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Die NGO „African Parks“ verwaltet 22 große Naturparks in Afrika und gilt als Erfolgsgeschichte. Doch was und wer steckt wirklich dahinter? Olivier van Beemen deckt in seinem fesselnden Buch die staatsähnlichen Strukturen, die Macht des African-Parks-Militärs und das rücksichtslose Vorgehen gegen die lokale Bevölkerung auf. Kritiker sprechen von „grünem Kolonialismus“. Oder ist es der alte Kolonialismus in neuem Gewand? „African Parks“ verwaltet eine Fläche von der Größe Großbritanniens und hat sich von zwölf afrikanischen Staaten Hoheitsrechte übertragen lassen. Die Organisation unterhält bewaffnete Kräfte mit weitgehenden Befugnissen zum Schutz der Gebiete – vor Terroristen, vor Wilderern und vor der Bevölkerung. Einheimische dürfen das von ihnen traditionell genutzte Land nicht mehr betreten, es kommt zu Folter und Vergewaltigungen. Der Safari-Tourismus, Spenden von Milliardären und westlichen Regierungen, auch der deutschen, bringen reiche Einnahmen. An der Spitze steht eine weiße Elite, die alles daran setzt, nur schöne Bilder von Großwild und intakter Natur nach außen dringen zu lassen. Olivier van Beemen hat drei Jahre lang über die Organisation recherchiert, unzählige Insider, Aussteiger und Anwohner der Parks befragt und sich nicht von Verhaftung, Spionagevorwürfen und Abschiebung abschrecken lassen. Sein aufrüttelndes Buch zeigt, was die Militarisierung des Naturschutzes anrichtet, wie die einheimische Bevölkerung drangsaliert wird und wie eine weiße Exekutive ohne demokratische Kontrolle im Namen einer „unberührten“ – menschenleeren – Natur herrscht.
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OLIVIER VAN BEEMEN
IM NAMEN DER TIERE
WIE EINE NGO GROSSE TEILE AFRIKAS BEHERRSCHT
Aus dem Niederländischen von Gerd Busse
C.H.Beck
Cover
INHALT
Textbeginn
Titel
INHALT
Motto
TAFELTEIL
VORWORT
1: UNTER SPIONAGEVERDACHT BENIN, FEBRUAR 2022
2: STREIT IM DSCHUNGEL SAMBIA, 2020
3: IN HANDSCHELLEN AUF DER LADEFLÄCHE ZURÜCK NACH BENIN
4: KONTAKTSPERRE? DIE «STRATEGISCHE MEDIENPOLITIK» VON AFRICAN PARKS
5: PAUL VAN VLISSINGEN ÖLMAGNAT, JÄGER, NATURSCHÜTZER
6: MARAKELE, SÜDAFRIKA EIN PARK UM JEDEN PREIS
7: MIT EXPANSIONSDRANG, ABER OHNE PLAN UND STRATEGIE
8: TIERHÄUTE UND ANDERE GEBROCHENE VERSPRECHEN IN ÄTHIOPIEN
9: TURBULENTE JAHRE
10: ERFOLGSGESCHICHTE MIT SCHATTENSEITEN IN RUANDA
11: ENTWICKLUNGSPROJEKTE «SCHÖNE VERSPRECHUNGEN»
12: DREI MONATE GEFÄNGNIS FÜR KRITIK AM PARK
13: IM PARK GELTEN KEINE MENSCHENRECHTE
14: ERIK DER NORMANNE, HELD VON GARAMBA
15: EINE WÜTENDE E-MAIL
16: VOLLSTÄNDIGE KONTROLLE IN BENIN
17: RANGER GEGEN DSCHIHADISTEN IN BENIN WER JAGT HIER WEN?
18: ERFOLGE BIBLISCHEN AUSMASSES
19: MAJETE, MALAWI WO ALLES BEGANN
20: AFRICAN PARKS MÖCHTE REDEN
21: «KEINE FRAGEN MEHR ZU PETERS GEHALT» EIN INTERVIEW MIT DEM CHEF
22: «ES BLEIBT BEIM ALTEN KOLONIALISTISCHEN DENKEN»
23: BANKGESCHÄFTE AUF DER ISLE OF MAN UND ANDERE ZWIELICHTIGKEITEN
24: TATKRAFT, GELD UND AMBITIONEN
25: KOLONIALE WURZELN
26: «DIESES WEISSE GETUE»
27: BESUCH IN LIUWA PLAIN, SAMBIA, MIT AFRICAN PARKS
28: FOLTER FÜR FORTGESCHRITTENE: DIE SCHAUKEL
29: UNTER GEFAHR FÜR DAS EIGENE LEBEN
30: WER KONTROLLIERT AFRICAN PARKS?
31: EIN STAAT IM STAATE?
32: TIERSCHMUGGEL IM KONGO, VERGEWALTIGUNG VON KINDERN IN BENIN
33: AUF DER SUCHE NACH EINER WILDNIS FÜR DREITAUSEND GEZÜCHTETE NASHÖRNER
34: WIE VIELE GORILLAS, GNUS UND WALDELEFANTEN GIBT ES NOCH?
35: AFRICAN PARKS DROHT
36: DU BIST SELBST RASSISTISCH UND NEOKOLONIALISTISCH
37: WAS DENKEN DIE GELDGEBER?
