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Harte Zeiten! Schräge Typen! Toughe Frauen! meiercrimes.de Krimis bei tredition! Band 2: In Teufels Hölle! Eine verweste Frauenleiche im Niemandsland der Balkanroute…und ein stadtbekannter Toter mit einem Pfeil in der Brust in den Flussauen von Heiligbrück. In Berlin sieht M, die geheimnisumwitterte Strategin der Noch-Kanzlerin im Herbst 2021 Leichen vom Sommer 2020 aus dem Keller auferstehen. Derweil gerät die pensionierte Kripobeamtin Anne Sorbas auf Mördersuche in der bayerischen Provinz ahnungslos zwischen die Fronten heimlicher Allianzen in höchsten Polit- und Medienkreisen. Spät erkennt sie im scheinbar verschlafenen Heiligbrück das größenwahnsinnige Zentrum einer deutsch-österreichischen Verschwörung zur Machtübernahme. Wie schon in seinem ersten Heiligbrück-Krimi CORONA - Lasst sie sterben… schreibt der Autor auch In Teufels Hölle! bis zum Ende bissig mit realen und verblüffend aktuellen Ereignissen mit und bindet sie in seine Handlung ein, in natürlich frei erfundenen Zusammenhängen. Die man sich so aber durchaus auch hinter den realen Polit-Kulissen vorstellen kann. Meier zeichnet ein galgenhumoriges Gesellschaftsbild in Krisenzeiten, das ihm schon mal mörderisch aus dem Rahmen fällt. Der Rahmen ist die fiktive bayerische Kleinstadt Heiligbrück, in der es hinter den biederen Fassaden alles andere als heilig zugeht. Nach der ersten Leiche in den Flussauen scheint die Handlung dahinzuplätschern wie der Fluss durch die Stadt und die Auen vor der Stadt. Dabei fordert allein Corona im Herbst 2021 unsichtbar, aber immer bedrohlicher die ganze Republik heraus. In Heiligbrück schleicht sich dazu die beklemmende Bedrohung eines Serienmörders an, kommt spürbar auch Sorbas immer näher. Inzwischen sind 4 meiercrimes.de Krimis im Handel. Alle hautnah am Zeitgeschehen, wo Realität und Fiktion erschreckend schlüssig ineinander fließen.
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Seitenzahl: 299
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In Teufels Hölle!
In Teufels Hölle!
Ein Heiligbrück-Krimi
Werner Meier
© 2021 Werner Meier
Buchsatz von tredition, erstellt mit dem tredition Designer
Verlagslabel: meiercrimes.de
ISBN Softcover: 978-3-347-51182-8
ISBN Hardcover: 978-3-347-51183-5
ISBN E-Book: 978-3-347-51184-2
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.
Orte, Handlung und Personen sind frei erfunden! Ähnlichkeiten mit realen Ereignissen und Personen sind nicht immer rein zufällig, aber im Zusammenhang mit der Handlung im Buch auch frei erfunden!
1
Seit Morgengrauen folgte er den Spuren des einsamen Wolfs durchs Niemandsland. Als er zwischen den Bäumen heraus auf die Lichtung trat blendete ihn die inzwischen hochstehende Sonne. Sekunden, bis er wieder klarsehen konnte. Er stand vor ihm, vielleicht 15 Meter entfernt, schätzte er, während sein Puls in die Höhe ging. Der Graue stand da angewurzelt, wie er. Sie starrten sich in die Augen. Langsam nahm er das Gewehr von der Schulter…
Er hatte den Einsamen nie erschießen wollen, hätte nicht sagen können, warum er seinen Spuren überhaupt gefolgt war. Eigentlich patrouillierte er im Auftrag der Polizei nach Flüchtenden auf der Westroute über den inneren Balkan, von Griechenland über Nordmazedonien und Serbien. In unregelmäßigen Abständen. Es gab noch die Ostroute von der Türkei über Bulgarien und Rumänien die Donau aufwärts nach Serbien. Beide Routen waren wenig erfolgversprechend, trotzdem schafften es immer wieder welche, angetrieben von nacktem Überlebenswillen. Er ging seinem derzeitigen Job halbherzig, widerwillig nach, froh nur, dass er noch nie auf welche dieser verzweifelten Menschen getroffen war. Was hätte er mit ihnen tun sollen? Sie zurücktreiben in die Hölle? Jeder wusste um die fürchterlichen Zustände in den Lagern. Moria auf Lesbos war eines der unmenschlichsten gewesen. Vor fast einem Jahr, in der Nacht auf den 9. September 2020 hatten junge Männer aus Afghanistan das Lager angezündet. Der letzte verzweifelte Akt, Zuständen schlimmer als der Tod zu entkommen. Durch das Feuer waren 12.600 Menschen obdachlos geworden, ein Teil war auf das griechische Festland gebracht, für rund 7800 Menschen ein provisorisches Zeltlager an der Küste in der Nähe des bereits bestehenden Lagers Kara Tepe errichtet worden. Inzwischen hatten sie an anderer Stelle ein modernes Moira gebaut. Ein Hochsicherheitsgefängnis mit Stacheldrahtrollen obenrum.
Er legte das Gewehr auf den Wolf vor ihm an, um ihm zu zeigen was Sache war. Wenn es sein musste…
Der im Überleben erfahrene Graue wusste was ein Gewehr war. Abrupt drehte er auf den Hinterläufen eine elegante Pirouette und hetzte davon. Sein Verfolger sah jetzt, dass er vor dem Felsbrocken nach etwas gegraben hatte. Der Jäger hatte einen Klappspaten in seinem Rucksack. Eine Viertelstunde später bekam er grausige Klarheit darüber wonach der Wolf gegraben hatte. Er hatte den Leichnam gewittert und gierig das Grab öffnen wollen.
