Im Schnee - Tommie Goerz - E-Book

Im Schnee E-Book

Tommie Goerz

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Beschreibung

Von der Schönheit und der Härte des einfachen Lebens, von der Gnade der Freundschaft und dem Moment des Verlusts Der alte Max hat alle Zeit. Draußen vor dem Fenster legt sich der Schnee wie eine Decke über das Dorf. Da dringt das Läuten des Totenglöckchens durch die Stille. Es schlägt für den Schorsch, der viel mehr war als nur ein Freund, ein Leben lang. So macht sich Max am Abend auf zur Totenwacht, wo die Alten zusammenkommen, um des Verstorbenen zu gedenken und sich zu erinnern. Eine ganze Nacht erzählen sie von den Freuden bei der Ernte, von Abenden in der Wirtsstube, vom kleinen Glück. Und vom Schorsch. Aber auch von der Enge im Dorf und dem eisigen Schweigen. Erst im Morgengrauen kehrt der Max heim. Im Licht des neuen Tages ist ihm klar: Nichts davon wird wiederkommen. Nur die Erinnerungen an dieses Leben bleiben, solange er da ist...

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Zitat

Der Tod

Die Wacht

Die Nacht

Der Tag

Im Schnee

Am Grab

Dank

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Zitat

Die Weggegangenen sind überall.

Étienne Kern, Die Entflogenen

Der Tod

 

Unter den Apfelbäumen lag Schnee. Der Max stand am Fenster und sah hinaus in den Garten. Es war längst Vormittag. Er hatte seinen Küchenherd eingeschürt, sich einen Kaffee gemacht – und jetzt war nichts mehr zu tun. Es schneite, und er musste nicht nach draußen. Er hatte alles, und niemand wartete auf ihn. Es hätte ein so schöner Tag werden können.

Die alten Apfelbäume. Im Herbst hat sich der Schorsch dort noch seine Äpfel geholt, da konnte er sich schon kaum mehr bücken. Den Martini hat er geliebt, weil der so schön rund ist und saftig und sich bis Weihnachten hält. Und den Rheinischen Krummstiel, weil er auch gern im Winter Äpfel aß. »Der ist erst nach Weihnachten richtig gut«, hat er gesagt und in sich hineingeschmunzelt. »Und hält sich bis in den Mai – und dann kommt ja schon fast wieder der Kornapfel.« Er hat überhaupt viel geschmunzelt, der Schorsch, wenn er beim Max war, oft auch nur so für sich, wie von innen. Aber er hat nie gesagt, warum.

Zwei Körbe hat er sich immer von jedem geholt, seit mindestens fünfzig Jahren, den Martini und den Krummstiel, manchmal auch drei. »Mehr nicht, nein«, hat er gelacht, »ich muss die ja auch alle essen.«

Und jetzt ist er tot.

 

Der Max hatte am Fenster gestanden und noch von nichts gewusst. Hatte dem Fallen des Schnees zugesehen. Lange. Immer wieder, seit dem Morgen schon. Wie der Schnee, wenn er hochschaute in das unendliche Grau des Himmels, aus schwarzen Punkten bestand, und wie diese Punkte unaufhörlich auf ihn zuströmten. Bis ihn dieser Sog erfasste, den er immer spürte, wenn er das länger tat. Das war als Kind schon so gewesen. Als ob die Flocken nicht auf ihn zuschwebten, sondern er zu den Flocken hinauf. Längst hatte der Schnee alles bedeckt. Die Äste, das Gras, den Weg, sogar den schmalen Spitzen der Zaunlatten hatte er Hütchen aufgesetzt. Er ließ sich Zeit. Max hatte also am Fenster gestanden, hinausgesehen und gelauscht. Nichts machte die Welt so ruhig wie der fallende Schnee. Und so friedlich, so sanft.

Irgendwann drang das Totenglöckchen durch die Stille, zuerst nur ganz leise, dieses Bimbimbimbim vom Kirchturm. Wie von weit, weit weg. Max hatte es zunächst gar nicht gehört, und als er es schließlich wahrnahm, war es, als gehörte es dazu. Zum Fallen des Schnees, zu den Mützen auf dem Zaun, zu diesem so ruhigen Weiß. Als müsste es so sein.

