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Brandaktuell! Vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine und todesmutig um ihre Freiheit kämpfenden Frauen im Iran: Ein Oligarch und zwei Damen aus feinen Kreisen liegen nackt im Bett eines venezianischen Palazzos. Eigentlich nicht bemerkenswert im dolce vita der Reichen und Schönen. Nicht alltäglich dabei: Alle tot, erschossen! Auf Reha am Chiemsee findet Anne Sorbas derweil die deutsch-iranische Bloggerin Taraneh Omidi tot im Bett. Unter "politischen Sachzwängen" laufen Ermittlungen zögernd an und aneinander vorbei. Beim BND registriert man anfangs zusammenhanglos einen in Teheran verhafteten Deutschen, während man intern immer noch an den Folgen eines Maulwurfs des Russen zu beißen hat. In Deutschland ist die politische Stimmung aufgeheizt. Bald spürt Sorbas den Flügelschlag des Schmetterlings im Chaos: Alles hängt mit allem zusammen… und ein Killer ist Sorbas näher, als sie ahnt.
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Seitenzahl: 334
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© 2023 Werner Meier
Website: https://meiercrimes.de
Verlagslabel: meiercrimes.de
Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
Sorbas
Die Macht der toten Frauen
Werner Meier
Handlung und Personen sind frei erfunden! Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Ereignissen und Personen sind nicht immer rein zufällig, im Zusammenhang mit der Handlung im Buch aber ebenso frei erfunden!
Seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini geht eine Welle von Protesten durch den Iran. Die junge Kurdin war bei einem Besuch in Teheran von der Sittenpolizei festgenommen worden, offenbar weil ihr Kopftuch ihr Haar nicht komplett bedeckt hatte. Wenige Tage später, am 16. September 2022, starb sie im Krankenhaus. Aktivist:innen warfen der Polizei vor, sie habe Amini so stark geschlagen und am Kopf verletzt, dass sie dadurch ums Leben kam. Ein Video, das offenbar bei ihrer Beerdigung einen Tag später entstanden ist, zeigte Frauen, die aus Protest ihr Kopftücher abnahmen – eine Geste, die schnell in vielen Städten des Landes kopiert wurde. Binnen einer Woche weiteten sich die Proteste auf viele Städte im ganzen Land aus. Ein zentraler Slogan der Proteste sind die kurdischen Worte „Jin, Jiyan, Azadi“ (auf deutsch: „Frau, Freiheit, Leben“).
Quelle: taz
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Freitag, 2. Juni…
Medellín/Kolumbien…
Der Fahrgast nannte sein Fahrtziel.
„Santa Ana!“
Ein gläubiger Christ, dachte der Taxifahrer. Und ein wortkarger, wie sich herausstellte.
„Our Santa Ana is a famous church.“
Versuchte er auf Englisch, dem Fahrgast ein paar Worte zu entlocken. Er hatte ihn von einem Hotel abgeholt, vermutete einen Touristen, der kein Spanisch konnte. Aber alle Touristen konnten Englisch. Außer vielleicht einem Franzosen. Weshalb er selbst als Taxifahrer es sich überhaupt soweit beigebracht hatte, dass er sich verständigen konnte.
Er bekam keine Reaktion.
Dabei war Santa Ana wirklich eine berühmte Kirche!
Der Grundstein am Simón Bolívar Park im Stadtteil Sabaneta war im August 1896 gelegt worden. Fertig gebaut wurde die dreischiffige Kirche mit romanischen Bögen 1930 und diente den Gläubigen seitdem zur Marienverehrung. Das Bild der Heiligen Jungfrau in der Kirche Santa Ana war italienischen Ursprungs. Nach einem Erdbeben 1962 war die Kirche teilweise zerstört und wurde wieder aufgebaut. Die Legende erzählte, dass die Jungfrau auf dem Bild als Dank an die Gläubigen September 1968 leibhaftig in der Kirche erschien und damit eine Reihe von Wundern begann.
Der Fahrgast bezahlte großzügig und wortlos.
Jetzt sah er ihm nach, wie er rüber zur Kirche ging und das unheimliche Gefühl, das er während der ganzen Fahrt wegen des schweigsamen Passagiers auf dem Rücksitz bekommen hatte verstärkte sich gerade.
Der Taxifahrer bekreuzigte sich dreimal.
Santa Ana war auch „The Church of the Hitmen!”
Samstag, 3. Juni…
Venedig…
Elke Rodriguez stieg kurz vor neun Uhr früh am Bahnhof Venezia Santa Lucia aus dem Nightjet 237. Zuerst erschienen halbhohe grüne Pumps, nach und nach eine mittelgroße Frau mit robuster Figur in grünem Kostüm, orangefarbener Bluse, rundem freundlichen Gesicht mit blutrot geschminkten vollen Lippen, eingerahmt von schulterlanger kupferrot gefärbter Frisur. Sie war ausgeschlafen und gerade deshalb nicht bester Laune. Seit sie am Vorabend 19:07 Uhr in Wiesbaden eingestiegen waren, mit Umsteigen Frankfurt in den ICE 1015 hatte sie sich Sex im Zug ausgemalt, da in über dreißig Jahren Ehe dazu noch nie gekommen. In München war nochmal Umsteigen angesagt. Sie hatten ein Schlafwagenabteil gebucht und sie sich vorgestellt, wie sie darin die halbe Nacht durchvögelten, mindestens, und am Morgen durchnächtigt aber mit laszivem Grinsen im Gesicht Venedig begrüßten.
Ab München 23:54 Uhr. Die optimale Zeit zum Schlafen, hatte Dario ihr kompromisslos vorgeführt, sie sich damit abfinden müssen, dass es beim Schienenverkehr bleiben würde. In dessen einschläferndem Takt sie dann auch wegdämmerte.
