Im Kampf gegen Nazideutschland - Franz Neumann - E-Book

Im Kampf gegen Nazideutschland E-Book

Franz Neumann

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Beschreibung

Während des Zweiten Weltkriegs arbeiteten Franz Neumann, Herbert Marcuse und Otto Kirchheimer, die in den 1930er Jahren vor der nationalsozialistischen Verfolgung ins Exil in die USA geflohen waren, für das Office of Strategic Services, den Vorläufer der CIA. Zwischen 1943 und 1949 versorgten sie die Amerikaner mit umfangreichen Dossiers über das politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in der NS-Diktatur, über Hitlers Kriegsstrategien und die Rolle des Antisemitismus. Darüber hinaus entwarfen sie Pläne für den Wiederaufbau einer demokratischen Gesellschaft nach dem Zusammenbruch des »Dritten Reichs«. So spielten sie bei der Entwicklung der alliierten Nachkriegspolitik, den Entnazifizierungsprogrammen und der Vorbereitung der Nürnberger Prozesse eine maßgebliche Rolle.

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Franz Neumann, Herbert Marcuse, Otto Kirchheimer

Im Kampf gegen Nazideutschland

Berichte für den amerikanischen Geheimdienst 1943–1949

Herausgegeben von Raffaele Laudani

Aus dem Englischen von Christine Pries

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Franz Neumann, Herbert Marcuse und Otto Kirchheimer, vom Nationalsozialismus zur Flucht gezwungen, stießen im Exil zum Institut für Sozialforschung, das seit 1934 in einem Gebäude der New Yorker Columbia University Asyl gefunden hatte. 1943 traten die drei so unterschiedlichen Gelehrten in den Dienst des Office of Strategic Services (OSS) ein, des Vorläufers der CIA.

In der Mitteleuropa-Sektion der Forschungs- und Analyseabteilung des OSS verfassten sie in den letzten Kriegsjahren Berichte über das soziale, politische und ökonomische Leben in der NS-Diktatur, über Hitlers Kriegsstrategien und die Rolle des Antisemitismus in Nazideutschland. Entstanden sind hellsichtige Analysen, die sich zu einem komplexen Bild der neuartigen totalitären Herrschaftsordnung fügen. Darüber hinaus entwickeln die drei Mitarbeiter Pläne für den Wiederaufbau einer demokratischen und sozialistischen Gesellschaft nach dem Zusammenbruch des »Dritten Reichs«, und sie erkunden die juristischen Möglichkeiten, die für den nationalsozialistischen Terror Verantwortlichen strafrechtlich zu verfolgen. Die Beiträge zum amerikanischen Kriegseinsatz, die durch ein erstaunliches Detailwissen beeindrucken,

spielten bei der Konzeption der alliierten Nachkriegspolitik, den Entnazifizierungsprogrammen und bei der Vorbereitung der Nürnberger Prozesse eine maßgebliche Rolle – und sie zeigen eine wenig bekannte Seite der Frankfurter Schule.

Vita

Franz Neumann (1900–1954), gilt als einer der Begründer der Politikwissenschaft in Deutschland; er lehrte seit 1948 als Professor an der Columbia University in New York.

Herbert Marcuse (1898–1979) zählt zu den Hauptvertretern der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule; 1964 wurde er Professor an der University of California in San Diego.

Otto Kirchheimer (1905–1965) lehrte ab 1955 Politikwissenschaft an der New School for Social Research in New York.

Raffaele Laudani ist Professor für die Geschichte der politischen Theorie und Atlantische Studien an der Universität Bologna.

Inhalt

Vorwort

Anmerkungen der Übersetzerin

Dank

Zu den Texten

Über die Autoren

Franz Leopold Neumann

Herbert Marcuse

Otto Kirchheimer

Einleitung

Teil I Feindanalyse

Franz Neumann: Antisemitismus: Die Speerspitze allumfassenden Terrors

Herbert Marcuse: In der nahen Zukunft mögliche politische Veränderungen in Nazideutschland

Herbert Marcuse: Veränderungen in der Reichsregierung

Himmlers neue Machtbefugnisse

Himmler und die deutsche Ostpolitik

Veränderungen im Hinblick auf den Reichsarbeitsdienst

Die Veränderungen im Protektorat

Kommentare

Anhang

Himmler als Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung

Himmler als Innenminister

Franz Neumann und Paul Sweezy: Speers Ernennung zum Alleinherrscher über die deutsche Wirtschaft

1.Der Führererlass

2.Die Karrieren von Funk und Speer

3.Die jeweilige Stellung von Funk, Speer, Göring und weiterer Reichsbevollmächtigter in der deutschen Kriegswirtschaft

4.Organisatorische Bedeutung des Führererlasses

5.Die Ursachen des Erlasses und bevorstehende organisatorische Änderungen

6.Die voraussichtliche Haltung der Industrie

Herbert Marcuse und Felix Gilbert: Die Bedeutung des preußischen Militarismus für den Nazi-Imperialismus: Mögliche Spannungen innerhalb der psychologischen Kriegsführung der Vereinten Nationen

Einleitung

Preußen im Kaiserreich

Preußen in der Republik

Preußen im NS-Regime

Preußische Militaristen im Moskauer Bund Deutscher Offiziere

Anhang: Preußens gegenwärtiger Stand in der Regierungs- und Verwaltungsorganisation des Reiches*

Herbert Marcuse: Deutschlands soziale Schichtung

I. Herrschende Gruppen

A. Die fünf herrschenden Gruppen

B. Numerische Stärke

C. Grundlage der Besserstellung

D. Veränderungen in der Zusammensetzung der herrschenden Gruppen seit der Weimarer Republik

E. Cliquen und Klassenbewusstsein

III. Beherrschte Gruppen

A. Numerische Stärke der sozialen Gruppen

B. Allgemeine Tendenzen

C. Arbeiterschaft

D. Handwerk und Handel

E. Beamtenschaft

F. Die Angestellten

G. Freie Berufe

H. Bauern

Teil II Muster für den Zusammenbruch

Franz Neumann: Die deutsche Moral nach Tunesien

(a) Moral in einem totalitären Staat

(b) Die Auswirkungen von Tunesien

(c) Kraft durch Furcht

(d) Zentren des Widerstands

(e) Revolutionäre Perspektiven

Herbert Marcuse: Moral in Deutschland

Franz Neumann, Herbert Marcuse und Felix Gilbert: Mögliche Muster für den deutschen Zusammenbruch

1. Einleitung: Das Muster von 1918

2. Mögliche Muster für den Zusammenbruch 1944

I. Die Unterschiede zwischen 1918 und heute

II. Muster des Zusammenbruchs

Franz Neumann: Die sozialen und politischen Auswirkungen der Luftangriffe auf die deutsche Bevölkerung: Ein vorläufiger Überblick

I. Die Angriffe

A. Schadensausmaß

B. Belastungen für das Luftschutz-System

II. Erholung von den Angriffen

A. Soforthilfemaßnahmen

III. Evakuierungsprobleme

IV. Die Reaktion der Parteipropaganda

A. Umgang mit den Luftangriffen in Inlandspresse und -rundfunk

B. Entschädigungszahlungen und Versprechen auf Wiederaufbau nach dem Krieg

V. Soziale und politische Auswirkungen

A. Soziale Auswirkungen

B. Politische Auswirkungen

C. Allgemeines Fazit

Franz Neumann: Der Attentatsversuch auf Hitler und seine Folgen

I. Der Hintergrund

A. Richtlinien zur Einschätzung der deutschen Moral

B. Partei und Heer

II. Analyse des Anschlags

A. Spannungen zwischen SS und Heer

B. Die Friedensbemühungen der Beck-Gruppe

C. Die Identität der Verschwörer

D. Die politische Orientierung der Verschwörergruppe

III. Die Folgen des Attentatsversuchs

A. Säuberungen unter den Oppositionsführern

B. Der Erfolg der Säuberung

C. Die Auswirkungen auf die Heeresmoral

D. Folgen für die Heimatfront

E. Das Verlaufsmuster des deutschen Zusammenbruchs

Teil III Politische Opposition

Franz Neumann: Das Manifest des Nationalkomitees Freies Deutschland und das deutsche Volk

Der Inhalt des Manifests

Die nationalbolschewistische Tradition

1. Nationalbolschewismus in der Kommunistischen Partei

2. Nationalbolschewistische Tendenzen in der NS-Bewegung

III. Die Haltung gegenüber Russland

IV. Die Stärke des Kommunismus und anderer gegen die Nazis gerichteter Gruppen

Herbert Marcuse: Die Kommunistische Partei Deutschlands

Einleitung

I. Die Ursprünge der Kommunistischen Partei Deutschlands

A. Die Sozialdemokraten und die Kommunisten

B. Die Spartakisten

C. Die KPD und die Weimarer Republik

II. Der institutionelle Rahmen der KPD

A. Mitgliederschaft

B. Organisation

C. Die KPD und die Gewerkschaftsbewegung

D. Angegliederte Einrichtungen

E. Die kommunistische Presse

III. Der Kampf um die Wählerstimmen

IV. Ideologie und Taktik

A. Die Spartakisten

B. Die defensive Phase, 1919–1923

C. Die Neubelebung des Aktivismus 1923

D. Die Rückkehr zum Gradualismus

E. »Die dritte Phase«

V. Die KPD seit 1933

A. Der kommunistische Untergrund in Deutschland

B. Die Parteistruktur im Ausland

C. Die Ideologie der KPD seit 1933

VI. Die Kommunistische Partei und die Bewegung Freies Deutschland

VII. Die mögliche Rolle der Kommunistischen Partei in der Zukunft

Herbert Marcuse: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands

I. Einleitung

II. Ursprung, Zusammensetzung und Stärke der SPD

A. Ursprung

B. Zusammensetzung und Stärke

C. Regionale Stärke

D. Einfluss- und Aktivitätsbereiche

E. Abspaltungen von der SPD

III. Die Politik der SPD

A. Politische Grundsätze

B. Wirtschaftspolitik

C. Außenpolitik: Haltung gegenüber Krieg und Wiederaufrüstung

D. Die Anziehungskraft der SPD

IV. Die SPD im Exil

V. Entwicklungen innerhalb der SPD seit der Besetzung Deutschlands

A. In den Westzonen

B. In der Sowjetzone

C. Die Politik der SPD in spezifischen Problembereichen

VI. Die Aussichten der SPD

Teil IV Entnazifizierung und Militärregierung

Otto Kirchheimer: Die Aufhebung von NS-Gesetzen in der Anfangsphase der Militärregierung

