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Der ebenso streitbare wie exzentrische Professor Challanger findet Anzeichen dafür, dass die Erde auf ein Giftstrom zu treibt und das gesamte Leben auf dem Planeten in Gefahr ist. Gemeinsam mit seinen Mitstreitern Professor Summerlee, Lord John Roxton und dem Reporter Malone versucht er, das Ende der Welt abzuwenden... Ein viktorianischer Science-Fiction-Roman aus der Feder des Sherlock Holmes-Erfinder Arthur Conan Doyle.
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Seitenzahl: 149
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Arthur Conan Doyle
Im Giftstrom
– Das Ende der Welt –
Deutsch von Leopold Wölfling
Federzeichnungen von Otto Dely
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Schriftreihe Epilog
Herausgegeben von Ronald Hoppe
Band 5.002
• • •
Illustrierte Neuausgabe von Epilog-Heft 2.020
© copyright 2015 by epilog.de • Alle Rechte vorbehalten
Ausgewählt, redigiert und gestaltet von Ronald Hoppe
Deutsche Erstveröffentlichung 1923
Umschlagmotiv und Federzeichnungen von Otto Dely
Verlegt bei BOD – Books on Demand, Norderstedt
ISBN 978-3-7392-8278-7
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar
Arthur Conan Doyle (1859–1930) arbeitete als Arzt und Schriftsteller in Großbritannien. Bekannt wurde er vor allen durch die Figur des Sherlock Holmes.
Leopold Wölfling (1868–1935) ist ein Pseudonym von Erzherzog Leopold Ferdinand von Österreich-Toskana. Der beim Kaiser in Ungnade gefallene Adlige bestritt seinen Lebensunterhalt als Schriftsteller und Fremdenführer.
Otto Dely (1884–1935) gestaltete als Gebrauchsgraphiker vor allem Umschläge zu Schlagern und Kompositionen der Tanzmusik.
Ronald Hoppe (*1964) war Art-Director der IHK-Zeitschrift ›Berliner Wirtschaft‹ und Herstellungsleiter beim Shayol-Verlag. Als Layouter ist er u.a. für Klett-Cotta, Piper und Random House tätig.
Ich fühle mich bewogen, diese ganz erstaunlichen Ereignisse jetzt sofort niederzuschreiben, solange ihre Einzelheiten noch frisch in meinem Gedächtnis ruhen, ohne bereits vom Strom der Zeit verwischt worden zu sein.
Als ich vor einigen Jahren in den Spalten der ›Daily Gazette‹ die sensationelle Reise beschrieb, durch die Professor Challenger, Professor Summerlee, Lord John Roxton und ich in eine so merkwürdige Gegend Südamerikas verschlagen wurden, habe ich es mir allerdings nicht träumen lassen, dass ich jemals in die Lage kommen würde, von einem weit seltsameren Erlebnis zu berichten, einer Sache, die sich über alle bisherigen Geschehnisse der menschlichen Geschichte berghoch erhebt. Das Ereignis an sich ist, wie gesagt, wunderbar, die Art und Weise jedoch, wie wir vier zur Zeit dieser Episode zusammenkamen und sie nun als Beobachter miterleben konnten, wurde ganz einfach und logisch herbeigeführt. Ich will mich nun bemühen, alte Umstände, die vorhergingen, so kurz und deutlich wie möglich zu erklären, obwohl ich ganz gut weiß, dass dem Leser die ausführlichste Mitteilung am willkommensten wäre. Das öffentliche Interesse für diese Angelegenheit hat ja bekanntlich noch immer nicht nachgelassen.