ZUM SCHLUSS: EIN GRÜNES IMPERIUM
NACHWEISE UND DANK
ANMERKUNGEN
1 UNTER SPIONAGEVERDACHT BENIN, FEBRUAR 2022
2 STREIT IM DSCHUNGEL SAMBIA, 2020
4 KONTAKTSPERRE? DIE «STRATEGISCHE MEDIENPOLITIK» VON AFRICAN PARKS
5 PAUL VAN VLISSINGEN ÖLMAGNAT, JÄGER, NATURSCHÜTZER
6 MARAKELE, SÜDAFRIKA EIN PARK UM JEDEN PREIS
7 MIT EXPANSIONSDRANG, ABER OHNE PLAN UND STRATEGIE
8 TIERHÄUTE UND ANDERE GEBROCHENE VERSPRECHEN IN ÄTHIOPIEN
9 TURBULENTE JAHRE
10 ERFOLGSGESCHICHTE MIT SCHATTENSEITEN IN RUANDA
11 ENTWICKLUNGSPROJEKTE: «SCHÖNE VERSPRECHUNGEN»
12 DREI MONATE GEFÄNGNIS FÜR KRITIK AM PARK
13 IM PARK GELTEN KEINE MENSCHENRECHTE
14 ERIK DER NORMANNE, HELD VON GARAMBA
15 EINE WÜTENDE E-MAIL
16 VOLLSTÄNDIGE KONTROLLE IN BENIN
17 RANGER GEGEN DSCHIHADISTEN IN BENIN WER JAGT HIER WEN?
18 ERFOLGE BIBLISCHEN AUSMASSES
19 MAJETE, MALAWI: WO ALLES BEGANN
20 AFRICAN PARKS MÖCHTE REDEN
22 «ES BLEIBT BEIM ALTEN KOLONIALISTISCHEN DENKEN»
23 BANKGESCHÄFTE AUF DER ISLE OF MAN UND ANDERE ZWIELICHTIGKEITEN
24 TATKRAFT, GELD UND AMBITIONEN
25 KOLONIALE WURZELN
26 «DIESES WEISSE GETUE»
27 BESUCH IN LIUWA PLAIN, SAMBIA, MIT AFRICAN PARKS
28 FOLTER FÜR FORTGESCHRITTENE: DIE SCHAUKEL
29 UNTER GEFAHR FÜR DAS EIGENE LEBEN
30 WER KONTROLLIERT AFRICAN PARKS?
31 EIN STAAT IM STAATE?
32 TIERSCHMUGGEL IM KONGO, VERGEWALTIGUNG VON KINDERN IN BENIN
33 AUF DER SUCHE NACH EINER WILDNIS FÜR DREITAUSEND GEZÜCHTETE NASHÖRNER
34 WIE VIELE GORILLAS, GNUS UND WALDELEFANTEN GIBT ES NOCH?
35 AFRICAN PARKS DROHT
36 DU BIST SELBST RASSISTISCH UND NEOKOLONIALISTISCH
ZUM SCHLUSS: EIN GRÜNES IMPERIUM
LITERATUR
REGISTER
Zum Buch
Vita
Impressum
Für Merel und Emilia
«Wenn man die Bienen nur ruhig und freundlich behandelt, haben sie erstaunlich viel Vertrauen. Und das, obwohl du doch der Drecksack bist, der ihnen den Honig wegnimmt.»
Paul Fentener van Vlissingen
Wie man auf der Website von African Parks sieht, war Mitte des Jahres 2022 die komplette Geschäftsführung weiß. Andrea Heydlauff erhielt 2019 für ihre Tätigkeit ein Gehalt in Höhe von knapp 230.000 Dollar.
Ranger in Liuwa Plain, Sambia
Erik Mararv hielt diesen Löwen noch für zu jung, um ihn schon zu schießen. Doch in zwei Jahren sei er «eine Schönheit». Screenshot von africahunting.com
Erik Mararv (rechts) mit einem Kunden, der soeben einen Leoparden erlegt hat. Screenshot von africahunting.com
Tarife von Umlilo Safaris für die Trophäenjagd in Bangweulu Wetlands im Jahr 2024. Wer seine Ehefrau mitnehmen will, zahlt einen Aufpreis von 475 Dollar die Nacht. Der Abschuss einer Schwarzen Lechwe, einer Antilopenart, ist in den meisten Paketen mit enthalten, ein weiteres Exemplar kostet 4000 Dollar und ein drittes 3150 Dollar.
Aus einer Präsentation von Peter Fearnhead im Jahr 2014
«Kampelwa», die Schaukel. © Amnesty International
Die Bevölkerung von Faradje in der Nähe des Garamba-Nationalparks im Kongo hoffte auf einen Staudamm und erhielt stattdessen einige Solarpaneele.
African Parks errichtete in den Dörfern von Liuwa Plain Getreidemühlen. Die meisten sind jedoch mittlerweile außer Betrieb.
Erweiterungsmöglichkeiten in der Umgebung bestehender Parks. Die Folie stammt aus der AP-internen Managementpräsentation «Growth Update» vom September 2022.
African Parks ging 2022 von einem Szenario aus, bei dem es bis zum Jahr 2030 insgesamt 40 Parks in seinem Portfolio haben würde, für deren Verwaltung schätzungsweise gut 200 Millionen Dollar im Jahr erforderlich wären. Diese und die beiden nächsten Folien stammen aus der internen Präsentation «African Parks’ contribution to the ‹161› 2030 strategy and beyond».
Das Wachstum von 25 auf 50 Parks ist «lediglich eine Kapazitätserweiterung».
Bei African Parks sieht man die Organisationen in der rechten Spalte als Wachstumschancen.
Von links nach rechts: Flore Nobime, der Autor und Kinto Sylla zu Besuch in Sangou in der Nähe des Eingangs zum Nationalpark Pendjari in Nordbenin.
Nach einer Konfrontation mit Parkwächtern in Liuwa Plain in Sambia ist Nosiku Simasiku für den Rest seines Lebens auf einem Auge blind.
