Immer darf ich alles nie! - Matthias Jung - E-Book

Immer darf ich alles nie! E-Book

Matthias Jung

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Beschreibung

Wo ein Wille ist, ist ein Wort: »Nein!«

Kaum sind Kinder zwei Jahre alt, geht es auch schon los: »Ich will!«, »Ich will nicht!«, »Alleine!« Willkommen in der ersten kleinen Pubertät mit Wutanfällen auf beiden Seiten. Zwischen Autonomiephase und Wackelzahnpubertät hilft nur eins: Humor! Denn zusammen gelacht ist besser als alleine verzweifelt! Bestsellerautor und Pädagoge Matthias Jung liefert unterhaltsam wirkungsvolle Hilfe bei allen großen und kleinen Dramen des Familienalltags mit Mini-Rebellen. Lehrreich, aufmunternd und immer mit einem Augenzwinkern liefert er Informationen, warum Kinder in diesen spannenden Entwicklungsphasen nun einmal so sind, wie sie sind – und wie wir diese stürmischen Phasen mit Humor nicht nur besser überstehen, sondern sogar feiern können. Nah am Alltag, nah an den Familien – mit persönlichen Erfahrungsberichten und hilfreichen Tipps.

Der Gedulds-Leid-Faden für kleine Kinder mit großem Willen

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Seitenzahl: 315

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Wo ein Wille ist, ist ein Wort: »Nein!«

Kaum sind Kinder zwei Jahre alt, geht es auch schon los: »Ich will!« »Ich will nicht!« »Alleine!« Willkommen in der ersten kleinen Pubertät mit Wutanfällen auf beiden Seiten. Zwischen Autonomiephase und Wackelzahnpubertät hilft nur eins: Humor! Denn zusammen gelacht ist besser als alleine verzweifelt! Bestsellerautor und Pädagoge Matthias Jung liefert unterhaltsam wirkungsvolle Hilfe bei allen großen und kleinen Dramen des Familienalltags mit Mini-Rebellen.

Der Gedulds-Leid-Faden für kleine Kinder mit großem Willen

Matthias Jung ist Diplom-Pädagoge, Familien- und Pubertätscoach, zweifacher Vater und SPIEGEL-Bestseller-Autor. Nach dem Studium der Pädagogik arbeitete er als Schreiber unter anderen für die Heute Show und startete 2006 seine kabarettistischen Bühnenauftritte in ganz Deutschland. Seit einigen Jahren zieht es ihn wieder zur Pädagogik zurück – somit zu Kindern und Jugendlichen. In seinen Vorträgen, Coachings und Seminaren gibt er Eltern humorvolle Hilfestellungen im Familienalltag und erreichte in seinen Bühnenprogrammen bisher weit über 250.000 Menschen.

Matthias Jung

Immer darf ich alles nie!

Erste Hilfe für Familien, die die Phase voll haben

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

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Copyright © 2024 Kösel-Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München

Umschlagmotiv: Huza Studio / Shutterstock.com

Illustration Innenteil: © Frau Ottilie

Redaktion: Steffi von Wolff; Ulrike Kretschmer

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN978-3-641-31919-9V002

www.koesel.de

Dieses Buch widme ich meiner wunderbaren Tochter Kate.

Inhalt

VorwortElternschaft – eines der größten Mysterien der Menschheit

EinleitungEltern sind auch nur Menschen

Kapitel 1Bedürfnisorientierung für Anfänger

Kapitel 2Die Autonomiephase – ich trotze, also bin ich

Kapitel 3Grenzen los – bis hierhin … und noch viel weiter

Kapitel 4Konsequenzen – wir sind Schimpfgegner

Kapitel 5Kommunikation – wo ein Wille ist, ist auch ein Wort: Nein!

Kapitel 6Familie – ziemlich beste Geschwister

Kapitel 7Lobsuchtsanfall – wie viel Lob ist gut fürs Kind?

Kapitel 8Schüchternheit und Ängstlichkeit kochen auch nur mit Wasser

Kapitel 9Essen – manche mögen’s … kalt!

Kapitel 10Ich seh so friedlich aus, wenn die Kinder schlafen

Kapitel 11Trocken werden – von Windeln verweht

Kapitel 12Trödeln oder: Wie bekomme ich meine Kinder morgens in die Gänge?

Kapitel 13Kita – Käsespätzle und mehr

Kapitel 14Die Wackelzahnzeit – das verflixte sechste Jahr

Kapitel 15Medien – nur noch den Bildschirm auf dem Schirm

Zum guten SchlussMit ganz viel Kinderspitzengefühl

Danksagung

Vorwort

Elternschaft – eines der größten Mysterien der Menschheit

Jeden Morgen, wenn ich meinen Sohn vollkommen neben mir stehend aus dem Bett labere, um ihn danach leicht hysterisch zu bitten, sich doch jetzt endlich anzuziehen, durchwirkt mich das warme Gefühl der Ohnmacht, wie ein Narkotikum. Ich würde jetzt viel lieber schlafen, als diese unsympathische Version meiner selbst zu sein, die ich früher verachtet hätte.

Und überhaupt war damals schon klar, dass nach der Generation X nicht mehr viele Buchstaben kommen würden – warum also habe ich das mit den Kindern nicht gleich gelassen? Ich hätte mehrmals jährlich in den Urlaub fliegen können, und zwar ohne dass jemand dauernd ein Eis will – außer mir selbst.

Wenn schon die Welt kaputt machen, dann doch wenigstens für den eigenen Spaß! Wieso mache ich das über diese beiden Nachkommen, die deutliche Züge von Superschurken aufweisen, wenn sie mal nach zwei Stunden den Fernseher ausmachen müssen?

Als ich Matthias’ Buch in die Hand genommen habe, war ich mir sicher, dass meine Art der Erziehung ein Desaster ist. Oder – vielleicht sind es auch meine Kinder? Eine besonders explosive Genkombination, die schon seit der Geburt anfällig für Trotzphasen aller Art ist?

Doch nur einige Seiten dieses Buchs haben ausgereicht, um mich aus dem Sumpf des dumpfen elterlichen Selbstmitleids herauszuziehen in einen See aus Belustigung, Selbstironie und irgendwie auch sehr guten Aussichten. Ach, das geht allen so? Warum redet dann keiner darüber?