Es war also an einem Freitag (jenem siebenundzwanzigsten August, der für immer denkwürdig in der Weltgeschichte sein wird), als ich mich in die Redaktion meiner Zeitung begab, um von Mr. Mac Ardle, dem Leiter der Abteilung »Neuigkeiten«, einen dreitägigen Urlaub zu erbitten. Der biedere alte Schotte schüttelte den Kopf, kraulte sich nachdenklich die flaumigen Reste seines rötlichen Haares und kleidete seine Abneigung gegen eine Gewährung meines Ersuchens in die Worte:
»Sehen Sie, Mister Malone, wir hätten gerade in den nächsten Tagen etwas ganz Besonderes für Sie gehabt, eine Sache, sage ich Ihnen, die ganz einfach nur Sie so durchführen können, wie sie eben durchgeführt werden soll.«
»Das tut mir wirklich leid«, erwiderte ich und versuchte, meine natürliche Enttäuschung nach Möglichkeit zu verbergen, »selbstverständlich, wenn Sie mich brauchen, ist ja die Sache erledigt. Allerdings wäre meine Angelegenheit dringend – und wenn es also doch irgendwie möglich wäre, dass ich entbehrt werden könnte – «
»Es geht leider absolut nicht.«
Das war bitter, aber ich musste eben gute Miene zum bösen Spiel machen. Schließlich hätte ich vom Anfang an wissen müssen, dass ein Journalist niemals auf eigene Faust über sich und seine Zeit verfügen kann.
»Dann werde ich mir die Sache aus dem Kopfe schlagen«, sagte ich so heiter, als es mir in meiner Stimmung möglich war. »Was für eine Aufgabe hätten Sie denn für mich?«
»Ich möchte, dass Sie diesen Teufelskerl da drunten in Rotherfield interviewen.«
»Wie – Sie meinen doch nicht etwa gar Professor Challenger?« rief ich.
»Gerade ihn meine ich – natürlich. Er hat vorige Woche den jungen Alex Simpson vom ›Courier‹ beim Kragen und an den Hosenträgern erwischt und ihn so eine Meile lang hinter sich über die Landstraße hergeschleift. Sie werden ja wohl im Polizeibericht darüber gelesen haben. Unsere Jungens würden ebenso gern einen aus dem Zoo entwischten Alligator interviewen. Sie sind der einzige Mensch, der das machen könnte. Sie, der langjährige Freund dieses Krokodils.«
»Ah!« sagte ich erleichtert, »das vereinfacht die die Sache bedeutend. Ich wollte Sie nämlich um Urlaub bitten, um Professor Challenger zu besuchen. Es kommt jetzt der Jahrestag eines ganz besonderen Abenteuers, das wir vier zusammen erlebt haben und da hat er uns alle eingeladen, ihn zu besuchen und mit ihm den Tag zu feiern.«
»Famos!« rief Mac Ardle, indem er sich die Hände rieb und mich durch seine Brillengläser freudestrahlend anfunkelte. »Dann werden Sie ja genug des Interessanten aus ihm herausbringen können. Wäre er nicht er, würde ich alles für leeres Geschwätz halten, aber der Mann hat schon einmal in einem ähnlichen Falle Recht behalten und wer weiß, was diesmal wieder eintreten kann.«
»Was soll er mir denn so Besonderes mitteilen?« fragte ich, »Was ist denn geschehen?«
»Ja, haben Sie denn nicht seinen Brief über die ›Wissenschaftlichen Möglichkeiten‹ in den heutigen ›Times‹ gelesen?«
»Nein.«
Mac Ardle tauchte unter den Tisch und fischte eine Zeitung vom Fußboden auf.
»Bitte, lesen Sie laut«, sagte er, indem er mich auf eine Stelle hinwies. »Denn ich weiß nicht, ob ich alles genau verstanden habe und würde es gerne noch einmal von Ihnen hören.« Ich las also folgendes vor:
Wissenschaftliche Möglichkeiten.
Geehrter Herr!
