Immer wieder Fernweh - Hanspeter Gsell - E-Book

Immer wieder Fernweh E-Book

Hanspeter Gsell

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Beschreibung

Geschichten aus Mikronesien, Erzählungen aus Indonesien. Blogeinträge und Reportagen aus Französisch-Polynesien und den Weiten des Pazifiks. Tagebucheinträge und Reiseprotokolle aus der Karibik und Ägypten. Ergänzt mit einem Ratgeber für Fernreisen, ist daraus das Logbuch eines Inselsammlers entstanden. Die kurz gehaltenen Geschichten eignen sich perfekt gegen den kleinen Wissensdurst zwischendurch. Unterhaltend, humorvoll, mit bitter-heiterer Ironie, frech und frisch, gut gewürzt und abgehangen, lehrreich, eigenwillig in Stil und Ausdruck. Ein Muss für Fernreisende und solche, die es werden wollen.

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Das Buch

Geschichten aus Mikronesien, Erzählungen aus Indonesien. Blogeinträge und Reportagen aus Französisch-Polynesien und den Weiten des Pazifiks. Tagebuchnotizen und Reiseprotokolle aus der Karibik und Ägypten. Ergänzt mit einem Ratgeber für Fernreisen, ist daraus das Logbuch eines Inselsammlers entstanden.

Der Autor

Hanspeter Gsell, geboren 1951, lebt in der Schweiz. Dort ist er jedoch selten anzutreffen. Auf der Suche nach unbekannten Zielen reist er mehrmals pro Jahr durch die Welt. Seine Kolumnen erscheinen in Tageszeitungen, seine süffisant geschriebenen Reisetagebücher und Reportagen findet man in Fachzeitschriften

Ebenfalls im Verlag BoD erschienen die folgenden Titel von Hanspeter Gsell:

Hühnerbrust und Federkiel

Seitenhiebe auf die Gastfreundschaft

ISBN 978-3-8334-6351-8

Ikefang und Gutgenug

Südseegeschichten

ISBN 978-3-8391-0777-5

Ein bisschen scharf muss sein

Seitenhiebe auf die Gastfreundschaft (2)

ISBN 978-3-8482-2851-5

Inhalt

Vorwort und Packungsbeilage

Ägypten

Check-in mit Kaderli

Boarding mit Kaderli

Fliegen mit Kaderli

Kaderli und der Bartauszupfer

Kaderli und die Audienz

Kaderli und das Chuchichäschtli

Kaderli und die Bauchtänzerin

Kaderli und das brennende Kamel

Kaderli und die Mumie

Komoren

Ein eiskalter Morgen

Puffärmel und der fliegende Teppich

Rüdiger wartet auf den Quastenflosser

Adolf wartet auf ein Kanu

Herr Goldmann wartet auf die Flughunde

Wir warten auf den Emir

Wir warten immer noch auf den Emir

Französisch-Polynesien

Auf der Suche nach Gauguin

Die Vermessung des Kranichs

Umwege für Anfänger und Besserwisser

Gestern war Montag, heute ist Sonntag

Ia Orana

Vin, Pain, Boursin et Schwarze Perlen

Frau Schmitz und der Kannibale

Die Regenbögen von Ua Pou

Wir basteln uns eine Bucht

Ua Huka und die Wohlgerüche

Willkommen auf dem Friedhof

Die rote Sonn’ versank im Meer

Indonesien

Gsell sammelt Inseln

Karl Dall und die Gewürzfetischisten

Vanille aus Papua

Nelken aus Ternate

Muskat aus Seram

Zimt aus Makassar

Pfeffer aus Ambon

Zeit für ein Nüsschen oder zwei

Eine Kokosnuss für Queen Emma

Erinnerungen an das Paradies

Die Zeit des Warans

Das Krokodil und der Hai

Karibische Inseln

Lothars Latschen: Die ganze Wahrheit

Der Teufelsflieger von Les Saintes

Madame Pompadour und die weissen N.

Gérard und die Freizeitbeschäftiger

Die Schattenmenschen von Roseau

Der Totengräber von Saint Joseph

Yefgeni, Wladimir und die holde Elena

Bräunungstaucher und Silberrücken

Das Beben von Trinidad

Die Extremitäten der Schwellalgen

Ein Herz für Krabbler

Der Doppelschwanzwiderling

Jobsharing auf Tobago

Süsslippen küsst man nicht!

Der Liftboy von West-End

Antigua und die rasende Rastamütze

Überfall im Morgengrauen

Walsüppchen auf Bequia

Pazifik

Nicht mein Pazifik – The far limits

Der Mann ohne Finger

Die doppelte Miss Cargo

Auch heute wieder überall Wetter

Aeppi-niu-yäär!

Stocki, Fisch und Trutenarsch

Vater Gutgenug und die 124 Jungfrauen

Tag der Kokosnuss

Batman lebt nicht mehr

Zeit ist, wenn die Sau zum Eber geht

Dag Svensson rülpst vergeblich

Missgunst in U

Sakau oder das Verhalten der Beine

Der gemeine Vogelschiss

Die geheimen Kräfte der Nameele

Ein Bier auf Hawaii

31F antwortet nicht

Das Gantenbein

Bein I Weno, Chuuk, FSM

Bein II Chuuk, FSM, Guam, USA

Bein III Guam Airport, USA

Bein IV Pasay, Manila, Philippinen

Erste Hilfe Ein Ratgeber für Fernreisen

Von A wie Airport

bis Z wie Zollkontrollen

Vorwort und Packungsbeilage

Lesen Sie diese Packungsbeilage sorgfältig, denn sie enthält wichtige Informationen.