Auf einem Ast saß eine Amsel und schüttelte sich, sortierte ein paar Federn. Schließlich plusterte sie ihr Gefieder auf und zog den Kopf tief ein. Kugelrund saß sie dort drüben und sah dem Schnee zu, wie er auch. Sie war braun, ein Weibchen. Früher hatte der Max immer einen Lappen Rindertalg geholt beim Angermann, roh und am Stück, und rausgehängt, den mochten die Vögel gern. In ganzen Schwärmen waren sie gekommen, pickten daran herum, und er sah ihnen stundenlang dabei zu. Doch seit sie keinen Metzger mehr hatten, konnte er auch keinen Talg mehr holen, und die Vögel mussten schauen, wo sie etwas herbekamen. Ob die Amsel vielleicht auf den Talg wartete? Max konnte ihr nicht helfen, der alte Angermann war vor vier Jahren gestorben, und der Hubert, sein Sohn, hatte auf das Schlachten keine Lust. Immer nur Abstechen und Wursten, und das viele Blut überall, das war nicht seins. Auch mochte er den Geruch nicht, der einem dann in den Kleidern hing. Seitdem war die Metzgerei zu und das Wirtshaus gleich mit. Für den Angermanns Fredl hatte damals auch das Totenglöckchen gebimmelt. Es bimmelte für jeden hier, der starb.

Zuerst hatte der Max nicht gewusst, für wen die Gunda die Glocke läutete. Die Mehlmeisels Gunda läutete nämlich die Glocke, wenn jemand gestorben war. Damit alle im Dorf wussten, dass wieder einer fehlte. Sie tat das schon weit über zwanzig Jahre – seit dem Tag, an dem ihre Mutter gestorben war. Denn die hatte das vorher getan, gefühlt seit dem Anfang der Welt.

Die Gunda hieß eigentlich gar nicht Mehlmeisel, sondern Grantner, weil sie den Grantners Ludwig geheiratet hat, den es irgendwie nach Austhal verschlagen hatte, und mit ihm hat sie den Mehlmeiselhof übernehmen müssen, weil ihr älterer Bruder nicht mehr aus dem Krieg zurückgekommen war. Dabei hatte sie den Hof gar nicht gewollt. Jedenfalls, Grantner sagte hier niemand, man sagte Mehlmeisel.

Max trat einen Schritt zur Seite. Dort, wo er gestanden hatte, war die Scheibe von seinem Atem beschlagen. Jetzt sah er wieder nach draußen, und seine Gedanken hatten Raum.

Manche rief man hier noch nach ihren Höfen, egal wie ihre Namen waren. Wenn man aus dem Dorf war, wusste man Bescheid, und wenn nicht, ging es einen auch nichts an. Das war schon immer so. Aber es änderte sich. Nur von den Alten hörte man noch die Hofnamen, die Jungen benutzten sie längst nicht mehr. Und die Neubürger kannten sie oft nicht einmal. Hatten im Neubaugebiet droben gebaut oder sich einen der alten Höfe gekauft, die man aufgegeben hatte. Auch wenn die Bauern nicht gern verkauften.

Er hätte der Amsel gerne etwas gegeben, aber er hatte nichts. Auch bei den Metzgern in der Stadt gab es die Talgstreifen nicht, hatte der Manfred gesagt, der ihm, was er so brauchte, mitbrachte. Und die Lilo hatte ihren kleinen Laden längst zugesperrt, in dem man alles Mögliche hatte kaufen können. Von der Mausefalle bis zum Klopapier und alles zum Essen und Trinken. Die Lilo war zu alt gewesen, kaum jemand kam noch, und gelohnt hat es sich schon lange nicht mehr. Sie konnte auch kaum noch gehen die letzten Jahre, die Hüften waren kaputt vom Stehen und von der Schlepperei im Laden. Und die Jungen fuhren sowieso für alles mit dem Auto in die Stadt.

Den ganzen Vormittag hatte der Max immer wieder am Fenster gestanden und hinausausgesehen. Er musste ja nichts tun. Er hatte in den Schnee geschaut und zu den Apfelbäumen. Im Frühjahr würden sie wieder blühen und im Herbst wieder Äpfel tragen, wie jedes Jahr. Wie seit so vielen Jahren schon. Noch immer wusste er nicht, wer gestorben war.

Die Amsel saß auf ihrem Ast, und der Frieden da draußen war groß. Er hatte noch ein Scheit Holz nachgelegt und es schön gefunden, dass es warm war. Sollte es ruhig schneien, Holz war genug da. Irgendwann holte er den Topf Restsuppe aus der Speisekammer und stellte ihn auf den Herd. Rindfleischbrühe mit Nudeln von gestern, die würde ihn von innen wärmen. Ein Ei hineingeschlagen und mit einem Stück Brot war es ihm genug. Er brauchte ja nicht mehr viel.