I. Problemanalyse

II. Empfehlungen

A. Allgemeines

B. Aufhebung der diskriminierenden Gesetze

C. Aufhebung besonderer Vorrechte

D. Keine Diskriminierung in Strafrecht und Strafverfahren

E. Allgemeine Klausel in Bezug auf die Beseitigung von Diskriminierung

III. Abschaffung der Gesetze, die die politischen und bürgerlichen Freiheitsrechte einschränken

A. Politische Aktivitäten

B. Soziale, ökonomische und kulturelle Aktivitäten

IV. Abschaffung von Gesetzen mit besonders starker NS-Prägung

A. Abschaffung der NS-Symbolik

B. Eugenikgesetze

C. Arbeitsgesetze

V. Die Entnazifizierung der Justiz

A. Neuordnung der Justiz

B. Aussetzung der Gerichtsaktivitäten

C. Freilassung von Gefangenen

Anhang: Liste von NS-Gesetzen, deren Aufhebung erforderlich ist

Herbert Marcuse: Die Auflösung der Nazipartei und der an sie angeschlossenen Organisationen

I. Problemanalyse

A. Allgemeines

B. Die Zusammensetzung der Nazipartei

II. Empfehlungen

A. Die Auflösung der Nazipartei

B. Die Ergreifung und Inhaftierung von Nazifunktionären

C. Die Identifizierung »aktiver Nazis«, soweit sie nicht durch ihre offizielle Stellung identifizierbar sind

Anhang A. Proklamation Betreffend Die Auflösung Der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei

Franz Neumann: Deutsche Kartelle und kartellähnliche Organisationen

Problemanalyse

I. Einleitung

II. Die Rolle von Kartellen und kartellähnlichen Organisationen in Deutschland

Empfehlungen

I. Allgemeiner Ansatz

II. Konkrete Empfehlungen

Herbert Marcuse: Politische Richtlinien zur Wiederbelebung alter Parteien und zur Gründung neuer Parteien in Deutschland

Vorwort

1. Problemanalyse

A. Einleitung

B. Das Wiederaufleben rechter, nationalistischer Parteien

C. Getarnte nationalistische Gruppierungen

D. Das Wiederaufleben der Arbeiterparteien

E. Demokratische Parteien der Mittelschichten

F. Die Zentrumspartei

G. Separatistische Parteien

II. Empfehlungen

A. Allgemeines

B. Haltung gegenüber rechten, nationalistischen Parteien

C. Haltung gegenüber getarnten nationalistischen Interessenverbänden

D. Haltung gegenüber Arbeiterparteien

E. Haltung gegenüber anderen Parteien

Otto Kirchheimer: Allgemeine Prinzipien der Verwaltung und des öffentlichen Dienstes in Deutschland

I. Problemanalyse

A. Die Verwaltungsprobleme, vor denen die Militärregierung steht

B. Besonderheiten der derzeitigen Verwaltung

C. Das Schicksal der deutschen Zentralbehörden

D. Das Verhältnis von deutschen Behörden und Militärregierungsbehörden

E. Öffentlicher Dienst

F. Die Nazis und der öffentliche Dienst

G. Das Ersetzungsproblem im öffentlichen Dienst

II. Empfehlungen

A. Politik gegenüber den deutschen Dienststellen

Otto Kirchheimer: Die Verwaltung der deutschen Strafjustiz unter der Militärregierung

I. Problemanalyse

A. Einleitung

B. Die Änderungen des Strafrechts durch die Nazis

C. Materielles Recht

D. Prozessrecht

E. Zuständigkeitsprobleme

F. Verwaltungsprobleme

II. Empfehlungen

A. Die Haltung der Militärregierung gegenüber dem Strafrecht

B. Materielles Recht

C. Prozessrecht

D. Zuständigkeitsprobleme

E. Das Amnestieproblem

F. Verfolgung von NS-Straftaten gegen deutsche Staatsbürger

G. Verwaltungsprobleme

Franz Neumann: Das Problem der Inflation in Deutschland

I. Die Erfahrung von 1914–1924

A. Die Kriegsfinanzierung und ihre Mängel

B. Das Nachkriegsdefizit und die Rückkehr zur freien Preisbildung

C. Der endgültige Wertverlust der Mark

D. Die Stabilisierung der Währung

E. Zusammenfassung und politischer Hintergrund

II. Nazideutschlands Finanzen 1933–1943

A. Arbeitsbeschaffung und Wiederaufrüstung

B. Grundlagen der Kriegsfinanzierung

C. Preiskontrollen

D. Löhne und Gehälter

E. Industriegewinne

F. Konsumeinschränkungen

G. Kontrolle der Kapitalmärkte

H. Eisernes Sparen und Unternehmenseinlagen bei der Staatskasse

I. Außenhandel und Ausbeutung der kontrollierten Länder

J. Haushaltsausgaben und -einnahmen, 1939–1943

K. Ordentliche Einnahmen des Reiches*

L. Staatsschulden

M. Inflationspotential

N. Akkumulation von Geldansprüchen

O. Die Rolle der Kreditanstalten bei der Kriegsfinanzierung

P. Die Kreditpolitik der Banken

Q. Bargeldumlauf

R. Girokonto-(Kontokorrent-)Einlagen

S. Kaufkraft der Reichsmark*

T. Tauschhandel

U. »Echte Werte«

V. Die Notierung der deutschen Währung im Ausland

III. Das Inflationsproblem nach Deutschlands Niederlage

A. Das gegenwärtige Gleichgewicht

B. Deutschlands Pläne für die Nachkriegszeit

C. Gefahren einer leichten Inflation

D. Der vorläufige Umtauschwert der Mark

E. Ausgabenkontrolle bei der Besatzungsmacht

F. Zusammenbruch des Verteilungssystems

G. Stabilisierung des Preis- und Einkommensniveaus

H. Höhe des Volkseinkommens

I. Bargeldumlauf und Bankeinlagen

J. Der Haushalt

K. Repudiation der Reichsschulden

L. Die Kapitalabgabe

M. Reparationen

N. Öffentliche Bauvorhaben

O. Außen- und Devisenhandel

P. Fazit

Teil V Ein neues Deutschland in einem neuen Europa

Franz Neumann und Paul Sweezy: Die Anpassung der zentralisierten Rohstoff-, Industrie- und Transportkontrollen in Europa

Einleitung

A. Die zentralisierten Kontrollen

B. Ihre Anpassung

Fazit

Franz Neumann: Die Wiederaufnahme des politischen und konstitutionellen Lebens in Deutschland unter einer Militärregierung

I. Das amerikanische Interesse an einem Dreimächteabkommen zur Wiederaufnahme des politischen Lebens in Deutschland

II. Die Rechtskontinuität einer zum Zeitpunkt der Besetzung bestehenden deutschen Regierung

III. Die Politik der Militärregierung in Bezug auf eine deutsche Regierung

A. Militärregierung und eine NS- oder eine rechte Regierung

B. Militärregierung und deutsche Regionalregierungen

C. Militärregierung und eine Rätebewegung

IV. Die Einrichtung einer zentralen deutschen Verwaltungsbehörde

V. Politische Grundsatzfragen in Deutschland unter der Militärregierung

A. Die Wiederbelebung der politischen Parteien

B. Die Säuberung von den Nazis

C. Die Außenpolitik

D. Das Beschäftigungsproblem

E. Die durch die Reparationen entstehenden Probleme

F. Die Konfrontation mit der Militärregierung

G. Die Alltagsprobleme

VI. Die Politik der Militärregierung

A. Die Notwendigkeit einer entschiedenen Politik

B. Die Entnazifizierungspolitik der Militärregierung

C. Der Umgang mit den Nazis

D. Die Auswahl des Verwaltungspersonals

E. Entmilitarisierung und Hilfspolizei

F. Die Wirtschaftspolitik der Militärregierung

VII. Das Problem der Wahlen

A. Wahlrechtsentzug für Nazis

B. Lokale Wahlen

C. Wahlmodus

D. Landtags- und Provinziallandtagswahlen

E. Nationale Wahlen

Franz Neumann: Der Umgang mit Deutschland

I. Mögliche Umgangsweisen mit Deutschland

II. Die Ursachen für die deutsche Aggressionsbereitschaft

III. Die Deutschlandpolitik der USA

IV. Kurzfristige Maßnahmen in der Zeit der Militärregierung

V. Mögliche Maßnahmen in der Bewährungsphase

VI. Deutschlands ständige Auflagen

A. Unverzichtbare Auflagen

B. Aufschiebbare Auflagen

Teil VI Im Vorfeld von Nürnberg

Otto Kirchheimer und John Herz: Das Statement on Atrocities der Moskauer Dreimächtekonferenz

Franz Neumann: Probleme im Umgang mit den Kriegsverbrechern

Otto Kirchheimer und John Herz: Führerprinzip und strafrechtliche Verantwortung

Einleitung

I

II

III

Anhang I

Anhang II

Bewertung der Quellen, auf die dieser Beitrag Bezug nimmt

Herbert Marcuse: Die Pläne der Nazis zur Beherrschung Deutschlands und Europas: Der Masterplan der Nazis

I. Einleitung

II. Die Rolle der Partei im Herrschaftsplan der Nazis

A. Die NSDAP, ihre Ursprünge und frühe Entwicklung

B. Die Schlüsselfiguren

C. Ziele

D. Besondere Merkmale

E. Frühe Unterstützer

III. Der Masterplan und seine Ausführungsphasen

IV. Der Sturz der demokratisch-parlamentarischen deutschen Regierung und der Kampf für die Errichtung einer NS-Diktatur

A. Politischer Terror gegen die demokratische Regierung

B. Propaganda für eine aggressive Expansion und die Beschaffung neuen Lebensraums

V. Die Ausschaltung der gesamten Opposition und die Errichtung eines totalitären Kontrollapparats in Deutschland

A. Ausradierung der Opposition

B. Judenvernichtung

C. Die Errichtung eines totalitären Kontrollapparats in Deutschland

VI. Wiederaufrüstung und Vorbereitung auf den Angriffskrieg

A. Wiederaufrüstung

B. Interventionen im Ausland

VII. Das Konzept von Lebensraum* und Großraumordnung*

VIII. Rechtswidrige Bestandteile der NS-Besatzungspolitik

A. Allgemeines

B. Politische Kontrolle

C. Wirtschaftliche Ausbeutung

Otto Kirchheimer: Die Pläne der Nazis zur Beherrschung Deutschlands und Europas: Verbrechen im Inland

Einleitung

Verbrechen, die gegen innerdeutsches Recht verstoßen

I. Rechtsgrundlage der Strafbarkeit

Verbrechen im Inland

II. Die Organisation des Terrorismus

Teil VII Ein neuer Feind

Herbert Marcuse: Entwicklungsstand und Aussichten der Gewerkschaften und Betriebsräte in Deutschland

