, ist Gift seit jeher die angebliche Waffe der Frauen gegen die Männer. Reginald Scot stellte in The Discoverie of Witchcraft (1584) fest, dass Frauen die ersten Erfinderinnen und Ausübenden der Kunst des Vergiftens seien, da sie von Natur aus mehr dazu neigten als Männer. Noch 1829 schrieb Robert Christison in seinem Werk A Treatiseon Poisons, die Kunst des Vergiftens sei in allen Zeitaltern vor allem dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen, das sie wissenschaftlich kultiviert habe.
Frauen, insbesondere Plinius’ »weise Frauen«, waren sowohl zu respektieren als auch zu fürchten. Sie wussten, wie man tötet, aber auch, wie man heilt. Sie kannten die einheimischen Pflanzen besser als jeder andere und übernahmen in ganz Europa die Rolle der Hebamme, der Krankenschwester und sogar der Seherin, die den Himmel lesen und das Wetter für den nächsten Tag vorhersagen konnte. All dieses Wissen wurde über Generationen hinweg fast ausschließlich mündlich weitergegeben und nur selten aufgeschrieben; und nichts davon wurde durch eine offizielle Ausbildung oder – was für ihre spätere Verfolgung am wichtigsten war – durch die christliche Kirche genehmigt.
Eine Zauberin sollst du nicht am Leben lassen!
Exodus 22, 18
Die Kirche verurteilte alle Außenseiter und betrachtete diese Heilerinnen – die nicht wie ihre eigenen Ärzte von Gott geheiligt waren – als eine Bedrohung ihrer Autorität. Die intensive Erforschung der frühen Medizin, die einst griechische und römische Ärzte betrieben hatten, war in der gebildeten Welt fast in Vergessenheit geraten, und medizinische Dienste wurden seinerzeit in klösterlichen Hospitälern angeboten, die überall in Europa entstanden. Die medizinische Versorgung in diesen Hospitälern war jedoch bestenfalls rudimentär und hatte meist nur lindernden Charakter.
Erst um 1200 tauchten neue Übersetzungen älterer Texte auf und versorgten die medizinischen Schulen mit dem Wissen, das ihnen bis dahin gefehlt hatte. Aber zu diesem späten Zeitpunkt lagen die kirchlich anerkannten Hochschulen und Ärzte weit hinter den Fähigkeiten der weisen Frauen zurück, die das Wissen ihrer Vorfahren über all die langen Jahre hinweg weiter praktiziert hatten.
Die immer noch vorhandenen Fähigkeiten der Hexen – und der Glaube der Bevölkerung an ihre Heilfähigkeiten – stellten eine Bedrohung für die Autorität der Kirche dar. Daher wurde eine gezielte und bösartige Propagandakampagne gegen sie geführt, welche die öffentliche Meinung auf den Kopf stellte und die Gefährlichkeit dieser Frauen in jeder Kirche Europas verkündete. Am bekanntesten ist vielleicht die Verfälschung des berühmten Satzes aus Exodus: »Eine Zauberin sollst du nicht am Leben lassen«. Diese Übersetzung, ein Mantra, das für einen Großteil des Hexenwahns in Europa verantwortlich gemacht wird, ist auch heute noch in den meisten Bibeln zu finden. Das hebräische Originalwort in dieser Passage lautet jedoch mekhashepha, ein Begriff, der in der Septuaginta mit pharmakeia übersetzt wird: Giftmischerin. Diese einfache und bequeme »neue« Übersetzung gab den frühen Hexenjägern jeden Vorwand, den sie brauchten, um ihren Hass zu verbreiten. Die Verfolgung der Hexen war nun von Gott geheiligt, und sie hatten allen Grund, ihre Jagd zu beginnen.
Bis um das Jahr 1200 herum hatte die Kirche gepredigt, dass Krankheiten von Gott als Strafe für die Sünde auferlegt werden, doch nun änderte die Inquisition ihre Lehren und erklärte, dass Krankheiten, insbesondere solche, die von den eigenen Ärzten nicht geheilt werden konnten, durch Zauberei entstanden sein mussten. Hexen wurden zu Erfüllungsgehilfinnen des Teufels erklärt, die sich die Macht Gottes angeeignet hatten. Sie vollbrachten Wunder, welche die Ärzte der Kirche noch nicht vollbringen konnten, was im direkten Widerspruch zur Bibel stand: Gepriesen sei der Herr […] Er allein tut Wunder. Gott konnte einfach nicht der Einzige sein, der zu wundersamen Dingen fähig war, solange auch diese Hexen Zugang zu einer großen Macht hatten.
Einer der Männer, die für die meisten Verurteilungen von Hexen verantwortlich waren, war Henri Boguet, der Großrichter von St. Claude in Frankreich. Seine Publikation Discours Exécrable des Sorciers war so populär, dass sie innerhalb von 20 Jahren zwölf Mal nachgedruckt wurde, und bis 1590 hatte allein er die Hinrichtung von 600 Frauen angeordnet, die er als »die tödlichsten Feinde des Himmels« ansah. Er behauptete, dass ihre »Heilungen« nur zu weiteren Krankheiten führten, damit sie ihre Macht über die Männer aufrechterhalten konnten. Und es war vor allem seinem Einfluss zu verdanken, dass sich die Hysterie so stark in Europa ausbreitete. In seinen Schriften schrieb er, dass Deutschland fast ausschließlich damit beschäftigt gewesen sei, Feuer für sie zu entfachen. Die Schweiz sei gezwungen, viele ihrer Dörfer wegen ihnen auszulöschen. In Lothringen könne man Tausende und Abertausende von Pfählen sehen, an welche die Hexen gebunden seien.
Die Anschuldigungen gegen weise Frauen und Dorfheilerinnen entstammten dem Aberglauben und waren größtenteils unbegründet. Man glaubte, dass sie unter anderem Männer gegeneinander aufbringen, Vieh verseuchen, Stürme verursachen und Frauen unfruchtbar machen konnten.4 Das Einzige, was sie nicht konnten, war, einen Mann direkt zu töten: Aber mit Giften, die ihnen der Teufel schenkte (der laut Boguet jede Pflanze auf der Erde kannte), beherrschten sie auch dieses große Verbrechen.5 Noch im 17. Jahrhundert wurden Hebammen zu »besonderen Lieblingen des Teufels« erklärt, da man ihr mystisches Wissen über die Geburt und den weiblichen Körper als etwas betrachtete, das für Sterbliche unmöglich war.6
Neuere Theorien gehen davon aus, dass die Hexenprozesse eine Form der Propaganda während der Reformation von 1517 waren, als die Kirche in zwei Fraktionen, die katholische und die protestantische, gespalten wurde. Nach anhaltenden Missernten auf dem ganzen Kontinent und einer Umweltkatastrophe, die als Kleine Eiszeit bekannt wurde, schien es eine gute Idee zu sein, einen Sündenbock zu finden, der für diese Nöte verantwortlich gemacht werden konnte. Dies hatte den zusätzlichen Vorteil, dass die Menschen an den Schutz erinnert wurden, den die Kirche und ihre neuen Zweige gegen diese Bedrohung bieten konnten.