Jetzt war sie hellwach und genervt! Weil er seit Aufwachen penetrant gut drauf war, sogar schon zu Scherzen aufgelegt, während er ihr den blauen Rollkoffer von oben aus dem Waggon nach unten auf den Bahnsteig reichte.
„Einundzwanzig Minuten Verspätung auf der ganzen Strecke bis Venedig. Das schafft unsere Deutsche Bahn schon bei der Einfahrt in einen Hauptbahnhof.“
Sie erwiderte sein breites Grinsen mit einem gequälten Lächeln und überlegte dabei, wie sie ihn töten sollte.
Sie dachte an Erwürgen!
Er folgte ahnungslos gutgelaunt mit seinem Rolli.
Sie waren angekommen in der Stadt ihrer Hochzeitsreise, damals im Flugzeug. Auch über den Wolken ohne Sex. Sie hatten sich nicht getraut.
Sie nahmen ein Wassertaxi. Der Himmel drückte bewölkt wie mit dreckigen Wattebäuschen auf die Stadt. Darios Augen strahlten Venedig an. Venedig konnte sich glücklich schätzen. Dario hatte die blauesten Augen, die sich je in ihre braunen vertieft hatten.
Während das Wassertaxi über den Kanal brauste, dachte sie daran, ihn darin zu ertränken. Die Vorstellung löste sich abrupt in Luft auf, als er wortlos einen Arm um sie legte und das Kornblumenblau seiner Augen sich ganz ihr widmeten.
Das Wassertaxi setzte sie nach 20 Minuten in San Marco ab. Das First Dream war nur ein paar hundert Meter von Rialtobrücke, Markusdom und Dogenpalast entfernt. Ein Doppelzimmer um die 200 Euro pro Nacht. Für Venedig ein Schnäppchen.
Sie checkten in ihrem hellen blitzsauberen Zimmer ein, packten aus, brauchten nur einen Schrank für die eine Nacht.
Seine Umarmung kam unvermittelt.
„Du weißt, dass ich dich liebe!“
„Ich weiß es. Wenn du es zwischendurch öfter mal wieder zeigen würdest, könnte das dein Leben retten.“
„Du bist sauer, weil ich im Schlafwagen zu müde war und nicht zur Sache gekommen bin.“
„Ich bin auf mich sauer, weil ich dich anscheinend nicht mehr zu einem Abenteuer reize. Nur noch Routine zum Hormonausgleich, only Sex as usual at home in bedroom. “
Sie dachte daran, wie gut er sich mit seiner Chefin verstand. Dario war ein Mann mit Puls, und die geschiedene Mittvierzigerin ein heißes Geschoß. Rodriguez traute Frauen nicht über den Weg. Es gab keine Solidarität untereinander. Gäbe es die, würden sie nicht immer noch in einer Welt leben, die Männer auf allen Ebenen alltäglichen Daseins kontrollierten und dominierten.
Frau hatte keine Hemmungen, sich einen Kerl aus einer festen Beziehung zu krallen, wenn sie scharf auf ihn war. Da galt es wachsam sein. Ihr war klar, dass sie beim in diesen Breiten gängigen Schönheitsideal oberflächlich gesehen kein heißes Geschoss war. Aber sie hatte sich Respekt verschafft, und Anerkennung! Es war lange her, dass ihr im näheren Umfeld „Pummel“ oder noch Verächtlicheres laut nachgedacht worden war. Abfällige Bemerkungen über ihre Figur traute sich in ihrer Gegenwart niemand mehr. Wenn einem Hirndübel mal nur leicht Blödes rausrutschte, konterte sie schmal lächelnd, wobei ihre Augen dann nicht mitlächelten.
„Meine Figur ist nur auseinander gegangen, damit ich bequem in mir selbst ruhen kann.“
Das konnte sie. Anfang Fünfzig Kriminaloberrätin beim BKA, Abteilung Staatsschutz. Job lief, Mann glücklich, die zwei erwachsenen Kinder glücklich, sie glücklich. Eigentlich! Sowas gab´s auch noch.
Sie wollte, dass es so blieb! Über dreißig Jahre hielt es schon an, und mit den Jahren kamen öfter diese Momente der Angst. Wie die vorm Fliegen! Statistisch gesehen im sichersten aller Verkehrsmittel. Statistisch gesehen stieg aber mit Mehrflügen auch die Wahrscheinlichkeit, selbst einmal in einer der selten abstürzenden Maschinen zu sitzen. Und einmal genügte für Endgültigkeit! So ging es ihr mit steigender Angst, dass so viel privates Glück wie ihres nicht anhalten konnte, es plötzlich zu Ende sein musste. Wie sie es um sich herum erlebte. Berstende Beziehungen, Schlammschlachten, Rosenkriege. Die Regel, nicht die Ausnahme!
Dario verschwieg seine Chefin nicht, redete aber nicht andauernd von ihr. Bis jetzt stimmte ihrem Gefühl nach die Dosierung noch, klang er noch nur dienstlich. Sie hatte eine feine Antenne für Tonlagen. Hoffte sie.
„Du liegst vollkommen falsch!“
Flüsterte er rau in ihren Hals. Er zog ihre Bluse hinten aus dem Rock hoch, seine Finger suchten ihren BH-Verschluss. Sie stieß ihn sanft weg.
„Dein Pech, mein Lieber! Jetzt habe ich keine Zeit. Du weißt, dass ich gleich einen anderen Mann treffe.“
„Ich werde ihn töten!“
Sie musste lachen. Venedig brachte sie anscheinend beide in Mordsstimmung.
Sie fuhren mit dem Lift gemeinsam runter. Im Frühstücksraum trennten sich ihre Wege.
Der Mann, der sich vom Eingang her im Frühstücksraum umsah, hätte von Statur, Gesicht und Haarschnitt ein Double von Commissario Brunettis zuverlässigem Gehilfen Sergente Vianello sein können. Allerdings stand er im Dienstrang weit höher, war aus Gründen hier in Zivil aufgetaucht. In Uniform hätte er alle Blicke auf sich und die Frau am Tisch gezogen. Eine Aufmerksamkeit, die sie vermeiden sollten, hatte Rodriguez ihn am Telefon gebeten. Sie hatten sich ihre Porträts auf die Handys geschickt. Sie hob kurz die rechte Hand zum Zeichen des Erkennens.