Alle in diesem Buch vorkommenden Personen, nicht jedoch die Schauplätze, Ereignisse und Handlungen, sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.

Das Eszett, auch scharfes ‘S’, Buckel-, Rucksack- oder Ringel-‘S’ genannt, wird in der Schweiz seit Mitte des letzten Jahrhunderts nicht mehr verwendet. Es hat deshalb auch keinen Platz in diesem Buch gefunden. Ich habe keine Ahnung, weshalb dieses mittelalterliche Teil in Deutschland und Österreich immer noch im Einsatz ist.

Bewahren Sie diese Packungsbeilage auf, Sie wollen sie sicher später nochmals lesen.

Was will das Buch und wann soll es gelesen werden?

Viele Patienten möchten gar nicht verreisen. In einigen Fällen wollen sie es nur ihren Nachbarn, Kollegen oder Vorgesetzten gleichtun. Da ihre Reise jedoch länger, schöner, teurer und so richtig abenteuerlich sein soll, kann es unterwegs zu schwerwiegenden Komplikationen kommen. Das Buch hilft solchen Patienten, sich vor Fehlentscheidungen zu schützen.

Laut wenig aussagekräftigen Untersuchungen werden Patienten auch von Familienangehörigen dazu gedrängt, haben die Reise bei einem Preisausschreiben gewonnen oder wurden von ihren Vorgesetzten dazu genötigt, doch endlich mal den Horizont zu erweitern. Das Buch hilft Ihnen dabei, NEIN zu sagen. Oder JA.

Was sollte dazu beachtet werden?

Sollten Sie sich auch nach dem Lesen dieses Buches nicht entscheiden können, ob Sie nun verreisen oder lieber zu Hause bleiben möchten, rate ich Ihnen dringend, Ihren Arzt oder Ihr Reisebüro aufzusuchen.

Wer darf dieses Buch nicht lesen?

Folgende Patientengruppen sollten das Buch nur nach sorgfältigen medizinischen Abklärungen lesen:

Bei besserwisserischen Kotzbrocken wurde eine Neigung zu cholerischen Anfällen beobachtet. Obwohl das Buch sicherheitstechnisch den neusten Anforderungen entspricht, sollte es nicht als Wurfgeschoss benutzt werden.

Bei bildungsfernen und der deutschen Sprache nicht mächtigen Volksgruppen wurde festgestellt, dass einzelne Seiten dieses Buches sinnentstellt als Toilettenpapier benutzt wurden. Schade ums Papier!

Germanisten die über Kommaregeln, Helvetismen und ähnliche Kleinigkeiten stolpern, könnten sich dabei verletzen. Nur im Liegen oder Sitzen lesen!

Humorlose Zeitgenossen, die des Lesens zwischen den Zeilen nicht mächtig sind, werden den Inhalt des Buches eh nicht verstehen und können es verschenken.

Und auch dies noch: Analphabeten sollten sich das Buch von ihrem ehemaligen Deutschlehrer vorlesen lassen.

Wann ist beim Lesen Vorsicht geboten?

Das Buch sollte nicht über einen längeren Zeitraum gelesen werden. Grund ist die beschränkte Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns.

Das Buch darf nicht zusammen mit andern Büchern konsumiert werden. Vor allem das gleichzeitige Betrachten von Reiseprospekten, sowie das Lesen von Büchern über Flugzeugabstürze, Erdbeben und andere Katastrophen, kann die Wirkung des Buches abschwächen.

Darf während der Schwangerschaft gelesen werden?

Da Lachen gesund sein soll, kann das Buch auch während der Schwangerschaft gelesen werden. Bei einer Neigung zu unkontrollierten Lachanfällen kann es allerdings zu verstärkten Wehen oder gar zu einer Frühgeburt kommen.

Wie lesen Sie dieses Buch?

Ist mir völlig egal.

Dürfen auch Kinder unter 6 Jahren das Buch lesen?

Dürfen schon. Aber können nicht.

Dürfen Jugendliche das Buch lesen?

Das Buch ist jugendfrei geschrieben. Deshalb wird es den durchschnittlichen Jugendlichen wohl nicht interessieren. Ich weiss auch nicht, ob es Jugendliche gibt, die überhaupt noch lesen (können).

Welche Nebenwirkungen sind bekannt?

Es wurden in einigen Fällen Lach- und Schreianfälle beobachtet, bzw. gehört. Manchmal führt das ununterbrochene Lesen zu bösartigem Schlafmangel. In seltenen Fällen tritt Augenflimmern auf. Bewahren Sie Ihren Körper vor tödlicher Austrocknung und trinken Sie ab und zu was.

Was ist ferner zu beachten?

Lesen Sie das Buch nicht im Zug oder in der Strassenbahn. Das ewige Lachen und Glucksen geht Ihren Mitreisenden nämlich ganz schön auf die Nerven.

Was ist im Buch enthalten?

Beinahe 300 Seiten bedrucktes, chlorfreies Papier, zwischen Vorder- und Rückseite gepappt.

Zulassungsnummer

Was soll das sein?

Wo erhalten Sie dieses Buch und welche Packungen sind erhältlich?

Das Buch erhalten Sie im gepflegten Buchhandel, im Internetbuchhandel oder in der Brockenstube. Der Autor empfiehlt den gleichzeitigen Kauf mehrerer Exemplare. Ob man Ihnen deswegen einen Mengenrabatt gewährt ist mir nicht bekannt. Hauptsache ich kann die Auflage erhöhen.

Twenty years from now,

you will be more disappointed

by the things you did not do

than by the things you did do.

So, throw off the bowlines.

Sail away from the safe harbour.

Catch the trade winds in your sails.

Explore.

Discover.

