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Das Reisetagebuch berichtet nicht nur von den kleinen Widrigkeiten, die so auftreten, sondern vor allem von den Naturschönheiten und ihren geologischen Hintergründen. Bei den Zeugnissen vergangener Indianerkulturen im Süden wird einer uns fremden Zivilisation nachgeforscht. Das Los der Indianer damals und heute begegnet dem Reisenden auf Schritt und Tritt. Vielleicht gibt das Tagebuch auch einen Eindruck von der Weite des Landes - vor allem in Canada und Alaska.
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Seitenzahl: 227
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Kristel und Manfred Rebele
Impressum:
Copyright © 2014 Kristel und Manfred Rebele
Verlag epubli GmbH, Berlin www,epubli.de
ISBN 978-3-7375-0136-1
Über dem gesamten Atlantik eine undurchbrochene Wolkendecke. Erst über Labrador reißt sie auf und eröffnet uns einen Blick auf den dortigen „Frühling“: alle Seen – und davon gibt es auf der Seenplatte mehr als genug in allen Größen-und Flüsse sind noch zugefroren und mit Schnee bedeckt, nur das Land dazwischen ist schwarz; die Bäume haben den Schnee wohl schon abgeworfen. Dann fliegen wir am Nordrand des St.Lorenzstroms gen SW; die Ränder einer großen Bucht, in der wohl wenig Strömung herrscht, sind noch großflächig vereist. Fast parallel zum großen Strom verläuft eine riesige Brandschneise: ein endloses weißes Band, das über Berg und Tal führt, Flüsse schneidet und teilweise mit Schneebrocken überzogen ist, die man selbst aus der Reiseflughöhhe von 10.000 m erkennt. Nahe Quebec ist es mit der Sicht dann zu Ende und wir biegen ab Richtung New York.
Ankunft in Baltimore um 19:30 Ortszeit, nachdem wir eine mindestens 5000 m dicke Wolkendecke durchtaucht haben. Die Immigrationsprozedur gestaltet sich ziviler als befürchtet, da haben wir schon von Schlimmerem gehört. Das Abarbeiten der Schlange dauert freilich, denn von jedem werden die Fingerabdrücke (alle 10) und ein Lichtbild genommen. Als wir durch sind, ist es nach deutscher Zeit schon 2:30 Uhr; da haben wir keine Lust mehr, uns um ein öffentliches Verkehrmittel zu bemühen ( der Ticketautomat ist - wie auch in deutschen Großstädten-alles andere als selbsterklärend) und steigen in ein Taxi. Dadurch wird natürlich das billigere Hotel in der Innenstadt das teurere; nun denn.
Das Hotel ist ein Relikt des frühen 20. Jahrhunderts, nicht unsauber, aber oll. Tapeten, Mobiliar, Bilder grüßen aus einer fernen Zeit herüber. Frühstück frugal.
Mit der -natürlich nicht kostenlosen-Hilfe von Heide Müller, bei Washington lebend und dort als Tour Guide arbeitend, gestaltet sich das Loseisen des Wagens aus dem Hafen als problemlos; wären wir den Bürokratieparcour auf eigene Faust geritten, es hätte sicherlich einiges an Nerven gekostet.
Nach Walmart und Tanken wird dann der Camping KOA angelaufen (59 Dollar für eher rustikalen Charme), wo wir alles klarieren und die Batterien sich vollsaufen lassen. Die Bäume fangen hier erst an auszutreiben und die Nacht ist frisch.
Heute großer Schlag auf der Interstate 95 nach Süden, 704 km sind es am Ende geworden und vier Bundesstaaten: Maryland, Washinton D.C., Virginia, North Carolina. Zunehmend wurde es wärmer: heute morgen hatten wir noch die Heizung an, im südlichen Virginia schon die Klimaanlage. Natürlich stehen die Laubbäume und Wiesen hier schon in saftigerem Grün, auch die Rhododendren und Azaleen blühen schon. Je weiter man nach Süden kommt, desto mehr Kiefern lösen die Laubbäume ab.