Er setzte sich in Bewegung und einige grüßten respektvoll mit Kopfnicken von den Tischen, an denen er vorbeischlenderte. Sie erkannten ihn natürlich, aber so war er ein privater Gast, der sich mit einer Bekannten zum Frühstück traf. Und sollte sie mehr sein als nur eine Bekannte…Italiener verstanden sich auf Diskretion der Privatsphäre.
Er gab ihr ein Handzeichen, um Gotteswillen sitzen zu bleiben, als sie Anstalten machte, aufzustehen. Er hauchte ihr galant einen Kuss über den Handrücken, bevor er sich an den Zweiertisch setzte. Dario hatte sich weiter entfernt an einen anderen gesetzt.
„Buongiorno e benvenuti a Venezia Señora Rodriguez! Hanno fatto un viaggio piacevole?”
„Mille Gracie, Colonello. Ja, die Reise war sehr angenehm. Ich liebe Züge.“
Sie konnte gut genug Italienisch, um sich zu verständigen, was er mit einem anerkennenden Lächeln registrierte. Sie hatte den ersten Sympathietest bestanden. Colonello Adriano Caruso sprach besser Deutsch als sie Italienisch und bot ihr an, dabei zu bleiben. Seine Frau stammte vom Bodensee und war dort an der Volkshochschule Lehrerin für Italienisch gewesen. Ihre mittlerweile erwachsene Tochter war zweisprachig erzogen. Da hatte er zuhause zwangsläufig Deutsch mitgelernt.
„Ihr Name kommt mir spanisch vor, Señora Rodriguez.“
Ihr war schon bei der Begrüßung aufgefallen, dass er die Anrede Frau spanisch ausgesprochen hatte, nicht italienisch Signora.
„Kolumbianisch“
Klärte sie ihn auf. Dario stammte aus Cartagena. Ihre erste und nachhaltig gebliebene Urlaubsliebe, auf den ersten Blick, kennengelernt als Zuschauer bei der Kieler Woche. Nur sechs Monate danach hatten sie geheiratet. Er studierte in Kiel Betriebswirtschaft und Verwaltungswesen, sie an der Polizeifachhochschule, später noch Kriminologie und Politikwissenschaften mit Masterabschluss summa cum laude.
Sie hatte Karriere beim BKA gemacht, er inzwischen bis zum Vizechef der Wiesbadener Stadtverwaltung.
Sie kam zur Sache. Worauf er stirnrunzelnd die Zuständigkeit auf den Punkt brachte.
„Wie bei Ihnen gibt es auch bei uns eine Polizia di Stato, Señora Rodriguez. Ich bin nur Colonello der Carabinieri für meine Region.“
Sie hätte sagen können, dass es ihr bei gegenwärtiger politischer Befehlslage in seinem Land unsicher sei, ob der Staatsschutz im Fall des Falles Staat oder Regierung schützen würde. Was aus ihrer Sicht derzeit weit auseinanderklaffte. Es war nicht mit erbittertem Widerstand zu rechnen. Nicht im bewaffneten Sinn. Sie würden es nicht mit welchen aus der Masse der hirnlosen Marionetten zu tun bekommen. Sondern mit denen, die an deren Fäden zogen. Da konnte gut der eine oder andere darunter sein, der zumindest nahe an einem der Schalthebel saß, die sie betätigen mussten, um eben selbige auffliegen zu lassen. Es war kein Geheimnis, welche Leute mit welcher Gesinnung derzeit am Drücker des Staatsapparats in bella Italia saßen. Wobei sie da Steine aus dem Glashaus warf. Zuhause waren sie auf geradem Weg zu italienischen Verhältnissen.
Das größte Problem lag demnach im Vorfeld.
Rodriguez formulierte vorsichtig.
„Wir haben keine Namensliste, müssen aber damit rechnen, dass wir es mit höheren Kreisen zu tun bekommen. Deshalb sollten wir unseren Kreis der Mitwisser so klein wie möglich, möglichst nur im Rahmen unbedingt notwendiger Einsatzkräfte halten. So halte ich es selbst auch. Und Sie für absolut vertrauenswürdig!“
„Sie haben Erkundigungen über mich eingezogen!“
Das kam nicht als Frage rüber. Sie waren sich vorher nie begegnet, kannten sich nicht. Er zog die richtige Schlussfolgerung aus ihrer Beurteilung, die ihn nicht mehr lächeln ließ, auch wenn sie schmeichelhaft war.
Sie bestätigte es ihm mit einem knappen Ja.
„Und, was haben Sie über mich erfahren, Señora Rodriguez?“
„Vieles an Ihnen erinnert mich an den Polizeichef in München.“
Anarchistisch lag ihr auf der Zunge, aber sie umschrieb es lieber.
„Polit- und Obrigkeitsresistent. Und auch Sie halten nichts von Faschisten.“
Jetzt war er amüsiert.
„Ah, Sie reden von meinem geschätzten bayerischen Kollegen Herbert. Wir haben einige Grappa bei einem Polizeitreffen in Mailand geleert und Brüderschaft getrunken. Aber Herbert ist ein Anarchist in Uniform. Ich bin ein gehorsamer Staatsdiener, der schon viele Regierungen überlebt hat. Ich werde auch die Faschisten überleben. So Gott will.“
„Die Lorbeeren würden allein Ihnen gehören, Colonello!“
Lockte sie ihn.
