Im Schatten des Teufels - Werner Meier - E-Book

Im Schatten des Teufels E-Book

Werner Meier

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Beschreibung

Russlands Überfall auf die Ukraine weckt Leichen im Keller des politischen Machtzentrums in Berlin und bis in die bayerische Provinzstadt Heiligbrück...Ein Geist warnt die pensionierte Strategin der Ex-Kanzlerin vor dem Teufel im Kreml...Der Russe todkrank und zum Undenkbaren entschlossen? Der ukrainische Botschafter in Berlin als russischer Agent unter Verdacht...Eine verschwundene russische Verlobte in München...ein erschossener Ungar im Stadtpark von Heiligbrück...Zum Ärger von Kriminalrätin Karola Honigmann setzt das BKA ihr Elke Rodriguez vor die Nase...Unerwartet kommt Anne Sorbas in München zu Hilfe. Drei Ermittlerinnen zwischen Geheimdienstfronten im Frühjahr 2022...Alles ist möglich, nichts wie es scheint!...Spuren führen von einem international gesuchten Auftragskiller über eine demokratiefeindliche deutsch-österreichische Verschwörung zum Ex-Austria-Kanzler in den USA bis zum Ex-Präsidenten der Vereinigten Staaten. Dort droht ein Bürgerkrieg... Nach und nach wird den Ermittlerinnen erschreckend klar, dass sie im Schatten des Teufels nur winzige Rädchen im globalen Getriebe sind...Mit dem Überfall auf die Ukraine hat der Russe nur den Startschuss in Europa gegeben...Plötzlich befindet Demokratie sich weltweit im Überlebenskampf...Auch im abschließenden Band seiner Heiligbrück-Krimitrilogie (erscheint bei tredition.com unter seinem eigenen Label meiercrimes.de) bindet der Autor brandaktuelle reale Ereignisse in seine mörderische Handlung ein. Im Zusammenhang natürlich frei erfunden! Aber so spannend einleuchtend, dass Leser sich all die politischen Intrigen hinter den Kulissen durchaus als tatsächliche Geschehnisse vorstellen können. Im Rahmen seiner fiktiven bayerischen Kleinstadt Heiligbrück. Schon vom Namen her ein Etikettenschwindel. Nichts ist heilig in Heiligbrück.

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Im Schatten des Teufels

Mit herzlichem Dank an Marina Weisband!

Der im Buch der fiktiven Figur Marija Fydorova zugeschriebene Russland-Artikel wurde original von Autorin Weisband publiziert und mit ihrer freundlichen Genehmigung in die frei erfundene Handlung dieses Krimis eingebaut.

Ebenfalls danke ich Ingrid Schockemöhle für die Erlaubnis, ihr Konterfei für die bildliche Darstellung meiner Schafkopf spielenden Ermittlerin Anne Sorbas auf dem Umschlag zu verwenden. Im realen Leben spielt Ingrid Schockemöhle lieber Doppelkopf.

Im Schatten des Teufels

Ein Heiligbrück-Krimi

WERNER MEIER

© 2022 Werner Meier

Buchsatz von tredition, erstellt mit dem tredition Designer

Verlagslabel: meiercrimes.de

ISBN Softcover: 978-3-347-65263-7

ISBN Hardcover: 978-3-347-65264-4

ISBN E-Book: 978-3-347-65266-8

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Ort, Handlung und Personen sind frei erfunden! Ähnlichkeiten mit realen Personen sind nicht immer zufällig, aber im Zusammenhang mit der Handlung in diesem Buch frei erfunden! Erscheinen Namen real existierender Personen, ist der Zusammenhang mit der Handlung in diesem Buch frei erfunden.

1

Es war schon spät am Abend, als der Botschafter seinem Präsidenten über die sichere Videoleitung Berlin-Kiew berichtete. An diesem Ostermontag, 18. April 2022 in eigener Sache.

„Mein Sekretär wurde von einem deutschen Geheimdienstmann gewarnt die Ungarn würden mich als russischen Agenten verdächtigen.“

Der Präsident ließ es sacken, aber seine unbewegte Miene ließ nicht erkennen was er dachte. Schließlich stellte er bedächtig eine Frage.

„Hat der Deutsche vor einem Gerücht warnen wollen, oder war es eine Warnung an dich, Botschafter?“

„Es war eine inoffizielle Information für mich, und ich setze dich hiermit davon offiziell in Kenntnis. Als mein Präsident.“

„Hat der Deutsche personifiziert, wer den Verdacht gegen dich streut?“

„Nein.“

„Dann sollten wir das herausfinden.“

Der Präsident legte stirnrunzelnd einige Schweigesekunden ein und redete dann wieder sehr bedächtig.

„Die Deutschen helfen uns sehr, Botschafter. Der Kanzler setzt dabei sein politisches Überleben aufs Spiel, weil er die Medien im Dunkeln tappen lässt und die ihn dafür als führungsschwachen Zauderer vorführen. Aber so erfährt der Russe nicht über deutsche Talkshows, was wir unter uns tatsächlich besprechen.“

„Ich denke ich spiele meine Rolle auch gut.“

„Ich hoffe für dich du spielst keine Doppelrolle, Botschafter.“

„Das kannst du nicht wirklich glauben. Es ist der Ungar, der falsch spielt. Wir alle wissen das!“

Von draußen schien blassgelb Vollmond durchs Fenster, zwangsläufig voller Mond, weil der erste Frühlingsvollmond jährlich das hiesige Osterdatum festlegte. Orthodoxes Ostern feierten sie auch in der Ukraine zwei Wochen später. Jetzt bleichte das fahle Mondlicht das Gesicht des Botschafters, der die Augen schloss und sich in seinem Sessel zurücklehnte. Spontan fiel ihm nur ein Grund ein, warum der Deutsche die Identität des Denunzianten nicht preisgegeben hatte: Sie brauchten ihn noch, wollten noch mehr aus ihm herausholen.