In North Carolina dann das Malheur: das Display zeigt an, dass wir Kühlmittel verloren haben. An einer Tankstelle neben der Autobahn will ich mal gucken, was die da so anbieten (wenngleich die Bedienungsanleitung von Mercedes auf die vom Werk zertifizierten Spezifikationen hinweist, die sie aber nicht verrät, sondern auf eine Webadresse verweist; das ist mal wieder kundenfreundlich). Im gesamten Verkaufsraum der Tanke gibt es nichts, was mit Autotechnik zu tun hat, kein Öl, kein Kühlmittel, nur Fressalien und Drinks. Wir füllen also mit Wasser auf, auch noch ein zweites Mal und erreichen dann endlich Wilmington und dahinter den State Park bei Carolina Beach am Atlantik. Wir dürfen uns auf einen reaparaturbedingten Zwangsaufenthalt gefasst machen. Nach 23000 km ein Kühlmittelleck, es ist nicht zu fassen - deutsche Wertarbeit. Des isch a unfreundlicher Akt isch des. Auf dem Weg von Wilmington zum California Beach befinden sich 10 bis 15 christliche Kirchen bzw Gemeindezentren, und das nur auf unserer Straßenseite.Der Ort Wilmington zieht sich endlos hin, weil nur die erste und machmal noch die zweite Reihe entlang der Straße bebaut ist, mit ausladenden einstöckigen Holzhäusern und viel Rasen drumherum.
Die freundlichen Ranger im Office des Parks haben uns die Mercedes-Adresse in Wilmington gegoogelt. Dort jedoch wird uns eröffnet, dass sie keine Arbeiten auf Garantie machen, in Myrtle Beach aber schon; also dorthin. Dort wird uns eröffnet, dass sie das zwar machen können (morgen), dass sie aber kein größeres Ersatzteillager haben und mit Bestellung etwaiger Ersatzteile könne das schon ein paar Tage dauern; in Charleston aber hätten sie die Ersatzteile. Hier ist der Buchbinder Wanninger. In der Mittagshitze ( 32°C) geht es also dorthin. Der Küstenhighway Nr. 17 ist stark befahren, da sich hier das Mallorca der USA befindet, außerdem viele Orte mit noch mehr Kirchen ( so viele christliche Glaubensrichtungen kann man sich als Europäergar nicht ausdenken, wie es hier gibt – und jede hat natürlich die Wahrheit und das Leben). Daneben die unerlässliche Werbung am Straßenrand, aufdringlicher, weil häufiger als in Europa, Wahlwerbung von Sheriffs in eigener Sache, Aufforderungen einen Highway zu adoptieren,d.h. den Müll dort aufzusammeln. Außerdem Evakuierungschilder für den Fall des Hurricans und große patriotische Plakate mit der Parole "God bless our armed forces"(beim waterboarding in Guantanamo); da wird deutlich, wofür die religiöse Bigotterie gut ist: für ein gnadenlos gutes Gewissen. Die armed forces sehen wir dann von der großen Brücke über den Cooper River: zur Linken ein Flugzeugträger. Er ist älteren Datums und steht am "patriot point" zusammen mit anderen Mitteln imperialer Machtentfaltung zur patriotischen Erbauung ausgestellt.Insgesamt eine ziemlich langweilige Landschaft: flach, flach, Buchen und Kiefern holzwirtschaftlich aufgereiht, später auch mal Palmen, dazwischen Sümpfe.
Um 13:30 sind wir dann beim dritten Mercedeshändler am Südrand von Charleston, der mit uns einen Termin morgen früh abmacht. Ein nobler und ehrgeiziger Laden ist das hier, Kaffee, Tee, Kuchen gibt es in einer pompösen Lounge umsonst, draußen hängen auf einer Tafel Kupferschilder mit den Namen der jeweils besten Verkäufer des Monats. Bei der obwaltenden Hitze und Luftfeuchtigkeit steht uns nicht der Sinn zu weiteren Unternehmungen und wir beschließen, auf dem 10 Meilen weiter stadtauswärts gelegenen RV-Camping zu relaxen. Hier gibt es Schatten, Gras und Wohnwagen-Monster mit Slide-outs, die nach dem Prinzip von Sattelschleppern von einfachen Pickups gezogen werden. Oder man hat ein ebenso umfangreiches Wohnmobil, an das man hinten seinen PKW gehängt hat, damit man , einmal auf den großen Campingplätzen angekommen, auch Ausflüge machen kann. Kristel besucht den Pool, der geschickterweise direkt an der viel befahrenen Durchgangsstraße liegt. Trotz seiner Winzigkeit weist ein Schild darauf hin, dass man ihn auf eigene Gefahr betritt. Weiter weg von der Straße wird einem der Aufenthalt im Freien durch große und kleine Stechmücken verleidet.