Von der Lisl hat er es dann erfahren, sie hat es ihm zugerufen, von draußen, vom Weg. Und ein Kreuz geschlagen dazu. Irgendwie hatte es der Max da schon geahnt, aber den Gedanken nicht zugelassen. Zuerst hatte er gedacht, dass es die Lilo sein könnte, als er das Bimmeln hörte, der ging es ja schon lange nicht mehr gut. Aber jetzt war es der Schorsch, der tot war.

Und plötzlich war die Welt eine andere.

Der Schorsch! Der hat seine Äpfel doch noch gar nicht alle gegessen …

Draußen standen die Apfelbäume im Schnee wie zuvor. Nichts hatte sich verändert. Doch auf einmal war es leer zwischen ihnen. Und auch dahinter … und in der Küche … und überall …

Max wischte sich mit seiner großen Hand übers Gesicht und fasste sich an den Hals. Holte sich den heißen Topf an den Tisch und löffelte die Suppe. Wie würde das jetzt werden? Er schüttelte den Gedanken ab. Nur nicht drüber nachdenken. Die Brühe würde ihm Kraft geben.

Später zerteilte er einen Apfel, aß ihn langsam Schnitz für Schnitz, sah auf seine faltigen Hände und dachte an den Wenzels Schorsch, denn der Apfel war ein Martini. Vielleicht gab er ihm einen davon mit ins Grab und einen Rheinischen Krummstiel mit dazu.

Kein Mensch hat den Schorsch je Georg gerufen, nur in seinen Pass hatten sie es so geschrieben: »Georg Wenzel«. Aber was wissen die am Amt schon von den Menschen.

 

Der Schorsch war immer gerne zu ihm gekommen, und er hatte es gerne gehabt, wenn der Schorsch kam. Der große Schorsch mit den breiten Schultern, den so warmen Augen und dem freundlichen Blick unter seinen wilden Brauen. Der seit ein paar Jahren so gebeugt ging und schwer. Das Kreuz. Der eher still war und nicht so laut wie die anderen, und der so gern seine Äpfel aß. Und gebratene Ente, wenn es die einmal gab, bei einem Geburtstag oder einer Hochzeit, einer Taufe oder einer Kommunion. Wenn er eingeladen war, zum Stanglwirt oder zum Angermann. Aber das alles wurde immer weniger. Nur die Leich nach einer Beerdigung, die gab es immer häufiger. Weil mit dem Sterben war es wie mit den Haaren. Die Haare wuchsen, und man musste sie schneiden. Genauso musste man sterben. Das konnte man nicht einfach ausfallen lassen.

Wie oft hatten sie zusammen gearbeitet, der Max und der Schorsch. Waren in den Wald zum Holzmachen oder hatten den alten Fendt repariert, Meterholz gespaltet und geschnitten, ein Sägeblatt geschliffen oder Dachziegel ausgetauscht. Wie oft hatten sie auf dem Bänkchen im Hof gesessen und nichts gemacht. Vielleicht eine Flasche Bier getrunken, die Katze gestreichelt, den Spatzen zugesehen, die im Sand badeten, oder nur aufs alte Scheunenholz geschaut. Oder im Winter hier beim Max auf dem Chaiselongue, wo es schön warm war. Und manchmal auch gelegen, nebeneinander, und ein Schläfchen gemacht, das Chaiselongue war ja breit genug. Über Jahrzehnte war das so gegangen. Es war etwas zwischen ihnen gewesen. Auch wenn sie schwiegen. Oder an der Aus saßen und ihrem leisen Gluckern lauschten, dort, wo sie über die Steine floss. Dieses so reiche Geräusch, das sonst keiner hörte außer die Kinder. Oder wenn er im Wald irgendwann die Säge abstellte, nicht für eine Pause von der Arbeit, sondern um dem Wald zuzuhorchen. Fast heilige Momente waren das, nur für sie beide.

Und jetzt war der Schorsch nicht mehr.

 

Max nahm sich eine der Zeitungen, die ihm der Mane immer brachte, und legte sie auf den Tisch. Schlug die Seiten um und sah sich die Bilder an, aber es interessierte ihn nicht. Die Welt da draußen war so weit weg, sie hatte mit ihm nichts zu tun. Ein Durcheinander, er verstand es nicht mehr. Überall war Krieg, überall flüchteten Menschen – hier fiel nur der Schnee.

In zwei, drei Tagen würde der Schorsch in der Zeitung stehen. Der Max sah sich die Todesanzeigen an, aber er kannte niemanden. Es waren Leute aus der Stadt. Überraschend und unerwartet stand oft dabei, auch nach langer Krankheit. Über Austhal stand in der Zeitung nichts. Kein Wunder. Und gut so, Gott sei Dank. Er schob noch ein Stück Holz nach und legte sich auf sein Chaiselongue, es war Zeit für seinen Mittagsschlaf. Das Scheit knackte im Ofen, und das Knacken trug ihn langsam davon.