I. Einleitung

A. Das Gewerkschaftswesen in der Zeit vor Hitler

B. Das spontane Wiederaufleben des Gewerkschaftswesens nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes

C. Der Anfang der unterschiedlichen Entwicklungen

D. Grundsatzfragen

II. Die Gewerkschaftsentwicklung in den Westzonen

A. Die amerikanische Zone

B. Britische Zone

C. Französische Zone

III. Die Gewerkschaftsentwicklung in der Ostzone

A. Das Wiederaufleben der Gewerkschaften

B. Wahlen zum Gewerkschaftskongress

C. Die neue Gewerkschaftsstruktur

IV. Die Betriebsräte

A. Die Westzonen

B. Die Ostzone

C. Das Betriebsrätegesetz des Alliierten Kontrollrats

V. Fazit

Herbert Marcuse: Die Potentiale des Weltkommunismus

Vorwort

I. Einleitung

II. Die Entwicklung des Weltkommunismus

III. Das kommunistische Programm

A. Die »Zwei-Lager-Theorie«

B. Der gegenwärtige kommunistische Plan

IV. Die Stärken und Schwächen des Weltkommunismus

A. Allgemeines

B. Der Ostblock

C. Die asiatischen Kolonial- und Halbkolonialländer

D. Die westlichen Länder

Literatur

Register

Vorwort

Zum traditionellen Bild der Frankfurter Schule gehört die Vorstellung, dass es sich dabei um einen Kreis von jüdischen Linksintellektuellen gehandelt hat, der sich aufgrund seiner skeptischen Einschätzung politischer Handlungsmöglichkeiten auf die bloße Analyse der Strukturwandlungen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung beschränkte; zwar mochten einzelne Mitglieder des Kreises von dieser Einschätzung ausgenommen werden, weil sie der einen oder anderen Fraktion der Arbeiterbewegung angehörten, aber im Großen und Ganzen war man doch über einen langen Zeitraum hinweg der Überzeugung, dass sich die Vertreter des Instituts für Sozialforschung in ihrem selbstgewählten Elfenbeinturm recht wohlgefühlt haben. Dass dieses Bild falsch ist, weil es anders gelagerte, praktisch-politisch gerichtete Stränge der Schule sträflich vernachlässigt, haben in den letzten Jahrzehnten bereits nachdrücklich eine Reihe von Studien bewiesen – eine zureichende Vorstellung von Adorno ist, wie wir heute wissen, nur zu erhalten, wenn man in ihm auch den um die Demokratisierung Westdeutschlands bemühten Intellektuellen wahrzunehmen bereit ist (zum Beispiel Demirović 1999; Freyenhagen 2014). Für die am Institut für Sozialforschung beschäftigten Juristen und politischen Wissenschaftler muss gelten, dass sie kontinuierlich am Kampf der Arbeiterbewegung um Verbesserungen der Lebensbedingungen des Proletariats beteiligt waren (exemplarisch Luthardt 1976; Scheuerman 1997 [1994]). Ein vollständiges Bild dieser anderen, politisch aktiven Seite der Frankfurter Schule ist jedoch wohl erst zu gewinnen, wenn man das Buch zur Kenntnis nimmt, das wir hiermit in unserer Reihe veröffentlichen: Es enthält die bislang identifizierten Berichte, die Herbert Marcuse, Franz Neumann und Otto Kirchheimer im Zeitraum zwischen 1943 und 1949 für die Research and Analysis Branch des in Washington beheimateten Office of Strategic Services (OSS) im Abwehrkampf gegen das nationalsozialistische Deutschland verfasst haben.

Die äußerst schwierige Aufgabe, anhand von unterschiedlichen Indikatoren aus der Unmasse der anonymisierten Geheimdienstberichte des OSS diejenigen herauszufiltern, die von diesen drei Mitgliedern des ins Exil getriebenen Instituts für Sozialforschung als Auftragsarbeiten verfertigt wurden, ist dem italienischen Ideenhistoriker Raffaele Laudani gelungen; mittels aufwendiger und mühevoller Recherchen in den US-National Archives in College Park, Maryland, wo die zum Zweck der Bekämpfung Nazideutschlands erstellten Berichte nach 1975 öffentlich zugänglich gemacht wurden, hat er am Ende 31 Schriftstücke identifizieren können, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Autorenschaft entweder von Herbert Marcuse, Franz Neumann oder Otto Kirchheimer zugerechnet werden können. Mit seiner Herausgabe dieser Geheimdienstberichte hat Laudani nach jetzigem Kenntnisstand die äußerst verdienstvolle Arbeit vorerst einmal vollendet, die Alfons Söllner (1986a und 1986b) und Peter-Erwin Jansen (Marcuse 1998) mit ihren jeweiligen Auswahlbänden von Beiträgen der drei beim OSS tätigen Vertreter der Frankfurter Schule schon vor geraumer Zeit begonnen hatten.

Als das von Laudani herausgegebene Buch mit den von Kirchheimer, Marcuse und Neumann in geheimer Mission geschriebenen Analysen 2013 in der Princeton University Press erschien, sorgte das sofort für große Aufmerksamkeit in der intellektuellen Öffentlichkeit der USA; schwarz auf weiß war hier zu lesen, welchen Beitrag zumindest eine Untergruppe des stets als ein wenig versponnen und überdies als dogmatisch-marxistisch angesehenen Zirkels der Frankfurter Schule zum Kampf der Alliierten gegen den nationalsozialistischen Kriegsgegner geleistet hatte (vgl. Scheuerman 2013). Zur Paradoxie der Wirkungsgeschichte dieses Theoriezirkels gehört es, dass die in mittelmäßigem Englisch geschriebenen Geheimdienstberichte nun für unsere Veröffentlichung erst in die Sprache zurückübersetzt werden mussten, die ihre Autoren zu schreiben gelernt hatten und die ihnen stilistisch daher immer wieder in die Parade fuhr; in ihren kurzen Anmerkungen berichtet die Übersetzerin von den Schwierigkeiten, vor die sie die daraus resultierenden Hybridgebilde in Syntax und Semantik bei ihrer Arbeit regelmäßig gestellt haben. Dass die umfangreiche Übersetzung vom Institut für Sozialforschung aber überhaupt gestemmt werden konnte, verdankt sich einer großzügigen Spende der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur; schon an dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei Jan Philipp Reemtsma bedanken, der vor knapp zwei Jahren schnell und unkompliziert meiner Bitte nachgekommen ist, uns bei dem unsere ökonomischen Möglichkeiten weit übersteigenden Vorhaben finanziell unter die Arme zu greifen.

Was dank dieser Hilfe entstanden ist, stellt ein in die Muttersprache der Verfasser rückübersetztes Dokument dar, das ein einzigartiges Kapitel in der verschlungenen Geschichte des seit 1930 von Max Horkheimer geleiteten Instituts für Sozialforschung bildet. Auch wenn die drei Autoren nicht im Auftrag des Instituts gehandelt haben, als sie im Jahr 1943 der Einladung des OSS folgten, ihre intellektuellen Fähigkeiten und Deutschlandkenntnisse dem geheimdienstlichen Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland zur Verfügung zu stellen, spiegelt sich in ihren zu diesem Zweck verfassten Berichten doch dessen Geist und Arbeitsweise aufs Genaueste. Marcuse, Neumann und Kirchheimer, die in Hinblick auf akademische Herkunft, theoretische Ausrichtung und politische Orientierung zunächst wenig miteinander teilten, waren auf sehr unterschiedlichen Wegen zum Kreis um Max Horkheimer gestoßen: Marcuse war bekanntlich Doktorand von Heidegger in Freiburg gewesen, bevor er sich in bitterer Enttäuschung über die nationalsozialistische Gesinnung seines Lehrers an das bereits nach Genf umgesiedelte Institut wandte, um an der Ausarbeitung der philosophischen Grundlagen einer kritischen Gesellschaftstheorie mitzuarbeiten; Neumann, der Rechtswissenschaften, Philosophie und Ökonomie studiert hatte, war als für die SPD tätiger Arbeitsrechtler schon 1933 zur Flucht nach London gezwungen gewesen, von wo aus er drei Jahre später auf Anraten von Harold Laski dem Institut seine Dienste anbot, dem er als juristisch informierter Fachmann für die Strukturanalyse des sich wandelnden Kapitalismus zur Verfügung stehen wollte; und Kirchheimer, vormals Doktorand von Carl Schmitt an der Universität Bonn, nahm seine Kooperation mit dem Institut im Pariser Exil auf, wohin er mit Hilfe eines Stipendiums der London School of Economics 1933 geflohen war, weil er als sozialistisch orientierter Jurist unter der beginnenden Diktatur der Nazis verfolgt zu werden drohte. So unterschiedlich die Wege zum Institut für Sozialforschung für die drei Wissenschaftler mithin auch gewesen sind, man fand sich dann schließlich im New Yorker Exil zusammen, wo Max Horkheimer für sein Unternehmen eine vorläufige Bleibe an der Columbia University gefunden hatte.1 Wie es dort zu einer engeren Verbindung zwischen Marcuse, Neumann und Kirchheimer hat kommen können, die ja dann nach 1943 gemeinsam als Team für das OSS tätig werden sollten, ist im Rückblick kaum mehr auszumachen; die drei Exilanten trafen zu verschiedenen Zeiten in New York ein, verfolgten weit auseinanderliegende Forschungsinteressen und übernahmen überdies am Institut auch höchst unterschiedliche Aufgaben, für die als gemeinsamer Nenner nur gelten kann, dass sie eher an der Peripherie als im Zentrum der bald wieder aufgenommenen Forschungstätigkeit angesiedelt waren. Derjenige unter ihnen, der die größte Befähigung mitbrachte, die Eigenart der sich im fernen Deutschland etablierenden Nazidiktatur zu analysieren, war ohne Frage Franz Neumann; insofern darf er auch als die Person gelten, durch die das 1941 durch Dekret von Präsident Roosevelt gegründete Office of Strategic Services auf die brachliegenden und zukünftig zu nutzenden Kompetenzen der drei so verschiedenen Männer aufmerksam wurde.2