Dieses Buch beruht auf mehr als dreijährigen journalistischen Recherchen. Ich bin dafür in sechs afrikanische Länder gereist und habe mit gut zweihundertfünfzig verschiedenen Informanten mehr als dreihundert Gespräche in und um African Parks geführt. Ungefähr die Hälfte meiner Gesprächspartner arbeitet für diese Organisation oder hat in der Vergangenheit für sie gearbeitet. Dazu konnte ich nicht nur den Mann an der Spitze und diverse weitere (ehemalige) Manager und Schlüsselfiguren interviewen, sondern auch mit Park- und Torwächtern, Wilderern, Hirten, Bauern, Dorfoberhäuptern, Beamten, Finanziers, Biologen, Wissenschaftlern sowie Naturschützern anderer Organisationen sprechen.
Darüber hinaus habe ich umfassend in Archiven recherchiert und mich mit der einschlägigen Literatur beschäftigt. Und ich bekam dank meiner Quellen vertrauliche E-Mails, Verträge und interne Dokumente zugespielt. Die Europäische Union wie auch die Regierung der Niederlande und Malawis haben auf der Grundlage ihres jeweiligen Informationsfreiheitsgesetzes Tausende von Seiten interner Informationen zur Verfügung gestellt.
Amsterdam, April 2024
Olivier van Beemen
Der Kontinent von African Parks
1
Der Kommissar der Kriminalpolizei von Parakou ruft uns noch einmal in sein Büro zurück. Anderthalb Tage sitzen wir nun schon fest, es ist die vierte Polizeiwache, die wir von innen sehen, und wir haben mehr als zweihundertfünfzig Kilometer in etwa fünfundzwanzig verschiedenen Polizeifahrzeugen zurückgelegt.[1]
Wir sind aber guten Mutes, dass man uns jetzt freilässt. Die Niederländische Botschaft in Benin zeigt sich ebenfalls optimistisch. Der Kommissar, an diesem Sonntag eigens für uns in sein Büro beordert, macht einen wohlwollenden Eindruck. Er kommt in Zivil, mit Sandalen an den Füßen. Während des vorangegangenen Verhörs hatte man meiner Kollegin Flore Nobime eine Lektion erteilt: Sie hätte nicht mit einem ausländischen Autor in den Norden ihres Landes reisen sollen, ohne die Behörden darüber zu informieren. Ihr müsse doch wohl klar sein, dass das gefährlich sei?
Wir nehmen Platz und hören, was uns der Kommissar zu sagen hat.
«Sie beide werden der Spionage verdächtigt.»
Was? Spionage? Hat der Kommissar irgendwelche Beweise dafür oder zumindest Indizien? Für wen sollten wir denn spionieren?
Er hat noch weitere schlechte Nachrichten. Unser Fall soll vor dem Gericht für Wirtschaftsdelikte und Terrorismus (CRIET) verhandelt werden, Kritikern zufolge ein Instrument der Staatsmacht, das speziell dazu geschaffen wurde, um politische Gegner für lange Zeit auszuschalten. Zwei Kandidaten, die sich bei den letzten Präsidentschaftswahlen erdreistet hatten, den autoritären Präsidenten Benins, Patrice Talon, herauszufordern, bekamen dafür zehn und zwanzig Jahre Gefängnis aufgebrummt, und auch kritische Journalisten und Blogger wurden zu harten Strafen verurteilt.
Dennoch ist die Stimmung im Kommissariat keineswegs feindselig. Wir müssen nicht in die Zelle, können unsere Sachen behalten, und ich darf unter Polizeibegleitung in dem quirligen Restaurant La Vieille Marmite im Zentrum Parakous, der drittgrößten Stadt des westafrikanischen Landes, etwas zu essen holen. Das Hähnchen mit Spinat und Pommes frites, das wir auf einer Bank vor dem Kommissariat verspeisen, schmeckt gut. Allerdings müssen wir ein Vernehmungsprotokoll unterschreiben, in dem schwarz auf weiß steht, dass wir der Spionage am Staat Benin verdächtigt werden. Ein Foto von dem Dokument darf ich nicht machen. Es folgen hektische Telefonate nach Hause und mit der Botschaft: Die Angelegenheit wird sowohl in den Niederlanden als auch in Benin sehr ernst genommen.
Eine Woche zuvor war ich in Benin angekommen, um Recherchen zu African Parks (AP) durchzuführen, einer internationalen Organisation, die von ihrem Hauptsitz (Headquarter) in Johannesburg aus Naturreservate in Afrika verwaltet.[2] Diese Organisation wurde unter Beteiligung des niederländischen Geschäftsmanns und Milliardärs Paul Fentener van Vlissingen (1941–2006) gegründet und hat Vereinbarungen mit insgesamt zwölf afrikanischen Staaten über die Verwaltung von zweiundzwanzig Naturreservaten getroffen, darunter zwei in Benin.
African Parks ist die größte und ambitionierteste Naturschutzorganisation Afrikas mit einem jährlichen Umsatz von mehr als hundertzwanzig Millionen Euro. Die gesamte Landfläche, die unter ihrer Kontrolle steht, beträgt gut zwanzig Millionen Hektar, vergleichbar der Fläche Großbritanniens, und in den kommenden Jahren sollen große Flächen dazukommen. Das Ziel ist es, verwahrloste Parks und Reservate vor Wilderern und anderen Gefahren zu schützen, Tierarten, die hier ehemals heimisch waren und längst verschwunden sind, wieder anzusiedeln und eigene Einkünfte zu generieren – Letzteres vor allem mittels reicher Touristen, die dafür sorgen sollen, dass sich ein solcher Park weitestgehend selbst trägt. Nicht nur Wildtiere und Ökosysteme sollen davon profitieren, sondern auch die lokale Bevölkerung, die mit der Bedeutung des Naturschutzes vertraut gemacht werden und begreifen soll, dass Wilderei gegen ihre eigenen Interessen verstößt. Mit toten Elefanten lockt man keine Touristen an, die bereit sind, tausend Dollar pro Nacht auszugeben.
