Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im Gold- und Silberland Mark Twain - Teil zwei der Sammlung "Lehr- und Wanderjahre." Twain war ein Vertreter des Literatur-Genres "amerikanischer Realismus" und ist besonders wegen seiner humoristischen Erzählungen berühmt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 394
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
✓ BESUCHEN SIE UNSERE WEBSITE:
LyFreedom.com
n dem vorhergehenden Bande[1] habe ich den Leser über die Prärieen, das Felsengebirge und durch die Alkaliwüste in die Hauptstadt des damals neu errichteten Territoriums Nevada, nach der Stadt Carson geführt. Es war eine ›hölzerne‹ Stadt; ihre Einwohnerzahl betrug zweitausend. Die Hauptstraße bestand aus einer Reihe kleiner, weißer Bretterhäuschen mit Kaufläden, zu hoch, um darauf zu sitzen, aber für alle sonstigen Erfordernisse kaum hoch genug. Dieselben standen hart aneinandergebaut, als mangelte es an Raum auf der mächtigen Ebene. Den Gehweg bildeten Bretter, die mehr oder minder locker waren und beim Darauftreten gerne klapperten. Mitten in der Stadt, den Läden gegenüber, befand sich die, allen Städten jenseits des Felsengebirges angeborene ›Plaza‹ – ein großer, offener, ebener Platz mit einem Freiheitsbaum in der Mitte, sehr geeignet zu öffentlichen Versteigerungen, Pferdemärkten und Volksversammlungen, sowie zum Absteigeplatz der Fuhrleute. Zwei andere Seiten der Plaza waren von Läden, Bureaus und Ställen eingefaßt. Der übrige Teil der Stadt lag ziemlich zerstreut.
[1] Band IV: »Leben auf dem Mississippi – Nach dem fernen Westen.«
Auf der Poststation und auf dem Wege zum Gouverneur wurden wir verschiedenen Bürgern vorgestellt, darunter einem Herrn Harris, der sich zu Pferde befand. Derselbe begann ein Gespräch, unterbrach sich jedoch mit der Bemerkung: »Ich muß Sie auf einen Augenblick um Entschuldigung bitten; dort drüben steht der Zeuge, der geschworen hat, ich sei bei der Beraubung der kalifornischen Post beteiligt gewesen – eine ganz unverschämte Einmischung, da ich mit dem Menschen gar nicht bekannt bin.«
Darauf ritt er hin und machte dem Betreffenden Vorhalt mit einem sechsläufigen Revolver, wogegen sich dieser mit dem seinigen entschuldigte. Als die Pistolen leer waren, nahm der Unbekannte sein Geschäft (er flickte sich seine Peitschenschnur) wieder auf, während Herr Harris mit höflichem Bückling an uns vorbei nach Hause ritt. Er hatte eine Kugel durch den einen Lungenflügel und mehrere in die Hüften bekommen, und die kleinen Blutströme, die dem Pferd über die Flanken liefen, gaben dem Tier ein ganz malerisches Aussehen. Ich habe später, so oft ich Harris nach jemand schießen sah, immer wieder an jenen ersten Tag in Carson denken müssen.
Weiter sahen wir an diesem Tage nichts, denn es war zwei Uhr, und nach Landessitte brach jetzt der tägliche ›Washoe-Zephyr‹ los. Mit demselben kam eine aufsteigende Staubwehe, etwa von der Größe der Vereinigten Staaten, welche Nevadas Hauptstadt unsern Blicken entzog. Indes gab es dabei doch mancherlei zu sehen, was für Neuangekommene nicht ganz uninteressant war; denn die mächtige Staubwolke war dicht betüpfelt mit Dingen, die den höheren Luftschichten fremd sind, lebenden und toten, die zwischen den sich fortwälzenden Staubwirbeln hin und her flatterten, gingen und kamen, auftauchten und wieder verschwanden – mit Hüten, Hühnern und Sonnenschirmen, die hoch oben am Himmel hinsegelten; mit Decken, Blechschildern, Salbeigestrüpp und Schindeln, die etwas tiefer hin flogen; noch weiter unten mit Strohmatten und Büffellederröcken; mit Schaufeln und Kohlenkasten in der nächsten Luftschicht; Glasthüren, Katzen und kleinen Kindern in der folgenden; zerbrochenen Bretterzäunen, leichten Einspännern und Schubkarren in der nächsten; und zu unterst, bis zu höchstens dreißig oder vierzig Fuß Höhe über dem Boden, wehte ein Wirbelsturm auswandernder Dächer und leerer Bauplätze hin.
Es war wirklich etwas zu sehen dabei. Ich hätte noch mehr sehen können, wäre ich imstande gewesen, mir die Augen staubfrei zu halten.
Aber in allem Ernst, ein Washoe-Wind ist durchaus keine Kleinigkeit. Er bläst schwächliche Häuser um, nimmt gelegentlich Schindeldächer mit, rollt Blechdächer zusammen wie Notenhefte, weht dann und wann eine Postkutsche um und verschüttet die Reisenden; und als die Ursache der vielen Kahlköpfe dort zu Lande hört man überall angeben, der Wind wehe den Leuten die Haare vom Kopfe, während sie himmelwärts nach ihren Hüten schauen. Die Straßen der Stadt bieten an Sommernachmittagen meist ein recht belebtes Bild, da stets eine Menge Leute Jagd auf ihre entweichenden Hüte machen, wie Stubenmädchen auf eine Spinne.
Der Washoe-Zephyr (Washoe ist ein beliebter Spitzname für Nevada) ist eigentlich ein recht schriftmäßiger Wind, insofern kein Mensch weiß, ›von wannen er kommt‹, d. h. wo er entsteht. Er kommt geradeswegs über die Berge aus Westen, aber jenseits der Kammhöhe, auf der andern Seite drüben, ist nichts von ihm zu entdecken. Er wird vermutlich auf der Höhe des Gebirges eigens hergestellt und fliegt von dort aus; er ist zur Sommerszeit ein recht pünktlicher Wind. Seine Geschäftsstunden währen von zwei Uhr nachmittags bis zum nächsten Morgen um dieselbe Stunde, und wer sich während dieser zwölf Stunden auf eine Reise wagt, muß mit dem Winde rechnen, will er nicht ein paar Meilen leewärts von seinem Ziel anlangen. Und doch ist das erste, worüber sich ein Besucher aus Washoe in S. Francisco beklagt, daß dort die Seewinde so heftig wehen. So ist der Mensch nun einmal!