Schon im Jahr 1933, kurz nach seiner Ankunft in London, hatte Neumann in der Zeitschrift The Political Quarterly einen Aufsatz mit dem Titel The Decay of German Democracy (Neumann 1978 [1933]) veröffentlicht, in dem sich vieles von dem vorweggenommen findet, was er im amerikanischen Exil zum Gegenstand seiner weiteren Forschungen machen sollte. Anders als im Kreis um Horkheimer, in dem man damals unter Federführung von Friedrich Pollock die These vertrat, dass im sich abzeichnenden Herrschaftssystem des Nationalsozialismus die Steuerungshoheit vom kapitalistischen Markt auf den zentralisierten Staat übergegangen sei (exemplarisch Pollock 1975a [1941]), war Neumann in seinem Aufsatz vom Fortwirken kapitalistischer Imperative auch unter den neuen politischen Rahmenbedingungen überzeugt; seiner Auffassung zufolge, für die er mit einem erstaunlichen Maß an ökonomischem Sachverstand argumentierte, hatte sich unter der nationalsozialistischen Parteiherrschaft nur ein Gestaltwandel der kapitalistischen Wirtschaftsform vollzogen, der darin bestand, mit Hilfe von diktatorischen Maßnahmen alle Macht zur Gestaltung des Marktes den beiden Großgruppen des Monopolkapitals und der Großgrundbesitzer zu übertragen. Hinter diesen unterschiedlichen Deutungen der Entstehung und Funktion der Nazidiktatur verbargen sich tieferliegende Differenzen, die weit bis in die gesellschaftstheoretischen Grundannahmen reichten: Während bei Horkheimer und seinem Kreis, also im Zentrum des Instituts für Sozialforschung,3 die Neigung bestand, gesellschaftliche Herrschaft als einlinig von oben nach unten verlaufend aufzufassen, ging Neumann eher davon aus, dass Herrschaft innerhalb eines gesellschaftlichen Systems nur bei Kompromissbildung unter verschiedenen, je nach rechtlicher Grundlage unterschiedlich vielen Gruppen aufrechtzuerhalten ist.4 Diese Sichtweise, die den Normalfall eines Pluralismus jeweils herrschender Gruppierungen unterstellte und daher die konflikthaften Prozesse der Interessenabstimmung ins Zentrum rücken ließ, blieb für Franz Neumann auch richtungsweisend, als er sich im New Yorker Exil an die Abfassung einer systematischen Studie zur Genese und Struktur der neuen, nationalsozialistischen Herrschaftsordnung machte; das Ergebnis der sich über fünf Jahre erstreckenden Recherchen, die 1942 in der ersten Auflage veröffentlichte Monografie Behemoth,5 kann nicht nur trotz aller offensichtlichen Mängel als ein bis heute maßgeblicher Beitrag zur Erforschung der Nazidiktatur gelten (Hilberg 2002; Schäfer 1977); vielmehr diente diese Studie den drei ein wenig später beim OSS beschäftigten Vertretern der Frankfurter Schule auch so stark als gemeinsamer Analyserahmen ihrer geheimdienstlichen Forschungstätigkeit, dass es gerechtfertigt scheint, mit Alfons Söllner von dem Triumvirat nur als der »Neumann-Gruppe« zu sprechen (Söllner 1986c).

Bereits in dem Begriff, den Neumann in seiner Studie wählte, um die Eigenart des nationalsozialistischen Gesellschaftssystems zu charakterisieren, kam der ganze Abstand zu der im Horkheimer-Zirkel bevorzugten Deutungsperspektive zum Tragen: Wurde dort im Anschluss an Friedrich Pollock das NS-Regime als »staatskapitalistisches« Gebilde bezeichnet – eine Formulierung, die in ihrer Abhebung auf die steuernde Wirkung eines hochgradig zentralisierten Staates auch für die Dialektik der Aufklärung noch bestimmend bleiben sollte (vgl. Honneth 1989 [1985]: Kap. 2) –, so sprach Neumann vom »totalitären Monopolkapitalismus«, wenn es um die Eigenschaften des Gesamtsystems ging (Neumann 1977 [1942/1944]: 313). Beide Bestandteile dieses Begriffs besitzen in Behemoth eine zentrale Bedeutung, die angemessen zu verstehen eine notwendige Voraussetzung für den Nachvollzug der Stoßrichtung der hier vorliegenden Geheimdienstberichte von Kirchheimer, Marcuse und Neumann bildet. Mit dem Ausdruck »totalitär« zielte der Autor zunächst einmal auf die politische Dimension der neuen Herrschaftsordnung, die er allerdings nicht im Sinne der umfassend wirksamen Gewalttätigkeit eines einzigen, strikt zentral gesteuerten Staatsorgans aufgefasst wissen wollte; stattdessen unterstellte er ganz im Sinne seiner schon zuvor entwickelten Überlegungen eine Pluralität unterschiedlicher Herrschaftsgruppen, zu denen nach der 1933 einsetzenden Ausschaltung der Organisationen der Arbeiterklasse nur noch die Spitzen der NS-Partei, des Monopolkapitals, der Staatsbürokratie und des Militärs gehören sollten. Die uneingeschränkte Vormachtstellung dieser nunmehr vier Gruppierungen war aus der Sicht von Neumann möglich geworden, weil der inzwischen weitgehend durch kapitalistische Monopolunternehmen dominierte Markt einer Regulierung durch das liberale Rechtssystem nicht mehr bedurfte, so dass jegliche Nötigung zur Bewahrung zumindest des Anscheins allgemeinverbindlicher Gesetze weggefallen war (vgl. Iser und Strecker 2002: 14–17). »Totalitär« hieß daher im Behemoth zunächst einmal, dass die Herrschaftsausübung ungehindert von allen rechtlichen Kontrollen allein den Eliten der Partei, der monopolistischen Betriebe, der Staatsverwaltung und des Militärs überlassen war, die ihre jeweiligen Funktionen nur in strikter Abhängigkeit voneinander ausüben konnten:

»Die Armee braucht die Partei, weil der Krieg total ist. Die Armee ist außerstande, die Gesellschaft ›total‹ zu organisieren; das ist Sache der Partei. Andererseits ist die Partei auf die Armee angewiesen, um den Krieg zu gewinnen und damit ihre eigene Macht festigen und sogar vergrößern zu können. Beide brauchen die monopolistische Industrie, die ihnen für die kontinuierliche Expansion bürgt. Und alle drei brauchen die Bürokratie, um die technische Rationalität zu erlangen, ohne die das System nicht funktionsfähig wäre.« (Neumann 1977 [1942/1944]: 460)

Weil diese vier Gruppierungen freilich jeweils so souverän waren, dass sie innerhalb ihrer vorgegebenen, arbeitsteilig ineinandergreifenden Zwecke stets eigene Interessen verfolgen konnten, bedurfte es untereinander ständiger Absprachen und Aushandlungen, um sich auf gemeinsame Ziele und entsprechende Maßnahmen einigen zu können. Erleichtert wurde das Zustandekommen solcher Kompromisse aus der Sicht Neumanns dadurch, dass man wechselseitig an die ökonomischen Imperative gebunden war, die die monopolistisch vereinseitigte Marktwirtschaft von sich aus vorgab; insofern mussten alle Regelungen, auf die sich die an der Herrschaftsausübung beteiligten Gruppierungen in konflikthaften Verhandlungen festzulegen vermochten, die Auflage erfüllen, die kapitalistischen Verwertungsbedingungen der Monopolunternehmen langfristig sicherzustellen. Kompromissgestützte Gewaltherrschaft von vier Machteliten zugunsten eines monopolistisch organisierten Wirtschaftssystems war, was Franz Neumann vor Augen hatte, als er in seinem Behemoth die Gesamtverfassung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems als einen »totalitären Monopolkapitalismus« bezeichnete.

Dieser diagnostische Schlüsselbegriff, in dem bereits sowohl die Stärken als auch die Schwächen, die Einsichten als auch die blinden Flecke der im Behemoth entwickelten Analyse angelegt sind,6 gab dann auch die Perspektive vor, aus der heraus sich Franz Neumann in seiner Studie die Möglichkeit einer erfolgreichen Bekämpfung des NS-Regimes auszumalen versuchte. Sein Augenmerk war dabei vor allem auf die Zerschlagung der kapitalistischen Monopolwirtschaft mit Hilfe einer von außen wieder zur einstigen Machtfülle verholfenen Arbeiterbewegung gerichtet; in diesem Sinn heißt es schon am Ende der ersten Auflage des Behemoth im Jahre 1942:

»Um die Aggression zu beseitigen, muß außer der Entmachtung von Partei, Wehrmacht und hoher Bürokratie die Macht der Monopolwirtschaft endgültig gebrochen werden und die ökonomische Struktur Deutschlands grundlegend verändert werden. […] Der Sturz dieses Regimes kann einzig durch das bewußte Handeln der diese Risse und Brüche [im nationalsozialistischen Deutschland; A.H.] ausnützenden Massen erfolgen.« (Ebd.: 549 f.)

In deutlichem Unterschied zu der pessimistischen Geschichtsbetrachtung, die zur selben Zeit um Horkheimer und Adorno im Zentrum des Instituts vorherrschte, schien Neumann also weiterhin von der Unempfindlichkeit großer Teile der deutschen Bevölkerung gegenüber der nationalsozialistischen Propaganda überzeugt; es bedurfte aus seiner Sicht nur der alliierten Unterstützung bei der Wiederaufrichtung der zuvor gewaltsam ausgeschalteten Arbeiterorganisationen, um in einer gemeinsamen Kraftanstrengung das Übel des monopolistisch organisierten Wirtschaftssystems überwinden zu können, das von ihm in letzter Instanz als ursächlich für die fatale Entwicklung in Deutschland angesehen wurde. Als sei die Kontinuität der weit in das 19. Jahrhundert zurückreichenden Geschichte der Arbeiterbewegung durch die zivilisatorische Katastrophe nicht zerrissen worden, wird noch einmal das Bild einer Umsetzung kritischer Theorie in revolutionäre Praxis umrissen.

Nimmt man diesen trotz aller nüchtern-realistischen Einsichten am Ende doch zuversichtlichen, noch ganz auf eine sozialistische Zukunft setzenden Grundton des Behemoth zur Kenntnis, so kann nicht überraschen, dass es einige Irritationen gab, als die drei Vertreter des Instituts dann schließlich im Laufe des Jahres 1943 die Räume der Research and Analysis Branch des OSS in Washington bezogen, um hier ihre nachrichtendienstliche Tätigkeit aufzunehmen. Am schönsten hat John H. Herz, ein ehemaliger Doktorand Hans Kelsens, der ebenfalls in die USA emigriert war und nun für den Geheimdienst tätig zu werden begann, beschrieben, wie man auf den Dienstantritt des illustren Gespanns unter den Mitarbeitern reagierte: »Es war«, so heißt es ironisch in seiner Autobiografie, »als hätte sich der linkshegelianische Weltgeist vorübergehend in der Mitteleuropäischen Abteilung des OSS angesiedelt.« (Herz 1984: 136) Allerdings ist im Folgenden dann auch zu lesen, dass von dieser revolutionären Gesinnung der Gruppe um Franz Neumann schon zu Beginn ihrer Tätigkeit nur die Überzeugung geblieben war, das »nachnazistische Deutschland« müsse eine Demokratie sein, »die den Weg zum Sozialismus zulassen würde« (ebd.). Auf jeden Fall schlug sich das, was Neumann in seinem Behemoth an Analyse der »Struktur und Praxis des Nationalsozialismus« geliefert hatte, von nun an in den von den drei neuen Mitarbeitern verfassten Geheimdienstberichten bis in einzelne Details nieder; auch Otto Kirchheimer und Herbert Marcuse, so getrennt ihre Wege hin zum OSS auch verlaufen waren, hatten die Ergebnisse der Recherchen ihres Freundes so weit übernommen, dass dessen These eines »totalitären Monopolkapitalismus« den Rahmen ihrer gemeinsamen Forschungstätigkeit bildete.