Doch, Matthias Jung spricht und schreibt darüber, und das so unterhaltsam und lustig, dass ich genau weiß, wer dieses Buch von mir zu Weihnachten geschenkt bekommt. Meine Eltern und meine Kinder. Denn für so einen Jung hat man immer das richtige Alter!

Eva Karl Faltermeier

Einleitung

Eltern sind auch nur Menschen

3 Uhr 16. Jetzt kommt keine Partygeschichte. Nein, ich bin zu Hause und sehe aus dem Fenster. Herr Kröger aus dem Nachbarhaus, dritter Stock, hat eine schwache Blase. Ständig ist das Licht an. Mich dürfte er auch sehen, es fällt schließlich auf, wenn ein Vater mit seinem zwei Monate alten Sohn im Storchengang durchs Wohnzimmer stakst. Ich frage mich, was passieren würde, wenn ein Storch mich sehen könnte. Er würde denken: »Dein Ernst, Alter? Du machst hier meinen Gang!« Jetzt schaut die Nachteule Kröger zu. Auch nicht viel besser.

Es ist momentan fast täglich und auch nächtlich der Fall: Mein kleiner Schatz schläft nicht. Was automatisch bedeutet, dass meine Frau und ich auch nicht schlafen. Wir wechseln uns ab: kurze Übergabe, ein wenig schlafen, wieder Übergabe. Auch ein Stück Menschheitsgeschichte.

Mein Sohn schluchzt wieder. Oh je. Der Storch muss (s)einen Gang zulegen. Das würde ich für keinen anderen Menschen machen. Denn seien wir ehrlich: Schlaflosigkeit ist Folter. Das eint uns Eltern.

Mein Sohn sorgt sich offenbar um meinen Fitnesszustand, denn wenn ich mich bewege, weint er nicht. Daher der Storch. Schlank im Schlaf war mir anders in Erinnerung. Herr Kröger hat mich erneut gesehen. Jetzt hängt er sogar einen Zettel ans Fenster, darauf steht: »Soll ich mal übernehmen?« In dem Moment passiert es: Mein Kind hört auf zu weinen und lächelt mich kurz an. Ob Absicht oder nicht, er schaut mich an, als wollte er sagen: »Haste dir jetzt gerade mal verdient, Papa!« Ein wunderbarer Moment, in dem man wieder weiß, warum man das tut. Ich hänge Herrn Kröger auch einen Zettel ins Fenster, darauf steht: »Danke! Alles wird gut!«

So war das in den ersten Monaten. Die Geburt ist etwas so Unglaubliches, dass ich die Zeit danach immer als Wunderwochen bezeichnet habe. Ein Wunder, so ein süßes, kleines Bündel Mensch bei sich zu haben, und sicherlich auch ein Wunder, dass man in vielen neuen, schwierigen und schlaflosen Situationen über sich hinauswächst. Es sind auch die »Oooh!«- und »Aaah!«-Wochen, da alle nur wegen des Babys kommen und dieses herzen wollen. Denkt zwischendurch bitte auch einmal an die Eltern. Dem Baby geht es sehr gut, es bekommt das Rundum-Wohlfühl-Programm. Doch auch die Eltern brauchen Aufmerksamkeit, sie wollen auch mal in den Arm genommen werden. Oder duschen. Oder eine Stunde schlafen.

Das Leben mit Baby ist ein komplett anderes. Allein die vielen neuen Begriffe, die kinderlose Paare in ihrem Leben niemals hören werden. Stillhütchen zum Beispiel. Meine Frau hatte mich deswegen in die Apotheke geschickt. Ein peinliches Gespräch.

Außerdem stand auf der Einkaufsliste »Tagebuch«. Fand ich eine nette Idee, dass sie die Erfahrungen als Erinnerungen festhalten wollte. Ich hab ihr ein sehr schönes gekauft. Es kam auch gut an, doch dann sagte sie: »Auf dem Zettel stand eigentlich Tragetuch!«. Klar – das Kind kann man schlecht in Papier einwickeln. Also bin ich noch mal los.

Den sogenannten Vaporisator (was für ein Name!), mit dem man Keime beseitigen und Flaschen desinfizieren kann, wollte ich im Media Markt besorgen. Als ich zum Verkäufer sagte: »Ich hätte gern einen Terminator« (Name vergessen, übermüdet halt), sah der mich nur komisch an. Hasta la vista, Baby. Doch letztendlich habe ich auch das geschafft.

Die Vorfreude auf ein Baby ist meist riesig, aber was es wirklich bedeutet, ein Kind zu haben und großzuziehen, wissen die wenigsten. Eigentlich weiß es keiner. In Zeiten von Kleinfamilien und Späteltern kann man kaum auf Erfahrungen zurückgreifen und auf die aus der eigenen Kindheit will man es nicht. Ich erinnere mich noch an die Oma eines Freundes, die ihm immer ihr Eierlikörglas zum Auslecken gab, während sie Kette rauchte und kein Fenster öffnete, weil sie sonst »Zug« bekam. In dieser Ausnahmesituation als frisch gebackene Eltern positiv zu denken ist nicht einfach. Da hilft der Satz: »Die Windel ist halb voll und nicht halb leer« auch nicht unbedingt weiter.

Doch nun ist das erste Jahr vollbracht. Mit dem Schlafen ist es etwas besser geworden. Hipp-Gläschen kommen keine mehr auf den Tisch, und auch das Stillleben meiner Frau ist vorbei. Ich mache nicht mehr täglich: »Kuckuck!« mit meinem Kind. (Übrigens ist eine tolle Übung, bei der die Denkprozesse des Kindes gefördert werden. Kann ich nur empfehlen. Und man lernt dabei seine Stimme in all ihren peinlichen Facetten kennen.)