Noch bei Nacht stehen wir auf, um um 7.30 Uhr bei Mercedes zu sein. Wir werden von einer Angestellten in die Stadt gefahren, eine Sightseeingtour mit Auto ist inkludiert. Danach streifen wir durch die Altstadt mit den wunderschönen Holzhäusern in dezenten Farben: weiß, blau, rosa, braunrot. Schmale Fronten, nach hinten sehr weit gehend, mit Balkonen ringsum, je größer desto schöner. Die prächtigeren Villen haben Säulen vorne mit dorischen oder korinthischen Kapitelen und sind umrahmt von üppigen Gärten mit Palmen, exotischen Farnen, Amarylis, Magnolien, Azaleen und Rhododendren. Manche erinnern etwas an die Villen in Bremen an der Magnusallee, aber die haben nicht das Licht und die Leichtigkeit und die verschwenderische südliche Fülle. Im Edmondston-Alston House mit Blick auf den Charleston Habour schließen wir uns einer Führung an. 1825 ließ der schottische Auswanderer Charles Edmondston, der als Schiffskaufmann zu Erfolg gekommen war, dieses Antebellumhaus (d.h. vor dem Bürgerkrieg erbaut) errichten, 1837 sanken die Baumwollpreise und trieben Edmondston in den Ruin. Der Nachfolger Alston war ein erfolgreicher Reisplantagenbesitzer, der von seinen Balkonen den Beginn des amerikanischen Bürgerkriegs miterleben 'durfte', die Bombardierung von Fort Sumter im April 1861. Das Haus mit seinen Möbeln, Teppichen, reichlichen Fenster-und Türumrahmungen, den Kristallleuchtern und dem Silbergeschirr lässt das Wohlleben dieser von Sklaven zum Reichtum erhobenen Familien erahnen. Wir essen dann einheimischen frischen Fisch (Mahi) mit Mango (als Sauce, vielleicht aus der Tube) im Lokal Fleet Landing am Meer. Das Meer besteht hier aus einem recht sumpfigen Streifen, der jetzt schon einen Vorgeschmack auf die Mückenplage im Sommer gibt. Dazu soll es im Sommer Wolken von Blackflies, außerdem große Spinnen mit riesigen Netzen und Schlangen geben, die letzteren beiden Plagen aber nur im Freien. Pünktlich um 16 Uhr werden wir von Mercedes wieder zurückchauffiert, um leider zu erfahren, dass Mercedes America keine Garantieleistungen für außeramerikanische Mercedes anbietet und unserer Leck wegen des umfangreichen Ausbaus 1500 Dollar, ev. mehr, kosten wird. Fahren könnten wir mit dem Leck noch eine ganze Weile, wenn wir immer rechtzeitig Kühlmittel nachkippen, aber besser nicht bis Alaska. Auf eine Reparatur hier wollen wir wegen der Verzögerung durch die Ostertage nicht warten, sodass wir uns unverrichteter Dinge auf den Campingplatz zurückbegeben und Mercedes Bremen wegen einer Garantieübernahme anmailen, nicht ohne unseren Ärger über diesen Schaden nach vorheriger Wartung zu verhehlen.
Gestern abend ein veritables Gewitter mit Regen, der auch nachts anhielt und die Temperatur von gestern über 30°C auf 11°C stürzen ließ. Der Himmel ist am Morgen dunkelgrau und es nieselt, so dass das Projekt "Magnolia Plantation", ein Südstaatenlandsitz mit Magnolien, Azaleen und Rhododendren mit einem Swamp Garden, für uns nichts Verlockendes mehr hat. Wir machen uns also auf nach Savannah, der zweiten Stadt mit alter Südstaatenarchitektur. Savannah liegt schon in Georgia. Der Staat begrüßt seine Besucher mit einem allen Barbershoppern bekannten Zitat "Georgia on my mind", es ist die inoffizielle Hymne des Bundesstaats. Einige Meilen südlich von Savannah liegt der Skidaway Island State Park, in dem wir uns abstellen. Man wandert dort durch einen schönen Wald zu einem tidenbeeinflussten Fluss mit Schilfmarschen, in denen große Mengen kleiner Krabben herumbiotoben. Von den Bäumen hängen lange Flechten, es gibt dekorative Fächerpalmenbäume, niedrige Ansammlungen von Sägepalmen, hohe Kiefern und Eichen, Zedern, Ilex und noch viele andere Bäume, ausführlich beschrieben auf einem Lehrpfad. Die ursprüngliche Flora Georgias ist also sehr variantenreich, anders als die kommerziellen Wälder (meist Kiefern), die den Highway säumen.