Als ich Benin im Februar 2022 besuche, bin ich bereits seit einem guten Jahr mit meinen Recherchen zu der Organisation beschäftigt, und mein Verhältnis zum Headquarter ist angespannt. African Parks möchte die Informationspolitik gern in Eigenregie betreiben und hat in der Vergangenheit heftig auf die wenigen kritischen Artikel reagiert, die irgendwo in den Medien über die Organisation erschienen waren. Ich bräuchte nicht auf ihre Mitarbeit zu zählen, so wurde mir zu verstehen gegeben.
Ich kooperiere auf dieser Reise eng mit der Journalistin Flore Nobime, die ihrerseits bereits einen aufschlussreichen Artikel über die Arbeit von African Parks in ihrem Land veröffentlicht hatte.[3] Nach einigen erfolgreichen Interviews in Cotonou und Porto Novo an der Atlantikküste fahren wir mit dem Bus in den Nordwesten, nach Tanguiéta, eine Fahrt von gut zehn Stunden. Tanguiéta liegt etwa vierzig Kilometer vom Eingang des Nationalparks Pendjari entfernt, der von AP geleitet wird. In dem Städtchen interviewen wir Personen, die das Gebiet gut kennen oder eine direkte Beziehung zum Park unterhalten, so wie Kinto Sylla, ein ehemaliger Militär und einstiger Leibwächter eines Ministers. Falls wir Personen sprechen wollten, die noch näher an der Quelle sitzen, müssten wir sein Dorf Sangou unweit des Eingangstors zum Park besuchen, versichert er uns.
Über die Sicherheitslage haben wir uns zuvor eingehend informiert. Für den Park selbst gilt zu dem Zeitpunkt die Reiseempfehlung «Rot» – was bedeutet, dass von Fahrten dorthin entschieden abgeraten wird. Für die Zone rund um den Park gilt jedoch lediglich die Stufe «Orange», will heißen: Man sollte dort besser keinen Urlaub machen, aber notwendige Reisen sind möglich. Hintergrund: Die Region hat mit dschihadistischer Gewalt zu kämpfen, die von den Nachbarländern Burkina Faso und Niger aus immer häufiger auch auf Benin übergreift. Doch das Risiko, dass uns während eines kurzen Besuchs in Sangou sowie einigen umliegenden Dörfern außerhalb des Parks – zudem unter Begleitung des in der Bevölkerung hoch angesehenen Kinto Sylla – etwas passiert, halten unsere Kontaktpersonen und auch wir für äußerst gering.
Und so machen wir uns auf den Weg, auf zwei Motorrädern samt einem lebenden Perlhuhn – unser Abendessen. Unterwegs gibt es keine Checkpoints, allerdings begegnen wir Fahrzeugen von African Parks sowie der Armee, und über uns fliegt ein Flugzeug von AP hinweg. Unser vierundzwanzigstündiger Besuch verläuft ohne Zwischenfälle, genau wie geplant. Die Interviews unter anderem mit Parkwächtern,[*1] einem Viehzüchter, einem Dorfoberhaupt und einem Medizinmann sind äußerst aufschlussreich, wie sich im Weiteren noch zeigen wird. Vom Park selbst halten wir uns fern.
Abends, zurück in unserem Hotel in Tanguiéta, erhalten wir Besuch von einem örtlichen Polizeikommissar, der in Schlappen daherkommt. Wir sind außerhalb der Stadt gesehen worden, und er möchte nun wissen, was wir hier zu suchen haben. Eine legitime Frage angesichts der vermeintlichen Anwesenheit von Söldnern und der dschihadistischen Bedrohung in dem Gebiet. Wahrheitsgemäß erzählen wir, dass wir uns als Schriftsteller und Journalisten für die Lebensumstände der Bevölkerung interessieren.
Am nächsten Morgen werden wir auf der Dachterrasse des Hotels einem ausführlicheren Verhör unterzogen – der Kommissar ist noch immer in Schlappen sowie in Gesellschaft eines Ermittlungsbeamten. Es scheint nach wie vor nichts gegen uns vorzuliegen. Um die Mittagsstunde herum sollen wir nur noch kurz mit auf die Wache kommen – zwecks einer «gründlichen Personenkontrolle» – es geht um «letzte Formalitäten».
Die Polizei setzt uns nicht darüber in Kenntnis, dass wir offiziell verhaftet sind und uns das Recht auf einen Anwalt sowie einen Arzt zusteht – im Nachhinein wird uns klar, dass das der Beginn einer ganzen Reihe von Verstößen gegen die Beniner Strafprozessordnung und die Landesverfassung war.[4] Obwohl unsere Identität innerhalb weniger Stunden und einschließlich eines Checks bei Interpol überprüft worden ist, hält man uns den ganzen Nachmittag fest. Wir unterschreiben ein Vernehmungsprotokoll, in dem festgehalten wird, dass unsere Inhaftierung aufgehoben sei und keine Verdachtsmomente gegen uns vorlägen.
Doch frei sind wir nicht.
Zur Klärung der «allerletzten Formalitäten» müssen wir die vier Autostunden von Tanguiéta entfernt gelegene Station der Kriminalpolizei von Parakou aufsuchen. Dort sollen wir in Wahrheit jedoch am nächsten Tag wegen Spionage angeklagt werden. Ein Pritschenwagen der Polizei steht bereit, und man gaukelt uns vor, dass wir noch in derselben Nacht wieder zurückkämen. Wir nehmen auf dem Rücksitz Platz, eingeklemmt zwischen zwei bewaffneten Polizisten.
Kaum sind wir außerhalb der Stadt, biegen wir auf eine unbefestigte Straße ab und fahren in den brousse, den Busch. Muss denn jetzt schon jemand austreten? Es wird doch nicht …, schießt es mir durch den Kopf, während ich zu den Polizisten mit den Kalaschnikows hinübersehe. Doch wir kehren schon bald um und halten bei einem geparkten Polizeifahrzeug.