***
Der Wetterdienst hatte ab Nachmittag vor Böen mit Geschwindigkeiten um die 60 km/h gewarnt. Freitagmittag drückte dieser 24. September mit 15 Grad bewölkt, aber noch wenig windig auf das Machtzentrum in Berlin. Büroflügel mit verglasten Wintergärten flankierten den Kubus des Kanzleramtes, mit verglasten Sichtbetonfassaden auf der Eingangsseite und zum Kanzlergarten hin. Ein Baldachin aus weißem Sichtbeton hing im unteren Bereich der vorderen Fassade, und der Ehrenhof, in dem Gäste aus aller Welt empfangen wurden, glich einer riesigen Bühne, tragende Säulen erweckten den Eindruck eines antiken Theaters. Das Foyer war von Tageslicht durchflutet, wellenförmige Decken und raumgreifende Treppen führten durch das Gebäude, wo irgendwo auch Muttis Hausdrachen hauste. Wie andere sie hausintern nannten. Flüsternd, hinter vorgehaltener Hand. Der weiche Mund tarnte ihr Durchsetzungsvermögen. Ein ausgeprägtes Grübchen am Kinn gab einen Hinweis darauf. Ihr graues Haar saß wie ein Helm auf ihrem schmalen Kopf. Dicke Brillengläser täuschten altjüngferliche Naivität vor, strahlend blaue Augen herzliches Entgegenkommen, ihre blütenweiße Kragenbluse mit Rüschenknopfleiste unter dem dunkelblauen Blazer wirkte bieder. Dazu trug sie einen dunkelgrauen glatten knielangen Rock. Sie war 57, einsvierundfünfzig klein in ihren schwarzen Pumps mit niedrigen breiten Absätzen. Ihr Ego hatte es nicht nötig, sich sichtbar größer zu machen. Kaum jemand wusste, was sie als Sonderberaterin der Kanzlerin wirklich tat. Die sie wegen ihrer zierlichen Erscheinung nicht ernst genommen hatten, hatten meist keine Zeit bekommen, ihre Fehleinschätzung zu korrigieren.
Noch zwei Tage bis zur Bundestagswahl. Es sah schlecht aus für die Union! So, oder so, die Chefin und sie hockten quasi schon auf gepackten Koffern. Und die Katze war noch nicht mal aus dem Haus, da tanzten die Mäuse schon auf dem Tisch. Bei ihrer Unterredung mit der Kanzlerin bis vor zehn Minuten hatte sie die auf die besorgniserregende Entwicklung hingewiesen.
„Hören Sie wieder mal das Gras wachsen?“
Hatte die Chefin geantwortet, mit dem feinen ironischen Unterton, den M inzwischen sicher heraushören konnte. Natürlich sah auch die Chefin die Geier aus den eigenen Reihen kreisen, lauernd auf Machtübernahme und künftige Kursbestimmung der Partei, alte weiße Männer mit verstaubten Betonköpfen und heißhungrige Wölfe aus dem Parteirudel. Sie gaben sich beim Chefredakteur der meistgelesenen Boulevardzeitung im Land die Klinke in die Hand und schaukelten sich in apokalyptische Wahnvorstellungen vom Untergang der Republik durch einen Linksrutsch hoch. Der neu gegründete Fernseh-Sender kam daher wie ein Klon von Fox News. Mit Medienpromis auf Aufmerksamkeitsentzug faselten sie angeblich um die Demokratie besorgt vom Abbau bürgerlicher Grundrechte. Und befeuerten so durch die offene Hintertür die Schwurbler. Noch hemmungsloser agierten Putins Staatssender. Die deutschsprachigen Formate betrieben gezielt Desinformation über Impfungen. Der Hit bei hiesigen Russlanddeutschen. Wogegen Putins Sender im eigenen Land genau das Gegenteil propagierten und zum Impfen aufforderten.
Aus eigenen Reihen bildeten sich unheilige Allianzen des mächtigsten Medienchefs mit Ex-Parteigranden, die es wieder, und mit Nachdränglern aus dem Rudel, die es erst werden wollten, die gerade erst vom Blut der Macht leckten. Die Miene der Chefin hatte ihr verraten, dass sie längst auch die Kräfte der Partei geortet hatte, die in ihrer Wahlumfragen-Panik jetzt mit allen Mitteln versuchten, Ängste ins derzeit dafür immer empfängliche Volk zu transportieren. Auch Bayern-Markus war ins alte Muster umgeschwenkt und baute mit am Popanz der linken Gefahr. In mehreren Parteien kreiste schon der Witz, seine geliebten Bienen wären inzwischen auf der Flucht, und bayerische Bäume wollten sich gegen seine Umarmungen impfen lassen.
Weder M noch die Chefin sahen linke Satanisten am Werk, dagegen deutlich die eigene Partei mit einem Ruck nach rechts außen driften.
„Das ist nicht das Land, die Sie nach sechzehn Jahren Amtszeit sehen wollen! Den Verrat an Ihrem Erbe!“
Sie hatte die Chefin vor den Kumpaneien mit Chefredakteur Kevin Ritter gewarnt.
„Es ist gefährlich, wenn welche unserer grauen Eminenzen und Jungwölfe auf seinem Schoß sitzen.“
„Könnten Sie weniger kryptisch sein und deutlicher werden.“
Hatte die Chefin sie in einem Anflug von Verärgerung aufgefordert.
„Das Damoklesschwert seiner Triebhaftigkeit und des Machtmissbrauchs pendelt immer noch über ihm und dürfte in Bälde auf ihn fallen.“
Hatte M ihre Gräser flüstern hören. Nicht nur nebenbei hatte sie auch die ungute Verehrung aus erster Reihe für den Austria-Kollegen angemerkt.
„Der Bubenkanzler ist eine tickende Zeitbombe. Jede Nähe zu ihm kann uns auch noch gewaltig auf die Füße fallen. Ich weiß noch nichts Genaues! Aber ich habe Anzeichen dafür, dass eine verheerende Lawine auf den Österreicher zurollt. Die Frage ist noch, wie weit sie rollt, und wen sie mitreißt.“
„Sie haben wirklich ihren kryptischen Tag heute.“
Die Kanzlerin hatte die Stirn gefaltet, M diesmal aber nicht aufgefordert, deutlicher zu werden. Zweifellos hatte sie verstanden, dass die Anspielung auf unverhohlene Verehrung des Österreichers in ihren eigenen vorderen Parteireihen zielte. Die Chefin hatte die Unterredung beendet.
„Behalten Sie die Entwicklung der Dinge im Auge. Solange wir noch hier sind.“
War das jetzt nur unaufgeregt wie immer war, oder schon fatalistische Resignation, hatte M sich gefragt. Wie sie die zwischendurch an der Chefin angesichts der Coronalage manchmal zu erkennen glaubte, wenn sie mit ihren Warnungen wieder mal gegen Betonköpfe anrannte. Aber sie neigte nun mal auch nicht zu Aufgeregtheiten, was sie bei verschiedenen eigentlich angebrachten Anlässen gerne mal begründete.