Den Staatspalast des Gouvernements von Nevada entdeckten wir in einem einstöckigen weißen Bretterhause, das im Innern zwei kleine Zimmer enthielt und an der Stirnseite – der Großartigkeit halber – einen auf Stützen ruhenden Dachstock hatte; es zwang dem Bürger Hochachtung ab und erfüllte den Indianer mit Ehrfurcht. Die unlängst eingetroffenen richterlichen Beamten des Territoriums, der Ober- und der Hilfsrichter, und was sonst zur Regierungsmaschinerie gehörte, waren weniger glänzend untergebracht. Sie wohnten rings umher in Privathäusern zur Miete und hatten ihre Amtslokale in ihren Schlafstuben. Mein Bruder, (›Mr. Secretary‹) und ich schlugen unser Quartier in dem ›Ranch‹ einer würdigen französischen Dame auf. Sie hieß Bridget O’Flannigan und gehörte zur Gefolgschaft Sr. Excellenz des Gouverneurs. In seinen guten Tagen, als er Oberbefehlshaber der hauptstädtischen Polizei in New York war, hatte sie ihn gekannt und wollte ihn nun in seinem Mißgeschick als Gouverneur von Nevada auch nicht verlassen. Unsere Stube lag im unteren Stock und ging auf die Plaza hinaus, und nachdem wir unser Bett, einen kleinen Tisch, zwei Stühle, den feuerfesten Schrank der Regierung und das Konversationslexikon darin untergebracht hatten, war immer noch Raum genug für einen Besuch vorhanden – vielleicht sogar für zwei, aber nicht ohne Dehnung der Wände. Uebrigens konnten die Wände eine solche vertragen – wenigstens die Zwischenwände, denn sie bestanden lediglich aus einer einzigen Schicht groben Baumwollstoffes, der von einer Zimmerdecke zur andern ausgespannt war. Dies war die Regel in Carson, eine Zwischenwand anderer Art bildete eine seltene Ausnahme. Wenn man in seinem dunkeln Zimmer stand, die Zimmernachbarn dagegen Licht brannten, so erzählten die Schatten an dem Tuch oft merkwürdige Geheimnisse! Sehr häufig waren diese Zwischenwände aus zusammengehefteten alten Mehlsäcken hergestellt; dann war der Unterschied zwischen der gemeinen Herde und der Aristokratie nur der, daß die gemeine Herde schmucklose Säcke hatte, während die Wände des Aristokraten durch rudimentäre Fresken, d. h. rote und blaue Mühlenzeichen auf den Säcken, Staunen erregten. Gelegentlich verschönerten die besseren Stände auch ihr Sackleinen durch Aufkleben von Holzschnitten aus Harpers Wochenschrift; nicht selten verstiegen sich die Wohlhabenden und Gebildeten sogar bis zu Spucknäpfen und andern Beweisen eines kostspieligen und üppigen Geschmackes. Wir besaßen einen Teppich und ein Waschbecken von echtem Steingut. Infolgedessen wurden wir von den übrigen Insassen des Ranchs der Dame O’Flannigan rücksichtslos gehaßt. Als wir gar noch einen bemalten Fenstervorhang von Wachsleinwand dazu anschafften, waren wir einfach unseres Lebens nicht mehr sicher. Um Blutvergießen zu verhüten, zog ich eine Treppe höher und schlug mein Quartier bei den titellosen Plebejern in einer der vierzehn weißen, schmalen Bettstellen aus Fichtenholz auf, die in zwei langen Reihen in dem einzigen Zimmer standen, welches das zweite Stockwerk bildete.
Sie waren eine lustige Gesellschaft, die vierzehn. Meist hatten sie sich aus freien Stücken dem Gouverneur angeschlossen. Als sie in New York und San Francisco zu seiner Gefolgschaft stießen, hatten sie sich gesagt, daß sie bei der Balgerei um Aemtchen und sonstige im Territorium abfallende Brocken nichts zu verlieren, vielmehr vernünftigerweise eher vielleicht etwas zu gewinnen hätten. Sie hießen im Volksmund ›die irische Brigade‹, obwohl sich unter der ganzen Umgebung des Gouverneurs nur vier oder fünf Irländer befanden. Die gutmütige Excellenz war sehr verdrießlich über das Gerede, das seine Leibgarde hervorrief – besonders, als sich das Gerücht verbreitete, es seien bezahlte Meuchelmörder, die er sich mitgebracht habe, um erforderlichen Falles die demokratischen Wahlstimmen in der Stille zu vermindern!
Frau O’Flannigan gab ihnen Kost und Wohnung für je zehn Dollars die Woche, und sie gaben dagegen fröhlich ihre Schuldverschreibungen. Sie waren damit völlig zufrieden. Dagegen fand Bridget bald, daß uneinlösbare Schuldscheine doch keine genügende Sicherheit für eine Fremdenpension in Carson City bilden. So lag sie nun dem Gouverneur in den Ohren, für die ›Brigade‹ eine Beschäftigung aufzutreiben. Sie sowohl als die Leute selbst setzten ihm so lange zu, bis er in eine gelinde Verzweiflung geriet und schließlich die Brigade antreten ließ. »Meine Herren,« redete er sie an, »ich habe eine einträgliche und ersprießliche Thätigkeit für Sie ausgesonnen – eine Thätigkeit, welche Ihnen Erholung inmitten herrlicher Landschaften gewähren und Ihnen ununterbrochen Gelegenheit verschaffen wird, Ihren Geist durch Beobachtung und Studium zu bereichern. Ich wünsche die Möglichkeit der Anlegung einer Eisenbahn von Carson aus nach Westen bis zu einem gewissen Punkte festzustellen. Beim Zusammentritt der Legislatur werde ich dafür sorgen, daß das erforderliche Gesetz durchgeht und eine entsprechende Summe bewilligt wird.«
»Wie, eine Eisenbahn über die Sierra Nevada?«
»Jawohl, – und Sie sollen zu diesem Zweck die Gegend ostwärts bis zu einem gewissen Punkte untersuchen!«
Er machte die einen zu Vermessern, die andern zu Kettenträgern u. s. w.; dann ließ er sie los in die Wüste. Das war eine Erholung, daß es eine Art hatte! Erholungsfußtouren, auf denen sie die Meßketten durch Sand und Salbeigestrüpp schleppten unter einer schwülen Sonne und zwischen Ochsengerippen, Cayoten und Taranteln. Es war die reinste, höchste Romantik! Sie betrieben die Vermessung sehr langsam, sehr bedächtig, sehr sorgfältig. Während der ersten Woche kehrten sie alle Abende staubbedeckt, fußkrank, müde und hungrig, aber höchst vergnügt zurück. Sie brachten einen großen Vorrat ungeheurer haariger Spinnen – Taranteln – mit, die sie im oberen Zimmer des Ranch in zugedeckte Biergläser einsperrten. Nach Verlauf der ersten Woche mußten sie im freien Feld kampieren, denn sie waren tüchtig nach Osten vorgerückt. Sie erkundigten sich sehr eifrig nach der Lage jenes im unklaren gelassenen ›gewissen Punktes‹, ohne jedoch Aufschluß darüber zu erhalten. Endlich, auf eine besonders dringende Anfrage: »Wie weit östlich?« telegraphierte Gouverneur Nye zurück: »Bis zum atlantischen Ozean, Ihr Teufelsbraten! – über den schlagt eine Brücke und macht, daß ihr hinüber kommt!«
Darauf hin kamen die bestaubten Packesel zurück, die nun einen Bericht einreichten und ihre Arbeit einstellten. Der Gouverneur nahm die Sache fortwährend höchst gemütlich; er meinte, da Frau Flannigan sich wegen des Unterhalts der Brigade doch in jedem Falle irgendwie an ihn halten werde, so wolle er sich mit den Jungens auch so viel Spaß machen, als möglich; er gedenke, setzte er mit freundlichem Augenzwinkern hinzu, sie mit ihren Vermessungen bis nach Utah hinein zu schicken und dann an Brigham zu telegraphieren, er solle sie wegen Grenzverletzung hängen lassen.