Nicht sein Problem! Er musste herausfinden wer den Verdacht gegen ihn den Botschafter streute und ihn abschalten, damit eine Nachricht senden! Eine, die für alle, die es anging unmissverständlich war.

2

Der Schatten neigte nicht zur Ungeduld. Gelassen hatte er in seiner Deckung auf sein Opfer gewartet. Das jetzt nervös vor der Parkbank auf- und abging. Es war eine wenig bewölkte Nacht mit zunehmendem Mond. Er lauerte im Schutz von Dunkelheit, verschmolz mit einer Gruppe von Pappeln. Eine Parklaterne unterstützte knapp acht Meter vor ihm noch das blassgelbe Mondlicht. Günstige Bedingungen für den Schatten. Der dritte Mann tauchte keine Minute später auf. Er überlegte nur eine Sekunde, ob er es mit beiden aufnehmen, beide liquidieren sollte. Und verwarf den Gedanken sofort wieder. Auf diese Entfernung beide auch nur kampfunfähig treffen, um ihnen dann den Fangschuss geben zu können war unsicher. Er mochte keine Unsicherheiten. Verließ er seine Deckung, um näher ranzukommen, hätte der dritte Mann entkommen und ihn beschreiben können. Oder hätte auch bewaffnet sein können und zurückschießen, ihn sogar erschießen. Die Übergabe des im Mondlicht silbern glänzenden Koffers dauerte keine dreißig Sekunden. Die beiden Männer wechselten nur ein paar Worte, die der Schatten akustisch nicht verstehen konnte, nickten sich zu und gingen wieder auseinander.

Er bereitete sich jetzt darauf vor, seinem Opfer noch eine kurze Weile unsichtbar zu folgen, bis der dritte Mann sicher soweit außer Sicht- und Reichweite sein musste, um ihm nicht mehr in die Quere kommen zu können.

Aber sein Opfer machte es ihm bequemer. Es legte den Koffer auf die Bank, öffnete ihn, und der Schatten konnte im Mond- und Laternenschein das zufriedene Grinsen auf dem ihm jetzt zugewandten Gesicht sehen, als es den Koffer wieder schloss. Sein Opfer hockte sich neben den Koffer auf die Bank. Er konnte hinter ihm vom Hut ablesen, dass er sein Gesicht etwas nach oben gen Himmel wandte, seine ganze Aufmerksamkeit jetzt konzentriert auf den Augenblick, um den zu genießen. Der Schatten vermutete es grinste immer noch, als er lautlos aus seiner Deckung kam, sich auf dem jeden seiner Schritte dämpfende Gras die wenigen Meter anschlich und fast hautnah seinen ersten Schuss setzte. Sein Opfer dürfte weder den Schuss wahrgenommen noch den Einschlag unter der Hutkrempe in den Hinterkopf bewusst gespürt haben. Sein Kopf sackte nach vorne, der Hut fiel ihm dabei vor die Füße mit den teuren schwarzen Lederhalbschuhen. Der Schatten ging ohne Eile um die Bank herum und setzte seinen zweiten Schuss ins Herz des nach menschlichem Ermessen schon Toten. Der Schatten ging immer mit einem zweiten Schuss auf Nummer sicher. Wie beim ersten machte es nur Plopp. Der Schatten öffnete den Koffer. Jetzt pfiff er leise durch die Zähne. Ohne darüber nachzudenken, hob er den Hut auf und setzte ihn seinem Opfer über die erste Schusswunde auf den Hinterkopf. Dann verschwand er mit dem Koffer wie er gekommen war in die Stille der Nacht, entgegengesetzt zum dritten Mann, um den er vorsichtshalber einen Bogen machen wollte.

***

Die bis auf das Gesicht schwarz verhüllte Frau hockte auf einem Felsbrocken im weißen Schnee. Sie sah uralt aus, obwohl erst Mitte 60. Erbarmungsloses Leben hatte die aus ihrer Heimat Syrien Geflüchtete um ein Vierteljahrhundert voraus altern lassen. Die Aufnahme gab keinen Hinweis auf mehr Landschaft um sie herum, auch nicht darauf, wie viele Menschen noch mit ihr unterwegs waren. Das Gesicht unter dem Kopftuch war bleich wie der frisch gefallene Schnee und ausgezehrt um die dunklen tief liegenden Augen.

Sie konnte, musste der alten Frau im Schnee dabei zusehen, wie sie mit Leben aufhörte, irgendwo im Nirgendwo. Sie hatte sich zum Sterben auf den Felsbrocken gehockt. Sie saß da wie selbst versteinert und redete… monoton, kraftlos, aber eindringlich im Wissen des eigenen Todes.

Nach dem Aufwachen war an Weiterschlaf nicht mehr zu denken gewesen. Aber die Gewohnheit, sehr früh kräftig zu frühstücken steckte noch in ihr. Heute in der Morgendämmerung zum Pfingstmontag kam das dringende Bedürfnis nach frischer Luft dazu. Sie zog den dicken weinroten Frottee-Bademantel über den hellgrauen wollenen Schlafanzug, bevor sie den runden Naturholztisch draußen im Dachgarten ihrer Wohnung im sanierten Altbau deckte. Aufgebackene Schrippen, selbst angerührten Frühlingsquark, Kochschinken, Butter, Waldhonig, ein weichgekochtes Ei. Dazu Kaffee und Traubensaft.