Savannah enttäuschte uns architektonisch. Die Gebäude in Charleston hatten mehr Südstaatencharme. Schön freilich und erquickend sind die vielen kleinen Parks, in denen große, mit Flechten behangene Bäume Schatten bieten und die vielen, von Bäumen gesäumten und beschatteten Straßen. Im Sommer, wenn es unerträglich heiß werden kann, muss das eine Wohltat sein. Heute scheint zwar die Sonne aus einem wolkenlosen Himmel, aber nach der gestrigen Abkühlung hat es nur erträgliche 22°C. Die Waterfront Savannahs mit seien ehemaligen Lagern für Baumwolle und Reis, die heute Lokale und Shops sind, erinnert in Geschichte und Funktion ein bisschen an die Bremer Schlachte. Hier reiht sich auf dem Kai, dem Laufsteg der Touristen, ein Verkaufsstand an den anderen, zuletzt ein Gebrauchtwagenmarkt für amerikanische Autos, von den PS-Protzern bis zu Oldies. Die Kühlerhauben sind geöffnet, damit man die blitzblank gewienerte Technik bewundern kann – wie schön einfach ging es noch bei den guten alten zu!
Um 13:30 Uhr sind wir bereits durch und machen uns auf die Weiterreise durch Geogia nach SW. Es geht über Landstraßen, durch kleine Orte, die die Reisegeschwindigkeit herunterdrücken. Um 18 Uhr sind wir in Albany, beschließen, dass es nun gut ist und stellen uns am Walmart ab, wo uns der Security-Officer in einen Monolog verwickelt, der uns eine Zeit lang am Abendessen hindert. Der Officer erzählt uns, dass bei Walmart ungeheuer viel gestohlen werde, sogar Fernseher, u.zw. mit Hilfe der Kassierer, die sehr schlecht bezahlt werden, unter 10 Dollar/Stunde. Bis 24 Uhr, bis Walmart schließt, wird er uns bewachen, außerdem schauen Überwachungskameras auf uns herab. Um 24 Uhr, wir haben uns schon schlummern gelegt, bumbert er an unser Auto und bedeutet uns, dass wir hier definitely not übernachten könnten, er habe uns das doch gesagt (?) - da haben wir wohl einen Wink mit dem Zaunpfahl nicht mitbekommen; in manchen Dingen reden die Amis einfach nicht Klartext. Er fährt uns voraus zu einer anderen Mall nahebei, wo wir sicher stehen könnten. Sicher fühlen wir uns nicht, aber schlafen doch endlich ein.
Und weiter geht´s. Wir verlassen bald Georgia und entern in Eufaula den Staat Alabama. Der Ort hat noch schöne alte Südstaatenvillen, teils im Stil des Greek Revival, teils mit filigranen Gittervorhängen an den Säulen, die die Veranda abstützen, auf der die Schaukelstühle stehen. Auch hier sind die Straßen grün beschattet von alten Bäumen. Auch in Alabama geht es auf leicht gewellten Straßen endlos dahin. Meist begleitet uns frühlingsgrüner Wald, in den Nebenstraßen zu Farmen abbiegen, und der immer wieder von saftigen Feldern und mehr oder weniger einsamen Gehöften durchlöchert wird. Bei Selma überqueren wir den Alabama River. Am späten Nachmittag haben wir dann Alabama schon hinter uns und steuern in Mississippi den Roosevelt State Park zwischen Meridian und Jackson an. Dieser Tag ist um eine Stunde länger, denn ab Alabama gilt Central Time Zone. Der Ranger vom Roosevelt Statepark ist sehr gesprächig, er redet im schönen breiten Südstaatendialekt.
Natchez am Mississippi ist eine Südstaatenperle, in der noch viele der Villen stehen (mehr als in den bisherigen Städten), die sich die Plantagenbesitzer in der Stadt hinstellten. Am beeindruckendsten: Stanton House im griechischen Stil mit riesigen hohen Räumen und einer ungeheuren Prachtentfaltung, die man leider nicht photographieren darf. Fenster, die von den hohen Decken fast bis zum Boden reichen, riesige sich gegenüberstehende goldumrahmte Spiegel, die dem Raum eine unendliche Tiefe geben. Kronleuchter, die mit Gas betrieben wurden, welches man wiederum durch Kohle gewann. Kamine mit echt italienischen Marmorabdeckungen. Im ersten Stock ein großer Herrensaal, in den die Herren sich nach dem Essen zum Rauchen zurückzogen, später gesellte man sich zu den Damen in den angrenzenden Saal mit zwei Klavieren zum Plaudern und Musizieren,. Die unerlässlichen Balkone haben filigrane Eisengitter. Die ausladenden 400 Jahre alten Eichen draußen spenden immer noch angenehmen Schatten. Dann Longwood, ein oktogonaler Palast mit einem dem Kapitol nachempfundenen Zentralturm, der von einer Zwiebel gekrönt wird. Hat etwas Orientalisches. Longwood wurde nicht vollendet, da die Herren in den Sezessionskrieg zogen und daraus nicht wieder zurückkehrten.