Dementsprechend lenkten Kirchheimer, Marcuse und Neumann ihre Aufmerksamkeit dann auch sofort auf die Absprachen, mit deren Hilfe sich die vier herrschenden Gruppierungen in Nazideutschland jeweils bar aller rechtlichen Absicherungen auf zu ergreifende Maßnahmen der Kriegsführung, der Feindbekämpfung und der wirtschaftlichen Versorgung zu einigen versuchten. Die drei »Linkshegelianer« widersprachen von Beginn an entschieden der in den amerikanischen Geheimdienstkreisen verbreiteten Vorstellung, nach der es vor allem die Absichten und Belange der Vertreter des preußischen Militarismus waren, die sich hinter der aggressiven Expansionspolitik der Nazis verbargen; immer wieder richtete das Gespann dagegen den Blick auf die an technischen Erfolgskriterien orientierten, gerade nicht die traditionellen Militärtugenden berücksichtigenden Handlungsstrategien, mit denen im engen Bündnis zwischen monopolistischen Wirtschaftsführern und der zunehmend die Vorherrschaft gewinnenden Parteispitze die nächsten Schritte im Vernichtungsfeldzug geplant wurden. Es dürfte nun, da das ganze Konvolut der Geheimdienstberichte der Neumann-Gruppe vorliegt, Aufgabe zukünftiger Forschung sein, aus der Masse der Aufzeichnungen und Stellungnahmen das Bild herauszuschälen, das damals vom Nationalsozialismus auf dem Höhepunkt des Krieges entworfen werden sollte; es zeichnet sich ab, dass einige Elemente des Behemoth im laufenden Prozess stillschweigend einer Korrektur unterworfen wurden, auch wenn dessen grober Rahmen – das zentrale Gewicht der Rentabilitätsbedingungen der monopolistischen Wirtschaftsunternehmen, die Angewiesenheit auf ständige Kompromissbildungen unter den jetzt tendenziell auf drei reduzierten Herrschaftsgruppierungen (Parteiapparat, Monopolkapital und Militär), die relativ geringe Bedeutung von Kultur und ideologischer Beeinflussung – anscheinend im Großen und Ganzen beibehalten wurde. Deutlich zu sehen ist, dass den Mittelschichten, angefangen von der unteren Angestelltenschaft bis hin zum mittelständischen Unternehmen, nun weitaus größere Aufmerksamkeit als im Behemoth geschenkt wurde; unzweideutig zu erkennen ist auch, dass Marcuse, der im Triumvirat als der eigentlich spekulative Kopf galt, stark darum bemüht war, der manipulativen Rolle der kulturindustriellen Medien mehr an herrschaftssichernden Funktionen einzuräumen, als es Neumann in seiner Studie getan hatte. Aber ob solche Verschiebungen, wie sie sich in der Gänze der hier vorliegenden Beiträge immer wieder finden, am Ende ausreichen, um ein vom Behemoth markant abweichendes Bild des Nationalsozialismus zu liefern, lässt sich dann wohl doch bezweifeln; eher hat man den Eindruck, dass Kirchheimer und Marcuse den Rahmen der ab 1944 in einer zweiten, erweiterten Auflage vorliegenden Untersuchung ihres Freundes und Mitstreiters akzeptierten und ihn nur je nach Gegenstand der angeforderten Berichte stillschweigend korrigierten, ergänzten oder erweiterten. Was diese Fragen der Abweichungen vom und Übereinstimmungen mit dem Behemoth anbelangt, so haben sowohl Alfons Söllner (1986c) in seiner langen Einleitung zum von ihm herausgegebenen Sammelband Zur Archäologie der Demokratie in Deutschland als auch Raffaele Laudani in seiner Einleitung zur Originalausgabe des hier vorliegenden Bandes bereits wertvolle Vorarbeit geliefert; erst weitere Forschungen werden aber zeigen können, ob sich in den Berichten von Kirchheimer, Marcuse und Neumann überhaupt ein einheitliches Bild des Nationalsozialismus findet und, wenn ja, bis zu welchem Grad sich dieses von der im Behemoth schon präsentierten Analyse unterscheidet.

Je massiver die Niederlagen der deutschen Wehrmacht an den verschiedenen Fronten wurden und parallel dazu die Durchhaltebereitschaft der Zivilbevölkerung im Schwinden begriffen war, so dass sich ein Sieg der alliierten Mächte abzuzeichnen begann, desto stärker erging an die Neumann-Gruppe im OSS die Aufforderung, ihre Arbeit der strategischen Vorbereitung der Nachkriegssituation zu widmen; zum einen hieß dies, die Möglichkeiten einer strafrechtlichen Verfolgung der für den nationalsozialistischen Terror Verantwortlichen juristisch zu erkunden, zum anderen, die Bedingungen eines politischen Wiederaufbaus nach Maßgabe der alliierten Militärregierung zu ermitteln. Auf beide Aufgaben stürzten sich die drei Intellektuellen, wie hier am IV. und V. Teil der Geheimdienstberichte unschwer festzustellen ist, mit großer Energie, Begeisterung und einem stupenden Detailwissen um die Vorgänge im fernen Deutschland, ergab sich doch damit die Chance, den seit Beginn des Exils schmerzlich empfundenen Abstand zwischen Theorie und Praxis endlich wieder zu verringern. Der ganze Elan, mit dem diese neue Aufgabe aufgenommen wurde, unterstreicht zudem noch einmal, wie irreführend die These stets war, dass sich die Vertreter des Instituts für Sozialforschung mit der Lage erzwungener Handlungslosigkeit je gütlich abgefunden oder sich darin sogar wohlgefühlt hätten.

Was die erste der beiden Aufgaben anbelangte, also die Vorbereitung der von amerikanischer Seite ins Visier genommenen Gerichtsverfahren gegen die Protagonisten des nationalsozialistischen Regimes, so fiel sie weitgehend in die Hände von Kirchheimer und Neumann, die als Juristen dafür unzweideutig über die größeren Kompetenzen verfügten; zeitweilig unterstützt durch ihren Kollegen John H. Herz, machten sich beide an die Lösung des Problems, rechtliche Argumente zu entwickeln, die es den geplanten Strafprozessen erlauben würden, unter Umgehung des Rückwirkungsverbots andersgelagerte, höhere Rechtsgrundsätze gegen die prospektiven Angeklagten ins Spiel zu bringen. Mit den Überlegungen, die zu diesem Zweck in den verschiedenen Berichten erarbeitet wurden, hat die Gruppe um Neumann, wie wir inzwischen aus Forschungsbeiträgen wissen (zusammenfassend Perels 2002), entscheidenden Einfluss auf die Erarbeitung des rechtsphilosophischen Gerüsts der alliierten Kriegsverbrecherprozesse nehmen können; denselben Recherchen ist freilich ebenso zu entnehmen, dass es bei einer solchen bloß intellektuellen Beihilfe weitgehend blieb, da der analytische Rahmen der von den »Frankfurtern« erstellten Memoranden als zu »abstrakt«, ja vielleicht auch als zu radikal für die Belange der konkreten Prozessführung angesehen wurde (ebd.: 85 ff.).

Ein wesentlicher Punkt der Divergenz zwischen den amerikanischen Auftraggebern und ihren »linkshegelianischen« Berichterstattern bezog sich an dieser Stelle auf ein Thema, das auch für die Bearbeitung des zweiten kurz vor dem Kriegsende ins Zentrum gerückten Aufgabenfeldes von nicht unerheblicher Relevanz war. So, wie es den drei Exilanten aufgrund ihrer bisherigen Analysen selbstverständlich schien, dass auch den monopolistischen Wirtschaftsführern wegen ihrer erheblichen Mitschuld am nationalsozialistischen Terror der Prozess gemacht werden müsste, waren sie gleichzeitig der Überzeugung, dass nur eine Beseitigung der kapitalistischen Monopolwirtschaft in Deutschland einen Weg zur Schaffung von demokratischen Verhältnissen bereiten könnte; in weitgehender Übereinstimmung mit dem, was Neumann bereits im Behemoth an Plänen für eine zukünftige Befreiung seines Heimatlands vom Joch des Nationalsozialismus skizziert hatte, hielt man auch jetzt daran fest, dass es zur Vorbereitung weiterer Schritte der Redemokratisierung zunächst einer Entmachtung der monopolistischen Eliten und im Gleichklang damit einer Wiedererstarkung der Arbeiterorganisationen bedürfte. Bei aller Vorsicht, die die drei angesichts der politischen Situation in den USA gewiss walten ließen, wird an der Stoßrichtung ihrer Empfehlungen für die amerikanische Besatzungspolitik doch deutlich, dass sie ihre sozialistischen Gesinnungen über die im OSS verbrachten Jahre hinweg nicht preisgegeben hatten. Sie blieben, was sie zu Beginn ihres Exils bereits waren: an der marxistischen Tradition orientierte jüdische Linksintellektuelle, die der nationalsozialistische Terror zunächst Zuflucht beim Institut für Sozialforschung hat suchen und dann sogar gemeinsam in engster Zusammenarbeit für den amerikanischen Geheimdienst hat tätig werden lassen.

Als nach dem Ende des Krieges das OSS im September 1945 aufgelöst und die verbleibenden Abteilungen dem Kriegsministerium zugeschlagen worden waren, wo sie zur Keimzelle der 1947 gegründeten CIA wurden, zerstreuten sich die Wege der drei Freunde und Kollegen bekanntlich alsbald in die verschiedensten Richtungen; zwar blieben sie noch über einige Jahre mit unterschiedlichen Aufgaben für das State Department tätig (vgl. Müller 2010: 59–68), aber die sich während dieses Zeitraums eröffnenden Beschäftigungsmöglichkeiten an akademischen Einrichtungen sorgten dann doch dafür, dass Kirchheimer, Marcuse und Neumann getrennte Laufbahnen einschlugen. Otto Kirchheimer blieb noch bis 1955 als Chef der Mitteleuropa-Abteilung für das Office of Intelligent Research tätig, um dann eine Professur für Politische Wissenschaften an der New School for Social Research in New York zu übernehmen; Herbert Marcuse fand 1952 mit Hilfe eines Stipendiums der Rockefeller Foundation eine Anstellung am Osteuropa-Institut der Columbia University, wo er an einer Studie über den sowjetischen Marxismus zu arbeiten begann; Franz L. Neumann schließlich wurde schon 1948 Professor für Politische Wissenschaften an derselben Universität. So kam schrittweise zu einem Ende, was sicherlich als eine der zugleich spannendsten und irritierendsten Phasen in der Geschichte der Kritischen Theorie gelten kann: ihr Einsatz als praktisch gewendetes Analyseinstrument im geheimdienstlichen Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland.