An den zwei Wänden neben und hinter ihr wanden winterharte Passionsblumen sich an Kletterdraht hoch. Ladybirds Dream sollten jetzt bis in den Oktober hinein lila und weiß blühen. Oder auch nicht! Sie besaß keinen grünen Daumen, nicht mal einen kleinen Finger für Gottes Flora. Anspruchsvolle Bepflanzung jeglicher Art hatte sie aufgegeben. Paprika und Buschtomaten hatten nie Fleisch angesetzt. Von mittig eingezogenen Dachlatten in Töpfen runter hängender Bambus und Efeu hatten sich schnell daran gemacht, auch alles und jeden unter ihnen zu überwuchern. Sie hatte sich erfolglos an Apfelbeere und Mahonie versucht, genauso an Narzissen und Hyazinthen. Sie blieb jetzt bescheiden bei eingetopften Schnittlauch und Petersilie und sagte sich, dass Geblüme und Geblühe vor der Nase ihr sowieso nur die Sicht versperrten.

So hatte sie von ihrem Korbsessel aus freien Blick gen Osten und sah jetzt die Sonne hinter dem Machtzentrum der Republik auftauchen und sich weiter nach oben schieben. Über das sogenannte Band des Bundes wandern. Nördlich vom Reichstag umarmte es den Spreebogen, wenn man es poetisch sehen wollte, von Westen nach Osten den Kanzlerpark mit dem Kanzleramt, Büros der Parlamentarier und Parlamentsbibliothek. Zwei fünfgeschossige Verwaltungstrakts wurden überragt vom 36 Meter hohen Leitungsgebäude mit den Büros des Kanzlers und seiner Staatsminister, dem Kabinettsaal und Konferenzräumen. Bis zum Regierungswechsel hatte sie dort drüben elf Jahre lang ihr geheimnisumwittertes eigenes kleines Reich neben der und im Sinne der Kanzlerin regiert. Nach bestem Wissen und Gewissen zum Wohle des deutschen Volkes. Woran sie Zweifel plagten, seit sie so viel Zeit hatte darüber nachzudenken. Kaum jemand hatte gewusst, was sie als persönliche Sonderberaterin wirklich tat, Details manchmal nicht einmal die Kanzlerin, die ihre Vertraute scherzhaft nach James Bonds Chefin „M“ nannte. Wegen ihres Faibles fürs Britische, das sich auch in ihrem holzgetäfelten Büro niederschlug.

„Muttis Hausdrachen“ hatten andere sie intern genannt. Flüsternd, hinter vorgehaltener Hand. Der weiche Mund tarnte ihr Durchsetzungsvermögen. Ein ausgeprägtes Grübchen am Kinn gab einen Hinweis darauf. Ihr graues Haar saß wie ein Helm auf ihrem schmalen Kopf. Dicke Brillengläser täuschten altjüngferliche Naivität vor, strahlend blaue Augen herzliches Entgegenkommen. Blütenweiße Kragenbluse mit Rüschenknopfleiste unter dem dunkelblauen Blazer war ihre bieder wirkende freiwillig gewählte Dienstuniform gewesen. Dazu dunkelgrauer glatter knielanger Rock. Sie war 57, Einsvierundfünfzig klein in schwarzen Pumps mit niedrigen breiten Absätzen. Ihr Ego hatte es nicht nötig, sich sichtbar größer zu machen.

M dachte darüber nach, warum wohl ihr Unterbewusstsein gerade jetzt die alte Frau im Schnee in ihre Träume hochspülte. Schon drei Nächte nacheinander hatte die Sterbende sie jetzt heimgesucht. M verstand kein Arabisch, wusste aber wovon die Rede war. Weil sie die Übersetzung schon kannte. Die mörderischen Ereignisse von vorletztem Sommer waren in ihrem Kopf noch so präsent, als wären sie gestern passiert. Aus Heiligbrück waren damals Leichen verschwunden, quasi bei Nacht und Nebel in den Keller des bayerischen Staatsschutzes. Der Oberbürgermeister und der Oberstaatsanwalt von Heiligbrück hatten dem Generalstaatsanwalt die hanebüchene Geschichte einer islamistischen Terrorzelle aufgetischt, um Leichen loszuwerden und peinlichen lokalen Mordermittlungen aus dem Weg zu gehen. Und das alles wegen einer lächerlichen mittelalterlichen Grusellegende um ein Stadtgespenst. Durch das Manöver hatte die Provinzposse sich zu hochpolitischem Sprengstoff gemausert. Die Amigos im bayerischen Hinterland hatten die Identität einer Mädchenleiche vertuscht, in weißen Spitzendessous angeschwemmt in den Flussauen. Dabei war ihnen diese Jane Doe schnell keine unbekannte Tote mehr gewesen. Sie hieß Razan Tabia, war 17, mit ihrer Großmutter erst aus Syrien, später aus dem Lager Moria auf Lesbos geflüchtet. Dort hatten seit Jahren katastrophale Zustände geherrscht. Für 2.800 Personen konzipiert, waren dort 20.000 Menschen zusammengepfercht, Europas größtes Lager, eines der unmenschlichsten. In der Nacht auf den 9. September 2020 hatten junge Männer aus Afghanistan das Lager angezündet. Der letzte verzweifelte Akt, Zuständen schlimmer als der Tod zu entkommen. Durch das Feuer waren 12.600 Menschen obdachlos geworden, ein Teil war auf das griechische Festland gebracht, für rund 7800 Menschen ein provisorisches Zeltlager an der Küste in der Nähe des bereits bestehenden Lagers Kara Tepe errichtet worden. Inzwischen hatten sie an anderer Stelle ein modernes Moira gebaut. Ein Hochsicherheitsgefängnis mit Stacheldrahtrollen obenrum.