Das Kind liegt nicht mehr so viel rum, es krabbelt und zieht sich hoch, in ein paar Monaten wird es sogar laufen. Ich bin sein Follower und laufe stets hinterher, da es sich offenbar weiter um meinen Fitnesszustand sorgt. Dazu mache ich, wie es sich für einen Papa-razzi gehört, Fotos. Das Kind hat den inneren Antrieb, ständig zuzugreifen (geht oft einfacher als loslassen) und sich immer mehr bewegen zu wollen. Da muss man keine Batterien einsetzen, das geht alles von allein. Doch statt das zu genießen, fragen die Eltern sich, ob die Entwicklungsschritte auch alle zu richtigen Zeit passieren. Schließlich will man ja vor den anderen Eltern angeben: »Da ist mein Kind wirklich früh dran – wie ist das denn mit eurem Donatus?« Grins. Doch natürlich hat jedes Kind sein eigenes Tempo. Ich ziehe positive Bilanz: Mein Kind hat jetzt gut achtzehn Monate überlebt. Es atmet noch. Das ist erst mal gut. Die Entwicklung passt auch. Also kurz mal durchschnaufen. Herr Kröger ist auch weggezogen, seine Mission scheint beendet. Wenn der wüsste …!

Inzwischen aber hat sich ein Wort in den Sprachschatz unseres Kindes eingeschlichen, das unseren Alltag doch deutlich erschwert. Wir haben es so noch nie aus seinem Mund gehört, doch führt es hin und wieder zu internen familiären und organisatorischen Problemen. Das Wörtchen ist: »Nein!« Ich habe meinem Sohn sämtliche Hochzeitsfilme, die ich auf YouTube finden konnte und in denen die Paare immer »Ja« sagen, vorgespielt und dazu Fotos vom »Yes-Torty« gezeigt. Es hat nichts genützt. Er mag das Wort einfach.

Er ist nun fast zwei Jahre alt, und wieder hat eine neue Phase begonnen. Ich nenne sie die Trotz(dem-lieb)- oder Autonomiephase, da mir das Wort »Trotz« allein zu negativ ist. Diese Phase ist der erste heiße Scheiß für den Selbstwert unserer kleinen Scheißer, die erste Unabhängigkeitserklärung. Bämm!

Und die erste Lehre, die ich aus der Trotz(dem-lieb)-Phase gewonnen habe, lautet:

Man kann Brot tatsächlich falsch durchschneiden. Was mit einem Weltuntergang gleichzusetzen ist.

Andere Eltern habe andere, aber ähnliche Erfahrungen gemacht. Mia beißt. Sören motzt. Jonas weint, wenn er in die Kita geht. Bei Lea soll nur Mama, bei Leon nur Papa. Für Finn ist Papa eine doofe Kacka-Wurst. Hannah will alles allein machen, nur schlafen will sie bei Mama und Papa im Bett. Lene will immer was gucken, und Charlotte isst nur Nudeln mit Ketchup. Lore mag ausschließlich kalte Nudeln. Clara isst und ist nie kalt, sie will auch im Winter Sandalen anziehen. Nur Thore kennt schon die Zahlen bis zwanzig und schläft durch, von sieben bis sieben. In seinem Bett. Er brauchte schon früh keine Windeln mehr und hat stets gute Laune. Er isst Fenchel und Rosenkohl, bestimmt weiß er, dass Vitamine gut für ihn sind. Thore ist klug für sein Alter. Wir mögen Thore nicht. Uns sind Familien, in denen alles funktioniert, immer ein bisschen unheimlich. Da kann doch was nicht stimmen!

Da ist er also: der eigene Wille. Das eigene Ich. Große Worte von kleinen Stühlen, die erste kleine Pubertät. Auch verbal ändert sich was. Mit »Nein« ist noch längst nicht das letzte Wort gesprochen, da geht noch mehr. »Scheiße« zum Beispiel. »Bitte« und »Danke« hört man hingegen kaum. Die Kleinen wollen auf einmal bei allem ein trotzfreches Wörtchen mitreden. Ich trotze, also bin ich. Nicht nur im Supermarkt, überall. Und als Eltern wünscht man sich, der oder die Kleine möge bitte aus der Trotzphase abgeholt werden.

Dabei sollten wir uns riesig über diese erste Autonomiephase unseres Kindes freuen, ist sie doch ein sicheres Anzeichen dafür, dass das Kind bereit ist, erste Dinge allein zu erledigen und Verantwortung zu übernehmen. Unser Sohn etwa hat es absolut eigenverantwortlich allein übernommen, mit Tomatensauce überzogene Nudeln an die weiße Wand zu werfen.

Deshalb ist es ebenfalls typisch für diese Phase, dass nicht nur die Eltern »Nein« von ihren Kindern hören, sondern auch die Kinder ein »Nein« von den Eltern. Was für beide Parteien nicht leicht, aber ungeheuer wichtig für eine gelungene Beziehung ist. Denn in der Regel gehen die Kinder nun normalen Alltagsgepflogenheiten aus dem Weg. Die Barbie-Puppen liegen unter dem Tisch, wo der Reis vom Teller ebenfalls landet. Darüber freut sich vielleicht der Hund, die Eltern aber nicht. (Kleiner Tipp: Reis liegen lassen und erst später aufsaugen – bloß nicht, wenn er noch feucht ist!)

Und jetzt? Eine gewisse Hilflosigkeit und Unsicherheit breiten sich aus. Das nächste Level steht an, und auch da will man natürlich alles richtig machen. Wann sage ich denn »Nein«? Wie setze ich Grenzen? Bin ich zu streng? Wie kommuniziere ich? Wie gehe ich mit den neuen Gefühlen um? Ich muss unbedingt Ratgeber darüber lesen! Oder auf meine Eltern hören. Oder schlimmer: auf die Eltern meiner Frau hören!