Die Vermesser brachten immer noch mehr Taranteln mit, so daß wir schließlich eine ganze Menagerie auf Brettern und Fenstersimsen im Zimmer aufgestellt hatten. Manche von diesen Spinnen konnten ihre haarigen muskulösen Beine über eine gewöhnliche Untertasse auseinander sperren; und wenn ihre Gefühle verletzt wurden oder man ihrer Würde zu nahe trat, so mußte man sie nach ihrem Ausdruck für die heillosesten Halunken im ganzen Tierreich halten. Bei jeder noch so leisen Berührung ihrer gläsernen Gefängnisse waren sie in einem Augenblick auf den Beinen und kampfgerüstet. In der ersten Nacht nach der Rückkehr der Brigade wehte wie gewöhnlich ein wütender Zephyr, der um Mitternacht das Dach eines benachbarten Stalles fortblies, so daß eine Ecke desselben krachend durch unsern Ranch hereingefahren kam. Es erfolgte ein gleichzeitiges Erwachen, eine geräuschvolle Musterung der Brigade im Dunkeln und ein allgemeines Stolpern und Uebereinanderpurzeln in dem schmalen Gange zwischen den Bettreihen. Mitten in dem Getümmel fuhr Bob H.– aus seinem gesunden Schlafe auf und stieß dabei mit dem Kopfe ein Brett herunter. Im selben Augenblick schrie er:
»Reißt aus, Jungens, die Taranteln sind los!«
Einen gräßlicheren Alarmruf hätte es nicht geben können. Niemand wagte mehr das Zimmer zu verlassen aus Furcht, auf eine Tarantel zu treten. Jeder tappte nach einem Koffer oder einem Bett und schwang sich hinauf. Dann folgte die eigentümlichste Stille – eine Stille gräßlicher Spannung, voll Erwartung, Hoffnung, Furcht. Es war pechfinster, und um das Schauspiel der vierzehn zu genießen, wie sie in höchst mangelhafter Toilette ängstlich auf Koffern und Betten hockten, mußte man sich schon mit der Einbildungskraft behelfen, denn zu sehen war schlechterdings nichts. Dann folgten gelegentlich kleine Unterbrechungen der Stille; man konnte an der Stimme erkennen, wer sprach und wo der Betreffende sich befand; auch vermochte man zu unterscheiden, aus welcher Richtung die sonstigen Geräusche kamen, die einer der armen Dulder durch sein Herumtappen oder eine Aenderung seiner Körperlage verursachte. Die ab und zu vernehmbaren Stimmen waren nicht sehr gesprächig – man hörte nur ein schwaches ›Au!‹ gefolgt von einem tüchtigen Aufstampfen; dann wußte man, daß der betreffende Herr einen haarigen Teppich oder sonst etwas dergleichen auf der Haut gespürt und daraufhin einen Satz aus dem Bette auf den Stubenboden gemacht hatte. Darnach wieder tiefe Stille. Jetzt rief eine nach Luft schnappende Stimme:
»Mi-mir krabbelt etwas hinten am Hals hinauf!« Alle Augenblicke konnte man einen halbunterdrückten Schrei, ein schwaches Strampeln und ein angstvolles ›ach, Herrgott!‹ vernehmen – zum Zeichen, daß einer sich vor etwas zurückzog, was ihm wie eine Tarantel vorkam, und zwar ohne Zeitverlust. Nun schrie auf einmal hinten in der Ecke eine Stimme laut und wild auf:
»Ich hab’ ihn! Ich hab’ ihn!« (Hierauf Pause, während der die Verhältnisse sich vermutlich änderten.) »Nein, er hat mich! O, geht denn gar niemand und holt eine Laterne?«
In dem Augenblick erschien die Laterne in den Händen der Frau O’Flannigan. Nachdem diese aus dem Bett gestiegen und Licht gemacht, hatte sie trotz ihrer Begier, sich von der Größe des durch das feindliche Dach angerichteten Schadens zu überzeugen, wohlweislich nicht unterlassen, eine angemessene Weile zu warten, bevor sie oben nachsah, ob der Wind jetzt fertig oder noch mehr Unthaten vorhabe.
Die Scenerie, welche sich enthüllte, als plötzlich der Schein der Laterne ins Zimmer strahlte, war malerisch und wäre vielleicht manchen Leuten komisch vorgekommen, für uns war sie es nicht. Wir saßen zwar in höchst wunderlicher Stellung und in einem nicht minder wunderlichen Aufzug auf Kisten, Koffern und Betten herum, allein wir hatten viel zu große Angst und fühlten uns zu unbehaglich, um etwas Komisches darin zu finden; so war denn nirgends auch nur der Schein eines Lächelns zu bemerken. Was mich betrifft, so kann ich mir nichts Aergeres vorstellen als die Pein, die ich während der wenigen Minuten voll angstvoller Spannung im Dunkeln, umgeben von diesen kriechenden, blutgierigen Taranteln, erduldet hatte. In kaltem Todesschweiß war ich von Bett zu Bett, von Kiste zu Kiste gehüpft, und so oft ich an etwas Stacheligem streifte, bildete ich mir bereits ein, ich spüre die Fänge.
Ich ginge lieber in den Krieg, als dieses Vorkommnis noch einmal mitzumachen. Es war übrigens niemand zu Schaden gekommen. Derjenige welcher glaubte, eine Tarantel ›habe ihn‹, irrte sich gründlich – er hatte sich nur die Finger in einen Kistenspalt geklemmt. Von den entwichenen Taranteln wurde keine jemals mehr gesehen; es waren zehn oder zwölf gewesen. Wir durchsuchten das Zimmer mit Licht von oben bis unten, jedoch ohne Erfolg. Dann gingen wir wohl zu Bette? O nein! Alles Gold der Welt hätte uns nicht dazu gebracht. Wir blieben die Nacht vollends auf, spielten ›Cribbage‹ und hielten scharfe Ausschau nach dem Feinde.
s war Ende August, der Himmel war wolkenlos und das Wetter prachtvoll. Im Laufe einiger Wochen hatte mich das merkwürdige neue Heimatland wunderbar bezaubert, und ich nahm mir vor, meine Rückkehr nach den ›Staaten‹ einige Zeit aufzuschieben. Ich hatte mich völlig daran gewöhnt, einen schadhaften Schlapphut, ein blaues Wollhemd und die Hosen in den Stiefelschäften zu tragen und war stolz auf den Mangel von Rock, Weste und Hosenträgern. Es war mir so rüpelhaft und ›großschnäuzig‹ zu Mute (wie der Historiker Josephus sich in seinem schönen Kapitel über die Zerstörung des Tempels ausdrückt). Ein so schönes und romantisches Leben konnte es nicht wieder geben, davon war ich fest überzeugt. Ich war zwar Regierungsbeamter, allein das diente nur zum äußeren Glanz. Das Amt war eine reine Sinekure. Ich hatte nichts zu thun und bezog keinen Gehalt. Ich war Privatsekretär Sr. Majestät des Sekretärs und für zwei gab es noch nicht Schreiberei genug. So widmete ich meine Zeit dem Vergnügen in Gesellschaft von Johnny K.–, dem jungen Sohn eines Nabobs in Ohio, der sich hier zu seiner Erholung aufhielt. Er fand diese auch. Wir hatten von der wundersamen Schönheit des Tahoe-Sees reden hören und schließlich trieb uns die Neugier, denselben in Augenschein zu nehmen. Drei oder vier Mitglieder der Brigade waren dort gewesen, hatten ein paar Holzschläge an seinen Ufern abgegrenzt und in ihrem Lager einen Vorrat von Lebensmitteln zurückgelassen. Wir schnallten uns ein paar wollene Decken auf den Rücken, nahmen jeder eine Axt und machten uns auf – denn wir wollten uns auch einen Waldranch oder so etwas anlegen und vornehme Leute werden.