Für unser Nachtlager müssen wir wieder einige Meilen zurückfahren auf dem Natchez Trace Parkway zum State Park; es ist eine historische Straße, an dessen Rand auf allerlei Geschichtliches hingewiesen wird – so tief wollen wir aber in die amerikanische Geschichte nicht eintauchen und rauschen an den Taferln vorbei.
Bei Baton Rouge überqueren wir den Mississippi. Baton Rouge ist eine Industriestadt, die von der Ölindustrie dominiert wird. Die kommt uns auf der Staatsstraße (LA) 1 massiv. Wir fahren diese Straße, weil an ihr schöne alte Herrensitze aus der Sklavenzeit liegen. Heute wirken sie wie aus der Zeit gefallen. Die Plantagen in der fruchtbaren Schwemmebene gibt es nicht mehr, nur noch eine weite kahle Ebene neben dem Deich, die an Friesland erinnern könnte, wäre da nicht die feuchte Hitze. In dieser Ebene wechselt sich Landwirtschaft mit Raffinerien, chemischen Fabriken und riesigen Feldern mit Öl-und Treibstofftanks ab. In Nottoway Plantation, ganz in weiß, das "Weiße Schloß von Lousiana" könnte man edel absteigen und speisen, Oak Alley Plantation zeichnet sich, wi der Name schon sagt, durch eine beeindruckende Alle uralter Eichen aus, an dessen Ende das klassizistische Herrenhaus hindurchlugt. Die Sklavenhalter wussten zu leben und hatten Geschmack. Zu jener Zeit hatte Louisiana die größte Millionärsdichte der USA. Als es mit der Beendigung der Sklaverei auch mit den Extraprofiten vorbei war, haben die sicher anderswo investiert und so könnte in dem riesigen Ölkapital, das heute den Landstrich beherrscht, auch noch Geld von damals stecken.
Auf der Autobahn brausen wir dann nach New Orleans, was nicht berichtenswert wäre, wenn diese über solides Land geführt würde. Auf Betonstelzen ist sie über Meilen durch den Mangrovensumpf genagelt: eine riesige Betonbrücke, die auch noch über weite Teile des Lake Pontchartrain nördlich von New Orleans führt. Wo ein amerikanischer Wille ist, da ist dann auch ein Weg.
Der erste Schwall Kühlflüssigkeit hatte seit Charleston 1100 km gehalten, der zweite nur 600, so dass nicht auszuschließen ist, dass sich das Leck zwischenzeitlich vergrößerte. Also ist jetzt die Zeit gekommen. Mercedes in New Orleans repariert keine Sprinter, nur Mercedes in Baton Rouge; da müssen wir wohl in einer Stadt, die wir uns sonst nie ausgesucht hätten, verweilen. Es wäre zu schön gewesen, die Reparaturzeit des Wagens mit Jazzsessions zu verbringen. Was willste machen, kannste nix machen. Den KOA-Camping in New Orleans zu finden gestaltet sich nicht so einfach, wenn man keinen Navi hat. Da wir uns vorzüglich in freier Natur bewegen wollten, erachtete Manfred das Gerät für überflüssig. Naja, kommt ja noch.
Mit Bus und Streetcar (Trambahn) geht es in die Innenstadt. Letztere ist ein Bummelbähnle, ersterer gibt einen Eindruck von den riesigen Entfernungen in amerikanischen Großstädten. Die Trambahn führt durch die Charles Ave., in der eine schöne Südstatenvilla neben der anderen steht: von klassizistischen Säulenveranden bis zu kleineren victorianischen Häusern. Ein edles Villenviertel, da kann Schwachhausen nicht mithalten. Im French Quarter dann sind die Balkone und Veranden meist aus feinziselierten schmiedeeisernen Säulen und Brüstungen, über denen große Blumen-und Farnampeln hängen und Üppigkeit in die Stadt bringen. Dazwischen Boutiquen mit Faschingszubehör, d.h. italienischen Masken, Perlenschnüren und mit T-Shirts mit originellen Aufschriften: "I'm retired, but I work part-time as a pain in the ass." oder "Jesus loves you! The rest of us think you're an asshole.", "I've got the body of a god. Unfortunately it's Buddah." Und immer wieder Musik: Bands, Duos, Trios, die an Straßenecken aufspielen: "The more you pay, the better we play." Alles sehr virtuos und für unsere ungeübten europäischen Ohren alles andere als amateurhaft klingend. New Orleans (sprich: Nawlins) swingt.