Doch muss man das wirklich? Sollte man nicht besser einfach anfangen? Wie bei einem Brettspiel: Die Anleitung kann man auch während des Spiels noch lesen. Ich habe mir damals eine Erziehungssouffleuse gewünscht, wie im Theater. Jemanden, der mir in prekären Erziehungssituationen den richtigen Text ins Ohr flüstert. Denn machen wir uns nichts vor: Es bleibt ja auch, dieses Kind. Man kann nicht einfach sagen: »Wenn was ist, du hast ja meine Nummer!«

Eltern werden von einem kalten Wasser ins nächste geschmissen. Sie haben weder Erziehungsprobezeit noch Feedbackgespräche, sie können in puncto Erziehung weder das Seepferdchen noch den Führerschein machen. Weshalb ich dafür wäre, in der Schule das Fach »Leben« mit Unterfächern einzuführen, von »Kontoeröffnung« über »Gefahren eines Dispos« bis hin zu »Soll ich wirklich schon heiraten?« und »Was bedeutet es, ein Kind zu bekommen und zu behalten?« (An dieser Stelle möchte ich einfach mal auf diesen Link verweisen: www.finanzfluss.de/blog/was-kostet-ein-kind-bis-zum-18-lebensjahr/. Oha? Oha!)

Immerhin waren wir in einem Geburtsvorbereitungskurs. Das heißt, ich war allein da, meine Frau hatte Corona. Die Vertrauensübung »Lass dich fallen, und du wirst aufgefangen« musste ich zum Glück nicht mitmachen, bei allen anderen Übungen wie »Senkwehen wegatmen« war die Leiterin des Kurses, Frau Wallenberg-Zeul, meine Partnerin. Bei den mitleidigen Blicken der anderen hätte ich mich am liebsten selbst weggeatmet.

Eltern fühlen sich oft unsicher im Umgang mit ihren Kindern. Kein Wunder – ohne Erfahrung. Aus ihrer Sicht liegen sie immer goldfalsch: Der Druck aus dem Umfeld wächst, jeder Streit verläuft irgendwie schlecht und das Kind hört einfach nicht.

Dabei muss man sich nur einmal vor Augen führen, dass Familien nicht wie bei Parship per Algorithmus zusammengestellt werden – die einzelnen Mitglieder matchen nun einmal nicht auf Anhieb. Verschiedene Persönlichkeiten unterschiedlichen Alters gehen eine Bindung und Beziehung ein: Das kann nicht gut gehen. Oder doch?

Ich habe mal gelesen: »In der Erziehung geht es um Leichtigkeit und Freude im Familienleben, um Zuneigung und Befriedigung!« Das ist leicht gesagt, wenn meine zwei Kinder in einen Aufzug steigen und beide mit hochrotem Kopf brüllen: »Ich drücke!« Wenn der große Bruder der kleinen Schwester zum wiederholten Male zuvorkommt. Dann solltest du mal den Wutausbruch meiner Tochter erleben. Da kommt Leichtigkeit auf!

Ich persönlich habe mir vorgenommen, in Sachen Erziehung einfach mein Bestes zu geben. Das ist nun weder ein spektakulärer Tipp noch eine bahnbrechende Erkenntnis, aber schon mal ein guter Anfang. Wie alle Eltern durchlebe auch ich in der Erziehung jede Phase zum allerersten Mal. Meine Frau und ich bringen uns letztlich alles allein bei, weshalb wir in diesem Punkt auch keine Bewertungen aus unserem Umfeld zulassen. Und das Lernen dauert mindestens achtzehn Jahre. Ja, die Rollbahn ist lang, bevor das Flugzeug abhebt.

Wie die neue Aushilfe im Coffeeshop sage auch ich mir jeden Tag: »Das ist heute mein erster Tag hier!« (Ich habe einmal meinem damals achtjährigen Sohn gesagt: »Ich weiß, das war ein Fehler von mir. Aber bedenke: Ich mache das alles zum ersten Mal!« Darauf er: »Ich auch!«) Ich kann nicht alles richtig machen. Das ist unmöglich. Ich kann die Wohnung kindersicher machen – aber wer macht mich denn »elternsicher«? Ich greife zwar nicht in Steckdosen, aber manche meiner Entscheidungen sind auch ein Griff ins Klo.

Deshalb sage ich: »Meine lieben Kinder, ihr seid jetzt bei uns gelandet. In diesem Haus beziehungsweise in dieser Wohnung. Ihr seid ein Geschenk. Nicht immer, aber meistens. Ich laufe auch in der Wohnung rum. Und Mama. Wir lieben euch. Wir geben unser Bestes, und das wird gut sein. Niemals perfekt, aber gut.« Wie oft gehe ich abends ins Bett und denke: »Heute hast du Mist gebaut, Matthias. Morgen probierst du es noch mal!« (Also es richtig zu machen, nicht das Mistbauen.)

Ach je, es ist ein Kreuz und wird es immer bleiben. Und dann diese Pädagogen, die einem immer gebetsmühlenartig mitteilen, dass wir unsere Kinder genießen sollen. Ja, klar, sicher genieße ich es, wenn der Kleine nachts um zwei sein Bett vollkübelt, es dazu noch hinten rauskommt und ich an dem Abend davor zum ersten Mal seit gefühlten hundert Jahren mit einem Freund ein Bier trinken war, oder auch zwei oder drei, und jetzt den Kater meines Lebens habe, während meine Frau selig schlummert, denn abgemacht war: Ich »mach« die Nacht. Und die soll ich natürlich jetzt auch genießen. Argh!

Das Einzige, das immer gleich bleibt, ist die Liebe. Sie ist immer da. Bei der Geburt unserer Kinder hat mein Herz gewissermaßen eine neue Filiale eröffnet. Mit Öffnungszeiten rund um die Uhr. Mein Herz gehört ein Leben lang meinen Kindern.

Trotzdem denken wir oft, dass wir alles falsch machen. Aber woran will man das denn festmachen? Wie misst man »richtige Erziehung«? Bekommt man Minuspunkte, weil das Kind im Supermarkt rumgebrüllt hat? Ist nur eine Minute Brüllen dann ein Erfolg? Hat das Kind einmal nicht Danke gesagt? Gibt’s dann wieder Minuspunkte? Es sind doch Kinder. Sie lernen dazu, und oft ist das Gehirn noch nicht so weit, wie wir denken. Es gibt keine perfekten Eltern. Und wenn es sie gäbe – ganz genau, dann wären sie mir sehr unheimlich (siehe Thore).

Aber gerade weil wir so wenig in die Thematik eingearbeitet wurden, weil keine Übergabe stattgefunden hat, weil wir nicht »abgeholt« wurden, macht uns das unsicher. Und dann denken wir eher negativ.