„Meine Aufgabe ist es, Lösungen zu finden. Würde es mich einer Lösung näherbringen, wenn ich mich aufrege, würde ich mich aufregen.“
Was in einem Satz gleichzeitig den politischen Stil der Chefin beschrieb, der Freund wie Feind gleichermaßen auch zur Verzweiflung treiben konnte. Sah sie keine Lösung eines Problems tat sie gar nichts, legte es in die Warteschleife und versuchte, es erstmal auszusitzen. M fragte sich, ob sie die Chefin zum Ende hin mal aufgeregt erleben dürfte. Gegenüber mancher Ignoranten in der eigenen bräsigen Partei!
Sie hatte der Chefin nicht alles gesagt, nicht, dass gerade Leichen im Keller auferstanden, auch aus ihrem Keller! Im unheilschwangeren Gefühl, dass das mal passieren könnte, hatte sie immer noch ein Auge auf Heiligbrück im bayerischen Hinterland.
Jetzt war es passiert!
Sie hatte es heute Morgen als schwarz umrandete aktuelle Meldung in Teufels online-Monatsmagazin gelesen, und online den noch nicht viel längeren Bericht in der Heiligbrücker Zeitung.
Sepp Teufel war tot! Gestern erschossen mit einem Armbrustpfeil! Mitten ins Herz!
Der Vorbote, dass die jüngste Vergangenheit sie jetzt zum Ende hin noch einholen wollte, hatte sich vorgestern schon gemeldet, mit unerwarteter Post von Gideon Maria Sonnenschein aus Portugal.
Ein alter Wolf hatte im griechischen Niemandsland eine verweste Leiche angegraben. Der ausgeschnittenen Meldung aus einer griechischen Zeitung war eine handschriftliche Notiz beigelegt.
Hallo M. Kontaktieren Sie mich nicht! Beiliegende Information ist alles, was ich für Sie tun werde! Nur, um die Sache von vorletztem Sommer abzurunden.
Sie hatte mit ihrem Undercover-Ex-Mann für alle Fälle schon mal neuzeitlicher kommuniziert, auf sicherer Videoleitung. Das waren noch andere Zeiten gewesen.
Die Sache von vorletztem Sommer…
Danach hatte sie bis jetzt keinen Kontakt mehr zu Sonnenschein gehabt. Vor seiner Abreise damals aus Heiligbrück hatte er der Klatschbase der Lokalzeitung noch ein Interview gegeben und wie nebenbei die Kanzlerin ins Spiel gebracht, ihre persönliche Widmung in einem seiner Reiseromane. Mit ihrer bloßen Erwähnung war er für M verbrannt, hatte sie ihm unverblümt mitgeteilt. Sein süffisantes Lächeln dazu hatte ihr genug gesagt. Seine Erwähnung ihrer Chefin war kein Versehen gewesen. Nach zehn Jahren war er ihr elegant vom Haken gegangen. Ironischerweise hatte er die Kanzlerin nie persönlich kennengelernt. M hatte ihm die Widmung besorgt, die nicht so persönlich war, dass er daraus hätte schließen können die Kanzlerin wüsste von seinen Einsätzen. Sie hatte Sonnenschein darüber immer im Unklaren gelassen. Wie sie auch öfter vergaß, die Chefin in ihre Operationen einzuweihen, zumindest im Detail. Wie sie dachte ganz im Sinne der Chefin. In all den Jahren hatte die nie Anstalten gemacht, sie zu duzen, immer höfliche Distanz gehalten. Vertraute ja, Vertraulichkeiten nein. Also wollte die Chefin sagen tun Sie was nötig, aber informieren Sie mich nur über das Nötigste. Worüber die Kanzlerin nichts wusste, darüber würde sie nicht lügen müssen, sollte beispielsweise mal eine heikle Sonnenschein-Operation auffliegen und im worst case vor einem Untersuchungsausschuss landen. Libyen fiel ihr dazu ein, Sonnenscheins heimlich aufgenommenes Video von einem Sklavenmarkt, auf dem afrikanische Flüchtlinge aus einem Lager verkauft wurden. Für 1.000 Dollar und mehr „das Stück“. Er hatte ihr das Video übermittelt, sie sich auf Nachfrage Tage später dumm gestellt.
„Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Sonnenschein.“
Der USB-Stick lag immer noch bei ihr in einer Schublade, ohne dass die Kanzlerin Sonnenscheins Aufnahmen je gesehen hatte. So hautnah wollte man es nicht wissen, hatte Sonnenschein ihre sich dumm stellende Antwort auf sein Nachhaken richtig verstanden. Man bezahlte Verbrechermilizen und lieferte ihnen bewaffnete Schnellboote, um Flüchtlinge vom Meer in die Sklavenlager zurückzutreiben. Immerhin bauten und bestückten Deutsche KZs nicht mehr selbst, ließen von dort Geflohene nur wieder zurück verschleppen. Natürlich wusste die Kanzlerin Bescheid, ihr dazu ein Sklavenhandel-Video zukommen zu lassen, wäre in Ms Augen kontraproduktiv gewesen, wäre der Vorgang öffentlich geworden. Und das wurden solche Vorgänge früher oder später immer.
Der Hauch eines wehmütigen Lächelns flüchtete über ihre Lippen, während sie sich elf Jahre zurückerinnerte, als sie den vielversprechenden Diplomaten Sonnenschein für sich zwangsrekrutiert hatte. Seit damals in London hatte sie ihn am Haken. Eine Mrs. Coralin Shoemaker hatte eine DVD zu Sonnenscheins Händen geschickt. Er sollte wissen, was seine Frau mit ihrem Mann triebe. Mrs. Shoemaker hatte einen Privatdetektiv auf ihren Mann angesetzt, und der war erfolgreich gewesen. Auf seinem Film war ein nacktes Paar in Aktion zu sehen, nackt, bis auf eine Queenmaske der Frau, während der Mann Prinz Philip gab. Buckingham wäre not amused gewesen über eine Hardcore-Pornosoap mit den naked Royals in den Hauptrollen, die mit schwitzenden Körpern den Windsor-Knoten nachstellten. Die Stellung stand nicht mal im Kamasutra. Ein Wunder, dass Lizzy und Philip nach dieser menschlichen Kernschmelze mit heilen Gliedern wieder auseinandergekommen waren. Leider hatten sie danach vor der versteckten Kamera noch keuchend die Masken abgenommen und Prinz Philip sich als Mr. Shoemaker, und die Queen-Darstellerin sich als Ehefrau Trudi des deutschen Botschaftsattachés Gideon Maria Sonnenschein entlarvt.