Dream.

Mark Twain

Ägypten

Irgendwo in Süddeutschland

Check-in mit Kaderli

Als mich Kaderli einlud, ihn und seine Familie nach Ägypten zu begleiten, hätte ich es an sich besser wissen müssen. Viel besser!

«Weisst du, du warst immer grosszügig zu uns, jetzt können wir uns endlich revanchieren. Ich habe nämlich das grosse Preisausschreiben von Bimbo-Bimbo gewonnen! Familienferien in Sharm-El-Sheik! Und – wir dürfen einen Freund gratis mitnehmen!»

Ich hatte keine Ahnung, für was er sich revanchieren wollte. Ich soll grosszügig zu ihm gewesen sein? Hoffentlich nicht!

Kaderli gehört definitiv nicht zu den Menschen, denen ich freiwillig Gutes tun würde. Da lief etwas völlig falsch zwischen uns! Er nannte mich sogar «Freund»! Doch ich habe keine Freunde die sich an trottligen Wettbewerben beteiligen. Und schon gar nicht an einem Preisausschreiben von Bimbo-Bimbo!

Und so trafen wir uns eines Morgens auf einem kleinen Provinzflughafen in Süddeutschland. Kaderli erwartete mich bereits. Bekleidet war er mit einem Tropenanzug, auf seinem schütteren Haar thronte ein Käppi, wie es die französische Fremdenlegion bereits in Algerien getragen hatte. Zur Sicherung seines Flüssigkeitshaushaltes («Wusstest du, dass man an Dehydration sterben kann?») hatte er sich eine trendige Wasserflasche umgeschnallt.

Bambi, seine Frau, steckte in einem knittrig-seidenen Overall von Dolce & Gabbana; ihre Füsse («das Rehlein faltete die Zehlein») in Springerstiefeln von Prada. Ihr neckischer Fez erinnerte mich an die Pyramiden von Gizeh.

«Hast du unsere Kinder gesehen?», fragte sie mich aufgeregt. «Ein Sack voller äh Dings, oder wie die heissen, ist wirklich einfacher zu hüten!»

«Flöhe. Nein. Oder vielleicht doch!», rief ich, als Barbie, Ken und ein rosa Kamel auf dem Gepäckband an mir vorbeifuhren.

Sissy, die 3-jährige Motzliese, hatte den Inhalt ihres Koffers fein-säuberlich auf dem Boden ausgebreitet und schickte eben weitere Freunde von Barbie auf die Reise.

Kurz bevor Ken vom Gepäckband in den Untergrund befördert wurde, stürzte sich Bambi auf den nächsten Alarmknopf und legte das Förderband lahm. In diesem Moment tauchten, durch die Sirene alarmiert, auch die Zwillinge (12) wieder auf: Kevin-Albert (farblich passend gekleidet zu weissem Sand und grünen Palmen) und Lisette-Dôle (blau wie eine Lagune und rot wie das Meer).

Noch konnte das Gepäck nicht aufgegeben werden, der Check-in-Schalter war geschlossen. Die rote Anzeige «Abflug verspätet – weitere Informationen in dreissig Minuten», verhiess nichts Gutes. Ich hingegen hatte Zeit, über Bambi nachzudenken.

Natürlich hiess Bambi in Wahrheit nicht Bambi. Nur extrem sehbehinderte Mitmenschen hätten sie für einen amerikanischen Weisswedelhirsch aus der Feder von Walt Disney gehalten! Obendrein war sie blond, hatte blaue Augen und keinen sichtbaren Wedel.

Nein, es war Raggenbass, der Chef von Kaderli, der sie anlässlich einer feuchtfröhlichen Betriebsfeier so genannt hatte. Als ihn Kaderli damals fragte, weshalb er sie denn Bambi nennen würde, meinte Raggenbass, «weil sie so schöne braune Haare an den Läufen habe». Da Kaderli kurz vor seiner Beförderung gestanden hatte, hütete er sich davor ihm zu widersprechen und schluckte das Reh. Bevor ich mir noch weitere Gedanken zu Bambis Läufen machen konnte, wurden die Schalter geöffnet und eine unübersichtliche Menschenmenge stürmte darauf los.

Erst einem Dutzend Grenzschützer gelang es, den Pöbel mit Hilfe von Wasserwerfern zu einer sauberen Zweierreihe zu formieren. Die Kolonne reichte knapp bis an den Bodensee. Ich überliess allen den Vortritt und genoss das Spektakel aus sicherer Distanz.

Kaderli hatte sich mit seiner Sippe inzwischen bis zum Schalter vorgearbeitet, gemeinsam hievten sie die Koffer auf die Waage.

«Sie haben 180 kg Übergepäck, das macht somit 3'600 Euro. Bezahlen können sie am Schalter 178 in der kleinen Baracke neben der Piste 27. Der Nächste!»

Bambi war ohnmächtig geworden.

Ägypten

Immer noch in der süddeutschen Provinz

Boarding mit Kaderli

180 kg Übergepäck? Kaderli dachte nicht im Traum daran, irgendwelche Nachzahlungen zu leisten und befahl seinem Nachwuchs, alles Unnötige auszupacken und im Zelt von Kevin-Albert zu verstauen.

«Aber ich brauche das Zelt unbedingt! Ich will mit den Beduinen in der Wüste übernachten!»

Kaderli hatte kein Verständnis für das Anliegen seines Sohnes. Das Schlagzeug, die Rollschuhe sowie eine 12-saitige Gitarre fielen seinem Machtwort zum Opfer. Lisette-Dôle trennte sich heulend von sechs Paar Hufeisen, einem Pferdesattel sowie einer Schminkkommode.