„Meine Rolle dabei müssen Sie nicht erwähnen.“
„Lorbeeren? Sie meinen meine Versetzung in den Ruhestand!“
„Sehen Sie es mal so, Colonello. Sie haben Wind davon bekommen, dass Ausländer so dreist sind, sich ihr Land, Ihre Stadt als Verschwörungssort für demokratiefeindliche Umtriebe auszusuchen, weil sie sich hier sicher fühlen. Sie werden Sie eines Besseren belehren!“
Die Vorstellung ließ ihn lächeln. Oder ihre Bemühungen, ihm die Sache schön verpackt zu verkaufen. Das erübrigte sich. Die Gedanken des Colonellos bewegten sich in ihre Richtung, und schon weiter.
„Ich werde Medientamtam als Versicherung brauchen. Damit auf dem Weg nach oben nicht plötzlich Namen von der Teilnehmerliste der Versammlung verschwinden und ich als Sciocco dastehe. Wie heißt das bei Ihnen?“
„Depp“
Übersetzte Rodriguez und bot dem Colonello PR-Unterstützung an.
„Am besten nur einen, von einer internationalen Agentur, die alles sofort um den medialen Globus jagt. Ich könnte diesbezüglich helfen, wenn nötig!“
„Nicht nötig!“
Er hätte dafür schon jemanden im Auge. Eine sehr engagierte Signorina. Rodriguez bohrte nicht nach und sie langten jetzt beide beim Frühstück ausgiebig zu.
Das Personal begann schon abzuräumen, als der Colonello sich verabschiedete und bei Rodriguez das gute Gefühl hinterließ, dass sie den richtigen Mann gefunden hatte.
Um sie herum hob sich jetzt die eine oder andere Augenbraue bei den letzten Aufstehenden, als Dario an ihren Tisch kam, und sie Arm in Arm hinausgingen.
Sie ließen ihre Hochzeitsreise wieder auf- und hochleben, machten eine Gondelfahrt auf dem Canale Grande, zogen sich Venedigs Gotik und prachtvollen Barock rein.
Mit zwiespältigen Gefühlen!
Nach ozeanographischen Berechnungen gab es ein Worst-Case-Szenario für die 136 größten Küstenstädte der Welt. Für Venedig hieß das Verfallsdatum 2100. Bis dahin würde der Markusplatz komplett und ständig unter Wasser stehen und Venedig am Rande des Untergangs. Es war nicht mehr die Frage ob, sondern nur noch wann es vom Meer verschluckt würde.
Fast erschlagen von der maroden Wucht der historischen Pracht nahmen sie als Kontrast-Nachschlag die Peggy Guggenheim Collection of Modern Art.
Nach einer Meeresfrüchteorgie im Hotelrestaurant und mit zwei Flaschen Weißwein intus hatten sie Bettschwere. Draußen legte Gewitter los. Der drückend feuchtschwüle Tag bei über 30 Grad hatte es schon angekündigt.
Blitz und Donner und wilde Sturmböen tobten über die Lagune.
Sie hatten Sex!
Im Bett!
Die Rückreise würden sie morgen müde im Flugzeug antreten.
Dann noch fünf Tage…fünf Tage zur Untätigkeit verdammt, des Wartens mit sich steigernder Nervosität, an denen sie ins Grübeln kam, ob sie was übersehen, was vergessen hatte. Mit dem Gefühl, wie es einen befiel, sobald man aus dem Haus war und nicht mehr sicher, ob man den Herd abgeschaltet hatte.
Freitag, 9. Juni…
Eine heimliche wie unheimlich anmutende Loge in blutroter Kapuzen-Amtstracht hatte sich ab Vormittag im Palazzo degli Eroi, dem Palast der Helden versammelt. Jetzt unter der Stuckdecke im weiß eingedeckte Halbkreis im über fünf Meter hohen Raum, dem Olymp gefühlt nahe saßen die Großmeister von Felix Italia als Gastgeber, Felix Francia, Felix Austria, Felix Germania, Felix Turchia, Felix Ungheria… Felixianer aus 17 europäischen Ländern.
Der Hausherr hatte seine Begrüßung leger in Jeans und weißem Hemd gehalten, auf die exquisite Verköstigung auf seine Kosten nach den Grußworten der Großmeister hingewiesen und sich in seine Gemächer zurückgezogen. Von Applaus begleitet.
Dann war es mucksmäuschenstill geworden, als im zivilen Businessoutfit ein kleiner Mann mit einem rotbäckigen runden Gesicht an einem Schreibtisch auf dem großen Bildschirm an der Wand vor ihnen erschienen war. Schräg hinter sich eine US-Flagge und hinter ihm an der Wand das riesige Ölgemälde eines riesigen Öltankers.
„Hi! I´m John Mecki!”
Einer stillen Gottesanbetung gleich schwebte Ehrfurcht im über fünf Meter hohen Raum, während Mecki über den großen Teich grüßte. Die europäischen Brüder im Namen aller American Patriots!
Der Großmeister von Felix Italia beendete jetzt am Pult seine flammende Rede über die Machtübernahme am Tag X und machte sich auf den Weg zu seinem Platz.
Die Türen öffneten sich für die altvenezianisch gekleidete vornehm stumme Dienerschaft mit graziös erhobenen silbernen Vorspeisen-Tabletts.
Sie waren nur vorgeschoben!
Hinter ihnen stürmten modern Uniformierte mit gezückten Pistolen herein und schrien laut und wild aber unisono durcheinander…
„Polizia! Su le mani! Nessuno si muove!”
Polizei! Hände hoch! Keiner rührt sich!
Die schocksteife Bagage war schnell gesichert. Wer kein italienisch verstand, wusste auch so sofort, was angesagt war. Die Uniformen und Pistolen ließen daran keine Zweifel aufkommen.
Einige Carabinieri machten sich durch Gänge und Räume auf die Suche nach weiteren Personen. Als zwei von ihnen den Schlafsalon des Hausherrn betraten, stoppten sie abrupt.
Ein nackter Mann und zwei auch nackte Frauen im Bett waren per se kein Blockbuster.