Der vorliegende Band hätte ohne die Hilfe und Zuarbeit einer Reihe von Personen nicht realisiert werden können, denen ich als Herausgeber unserer Reihe zu großem Dank verpflichtet bin. Schon zu Beginn habe ich erwähnt, wie unabdingbar für das ganze Unternehmen die finanzielle Unterstützung war, die uns Jan Philipp Reemtsma über die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur hat zukommen lassen – den Dank an ihn möchte ich daher an dieser Stelle noch einmal wiederholen. Zu danken habe ich auch Raffaele Laudani, der nach unserem Kontakt an der Columbia University im Herbst 2013 schnell und unkompliziert bereit war, uns die Rechte an dem von ihm herausgegebenen Band zu überlassen. Kaum zu überschätzen für das Zustandekommen des Buches ist zudem die mühevolle Arbeit, die Christine Pries in die Übersetzung der in mittelmäßigem Englisch geschriebenen Texte investiert hat; auch ihr, deren tägliche Kämpfe mit dem schwer erschließbaren Material ich aus nächster Nähe beobachten konnte, bin ich zu großem Dank verpflichtet. Ein ebenso großer Dank gilt schließlich der wissenschaftlichen Referentin des Instituts für Sozialforschung, Sidonia Blättler, die sich des Projekts sofort mit leidenschaftlichem Interesse angenommen und es bis zum Ende mit klugem Auge überwacht hat.

Axel Honneth

Frankfurt am Main, im August 2015

Anmerkungen der Übersetzerin

Als Herbert Marcuse, Franz Neumann und Otto Kirchheimer ihre Secret Reports für den amerikanischen Geheimdienst verfassten, sprachen sie nach Auskunft von Zeitzeugen jenes »broken English«, das damals für viele Emigranten typisch war. Das machte sich natürlich auch in ihren Texten bemerkbar: Im Vergleich zu ihrem deutschen Wortschatz waren ihre Ausdrucksmöglichkeiten geringer, die deutschen Quellen, die sie verwendet und größtenteils selbst ins Englische übersetzt hatten, weisen sprachliche Unebenheiten und große Unterschiede in der Wortwahl auf. Ohne dass darin eine Systematik erkennbar wäre, wird zum Beispiel die deutsche »Behörde« manchmal mit »agency«, manchmal mit »authority« und manchmal auch schlicht mit »office« übersetzt, was aber wiederum auch »Amt« heißen kann. Das Englisch der Texte wirkt häufig schwerfällig; an manchen Stellen scheint deutlich die eine oder andere deutsche Redewendung durch.

Für die hier vorliegende Übersetzung war das einerseits von Vorteil, weil an vielen Stellen deutsche Formulierungen automatisch auf der Hand lagen, andererseits aber auch von Nachteil. Marcuses, Neumanns und Kirchheimers Englisch war nicht falsch, aber nicht immer so klar, wie man es sich (zumal als Übersetzerin) wünschen würde. Manche Sätze sind sozusagen weder englisch noch deutsch, so dass sie auch für den amerikanischen Native Speaker nur schwer verständlich sind und das Gemeinte aus dem Kontext erschlossen werden muss. Hinzu kamen unvollständige Sätze, unklare Bezüge, uneindeutige Abkürzungen und unleserliche Stellen, die den Balanceakt, den jede Übersetzung zwischen Lesbarkeit und Treue zum Text leisten muss, im vorliegenden Fall besonders schwindelerregend machten. Der Berichtcharakter der Texte und die damalige Ausdrucksweise (Nazipartei, Fremdarbeiter) wurden so weit wie möglich beibehalten. Bei den häufig sehr technisch gehaltenen Empfehlungen der drei Autoren für den Einmarsch und die Besetzung Deutschlands durch alliierte Truppen ließ sich eine gewisse Sperrigkeit manchmal nicht vermeiden. Um der besseren Lesbarkeit willen wurden aber zum Beispiel die »United Nations« nicht mit den vor 1945 im deutschen Sprachraum häufiger verwendeten »Vereinigten Nationen«, sondern mit »Vereinten Nationen« übersetzt, wie es sich nach 1945 endgültig durchsetzte. Die stilistischen Unbeholfenheiten, die den begrenzten Ausdrucksmöglichkeiten im Englischen geschuldet sind (dreimal dasselbe Verb in einem Satz), wurden – möglichst ohne die ursprüngliche Ungehobeltheit ganz zu verdecken – in der Übersetzung ebenfalls behutsam geglättet, zumal es sicherlich keine Lösung sein kann, das gebrochene Englisch deutscher Muttersprachler als gebrochenes Deutsch wiederzugeben. Das Deutsch, das Marcuse, Neumann und Kirchheimer geschrieben hätten, wenn die Secret Reports auf Deutsch verfasst worden wären, ist dabei aber natürlich nicht herausgekommen.

Mit Ausnahme von Hitler, Himmler, Goebbels und Göring habe ich auch die von Marcuse, Neumann und Kirchheimer zitierten deutschen Quellen, die trotz aller Bemühungen heute nicht mehr auffindbar waren (Pressemitteilungen, Zeitungsartikel, Berichte über NSDAP-Versammlungen u.ä.), nicht, wie sonst üblich, in indirekter Rede wiedergegeben, sondern um der besseren Lesbarkeit willen – ohne dies jeweils eigens anzumerken – als Zitate ins Deutsche rückübersetzt, wobei es nicht immer gelungen sein dürfte, den Originalwortlaut zu treffen. Sofern nicht anders vermerkt, stammen die Übersetzungen der von den drei Autoren verwendeten englischen Quellen ebenfalls von mir. Die Namen von amerikanischen Institutionen und die Abkürzungen wurden soweit eingedeutscht, wie es für das Verständnis sinnvoll erschien. Im Original deutsche Wörter sind mit einem Sternchen (*) markiert, wie es mittlerweile gang und gäbe ist. Offenkundige kleinere Tipp- und Druckfehler habe ich stillschweigend korrigiert, zumal sich anhand der amerikanischen Buchfassung nicht immer feststellen ließ, wann und von wem sie gemacht wurden, und es sich hier zwar um eine möglichst genaue, aber nicht um eine historisch-kritische Ausgabe von Marcuses, Neumanns und Kirchheimers Berichten handelt. Kleinere Ergänzungen (zum Beispiel Vornamen, Daten, Untertitel u.ä.) sowie ergänzende Literaturverweise sind mit einfachen spitzen Klammern (‹…›) kenntlich gemacht, größere Eingriffe in den Text von meiner Seite sind annotiert, die bibliografischen Angaben von Marcuse, Neumann und Kirchheimer wurden in ihrer historischen Form belassen, alle Zusätze aber den heutigen Gepflogenheiten angepasst und durch einen Verweis auf ein zusätzlich erstelltes Literaturverzeichnis vervollständigt. Die bereits 1982 beziehungsweise 1986 für die beiden von Alfons Söllner herausgegebenen Bände Zur Archäologie der Demokratie in Deutschland zumindest teilweise übersetzten sieben Kapitel (vgl. Kap.: Zu den Texten, S. 27) wurden für die hier vorliegende Fassung durchgesehen, ergänzt und an die übrigen Kapitel angepasst. Ich bin Alfons Söllner und der Übersetzerin Sabine Gwinner (heute Eichmüller), zu der wir Kontakt aufnehmen konnten, dankbar, dass wir auf ihrer Arbeit aufbauen durften.

Für ihre große Hilfsbereitschaft bei der Literaturbeschaffung möchte ich außerdem Frau Regina Elzner vom Deutschen Exilarchiv in Frankfurt am Main, Frau Isabella Haffelder aus der Bereichsbibliothek des Historischen Seminars der Universität Heidelberg, Frau Jutta Stanzel vom Europäischen Dokumentationszentrum am Institut für Politikwissenschaft der Universität Marburg, dem Team der Universitätsbibliothek J.C. Senckenberg in Frankfurt am Main sowie der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main und Leipzig danken. Darüber hinaus bin ich Sidonia Blättler vom Institut für Sozialforschung, dem Marcuse-Herausgeber Peter-Erwin Jansen, dem Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe und last but beileibe not least dem Native Speaker Frederick Neuhouser zu großem Dank verpflichtet.

Dank

Mit Rat- und Vorschlägen haben viele zur Realisierung dieses Bandes beigetragen: Carlo Galli, Anna Guagnini, Peter-Erwin Jansen, Barry Katz, Ira Katznelson, Mariuccia Salvati, Anna Soci, Nadia Urbinati, Dominique Vidal und Richard Wolin. Ihnen und dem Personal der National Archives and Records Administration danke ich herzlich.

R.L.

Zu den Texten

Die in diesem Band versammelten Texte stellen eine umfassende Auswahl der Geheimdienstberichte über Nazideutschland dar, die während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach von Franz Neumann, Herbert Marcuse und Otto Kirchheimer in ihrer Eigenschaft als Analytiker in der Mitteleuropa-Sektion der Research and Analysis Branch (R&A), der Forschungs- und Analyseabteilung des Office of Strategic Services (OSS)7 angefertigt wurden. Die zwischen 1975 und 1976 freigegebenen Schriftstücke werden in der Civil Archives Division, Legislative and Diplomatic Branch der US-National Archives in College Park, Maryland, Research Group 59, verwahrt; mit wenigen Ausnahmen sind sie alle auf Mikrofilm verfügbar (R&A Finished Reports).