Wir waren zu Fuß. Der Leser wird es vorteilhafter finden, zu reiten. Man sagte uns, es sei elf Meilen Weges. Lange marschierten wir auf ebenem Boden, dann klommen wir mühsam einen vielleicht tausend Fuß hohen Berg hinauf und hielten Umschau. Kein See da. Wir stiegen auf der andern Seite wieder hinunter, gingen über die Thalmulde hinüber und quälten uns noch einen Berg hinauf, der uns drei- bis viertausend Fuß hoch vorkam, um abermals Umschau zu halten. Noch immer kein See. Müde und schweißtriefend setzten wir uns nieder und mieteten uns ein paar Chinesen, um die Leute zu verfluchen, die uns zum besten gehabt hatten. Nach dieser Erfrischung nahmen wir unsern Marsch mit erneuter Kraft und Entschlossenheit abermals auf. Zwei oder drei Stunden schleppten wir uns noch weiter, bis endlich mit einemmal der See vor uns lag – eine herrliche blaue Wasserfläche, sechstausend dreihundert Fuß über dem Meeresspiegel und von einer Kette schneebedeckter Berggipfel umrahmt, die sich noch volle dreitausend Fuß höher auftürmten. Es war ein riesiges Oval von reichlich achtzig bis hundert Meilen Umfang. Wie er so dalag, während die Schattenbilder der Berge sich herrlich auf seiner stillen Oberfläche wiederspiegelten, war ich überzeugt, daß es sicherlich auf der ganzen Erde kein schöneres Bild geben könne.
Wir fanden den kleinen Kahn, welcher der Brigade gehörte, und fuhren ohne Zeitverlust über eine tiefe Einbuchtung des Sees auf die Meßstangen zu, welche das Lager bezeichneten. Ich ließ Johnny rudern – nicht aus Scheu vor der Anstrengung, sondern weil mir übel davon wird, wenn ich beim Arbeiten rückwärts fahre. Dagegen steuerte ich. Nach einer Fahrt von drei Meilen langten wir gerade mit Einbruch der Nacht an dem Lager an; todmüde und mit einem wahren Wolfshunger stiegen wir ans Land. In einer Höhlung unter den Felsen fanden wir die Vorräte und das Kochgeschirr und nun setzte ich mich trotz meiner Erschöpfung auf einen Felsblock und beaufsichtigte die Zurüstungen, während Johnny Holz sammelte und das Essen bereitete. Mancher, der so viel geleistet hatte, wie ich, hätte sich wohl vor allem nach Ruhe gesehnt.
Es gab ein köstliches Essen – warmes Brot, gebratenen Speck und schwarzen Kaffee. Und die Einsamkeit, die uns umgab, war ebenfalls köstlich. Drei Meilen entfernt befand sich eine Sägemühle mit einigen Arbeitern, außerdem gab es im ganzen weiten Umkreis des Sees keine fünfzehn menschliche Wesen. Als die Dunkelheit herabsank und die Sterne herauf kamen, so daß der gewaltige Spiegel wie ein Juwelenschmuck strahlte, schmauchten wir beschaulich unsere Pfeifen in der feierlichen Stille und vergaßen alle Sorgen und Schmerzen. Als es Zeit war, breiteten wir unsere Decken über den warmen Sand zwischen zwei großen Felsstücken und schliefen bald ein, unbekümmert um die Ameisen, welche in langer Reihe uns in die Kleider krochen und uns bis auf die Haut untersuchten. Den Schlaf, der uns umfing, vermochte nichts zu stören, denn wir hatten ihn redlich verdient, und wenn unser Gewissen uns irgend welcher Sünden beschuldigte, so mußte es das Gericht für diese Nacht unter allen Umständen vertagen. Der Wind erhob sich gerade, als uns das Bewußtsein schwand, und das Anprallen der Brandung am Ufer lullte uns in Schlummer.
Es ist nachts stets sehr kalt am Rande dieses Sees, allein wir waren gut mit Decken versehen, die uns hinreichend wärmten. Die ganze Nacht rührten wir kein Glied; in aller Morgenfrühe erwachten wir noch in derselben Lage, die wir abends eingenommen, um sofort aufzuspringen, gründlichst erfrischt, frei von Unbehagen und zum Uebersprudeln voll von neuer Spannkraft. So etwas stärkt über alle Begriffe. Heute wären wir mit zehn so hundemüden Leuten fertig geworden, wie wir tags zuvor waren. In unserer Zeit brauchen viele Menschen ihrer Gesundheit wegen Wasser- und Terrainkuren und gehen in fremde Länder. Drei Monate Lagerleben am Tahoe-See würde einer ägyptischen Mumie ihre urzeitliche Lebenskraft wieder geben, und einen Appetit bekäme sie dadurch wie ein Alligator. Damit meine ich natürlich nicht die ältesten und die trockensten Mumien, sondern die frischeren. Die Luft da oben in den Wolken ist gar rein und schön, gar frisch und köstlich. Und warum auch nicht? – Ist es doch dieselbe, welche die Engel atmen. Ich glaube, man würde die entsetzlichste Müdigkeit, die man sich überhaupt vorstellen kann, in einer Nacht auf dem Sande am Ufer dieses Sees sicher wegschlafen. Nicht unter einem Dach, sondern unter freiem Himmel. Es regnet dort im Sommer selten oder nie. Ich kenne jemand, der sterbenskrank dorthin ging; aber es wurde nichts mit dem Sterben. Als ein Gerippe kam er an und konnte sich kaum auf den Füßen halten; er hatte keinen Appetit und that nichts als Traktätchen lesen und über die Zukunft grübeln. Drei Monate darauf schlief er regelmäßig im Freien, aß dreimal am Tage so viel in ihn hineinging und pürschte zur Erholung dreitausend Fuß hoch im Gebirge dem Wilde nach. Dabei war er kein Gerippe mehr, sondern hatte ein beträchtliches Gewicht aufzuweisen. Das ist kein Hirngespinst, es ist die reine Wahrheit. Er hatte an der Schwindsucht gelitten. Ich empfehle seine Erfahrung vertrauensvoll anderen Gerippen zur Nachahmung.
Ich begnügte mich wiederum mit der Oberaufsicht über die Küche. Sofort nach dem Frühstück stiegen wir ins Boot und ruderten drei Meilen am Seegestade entlang; dann stiegen wir aus. Die Stelle gefiel uns, deshalb nahmen wir etwa dreihundert Morgen davon in Besitz und schnitten unser Merkzeichen in einen Baum. Es war ein Bestand von gelben Fichten – ein dichter Wald von Bäumen, hundert Fuß hoch und bis auf fünf Fuß im Durchmesser über der Wurzel. Wir mußten unser Besitztum jedoch einzäunen, anders konnten wir es nicht behaupten, d. h. wir mußten da und dort einen Baum fällen, und zwar so, daß dadurch eine Art Einfriedigung mit ziemlich weiten Lücken entstand. Wir fällten jeder drei Bäume, fanden jedoch, daß es eine so herzbrechende Arbeit war, daß wir beschlossen, es dabei bewenden zu lassen; sicherten sie unser Eigentum – gut und schön, wenn nicht – nun so mochte es durch die Lücke auslaufen und von dannen fließen; tot quälen wollten wir uns nicht um ein paar elende Morgen Land. Tags darauf kamen wir zurück, um ein Haus aufzuschlagen; denn ein Haus war gleichfalls notwendig, wenn wir unsern Besitz behaupten wollten.[2] Wir beschlossen, ein tüchtiges Blockhaus zu bauen, das den Neid der Jungen von der Brigade erregen sollte. Als wir jedoch den ersten Klotz gehauen und zurecht gezimmert hatten, kam es uns unnötig vor, soviel Sorgfalt darauf zu verwenden, und wir beschlossen, es aus dünnen Stämmchen zu erbauen. Indessen sahen wir uns nach dem Zuhauen und Abputzen zweier Stämmchen zur Anerkennung der Thatsache genötigt, daß selbst eine noch bescheidenere Architektur dem Gesetze Genüge thun würde, worauf wir beschlossen, unser Haus aus Reisig zu errichten. Wir widmeten dieser Arbeit den folgenden Tag, leisteten jedoch soviel im Herumsitzen und Schwatzen, daß wir erst um die Mitte des Nachmittags ein halbwegs fertiges Ding zu stande gebracht hatten. Während einer von uns Strauchwerk abhieb, mußte der andere unsern Bau bewachen, wir würden ihn sonst am Ende nicht wiedergefunden haben, wenn wir ihm beide den Rücken kehrten. Er hatte eine gar so starke Familienähnlichkeit mit dem ihn umgebenden Buschwerk. Wir waren indes damit zufrieden.