Drei tote Nackte im Bett waren dagegen auch für einen Palazzo in Venedig eher nicht alltäglich!
An dem Dreier vor ihnen war nichts mehr flott!
Der Hausherr mittig, von den Damen flankiert starrte das Trio auf dem Rücken liegend mit aufgerissenen Augen zum rosa Baldachinhimmel der massiven Bettstatt aus Eiche. Die rosa Bettwäsche neben ihnen zusammengewurschtelt störte nicht den Blick auf sie. Das gesamten Sündenbabel inklusive Decke und Wände war in Rosa gehalten. Es biss sich mit den roten Flecken auf Brust und Stirn der drei nackten Leichen. Blutrot, exakt gesagt, das sich nebenbei mit dem geballten Rosa drumherum nicht vertrug.
Bei den beiden Damen dauerte die Identifizierung, bis sie deren im Raum verstreuten Kleider und Handtaschen eingesammelt und durchsucht hatten.
Der Hausherr war in und mit Begleitung aus Venezias feiner Gesellschaft erschossen worden. Vielleicht hatten seine beiden Gespielinnen sich in den goldenen Käfigen ihrer Gatten zu sehr eingesperrt gefühlt und etwas Freiheit gesucht. Wie sollten sie ahnen, dass das Abenteuer so spannend werden würde. Wie der Gastgeber waren sie von den Ereignissen sichtlich überrascht worden.
Ein ungebetener Gast hatte die Aufführung von Leidenschaft humorlos und gnadenlos beendet.
Das Blut um die Einschüsse war gerade erst getrocknet.
Berlin…
Freitag nach eins macht jeder seins…
Er machte sich zehn Minuten später von Berlin auf gen bayerische Heimat. Wenn möglich an allen Wochenenden streifte er den Bruno Ramsauer ab und schlüpfte in Hans Müller. Als der er geboren und aufgewachsen war. In gut bürgerlichem Hause, wie Volksmund so sagte. Das gut Bürgerliche hatte er privat wie beruflich bald verlassen, wie nach und nach der Glaube an das Gute im Menschen ihn. Außer, wenn er wie jetzt an Manni dachte. Seit neun Jahren waren sie ein Paar, mit getrennten Wohnungen aber gemeinsamer Vorliebe für ein unaufgeregtes Privatleben ohne Remmidemmi und Schickimicki. Berufsbedingt vor allem seinetwegen konnten sie selten Zeit miteinander verbringen, die sie dann umso intensiver und harmonisch genossen. Mit Bergwandern über Mannis Heimatort Garmisch. Dabei hatten sie sich kennengelernt.
Seele baumeln lassen!
Hans Müller startete den schwarzen zwölf Jahre alten 5er BMW mit Münchner Kennzeichen voller Vorfreude. Daran konnte auch das trübe feuchtwarme Wetter nichts ändern. Es fing an zu nieseln. Für morgen war zumindest für Bayern heiter angesagt.
Sein Autoradio war schon auf Arabella Bayern eingestellt. Rock und Pop der 70er und 80er. Bei Lady in Black von Uriah Heep sang er lauthals mit.
„She came to me one morning…”
Die 14 Uhr-Nachrichten hörten sich an wie die Vorstellung eines neuen Venedig-Krimis von Donna Leon. Bei einer Polizeirazzia in einem Palazzo waren im Bett die nackten Leichen des Hausherrn und zweier Damen gefunden worden. Wie es hieß aus bester venezianischer Gesellschaft. Alle drei erschossen.
Der Stoff, aus dem feuchte Medienträume auf dem Boulevard gemacht waren. Das Ding würde um den Globus rennen.
Namen wurden noch nicht genannt, aber bei dem jetzt toten Besitzer des Palazzos handelte es sich um den Oligarchen, der Februar vergangenen Jahres vor dem Zugriff deutscher Steuerfahnder am Chiemsee mit seinem Privatflugzeug geflohen war. Die Behörden hatten ihn in Usbekistan vermutet. Ramsauer auch und, dass sich dieser Hurensohn in einem Schloss mit luxuriöser Bade- und Saunenlandschaft dort irgendwo im Nirgendwo rumfläzte, eine Heerschar von Lakaien hin und her hetzte und dazu einen Harem tanzen ließ.
Ganz weit weg war er damit nicht von der Wahrheit, nur nicht irgendwo im Nirgendwo, sondern im marodmondänen Venezia. Es gab für ihn keinen Zweifel, dass es sich bei dem Toten im Palazzo um Sergeji Rasputin handelte.
Er schaltete auf einen Nachrichtensender.
Die Razzia war gerade mal gut drei Stunden her, aber es sprudelten ständig neue Informationen, als hätte Presse bei den Einsatzkräften in Venedig auf dem Schoß gesessen. Die Polizeiaktion hatte einem Geheimtreffen demokratiefeindlicher Verschwörer aus ganz Europa gegolten.
Unterwegs begegnete ihm in entgegengesetzter Richtung ein schwerer Unfall, hinter dem sich kilometerlanger Stau ansetzte. Er selbst hatte streckenweise zähflüssigen Verkehr, kam aber erstaunlich gut durch.
Er hatte vorgehabt, nach dem Einbiegen in heimatliche Gefilde in einem Wirtshaus einzukehren. Bei deftigem Schweinsbraten mit Kartoffelknödel und Blaukraut. Und einem Weißbier.
Venedig hatte ihm den Appetit verdorben.
Ramsauer entschloss sich zu einem anderen Zwischenstopp.
Die Dämmerung krallte sich den Tag, als er in die Postkartenlandschaft um den Chiemsee einbog und vor Rasputins hiesigem Ex-Domizil anhielt. Es war immer noch mit einem Betonsockel und schmiedeeiseren zwei Meter hohen Zaun eingesäumt. Nur die Überwachungskameras waren inzwischen abmontiert.