Alle diese Texte sind unterschiedlich; sie sind verschieden lang und erfüllen verschiedene Funktionen: Manche kommentieren zeitgenössische politische Ereignisse, manche ordnen ein spezifisches Phänomen historisch und politisch ein, und manche geben lange und komplizierte Berichte. Ursprünglich kursierten die Schriftstücke in anonymisierter Form und waren nur mit einem Titel, ihrem internen Erscheinungsdatum und einer Katalognummer versehen. Aus diesem Grund ist die Zuschreibung der einzelnen Berichte umstritten: Als einer der ersten, der über das Material aus dem Archiv des OSS arbeitete, vertrat Alfons Söllner in seiner zweibändigen Archäologie der Demokratie in Deutschland (Söllner 1986a und 1986b) die Auffassung, dass es unmöglich sei, einzelne Verfasser für die jeweiligen Berichte zu ermitteln, weil an deren tatsächlicher Umsetzung viele Analytiker beteiligt gewesen seien. Obwohl es sicherlich zutrifft, dass die Berichte das Ergebnis von Teamwork waren und sich in den verschiedenen Umsetzungsphasen häufig mehrere Analytiker substantiell an ihnen beteiligten, oblag, wie neue, Söllner noch nicht zugängliche Quellen zeigen, die Abfassung jedes Berichts ohne Frage klar der Verantwortung eines oder mehrerer Autoren, die eine Arbeitsgruppe koordinierten, die Forschungsarbeit planten und den Löwenanteil des Textes aufsetzten. Herbert Marcuses Texte Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Kap. 14), Die Auflösung der Nazipartei und der an sie angeschlossenen Organisationen (Kap. 16) und Politische Richtlinien zur Wiederbelebung alter Parteien und zur Gründung neuer Parteien in Deutschland (Kap. 18) sind hierfür ausgezeichnete Beispiele: Wie der Verfasser selbst in einem im Frankfurter Marcuse-Archiv aufgefundenen Schriftstück erklärt, das höchstwahrscheinlich im Rahmen einer Bewerbung für eine akademische Position entstand und inzwischen unter dem Titel Description of Three Major Projects (Marcuse 1998e) erschienen ist, schrieb Marcuse die drei Texte selbst und nahm für die Zusammenstellung des Datenmaterials und der bibliografischen Angaben die Hilfe verschiedener Mitarbeiter in Anspruch. Ähnlich wie bei Arbeiten, die in einem Verlag oder in einer Zeitschrift erscheinen, wurde die Schlussfassung der Berichte vom Projektausschuss der R&A redaktionell überarbeitet und dann dem Autor zur endgültigen Freigabe vorgelegt.

In der Regel war es möglich, die Namen des tatsächlichen Verfassers beziehungsweise der tatsächlichen Verfasser der einzelnen Berichte herauszufinden, wenn man andere R&A-Dokumente hinzuzog – wie zum Beispiel Briefe, Besprechungsnotizen, Zwischenberichte oder interne Memos, die in der Military Records Division des Nationalarchivs in College Park, insbesondere in den Akten der Research and Analysis Branch, Research Group 226, verwahrt werden und 1980 freigegeben wurden. Diese Forschungsarbeit wurde zuerst von Barry M. Katz für den Band Foreign Intelligence. Research and Analysis in the Office of Strategic Services 1942–1945 (Katz 1989) in Angriff genommen. Seine Hinweise stimmen freilich nicht immer mit den Ergebnissen meiner eigenen Nachforschungen in den amerikanischen Archiven überein, die ich in Vorbereitung dieses Bandes durchgeführt habe. Wie dem auch sei: Ich habe mich entschieden, nur die Texte auszuwählen, bei denen es mit hinreichender Sicherheit möglich war, wenigstens einen der drei Autoren als für seine Abfassung verantwortlich zu bestimmen. Auskünfte über die Verfasser der Texte erfolgen in einer kurzen, dem jeweiligen Text vorangestellten Anmerkung des Herausgebers. Darin werden auch das Schriftstück oder die Schriftstücke, die zum Aufspüren des Autors oder der Autoren herangezogen wurden, sowie die Katalognummer angegeben, unter der der Bericht ursprünglich vom OSS geführt wurde. Wo erforderlich, sind darin auch weitere nützliche Informationen über den Zusammenhang, in dem der Bericht erschien, und über mögliche Koautoren enthalten.

Die Texte Die Kommunistische Partei Deutschlands (Kap. 13), Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Kap. 14), Die Auflösung der Nazipartei und der an sie angeschlossenen Organisationen (Kap. 16), Führerprinzip und strafrechtliche Verantwortung (Kap. 27), Politische Richtlinien zur Wiederbelebung alter Parteien und zur Gründung neuer Parteien in Deutschland (Kap. 18), Die Wiederaufnahme des politischen und konstitutionellen Lebens in Deutschland unter einer Militärregierung (Kap. 23) und Entwicklungsstand und Aussichten der Gewerkschaften und Betriebsräte in Deutschland (Kap. 30) erschienen anonym und zum Teil in gekürzter Form in Söllners oben zitierten Bänden erstmals auf Deutsch. Auszüge aus den Berichten Mögliche Muster für den deutschen Zusammenbruch (Kap. 9) und Der Attentatsversuch auf Hitler und seine Folgen (Kap. 11) erschienen auf Englisch in der von Jürgen Heideking und Christof Mauch (1998) herausgegebenen Anthologie American Intelligence and the German Resistance to Hitler. A Documentary History. Hier erscheinen die Berichte in vollständiger Länge. Lediglich das Inhaltsverzeichnis und die Abstracts, die ursprünglich am Anfang der Texte standen, wurden weggelassen, da sie inhaltlich nichts Neues beitragen. In manchen Fällen wurden auch einige Anhänge, die kaum relevante Statistiken oder Namenslisten enthalten, nicht mit abgedruckt. Sie werden aber in der jeweiligen Anmerkung des Herausgebers zu Beginn der einzelnen Berichte aufgeführt.

Obwohl sie ursprünglich auf Englisch geschrieben wurden, ist den Texten die deutsche Herkunft ihrer Verfasser deutlich anzumerken. Der Leiter der Mitteleuropa-Sektion zwischen 1943 und 1945, Eugene N. Anderson, erinnerte sich noch daran, dass die drei deutschen Gelehrten »gebrochenes Englisch« sprachen, eine Art Lingua franca, die durch den üblichen, von der R&A-Leitung angeordneten »militärischen« Stil noch schwerfälliger wurde. Trotzdem habe ich mich entschieden, die Texte nicht zu ändern und die editorischen Eingriffe auf die bloße Korrektur von offensichtlichen Tippfehlern zu beschränken. Auch in den Anmerkungen beschränken sich die Erläuterungen auf Fälle, in denen sie meiner Meinung nach für den Leser wirklich nützlich sind, und dort habe ich – in eckigen Klammern – auch Querverweise auf die jeweiligen Texte eingefügt, wo ich sie für hilfreich hielt.

Die Entwicklung der neuen Technologien und besonders des Internet haben die Rolle eines Herausgebers ohnehin grundlegend verändert. Seine Qualität und Zuverlässigkeit bemessen sich nicht mehr an der Generierung eines beeindruckenden Anmerkungsapparats, sondern eher an seiner Fähigkeit, aus einem dem Leser heute leicht und ohne fremde Hilfe zugänglichen Übermaß an Informationen nützliche Informationen auszuwählen.

Die Einleitung und die Anmerkungen des Herausgebers zu den Texten wurden von Jason Francis McGimsey aus dem Italienischen ins Englische übersetzt.

R.L.

Über die Autoren

Franz Leopold Neumann

Als Sohn eines kleinen jüdischen Geschäftsmannes am 23. Mai 1900 in Kattowitz geboren, studierte Franz Neumann Jura, Philosophie und Ökonomie in Leipzig – wo er 1918 in die SPD eintrat und sich an den Barrikaden der Soldaten und Arbeiter während der deutschen Novemberrevolution beteiligte –, Rostock und Frankfurt am Main – wo er zusammen mit Leo Löwenthal eine sozialistische Studentenvereinigung gründete und 1923 mit einer juristischen Arbeit zur Straftheorie promovierte.

Von 1925 bis 1927 war Neumann als Rechtsreferendar und Assistent bei dem führenden deutschen sozialdemokratischen Arbeitsrechtler und einem der Väter der Weimarer Verfassung, Hugo Sinzheimer, tätig und lehrte an der gewerkschaftseigenen Akademie der Arbeit, die an die Universität Frankfurt angeschlossen war. 1928 zog er nach Berlin, wo er zusammen mit Ernst Fraenkel, einem anderen ehemaligen Studenten von Sinzheimer, als Anwalt für Arbeitsrecht die Bauarbeitergewerkschaft und andere Gewerkschaften vertrat und für das offizielle SPD-Organ Die Gesellschaft mehrere Essays über Arbeitsrecht, Kartelle und Monopolwirtschaft schrieb, während er die Seminare von Hermann Heller und Carl Schmitt an der Berliner Universität besuchte. Im Kampf gegen Einschränkungen der Redefreiheit sowie illegale Entlassungen und Verhaftungen von Arbeitern durch die Papen-, Schleicher- und Hitler-Regierung wurde er im Sommer 1932 hauptamtlicher Rechtsberater der SPD.

Nach dem Überfall der faschistischen SA-Trupps auf die Gewerkschaftsbüros floh Neumann, bevor er verhaftet werden konnte, am 2. Mai 1933 nach London. Dort studierte er bei dem früheren Frankfurter Soziologieprofessor Karl Mannheim und dem marxistischen Theoretiker Harold Laski an der London School of Economics, wo er 1936 mit der Arbeit The Governance of the Rule of Law: An Investigation into the Relationship between Political Theories, the Legal System, and the Social Background in the Competitive Society (vgl. Neumann 1980 [1936]) einen zweiten Doktortitel erwarb. Auf Laskis Empfehlung begann im selben Jahr seine Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozialforschung, für dessen Interessen und Verbreitung in England er sich einsetzte, bevor er in die Vereinigten Staaten übersiedelte. Trotz Laskis Unterstützung gelang es Neumann nicht, in den Vereinigten Staaten einen Posten im akademischen Betrieb zu finden. Stattdessen arbeitete er vor allem als Anwalt für das Institut. Sein intellektueller Beitrag zur Institutsarbeit beschränkte sich auf einige Essays und eine Reihe von Vorträgen über den totalitären Staat im Rahmen der an der Columbia University stattfindenden Seminare des Instituts.

Nach der Veröffentlichung von Behemoth: The Structure and Practice of National Socialism im Jahr 1942 (Neumann 1977 [1942/1944]) begann sein Beitrag zum Kriegseinsatz, zunächst als Berater des Board of Economic Warfare. Danach trat er in die Forschungs- und Analyseabteilung (R&A) des OSS ein.

Nach Kriegsende und seiner Teilnahme an den Nürnberger Prozessen als Mitglied von Richter Robert H. Jacksons Team wurde Neumann 1948 Professor für Politikwissenschaften an der Columbia University. Beim Aufbau der Politischen Theorie an den amerikanischen Universitäten spielte er eine maßgebliche Rolle; zudem wirkte er an der Gründung der Freien Universität Berlin mit. Als berühmter und hoch angesehener Wissenschaftler auf beiden Seiten des Atlantiks starb er am 2. September 1954 bei einem Autounfall im schweizerischen Visp. Seine intellektuellen Beiträge aus dieser Zeit, die die Demokratietheorie in den Vereinigten Staaten nach dem Krieg nachhaltig beeinflusst haben, sind inzwischen in dem postumen, von Herbert Marcuse herausgegebenen Sammelband The Democratic and the Authoritarian State (vgl. Neumann 1986 [1957]) erschienen.