Mit stillem Ergötzen, dem jedoch auch einige weniger schmeichelhafte Empfindungen beigemengt waren, habe ich den außerordentlich selbstzufriedenen und außerordentlich albernen Brief des James Wilson Mac Phail gelesen, den Sie kürzlich in Ihrem Blatte brachten und der das Verschwimmen der Frauenhoferschen Linien in den Spektren der Planeten wie auch der Fixsterne behandelte. Jener Herr bezeichnet die Sache als völlig belanglos. Ein etwas schärferer Verstand allerdings würde dieser Erscheinung besondere Bedeutung beimessen, da sie letzten Endes das Wohl und Wehe aller Lebewesen berühren kann. Ich kann ja wohl nicht damit rechnen, dass es mir möglich sein würde, mit wissenschaftlichen Fachausdrücken das Verständnis jener geistig abgestumpften Kreise zu erreichen, welche gewohnt sind, ihr Wissen aus den Spalten einer Tageszeitung zu schöpfen. Ich will es daher versuchen, mich dem beschränkten Fassungsvermögen eben dieser Kreise anzupassen und die Sachlage durch ein handgreifliches Beispiel zu illustrieren, das sich wohl innerhalb der Verstandesgrenzen Ihrer Leser bewegen wird.
Ein unglaublicher Kerl!« rief Mac Ardle aus, »Der könnte selbst das Gefieder einer neugeborenen Turteltaube zum Sträuben bringen und in der sanftesten Quäkerversammlung einen Aufruhr provozieren. Nun begreife ich auch, dass ihm der Boden Londons zu heiß geworden ist. Schade, Mister Malone, denn er ist wirklich ein bedeutender Kopf. Nun, jetzt wollen wir einmal den Vergleich hören.
Ich fuhr fort:
Nehmen wir an, dass ein kleines Bündel miteinander verknüpfter Korke durch den Atlantischen Ozean in einer langsamen Strömung dahintreibt. Tag für Tag schwimmen die Korke unter stets gleichmäßigen Verhältnissen langsam weiter. Hätten diese Korke einen ihnen angemessenen Verstand, so würden sie wahrscheinlich überzeugt sein, dass dieser Zustand der Dinge ewig gleichbleibend ist. Wir aber, mit unserem so überlegenen Fassungsvermögen, wissen, dass sich vielleicht etwas ereignen kann, worauf die Korke nicht gefaßt sind. So könnten sie an ein Schiff oder einen schlafenden Walfisch treiben oder sich in Seetang verwickeln. Letzten Endes aber müsste ihre Reise damit enden, dass die Korke irgendwo an die Felsküste Labradors geworfen werden würden. Aber sie ahnen nichts von all dem, da sie doch so sanft und gleichmäßig Tag für Tag in einem, wie sie annehmen, unbegrenzten und ewig gleichmäßigen Ozean weiterschwimmen.
Ihre Leser werden vielleicht schon begreifen, dass ich in diesem Gleichnis mit dem Ozean den unendlichen Äther meine, durch den wir treiben und dass die zusammengebundenen Korke das kleine, unbedeutende Planetensystem darstellen sollen, welchem wir angehören. Eine Sonne dritten Grades, mit einem Pack von unbedeutenden Satelliten hinterher, treiben wir unter stets gleich scheinenden Verhältnissen einem unbekannten Ende zu, einer ganz abscheulichen Katastrophe, die uns in den äußersten Grenzen des Raumes ereilen wird, wo wir über einen Äther-Niagara hinabstürzen oder an einem unsichtbaren Labrador zerschellen werden. Ich teile den seichten und unwissenden Optimismus Ihres Korrespondenten James Wilson Mac Phail keineswegs, sondern glaube vielmehr, dass es geboten wäre, eine Veränderung unserer kosmischen Umgebung, welche schließlich unser aller Schicksal bedeuten kann, auf das Genaueste zu erforschen.