Auf oberflächlichen Blick wies nichts darauf hin, dass sich hier jüngst was getan hatte, behördlicherseits oder durch Eindringen finsterer Gestalten.
Auf Nimmerwiedersehen, Sergieji, dachte Ramsauer. Das hatte er immer gehofft, aber so nicht gemeint.
Und still ruhte der See!
Ramsauer befiel die Unruhe vor dem nächsten Sturm… Der Flügelschlag des Schmetterlings… Wenn der Teufel es so haben wollte…ließ Rasputin posthum einen über den roten Faden stolpern, dessen Ende zu ihm führte…
Sein auf Hans Müller gemeldetes Zuhause war zwei Ecken um die alte kleine Klosterkirche im ältesten Viertel der Stadt, gelegen zwischen dem Fluss und dem Englischen Garten. Dass es mehr als drei Jahrhunderte Zuflucht für alle die gewesen war, denen man wegen ihrer Armut die Niederlassung im Stadtgebiet verweigert hatte, bis es dem 1724 einverleibt wurde, sah man ihm heute nicht mehr an. Bis nach der Jahrtausendwende hatte es auch im Kloster Armenspeisung gegeben, und Trost und Zuflucht für Verzweifelte und innere Einkehr Suchende. „Maria hat geholfen." Kleinanzeigen, die fromme Leute aufgaben, wenn sie glaubten, ihre Gebete seien erhört worden. Zum Kloster hatte auch eine Realschule für Buben gehört.
Inzwischen war das Kloster aufgelöst und verkauft, und die Brüder in alle Winde zerstreut worden. Nachdem der erste Tsunami von Kindesmissbrauch öffentlich Kirche und Klöster geflutet hatte.
Anstelle von Bildung und Mildtätigkeit standen dort jetzt 123 Eigentumswohnungen.
Franziskaner lebten in Armut und auch betteln gehörte zum Handwerk, wie soziale, pastorale und pädagogische Arbeit. Bruder Antonius war der letzte Aufrechte, der das Rokoko-Kirchlein wartete und in seiner braunen Kutte die Fahne der Armut hochhielt, während um ihn herum die Haie den Mammon jagten.
Vergangenes Jahr hatte er die Kirche besucht.
Eine Menge Himmelblau, mit Blattgold wuchernde Engelchen, Rähmchen und Säulchen. Die Klosterkirche war der heiligen Anna geweiht, der Mutter Marias und Schutzpatronin der Mütter und Kinder. Auf einem Altarbild unterrichtete sie ihre Tochter in der Heiligen Schrift. Daneben gab es eine Darstellung von Maria mit Jesuskind. Ein Gewölbefresko über der Orgel zeigte die heilige Anna auf dem Sterbebett, auf einem anderen wurde sie in den Himmel aufgenommen.
Bruder Antonius war ein zarter alter Mann mit grauem Stoppelbart, der sich nicht mehr umpflanzen lassen wollte. So hatte man ihn dagelassen. Gerade hatte er frische Blumen in eine Vase drapiert. Rosen und Lilien.
„Ich habe einen Mann erschossen.“
Hatte er dem alten Haudegen Gottes gebeichtet und die Hintergründe offen dargelegt. Es hatte ihm gutgetan, mit jemandem darüber reden zu können, der darüber schweigen musste. Bruder Antonius befreite ihn nicht von der Todsünde.
„Du hast ohne Not einen Menschen getötet. Dafür kann ich dir hier auf Erden keine Absolution erteilen, so wenig wie ich unter den gegebenen Umständen von dir verlangen kann, dass du dich einer irdischen Gerichtsbarkeit stellst. Aber ich kann dir mit auf deinen weiteren Weg geben, dass Gott gerecht ist.“
Das hätte auch eine Sphinx so sagen können. Es hieß alles und nichts.
Seine Wohnung, vorher schon die seiner Eltern lag im ersten Stock des Fünf-Parteien-Altbaus. Sie war nicht aufwendiger gesichert als die im Erdgeschoss und den Etagen über ihm. Leute hätten sich gefragt, warum Mieter Hans Müller in einer Festung lebte, ob er paranoid wäre oder etwas zu verbergen hätte. Besucher, nicht mal ein Einbrecher hätten drinnen einen Hinweis auf Bruno Ramsauer gefunden. Hans Müller wohnte allein in fünf Zimmern.
My Home is my castle.
Er hatte noch altmodisch den Briefkastenschlitz in der Wohnungstür, was verhinderte, dass sich während seiner Abwesenheit Post in einem üblichen Briefkasten im Hausflur staute. Er sammelte sie drinnen vom Boden auf, legte sie im Wohnzimmer auf den Tisch und zappte die Glotze auf ntv. Er holte eine Flasche Roten aus dem Weinregal neben dem bis an die 4, 20 Meter hohe weiße Stuckdecke reichenden grünen Kachelofen, und einen Schwenker. Am Tisch zog er den Kork aus der Flasche und schenkte den Schwenker ein Viertel voll. Er ließ den Roten atmen, während er die Post sichtete. Ein Umschlag der Stadtsparkasse. Er musste ihn nicht öffnen, um zu erfahren was drin war, fühlte die üblichen Kontoauszüge von außen mit den Fingern. Ansonsten Werbung. Bis auf noch einen Umschlag.
Aus Usbekistan!
Das konnte nur von einem kommen! Der Absender bestätigte es.
Es war nicht mehr relevant, dass der wie auch immer und wer weiß wie lange schon seine bürgerliche Alter-Ego-Adresse herausgefunden hatte.
Es war Nachricht von einem Toten!
Es wurde kryptisch.
Servus, Bruno, Towarischtsch!
Ich bin inzwischen Sonderbotschafter der Republik Usbekistan, kann also unter diplomatischer Immunität frei reisen, auch in Dein schönes Deutschland.
Wer weiß, wir beide vielleicht bald wieder am Chinesischen Turm?
Ich denke an dich! Du auch an mich?