Razan hatte sich Monate vorher bis nach Heiligbrück durchgeschlagen, zu ihrer Tante Sibel. Sicher voll irrer Sorge, weil der Handykontakt zur Tante schon seit Wochen abgerissen war. Vor Ort war ihr die fürchterliche Ungewissheit zur schrecklichen Gewissheit geworden. Tante Sibel war tot, vom Hochhausdach gestürzt. Auf Sibels Handy hatten die Ermittler Razans Nachrichten von der Flucht gefunden, inklusive eines Videos ihrer sterbenden Großmutter Ayeesha. Sibels Leiche war nie zur Obduktion in der Rechtsmedizin von Heiligbrück angekommen, lag schnell beschlagnahmt vom Staatsschutz als Verschlusssache in München, wie später auch Razans Leiche. M hatte von den Vorkommnissen Wind bekommen und ihre Chance gesehen, der ungeliebten Schwesterpartei eins reinzuwürgen. Ihre Antipathie gegen die Bayern hatte eine Vorgeschichte, seit Regent Horst bei seiner Rede auf einem Parteitag ihre Chefin neben sich hatte stehen lassen wie ein Schulmädel. Später hatte sein „Parteifreund“ Markus ihn vom Thron intrigiert und ihre Chefin den Horst im Berliner Asyl plötzlich auch noch als Innenminister an der Backe. Thronräuber Markus hatte sich während Corona dann scheinheilig an die Kanzlerin gewanzt und war in deren Sog plötzlich in der Beliebtheitsskala bundesweit nach oben gespült worden. Bezeichnenderweise von einer Seuche, hatte M finster gedacht. Wenn das so weiterging, würde der Kerl noch Kanzler werden und bayerischer Größenwahn sich im Büro der Chefin breitmachen.

Nicht, wenn sie, M das verhindern konnte!

Sie hatte aus dem Hintergrund Fäden gezogen, Leute benutzt wie eine Puppenspielerin Marionetten. Auch, um das Video der alten Frau im Schnee in die Hände zu bekommen. Verrat in den Reihen der Schwesterpartei hatte es ihr dann zugespielt. Es hatte Datums- und Zeitstempel vom 13. April 2020, 14.36 Uhr. Mit letzten Grüßen an Tochter Sibel in Heiligbrück. Enkelin Razan hatte das Video mit ihrem Handy aufgenommen, ihre Großmutter an Ort und Stelle betrauert, sie sicher noch selbst beerdigt, sich danach auf grob geschätzte eineinhalb tausend Kilometer zu ihrer Tante ins bayerische Hinterland gemacht. Dass sie es geschafft hatte, glich einem Wunder. Durch die europäische Flüchtlingsabwehr und während harter Corona- Lockdowns. Ein 17jähriges Mädchen mit unbändigem Willen, mittellos und allein über drei Monate durchs östliche Europa unterwegs. Eine Reise durchs Fegefeuer. Endlich am Ziel angekommen war Razan direkt in der Hölle gelandet. Ihre Tante Sibel war bereits tot, von einer Gruppe Jugendlicher vom Hochhausdach gemobbt. Wenig später hatte der Fluss Razans Leiche ins Morgengrauen der Auen in Heiligbrück gespuckt! Ertränkt!

Die Heiligbrücker Zeitung war Sprachrohr des Oberbürgermeisters gewesen. So hatte in ihrer Strategie gegen die großmäulige kleine Schwester ein online-Magazin mit dem absurden Namen „Die Kuh mit zwei Ärschen“ eine Hauptrolle gespielt. Sie hatte sich über Gründer und Herausgeber Sepp Teufel schlau gemacht. Nach Erfolgsmaßstäben der Leistungsgesellschaft eine verkrachte Existenz, ein Unangepasster, ein Querulant, der sich zu oft mit staatlicher Obrigkeit und anderen Mächtigen angelegt hatte. Dass Teufel in Heiligbrück gestrandet war, für M vorletzten Sommer ein Glücksfall. War er journalistisch noch halb so gut wie zu Glanzzeiten, war er als unfreiwilliges Werkzeug optimal.

Teufels ungebrochene Renitenz gegenüber Obrigkeit stand nicht in Frage, im damaligen Fall auf der Seite, wo M ihn hatte haben wollen und brauchte. In Heiligbrück war inzwischen die Mordlust unter der Stadtprominenz ausgebrochen, und Teufel verlor sich zunehmend im Nebel undurchsichtiger Zusammenhänge. Der Hund musste zur Jagd getragen werden. Um ihre eigenen Spuren zu verwischen, hatte M ihm das Video auf Umwegen zukommen lassen, dazu ein brisantes internes Memo aus dem bayerischen BAMF.

An alle Mitarbeiter/Innen: Es ist davon auszugehen, dass Covid-19 während der nächsten Monate sich in Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln ungestört und so auch überproportional tödlich ausbreitet. Nach politischer Lage-Einschätzung empfiehlt es sich daher, Anträge auf Familiennachzug bis auf weiteres abwartend mit äußerster Zurückhaltung zu bescheiden.

Im Klartext hieß das: Lasst sie sterben, wo sie sind!

Teufel hatte funktioniert wie geschmiert, alles aufgedeckt, damit bundesweit Schlagzeilen gemacht. Die Kuh mit zwei Ärschen war bekannt geworden wie ein bunter Hund.

Fast eineinhalb Jahre nach der letzten Botschaft der sterbenden Frau im Schnee war ein Jäger auf der Balkanroute der Spur eines einsamen Wolfs gefolgt und hatte ihn gestellt, als der vor einem Felsen heißhungrig nach etwas grub. Der Graue machte sich davon, als der Jäger mit seinem Gewehr auf ihn anlegte. Der alte Wolf hatte angefangen ein Grab freizulegen. Mit einer stark verwesten alten Frau. Beiliegende Dokumente identifizierten sie als Ayeesha Beshrami aus Idlib/Syrien, zuletzt geflüchtet zusammen mit ihrer Enkelin Razan aus Moria.