»Mensch, das wäre doch ein fabelhafter Prediger geworden«, meinte Mac Ardle. »Seine Worte dröhnen wie eine Orgel. Aber sehen wir weiter, was ihm eigentlich solche Sorgen bereitet.«
Das Verschwimmen und Verschwinden der Frauenhoferschen Linien im Spektrum weist meiner Ansicht nach auf eine Veränderung im Kosmos hin, eine Veränderung von ganz besonderer Art. Das Licht der Planeten ist bekanntlich der Reflex des Sonnenlichtes. Das Licht der Fixsterne hingegen strömt aus ihnen selbst hervor. Nun zeigt gegenwärtig sowohl das Spektrum der Planeten wie das der Fixsterne dieselbe Veränderung. Kann der Grund hierzu wirklich an allen diesen Planeten und Fixsternen selbst liegen? Das halte ich für ausgeschlossen. Von welcher gemeinsamen Veränderung sollten sie plötzlich alle befallen worden sein? Oder ist vielleicht der Grund eine Veränderung der Erdatmosphäre? Das wäre eventuell möglich; ist jedoch nicht wahrscheinlich, da wir hierfür kein sichtbares Anzeichen haben und diesbezügliche chemische Analysen ergebnislos geblieben sind. Was gibt es also für eine dritte Möglichkeit? Eine Veränderung in dem so unendlich feinen Äther, dem lebenden Medium, das Stern mit Stern verbindet und das ganze Weltall ausfüllt. Tief unten in diesem Ozean treiben wir in langsamer Strömung dahin. Ist es nun nicht möglich, dass diese Strömung uns in Ätherzonen führt, welche uns neu sind und Eigenschaften besitzen, von welchen wir nie etwas erfahren haben? Irgend eine solche Veränderung im Äther dürfte vorhanden sein, die kosmische Veränderung des Spektrums spricht dafür. Dieser Umstand kann günstig für uns sein, kann Gefahren für uns bergen und kann drittens mit keinerlei Wirkung für uns verbunden sein. Wir wissen vorläufig gar nichts darüber. Einfältige Beobachter mögen die ganze Angelegenheit als unbedeutend abtun, jemand aber, der wie ich, einen doch etwas schärferen Verstand besitzt, muss begreifen, dass die Möglichkeiten, die im Weltall ruhen, unbegrenzt sind und dass der am klügsten ist, der stets auf Unvorhergesehenes vorbereitet ist. Um nun mit einem augenfälligen Beispiel zu kommen: Wer kann beweisen, dass jener allgemeine Ausbruch einer geheimnisvollen Krankheit bei den eingeborenen Stämmen Sumatras, von dem Ihrem Blatte gerade am selben Morgen berichtet wurde, nicht irgendwie im Zusammenhange mit jener angenommenen kosmischen Veränderung steht, auf welche eben diese Völker früher reagieren mögen, als die komplizierteren Europäer? Das wäre eine Frage, die sich derzeit weder mit Ja noch mit Nein beantworten lässt. Immerhin wäre derjenige, der nicht begreifen würde, dass die wissenschaftliche Möglichkeit hierzu tatsächlich vorhanden ist, in der Tat ein ganz unverbesserlicher Dummkopf.
Mit Hochachtung
George Eduard Challenger.
The Bruars, Rotherfield.
»Das ist doch wirklich ein fabelhaft anregender Brief«, meinte Mac Ardle gedankenvoll und steckte sich eine Zigarette in die lange Glasröhre, die ihm als Zigarettenhalter diente. »Was denken Sie darüber, Mr. Malone?«
Zu meiner Beschämung musste ich gestehen, dass ich über die fragliche Angelegenheit nicht das Geringste wusste. Was vor allem waren Frauenhofer'sche Linien? Mac Ardle hatte sich mit Hilfe unseres wissenschaftlichen Redakteurs über die Sache informiert und entnahm seinem Schreibtisch zwei jener vielfarbigen Spektralbänder, welche Dinger große Ähnlichkeit mit den Kappenbändern eines jungen, ehrgeizigen Kricketklubs aufwiesen.
Mac Ardle zeigte mir nun gewisse schwarze Linien, die quer über die Parallelreihen der Farben – rot, orange, gelb, grün, blau, indigo, violett – liefen.