Sissy hatte sich in der Zwischenzeit auf den Boden geworfen und schrie wie eine Sau.

«Mörder! Mörder! Fasst meine Puppen nicht an!»

Ob des Geheuls war Bambi aus ihrer Ohnmacht erwacht und zeigte sich überraschend verständnisvoll. Sie verzichtete sowohl auf die Kiste mit den Winterkleidern («in der Wüste kann es ganz schön kalt werden!»), als auch auf ihre Tauchausrüstung.

Die Zuschauer klatschten Beifall, Kaderli verneigte sich höflich und, mit den Bordkarten in der Hand, wanderte die Familie Richtung Wüste.

Auf dem Vorfeld standen drei Flugzeuge von Alibaba-Airline.

«Eines wird ja wohl nach Sharm-El-Sheik fliegen!», rief Kaderli und versuchte die Ansage zu verstehen. Ein ziemlich schwieriges Unterfangen! Denn aus unerklärlichen Gründen verwendet man in Flughäfen immer noch Lautsprecher, die von Thomas Alva Edison persönlich in Heimarbeit hergestellt worden waren.

«Willkommen bei Alibaba-Airline. Unser Flug ALI-169 bringt sie über Tscheljabinsk, Wladiwostok und Kurdistan nach Luxor, Kairo und Hurghada, mit Anschluss nach Sharm-El-Sheik. Flug ALI-96 fliegt nach Sharm-El-Sheik via Antananarivo, Mogadischu und Moroni nach Luxor, Kairo oder Alexandria, mit Anschluss nach Hurghada. Flug ALI-619 fliegt via Kathmandu, Kandahar und auf vielseitigen Wunsch eventuell über Khartum nach Kairo mit Anschluss zum Titisee.»

Sissy entschied sich für den Titisee, Kevin-Albert für Mogadischu und Lisette-Dôle für Wigoltingen. Bevor Kaderli ein Machtwort sprechen konnte, knackten erneut die Lautsprecher.

«Wir bitten nun Rollstuhlfahrer sowie Passagiere mit Kleinkindern zum Ausgang C 134. Eltern mit mittelgrossen Kindern und Kinder mit dementen Eltern stellen sich am Ausgang D 144 bereit.

Passagiere der First- und Business-Class, Vielflieger mit Superjet-Kundenkarten, Priority-Boarding-Bucher, preferred-seats-Sitzer sowie Raucher, Politiker und andere Schmarotzer sind gebeten, hinten einzusteigen.

Danke, dass sie mit Alibaba-Airline fliegen. Wir wünschen ihnen einen angenehmen Flug.»

Ägypten

Über den Wolken

Fliegen mit Kaderli

Wir waren uns zuerst nicht einig, welchen der drei Flieger wir besteigen sollten. Da niemand von uns zuvor in Wladiwostok gewesen war, entschieden wir uns für ALI-169. Wir rannten, kaum wurden die Türen zum Vorfeld geöffnet, auf die erstbeste Maschine zu.

Dort angekommen, stellten wir fest, dass unsere Plätze bereits besetzt waren. Kaderli blies sich umgehend auf seine doppelte Grösse auf und probte eine Meuterei. Nach einem kurzen Wortgefecht erfolgte der Schiedsspruch:

«ALI-169 aussteigen!», rief eine sichtlich nervöse Flugbegleiterin. «Dies ist ALI-619!»

In ALI-169 jedoch standen schon die Passagiere für ALI-96, die fälschlicherweise ALI-769 bestiegen hatten, und zuerst rückwärts hinauskriechen mussten.

Kevin-Albert hatte mittlerweile die verfügbaren Flugnummern addiert, durch die Anzahl der Milchzähne von Sissy dividiert und spielte nun den grossen Macker.

«Hier hinein!», schrie er und zeigte mit der Hand auf die versteckt stehende Maschine von Moses-Airline.

Und tatsächlich bestätigte uns der Chefbeduine im Cockpit, dass sein von Allah gesegnetes Flugzeug auf direktem Weg nach Sharm-El-Sheik fliege.

Wir stiegen ein, schnallten uns an und legten uns in Ketten. Wir beschlossen, sie erst abzulegen, wenn wir das Rote Meer klar und deutlich sehen würden.

Entgegen meiner Befürchtungen verlief der Flug ohne Zwischenfälle, was mich etwas beunruhigte.

Nur einmal kam es zu einem kleinen Intermezzo. Sissy wollte unbedingt mit Barbie und ihrem rosa Kamel spielen. Diese jedoch ruhten sanft im Gepäckabteil, tief im Bauch des Flugzeugs. Sissy dachte nicht im Traum daran, auf ihr Personal zu verzichten und inszenierte ein Riesentheater.

«Hilfe! Hilfe! Ihr habt mein Kamel totgemacht!», tobte sie und liess sich weder mit Fruchtgummis noch Sauren Zungen ruhigstellen.

Als die Flugbegleiterin zu einem Bestechungsversuch mittels Pingu ansetzte, flippte Sissy vollends aus. Sie schmiss das Vieh im hohen Bogen durch die Kabine, riss sich ein Büschel Haare aus und biss der Stewardess in den Finger.

Erst der grosse Beduine aus dem Cockpit konnte die Motzliese beruhigen.

«Du musst nicht traurig sein. Das rosa Kamel ist im Kamelhimmel und blickt jetzt auf dich herunter. Willst du es sehen?», fragte er.

«Ja! Kamel sehen!», antwortete sie und folgte ihm in das Cockpit. Dort übten sie zusammen tolle Kunstflugfiguren.

Erst als alle Kotztüten gefüllt waren, hatte Sissy genug und kam freudestrahlend zurück. Es gibt doch nichts Schöneres als glückliche Kinderaugen!