Der Jäger hatte das Grab am 17. August letzten Jahres gefunden, erst Wochen danach hatte die tote Frau es als Meldung in eine überregionale griechische Zeitung geschafft.

Wen kümmerte eine Flüchtende, die unterwegs gestorben war. Es konnte nicht einmal jemand sagen, wann die beiden Syrerinnen aus Moria verschwunden waren. Niemand hatte sie vermisst. Vielleicht hatte Corona-Angst im Lager Moria Großmutter und Enkelin letztendlich in die Flucht getrieben. Die zynische Ironie war, dass Corona sich in den Lagern wie im Schlaraffenland ungehemmt durch ungeschützte Menschenmassen fraß, die Pandemie gleichzeitig das Elend der Menschen aus dem öffentlichen europäischen Bewusstsein verbannt hatte. Corona fokussierte mediales und politisches Interesse auf die jeweils eigene Bevölkerung. Auslöser für Ayeeshas und Razans Flucht konnte auch eine niederschmetternde Nachricht gewesen sein, die sie um die Zeit von Ayeeshas Tochter und Razans Tante Sibel aus Heiligbrück aufs Handy gekriegt haben mussten: Die Ablehnung von Sibels Antrag auf Familiennachzug von Mutter und Nichte.

Sie waren die letzten drei von 13 einer syrischen Familie gewesen, zehn von ihnen umgekommen in Bombenhagel, oder vom IS ermordet.

Was immer der Fluchtgrund gewesen war, vermutlich hatten Ayeesha und Razan einen Schlepper gefunden, oder einer hatte sie angesprochen, ihnen alles abgenommen was für ihn von Wert war, sie danach aufs Festland gebracht, zu einer abgelegenen Stelle geführt und dort ihrem Schicksal überlassen. Ausgerüstet höchstens mit einer groben Skizze übers Weiterkommen. Weit gekommen war die alte Frau nicht, dürfte nach Ms Einschätzung des Videos mit ihrer Enkelin höchstens vier, fünf Tage unterwegs gewesen sein. Von der Inkubationszeit her gut möglich, dass sie sich im Lager mit dem Virus angesteckt und auf der Flucht nicht nur an purer Erschöpfung, sondern an Covid 19 gestorben war. Aber wer wollte das wissen? Die griechischen Behörden nicht, die EU schon gar nicht.

Ayeesha Beshramis Leiche war ohne forensische Untersuchung verbrannt worden.

Ein zusammengerolltes Stück rot beschriftetes Pergament in einem Lederbeutel, den die alte Frau um den Hals trug, hatte der Jäger für sich behalten und sich ins Griechische übersetzen lassen. Erst Anfang Dezember letzten Jahres hatte er im Internet Zusammenhänge mit einer bayerischen Kleinstadt namens Heiligbrück mitgekriegt, und die Prophezeiung der alten Frau Teufels online-Magazin übermittelt.

Die Hölle wird auch über Euch kommen, die Ihr uns den Teufeln in Damaskus, Ankara und Moskau ausgeliefert habt!

Über Euch, die Ihr uns sterben lasst, wenn die Teufel Feuer und Tod vom Himmel auf uns schicken!

Über Euch, die Ihr uns Überlebende in die Hölle von Lagern pfercht, wie Ihr es mit euren Tieren macht, die Ihr schlachtet und esst

Über Euch, die Ihr uns dem Elend der Lager und ohne Medizin den Seuchen überlasst!

Über Euch, die Ihr das Böse in Menschengestalt nicht erkennen wollt!

Das Böse wird auch über Euch kommen!

Die Hölle wird auch über Euch kommen! Der Russe wird über Euch kommen!

Über Euch, die Ihr die Teufel nicht erkennen wollt und Geschäfte mit ihnen macht!

Razan hatte die Prophezeiung ihr Großmutter sicher spätestens gelesen, bevor sie die beerdigt hatte. Und sich dann entschlossen, die mit ihr zu begraben. Nachvollziehbar, wenn ihr der Inhalt zu krass vorgekommen war, oder sie Angst davor hatte, er könnte bei Bekanntwerden als Drohung, nicht als Warnung, oder wie auch immer falsch verstanden werden. M hatte die Prophezeiung der sterbenden alten Frau im Schnee mehrmals intensiv gelesen, vor allem das Ende. Und war zu dem Schluss gekommen, dass die Verfasserin primär Deutschland ansprach, das Land, in dem sie Schutz hatte suchen wollen, fast flehend vor dem Russen warnte. Aber natürlich interpretierte jeder hinein, was in seine Weltanschauung passte, bis hin zu allem möglichen Verschwörungsgeschwurbel.

Dem Generalstaatsanwalt in München war es nicht zu dumm gewesen, mit einer Pressekonferenz einzusteigen. Er fühlte sich im Terrorverdacht von damals bestätigt, weswegen er die Leichen von Tochter und Enkelin in Heiligbrück hatte beschlagnahmen lassen und als Geheimsache unter Verschluss gehalten. Zumindest bliebe es durch den aufgetauchten Brief der Großmutter mehr denn je offen, mit welchen Absichten die und ihre Enkelin Razan tatsächlich nach Deutschland gewollt hatten. Worauf die Ereignisse vom Sommer 2020 wieder in allen Nachrichtensendungen aufgewärmt wurde. Immerhin gerieten so die grausamen Schicksale der syrischen Zivilbevölkerung wieder ins allgemeine Interesse. Kurzfristig. Social Media entfesselte einen enthemmten Shitstorm auf Teufels Magazin und seine Geschäftspartner Franziska Huber und Fritz Sänger. Und auf die längst tote alte Frau im Schnee, auch auf ihre tote Tochter Sibel und die tote Enkelin Razan. Es war brutale verbale Leichenschändung

Und natürlich kamen auch alle Muslimhasser wieder Zeter und Mordio geifernd aus ihren Löchern. Kurz darauf hatten Huber/Sänger kurz und knapp die Aussetzung des Magazins auf unbestimmte Zeit gemeldet und sich eine Denkpause verordnet. Ohne weiteren Kommentar. Aber es war sicher nicht weit hergeholt, dass, was sie im Netz ausgelöst hatten und die Angriffe und Morddrohungen gegen sie persönlich das junge Paar zu seinem unerwarteten Entschluss getrieben hatten.