Unser Transport erweist sich als eine Staffelfahrt – escort-corridor nennen sie das. An der Grenze eines jeden Polizeibezirks müssen wir in einen anderen Pritschenwagen umsteigen, der jedes Mal mit bewaffneten Polizisten bemannt ist. Den Rucksack von der Ladefläche holen, auf die Ablösung warten, das Gepäck in den nächsten Wagen werfen, und weiter geht die Fahrt. Manchmal Dutzende von Kilometern am Stück, häufig sind es auch nur kurze Fahrten von wenigen Minuten.
Parakou erreichen wir an dem Abend nicht mehr. Wir übernachten auf halber Strecke in Djougou, auf einer Holzbank der Polizeiwache in einem von Leuchtstoffröhren erhellten Raum neben einer Kiste mit leeren Guinness-Bierflaschen. Ein Polizist sieht fern, Canal Plus Action, auf dem die ganze Nacht amerikanische B-Movies in synchronisierter französischer Fassung laufen.
Nach weiteren noch einmal gut zehn Etappen und langen Aufenthalten auf diversen Polizeiwachen erreichen wir am nächsten Tag die Station der Kriminalpolizei von Parakou. Wir schalten einen Anwalt ein, sind uns aber nicht ganz sicher, ob er auf unserer Seite steht. Auf die Frage, ob wir gesetzlich dazu verpflichtet seien, unser Smartphone oder unseren Laptop zu entsperren, antwortet er: «Wenn ihr nichts zu verbergen habt, dann macht es einfach.» Für uns wenig befriedigend. Ein niederländischer Diplomat, mit dem ich telefoniere, klingt besorgt. Ich muss also damit rechnen, meinen geplanten Flug nach Paris, drei Tage später, zu verpassen. Vertrauliche Angelegenheiten besprechen wir so wenig wie möglich über die reguläre Telefonverbindung – das Risiko, abgehört zu werden, ist groß.
Wir übernachten in der Polizeistation in einem ziemlich geräumigen Büroraum, der zum Glück etwas Privatsphäre bietet. Dort bereinigen wir unsere Laptops, Smartphones und Notizbücher von Informationen, die unsere Quellen in Gefahr bringen und den Behörden verdächtig erscheinen könnten. Wir machen Fotos unserer Notizen und schicken sie an Bekannte, bevor wir sie aus unseren Notizbüchern reißen. Die losen Seiten nehmen wir mit in die Dusche, wo wir sie zerreißen und unter den Wasserstrahl halten. In unserem Handgepäck verstecken wir einige große, unleserliche Papierkugeln, die wir irgendwo auf dem Weg nach Cotonou versuchen müssen loszuwerden.
Flore schläft schon, als ein Ermittlungsbeamter den Raum betritt und uns auffordert, ein Dokument zu unterschreiben, das unsere Rechte aufführt. Darin steht auch, dass uns bewusst ist, dass wir schwerer Vergehen bezichtigt werden und die Ermittlungen «übereinstimmend belastende Informationen» gegen uns ergeben haben. Ein netter Versuch – wir unterschreiben nicht.
Nachts auf meiner Holzbank ergreift dann doch der Gedanke an einen langen Aufenthalt in einem Beniner Gefängnis von mir Besitz. Warum muss ich unbedingt über African Parks recherchieren, eine Organisation, die verhindern möchte, dass Löwen, Elefanten und Nashörner in freier Wildbahn aussterben?
Und wer kann dagegen etwas haben?
*1 In manchen englischsprachigen Ländern steht ein Ranger über den gewöhnlichen Parkwächtern, die «Scouts» genannt werden. Im Folgenden verwende ich die Begriffe «Ranger» und «Parkwächter», ungeachtet ihres Rangs, synonym.
2
Die Idee zu diesem Buch entstand Anfang 2020 im Kafue National Park in Sambia, einer ausgedehnten Wildnis, größer als Israel oder Slowenien, in der nicht nur Elefanten und große Raubtiere leben, sondern auch neunzehn verschiedene Antilopen- und etwa fünfhundert Vogelarten. Anlass meines Besuchs war eine geplante Reportage über zwei niederländische Unternehmer, ehemalige Geschäftspartner, die wegen einer Förderung von sechshunderttausend Euro aus einem Topf für Entwicklungszusammenarbeit miteinander im Clinch lagen.[1]
Einer der beiden war Edjan van der Heide, der Anfang dieses Jahrhunderts sein Reihenhaus in Amstelveen gegen ein abenteuerliches Leben in der Wildnis Sambias eingetauscht hatte. Zusammen mit seiner Frau Robyn-Anne wurde er Eigentümer und Manager der Mukambi Safari Lodge mit eigenem «Infinitypool», der Ausblick auf einen dreihundert Meter breiten Fluss samt Nilpferden und Krokodilen bietet. Komplikationen und Hindernisse, häufig finanzieller Art, waren bei einem solchen Projekt an der Tagesordnung, aber es gab auch Erfolge zu verzeichnen, wie etwa die Eröffnung weiterer Camps. Ein Filmproduzent fand die Abenteuer des Paars interessant genug für eine fünfteilige Fernsehserie, die unter dem Titel Van Amstelveen naar Afrika 2007 und 2008 bei RTL 4 ausgestrahlt wurde.