Sonst verlief der Flug ereignislos.

Ägypten, wir kommen!

Ägypten

Flughafen Sharm-El-Sheik / Sinai

Kaderli und der Bartauszupfer

Doch Ägypten wollte uns nicht. Und schon gar nicht wollte man Kaderlis Sippe.

«Pass!»

Als Kaderli dem Grenzpolizisten die Rabattkarte von Aldi vorwies, schüttelte dieser den Kopf. Seine linke Hand war leicht geöffnet.

«Pass!»

Kaderli zeigte ihm in lockerer Reihenfolge seinen Personalausweis, den Führerschein sowie seine ungültige Fallschirmspringerlizenz.

«Passss!», zischte der Wächter der Pyramiden und deutete auf seine inzwischen ganz geöffnete linke Hand Kaderli wandte sich an mich.

«Was meint dieser ägyptische Bartauszupfer eigentlich, wer wir sind! Der kann mir mal den Kamelbuckel runterrutschen! Und das Bakschisch kann er sich mitsamt dem Trinkgeld irgendwo hinstecken!»

Wie es Kaderlis geschafft hatten, das Flugzeug ohne Pass zu besteigen, ist für immer und ewig ein Rätsel geblieben. Tatsache war: Die ganze Brut stand ohne Pass in der Wüste Sinai und sollte gemäss «Bartauszupfer» das nächste Flugzeug Richtung Heimat besteigen.

Bambi war in einem bemitleidenswerten Zustand. Ihre tropentaugliche Schminke hatte sich längst aufgelöst und auch das Dreiwetter-Haarspray hielt sein Versprechen nicht.

Bambi allerdings war praktisch veranlagt und machte sich bereits Überlegungen zu einer Zukunft in Ägypten. Sie würde sich in Gizeh eine kleine Pyramide kaufen und darin ein Nagelstudio eröffnen. Oder einen Hundesalon.

Nein! Bauchtanzen! Das bisschen Wackeln könnte sie sich ja wohl noch selber beibringen. Und dann würden Lawrence of Arabia und Omar Sharif bei ihr ein Teelein trinken und ein Wasserpfeifchen schmauchen.

Während Bambi fiebrig vor sich hin fantasierte, machte ich mich auf die Suche nach einer Lösung für Kaderlis Problem.

Ägypten

Sharm-El-Sheik / Sinai

Kaderli und die Audienz

Vorsichtshalber nahm ich Kaderli seinen gesamten Bestand an Bargeld ab und bat ihn, ab sofort die Klappe zu halten. Der Terminal hatte sich mittlerweile geleert, mein Plan stand fest.

Zuerst bekam der Bartauszupfer zehn Euro Bakschisch. Als Gegenleistung brachte er mich zu seinem Chef. Dieser kassierte zwanzig Euro und leitete mich an seinen Vorgesetzten weiter, der sogleich einen Obolus von vierzig Euro erhielt.

Gegen ein Trinkgeld von achtzig Euro verschaffte mir dieser eine Audienz beim Grosswesir. Dessen Sklave nahm mir 160 Euro ab und öffnete die nächste Türe. Der Grosswesir machte einen ärmlichen Eindruck, ich legte ihm auf freiwilliger Basis 320 Euro neben die Wasserpfeife. Seine diskrete Handbewegung zeigte mir, dass ich noch nachzulegen hatte.

«Schukran», bedankte er sich und verlangte zusätzlich Spesenersatz für das folgende Telefongespräch.

Nach zehn Sekunden klopfte es und der pharaonische Sklave trat ein. Er überreichte mir eine Einreisebewilligung für den «Stamm Al Kaderli». Indes, so der gute Mann, könnten die Ungläubigen damit nur ein-, hingegen nicht ausreisen. Man würde uns im Hotel kontaktieren um das weitere «Vorgehen» zu besprechen.

Obwohl ich mir gut vorstellen konnte, wie teuer diese Besprechung sein würde, verabschiedete ich mich mit orientalischer Höflichkeit und eilte zurück zu Al Kaderli.

Mit erhobenem Haupte und der Gewissheit, alles richtig gemacht zu haben, überschritten wir die ägyptische Grenze. Kaderli drückte dem Bartauszupfer einen Spieljeton in die leicht geöffnete linke Hand und lächelte süffisant. Noch hatte ich Kaderli nicht gesagt, wie viel ihn dieses Lächeln gekostet hatte.

Am nächsten Morgen machte mich der nette Mann an der Rezeption darauf aufmerksam, dass man mich erwarten würde. In einer muffigen Ecke residierte bereits der Grosswesir mit seinem Hofstaat.

«Ihre ungläubigen Freunde aus der Sippe der Al Kaderli müssen zur Schweizer Botschaft nach Kairo. Dort wird man ihnen Behelfspässe ausstellen. Ich werde am Donnerstag vorbeikommen und sie abstempeln.»

Ich sah ihm an, dass er unter dem Wort «Stempeln» nicht das Gleiche verstand wie ich.

«Ich werde ihnen meinen persönlichen Kutscher zur Verfügung stellen. Es sind nur 600 Kilometer durch die Wüste Sinai, dann zweimal links abbiegen und schon sind sie in Kairo. Unterwegs können die Fremdlinge das Katharinenkloster, den Berg Sinai sowie Moses und den brennenden Dornbusch besuchen. Anschliessend wird man sie vor der Botschaft in Kairo absetzen. Während sie auf die Papiere warten, wird mein Fahrer mit ihnen Kamel reiten und anschliessend die Pyramiden besuchen.»