Wie neulich. Am Eingang der Kita hängt eine Tafel, auf der die allerneuesten Krankheiten, die gerade im Umlauf sind, stehen. Einmal stand da: »12. Mai – Hand, Fuß, Mund!« Das ist ein fieser Ausschlag. Und ich habe schmunzelnd daruntergeschrieben: »13. Mai – Bauch, Beine, Po!« Die Erzieher und Erzieherinnen haben gelacht, die Eltern haben gegoogelt. Humor in der Kita. Das konnte sich keiner vorstellen.

Mein Vorschlag also: Positiv bleiben. Und – mein Lieblingswort – gnädig mit sich selbst sein. Das ist wichtig. Von Anfang an.

Vor dem Anfang mit Kindern endet die Zeit ohne Kinder. Das ist eine harte Umstellung, die mir am Anfang auch viel ausgemacht hat. Die Freiheit von einst war weg. Eben mal kurz auf ein Getränk mit der besten Freundin? Einfach mal ins Kino gehen? Gibt’s nicht mehr.

Mir geht es in diesem Buch um Folgendes. Mir geht es nicht um theoretische Gebilde und Erziehungsstile, die sich ohnehin nicht pauschal auf jedes Thema, auf jedes Kind und auf jede Situation anwenden lassen. Meine Philosophie kommt dem »bedürfnisorientierten Ansatz«, dem BO (nein, damit ist nicht das Kennzeichen von Bochum gemeint), sehr nahe. Mehr darüber erfährst du im nächsten Kapitel. Dieser Ansatz bringt einige richtig gute Ideen mit sich, kann leider aber auch zu Anwenderfehlern führen. Ich fühle mich dabei in den Alltag hinein und mache das, was mir wichtig ist, anhand von Alltagssituationen deutlich.

Man darf Eltern in Büchern wie diesen nicht nur mitnehmen, sie müssen auch ankommen. Am besten mit Humor. Denn das schafft Vertrauen – auch zwischen uns. Zwischen Leser oder Leserin und Autor. Betrachte das Buch als Ergänzung, als Informations-, Kraft- und Humorquelle. Vertraue aber auch auf dein Bauchgefühl und vor allem dein Herzgefühl, weil du deine Kinder so unendlich liebst. Und gerade weil wir unsere Kinder so sehr lieben, machen wir doch auch so viel richtig.

Ein anderes Motto dieses Buchs ist: Du erziehst, ohne dass du dich erzogen fühlen musst. Ich hebe nie den moralischen Zeigefinger, ich gehe mit Fingerspitzengefühl an die Themen des Alltags heran, mit ganz vielen »Ja, das kenne ich«-Momenten.

Ihr Eltern da draußen, seid euch eurer großartigen Leistungen bewusst. Ja, manchmal ist es anstrengend, und man ist die Unruhe selbst. Aber: Ihr seid nicht allein, den anderen Eltern geht es genau so wie euch. Auch wenn sie etwas anderes sagen. Ladet die Kinder der Vorzeigeeltern doch mal zu euch nach Hause ein, dann könnt ihr das, was die Eltern gesagt haben, mit Sicherheit etwas relativieren. Letztlich gilt: Die einen machen es so, die anderen so. Kindheit ist keine Vorbereitung aufs Leben. Kindheit ist Leben. Im Jetzt!

Schön ist, dass Eltern heute sehr im Thema drin sind. Sie erziehen bewusst, sind selbstkritisch und reflektieren ständig. Sie sind darauf bedacht, dass ihr Kind keinen Schaden nimmt und es gezielt gefördert wird. Mit anderen Worten: Sie wollen alles richtig machen. Hinzu kommen zunehmender Zeit- sowie Organisations- und Leistungsdruck – die Kehrseite der Medaille, die wiederum verunsichert und stresst.

Es wird Zeit, dass wir uns genauer ansehen, warum wir denken, alles falsch zu machen, damit wir gelöster und freier in die Beziehung zu unserem Kind gehen können. Und positiver.

Eine Pädagogin sagte einmal sehr dramatisch zu mir: »Bei jeder Entscheidung sieht die Kindheit deines Kindes zu.« Und ich erwiderte: »Das darf sie. Ich lächle dann zurück!« 

Kapitel 1

Bedürfnisorientierung für Anfänger

»Jetzt stell dich nicht so an!«

»Iss deinen Teller auf! Das schmeckt gut!«

»Gib Opa einen Kuss!«

»Wie soll denn was aus dir werden?«

»Weil ich das sage!«

Mit diesen Sätzen sind wir Eltern groß geworden. Ja, liebe Eltern, wir sind tatsächlich groß geworden, und aus uns ist auch etwas geworden, aber ihr habt uns hin und wieder auch geschadet. Denn eure autoritären Ansichten hinsichtlich der Erziehung haben uns gelehrt, funktionieren zu müssen und Dinge auszuhalten, die wir gern völlig anders gemacht hätten. Weil wir sonst anscheinend nicht gut genug waren. Permanent wurde über uns bestimmt, ohne unsere Meinung zu berücksichtigen. Angeblich wussten die Erwachsenen am besten, was gut für uns war und wie wir uns verhalten sollten. Kinder sollten möglichst wenig auffallen und sich anpassen. Grenzen und Regeln wurden willkürlich festgelegt.

Meine Eltern haben mich über alles geliebt, und dafür bin ich ihnen noch heute unendlich dankbar. Einiges muss ich jedoch auch kritisieren. Beispielsweise musste ich immer mindestens einen Löffelvoll Wirsing essen, wenn es welchen gab. Der war mir zuwider, aber meine Eltern haben es durchgezogen. Ein kompletter Irrsinn! Hallo, Wirsing schmeckt mir nicht – was gibt es denn da nicht zu verstehen? Selbst die Dschungelprüfungskandidaten dürfen ablehnen. Ich habe danach oft meine Meinung unterdrückt, war gehorsam und habe mich angepasst und ausgehalten.

Dieses und viele andere Beispiele haben dazu geführt, dass ich mich heute nach dem Vorlesen von zwei Gute-Nacht-Geschichten nicht traue, meinem Kind zu sagen, dass ich müde bin und auf die Couch möchte. Nein zu sagen fällt mir schwer. Vorlesen tut deinem Kind gut, denke ich (und das stimmt ja auch). Also stell dich nicht so an.