Sonnenschein hatte sich ihr seiner damaligen Botschafterin anvertraut, sie kühl seinen Auftrag zur Schadensregulierung formuliert.
„Sie werden sich Missis Shoemaker nähern. Wunden lecken von Gehörntem zu Gehörnter. Legen Sie Mrs. Shoemaker flach, Sonnenschein! Es geht um nationale Sicherheit.“
Mrs. Shoemaker hatte ihre Gekränktheit an der Hotelbar vom Excelsior in Bourbon ertränkt, war jetzt selbst anfällig für erotische Fallensteller. Und durchaus auch filmreif, hatte Sonnenschein ihr vorgeführt, nachdem er sie weisungsgemäß flachgelegt hatte. Im inzwischen verwanzten Zimmer, das Mrs. Shoemaker seit dem dokumentierten Fehltritt ihres Gatten belegte. Sie stammte aus einem US-Städtchen mit sehr puritanischer Gesinnung. Dort kamen zwar Kids leicht an Pumpguns, aber Mom und Dad konnten vor Gericht landen, wenn sie es in der Hundestellung trieben oder sich nur gemischt in einer Sauna zeigten. Sonnenschein hatte Mrs. Shoemaker mit dem Streifen überzeugt, von weiterer Verbreitung des Windsor- Pornos Abstand zu nehmen.
Die antike Duellpistole auf dem Schreibtisch seines Arbeitszimmers war dann dummerweise geladen gewesen, als Trudi sie sich gegriffen hatte. Sie hatte höher mittig gezielt, ihn dabei aber ins Knie getroffen, nachdem er ihr seinen Abschied vom diplomatischen Dienst und als Sahnehäubchen seine Scheidungsentscheidung mitgeteilt hatte.
M, wie Sonnenschein seine Botschafterin in bissiger Anspielung auf James Bonds Chefin jetzt nannte war danach zu besonderen Aufgaben ins Kanzleramt berufen worden. Bald hatte sie ihm das Angebot gemacht, künftig freiberuflich für sie zu arbeiten. Ein Angebot, das er schlecht hätte ablehnen können.
„Sie stecken schon zu tief mit drin, Sonnenschein.“
Hatte M ihm klargemacht und ihm seinen neuen Job definiert.
„Ich schicke Sie nie irgendwohin, Sonnenschein. Sie reisen in spannenden Ländern herum, schreiben spannende Bücher darüber und liefern mir interessante Erlebnisse am Rande, die ich bei Bedarf für die Kanzlerin auswerten werde und Sie in Ihren Büchern tunlichst nicht erwähnen werden. Hie und da bescheiden honoriert werden Sie aus unserem Berateretat. Operativ gibt es Sie für mich nicht.“
Weshalb ihr persönlicher Agent für keinen Kontrollausschuss geheimdienstlicher Tätigkeiten existierte.
Sonnenschein hatte freundlicherweise noch die Übersetzung des Zeitungsausschnitts mitgeliefert, da M nicht griechisch konnte. Ein Jäger war dem einsamen Wolf auf der Balkanroute gefolgt und durch ihn auf ein Grab gestoßen. Mit einer stark verwesten alten Frau. Beiliegende Dokumente identifizierten sie als Ayeesha Beshrami aus Idlib/Syrien, zuletzt geflüchtet zusammen mit ihrer Enkelin Razan aus dem Lager Moria auf Lesbos.
Der Jäger hatte das Grab schon am 17. August gefunden, erst Wochen danach hatte die tote Frau es als Meldung in eine überregionale griechische Zeitung geschafft. Wen kümmerte eine Flüchtende, die unterwegs gestorben war. Es konnte nicht einmal jemand sagen wann die beiden Syrerinnen aus Moria verschwunden waren. Niemand hatte sie vermisst. Vielleicht hatte Corona-Angst im Lager Moria Großmutter und Enkelin letztendlich in die Flucht getrieben. Die zynische Ironie war, dass Corona sich in den Lagern wie im Schlaraffenland ungehemmt durch ungeschützte Menschenmassen fraß, die Pandemie gleichzeitig das Elend der Menschen aus dem öffentlichen europäischen Bewusstsein verbannt hatte. Corona fokussierte mediales und politisches Interesse auf die jeweils eigene Bevölkerung. Auslöser für Ayeeshas und Razans Flucht konnte auch eine niederschmetternde Nachricht gewesen sein, die sie um die Zeit von Ayeeshas Tochter und Razans Tante Sibel aus Heiligbrück aufs Handy gekriegt haben mussten: Die Ablehnung von Sibels Antrag auf Familiennachzug von Mutter und Nichte. Sie waren nur noch drei von 13 einer syrischen Familie aus der Gegend von Idlib, zehn von ihnen umgekommen in Bombenhagel, oder vom IS ermordet, darunter Ayeeshas Mann und der Sohn, Razans Eltern und Sibels Mann und Tochter. Sibel hatte nur noch Mutter und Nichte gehabt, und die beiden nur noch sie.
Was immer der Fluchtgrund gewesen war, vermutlich hatten Ayeesha und Razan einen Schlepper gefunden, oder einer hatte sie angesprochen, ihnen alles abgenommen was für ihn von Wert war, sie danach aufs Festland gebracht, zu einer abgelegenen Stelle geführt und dort ihrem Schicksal überlassen. Ausgerüstet höchstens mit einer groben Skizze übers Weiterkommen. Weit gekommen war die alte Frau nicht, dürfte nach Ms Einschätzung mit ihrer Enkelin höchstens vier, fünf Tage unterwegs gewesen sein. Von der Inkubationszeit her gut möglich, dass sie sich im Lager mit dem Virus angesteckt und auf der Flucht nicht nur an purer Erschöpfung, sondern an Covid 19 gestorben war. Aber wer wollte das wissen? Die griechischen Behörden nicht, die EU schon gar nicht.
Ayeesha Beshramis Leiche war ohne forensische Untersuchung verbrannt worden.