[2] Um Regierungsland unentgeltlich zu bekommen, mußte ein Ansiedler in gewisser Zeit ein Blockhaus gebaut und sonstige Arbeiten auf dem von ihm beanspruchten Boden verrichtet haben.
So waren wir nun Landbesitzer, in aller Form installiert und unter dem Schutze des Gesetzes. Wir beschlossen deshalb, unsern Wohnsitz auf unserem eigenen Grund und Boden aufzuschlagen und uns jenes großen Gefühls der Unabhängigkeit zu erfreuen, das nur eine solche Erfahrung verleihen kann. Spät am folgenden Nachmittag fuhren wir nach einer herrlichen und langen Rast von dem Lager der Brigade weg, samt allen Vorräten und Kochgeschirren, die wir fortbringen konnten, und zogen gerade mit Einbruch der Nacht das Boot auf unserem eigenen Landungsplatze an den Strand.
Wenn es irgend ein glücklicheres Leben giebt, als dasjenige, welches wir von nun an zwei oder drei Wochen lang in unserer Waldhütte führten, so muß das eine Sorte Leben sein, die ich weder aus Büchern, noch aus eigener Erfahrung kennen gelernt habe. Wir sahen während der ganzen Zeit außer uns selbst kein lebendes Wesen und vernahmen keine anderen Töne als diejenigen, welche Wind und Wellen hören ließen, das Seufzen der Fichten und dann und wann den fernen Donner einer Lawine. Der Wald um uns war dicht und kühl, der Himmel über uns erstrahlte in wolkenlosem Sonnenschein, der breite See vor uns war je nach der Stimmung der Natur bald klar wie Kristall, bald von einem Lufthauch leicht gekräuselt und bald schwarz und sturmbewegt. Die ihn im Kreise überragenden Bergkuppen aber, mit Waldesgrün bekleidet, von Bergrutschen zerrissen, durch Schluchten und Thäler gespalten und mit Hauben glitzernden Schnees bedeckt, bildeten den passenden Rahmen und Abschluß zu dem herrlichen Bilde. Die Aussicht war stets fesselnd, bezaubernd, entzückend; nie wurde das Auge müde zu schauen, bei Nacht oder Tag, bei Ruhe oder Sturm; es kannte nur einen Schmerz, nämlich, daß es nicht ununterbrochen schauen durfte, sondern bisweilen sich zum Schlafe schließen mußte.
Wir schliefen im Sande, hart am Rande des Wassers, zwischen zwei schützenden Felsblöcken, die dafür sorgten, daß die stürmischen Nachtwinde uns nichts anhaben konnten. Ohne Schlafmittel schliefen wir stets ein und mit dem ersten Tagesgrauen waren wir wieder auf und liefen gleich um die Wette, um unser überschäumendes Kraftgefühl und unsere übermütige Laune etwas herabzustimmen, d. h. Johnny lief – und ich hielt indessen seinen Hut. Während wir dann nach dem Frühstück die Friedenspfeife schmauchten, beobachteten wir, wie die Berggipfel auf ihrer hohen Warte sich in den Glanz der Sonne kleideten. Wir folgten dem Licht auf seinem Siegespfade, wie es zwischen den Schatten herabschoß und die in den Banden der Finsternis liegenden Felszacken und Wälder in Freiheit setzte. Wir sahen die farbigen Bilder auf dem Wasser immer größer und heller werden, bis jede kleine Einzelheit von Wald, Bergwand und Felszinne hineingewoben war und das Zauberwerk vollständig fertig vor uns lag. Dann ging es ans ›Geschäft‹, d. h. an das Herumtreiben im Boote.
Wir befanden uns am Nordufer. Hier waren die Felsen auf dem Grunde grau oder weiß. Dadurch kommt die wunderbare Durchsichtigkeit des Wassers zu vollerer Geltung als sonst irgendwo auf dem See. Gewöhnlich ruderten wir etwa hundert Ellen weit hinaus vom Ufer, dann legten wir uns im Sonnenschein auf die Sitzbretter und ließen das Boot treiben, wohin es wollte. Selten sprachen wir ein Wort; das hätte nur die Sabbatstille unterbrochen und uns in den Träumen gestört, die wir unserer üppigen Ruhe und Trägheit verdankten. Das Ufer war allenthalben durch tiefe Buchten und Baien ausgezackt, die von schmalen Sandbänken begrenzt wurden; wo der Sand endete, stiegen die schroffen Bergwände in den Himmelsraum auf, wie eine ungeheure, fast senkrechte Mauer, die dicht mit hochragenden Fichten bewachsen ist.
So eigentümlich klar war das Wasser, daß es an Stellen, wo die Tiefe bloß zwanzig bis dreißig Fuß betrug, den Grund mit einer Deutlichkeit erkennen ließ, welche die Täuschung hervorrief, als schwämme das Boot in der Luft. Ja, dies war sogar an Stellen von achtzig Fuß Tiefe der Fall.
Jeder kleine Kiesel war deutlich sichtbar, jede gefleckte Forelle, jede Handbreit Sand. Oft, wenn wir mit dem Gesicht nach unten da lagen, tauchte ein granitner Block, scheinbar so groß wie eine Dorfkirche, blitzschnell vom Grunde nach der Oberfläche zu herauf, bis er plötzlich unsere Gesichter zu berühren drohte und wir dem Antrieb, nach einem Ruder zu greifen und die Gefahr abzuwenden, nicht zu widerstehen vermochten. Aber das Boot schwamm weiter, der Block senkte sich wieder, und wir konnten sehen, daß er, als wir uns genau über ihm befanden, immer noch zwanzig bis dreißig Fuß unter der Oberfläche gewesen sein mußte. In diesen großen Tiefen war das Wasser nicht mehr bloß einfach durchsichtig, sondern geradezu leuchtend und strahlend. Alle durch dasselbe gesehenen Gegenstände zeigten sich nicht nur in allgemeinen Umrissen, sondern bis zur kleinsten Einzelheit, mit solchem Glanz und solcher Klarheit, wie dies nicht der Fall gewesen sein würde, hätte man sie durch eine Luftschicht von derselben Tiefe hindurch gesehen. Der ganze Raum da unten kam uns so leer und luftig vor, und wir hatten so lebhaft das Gefühl, hoch darüber, mitten im Nichts hinzuschwimmen, daß wir diese Ausflüge im Boote unsere ›Luftballon-Reisen‹ nannten.