M erinnerte sich genau an Mittwoch, den 8. Dezember 2021 als das Datum, an dem Teufels Magazin des schon toten Herausgebers mit der deutschen Version der Prophezeiung der alten Frau im Schnee die letzte Monatsausgabe des Jahres noch online aktualisiert hatte, die Berichterstattung über die Mordserie vom Sommer des Vorjahres damit abschließend abgerundet.

Es war der Tag der Vereidigung des neuen Kanzlers im Plenarsaal des Bundestages gewesen. Damit auch ihr offizieller Abschied aus dem Zentrum der Macht. Syrien war in der Öffentlichkeit schon wieder vergessen. Die russische Armee formierte sich gerade an den Grenzen zur Ukraine. Und immer noch nicht hatten die bräsigen Politeliten wahrhaben wollen, dass der Imperator im Kreml die auch einmarschieren lassen würde. In der Bevölkerung verstärkte sich jetzt zunehmend der fatale Eindruck, die Sozis allen voran hätten jahrzehntelang Deutschland an das russische Monster verscherbelt. M beneidete den Neuen im Kanzlerbüro nicht. Er und seine Partei bekamen jetzt das meiste an Vorwürfen über die fatalen Fehler der Vergangenheit ab. Aber alle an den Schalthebeln der Republik hatten Augen und Ohren zugemacht. Alle anderen hatten ständig und inständig davor gewarnt welch monströsen Geistes Kind der Russe war. Die Polen, die Baltischen Staaten, Schweden, Finnland, die USA. Nur die Deutschen hatten weggehört und weggesehen, dazu mit einer zwielichtigen Stiftung zumindest in der Grauzone organisierten Verbrechens für Nordstream 2 Sanktionen der USA ausgehebelt. Und das alles nach Syrien, Tschetschenien, Georgien, der Krim. Der Russe hatte auch danach immer wieder klar gesagt, was er weiter vorhatte.

So gesehen war die aktuelle Wut des ukrainischen Botschafters nur allzu verständlich. Dazu musste er gar nicht noch die Gräueltaten der deutschen Wehrmacht bemühen. Sein Volk war diesmal dem Russen zum Fraß vorgeworfen worden, weil Deutschland taub und blind die Geschäftemacherei mit ihm allem anderen vorzog. Sie alle hatten den Rubel in die Kriegskasse des Russen rollen lassen, ließen ihn immer noch rollen. Sie alle hatten mit dem Teufel paktiert. Die Kanzlerin hatte das schon längst erkannt.

„Er lebt in einer anderen Welt.“

Hatte die Chefin über den Russen gesagt. Und es dabei belassen. Sie hatte mit ihrer Politik nicht dagegen gesteuert. Im Gegenteil! Wandel durch Handel hatte das Credo gelautet. Welch apokalyptischer Irrglaube bequemer Geschäfte wegen!

Trotzdem war sie überzeugt davon, dass der Russe mit seinem Überfall auf die Ukraine bis nach der Amtszeit der Kanzlerin gewartet hatte. Die kannte sein wahres Denken zu gut, und er hatte damit rechnen müssen, dass sie ihre Politik radikal ändern und hart gegen ihn vorgehen würde. M stellte sich vor, wie der Russe sich auf die Schenkel geklopft hatte, als ausgerechnet die SPD den Nachfolger stellte.

Aber er hatte sich verrechnet! Damit, dass die Ukraine ein Durchmarsch würde. Damit, dass der deutsche Kanzler vor den fatalistischen Friedensträumern seiner Partei den Kopf einziehen würde. Damit, dass die Europäer sich auf keine gemeinsame Linie würden einigen können, schon gar nicht, bevor er mit der Ukraine durch war.

Was der Russe richtig einschätzte, war seine Strategie der Angst. Die zeigte Wirkung!

Deutsche waren immer bereit, Angst zu haben. Primär um ihren bequemen Wohlstand. Sie wollten ihn behalten, aber um Gotteswillen nicht verteidigen müssen. Und der Russe im Kreml arbeitete gezielt mit der Verbreitung von Angst. Deutschland war dafür fruchtbarer Boden. Es blühte die Täter- Opfer-Umkehr bei vielen, die nicht einmal im Ansatz begreifen konnten, dass es Menschen gab, in der Ukraine mit großer Mehrheit ein ganzes Volk, das geschlossen und buchstäblich ums Verrecken nicht seine Identität aufgeben und den Rest seines Lebens unter russischer Diktatur dahinvegetieren wollte. Und schon gar nicht begreifen wollten, dass die Ukrainer auch ihre Freiheit verteidigten und dabei Leben ließen. Sie fand es sehr kühn, Ukrainern aus warmen deutschen Wohnzimmern auch noch vorzuwerfen, sie würden ihre Kinder opfern, weil sie sich nicht ergaben. Als wäre das eine einfache Sache für die Wahlurne und von freiem Entschluss. Propaganda-Narrative des Russen sickerten weiter ins deutsche Denken von jenen Geistern, die mehr oder weniger klammheimlich auch meinten, Frauen wären selbst schuld an ihrer Vergewaltigung, wenn sie den Vergewaltiger mit kurzen Röcken provozierten. Stünde Deutschland schon nur ansatzweise akut vor einer Situation wie die Ukrainer sie durchlebten, hätte sie Angst vor denen an ihrer Seite. Dieser deutsche Hang zum Überlaufen war ihr unheimlich.