M holte den USB-Stick vom vergangenen Jahr aus der Schublade. Das Video hatte Datums- und Zeitstempel vom 13. April 2020, 14.36 Uhr. Die bis auf das Gesicht schwarz verhüllte Frau hockte auf einem Felsbrocken im weißen Schnee. Sie sah uralt aus, obwohl erst Mitte 60. Gnadenloses Leben hatte sie um wenigstens ein Vierteljahrhundert voraus altern lassen. Die Großaufnahme gab keinen Hinweis auf mehr Landschaft um sie herum, auch nicht darauf, wie viele Menschen noch mit ihr unterwegs waren. Sie hockte da wie selbst versteinert und redete. Monoton, kraftlos. Das Gesicht unter dem Kopftuch war bleich wie der frisch gefallene Schnee und ausgezehrt um die dunklen tief liegenden Augen. M konnte, musste der alten Frau im Schnee dabei zusehen, wie sie mit Leben aufhörte, irgendwo im Nirgendwo. Sie hatte sich zum Sterben auf den Felsbrocken gehockt und schickte letzte Grüße an Tochter Sibel in Heiligbrück. Enkelin Razan hatte das Video mit ihrem Handy aufgenommen, ihre Großmutter an Ort und Stelle betrauert, sie sicher noch selbst beerdigt, sich danach auf grob geschätzte eineinhalb tausend Kilometer zu ihrer Tante ins bayerische Hinterland gemacht. Dass sie es geschafft hatte, glich einem Wunder. Durch die europäische Flüchtlingsabwehr und während harter Corona-Lockdowns. Ein 17jähriges Mädchen mit unbändigem Willen, mittellos und allein über drei Monate durchs östliche Europa unterwegs. Eine Reise durchs Fegefeuer. Endlich am Ziel angekommen war Razan direkt in der Hölle gelandet!
Samstag den 18. Juli 2020 hatte der Fluss in den Auen von Heiligbrück eine Mädchenleiche ins Morgengrauen gespuckt!
Bekleidet nur mit einem Hauch weißer Spitzendessous und einem durchsichtigen Negligé. Sexorgie mit Jungfleisch hinter einer Biedermannfassade in der bayerischen Provinz. War Ms erster spontaner Gedanke beim Lesen in der online- Ausgabe der Heiligbrücker Zeitung gewesen. Deren ehemaliger Polizeireporter Sepp Teufel hatte die Tote gefunden und die Polizei verständigt. M hatte sich vorgestellt, dass deren erster Gedanke in ähnliche Richtung ging wie ihrer. Und dass ganz oben im Rathaus das Interesse an Aufklärung eines Sexskandals in vielleicht eigenen feinen Kreisen mäßig war. Pikant hinzu kam, dass in gleichem sexy Outfit wie die Leiche auch die letzte blutjunge Darstellerin des Heiligbrücker Stadtgespensts nach einer alten Legende im letzten Akt durch das alljährliche Freiluftspektakel oben auf der Burgruine gespukt hatte, mit großem Erfolg vor allem beim männlichen Publikum, dem es egal war, dass im geschichtlichen Rückblick ein mittelalterlicher Geist in Spitzenunterwäsche postfaktisch daherkam. Die Idee, das Gespenst geil aufzupeppen war auf dem Mist des Oberbürgermeisters gewachsen, gleichzeitig Vor stands vor sitzender des Förderkreises Weiße Frau Heiligbrück e. V.
Sex sells.
Or kills.
Weiße Spitzendessous unter einem weißen Negligé an einer unbekannten Mädchenleiche am Fluss hatten nach Anfangsverdacht auf abgefahrene Geistersexorgien hinter sauberen Fassaden alteingesessenen Wohlstands geschrien, nach dem Verdacht, dass dort honorige Herren, womöglich unter Beihilfe ihrer Gattinnen krude Fantasien auslebten. An irgendwo aufgeklaubtem Jungfleisch, Straßenkids, die niemand vermisste, Mädels auf Heiligbrücks zuletzt blutjung und sexy geisternde Weiße Frau aus der Legende getrimmt. Wobei im aufgegeilten leibhaftigen Fantasy-Stück möglicherweise was schiefgelaufen war, man danach ein Opfer im nahen Fluss entsorgt hatte. Ertränkt, wie in der Flussszene im vorletzten Akt des Freiluftschauspiels, das der Förderkreis jedes Jahr über die erste Juliwoche frei nach der alte Legende aufführte. Sehr frei, und zuletzt freizügig als Fleischbeschau im letzten Akt, was die gespenstische Protagonistin betraf.
In der Heiligbrücker Zeitung war die Aufmachung der Mädchenleiche am Fluss sehr nebulös mit Nachtwäsche beschrieben gewesen, ein möglicher Zusammenhang mit dem örtlichen Gespensterschauspiel gar nicht erwähnt. Aber M konnte eins und eins zusammenzählen und hatte sich auch die dünnen Informationen zusammenreimen können. Für sie nachvollziehbar, dass Heiligbrücks Obrigkeit an harten polizeilichen Ermittlungen in Sachen Mädchenleiche am Fluss desinteressiert war. Freundlich ausgedrückt. Im Vorstand des gespenstischen Fördervereins hockte auch der Oberstaatsanwalt. Lokale Ermittlungen würden zwangsläufig Fragen nach sich ziehen, die schnell peinlich ins Private reinschnüffeln konnten. Und wer hatte keine Leichen im Keller. Die Heiligbrücker Zeitung hatte alles im Nebel belassen. Was M nicht gewundert hatte. Sie hatte schon öfter registriert, dass Lokalredaktions- und Politchef Agathon Kasper des Oberbürgermeisters Echokammer war.
Ja, sie hatte immer ein Auge auf Heiligbrück, aus guten Gründen.
Sie war interessiert gewesen, nicht alarmiert. Der Oberbürgermeister einer Kleinstadt und seine Amigos waren augenscheinlich dabei, den Mord an einem unbekannten Mädchen unter den Teppich zu kehren. Zu weit unten angesiedelt, zu regional, ohne Streuung ins Machzentrum, untaugliche Munition, um sie gegen Regent Markus verwenden zu können. Ihre offenen Rechnungen mit der kleinen Schwester-Partei wollte M ganz oben auf dem Bayernthron eintreiben.
M hatte schlagartig umgedacht, nachdem ihr die junge Hinterbänklerin erschienen war. M hatte die Besucherin schnell taxiert. Brünette Ponyfrisur, dezent geschminkt, Figur nicht überquellend weiblich betont, konnte mit dem gängigen Schönheitsideal gut mithalten. Halskette mit roten Granaten über hellgrüner Bluse, altmodisch, vermutlich Familienerbstück. Dunkelblaues Kostüm, farblich abgestimmte halbhohe Pumps, seriös geschulter Geschmack von einer, die aus der Business-Class in die erste wollte.