Wir fischten fleißig, fingen aber im Durchschnitt kaum einen Fisch in der Woche. Wir konnten Forellen zu Tausenden unter uns durch den leeren Raum hinschwimmen oder an Sandbänken auf dem Grunde schlafen sehen, aber anbeißen wollten sie nicht – vielleicht, daß sie die Angelschnur zu deutlich unterscheiden konnten. Oftmals lasen wir uns eine Forelle aus, die wir gerne haben wollten und ließen ihr den Köder mit unermüdlicher Geduld achtzig Fuß tief drunten dicht vor der Nase baumeln; aber sie schüttelte denselben nur verdrießlich ab und nahm eine andere Stellung ein.
Gelegentlich badeten wir, doch war das Wasser, obwohl es so sonnig aussah, ziemlich frisch. Manchmal ruderten wir hinaus nach dem ›blauen Wasser‹, eine oder zwei Meilen vom Ufer. Das Wasser war dort ganz dunkelblau wie Indigo wegen der ungeheuren Tiefe. Der amtlichen Messung zufolge ist der See in der Mitte 1525 Fuß tief!
Bisweilen streckten wir uns an müßigen Nachmittagen auf den Sand hin und lasen bei einer Pfeife ein paar alte abgegriffene Erzählungen. Abends am Lagerfeuer spielten wir zur Herzstärkung ›Euchre‹ und ›Seven Up‹, und zwar mit so fettigen und schäbigen Karten, daß nur eine den ganzen Sommer fortgesetzte Bekanntschaft mit ihnen es ermöglichte, bei gehöriger Aufmerksamkeit das Kreuz-Aß vom Schellen-Buben zu unterscheiden.
In unserm ›Hause‹ schliefen wir niemals; das kam uns gar nicht in den Sinn; überdies hatten wir es ja nur gebaut, um das Anrecht auf Grund und Boden zu erhalten, und das genügte. Zuviel zumuten wollten wir ihm nicht.
Allmählich begannen unsere Lebensmittel knapp zu werden; wir kehrten deshalb ins alte Lager zurück, um neue Vorräte zu holen. Wir waren den ganzen Tag fort und kamen erst mit Einbruch der Nacht ziemlich müde und hungrig wieder heim. Während Johnny die Hauptmasse der Lebensmittel zu späterem Gebrauch in unser Haus trug, schaffte ich den Brotlaib, etliche Schinken und den Kaffeetopf ans Ufer, stellte die Sachen an einem Baum ab, zündete ein Feuer an und ging dann nach dem Boote zurück, um die Bratpfanne zu holen. Unterwegs hörte ich einen Schrei von Johnny, und als ich aufblickte, sah ich mein Feuer über die ganze Umgegend hingaloppieren. Johnny befand sich jenseits desselben und mußte durch die Flammen hindurchlaufen, um das Seeufer zu gewinnen; dann standen wir hilflos da und beobachteten die Verwüstung, die der Brand anrichtete.
Der Boden war mit einer hohen Schicht trockener Fichtennadeln bedeckt, die bei der ersten Berührung mit dem Feuer aufflammten wie Schießpulver. Es war merkwürdig anzusehen, mit wie rasender Eile die gewaltige Flammensäule sich fortbewegte. Mein Kaffeetopf war dahin und alles andere mit ihm. Nach anderthalb Minuten ergriff das Feuer einen dichten Busch trockenen Manzanita-Gesträuchs von sechs bis acht Fuß Höhe, und nun wurde das Brausen, Zischen und Prasseln geradezu fürchterlich. Die durchdringende Hitze trieb uns in das Boot, wo wir, wie durch einen Zauber gefesselt, verblieben.
Binnen einer halben Stunde war alles vor unseren Augen ein rasendes und blendendes Flammenmeer. Das Feuer brauste an den nächsten Hügelkämmen empor, überstieg dieselben und verschwand in den jenseitigen Schluchten, um dann plötzlich auf ferneren und höheren Bergrücken abermals zum Vorschein zu kommen, wo es eine noch gewaltigere Helle ausstrahlte und dann wieder untertauchte. Dann flammte es wieder auf, höher und immer höher am Bergeshang, sandte Glutströme wie Plänklerketten da und dorthin aus, die sich dann in rotglühenden Schlangenlinien zwischen fernen Bergwänden, Klippen und Schlünden hinwälzten, bis die hoch aufragenden Gebirgsstöcke, so weit das Auge reichte, von roten Lavabächen überzogen waren, die einem verschlungenen Netzwerk glichen. Weithin über dem Wasser erstrahlten die Felshörner und Bergkuppen in grellrotem Glanz, und das Firmament droben flammte in einer wahren Höllenglut!
Dieses Schauspiel wiederholte sich Zug für Zug in dem glühenden Spiegel des Sees! Beide Bilder waren erhaben, beide schön, doch zeigte das Spiegelbild im See eine staunenswerte Farbenpracht, welche das Auge noch unwiderstehlicher fesselte und entzückte.
Vier lange Stunden saßen wir in uns versunken und regungslos da; wir dachten weder an Speise noch Trank und fühlten keine Ermüdung. Um elf Uhr hatte der Brand unsern Gesichtskreis überschritten und allmählich lagerte sich das Dunkel wieder über die Landschaft.
Jetzt meldete sich der Hunger; aber es gab nichts zu essen. Die Lebensmittel waren ohne Zweifel sämtlich gekocht und gebraten; doch nahmen wir sie nicht in Augenschein. Wir waren wieder heimat- und besitzlose Wandervögel. Unser Zaun war fort, unser Haus verbrannt und nicht einmal versichert gewesen. Unser Fichtenwald war gehörig versengt, die abgestorbenen Bäume sämtlich verbrannt und die weiten Strecken Manzanita-Gebüsch weggefegt. Unsere Decken indes befanden sich an unserem gewohnten Schlafplatz auf dem Sande; so legten wir uns denn nieder und schliefen ein. Am nächsten Morgen brachen wir wieder nach dem alten Lager auf, aber während wir noch eine weite Strecke vom Ufer entfernt waren, brauste ein gewaltiger Sturm heran, so daß wir nicht zu landen wagten. So schöpfte ich denn die Wasserstürze aus, die uns ins Boot schlugen, während Johnny mit Macht durch die Wogen ruderte, bis wir drei oder vier Meilen jenseits des Lagers eine gute Landungsstelle erreicht hatten. Der Sturm blies immer stärker, und es wurde uns immer klarer, daß wir besser thäten, das Boot auf gut Glück auf den Strand laufen zu lassen, als uns der Gefahr auszusetzen, in hundert Faden tiefem Wasser zu versinken. So fuhren wir denn aufs Land zu, hohe, weiße Wellenkämme hinter uns; ich saß hinten auf dem letzten Brette und lenkte die Spitze des Bootes nach dem Ufer hin. Im Augenblick, als dasselbe aufstieß, kam eine Welle über den Stern herüber, welche Mannschaft und Ladung ans Ufer spülte und uns dadurch viele Mühe und Not ersparte. Den ganzen Tag über zitterten wir hinter einem Felsblock vor Frost und froren auch die ganze Nacht hindurch. Am Morgen hatte sich der Sturm gelegt und wir ruderten ohne jeden überflüssigen Aufenthalt nach dem Lager. Wir waren dermaßen ausgehungert, daß wir den ganzen Rest des Proviants der Brigade aufaßen; dann machten wir uns nach Carson auf, um ihnen zu beichten und sie um Absolution zu bitten. Gegen Zahlung des Schadens wurde dieselbe gewährt.