Ein Löffel Wirsing und eine Geschichte gehen noch. Die eigenen Bedürfnisse, die eigenen Grenzen sehe ich nicht – weil sie nie beachtet wurden. Im Grunde konnte ich meine Bedürfnisse nie wirklich kennenlernen. Mittlerweile hat sich das geändert. Ich muss nicht immer alles aushalten, ich darf mir selbst auch mal der Nächste sein. Denn ich weiß: Nur wenn es mir gut geht, geht es allen gut. Und wenn ich meinem Kind sage: »Nein, ich gehe jetzt auf die Couch. Ich bin müde. Wir lesen morgen weiter!«, lernt auch mein Kind, dass es Nein sagen darf. Ich schenke ihm damit Orientierung und Klarheit. Denn nicht nur Kinder brauchen Grenzen, wir auch. Außerdem ist eine konsequente Erziehung bei ständiger Erschöpfung geradezu unmöglich.

Beim Zusammenleben mit Kindern gehen die Bedürfnisse der Eltern nur allzu schnell unter. Auf einmal dreht sich das ganze Leben nur ums Kind. Man würde nicht für möglich halten, welche Bedeutung ganz simple Dinge auf einmal annehmen können. Simple Dinge wie Mittagsschlaf, Matschhose oder – der ultimative Rettungsring des elterlichen Alltags – Feuchttücher! (Wie um alles in der Welt kann ein Kind aus einem Keks im Auto fünf Kilo Krümel machen?) Ganz zu schweigen von den Themen Essen, Zu-Bett-Bringen und Krankheiten. Aber ich weiß ja: Kinder geben einem so viel zurück – vor allem Schoko-Bon-Papier.

Jeden Abend denke ich: Ich versuche, auf mich zu achten, bin gnädig mit mir, weiß, dass ich Fehler machen darf, und lege jetzt einfach mal los mit der aktiven Erziehung.

Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf, so sagt man. Evolutionsgeschichtlich gesehen ist Erziehung also die Aufgabe eines ganzen Clans – das war in der Steinzeit schon so, daher auch der Name Mammutaufgabe. Und nach sechs Wochen Sommerferien mit den Kindern weiß ich auch, warum das so ist. Aber wo ist es denn, dieses verdammte Dorf? Neulich hat der Paketbote den Schnuller aufgehoben, und im Supermarkt gibt es immer ein Stück Fleischwurst. Zählt das auch? Gehören die alle zum Dorf? Wahrscheinlich nicht. Bleibt also doch wieder alles an mir hängen.

Trotzdem: Achtet auf eure Grenzen, auf eure Bedürfnisse. Ihr dürft das. Schluss mit Wirsing, tut euch was Gutes. Legt euch auf die Couch, leistet euch eine Putzhilfe, greift bei der Essenswahl hin und wieder zur Sternchensuppe, auch wenn alle im Elterninitiative-Kindergarten die Hände über dem Topf zusammenschlagen würden. Setzt euer Kind auch mal vor Conny, Peppa Pig und Paw Patrol, esst, trinkt! Schaut die Olchis. Die leben auf einer Müllhalde, da nimmt man das eigene Chaos gar nicht mehr als so schlimm war, und die Kinder werden auf die Studentenzeit vorbereitet.

Das hört sich alles so einfach an und wird doch so oft vergessen. Ihr dürft euch natürlich auch auf die Tage, äh, Stunden freuen, in denen ihr kinderfrei habt.

Die gesunde Entwicklung unseres Kindes fängt bei uns an. Darum geht es auch in der bedürfnisorientieren Erziehung. Kinder brauchen beides: Eltern, die die kindlichen Bedürfnisse sehen und ernst nehmen, und Eltern, die auf ihre eigenen Grenzen und Bedürfnisse achten und sich selbst hin und wieder etwas Gutes tun. So kann mehr Leichtigkeit und Humor ins Familienleben kommen. Anstrengend und fordernd bleibt es trotzdem, da Familie immer ein dynamischer Prozess ist, der sich ständig wandelt, und die Situationen des Alltags immer wieder neu betrachtet werden müssen.

Außerdem ist es gar nicht so einfach, auf sich selbst zu achten. Ich habe meine Bedürfnisse sehr lange Zeit nicht gekannt – und jetzt soll ich mich mal so richtig kennenlernen. Was ist, wenn ich gar nicht mein Typ bin? Hilfe! Oft sitzen wir auch zwischen zwei Bedürfnissen: Wir haben eins, aber das Kind hat auch eins. Und die Frau? Der Hund? Was dann?

Damit wir auf die eigenen Bedürfnisse achten können, sollten sich die anderen Familienmitglieder im Idealfall kompromissbereit zeigen. »Ich bin kaputt, wir können nicht rausgehen. Ich brauche einen Moment auf der Couch! Wir sehen uns einen schönen Film an!« Das darf genau so passieren. Aber dann kommen die Schuldgefühle: Die Kinder brauchen doch frische Luft. Es ist so schönes Wetter. Die Nachbarn machen mit ihren Kindern auch immer so tolle Ausflüge.

Muss ich jetzt wieder aushalten und funktionieren? Bin ich sonst ein schlechter Vater, ein »Rabenvater«? Oder sind solche »Rabeneltern« sogar die besseren Eltern, weil sie auch sich Aufmerksamkeit schenken? (Immerhin schubse ich meine Kinder nicht aus dem Nest, wenn ich keine Lust mehr habe, sie zu füttern.) Und trotzdem: Es ist so ein schöner Frühlingstag …

Stop! Jetzt sind wir wieder zu sehr in unserer Kindheit, bei den Schuldgefühlen und dabei, nicht gut genug zu sein. Dabei, der Gesellschaft – in diesem Falle unseren Nachbarn – gerecht werden zu müssen. Uns wieder anpassen zu müssen.