Ich informierte Kaderli kurz vor dem Mittagessen. Er war nicht begeistert, Bambi schluchzte leise vor sich hin. Kevin-Albert freute sich auf eine Nacht bei den Beduinen, Lisette-Dôle meckerte und Sissy war ganz aus dem Häuschen.

«Ja, Kamele! Rosarote Kamele! Papi, wann fahren wir los?»

Ägypten

Nördlich des Katharinenklosters / Sinai

Kaderli und das Chuchichäschtli*

Ich war froh, dass mein neuer Freund, der Grosswesir, alles perfekt organisiert hatte. Ich winkte dem Kleinbus fröhlich hinterher. Die Nacht hatte sie längst geschluckt, als ich mich zur Bar schleppte.

Es war Mitternacht als sie das Katharinenkloster passierten.

«Sorry», sagte Omar, der Fahrer des Grosswesirs. «Nix Zeit, nix Licht, nix Moses. Nix da.»

Und so fuhren sie weiter durch die Dunkelheit und dösten vor sich hin.

Auf einmal begann der Bus zu stottern und setzte sich direkt neben einem Kamel zur Ruhe.

«Oh mein Gott!», schrie Bambi, obwohl sie keine Spur gläubig war. «Wir werden verdursten, man wird mich entführen und mich in einen Harem stecken!»

Ich hatte bewusst verzichtet, Kaderlis über den Besuch bei den Beduinen zu informieren. Somit können wir Bambis Trauma durchaus verstehen.

«Chuchichäschtli!», rief der Häuptling der Beduinen und bedeutete den Kaderlis, seine orientalische Gastfreundschaft anzunehmen.

«Avanti, avanti!», doppelte der belesene Beduine nach und liess Tee servieren.

«Tretet ein, verehrte Freunde des Stammes der Al Kaderli! Die Freunde des Grosswesirs sind auch unsere Freunde! Seien Sie unsere Gäste! Für immer und ewig!»

«Hast du gehört, was der Mufti gesagt hat? Für ‘immer und ewig!’», flüsterte Bambi.

«Mach dir keine Sorgen! Erstens sind das nur Höflichkeitsfloskeln und zweitens handelt es sich bei dem Alten nicht um einen Mufti, sondern um einen ordinären Halsabschneider», flüsterte er.

«Und was hat es mit dem ‘Halsabschneider’ auf sich? Etwa auch nur so eine Höflichkeitsfloskel? Mach jetzt was!»

Kaderli machte gar nichts und man setzte sich im Kreis auf den Boden. Ein Nachwuchsbeduine tischte die Köstlichkeiten der Wüste auf und ermunterte die Familie, herzhaft zuzugreifen.

Ratlos sassen sie um die fetttriefenden Kochtöpfe und Schüsseln.

«Darf ich mit der Hand essen?», fragte Sissy.

«Ja natürlich! Ist das nicht himmlisch!», antwortete Bambi und langte mutig zu.

«Igitt!», schrie Lisette-Dôle. In ihrer Hand lagen glänzende, runde Bällchen.

«Das sind Kamelaugen!»

«Nein», stellte Kaderli fest, nachdem er die Dinger genauer betrachtet hatte. «Das sind Hackfleischklösschen.»

« … aus Kamelfleisch!»

«Nein. Die Beduinen essen keine Kamele. Die brauchen sie zum Reiten», entgegnete Kaderli. «Und jetzt iss weiter!»

Und so assen sie sich durch die wunderbaren Köstlichkeiten beduinischer Hausmannskost.

«Da ist etwas so grün!», meldete sich Lisette-Dôle und Kevin-Albert ergänzte: «Es schmeckt wie Spinat!»

«In der Wüste gibt’s keinen Spinat. Nur saftige, geheimnisvolle Blätter und Wurzeln. Und wenn man die lange genug kocht, schmecken sie wie Spinat.»

Kevin-Albert musste mal austreten und suchte sich eine Palme. Als er zurückkam, lag ein triumphierendes Lächeln auf seinem Gesicht.

«Von wegen Wüstenkost! Hinter dem Zelt liegen Hunderte von leeren Spinatpackungen von Iglu. Das sind Wegelagerer und Halsabschneider!»

«Siehst du! Also doch Halsabschneider!», rief Bambi entsetzt.

* Das Wort Chuchichäschtli ist schweizerdeutsch und bedeutet ‚kleiner Küchenschrank‘. Dreimal kommt das «ch» in dichter Folge vor, welches südlich der Kind/Chind-Grenze als stimmloser uvularer Frikativ gesprochen wird. Das Wort Chuchichäschtli ist bekannt dafür, dass es von Personen, die des Hochalemannischen nicht mächtig sind, nur schwer ausgesprochen werden kann. Es wird ihnen daher oft zur Belustigung zum Aussprechen empfohlen.

DANKE WIKIPEDIA!

Ägypten

Nördlich des Katharinenklosters / Sinai

Kaderli und die Bauchtänzerin

Zum Nachtisch gab es Pfirsiche aus der Büchse, Apfelmus aus der Dose und ein paar vertrocknete Datteln.

Kurz danach erschien der Unterhaltungsdirektor und kündigte eine Show der Sonderklasse an.

«Sehr verehrte Chuchichäschtli! Werden sehen Star von die Bauchtanz! Die grosse Leila Shakira Al Mahmoudi aus der Oase Awram al Durst im südlichen Ägypten! Grosses Applaus!» Dazu klatschte er wie Kermit der Frosch.

Bei Leila handelte es sich offenbar um eine Grossmutter des Grosswesirs; bis auf den Bart glichen sie sich wie ein Ei dem andern.

«Was macht die mit dem Bauch?», fragte Sissy verwirrt.