Zwar war auch die Hilfsbereitschaft für geflüchtete Ukrainer erwartungsgemäß immens. In Wahrheit kosteten viele nur wieder mal die deutsche Lieblingsrolle bis zur Neige aus. Die der empathischen Wohltätigkeit. Und ließen sich dafür gerührt über sich selbst vor Fernsehkameras moralisch hochleben. Tatsächlich taten sie nicht mehr als das Minimum ihrer verdammten Pflicht und Schuldigkeit einem angegriffenen Volk gegenüber, das gerade auch ihre künftige Freiheit und ihren bequemen Wohlstand mit seinem Leben verteidigte.

Sie hatte damals auch Teufel benutzt, und seit seinem Tod verfolgte sie das Gefühl sie sei ihm was schuldig. Schuldgefühle, die sie inzwischen verdrängt hatte. Jetzt hatte Teufel sich durch die alte Frau im Schnee ihr wieder in Erinnerung gebracht.

M beschlichen düstere Vorahnungen.

3

Dr. Lieselotte Paulus stand über die Leiche gebeugt und verkündete ihre erste Erkenntnis laut in den windstillen Morgen des Pfingstmontags des 6. Juni. Der sich gerade zu einem Tag aufraffte, dessen Wetterlage Meteorologen als heiter bezeichneten.

„Totenstarre baut sich im Endstadium auf.“

An der Szene hier unten im Stadtpark von Heiligbrück war nix heiter. Alle Zeichen standen auf Mord!

Die Information der Rechtsmedizinerin war an Kriminalrätin Karola Honigmann und Hauptkommissar Albin Hundhammer hinter ihr gegenüber des breiten Kieswegs adressiert, den die als Abstand einhielten, um Dr. Paulus ungestört arbeiten zu lassen und keine eigenen Spuren hinzutragen.

Totenstarre setzte an Augenlidern und Kaumuskeln schon nach ein bis zwei Stunden zuerst ein, wanderte über Hals und Nacken abwärts und war nach sechs bis zwölf Stunden voll ausgeprägt. Zimmertemperatur vorausgesetzt. Nach 24 bis spätestens 48 Stunden löste sie sich auf, alles abhängig auch von Wärme, Kälte, vorheriger Belastung der Muskeln, und, und… Plötzlicher gewaltsamer Tod überfiel seine Klientel selten unter Laborbedingungen.

Totenstarre baute sich im Endstadium auf hieß jetzt hier draußen Todeseintritt nach Mitternacht, noch über den Daumen gepeilt.

„Soweit ich das Ungarisch verstehe. Janos Vertesy, geb. 13. 03. 1974 in Debrecen, wohnhaft in Budapest.“

Las Dr. Paulus laut aus dem burgunderroten EU-Pass vor, den sie dem Toten aus der Innentasche des Mantels gezogen und aufgeklappt hatte.

„Er ist auch über Europas Grenzen hinaus weit rumgekommen, vor allem scheint er China zu mögen.“

Stellte sie noch fest und reichte den Pass an einen Spusi weiter, der ihn für die KTU eintütete. Sie durchsuchte die Außentaschen von Mantel und Hose. Es war alles da, was Mann normalerweise mit sich trug. Geldbörse, ein Schlüsselbund mit drei Transpondern, einer davon für Auto, und drei herkömmliche Türschlüssel. In der rechten Manteltasche ein Smartphone. Wer ihn erschossen hatte, machte sich keine Sorgen, dass dessen Verbindungsdaten zu ihm führen könnten.

„Scheinbar hat er sogar Interesse daran, dass schnell bekannt wird, wen er erschossen hat.“

Folgerte Dr. Paulus aus dem Sammelsurium persönlicher Hinterlassenschaften.

„Ich denke die öffentliche Zurschaustellung seines Opfers hier ist eine Botschaft. Fragt sich für wen.“

Honigmanns Gedanken beschäftigten sich mit dem elektronischen Autoschlüssel des Toten. Wo war der dazugehörige Wagen? Draußen vor der Schranke zum Parkeingang hatte bei ihrer Ankunft keiner gestanden. Sie winkte einen der beiden KDD-Beamten zu sich, die sich gerade mit einem der absichernden Streifenpolizisten unterhielten.

„Für Sie gibt´s hier nichts zu tun. Lichtens das Passfoto des Toten auf ihr Handy ab. Dann schnappen Sie sich Ihren Kollegen und meinetwegen noch zwei der Uniformierten und klapperns alle Absteigen nach unserm Toten ab. Fangens mit den umliegenden an, von denen man den Parkeingang hier gut zu Fuß erreichen kann. Und klemmt euch alle ans Handy und findet raus welches Auto zu unserem Toten gehört. Wenn ihr das wisst, dann sucht auch rund um den Park nach der Karre.“

„Anweisung von mir.“

Bellte Hundhammer dem Kollegen nach und wandte sich danach schroff an seine Chefin.