Wir machten später noch manchen Ausflug nach dem See und bestanden haarsträubende Abenteuer, bei denen wir nur mit knapper Not davonkamen. Aber die Geschichte schweigt darüber.
ch kam jetzt zu dem festen Entschluß, mir ein Reitpferd anzuschaffen. Nie hatte ich, außer im Zirkus, eine so tolle, freie, prächtige Reitkunst gesehen, wie sie diese malerisch gekleideten Mexikaner, Kalifornier und mexikanisierten Amerikaner in Carson Tag für Tag zum besten gaben. Wie die ritten! Nur ein klein wenig nach vorn gebeugt, fegten sie durch die Straßen wie der Wind; die breite Krempe ihres Schlapphutes stand kerzengerade in die Höhe, und sie schwangen die lange Riata über dem Kopfe. Eine Minute darauf waren sie nur noch ein Staubwölkchen, weit draußen in der Wüste. Beim Traben waren sie stolz und anmutig auf dem Pferde, als wären sie mit demselben verwachsen und hopsten nicht auf und nieder nach der albernen Manier der Reitschulen. Ich hatte bald ein Pferd von einer Kuh unterscheiden gelernt und brannte vor Begier, noch mehr zu können; ich war entschlossen, mir ein Pferd zu kaufen. Während dieser Gedanke mir im Kopf herumschwirrte, kam der Auktionator auf einem schwarzen Tiere über die Plaza gejagt, es war höckerig und eckig wie ein Kamel und auch ebenso häßlich; allein es wurde versteigert: »zum drittenmal zweiundzwanzig – Pferd, Sattel und Zügel für zweiundzwanzig Dollars, meine Herren!« und da konnte ich kaum widerstehen.
Ein unbekannter Mann (wie sich später zeigte, war es der Bruder des Auktionators) bemerkte meine sehnsüchtigen Blicke und meinte, es sei doch für den Preis ein ganz respektables Pferd; der Sattel, fügte er bei, sei allein das Geld wert. Es war ein spanischer Sattel mit gewichtigen ›Tapidaros‹ und mit dem plumpen Ueberzug von Sohlenleder unaussprechlichen Namens. Ich sagte, ich hätte halb und halb Lust zu bieten. Darauf sah mich der Mensch mit seinen stechenden Augen an, als wollte er prüfen, wes Geistes Kind ich sei; doch ließ ich jeden Verdacht fallen, als er sprach, denn sein Wesen war voll argloser Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit.
»Ich kenne dieses Pferd, – kenne es genau,« sagte er, »Sie sind ein Fremder dem Anschein nach, und so können Sie vielleicht meinen, es sei ein amerikanisches Pferd, aber ich versichere Sie, das ist nicht der Fall. Es ist durchaus nichts dergleichen; es ist – entschuldigen Sie, wenn ich leise spreche, es sind noch mehr Leute um den Weg – es ist ohne den allermindesten Zweifel ein echter mexikanischer Stöpsel!« Ich wußte allerdings nicht, was ein echter mexikanischer Stöpsel war, allein es lag etwas so Besonderes in der Art, wie der Mann das sagte, daß ich mir im stillen gelobte, ich müsse einen echten mexikanischen Stöpsel haben, und sollte es mein Leben gelten. »Hat es sonst noch Vorzüge?« forschte ich mit unsicherer Stimme, indem ich meine Ungeduld nach Kräften zu bemeistern suchte.
Er faßte mit einem Finger in die Tasche meines Wollhemdes, zog mich beiseite und flüsterte mir mit Nachdruck ins Ohr: »Er ist im Bocken jedem über in ganz Amerika!«
»Zum dritten, zum dritten, zum drittenmal – vierundzwanzig ein halb Dollars meine Her–«
»Siebenundzwanzig!« schrie ich wie toll.
»Gehört Ihnen!« erklärte der Auktionator, und damit übergab er mir den echten mexikanischen Stöpsel.
Ich vermochte kaum meinen Jubel zurückzuhalten, bezahlte das Geld und stellte das Tier in den benachbarten Mietstall ein, damit es etwas zu fressen bekomme und sich ausruhe. Am Nachmittag nahm ich das Geschöpf mit auf die Plaza, wo ein paar Leute es an Kopf und Schwanz festhielten, während ich aufstieg. Sobald sie losließen, stellte der Gaul seine vier Füße dicht zusammen, senkte den Rücken und wölbte ihn dann wieder plötzlich, so daß er mich drei oder vier Fuß hoch in die Luft hinauf schnellte! Ich kam ganz senkrecht wieder herunter, mitten in den Sattel, flog aber augenblicklich wieder in die Höhe und wäre fast auf den hohen Sattelknopf gekommen, schoß dann ein drittesmal empor und kam jetzt auf den Hals des Gaules zu sitzen – alles im Verlauf von drei oder vier Sekunden. Nun bäumte er sich und stand fast kerzengerade auf den Hinterbeinen, während ich mich verzweifelt an seinen mageren Hals anklammerte und so in den Sattel zurückrutschte. Kaum stand er wieder auf allen Vieren, so hob er sofort die Hinterbeine und stellte sich auf die Vorderbeine, während er mit jenen ausschlug, als wollte er dem Himmel eins versetzen. Sodann begann er abermals Flugübungen mit mir anzustellen. Als ich das drittemal emporschnellte, hörte ich, wie ein Fremder sagte: »O, aber der kann einmal bocken!«
Ich schwebte noch in der Luft, als jemand dem Gaul einen schallenden Hieb mit einem Lederriemen gab, und als ich wieder herunterkam, war der echte mexikanische Stöpsel nicht mehr da. Ein junger Kalifornier jagte ihm nach, fing ihn ein und fragte, ob er einen Ritt mit ihm machen dürfe. Ich gestattete ihm diesen Hochgenuß. Er bestieg den Echten und flog ebenfalls einmal in die Höhe, rannte ihm aber, wie er herunterkam, die Sporen in die Rippen, worauf der Gaul davonging wie ein Telegramm. Er schwebte über drei Zäune wie ein Vogel und verschwand auf der Straße nach dem Washoe-Thal.
Ich ließ mich mit einem Seufzer auf einen Stein nieder und suchte unwillkürlich mit der einen Hand die Stirn, mit der andern den Magen. Ich glaube, ich hatte noch nie die Unzulänglichkeit der menschlichen Maschinerie so gründlich erkannt, – denn ich hätte mindestens eine oder zwei Hände mehr haben sollen, um sie noch an andere Stellen halten zu können. Keine Feder kann beschreiben, wie ich zusammengeschüttelt war. Keine Einbildungskraft reicht hin, um sich vorzustellen, wie ich gänzlich aus dem Leim gegangen, innerlich und äußerlich zerrissen, zerfahren und durch und durch gerüttelt war. Es hatte sich indes eine teilnehmende Schar um mich gesammelt, und ein Mann von ältlichem Aussehen spendete mir den Trost:
»Fremder, Sie sind hereingefallen. Jedermann in diesem Neste kennt dieses Pferd. Jedes Kind, jeder Indianer hätte Ihnen sagen können, daß es bocken würde; es ist im Bocken der schlimmste Teufel in ganz Amerika. Hören Sie, was ich sage. Ich bin Curry, der alte Curry, der alte Abe Curry. Der Gaul ist ein echter mexikanischer Stöpsel durch und durch und dazu noch ein ungewöhnlich niederträchtiger. Ei, Sie Tausendsapperlot, wenn Sie es gescheit angegriffen hätten, so hätten Sie vielleicht ein amerikanisches Pferd für weit weniger kriegen können, als Sie für die elende, alte, fremde Krake bezahlt haben.«
Ich sagte keine Silbe, aber ich nahm mir im stillen vor, falls der Bruder des Auktionators während meines Aufenthalts im Lande zu Grabe getragen werden sollte, alle andern Vergnügungen zu verschieben, um dieses Begräbnis nicht zu versäumen.