»Diese dunklen Streifen hier sind eben die Frauenhofer'schen Linien«, sagte er. »Die Farben zusammen sind das Licht selbst. Jedes Licht, das Sie durch ein Prisma spalten, ergibt diese Farben. Und zwar immer dieselben. Die Farben sind also nicht das Bedeutende. Bestimmend sind die Linien, denn sie verändern sich je nach dem Ursprungskörper des Lichtes. Diese Linien sind es, die, sonst völlig klar, in der letzten Woche verschwommen sind und alle Astronomen können wegen der Ursache nicht einig werden. Hier haben Sie eine Fotografie dieser verschwommenen Linien. Wir bringen das Bild morgen heraus. Bisher hat ja das Publikum sich nicht dafür interessiert, doch jetzt wird es durch den Brief Challengers in den ›Times‹ meiner Meinung nach ziemlich aufgerüttelt werden.«
»Und was ist mit Sumatra?«
»Das ist allerdings ein weiter Weg – von den verschwimmenden Linien im Spektrum zu den kranken Eingeborenen in Sumatra. Aber Challenger hat uns schon einmal bewiesen, dass seine Behauptungen Hand und Fuß haben. Dort unten ist also eine Krankheit ausgebrochen, welche die merkwürdigsten Wirkungen auf die Eingeborenen mit sich bringt. Dazu kommt, dass nach einer soeben eingetroffenen Kabelmeldung aus Singapur die Leuchtfeuer in der Sundastraße plötzlich erloschen sind. Die Folge davon war, dass dort natürlich sofort zwei Schiffe an der Küste aufgelaufen sind. Das alles zusammen ist jedenfalls genug Material für Sie, um Challenger zu interviewen. Und wenn Sie wirklich etwas aus ihm herausbringen, schicken Sie uns eine Spalte für das Montagblatt.«
Ich verabschiedete mich von Mac Ardle. Auf der Treppe hörte ich, wie man vom Wartezimmer aus meinen Namen rief. Es war ein Telegraphenbote, der mir eine Depesche brachte, welche man mir von meiner Wohnung in Streatham nachgeschickt hatte.
Das Telegramm kam eben von jenem Manne, über den wir gerade gesprochen hatten und lautete:
malone 17 hill street streatham
mitbringet sauerstoff challenger.
»Mitbringet Sauerstoff?!« Ich erinnerte mich, dass der Professor den Humor eines Mammuts besaß, der ihn oft zu den plumpsten und unerquicklichsten Kapriolen veranlasste. Sollte das vielleicht einer jener Scherze sein, die ihn dann stets derart in brüllendes Gelächter ausbrechen ließen, dass seine Augen völlig verschwanden – aus dem einfachen Grunde, weil er nach solchen Scherzen dermaßen lachte, dass von seinem Antlitze nichts zu sehen war als ein riesig aufgesperrter Rachen und ein wackelnder, buschiger Bart. Wobei ihn die ernsten und unbeweglichen Mienen seiner Umgebung nie im geringsten aus der Fassung bringen konnten.
Ich las immer wieder, ohne jedoch ein Kennzeichen dafür zu finden, dass es sich hier tatsächlich um einen Scherz handle. Es musste also doch ein ernst zu nehmender Auftrag sein, allerdings einer von seltsamer Art. Jedenfalls dachte ich nicht im entferntesten daran, etwa einem von ihm erteilten, sicherlich wohl durchdachten Wunsch nicht Folge zu leisten. Vielleicht hatte er irgend ein wichtiges chemisches Experiment vor, vielleicht –. Nun, es war ja nicht meine Sache, darüber nachzudenken, wie er den Sauerstoff verwenden würde. Ich musste ihn eben besorgen.
Ich hatte noch ungefähr eine Stunde Zeit bis zum Abgang meines Zuges, nahm also einen Taxameter, nachdem ich im Telefonbuch die Adresse einer Sauerstofffabrik in der Oxford Street festgestellt hatte, und ließ mich dorthin führen.
Als ich ausstieg, kamen mir zwei junge Leute entgegen, die, aus der Fabrik tretend, mühsam einen eisernen Zylinder in ein auf der Straße wartendes Automobil hoben. Ein alter Mann sah ihnen zu und zankte dabei mit kreischender Stimme in höhnischem Tone auf sie ein. Unvermittelt wendete er sich mir zu. Diese scharfen Züge und der Ziegenbart waren nicht zu verkennen. Kein Zweifel – es war mein alter sauertöpfischer Gefährte, Professor Summerlee.