Wir essen dann auch die regionale Küche und sind nicht begeistert; Jambalaya, ein Reisgericht mit Würstchen, Seafood Gumbo (Pampe aus Meeresfrüchten und Bohnen) – alles hatte einen etwas ordinären Touch, war sehr sehr nahrreich und entstammt wohl aus der Küche für die Sklaven, die für die schwere Arbeit ordentlich genudelt werden mussten. Aber die rohen Austern im French Market waren prima. Auf dem Rückweg über die Bourbon Street zeigt New Orleans seine verruchte Seite. Die Striplokale öffnen (no cover!), Schlepper sprechen Passanten an, auch grauhaarige Rentnerpaare, leicht bekleidete Mädchen stehen zum selben Zweck vor der Tür, Nutten hängen ihre Brüste (mit cover) aus dem Fenster. Die Jazzlokale öffnen.
Die Musik gestern hat Appetit auf mehr gemacht. Da heute der erste Tag des French Quarter Festivals (The largest free music festival in the South) ist, fahren wir noch einmal rein, stellen unser Auto mit nicht ganz ungemischten Gefühlen am Beginn der Trambahn ab, und machen uns auf zum Riverfront Park. Es wird gegeben auf verschiedenen Bühnen: Cajun, Zydeco, Dixieland (Brassband), Free Jazz und die Pfister Sisters, die etwas unförmig wie Hausfrauen auf der Bühne stehen, aber eine unglaublich fetzige musikalische Performance hinlegen. Daneben auch wieder nicht zum offiziellen Programm gehörende Gruppen, die für einen Tip spielen und zu deren Musik ein junger Schwarzer und eine noch jüngere weiße Touristin akrobatisch tanzen.
Eigentlich viel zu früh verlassen wir das Festival, denn wir wollen noch raus aus Nawlins ans südliche Ende des Mississippideltas, an den Golf von Mexico, zum Grand Isle State Park. Die viele Fahrerei, das volle Besichtigungsprogramm ohne Pause hat ein gewichtiges Erholungsbedürfnis erzeugt. Wir fahren elend lang Kanälen entlang, in denen Hausboote, Schlepper, Schubschiffe (für die Ölindustrie) und mehr oder weniger rostende Fischkutter liegen. Anwälte bewerben die Opfer von Deep Water Horizon und andere Ölplattformarbeiter: "Offshore injuries? Spill claim denied? Offer too low?" Dann führt die Straße wieder über Betonstelzen und unendlich lange Brücken durch halb überflutetes Marschland, in dem die Öllochverschlüsse aus dem Wasser ragen. Draußen im Golf sieht man schon die Plattformen und auf einer Insel im Süden Raffinerien und Werften. Dann biegt die Straße nach Osten ab zur Grand Isle. Die Häuser des gleichnamigen Orts sind alle auf Stelzen gebaut, denn hier gehen die Hurricanes zuerst an Land. Am Ende des Orts, mit Ölindustrie im Hintergrund, aber vom Campground aus nicht sichtbar, liegt dann die Rentneroase der RVs am Golf. Waren "nur" 180 km hierher von New Orleans. Von Baltimore: 3000 km.
Schlafen, Yoga, Lesen, Strandspaziergang. Das Meer des Stateparks reizt nicht zum Schwimmen, braun-schmuddelige Wellenkämme über bleifarbenem Wasser. Es weht ein ordentlicher Wind und man fragt sich, wie die Beachcamper in ihren flatternden Zelten nachts überhaupt ein Auge zukriegen. Tagsüber großer Andrang von Tagesgästen, die ein halbes Dutzend Angeln und dicke Kühlkisten mit Bier und Cola an den Strand wuchten. Auf einer Baseballkappe das Motto: "Life is easy: eat, drink, fish."