«Weisst du, die alte Frau hat Bauchschmerzen», entgegnete ihr Bambi. Es war ihr mehr als peinlich.

Als sich Kevin-Albert vorstellte, dass Oma Kaderli ihren Bauch so bewegte, bekam er einen Lachanfall, was Leila zu giftigen Blicken veranlasste.

«Kann man in der Schweiz auch Bauchtanz lernen?», fragte Lisette-Dôle. «Ich könnte dann im Konfirmandenlager …»

«Kommt nicht infrage!», brüllte Kaderli los. «Nur über meine Leiche!»

Er steckte Leila ein Trinkgeld in die Bauchfalte, in der Hoffnung, sie würde ihre tänzerische Tätigkeit beenden. Was sie mitnichten tat, ihre Bewegungen beschleunigte und bei den anwesenden Jungbeduinen eine erste Ola-Welle auslöste. Sie schnalzten wild mit ihren Zungen, schürzten ihre Lippen und griffen zum Krummdolch. Bevor die Situation völlig ausuferte, simulierte Kaderli einen Ohnmachtsanfall («Oh wie ist mir schlecht!») und stürzte sich aus dem Zelt.

Gegen Morgen beruhigte sich die Situation auf der Halbinsel Sinai und Kaderlis legten sich im Gästezelt zur Ruhe.

Es war 07.00 Uhr Wüstenzeit. Die Sonne brannte erbarmungslos, der Wind trieb beissenden Sand in die Augen; bis Kairo waren es noch 400 Kilometer. Als Kaderli das Zelt verlassen wollte, stand bereits der Verkaufsleiter der Beduinen GmbH vor der Türe.

«Souvenir! Souvenir! Geschnitzte Kamele, Kamele aus Bast, aus edlen Steinen, aus Gold und Silber, mit Echtheitszertifikat. Alles zum Freundschaftspreis!»

Kaderli wollte einfach nur weg und versuchte den Verkaufsleiter zu überlisten. Der erkannte dessen Vorhaben, legte ihn kurzerhand mit einem Hosenlupf flach und fuhr ruhig weiter.

«Kamele aus Holz, Kamele mit Hieroglyphen, Kamele aus Papyrus, Kamele mit und ohne Mumie, Kamele aus Sand …»

«Neinnnnnn!», schrie Kaderli entnervt.

Damit verlor er nach den Stammesregeln der Beduinen sein Gesicht und es kam, wie es kommen musste.

Der Verkaufsleiter setzte zu einem «Brienzer» an. Er packte mit der rechten Hand Kaderlis Gurt und machte eine Drehung nach rechts. Dann griff er mit dem linken Arm über Kaderlis Schulter auf dessen linkes Gestöss. *

Gleichzeitig hängte er mit dem linken Bein an dessen rechtem Bein ein, spreizte es und warf ihn, mit kräftigem Ruck nach vorn, kopfüber auf den Rücken. Anschliessend setzte er sich auf Kaderlis Brustkorb, drückte ihm einen Kugelschreiber in die Hand und zeigte auf den vorbereiteten Bestellpapyrus.

Kaderli ahnte, dass er verloren hatte und überreichte dem gastfreundlichen Beduinen seine Kreditkarte. Dieser zauberte ein funkgesteuertes Kreditkartenlesegerät aus seinem Rock, nach wenigen Sekunden hatten 800'000 Piaster ihren Besitzer gewechselt. Kaderli konnte kaum mehr seinen Kiefer schliessen. Kurz bevor er zum zweiten Mal sein Gesicht verlieren konnte, besann er sich eines Besseren.

Wild entschlossen packte er die eben erworbene Kamelherde in seinen Rucksack und stampfte zum Wagen.

«Einsteigen! Kutscher, wir fahren zur Schweizer Botschaft nach Kairo, Abdel Khalek Sarwat Street 10, aber ein bisschen plötzlich!»

* Schwingen ist eine in der Schweiz beliebte Variante des Ringens. Das Schwingen gilt, noch vor dem Hornussen und dem Steinstossen, als Schweizer Nationalsport.

Ägypten

Gizeh / Kairo

Kaderli und das brennende Kamel

Es war Donnerstagnachmittag, als sie die Schweizer Botschaft in Kairo erreichten. Ein Schild verkündete, dass man täglich von 09.00 bis 12.00 Uhr zu öffnen gedenke. Von Sonntag bis Donnerstag. Da war natürlich guter Rat teuer – auch und speziell bei Omar.

«No problem, Sir, ich kenne ein nettes Hotel in der Nähe. Freunde vom Grosswesir!»

Natürlich wusste Kaderli um die Bedeutung dieser Ansprache. Eine Wahl jedoch hatte er nicht.

Bevor sie ihre Zimmer bezogen, kaufte Bambi auf dem Markt frische Bettwäsche, desinfizierte das Bad und brachte an der Türe ein neues Schloss an. Worauf sie völlig entkräftet ins Bett fiel und erst am Sonntag wiedererwachen sollte. Die Zwillinge und Sissy hatten sich im Zimmer nebenan eingerichtet und spielten «Kamele werfen».

Kaderli jedoch wollte die Pyramiden sehen.

«No problem, Sir, ich kenne den besten Pyramidenführer von Gizeh, Freund von Grosswesir!», antwortete Omar und drückte aufs Gas.

Auf dem Weg durch die Stadt hielt er vor einer Parfum-Manufaktur (Freund von Grosswesir) und Kaderli kaufte für Bambi eine Phiole Kleopatra in der Note «Fleur de Sable».