„Sie kennen mich nicht…“
M hätte ihr fast ins Gesicht gelacht. Dann hätte sie ihren Job nicht beherrscht.
„Emma Rensenbrinck, vierundzwanzig, ledig, Wahlkreis im Wedding, gerade abgeschlossenes Studium in Mediendesign, Frischling im Bundestag, mit Fachkompetenz in Digitalisierung.“
M hatte den ängstlichen Respekt in Rensenbrincks Hundeblick registriert. Gut so.
„Mein Freund ist ein hohes Tier im bayerischen Justizministerium, und Verbindungsmann zum Generalstaatsanwalt. “
„Schön für ihn.“
„Ich glaube ich sollte Ihnen mitteilen, was ich erfahren habe. Es gibt eine Kleinstadt in Bayern. Heiligbrück wird Ihnen jetzt nichts sagen…“
Woher sollte die kleine Emma wissen, dass Ms Albtraum sich dort angesiedelt hatte und in Sachen Liebe machte.
„Setzen Sie sich doch.“
Die nächsten zehn Minuten war M immer hellhöriger geworden.
„Sie haben die richtige Entscheidung getroffen, Emma, ich darf doch Emma sagen?“
Natürlich durfte sie das.
„Nur a us Neugier. Wieso sind Sie zu mir gekommen ?“
„Ehrlich, ich weiß nicht was ich tun soll. Es heißt Sie wären die Frau für heikle Fälle mit dem kurzen Draht zurKanzlerin.“
Schlaues Mäuschen, hatte M gedacht. Du willst dich nach oben schleimen.
„Ich möchte durch mein Schweigen nicht mitschuldig daran werden, dass Anis Amri wieder passiert, weil eine Behörde der anderen verheimlicht, was sie weiß.“
„ Und was sagt Ihr Freund dazu?“
„Er weiß nicht, dass ich hier bin.“
„Sie sollten ihm helfen das Richtige zu tun, Emma. Wie leben sie mit Ihrem Freund zusammen? Sie hier, er in Bayern.“
Emma Rensenbrincks Gesicht hatte eine leichte Röte überzogen und M gedacht: Wie niedlich.
„Eigentlich leben wir nicht so richtig zusammen. Er hat Familie.“
Ein guter Ansatz ihn über Kooperation nachdenken zu lassen, hatte in Ms Kopf eine Strategie Formen angenommen.
„Ich bin keine Sittenwächterin, Emma. Aber Sie wissen, dass Sie sich mit ihm in Coronazeiten gar nicht so ohne weiteres treffen dürften.“
„Ich bin inzwischen genesen und immun.“
Eine dumme Annahme, hatte M gedacht.
„Emma, was Sie mir berichtet haben ist eine ernste Sache. Sehr ernst. So ernst, dass ich überlegen müsste die Angelegenheit vor das Parlament zu bringen. Ich müsste dann Ross und Reiter nennen, auch Ihren Freund und Sie.“
„Ich weiß nicht…So habe ich mir unser Gespräch nicht vorgestellt.“
„ Wie haben Sie es sich vorgestellt?“
„Weiß nicht.“
„Unser Gespräch könnte nie stattgefunden haben. Vorausgesetzt Sie sind bereit, Ihrem Freund ins Gewissen zu reden uns zu helfen. Überzeugen Sie ihn! Ich brauche den USB-Stick, Emma. Oder eine Kopie. Schlafen Sie eine Nacht darüber, Emma.“
Es hatte sich wieder bewahrheitet. Die gefährlichsten Feinde waren die eigenen Parteifreunde. Und Freundinnen wie die kleine Rensenbrinck. Ehrgeizig, skrupellos und intrigant. Beste Voraussetzung für eine politische Karriere, gab M zu.
Soso, der Generalstaatsanwalt in München vergrub in seinem Keller Leichen aus Heiligbrück.
Das war der Moment gewesen, als sie sich entschieden hatte, über den sicheren Videokanal ihren besten Mann zu kontaktieren.
„Sie besuchen für die nächste Zeit Ihre Ex, Sonnenschein!“
„Trudi? Sie hat sich ins bayerische Hinterland zurückgezogen.“
„Zurückgezogen würde ich das nicht nennen. Sie betreibt eine online-Liebesagentur.“
Nach der Scheidung von Sonnenschein hatte Trudi bald in ein Adels-Schloss nach Sachsen-Anhalt geheiratet. Bis, dass der Tod uns scheidet. Womit der nicht viel Zeit verloren hatte. Wie sich danach für Trudi bitter herausstellte, war dessen Vermögen mehr Schein als Sein gewesen. Die Bank hatte Schloss samt Inventar behalten, weil ihr beides faktisch schon gehörte, des Grafen Witwe waren nur Titel und Name geblieben. Immerhin erbte sie wenig später die Villa ihrer Eltern in Heiligbrück. Vom Dorf ums Schloss bis wieder nach Hause war mit Edeltrudis Walburga Gräfin Falckenfels-Bernburg die Geschichte umgezogen, sie hätte ihrem Grafen mit heftigem Sex den Garaus gemacht. Zu wild für das alte blaue Blut. Zurück in ihrem Geburtsort widmete sie sich dort seitdem mit einem online-Datingportal dem Liebesglück anderer. Wozu M eine feste Meinung hatte.
„Das ist, als würde man Satan einsame Seelen zum Spielen schenken.“
„Sie übertreiben wie immer maßlos bei Trudi, aber Sie sind gut informiert.“
„Womit glauben Sie vertreibe ich mir die Zeit? Mit Tupperparties bei Müller-Riebesehls?“
Aus Heiligbrück verschwanden Leichen, quasi bei Nacht und Nebel in den Keller des bayerischen Staatsschutzes. Scheinbar steckten der Oberbürgermeister und der Oberstaatsanwalt dahinter, um lokalen Ermittlungen aus dem Weg zu gehen. Und das alles wegen einer lächerlichen mittelalterlichen Grusellegende um ein Stadtgespenst. Aber jetzt war die Provinzposse dabei, sich zu hochpolitischem Sprengstoff zu mausern. Was sie schon beim ersten Gespräch mit Emma Rensenbrinck erfahren hatte, ließ alle Alarmglocken bei M läuten. Jane Doe vom Fluss war längst keine unbekannte Tote mehr, nicht für den Provinz- Oberbürgermeister, nicht für den örtlichen Oberstaatsanwalt, und nicht für den General in München. Sie hieß Razan Tabia, war 17, aus Syrien geflüchtet und hatte sich bis nach Heiligbrück durchgeschlagen, zu ihrer Tante Sibel. Sicher voll irrer Sorge, weil der Handykontakt zu Tante Sibel schon seit 22. Mai abgerissen war. Vor Ort musste die fürchterliche Ungewissheit zur schrecklichen Gewissheit geworden sein. Tante Sibel war tot, vom Hochhausdach gestürzt. Ihre Leiche war nie zur Obduktion in der Rechtsmedizin von Heiligbrück angekommen, lag beschlagnahmt vom Staatsschutz als geheime Verschlusssache in München. Auf ihrem Handy hatten die Ermittler Nachrichten der Nichte von der Flucht gefunden, inklusive eines Videos der sterbenden Großmutter und Mutter Ayeesha.