Zu Hause in Naarden, in der wohlhabenden Gooi-Region in der Nähe von Amsterdam, verfolgte ein weiterer Unternehmer, Vincent Kouwenhoven, die RTL-Serie mit überdurchschnittlich großem Interesse. Als venture capitalist – Risikokapitalanleger auf Deutsch – hatte auch er ein Faible für Afrika. «Es ist die Weite, die ausgedehnte Wildnis», schwärmt er mir bei einem Gespräch vor. «In Afrika ist alles möglich. Ich vergleiche das gern mit dem Wilden Westen. Es ist ein Eldorado für Unternehmer.» Mit seinem eVentures Africa Fund investierte Kouwenhoven in junge afrikanische IT-Unternehmen und erhoffte sich davon eine hohe Rendite. Aber er wollte auch «etwas zurückgeben, etwas Sinnstiftendes tun» – das Thema Nachhaltigkeit wurde dabei nach eigenem Bekunden für ihn zu einer starken Triebfeder.
Nach einem Besuch in Sambia wurde Kouwenhoven Mitgesellschafter der Mukambi Safari Lodge. Die van der Heides konnten eine Finanzspritze gut gebrauchen, und gemeinsam gelang es ihnen, Mittel aus einem Programm für Entwicklungszusammenarbeit einzuwerben, mit dem die Wirtschaft in Entwicklungsländern gefördert werden sollte. Mit diesem Geld wollten die beiden Partner in einem abgelegenen Teil des Parks ein neues Safaricamp aufbauen, ausgestattet mit innovativer, heißt umweltschonender Technologie.
Um es kurz zu machen: Die Partner gerieten sich in die Haare. Kouwenhoven ließ sich seine Anteile mit einem stattlichen Gewinn abkaufen und bestand darauf, die Fördermittel zu behalten. Der Risikoanleger nutzte das Geld jedoch nicht für den Bau eines abgelegenen Dschungelcamps, sondern für eine konkurrierende Lodge, die Ila Safari Lodge, die neben der seines ehemaligen Partners lag. Der Abschlussbericht des Fördermittelgebers war für Kouwenhoven vernichtend. «Wenn du das Projekt so präsentiert hättest, wie du es schlussendlich umgesetzt hast, hätte ich das nie bewilligt», urteilte ein Beamter.[2] Dennoch durfte er die Subvention behalten und verkaufte die Lodge wenig später an einen Investmentfonds für das Doppelte des von ihm selbst veranschlagten Selbstkostenpreises.[3]
Van der Heide und Kouwenhoven konnten sich zwar nicht mehr riechen, waren sich jedoch in einem Punkt einig: dem Wunsch, dass African Parks das Management des Kafue National Park vom sambischen Staat übernehmen würde. Die Verhandlungen darüber liefen schon seit Jahren, aber eine Einigung war nicht in Sicht. Unter der Federführung von African Parks käme das Naturreservat zu einer echten Blüte, prophezeiten sie, und die Wilderer würden den Safari-Touristen Platz machen. Laut van der Heide müsse es nun wirklich bald zu einer Übereinkunft kommen.
African Parks? Als Kind war ich begeistertes Mitglied des niederländischen Ablegers des World Wide Fund For Nature (WWF), lernte, dass es so etwas wie «Unkraut» gar nicht gibt («es sind einfach Pflanzen») und suchte gern in den Entwässerungsgräben der Äcker und Weiden nach Salamandern und Fröschen. Später, als Journalist, habe ich mich jedoch nie wirklich mit Naturschutz beschäftigt – wenn man einmal von den ausgewilderten slowenischen Braunbären absieht, über die ich als Frankreichkorrespondent berichtet habe, weil sie für die Schafzüchter in den Pyrenäen einen wahren Alptraum darstellten. Der Name African Parks sagte mir nichts, obwohl die Organisation doch bereits seit einiger Zeit auf sich aufmerksam gemacht hatte und eine Vielzahl von Kontakten in die Niederlande unterhielt. Die Nationale Postcode Loterij (Nationale Postleitzahlenlotterie) gehörte zu ihren treuesten Spenderinnen, und das Headquarter hatte jahrelang im ehemaligen Kutschenhaus eines mittelalterlichen Schlösschens in der Provinz Utrecht seinen Sitz.
Van der Heide berichtete mir geradezu enthusiastisch vom Konzept der African Parks, das auf Langzeitwirkung angelegt sei. Dabei übernimmt AP, nach einer Übereinkunft mit der Regierung, meist für eine Laufzeit von zwanzig Jahren das gesamte Management und alle Kosten mit dem Ziel, den Park profitabel zu machen und ihn dann dem Staat zurückzugeben. Er lobte die Tatkraft von African Parks. «In dieser Branche tummeln sich viele Organisationen, die einen Bericht nach dem anderen schreiben, aber dann nichts tun. Bei African Parks wandert das Geld tatsächlich in den Naturschutz.»
Erst neulich habe noch, im Zusammenhang mit der Übernahme des Kafue National Park, ein Treffen auf seiner Lodge stattgefunden, bei dem auch der damalige Präsident von African Parks, kein Geringerer als Prinz Harry, anwesend gewesen sei. Die Organisation kann ohnehin auf viel Beifall aus der Welt der Reichen und Schönen zählen: Sie wird unter anderem von Taylor Swift, Leonardo DiCaprio, dem Geschäftsmann David Bonderman und den wohlhabenden amerikanischen Unternehmerfamilien Buffett und Walton unterstützt.
Abends, begleitet vom lebhaften Gekreische einer Gruppe von Affen im Geäst eines Baums über meinem Zelt, las ich mehr über African Parks. Über den Umfang, in dem die Organisation mittlerweile operiert, über die ehrgeizigen Wachstumspläne, die Beteiligung der Politik beziehungsweise der Geschäftswelt und das Motto: A business approach to conservation, also etwa: Ein Geschäftsmodell für den Naturschutz.
Darüber wollte ich mehr wissen.