 

Max’ Haus hatte die Nummer 27, im alten Teil des Ortes hatten die Häuser nur Nummern, die Straßen keine Namen, oder man benutzte sie nicht, nur im Neubaugebiet gab es das. Dem Max sein Haus hieß Gleis drei. Weil es das einzige war, das so nah am Gleis stand. Das Gleis drei gab es schon seit Jahren nicht mehr, aber der Name war geblieben. Früher war das Gleis nur ein Abstellgleis gewesen, zum Holzladen. Als das Holz nicht mehr benötigt wurde zum Porzellanbrennen in Selb, Marktredwitz, Meißen, Arzberg oder sonst wo, hatten sie es irgendwann abgebaut, das Eisen der Schienen brauchten sie wohl für etwas anderes. Überall hatten sie damals mit dem Porzellan aufgehört, und viele Menschen waren deshalb weggezogen, auch aus Austhal. Weil es keine Arbeit mehr gab.

Um in die Fabriken zu kommen, sind die Leute von Gleis zwei abgefahren, mit dem Zug um fünf oder um sechs, zu der Zeit fuhr noch fast jede Stunde einer. Am Nachmittag oder am Abend kamen sie wieder zurück, manchmal erst nachts. Bis um elf fuhr er. Heute kam der Zug aus Arzberg nur noch dreimal, gegen sieben, gegen eins und gegen sieben. Und dreimal aus Wunsiedel, eine halbe Stunde zuvor. Er hielt auch nur, wenn man auf den Knopf drückte oder jemand am Bahnsteig stand, sonst fuhr er einfach durch. Manchmal sah der Max eine ganze Woche lang keinen Zug halten. Es gab inzwischen auch nur noch ein Gleis, das andere hatten sie ebenfalls abgebaut. Das Bahnhofshäuschen stand zwar noch, aber es war besprüht und bemalt, die Scheiben längst eingeschlagen, der Wind pfiff durch jede Ritze, und überall lagen Scherben und Müll. Es interessierte niemanden. Seit Jahren hatte dort keiner mehr aufgeräumt oder sauber gemacht. Der Zug hielt heute hundert Meter weiter, kurz hinter dem Bahnübergang, dort hatten sie einen neuen Bahnsteig hingebaut. War auch schon lange her. Da stand eine Bank unter einem schmalen Dach neben einem Fahrkartenautomaten, der seit Wochen kaputt war. Aber die elektrische Anzeige funktionierte. Nächste Abfahrten: Richtung Arzberg 19:32 Uhr, Richtung Wunsiedel 19:58 Uhr lief dort, aus gelben Punkten zusammengesetzt, endlos durch.

Auch dort drüben war jetzt alles weiß. Niemand räumte den Bahnsteig.

Langsam wurde es schon wieder dämmerig, Mitte Januar wird es schon am Nachmittag Nacht. Es würde noch Wochen dauern, bis es spürbar heller wurde. Wo war der Tag hin?

 

Max hatte sich einen Tee aufgebrüht. Brennnessel, Pfefferminze und allerlei bunte Kräuter, im Sommer gesammelt, an der Luft getrocknet, schön ausgebreitet auf einem Brett, und im Glas gemischt. Diesen Tee hatte der Schorsch auch gerne getrunken, aber der lag jetzt wahrscheinlich daheim auf seinem Bett, die Hände auf dem Bauch gefaltet und den Mund einen Spaltbreit offen, vielleicht hielt er sogar ein Kreuz in den Händen. Oder sie hatten ihn schon abgeholt. Kaum jemand wollte ja mehr einen Toten im Haus, nicht einmal in der ersten Nacht.

Bei den letzten dreien, die gestorben waren, hatte es keine Totenwacht gegeben. Da haben sie die Verstorbenen noch am selben Tag abholen lassen. Die lagen dann beim Bestatter im Kühlfach und wurden erst zur Beerdigung in die Friedhofskapelle gebracht, aber nicht mehr aufgebahrt. Der Sarg war längst schon zugeschraubt. Aber so kann man doch nicht richtig Abschied nehmen. Bei der Totenwacht war das viel schöner. Da hatte man eine ganze Nacht Zeit zum Plaudern und zum Weinen, und es gab was zum Trinken, einen Schnaps oder zwei, das eine oder andere Bier. Was immer half. Auch dass man zu mehreren war und nicht allein.