Herbert Marcuse

Herbert Marcuse wurde am 19. Juli 1898 als Sohn eines jüdischen Geschäftsmannes in Berlin geboren. Seine Familie war gut an die deutsche Vorkriegsgesellschaft assimiliert. Schon als Schüler am Mommsen-Gymnasium trat er dem Wandervogel bei, einer der vielen Jugendbewegungen, die vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland entstanden und eine romantisierende Kritik an der politischen und sozialen Struktur des kaiserlichen Deutschland propagierten. 1914 brach der Krieg aus, 1916 wurde Marcuse ins Deutsche Heer eingezogen. Seine schlechten Augen bewahrten ihn vor einem Fronteinsatz, und er erhielt schließlich die Erlaubnis, Vorlesungen an der Berliner Universität zu besuchen. Die negativen Auswirkungen des Krieges auf die deutsche Gesellschaft schärften sein politisches Bewusstsein; 1917 trat er in die SPD ein, danach in die von Karl Kautsky gegründete Unabhängige Sozialdemokratische Partei; er hatte große Sympathien für den Radikalismus von Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts Spartakusbund, und während der Novemberrevolution nahm er in Berlin als Vertreter der Soldatenräte an der bewaffneten Verteidigung des Alexanderplatzes gegen die Angriffe der Freikorps teil.

Nach der Entführung und Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war Marcuse schwer enttäuscht von der SPD, die in seinen Augen für den Mord moralisch verantwortlich war, und vom Dogmatismus der neuen Kommunistischen Partei. Er gab alle politischen Mitgliedschaften auf und wandte sich wieder seinen Studien an der Humboldt-Universität und in Freiburg zu, wo er im Jahr 1922 seine Doktorarbeit über den deutschen Künstlerroman abschloss. Nach dem Ende seines Promotionsstudiums ging er zurück nach Berlin, wo er von 1924 bis 1929 in einem Verlags- und Antiquariatsgeschäft arbeitete, an dem er mit Hilfe seines Vaters Anteile erworben hatte.

1929 kehrte Marcuse an die Universität Freiburg zurück, um Philosophie zu studieren. Bei Martin Heidegger arbeitete er an einer Studie über Hegels Ontologie und die Grundlegung einer Theorie der Geschichtlichkeit, die seine – für die Erlangung einer Professur erforderliche – Habilitationsschrift werden sollte und die er 1932 ohne Heideggers Einwilligung veröffentlichte (Marcuse 1975 [1932]). In diesen Jahren unternahm Marcuse in einer Reihe von Essays, die in Die Gesellschaft erschienen, einen ersten Versuch, Heideggers Existentialismus in die marxistische Theorie zu integrieren – ein Projekt, das er nach der Veröffentlichung von Marx’ Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten im Jahr 1933, über die er eine der ersten Rezensionen schrieb, aufgab.

Nach dem Aufstieg des Nazismus emigrierte Marcuse in die Schweiz, wo er auf Empfehlung von Edmund Husserl für die Genfer Zweigstelle des Instituts für Sozialforschung tätig war, bevor er 1934 in die Vereinigten Staaten übersiedelte. In diesen Jahren steuerte er mehrere Essays über die Entwicklung der »Kritischen Gesellschaftstheorie« zur Institutszeitschrift bei, und 1941 veröffentlichte er ein zweites Buch über Hegel: Reason and Revolution: Hegel and the Rise of Social Theory (Marcuse 2004 [1941]).

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Auflösung des OSS blieb Marcuse als Analytiker kommunistischer Gesellschaften des State Department in Washington. Erst nach dem Tod seiner Frau Sophie schied er 1950 aus dem Staatsdienst aus. Dank eines Stipendiums der Rockefeller Foundation arbeitete er danach an der Columbia (1952–1954) und an der Harvard University (1954–1955) an einem Projekt über den sowjetischen Kommunismus (vgl. Marcuse 2004 [1958]). 1955 heiratete er Inge Werner Neumann, die Witwe von Franz Neumann, und er veröffentlichte Eros and Civilization: A Philosophical Inquiry into Freud (Marcuse 1965 [1955]), das ihm eine akademische Karriere eröffnete.

1954 wurde er auf eine Professur für Philosophie und Politische Wissenschaften an die Brandeis University berufen, wo er bis 1965 blieb. Nach der Veröffentlichung des One-Dimensional Man: Studies in the Ideology of Advanced Industrial Society (Marcuse 2014 [1964]), der ihn zum »Vater der Studentenbewegung« machte, erhielt er einen Ruf an die University of California in San Diego. Seine letzten Jahre zeichneten sich durch jugendlichen politischen Aktivismus und hohe intellektuelle Produktivität aus – mit Werken wie An Essay on Liberation (2008 [1968]), Counterrevolution and Revolt (2004 [1972] und Die Permanenz der Kunst (1977). Seine Beteiligung an und Unterstützung der radikalen Protestbewegung machten ihn zunehmend zur Zielscheibe von Angriffen sowohl aus erzkonservativen Kreisen wie der Amerikanischen Legion, dem Ku-Klux-Klan, der Republikanischen Partei (während seines Wahlkampfes forderte Gouverneur Ronald Reagan die University of California auf, Marcuse zu feuern) als auch von Seiten linker Gruppen – zum Beispiel der Progressive Labor Party und der Weathermen. Marcuse starb am 29. Juli 1979 in Starnberg.

Otto Kirchheimer

Otto Kirchheimer wurde am 11. November 1905 in Heilbronn in eine jüdische Familie hineingeboren. Von 1924 bis 1928 studierte er Philosophie und Geschichte in Münster und Jura und Sozialwissenschaften in Köln, Berlin und Bonn, wo er mit einer von Carl Schmitt betreuten Doktorarbeit Zur Staatslehre des Sozialismus und Bolschewismus seinen Abschluss machte.

Danach war er als Rechtsreferendar in der preußischen Justizverwaltung und als Dozent an mehreren Gewerkschaftsschulen tätig, während er sich mit zahlreichen Essays aktiv an der linken Kritik an der Weimarer Republik und der SPD-Politik beteiligte.

Dank einer Anschubfinanzierung durch die London School of Economics emigrierte Kirchheimer im Sommer 1933 nach Paris, wo er sich auf Strafrecht spezialisierte. Hier begann auch seine Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozialforschung, dessen französischer Zweigstelle er sich anschloss; im Herbst 1937 übersiedelte er dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die amerikanische Zweigstelle in New York. Bis zum Sommer 1938 bestand seine Hauptaufgabe im Institut in der Überarbeitung von Georg Rusches Studie Arbeitsmarkt und Strafvollzug, die unter Nennung von Kirchheimer als Koautor 1939 unter dem Titel Punishment and Social Structure im Rahmen der Institutsreihe veröffentlicht wurde (vgl. Rusche und Kirchheimer 1974 [1939]). Kirchheimer schrieb auch eine Reihe von wichtigen Essays über den Nationalsozialismus für das Institut.

Als das Institut Kirchheimer 1943 mitteilte, dass es ihn nicht länger finanziell unterstützen könne, nahm er eine Stellung als Gastdozent am Wellesley College an, bevor er zunächst nebenberuflich als Berater und dann als hauptamtlicher Analytiker in das OSS eintrat. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs blieb er Mitarbeiter des State Department, wo er von 1950 bis 1955 die Funktion des Leiters der Mitteleuropa-Abteilung des Office of Intelligence Research (OIR)8 bekleidete.

1955 wurde Kirchheimer auf eine Professur für Politische Wissenschaften an die New School for Social Research berufen, 1961 veröffentlichte er sein Opus magnum, Political Justice (Kirchheimer 1965 [1961]), und 1962 wechselte er auf eine Professur für Staatswissenschaften und Politische Wissenschaften an die Columbia University. In diesen Jahren entwickelte er seine Theorie der »Allerweltspartei« zur Beschreibung der zunehmenden Tendenz der politischen Massenparteien, nicht länger die Interessen spezifischer Bezugsgruppen zu verfolgen, sondern die Unterstützung der Mehrheit der Wählerschaft zu gewinnen. Auf dem Rückweg nach New York starb Kirchheimer am 22. November 1965 auf dem Washingtoner Flughafen an einem Herzinfarkt.

Einleitung

1. An einem heißen Sommertag während des langen italienischen 1968 unterbrach der Anführer der französischen Studentenbewegung, Daniel Cohn-Bendit (Abgeordneter im Europaparlament 1994 bis 2014 und angesehenes Mitglied der Grünen), immer wieder einen Vortrag von Herbert Marcuse im brechend vollen Eliseo-Theater in Rom und forderte ihn auf, sich zu seiner skandalösen Vergangenheit als CIA-Agent während des Zweiten Weltkriegs zu bekennen (vgl. Giacchetti 2004). Die – ursprünglich in den Vereinigten Staaten von einer anonymen Quelle verbreitete und später von der europäischen Presse aufgegriffene (Marcuse 1969; Matthias 1969) – Anschuldigung war unrichtig: Der deutsche Philosoph hatte keineswegs mit der umstrittenen amerikanischen Behörde zusammengearbeitet, schon gar nicht während des Krieges, als es die CIA noch gar nicht gab. Stattdessen war Marcuse später in der Zeit seiner politischen Berühmtheit als »Vater der Studentenbewegung« Gegenstand von FBI-Ermittlungen (wobei man der Ehrlichkeit halber sagen muss, dass die Hälfte der Aktennotizen im Zusammenhang mit diesen Ermittlungen die Frage betrafen, wie man ihn besonders nach 1968 vor Todesdrohungen schützen könne). Indirekt trug die Provokation von »Dany le Rouge« jedoch dazu bei, eine Phase von Marcuses Leben zu beleuchten, die vorher kaum beachtet worden war. Das Gleiche galt für andere Vertreter der sogenannten Frankfurter Schule, wie Franz Neumann und Otto Kirchheimer, die sich ebenfalls am amerikanischen Kriegseinsatz beteiligt hatten, indem sie für die Forschungs- und Analyseabteilung (R&A) von Amerikas erstem Geheimdienst, dem Office of Strategic Services (OSS), politische Analysen erstellten.9

Eigentlich legten diese Denker in Bezug auf ihren Staatsdienst eine ziemliche Unbefangenheit an den Tag. Mehr als einmal verteidigten sie ihre Beteiligung an einem der wenigen Versuche, die Kritische Theorie der Frankfurter Schule zu einem praktischen Werkzeug im Kampf gegen den Faschismus zu machen, mit einem gewissen Stolz (Marcuse et al. 1978). Exakt in dem Moment, als sich Max Horkheimer und Theodor Adorno ins kalifornische Exil zurückzogen, um ihre Dialektik der Aufklärung