Wenn nicht, wirst du bald!
Unser kleines Land ist ein großer internationaler Spielplatz! Die Flaggen von 49 Ländern wehen von Botschaften in Taschkent. Unser Präsiden ist ein schlauer Fuchs und gut Freund mit allen. Er hat Abkommen mit dem Russen, dem Chinesen, dem Ami, mit der EU und der NATO.
Du hörst von mir!
Es grüßt dich aus dem schönen Usbekistan
Dein Sergeji Rasputin.
Ps: Folge dem Ungarn!
Tatsächlich war Rasputins Schrieb nicht in Venedig, sondern laut Poststempel in Taschkent aufgegeben worden, sechs Tage unterwegs zu ihm gewesen, hatte ihn vor seiner letzten Rückreise nach Berlin haarscharf verpasst. Ramsauer konnte sich vorstellen, dass Rasputin den Brief einem anderen in Usbekistan zum Aufgeben anvertraut hatte, während er dann schon im venezianischen Palazzo residierte. Er war ein Mann voller Gegensätze, Hasardeur, misstrauisch und unvorsichtig.
Er wollte nur spielen.
Diesmal hatte wer nicht weiter mit ihm spielen wollen.
Der Lebemann und Überlebenskünstler hatte sich seit ein paar Stunden erledigt.
Das Postskriptum kam posthum so nebenbei daher, stellte aber Geheimdienstmann Ramsauer sofort die Nackenhaare auf.
„Folge dem Ungarn!“
Eine Mitteilung, dass er dem Ungarn folgte oder Aufforderung an ihn Ramsauer, dem Ungarn zu folgen?
Welchem Ungarn?
Ein ungutes Gefühl machte sich in ihm breit.
In den Tagesthemen brachten sie in Bildern, was er unterwegs nur gehört hatte. Die Abführung der illustren Faschistengesellschaft aus Rasputins Palazzo. Fotogen gemacht für die Kamera, die Kapuzen zurückgeschlagen und die Hände hinter dem Rücken in Handschellen, damit sie sich ihre Kutten nicht vor die Gesichter hochziehen konnten.
Ein Gesicht sprang Ramsauer an. Ein ungarisches!
Ihm bekannt als Nachfolger Janos Vertesys Nachfolger im Import/Exportgeschäft.
Ramsauers ungutes Gefühl steigerte sich abrupt zum Alarmsignal.
Eine Leiche aus seinem Keller stand gerade wieder auf.
Vertesy war ein Informant gewesen, hatte aus dem Geheimdienstgeschäft aussteigen wollen. Hatte er Ramsauer gegenüber behauptet. Dass der der Einzige wäre, zu dem er in der Sache Vertrauen hätte. Als Bonbon und Vertrauensbeweis hatte er ihm den Verdacht gegen den ukrainischen Botschafter als russischer Agent hingeschoben, dabei sehr deutlich durchblicken lassen, dass er im Auftrag aus dem eigenen Regierungspalast damit unterwegs war, den Verdacht glaubhaft in verschiedenen verbündeten Diensten zu streuen. Vertesy hatte ihm damit einen Wink mit dem Zaunpfahl gegeben, dass er eine gezielte Desinformation in die verbündeten Reihen einsickern ließ. Das war nicht automatisch unglaubhaft. Es war so eine Sache mit manchen Verbündeten. Die Nato hatte den Türken im Nest, der in Skrupellosigkeit und Großmannssucht dem Russen nicht nachstand und Nato-Waffen zum Genozid an den Kurden benutzte.
Vertesy hatte Geld für seinen geplanten Luxus-Ruhestand gebraucht! Viel Geld! Das er nicht aus der Import/Export-Firma abziehen konnte, die er mit seiner Frau für den ungarischen Geheimdienst betrieb. Ohne sein Todesurteil gleich selbst zu unterzeichnen. Die Firma war Staatseigentum. So hatte er eigene Süppchen gekocht und auf vielen Klavieren gespielt, mit China, dem Iran, auch mit dem Russen Geschäfte gemacht, war in den dortigen Palastetagen bestens vernetzt gewesen. Wobei es sicher nicht um Strumpfhosen und ungarische Salami ging, womit die als Import-Export getarnte Geheimdienstfirma in Budapest offiziell handelte. Vertesy war dabei im Auftrag seines Dienstherren unterwegs. Aber wie vielen anderen hatte er nebenbei gedient? Sie gingen davon aus, dass Vertesy die Melodien unkontrollierbar aus den Fingern geglitten waren, er mit der Wahrheit über sein Fake gegen den ukrainischen Botschafter auch anderswo hausieren gegangen war, um Honorar für seinen geplanten Ausstieg abzukassieren, und dabei von irgendwem an den ungarischen Brötchengeber verraten worden und aufgeflogen war.
Aus keinem Geheimdienst stieg man als Agent mittendrin einfach so aus und sagte leise servus, schon gar nicht mit Verrat.
Der gestreute Verdacht gegen den ukrainischen Botschafter in Berlin war in russischem Interesse gewesen, wenn die Idee nicht sogar in Moskau geboren worden war und man den Ungarn für deren Umsetzung hatte einspannen können. Vertesys Verrat untermauerten Analysten im BND. Sie hielten den Verdacht, der auf den ukrainischen Botschafter zielte für eine gezielte Desinformation des Ungarn. Um Misstrauen gegen die Ukraine speziell in der fragilen deutschen Gesellschaft und allgemein in der europäischen Gemeinschaft zu säen. Der Ungar war mehr als Subunternehmer für Moskau unterwegs als für die Interessen der EU, wussten alle.
In der Pfingstnacht 2022 hatte Ramsauer im Stadtpark von Heiligbrück einen Koffer mit drei Millionen Euro für seine Informationen überreicht und war gegangen. Minuten danach war Vertesy mit zwei Schüssen hingerichtet worden. Die drei Millionen hatten nebenbei den Besitzer gewechselt.