Nach Gonzales, südlich von Baton Rouge, um morgen früh bei Mercedes aufschlagen zu können. Es ist drückend heiß und schwül, vom Meer treiben Wolken ins Land, die aber nicht abregnen und so etwas Kühle brächten. Den Camping, den wir gegoogelt haben, gibt es nicht mehr, an seiner Stelle ein privater Trailer-Park, wo arme Leute wohnen. Etwas weiter weg davon führt ein Weg vom Airline Hwy zu einem kommerziellen Gebäude, das weit genug von der Straße entfernt und heute unbemenscht ist. Hier stehen wir die Nacht über sehr gut. Die (erst) zweite Nacht in den USA' im Freien'. Um wieviel einfacher ist das doch in Europa! Nur der ewig lange Güterzug, der sich wie schon am Camping von New Orleans nachts mit lautem langgezogenen Trompeten dahinwälzt, weckt uns zwischendurch auf.
Mercedes kann unser Leck reparieren und wahrscheinlich mit weniger Aufwand als die Leute von Charleston. Ein Ersatzteil muss aber in Europa besorgt werden, wir müssen also bis etwa Donnerstag warten, müssen aber nicht, wie ursprünglich befürchtet und geplant, mehrere Tage ins Hotel, die Reparatur kann in einem Tag erledigt werden.Wir haben vorher Hotels gegoogelt und dazu widersprüchliche Besucherurteile: 'Wanzen! Dealer und Nutten treffen sich vorm Haus. Mir wurden Sachen aus meinem Zimmer gestohlen. Freundlicher Service. Hübsches, sauberes Hotel.' Wie gut, dass wir dieser Entscheidung enthoben sind. Die Leute von Mercedes Baton Rouge rufen sogar bei Mercedes in Berlin an, damit die die Kosten übernehmen und mit Baton Rouge abrechnen, damit wir gar nichts zu zahlen haben. Gwyn (alle stellen sich hier mit Vornamen vor) versucht sogar rauszukriegen, wo wir ein zweites E-Book kaufen können, das dauert Stunden, aber wir können ihre Hilfsbereitschaft auch nicht bremsen. Wir warten, die Fernseher laufen, auf dem einen Kanal nur Sport samt Interviews, auf dem anderen irgendwelche Talkshows. Zum Schluss verabschiedet Gwyn Kristel mit einer Umarmung und überreicht ihr ihre Karte, Kristel möge sie jederzeit anrufen, wann immer sie irgendein Problem habe.
Wir begeben uns nach erfolgreichem E-Book-Kauf mit Hilfe unseres neu erworbenen Navis auf nicht ganz so erfolgreiche Campingplatzsuche und landen, nachdem 2 Angebote auf der nördlichen Mississippiseite uns nicht behagen, zum zweiten Mal an der Oak Alley Plantation, wo wir ruhig auf dem Parkplatz stehen, um uns morgen auf dem zugehörigen Stellplatz niederzulassen.
Gestern schon waren Wolkenbrüche unterwegs, nachts viel Regen, heute nun wird es endlich bei Nordwind kühler. Was war das anstrengend in letzter Zeit! Wir besichtigen auch dieses Schloss im Greek-Revival-Stil, hier darf fotografiert und gefilmt werden.
Oak Alley Plantation ist benannt nach seinen 300 Jahre alten Virginia Eichen, gepflanzt lange bevor der kreolische Zucckerrohr-Plantagenbesitzer Jaques Telesphore Roman diese Plantage mitsamt 60 Sklaven seiner 17 Jahre jüngeren Braut zum Geschenk machte. (Die hübschen Töchter aus reichem Hause wurden wohl nur an Bewerber vergeben, die schon einigen Reichtum vorweisen konnten.) 1839, nach 3 Jahren, war das Domizil im Greek Revival Style fertiggestellt, natürlich ausgestattet mit Möbeln, Kronleuchtern, Geschirr vom Feinsten aus den Vereinigten Staaten und Europa, um einen leuchtenden gesellschaftlichen Mittelpunkt darzustellen und zu leben. (Um 1850 lebte im unteren Mississippi-Tal zwischen New Orleans und Natchez mehr als die Hälfte aller amerikanischen Millionäre.) Der Hitze wurde man in den Häusern Herr, indem man die Hälfte der Außenwände in große Türen und hohe und bis zum Boden reichende Fenster verwandelte, um das Haus herum führten natürlich die Säulen bestandenen Balkone und Veranden. Im Speisesaal schwebt hier über der Tafel ein großes rotes Segel, das von einem Sklaven mittels einer Seilvorrichtung in Schwingung gehalten wurde, um den Herrschaften beim Dinieren zu fächeln.Und indem man noch mehr Virginia Eichen pflanzte (heute Baby Oaks genannt), alle mittlerweile mit Farnen und Flechten besetzt. Auf einige dieser Eichen wurden Pecanschößline gepfropft, die Früchte ernteten großen Erfolg 1876 bei der Hundertjahr Ausstellung in Philadelphia. Jaques Roman konnte sein elegantes Leben hier nicht sehr lange genießen, 1848 starb er an Tbc. Seine Frau, eine echte Southern Belle, verstand nichts vom Wirtschaften, nur vom eleganten Leben in unpraktischen Roben mit Fischbeinunterröcken und vom sich Bedienenlassen (und dem pflichtgemäßen Kinderkriegen, hier 6 an der Zahl), so dass das ganze Anwesen mitsamt Inventar 1866 versteigert wurde. Erfolg und Misserfolg der folgenden Besitzer ließen das Anwesen durch viele Hände gehen, heute ist es eine Stiftung. Vor dem Eingangstor halten jezt die Reisenden auf der Durchreise, um einen Blick auf die malerische Eichenallee und das am Ende liegende Haus werfen zu können. Wir hingegen stehen hinter dem Anwesen, mit Wasser-und Stromanschluss, und prächtigem Blick auf die golfähnlichen grünen Rasenflächen und schon meterhohen Zuckerrohrfeldern (allerdings ohne Facilities, für 33Dollar pro Nacht) und warten darauf, dass Mercedes Baton Rouge das Ersatzteil für unsere Reparatur geliefert bekommt.