Nach einem Galopp von sechzehn Meilen kamen der kalifornische Jüngling und der echte mexikanische Stöpsel wieder in die Stadt gejagt. Die Schaumflocken flogen um sie herum, wie um das Flugwasser, das vor einem Wirbelsturm dahertreibt. Mit einem letzten Satz, den sie über einen Schubkarren und einen Chinesen weg machten, warfen sie vor dem Ranch Anker.
Dieses Keuchen und Schnauben! Wie die roten Nüstern des Pferdes arbeiteten und seine wilden Augen blitzten! Aber war der störrische Gaul etwa geduckt? Nein, wahrhaftig nicht. Seine Herrlichkeit der ›Sprecher des Hauses‹ glaubte das und wollte auf ihm nach dem Kapitol (Regierungsgebäude) reiten. Allein sogleich machte das Geschöpf einen Satz über einen Haufen Telegraphenstangen weg, halb so hoch wie eine Kirche, und den Weg nach dem Kapitol – eine und dreiviertel Meilen – flog es anstatt zu laufen, d. h. es sauste schnurgerade über alles hinweg, indem es Zäune und Gräben den Krümmungen der Straße vorzog. Als der Sprecher nach dem Kapitol gelangte, war er weit mehr in der Luft gewesen, als auf dem Pferderücken und meinte, ihm sei zu Mute, als habe er die Tour auf einem Kometen gemacht.
Abends kam der Sprecher zu Fuß nach Hause und ließ den ›Echten‹ hinter einem Steinwagen angebunden stehen. Tags darauf überließ ich das Tier dem Sekretär des Hauses zu einem Ritt nach der sechs Meilen entfernten Silbergrube von Dana; auch er kam (um sich Bewegung zu machen) zu Fuß zurück und ließ das Pferd angebunden stehen. Ich mochte den Gaul leihen, wem ich wollte, alle kamen zu Fuß zurück, alle meinten, es fehle ihnen sonst an der nötigen Bewegung. Trotzdem borgte ich ihn fortwährend jedem, der ihn haben wollte; ich dachte, wenn der Gaul sich dabei einen Schaden thäte, könnte ich ihn dem Betreffenden aufhalsen, oder er bräche das Genick, dann müsse mir der Reiter den Wert ersetzen. Es passierte ihm jedoch nicht das geringste. Er lieferte Stückchen, die noch nie ein Pferd geleistet hat, ohne Hals und Bein zu brechen; aber er kam immer mit heiler Haut davon. Tag für Tag unternahm er Sachen, die man sonst für unmöglich hielt, setzte aber alles durch. Manchmal verrechnete er sich allerdings ein klein wenig und brachte den Reiter in Schaden; aber ihm selbst wurde nie ein Haar gekrümmt. Natürlich hatte ich längst den Versuch gemacht, ihn zu verkaufen, doch fand dieses naive Unternehmen sehr wenig Anklang. Vier Tage lang raste der Auktionator auf ihm in den Straßen auf und ab, wobei er die Leute auseinanderjagte, den Verkehr störte und Kinder zu Boden ritt, ohne irgend ein Gebot zu erhalten – wenigstens kein anderes als die achtzehn Dollars, die ein von ihm gedungener, notorisch vermögensloser Bummler bot. Die Leute lachten nur in aller Freundlichkeit, bezwangen aber ihre Kauflust, falls eine solche überhaupt bei ihnen vorlag. Darauf behändigte mir der Auktionator seine Rechnung und zog den Gaul vom Markte zurück. Nun suchten wir denselben aus freier Hand loszuschlagen, indem wir ihn mit Verlust gegen ausrangierte Grabsteine, altes Eisen, Mäßigkeitstraktätchen – kurz gegen irgend welche Ware in Tausch anboten. Allein die Eigentümer so schöner Sachen waren auf ihrer Hut und aus dem Geschäft wurde nichts. Nie mehr machte ich den Versuch, den Gaul zu reiten. Für einen Menschen, wie ich, der nur über Brüche und andere innere Schäden u. dgl. zu klagen hatte, reichte das Gehen zur Bewegung vollständig hin. Endlich versuchte ich ihn zu verschenken, aber auch das verfing nicht. Die Leute meinten, an der Meeresküste seien die Erdbeben billig genug zu haben, – sie wollten sich nicht selber eins anschaffen. Zuletzt verfiel ich darauf, ihn dem Gouverneur zum Gebrauch für die Brigade anzubieten. Im ersten Augenblick leuchtete sein Gesicht vor Begier auf, nahm aber bald wieder einen gleichgültigeren Ausdruck an, – er meinte, die Sache wäre denn doch gar zu durchsichtig.
Gerade um diese Zeit brachte der Inhaber des Mietstalles mir seine Rechnung für sechswöchige Pflege des Gauls – Stallraum fünfzehn Dollars, Heu zweihundertfünfzig! Der echte mexikanische Stöpsel hatte eine Tonne Heu gefressen, und der Mann behauptete, wenn er ihm den Willen gelassen hätte, würde er wohl hundert Tonnen aufgefressen haben.
Ich will hier in allem Ernste bemerken, daß der gewöhnliche Preis des Heus während dieses und eines Teils des folgenden Jahres wirklich zweihundertfünfzig Dollars die Tonne betrug. Im vergangenen Jahre hatte die Tonne bisweilen fünfhundert Dollars in Gold gekostet, und im Winter vorher war der Artikel so knapp, daß kleine Vorräte gelegentlich achthundert Dollars die Tonne eingebracht hatten! Die Folgen lassen sich leicht erraten: Die Leute trieben ihr Vieh hinaus und überließen es dem Hungertode; noch ehe der Frühling ins Land kam, waren die Thäler von Carson und Eagle mit den Leichnamen der Tiere förmlich übersäet. Jeder alte Ansiedler wird dies bestätigen. Ich ermöglichte es, die Mietstallrechnung zu zahlen, und noch am selben Tage schenkte ich den ›echten mexikanischen Stöpsel‹ einem vorüberziehenden Auswanderer aus Arkansas.
evada bildete ursprünglich einen Teil von Utah unter dem Namen Carson County, und es war das eine recht ansehnliche ›Grafschaft‹. In einigen Thälern gab es Heu in Masse und dies zog ganze Kolonieen mormonischer Viehzüchter und Farmer dorthin. Von Kalifornien aus kamen auch vereinzelt kleine Scharen rechtgläubiger Amerikaner herüber, allein die beiden Klassen von Ansiedlern waren einander nicht sehr hold. Es herrschte so gut wie gar kein freundlicher Verkehr unter ihnen, jeder Teil blieb für sich. Die Mormonen waren bedeutend in der Ueberzahl und genossen außerdem den Vorzug eines besonderen Schutzes von seiten der mormonischen Regierung des Territoriums. Deshalb konnten sie sich erlauben, hochmütig, ja selbst gebieterisch gegen ihre Nachbarn aufzutreten.
Im Jahre 1858 wurden in Carson County Silberadern entdeckt, und damit gewannen die Verhältnisse ein anderes Ansehen. Kalifornier strömten in Scharen herein und das amerikanische Element bildete bald die Mehrheit. Die Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber Brigham Young[3]