3
Nachdem wir die Nacht im Gebäude der Kriminalpolizei von Parakou verbracht haben, geht es am nächsten Morgen weiter nach Cotonou. Die vierhundert Kilometer lange Fahrt durch Benin dauert normalerweise gut sechs Stunden, aber wir brauchen – abermals in Dutzenden von Polizeifahrzeugen – mehr als vierundzwanzig Stunden. Heute reisen wir in Handschellen und dürfen unsere Smartphones nicht benutzen. Auf mehreren Polizeiwachen sperrt man uns ein – nicht in eine richtige Zelle, wohl aber in einen Raum, dessen Tür abgeschlossen wird. Wir fühlen uns angreifbar – zumal sich die zusammengeknüllten Notizen noch in unseren Taschen befinden.
Meist sitzen wir auf dem Rücksitz des Fahrzeugs, manchmal aber auch auf der offenen Ladefläche, eingehüllt vom aufgewirbelten Staub der Piste. Eine Afrikanerin und ein Europäer, mit einem Paar Handschellen aneinandergefesselt, hinten auf einem Polizei-Truck: An Aufsehen mangelt es unterwegs nicht. Ein Polizist nennt uns un colis humain, ein menschliches Postpaket.
Nach etwa hundert Kilometern in Fesseln überzeugen wir einen jungen Polizisten, der allein mit uns auf einem Holzbänkchen auf der Ladefläche kauert, dass es nicht schaden kann, wenn ich kurz die Botschaft anrufe. «Niemand hat einen Nutzen davon, wenn das hier eskaliert», versichert Botschafterin To Tjoelker, die bereits mit dem Beniner Außenminister Aurélien Agbénonci Kontakt aufgenommen hatte. Bei der nächsten Polizeiwache nimmt man uns die Handschellen ab, und wir werden zu VIP-Verdächtigen befördert, was bedeutet, dass sogar die Klimaanlage eingeschaltet wird.
Jetzt müssen wir nur noch die zusammengeknüllten Notizen loswerden. Der Plan ist, sich ihrer in der Latrine auf einer der Polizeiwachen zu entledigen. Das Problem ist nur, dass wir unsere Taschen nicht dorthin mitnehmen dürfen. Flore gelingt es mehrmals, einige der Papierkugeln in ihrer Kleidung zu verstecken und sie in die Sickergrube zu werfen.
Die Weiterfahrt verläuft noch langsamer als an den Tagen zuvor, und die Aufenthalte auf den Wachen werden länger. Zufall? Oder von oben gesteuert? Als es dämmert, sind wir nur noch im Besitz einer einzigen Plastiktüte mit Notizen, die wir loswerden müssen. Seit unseres Aufstiegs zu VIP-Verdächtigen haben wir nicht mehr standardmäßig einen bewaffneten Polizisten neben uns, und als wir zu zweit auf dem Rücksitz hocken, während die beiden Polizisten vorn erregt über ihre Arbeitsbedingungen diskutieren (die nicht die besten sind), kurbele ich lässig die Scheibe herunter und lege den Arm auf das offene Fenster. Mit aller Kraft schleudere ich die Tüte in die Büsche. Niemand hat es gesehen.
Für einen Moment fühlt es sich so an, als wäre das alles ein Film.
Aber einer mit Happy End? Noch steht das nicht fest. Die Nacht ist lang, und wir machen regelmäßig Halt, aber nicht, um zu schlafen. Bei Sonnenaufgang erreichen wir einen Vorort von Cotonou, wo man uns erneut einsperrt, diesmal in einen Raum mit vier Männern, von denen einer schlafend auf einer Holzbank liegt und dabei hin und wieder routiniert eine Mücke erschlägt. Vielleicht sind sie genauso unschuldig wie wir, vielleicht auch nicht. Der Raum bietet Zugang zu zwei echten Zellen, aus denen Schnarchgeräusche zu uns dringen. Es ist zu dunkel, um erkennen zu können, wie viele Personen sich in der größeren Zelle befinden, aber sie scheint voll zu sein. In der kleineren Zelle erspähen wir eine Frau mit drei kleinen Kindern.
Nach einer kurzen Fahrt erreichen wir den nächsten Vorort, Godomey, aus dem Flore stammt. Dort sollen wir erstmals, und zwar getrennt, in eine richtige Zelle gesperrt werden. Trotz unseres Protests schließt sich die Gittertür der düsteren Frauenzelle, in die Flore befördert wird. Ich stehe noch draußen, rufe unseren Anwalt an, doch der sagt, dass man auf der Wache nicht über unseren Sonderstatus informiert sei. In ihren Augen seien wir schlichtweg des «Terrorismus» verdächtig und würden gehorchen müssen.
«Der Spionage», korrigiere ich ihn.
Wir schlagen seine Empfehlung in den Wind und protestieren weiter, woraufhin Flore die Zelle dann doch wieder verlassen darf.
Zur Mittagszeit, im nächsten Kommissariat, wird es uns allmählich zu bunt. Flore ist empört, dass man sie chez elle, bei sich zu Hause, für kurze Zeit in eine dunkle Zelle gesperrt hat. Was glauben sie denn, wer sie sind, diese Jungspunde von der Polizei? Wieder sitzen wir stundenlang fest. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, fürchten wir, steht uns auch noch eine vierte Nacht in Gefangenschaft bevor. Meinen Flug nach Paris werde ich dann tatsächlich verpassen, oder – schlimmer noch – wird Flore dank meiner Recherchen in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Sollten wir tatsächlich vor diesem Sondergericht erscheinen müssen?
Dann steht plötzlich ein in der Sonne glänzendes Polizeiauto auf dem Innenhof, ein deutlich anderes Kaliber als die Pritschenwagen, in denen wir bislang transportiert wurden, und man fordert uns auf, einzusteigen. Unser Ziel ist jetzt nicht mehr das Hauptquartier der Kriminalpolizei, sondern das Hauptkommissariat der nationalen Polizei. Wir vermuten, dass das eine gute Nachricht ist, sind aber nach den vorangegangenen Enttäuschungen alles andere als sicher. In einem makellos sauberen Warteraum merken wir, wie verdreckt und staubig wir inzwischen sind. Unsere Rucksäcke sind aufgrund ausgelaufener Benzinkanister völlig ölverschmiert.