Wäre ihm in jener Pfingstnacht 2022 jemand gefolgt, auf leeren Landstraßen zu einem einsamen Ort, Ramsauer hätte ihn bemerkt. Der Killer musste mit ihm gerechnet und versteckt abgewartet haben, bis er den Geldkoffer an Vertesy übergeben hatte und wieder weg war.
Damals hatten sie spekuliert Vertesy hätte bei zu vielen zu viel geplappert und deshalb wäre am Ende alles dumm gelaufen, am dümmsten für Vertesy selbst.
Schon damals hatten sie weit gedacht und nicht ausgeschlossen, dass die ursprüngliche Idee, den ukrainischen Botschafter zu diffamieren sogar aus dem Kreml gekommen war, der wesensverwandte Autokrat in Budapest sich dafür hergegeben hatte, die für den Russen umzusetzen und Spuren nach Moskau zu verwischen. Ziel der Operation war es, die Alliierten gegen die Ukraine zu hetzen und sie so zu spalten. Was auch dem Ungarn in den Kram passte, wenn er damit spekulierte, dass die Staatenfront bröckeln würde, die EU-Milliarden an ihn einfrieren wollte.
Inzwischen mussten sie davon ausgehen, dass der Russe vom Oberst auch über Vertesys doppeltes Spiel frühzeitig Bescheid gewusst hatte. Auf der Basis reimten sie sich das große Ganze neu zusammen. Der Russe hatte den Ungarn über das doppelte Spiel ihres im Grunde gemeinsamen Agenten informiert und ließ ihn die daraus alternativlose Drecksarbeit erledigen.
Fakt blieb am Ende ein international gesuchter Auftragskiller. Dessen Honorar von 100.000 Dollar hatte der britische MI6 bis zu einem Vertesy-Firmenkonto auf Jersey zurückverfolgen können, ein Paradies für Schwarzgeldanleger und Geldwäscher. Das Mordhonorar war mit Auftragsunterschrift von Vertesys Ehefrau auf ein Offshore-Konto auf Barbados geflossen.
Vertesys Ehefrau war von ungarischer Polizei verhaftet und beim Prozess wegen Morde verurteilt worden. Eine betrogene Ehefrau, die mitbekommen hatte, dass der Mann sie verlassen und sich in ein anderes lockeres Leben absetzen wollte. Weshalb sie bis aufs Blut verletzt einen Killer engagiert hatte.
Ein Schmierentheater, hatten sie beim BND vermutet. Und, dass die eigenen Reihen sie zur Auftragsunterschrift gezwungen hatten, um sie als Sündenbock in einem konstruierten Ehedrama vorzuführen. Tatsächlich hatten sie im BND sichere Hinweise, dass sie ihren Mann geliebt hatte, und der sie. Wahrscheinlicher als ihn ermorden zu lassen war, dass sie mit ihm in das andere Leben hatte wechseln wollen, ihm später dorthin folgen.
Kurz nach dem Prozess war sie erhängt in ihrer Zelle gefunden worden. Selbstmord aus Verzweiflung und Schuldgefühlen hieß die offizielle Version.
Zum Schweigen gebracht die wahrscheinlich wahre.
Wenn Rasputin dabei war, hinter russische Geheimnisse des ungarischen Geheimdienstes zu schauen… und sein Großmaul zu weit aufgerissen hatte…dann waren so sicher wie Amen in der Kirche einige Finsterlinge hinter ihm her gewesen.
In seinem Schrieb erwähnte er 49 in Usbekistan vertretende Länder. Wie Ramsauer Rasputin kannte, tat der nichts ohne Hintergrund, machte sich einen Spaß daraus, scheinbar zusammenhanglos daher zu schwafeln. Ramsauer hatte gelernt, dass bei ihm alles ein Hinweis auf irgendwas war. Aus einem unguten Gefühl heraus googelte er die Botschaften in Taschkent.
Afghanistan, Algerien, Aserbaidschan, Ägypten, Bangladesch, Bulgarien, China, Deutschland, Frankreich, Georgien, Großbritannien, Indien, Indonesien, Iran, Israel, Italien, Japan, Jordanien, Kasachstan, Kirgisistan, Republik Korea, Lettland, Malaysia, Pakistan, Palästina, Polen, Rumänien, Russland, Saudi-Arabien, Slowakei, Schweiz, Tadschikistan, Tschechische Republik, Turkmenistan, Türkei, Ukraine, Ungarn, Vereinigte Staaten von Amerika, Weißrussland. Und der Heilige Stuhl des Vatikanstaates stand auch in Usbekistan.
Machte zusammen 49!
Freie Auswahl!
Rasputins großer Spielplatz. Wie da rausfischen, wer von den anderen Kindern nicht mehr hatte mit ihm spielen wollen?
Dumm gelaufen für Rasputin!
Nach Lage der Dinge nicht nur für ihn.
Gegen seine Gewohnheit leerte Ramsauer den Roten in einem Zug.
Mit Rasputins Ende hatte für ihn die Bombe gerade erst angefangen zu ticken!
Sein Magen meldete Hunger an. Der Kachelofen war nur Staffage. Ramsauer ging in die modern ausgestattete Küche, nahm eine Tiefkühlpizza mit Schinken und Peperoni aus dem Gefrierschrank und steckte sie in die Mikrowelle.
Er zwang seine Gedanken weg von Bruno Ramsauer.
Hier war er Hans Müller! Nur Hans Müller!
Es zählte nur noch das Wochenende mit Manni.
Er schaltete die Glotze im Wohnzimmer auf irgendwas!
Er schob Rasputins Brief weg!
Die Mikrowelle meldete aus der Küche durch die offenen Türen die fertige Pizza.
Er riss die Pizza auf dem Wohnzimmertisch an und schenkte sich nach.
Ein satter Magen und der schwere Rote dazu würden ihm einen ruhigen Schlaf verpassen!
Teheran…