Heute nun ist es endlich so weit. Das coolant manifold (Verteilerteil für die Schläuche?) ist da. Wir können die Reparatur – anders als in Deutschland-im edlen Ambiente der Mercedesniederlassung lesend und hin und wieder auf einen der drei Fernsehschirme schauend abwarten. Zeit muss man dafür natürlich schon mitbringen, aber warten müssen wir ja eh. Auf den Bildschirmen sieht man die ständig grinsenden Fressen der weiblichen Interviewer, interviewt wird über jeden unbedeutenden Scheiß. Die spärlichen politischen Nachrichten bestehen aus ein paar Sätzen zum Wahlkampf, zu Trevor Martin (dem von einer privaten Guard erschossenen schwarzen Jugendlichen), dann-live- und in endloser Wiederholung, wie ein Privat-Pkw von 10 Polizeiautos gestellt und der Fahrer abgeführt wird. Am späten Mittag wird es uns dann doch etwas langweilig und kalt im Airconditioning, wir erkunden die Umgebung nach Essbarem, werden in einem mexikanischen Restaurant fündig. Dann die Übergabe des Autos: alles auf Garantie, und auch noch gewaschen. Ein Glück, dass wir die Reparatur hier und nicht in Charleston machen ließen, hier war man schon bei der ersten Diagnose kompetenter und war in der Lage, die Garantie von Mercedes Deutschland zu organisieren. So blieb uns ein mehrtägiger Aufententhalt in zweifelhaften Motels erspart.
Nach dem Einkaufen ist es schon 17 Uhr. Die Reise kann weitergehen. So sehr der Break anfangs willkommen war, macht sich jetzt wieder Reiseungeduld breit angesichts des vor uns liegenden Programms. Weit kommen wir heute natürlich nicht mehr. In dieser Gegend wird Reisanbau betrieben, daneben völlig überschwemmte Flächen, die der Krebszucht dienen. So oder so: für Mücken ist gesorgt. Die Autobahn vor Lafayette: 50 km wieder über Betonstelzen, die im Wasser stehen, daneben dichter Urwald. Ab und zu gehen von dem Kanal, über dem die Autobahn schwebt, andere Kanäle ab; dann geht die Autobahn durch überschwemmtes Land, aus dem ganz normale Nadelbäume ragen – Mangroven können es nicht sein. Unweit hinter Lafayette biegen von der Autobahn ab nach Norden und finden neben einem Bagger doch tatsächlich ein Plätzchen: na also, es geht doch.
Es ging nur bedingt. Um 01:30 in der Nacht kommt ein Tanklaster und tankt den Bagger neben uns auf. Arbeitszeiten sind das! Das lässt für den nächsten Morgen Stress erwarten, der dann auch eintritt: Um 7:30 Uhr tauchen Hispanics auf, die schon mal anfangen, mit dem Bagger hinter uns zu rumoren, dann der weiße Vorarbeiter mit Texashut, könnte J.R. oder ein Sheriff sein; ihm ist ganz offensichtlich nicht geheuer, dass da jemand unkontrolliert und ohne Sicherheit rumsteht, so ganz unamerikanisch. Er habe uns schon am Abend vorher bemerkt. Mann, ganz Amiland ist eine einzige neighbourhood-watch area.