Der Hauptkommissar der Polizei von Benin, Soumaïla Yaya, empfängt uns höchstpersönlich. Erneut hält man uns eine Standpauke. Wir hätten nicht in den Norden reisen dürfen, zumindest aber vorher um Erlaubnis bitten müssen. Doch er sei ein vernünftiger Mensch, wie uns der Kommissar versichert, und er verstehe, dass es kulturell bedingte Missverständnisse geben könne. Außerdem liege ihm die Pressefreiheit sehr am Herzen. Deshalb habe er auch den Staatsanwalt gebeten, das Verfahren gegen uns einzustellen. Er bietet uns einen ausgezeichneten Espresso an, und wir unterhalten uns über die Jahre, die er und ich beide in Paris verbracht haben. Ich sei herzlich willkommen, wenn ich noch einmal Benin besuchen wolle. «Aber sagen Sie dann vorher kurz Bescheid.»
Flore wird sofort freigelassen. Ich aber muss trotz der freundlichen Worte noch am selben Abend mit dem ersten Flugzeug, das Richtung Europa abhebt, das Land verlassen. Der Hauptkommissar erteilt mir die Erlaubnis, den Rest des Nachmittags in der Residenz der Botschafterin zu verbringen, die mich eingeladen hat, mich dort frisch zu machen und etwas zu essen. Trotzdem bringt mich die Polizei zum Flughafen, wo ich auch meine letzten acht Stunden in Benin in Polizeigewahrsam auf der Wache verbringe. Ich ermuntere Flore, zu ihrer Tochter und ihrer Familie zurückzukehren, doch sie will mich nicht im Stich lassen und leistet mir in den letzten Stunden in Benin Gesellschaft.
Als sich das Gate öffnet, führt mich ein Polizist an der Schlange vorbei. Eine Abschiebung, erklärt er dem Bodensteward unter den neugierigen Blicken der wartenden Fluggäste. Im Bus zwischen dem Terminal und der Gangway zum Flugzeug befinde ich mich erstmals seit vier Tagen und drei Nächten nicht mehr in Händen der Polizei. An Bord des Flugzeugs, hoch über Westafrika, erwartet mich eine freudige Überraschung: Air France serviert trotz der Kosteneinsparungen in der Luftfahrt auch in der Economy Class noch immer Champagner.
Selbstverständlich frage ich mich, ob African Parks in diesen Vorfall involviert war. Die Organisation erklärt, dass sie nicht über meinen Besuch informiert gewesen sei, geschweige denn über die Verhaftung. Ist das glaubwürdig? Nicht nur der Außenminister, sondern auch der Präsidentenpalast ist über unseren Fall informiert, wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß. African Parks verfügt in Benin über enge Beziehungen zur Staatsmacht und hält sich einiges auf seine ausgezeichneten Informationskanäle zugute. Sollte die Organisation tatsächlich nicht darüber im Bilde gewesen sein, dass wir in den Dörfern in der Nähe des Parks herumgeschnüffelt haben und später in Tanguiéta festgenommen worden sind?
Ein ehemaliger Mitarbeiter von African Parks hält das für «sehr unwahrscheinlich». «Sehr unwahrscheinlich», wie er beteuert. «Der Park ist ständig damit beschäftigt, an Informationen zu kommen, und es werden wöchentlich Berichte verfasst, in denen die obskursten Details zur Sprache kommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eure Verhaftung unbemerkt geblieben ist. Ich halte es allerdings für möglich, dass das Headquarter in Johannesburg nichts davon wusste. Informationen werden nicht immer weitergeleitet.»
«Der Park hat in jedem Dorf Informanten. Wenn du in Sangou warst, so nahe am Eingang des Parks, müssen sie das gewusst haben», sagt eine zweite Kontaktperson in Benin, die selbst in der Nachrichtenabteilung gearbeitet hat. «Ein Europäer hinten auf einem Motorrad – das muss weitergeleitet worden sein.»
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Zurück ins Jahr 2020. Nach meinem Besuch in Sambia lese ich mehr über African Parks und den Naturschutz in Afrika. Es steht viel auf dem Spiel. Afrika ist der Kontinent, dessen Bevölkerung am wenigsten zum Klimawandel beiträgt, jedoch am stärksten davon betroffen ist. Wüsten rücken vor, Regenzeiten setzen später ein und dauern kürzer, Ernten misslingen. «Wenn bestimmte Teile Afrikas durch Erwärmung und Kahlschlag unbewohnbar werden, machen sich Menschen auf den Weg», warnte der damalige EU-Kommissar Frans Timmermans in der Fernsehsendung Buitenhof, um die Notwendigkeit seiner Klimapolitik noch einmal zu bekräftigen.[1]
Wildtiere können sich in der Regel nicht «auf den Weg machen», jedenfalls nicht in Richtung Europa, könnte man Timmermans Gedanken weiterspinnen. Selbst in Naturschutzgebieten konkurrieren sie in zunehmendem Maße mit Hirten und Bauern, die es auf ihr Habitat abgesehen haben. Afrika zählt heute noch etwa zehntausend Geparden, dreiundzwanzigtausend Löwen, etwas mehr Nashörner, ungefähr dreihunderttausend Gorillas und gut vierhunderttausend Elefanten. Jede dieser Populationen ist also kleiner als die (menschliche) Bevölkerung Luxemburgs. Wenn wir wollen, dass diese Arten überleben – und wer möchte das nicht? –, muss etwas geschehen.