»Was«, rief er, »Sie werden mir doch nicht einreden wollen, dass Sie ebenfalls ein so unsinniges Telegramm von wegen Sauerstoff erhalten haben?«
Ich zog es hervor und hielt es ihm hin.
Er blickte mich an und meinte: »Also ich habe auch eines erhalten und seine Weisung befolgt – wenn auch sehr gegen meinen Willen. Unser guter Freund ist so unmöglich wie immer. Er kann doch wirklich den Sauerstoff nicht so dringend brauchen, dass er die gewöhnlichen Mittel zur Beschaffung außer Acht lässt und die Zeit von Leuten in Anspruch nimmt, die mehr und wichtigeres zu tun haben als er. Warum hat er nicht von der Fabrik bestellt?«
Ich konnte nur erwidern, dass wahrscheinlich ein wichtiger Anlass hierfür vorhanden sein müsse.
»Nun, vielleicht hat er nur den Anlass für so wichtig gehalten, was immerhin eine andere Sache ist. Jetzt brauchen Sie natürlich keinen Sauerstoff zu kaufen, da ich ohnedies eine ansehnliche Menge mitnehme.«
»Er scheint aber aus irgend einem besonderen Grunde zu wünschen, dass ich ebenfalls Sauerstoff besorge und ich möchte nicht gerne gegen seinen Willen handeln.«
Ohne den brummigen Widerspruch des Professors zu beachten, kaufte ich das gleiche Quantum wie er und bald stand neben seinem Ballon ein zweiter im Auto. Summerlee wollte mich zum Victoria-Bahnhof mitnehmen.
Ich ging also zum Chauffeur meines Taxameters hinüber, um ihn zu entlohnen. Er nannte mir einen Fahrpreis, der weit über das Zulässige hinausging und benahm sich außerordentlich streitsüchtig. Als ich wieder zu Summerlee trat, hatte er eben eine wütende Auseinandersetzung mit den beiden Männern, welche den Sauerstoff zum Wagen getragen hatten und dabei zitterte sein kleiner, weißer Ziegenbart vor Aufregung auf und nieder. Einer von den Kerlen hieß ihn, soviel ich mich erinnere, einen »dummen, alten, gebleichten Kakadu«, was den Chauffeur des Professors dermaßen erboste, dass er von seinem Sitz heruntersprang und handgreiflich für seinen Herrn eintreten wollte. Nur mit Mühe gelang es mir, eine Rauferei zu verhindern.
Alle diese wie auch die folgenden kleinen Zwischenfälle mögen belanglos erscheinen und sind auch damals nicht weiter beachtet worden. Wenn ich heute zurückblicke, erkenne ich jedoch den Zusammenhang mit jener Begebenheit, über die ich berichten will.
Wie mir schien, war der Chauffeur ein Neuling oder vielleicht hatte die Aufregung über den Zwischenfall ihn der Herrschaft über sein Auto beraubt – jedenfalls fuhr er wüst darauf los. Auf dem Weg zur Bahn wären wir zweimal beinahe mit ebenso toll und regellos daherrasenden Fahrzeugen zusammengestoßen und ich weiß noch, dass ich tadelnd zu Summerlee bemerkte, die Geschicklichkeit der Londoner Wagenlenker hätte bedeutend nachgelassen. Einmal sausten wir knapp an einem großen Knäuel von Menschen vorbei, die an der Ecke von Mall einer Rauferei zusahen. Alle diese Leute, die sich an und für sich schon in hoher Aufregung befanden, gerieten in außerordentliche Erbitterung über unseren ungeschickten Chauffeur und ein Bursche sprang auf das Trittbrett und schwang einen Stock über unsere Köpfe. Ich stieß ihn zurück und wir waren froh, als wir die Leute hinter uns hatten und mit heiler Haut aus dem Parke draußen waren.
Alle diese Episoden hatten an meinen Nerven gezerrt und auch die Geduld meiner Gefährten hatte anscheinend durch diese Folge von Zwischenfällen ihr Ende erreicht.