Es geht jetzt aber gerade mal um mich! Ich brauche eine Pause. Später könnt ihr mit Papa noch mal rausgehen. Diese Sätze verstehen auch Kinder. Es wird Zeit, dass nicht nur die Erlebnispädagogik, sondern auch die Erlebnixpädagogik Einzug in die Erziehungswissenschaft hält. Die ist nicht nur heilsam für die Eltern, sondern spornt durch die entstehende Langeweile auch die Kreativität der Kinder an.

Ich muss auch nicht immer gleich rennen, wenn meine Kinder nach mir schreien. Manchmal ist das natürlich nötig, weil was ausgelaufen, runtergefallen oder kaputt ist. Auch wenn der Kopf ab ist, würde ich zur Eile raten (obwohl – dann eigentlich nicht mehr). Doch grundsätzlich gilt: Bevor man zum schreienden Kind rennt, darf man sich nach dem Toilettengang schon noch die Hände waschen und dabei signalisieren: »Ich höre dich! Ich bin gleich da!«

Hat man nun einige Bedürfnisse für sich entdeckt – bei mir waren das spazieren und schwimmen gehen, ja, ohne Kinder, Football sehen, Freunde treffen, Basketball spielen, lecker essen und trinken, Badewanne und COUCH –, soll man nach BO auch noch zwischen Bedürfnis und Wunsch unterscheiden. Das ist dann wirklich das Profipaket, definitiv das nächste Level.

Ich denke im Supermarkt ohnehin nie an alles. Wenn ich dann noch ständig herausfinden muss, ob ein Stück Fleischwurst für meine Tochter nun ein Bedürfnis oder vielleicht doch eher ein Wunsch ist, komme ich nur mit zwei Dosen Ravioli nach Hause. Was für ein Stress.

Doch hier kommt nun das Bedürfnis hinter dem Bedürfnis ins Spiel. Was sich komplizierter anhört, als es ist. Kurz gesagt geht es manchmal gar nicht darum, dass ein Kind getragen werden möchte, weil es müde ist. Es geht vielmehr darum, dass der Tag doof war, dass Nähe fehlte und dass das Kind ganz dringend jemanden braucht, der es in den Arm nimmt. Leider können das Kinder so oft noch nicht kommunizieren, und uns bleibt nichts anderes übrig, als zum Bedürfnisdetektiv zu werden. Aber noch einmal von Anfang an:

Fakt ist, wir tragen die Verantwortung für unsere Kinder, und dem, der die Verantwortung trägt, sollte es prinzipiell gut gehen. Wie im Flugzeug: Erst selbst die Sauerstoffmaske aufsetzen, dann anderen helfen.

Weiterhin Fakt ist, wir können die Bedürfnisse unserer Kinder nicht immer erfüllen. Ich bin nicht Disney-Land. Wichtig aber ist, die Bedürfnisse wahrzunehmen. »Wir fahren jetzt nach Spanien in den Urlaub. Wir wissen, dass du lieber auf den Bauernhof fahren willst, haben uns aber dagegen entschieden. Wir haben deine Wünsche trotzdem im Blick, wir nehmen dich wahr und ernst. Vielleicht geht es in den Herbstferien.« Wer jetzt denkt, das bringt dem Kind nichts, irrt: Denn das Kind fühlt sich gesehen und ernst genommen. Und ernst genommen werden wird man in jedem Alter gern.

Im Grunde heißt bedürfnisorientierte Erziehung also, dass nach den Wünschen und Bedürfnissen aller Familienmitglieder geschaut wird. Dass man versucht, Kompromisse zu finden. Jedes Familienmitglied ist gleich viel wert, aber die Eltern tragen die Verantwortung und haben das letzte Wort.

Ich unterhalte mich oft mit Eltern, die sagen: »Gestern habe ich noch ganz spät mit meinen Sohn Hausaufgaben gemacht, dann noch die Muffins für das Handballspiel gebacken und dann wollte ich eigentlich noch schwimmen gehen. Aber ich war so fertig. Und heute wieder um sechs Uhr raus …! Ich weiß gar nicht, wann ich mal ins Schwimmbad komme!« So sicher nie. Es geht aber auch nicht darum, die aufopferndste Mama im ganzen Land zu sein. Seht nicht nur euer Kind, seht euch auch selbst. Pflegt einen gesunden Egoismus. Nehmt euch Auszeiten. Macht Pausen. Die müssen wir uns als Erwachsene immer erkämpfen, im Beruf ebenso wie in der Familie. Noch einmal: Es ist wichtig, dass die Bedürfnisse aller Familienmitglieder gesehen werden.

Natürlich heißt die erfolgreiche Suche nach den eigenen Bedürfnissen nicht, dass jetzt alles ohne Anstrengung ablaufen würde. An dieser Stelle noch ein Fakt: Was Mamis und Papis noch mehr als Taschentücher für ewig triefende Rotznasen brauchen, ist eine bombastische Nervenstärke, gepaart mit schier übernatürlicher Geduld. Und die HABEN wir auch! Aber eben nicht immer. Die Bedürfnisse aller Familienmitglieder wahrzunehmen, bedeutet Diskussionen, Kompromisse, aushandeln, geduldig sein. Aber auch Klarheit und klare Ansagen.

Wenn wir dann nach einem anstrengenden Tag selbstkritisch analysieren: »Ich habe heute wieder nichts wirklich erledigt!«, kann ich darauf nur antworten: Doch – du hast dein Kind erzogen. Hier melden sich wieder die Muster aus der Vergangenheit, die wir zwar nicht komplett löschen, aber durchaus überschreiben können.

Dennoch: Es ist anstrengend:

Wutanfälle zu begleiten, statt rumzuschreien und das Kind allein zu lassen.Sich über die Bedürfnisse der Kinder Gedanken zu machen, statt einfach den Alltag vorzugeben.Sich an die eigene Erziehung zu erinnern und zu merken, dass man sich nicht nur um das Kind kümmern soll, sondern auch um sich selbst.

Dazu haben wir immer diesen Drang, dass alles perfekt sein muss. Nicht nur die Kinder, auch wir müssen funktionieren. Doch eine Familie ist nicht dazu da, aus allen Bereichen das Maximum herauszuholen, alles richtig zu machen. Leben und Familie sind dazu da, gelebt zu werden. Das Einzige, was Kinder, bis sie sechs Jahre alt sind, lernen müssen, ist: Ich bin schwer in Ordnung! Wer sein Kind liebt und ihm das zeigt, kann so viel nicht falsch machen. Liebe ist eine sehr gute Basis.