Sibels Leiche hatte auf dem Rücken gelegen, mit den Füßen zum Hochhaus hin. Welche Selbstmörderin sprang rückwärts von einem Dach? Selbst die Uniformierten vor Ort hatten sofort riechen müssen, dass sie es nicht mit Suizid zu tun hatten, wahrscheinlich auch nicht mit einem Unfall. Staatsanwaltschaft und natürlich der Oberbürgermeister hatten es dann auch gewusst. Nach Durchsicht des Handys durch die KT auch, dass Nichte Razan auf dem Weg war! Dass die als erstes zu Tantes Wohnung gehen, Fragen zu deren Tod stellen würde, sollte sie es schaffen, bis nach Heiligbrück durchzukommen. Den Zeitpunkt ihrer möglichen Ankunft hatten sie nur grob überschlagen können, frühestens in Wochen, vielleicht erst in ein paar Monaten.
Knapp zwei Monate später hatte der Fluss Razans Leiche ins Morgengrauen gespuckt, von den Heiligbrücker Behörden wider besseres Wissen offiziell immer noch als Jane Doe geführt. Und wie schon ihre tote Tante vom Staatsschutz beschlagnahmt, diesmal im Stil von Kidnapping einer Leiche aus der Rechtsmedizin heraus, mit allen Asservaten.
Da unten im hinteren Bayerischen räumt wer auf, oder lässt aufräumen und ist vielleicht immer noch dabei, hatte M gedacht.
„Und mitten im gespenstischen Dunstkreis wabert Ihre Ex, Sonnenschein. Da wird mir gruselig.“
„Sie sind paranoid.“
„Und Sie naiv, was Ihre Verflossene betrifft. Ihre damals Nochfrau hat uns mit ihrer Windsorknoten-Affäre um ein Haar in einen kalten Krieg mit dem United Kingdom gevögelt. Ihre Ex ist eine nymphomane schmutzigeÖstrogenbombe. Gnade uns Gott, wenn sie wieder scharf wird."
„Das ist zehn Jahre her.“
„Ich will Sie in Heiligbrück vor Ort, Sonnenschein. Sie beobachten, kontrollieren und regulieren, falls nötig.“
„Regulieren, falls nötig?“
„Exakt. Das Heimatblättchen tanzt nach der Musik des Oberbürgermeisters. Aber es gibt auch ein schräges online- Magazin mit einem für uns interessanten Herausgeber. Er heißt Teufel und liegt im Dauerclinch mit dem Ober im Rathaus und dessen Bagage.“
„Ich soll einen Pakt mit dem Teufel schließen? Den habe ich längst!“
„Werden Sie nicht witzig, Sonnenschein. Teufel könnte uns als Verbündeter nützen. Was er nicht spitzkriegen darf. Ich denke er mag Leute wie uns nicht. Aber sollte er nur im Trüben fischen, müssen wir den Hund zur Jagd tragen. Weil es der Wahrheitsfindung dient.“
„Weil die Wahrheitsfindung Ihnen dient, nehme ich an.“
„Ich erwarte, dass Sie in Kürze bei Ihrer Ex an der Tür kratzen, Sonnenschein.“
Sie hatte ihm erst mal eine Light-Version ihrer eigenen Motivlage gegeben und ihre Bedenken beiseitegelegt, er könnte emotional zu involviert sein, weil er, für M unbegreiflich immer noch an seiner Ex hing. Gott im Himmel, die Frau hatte seine vielversprechende Diplomatenkarriere pulverisiert und ihn dazu noch ins Knie geschossen! Weswegen er sein Leben lang links steif am Stock gehen würde.
Emma hatte einen USB-Stick mit Video geliefert. Und ein paar bayerische Schmankerl dazu. Den Wortlaut des Bescheids über Sibels Antrag auf Nachzug von Mutter Ayeesha und Nichte Razan, ihre beiden letzten noch Lebenden aus der Familie.
BAMF, Außenstelle München beschied Sibel am 11. März 2020…aufgrund der coronaträchtigen Hochrisikolage in griechischen Lagern unbeschieden auf unbestimmte Zeit zurückgestellt.
Formaljuristisch nicht ausdrücklich Ablehnung, in der Lebenswirklichkeit Betroffener aber gefühlt ein Todesurteil, das Ende aller Hoffnung und Lebensperspektive.
Die Begründung war milde ausgedrückt schwammig. Deutlicher wurde ein Memo des Amtsleiters vom 5. März an alle Mitarbeiter/Innen: Es ist davon auszugehen, dass Covid-19 während der nächsten Monate sich in Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln ungestört und so auch überproportional tödlich ausbreitet. Nach politischer Lage-Einschätzung empfiehlt es sich daher, Anträge auf Familiennachzug bis auf weiteres abwartend mit äußerster Zurückhaltung zu bescheiden.