„Ich bin der Ermittlungsleiter, Sie als Zeugin draußen!“

„Von mir aus.“

Reagierte Honigmann geistesabwesend. Sie überlegte, dass zumindest der Killer mit einem Wagen hier gewesen sein musste. Um so flexibel wieder verschwinden zu können, wie er gekommen war und inzwischen höchstwahrscheinlich schon unterwegs nach weit weg. Mitten in der Nacht boten öffentliche Verkehrsmittel sich nicht an, schon gar nicht im Hinterland. Und mit Taxi zum eigenen Mordtatort und zurück wäre dämlich gewesen, genauso, wie sich länger aufzuhalten, wo man um keinen Preis auffallen wollte, auch zu nur einer Übernachtung in einer Kleinstadt abzusteigen, wo jeder Fremde wie ein exotisches Zootier beäugt wurde. Keine Berge oder große Seen verklärten Heiligbrück oder Umland zur Postkartenlandschaft für Touristenschwärme. Und auch Geschäftsleute tauchten hier nicht in Rudeln auf. Big Deals waren nicht angesagt in Heiligbrück, wo schon der Mittelstand vor sich hin rostete. Die Betuchten, die oben in Elysion ihre Jugend nachjustieren gewollt hatten, waren auch nicht runter ins Tal gekommen, um sich ins Schaufenster zu stellen. Und Mörder legten logischerweise den größten Wert auf Unauffälligkeit.

Der Killer hier war sicher nicht dämlich!

Die Autoschlüssel des Opfers hatte er dagelassen. Wäre dessen Wagen draußen vor dem Eingang geparkt gewesen, hätte er den nach Lage der Dinge auch einfach stehen lassen, wo und wie er war. Seinen Verfolgern den toten Fahrzeughalter namentlich auf den Präsentierteller zu setzen, und sich dann Sorgen wegen dessen Wagen zu machen, sich gar die zeitraubende und risikoreiche Mühe zu machen, den verschwinden zu lassen, das ergab keinen Sinn.

Janos Vertesy war nicht vom Nachthimmel in den Park gefallen!

Aber der Tote hatte kein Flugticket, keinen daran anschließenden Mietwagenvertrag bei sich gehabt. Auch kein Zugticket.

Also, wo war der Wagen des toten Ungarn?

Hundhammer schwamm in Oberwasser und schaute wie schon vorhin schräg auf seine Chefin runter.

„Haltens Ihr Kalb an der Leine. Damit´s hier nicht noch mehr Spuren versaut.“

„Hund hat die Leiche gefunden, Herr Hauptkommissar!“

Honigmann schaute weiter geradeaus, ihrem Nachfolger als Leiter von K11 Tötungsdelikte neben sich nicht ihr Gesicht zugewandt. Weil sie sonst hätte zu seinem aufschauen müssen. Und sie wollte zu niemandem aufschauen, schon gar nicht zu Hundhammer. Der hätte dann gesehen, dass ihre wiesengrünen Augen sich gerade ärgerlich vernebelten, sonst von so saftiger klarer Grasfarbe, dass man sich gesunde Kühe drauf weidend vorstellen konnte. Hundhammer und sie standen zwar im Moment nebeneinander, sich aber alles andere als nahe.

Was Hundhammer gerade als Kalb bezeichnet hatte, war ein schwarzer irischer Wolfshund. Er hieß schlicht „Hund“. Tatsächlich hatte er die Leiche gefunden. Die war allerdings für niemanden zu übersehen, der des Weges kam. Hund war um die frühe Zeit an diesem Pfingstmontagmorgen nur der erste gewesen. Kurz nach acht war sie mit ihm durch den hier noch menschenleeren Stadtpark spazieren gewesen, Hund ihr dann vorausgetrabt, um sein kleines Geschäft zu erledigen. Sie hatte ihm bis jetzt seinen Tick nicht abgewöhnen können, sich in Parks Bänke, statt Bäume zum Anpinkeln auszusuchen. Vorzugsweise welche, auf denen jemand saß. Wobei er Zähne zeigte, als würde er den oder die angrinsen. Wenige blieben sitzen und schauten demonstrativ in die andere Richtung, die meisten standen vorsichtig auf und suchten das Weite. Anlegen wollte niemand sich mit dem rauhaarigen schwarzen Wolfshund. Tatsächlich hatte Hund zielstrebig die einzige Bank angesteuert, worauf um diese frühe Zeit schon ein Mann saß. Zurückgelehnt, in dunkelblauem Anzug, weißem Hemd, am obersten Knopf offen, darüber einen weit offenen dunkelblauen Burberry. Sein Kopf war mit dem Kinn auf die Brust gesunken. Honigmann war darauf trainiert, Details wahrzunehmen. Schon von weitem hatte sie erkannt der scheinbar im Sitzen schlafende Mann auf der Bank war keiner, der im Freien leben und pennen musste, weil er kein Dach über dem Kopf hatte. Dafür waren seine Klamotten einschließlich der schwarzledernen Halbschuhe zu gepflegte Businessclass. Auch sah sie keine üblichen Utensilien wie Beutel um ihn herum.

Hund hatte ein Bein an einem Ende der Bank gehoben, und der Mann sich keinen Millimeter bewegt. Genauso wenig sein Hut. Der saß auf seinem Hinterkopf, entgegen allen Gesetzen der Fliehkraft. Demnach hätte er nicht nach hinten rutschen, sondern ihm nach vorne runterfallen müssen, als sein Kopf nach vorne gekippt war. Honigmann hatte schon von weitem gedämmert, dass der erstarrte Bankhocker nicht eingepennt war. Als sie vor ihm stand hatte der rote Fleck um das Loch in Herzhöhe auf dem weißen Hemd den Eindruck verstärkt. Sie musste ihn nicht anfassen, um zu wissen, dass hier eine Leiche hockte, hatte Hund bei Fuß gerufen und über ihr Handy den Kriminaldauerdienst alarmiert.

„…und setzt die gesamte Kavallerie in Bewegung…und holt Hundhammer aus dem Feiertagsmodus! Das hier ist kein gewöhnlicher Todesfall.“