Wichtig ist, im Wahnsinn des Familienalltags auf eine grundsätzlich positive innere Einstellung zu achten. Grundsätzlich positiv – nicht perfekt, nicht sehr gut. Wenn ich vor meinen Vorträgen in den leeren Raum komme, ist der einfach nur leer. Sobald aber Menschen darin sind, wird er mit Stimmung gefüllt. Und was das für eine Stimmung ist, habe ich in der Hand. Wenn ich positiv gestimmt in diesen Raum oder in unsere Wohnung gehe, vorher die negativen Gedanken in die Bedürfnisschubladen der Familienmitglieder einsortiert habe, ist das für meine Kinder eine gute Sache. Dann entsteht daraus Wärme, dann schaffen wir als Eltern eine Atmosphäre des Sich-aufgehoben-Fühlens, eine Atmosphäre der bedingungslosen Liebe und Nähe.

Meine wichtigsten Erkenntnisse für eine gelungene Familienmagie und -atmosphäre:

Bei aller Verantwortung, die wir natürlich für unsere Kinder haben: Probiert, mit mehr Spaß und Freude an eurem Familienleben teilzuhaben. So eine kleine Gruppe voller Liebe und Nähe werdet ihr nie wieder im Leben bekommen. Schon der großartige Roger Willemsen sagte: »Der Sinn des Lebens besteht darin, die gegebene Frist sinnvoll zu nutzen!« Das bezieht sich auch auf das Familienleben.Seid gnädig mit euch! Es geht nicht um richtig oder falsch. Mit solchen Bewertungen sind wir schnell bei der Schuldfrage. Wir sind aber Verantwortliche, keine Schuldigen. Unsere Erziehung hat einen Wert, muss aber nicht von anderen bewertet werden. Wir dürfen Dinge falsch machen und machen trotzdem alles richtig – also gewissermaßen falschig!Keine Vergleiche mit anderen. Das frustriert nur. Wir haben unsere eigene Familien-DNA und müssen niemandem etwas beweisen – nicht anderen Eltern, nicht Erziehern und Lehrern, nicht der Gesellschaft und nicht den eigenen Eltern.

Wir machen alles zum ersten Mal, auch beim zweiten Kind, denn ja!, es ist wieder ein anderes, ein Individuum. Und wir machen es gut. Familie ist Dynamik. Jede Phase ist neu. Seid authentisch, lebendig und baut Mist! Seid unperfekt und macht Fehler – eure Kinder werden euch dafür lieben.

Es geht um kleine Ziele. Wir sollten nicht zu sehr an die Zukunft denken, die wir dann oft negativ wahrnehmen. »Wie soll das denn werden, wenn er nächstes Jahr in die Schule kommt?« Keine Ahnung, wir sind keine hauptberuflichen Hellseher. Trotzdem haben wir die Dinge im Blick und gehen kleine Schritte. Kinder denken nicht an die Zukunft, sie wünschen sich Freundschaft, Zuneigung, Spaß – im Jetzt. Wer seine Kinder zur Selbstständigkeit erzieht, schafft die besten Voraussetzungen dafür, dass sie mit einer sich ständig wandelnden Zukunft umgehen können.Denkt an eure Bedürfnisse. Macht euch von negativen Gedanken frei und genießt – die Erziehung, die Kinder und auch euch selbst. Mit viel Spaß, Freude, Humor und maximaler Gelassenheit. Übrigens wirkt es außerordentlich beruhigend, wenn man weiß, welcher Entwicklungsstand in welchem Alter möglich ist.Und vergesst nie: Für eure Kinder seid ihr immer die besten Eltern der Welt.

Ein diesbezügliches Wettrennen gibt es nicht – oder habt ihr schon einmal von einem Oscar für »beste Eltern« gehört, die ihr Kind ohne Schreien in die Kita gebracht haben und nach 14,6 Sekunden wieder gehen konnten? »Theo geht so gern in die Kita! Er schickt mich immer gleich wieder nach Hause!«

Wichtig ist, dass man auch einmal über sich selbst lachen kann. Neulich zum Beispiel. Da habe ich meinen Sohn gebeten aufzupassen, dass die Milch nicht überkocht. Als ich vom Klo zurückkam, hat er gezockt. Aber wir hatten Glück: Die Milch war nicht übergekocht, weil Papa vergessen hatte, die Herdplatte einzuschalten. Haha.

Wir haben unseren Kindern seit der Geburt viel mitgegeben. Sehr viel körperliche Nähe, Liebe und Sicherheit beispielsweise. Wenn mein Kind schreit, kommt jemand – ein Mensch mit Augenringen, aber ein Mensch. (Mein Kind guckt morgens manchmal zweimal hin. Aber ja, es ist der Typ, der sich Papa nennt.) Dafür werden wir mit vielen magischen Momenten belohnt. Etwa mit dem Tag, an dem das Kind das erste Mal »Papa« sagt. Das treibt einem die Tränen in die Augen. Es treibt einem nebenbei bemerkt auch die Tränen in die Augen, wenn das Kind später tausend Mal am Tag »Papa« schreit, weil man im Eisköniginnen-Spiel zum hundertsten Mal die Anna spielen soll.

Zur Papa-Wärme kommen natürlich noch die Mama-Wärme und Struktur, die unseren Kindern Halt gibt. Struktur im Tagesablauf, aber auch Struktur hinsichtlich der Werte, die wir den Kindern vermitteln. So fühlen sie sich richtig safe. Hier ist es vielleicht keine schlechte Idee, sich vorher einmal mit dem Partner zusammenzusetzen. Wie bist du erzogen worden? Wie wollen wir unsere Kinder erziehen? Was sind unsere Werte? Wir haben beschlossen, unsere Kinder zur Selbstständigkeit zu erziehen und ihnen dabei klare Grenzen zu setzen. Ein Nein ist ein Nein – auch das gibt Sicherheit. Kindererziehung ist keine Kraftanstrengung, sondern immer eine Liebesanstrengung.