Das alles zusammen war scharfe Munition gewesen! Emma Rensenbrinck war M damit ins Büro geschneit wie ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk. Der bayerische Thronräuber Markus hatte sich seit Corona an ihre Chefin gewanzt, und sein Beliebtheitsgrad war bundesweit in die Höhe geschossen. Er wurde schon als Kanzlerkandidat der Union gehandelt. Wahrscheinlich musste der Frankenbayer sich inzwischen morgens verwundert den Machtrausch aus den Augen reiben. Parteiwähler oder nicht, seuchenbedingt mussten inzwischen alle nach seiner Pfeife tanzen, ganzes Volk in seinem Schwitzkasten, und Volk parierte geschlossen. Trotz, oder gerade wegen seiner majestätischen Entmündigungs-Erlasse an die Untertanen waren seine Beliebtheitswerte sogar bundesweit nach oben geschossen, wie vermutlich vorher nicht in seinen kühnsten Träumen. M stellte sich bei Volkes Sehnsucht nach einem starken Führer zwischendurch schon mal die Gänsehaut auf. Die Pandemie hatte dem Bayernregenten sein Paradies auf Erden geschenkt. Politisch gesehen. Wobei es passte, dass der Bayer von einer Seuche hoch geschwemmt worden war, dachte M böse. Die Chefin war darüber nicht glücklich. Das war nicht ihre Vorstellung davon wem sie die Republik übergeben wollte. Hatte M jedenfalls geglaubt. Umso entsetzter war sie, als die Chefin eine Einladung des Bayern nach Herrenchiemsee angenommen hatte. Sie hatte versucht, ihr wenigstens die Kutsch- und Dampferfahrt mit Markus in letzter Minute auszureden. Ganz gegen ihre Natur hatte die Chefin sich vergnügt die Hände gerieben.
„Das wird ein Mordsspaß.“
Seit den Fernsehbildern vom Chiemsee fragte M sich, ob die Chefin noch wusste, was sie tat und verstand, dass Markus mit bayerisch hinterfotzigem Kalkül in ihrem Kielwasser schwamm. Er demonstrierte den Schulterschluss mit ihr, schmuste sich bei jeder Gelegenheit als ihr Nachfolger an.
Ein Kanzler Markus?
Nicht, wenn M verhindern konnte, dass bayerischer Größenwahn ins Amt einzog. Sie hatte nicht vorgehabt, die Dinge einfach laufen zu lassen. Das war nicht ihre Art.
M lehnte sich jetzt in ihrem schwarzen Ledersessel mit flexibler Rückenlehne zurück und schloss die Augen. Sie hatte alles versucht, aber nicht verhindern können, dass Markus in diesem Jahr seinen Willen zur Kanzlerschaft in den Ring geworfen hatte, zu Ms Entsetzen mit großer Unterstützung auch aus der eigenen Partei. Dass der Bayer inzwischen wieder zurückgezogen hatte, war nicht ihr Verdienst.
Beide Hände vorne fest auf den Armlehnen ließ sie im Geiste elf gemeinsame Jahre im Schnelldurchlauf vorbeiziehen. Elf Jahre, in denen sie versucht hatte, der Chefin den Rücken zu stärken, mindestens, ihr den freizuhalten, zugegeben nicht wählerisch in ihren Mitteln. Intrigant, wie Sonnenschein sie unverblümt nannte, kreativ, wie sie selbst gerne sagte.
Nach Heiligbrück war Sonnenschein nicht mehr derselbe gewesen und hatte sich von Berlin an die Algarve zurückgezogen. Er ging weiter seinem Beruf als Reiseschriftsteller nach, aber jetzt, ohne dabei gleichzeitig für M eingespannt zu sein. Im Dienst der Kanzlerin zum Wohle des Volkes. Wie M umso öfter betont hatte, je mehr Sonnenschein daran gezweifelt hatte. Sein neuer Reiseroman war im Juni erschienen.
Libyen! Das KZ Europas!
Mit Fotos aus seinem Video vom Sklavenmarkt, immerhin ohne M im Kanzleramt und ihre Rolle dabei zu erwähnen. Trotzdem eine unmissverständliche Botschaft an sie, womit er demonstrativ alle Brücken zu ihr abgebrochen hatte. Zu ihrem, der Kanzlerin und der ganzen Regierung Glück interessierte sich in der Gesellschaft gerade niemand für Roman-Schicksale von Flüchtlingen in Libyen oder sonst wo. Das eigene regionale Corona-Problem war beherrschendes Thema!
Sonnenschein hatte sie weder über Erscheinen seines neuen Romans vorinformiert noch ihr ein signiertes Exemplar geschickt. Sie hätte das auch als zynisch empfunden, fast als Kampfansage verstanden. Sie hatte sich eine gebundene Ausgabe gekauft.
Teufel war nach gängigen Erfolgsmaßstäben der Leistungsgesellschaft eine verkrachte Existenz gewesen, ein Unangepasster, ein Querulant, der sich zu oft mit staatlicher Obrigkeit und anderen Mächtigen angelegt hatte. Wahrscheinlich war sein Abstieg schon vorprogrammiert, als er noch grün hinter den Journalistenohren die engen Verbindungen von FJS zu Saddam Hussein recherchiert hatte, nebenbei aufgedeckt, wie der Ministerpräsident dem waffennärrischen Diktator auf dem Rollfeld des Münchener Flughafens antike Pistolen zum privaten Geschenk gemacht hatte. Jungreporter Sepp Teufel hatte auch einen von FJS gezeichneten Brief an seinen Parteikumpel „Lieber Friedrich“ rausgetaucht, damals Bundesinnenminister und später des Meineids überführter „Old Schwurhand“. FJS befürwortete in seinem Schreiben den Aufbau von Eliteeinheiten für Saddam im Irak durch ausgediente GSG9- Veteranen. Sofern Saddam ihnen im Irak untergetauchte RAF-Terroristen preisgab. Später hatten Teufels Recherchen bei der Überführung eines Frauenserienkillers geholfen, danach hatte er den Drogensumpf der Schickimicki-Society aufgewühlt. Auch schon Jahre her und nicht karrierefördernd. In honorigen politischen Kreisen und in der feinen Gesellschaft war Teufel schnell unten durch, man könnte sagen als Gefährder eingestuft. Dass er in Heiligbrück gestrandet war, für M vergangenen Sommer ein Glücksfall. War er journalistisch noch halb so gut wie zu Glanzzeiten, war er als unfreiwilliges Werkzeug optimal.
Teufels ungebrochene Renitenz gegenüber Obrigkeit stand nicht in Frage, in diesem Fall auf der Seite, wo M ihn damals haben wollte und brauchte.
Sonnenschein hatte Teufel mit dem Video und Zusatzinformationen gefüttert. Zu Ms Entsetzen dabei allerdings die Gräfin mit einbezogen.
„Ich habe eine schlüssige Story gebraucht, womit ich Teufel glaubhaft verklickern konnte wie ich an das Video und andere Infos gekommen bin. Trudi hat mir geholfen.Teufel hat uns Quellenschutz zugesichert, und Trudi hat keine Ahnung, woher ich das Video habe.“