Gleich nebenan, in Hassan’s Supermarket (Cousin von Grosswesir), fand er rosarote Kamele für Sissy, einen blinkenden Tutenchamun mit CD-Player für Kevin-Albert und ein gefälschtes Gucci-Täschchen für Lisette-Dôle.

Leider war der weltberühmte Pyramidenführer noch beschäftigt und Omar schlug Kaderli vor, auf einem Kamel zu reiten. Natürlich kannte er den besten Kamelführer und selbstverständlich war jener ein Freund des Grosswesirs.

Das Kamel kannte sich gut aus und hielt präzise beim nächsten Souvenirladen an. Als sich Kaderli weigerte abzusteigen, schüttelte ihn das Trampeltier kurzerhand aus dem Sattel.

Erst als der Ladenbesitzer ihm eine Lakritzenstange verfuttert hatte (zehn Euro), durfte Kaderli erneut aufsitzen. Nach einem weiteren Entgelt von hundert Euro kehrte das Kamel zur Pyramide zurück. Dort wartete bereits Mohammed, der staatlich geprüfte Führer.

«Du bist spät dran», meinte er, zeigte auf seine Rolex und sprintete los. Kurz vor dem pharaonischen Büroschluss erreichten sie die Pforte zur Grabkammer. Dank den guten Beziehungen zum Grosswesir (zwanzig Euro) liess man sie hinein. In gebückter Haltung rasten sie durch die muffigen, feuchtwarmen Gänge.

«Hier!», rief Mohammed, und deutete auf eine Ecke.

«Da ist nichts zu sehen!», entgegnete Kaderli.

«Nein.»

«Wie meinen?»

«Nein.»

«Was nein?»

«Nein – nein», erwiderte Mohammed und rannte wie ein brennendes Kamel Richtung Ausgang.

Ägypten

Kairo

Kaderli und die Mumie

Zurück im Hotel erwartete Kaderli die nächste Überraschung. Lisette-Dôle hatte ihr Zimmer mit bunten Tüchern dekoriert, stand auf dem Bett und wackelte mit dem Hintern. Sissy schrillte dazu wie eine Heulboje und versuchte, sich ihrer Verkleidung zu entledigen. Lisette-Dôle hatte mit ihr «Mumie» gespielt und zu diesem Zweck den ganzen Vorrat an Toilettenpapier abgespult.

«Ist sie nicht herzig, meine kleine Sissy-Mumie!», säuselte Lisette-Dôle und klimperte mit ihren hennaroten Wimpern.

Es stank wie in einem oberägyptischen Puff, Rauchschwaden hingen in der Luft. In der Ecke gurgelte eine Wasserpfeife, Kevin-Albert hing kopfüber im Diwan und gurgelte ebenfalls.

Bambi lag dahingestreckt auf der Ottomane und wedelte nervös mit einem Fächer. Sie schien ihre Sprache verloren zu haben, was Kaderli indes nicht beunruhigte.

Am Sonntagmorgen stand, wie verabredet, Omar mit seiner Rostlaube vor dem Hotel und brachte sie zur Schweizer Botschaft. Der Konsularbeamte stempelte sich unfröhlich durch einen Stapel Papiere, kontrollierte mal hier und visierte mal dort.

An der Wand hing ein Foto. Es zeigte den Stempler, zusammen mit dem Grosswesir, vor einer Nachbildung des Matterhorns.

Zwei Wochen später.

Bei der Ausreise am Flughafen wollte es der Zufall, dass der gleiche Beamte wie bei der Einreise Dienst hatte. Seine linke Hand war bereits leicht geöffnet.

Kaderli streckte ihm die fünf Pässe hin. Ungeachtet meiner Warnungen konnte er nicht auf sein vorlautes Maul hocken.

«Bartauszupfer! Dattelzwicker! Mohrenkopf!»

«Mein lieber Herr Kaderli», entgegnet ihm der Beamte. «Ich habe in Berlin Germanistik studiert und kann ihnen verbindlich sagen, dass Bartauszupfer aus Syrien stammen, Dattelzwicker in Marokko leben und Mohrenköpfe politisch nicht korrekt sind!»

Bevor er fortfuhr, strich er mit Zeigefinger und Daumen über seine beschnauzte Oberlippe.

«Übrigens: Beamtenbeleidigung wird in Ägypten mit einhundert Peitschenhieben und zehn Jahren Zwangsarbeit bestraft.»

Während seines Vortrages hatte sich seine linke Hand weiter geöffnet.

Die Schwanzfedern von Hähnen sind zwar schön aber leider immer hinten.

Aus dem Buch «Die Weisen von Moroni».

Die Komoren

Auf der Suche nach dem Quastenflosser

Ein eiskalter Morgen

Es war ein eiskalter Montagmorgen im Januar. Und als ob dies nicht genügt hätte, mir den Tag zu versauen, begegnete ich auf meinem Weg ins Büro dem alten Kaderli. Ich bin zwar nicht wirklich jünger, doch er sieht einfach viel älter aus. Da nützte ihm auch die ungesunde Studiobräune nichts, die viel zu grosse Sonnenbrille sah schlicht lächerlich aus, sein roter Anorak aus der Boutique verlieh ihm den Charme einer alternden Diva.

Kaderli stand vor dem Schaufenster eines Reisebüros und betrachtete die bunten Plakate.

Im Grunde genommen wollte ich ihn überhaupt nicht ansprechen. Die Kälte hatte meinen Atem gefrieren lassen, messerscharfe Eiskristalle überzogen meine Lippen. Trotzdem konnte ich der Versuchung nicht widerstehen und tippte dem Wichtigtuer auf die Schultern.

«Hallo Kaderli. Wie geht’s, wie steht’s? Na, schon Ferien gebucht, wohin geht’s denn?»

Nachdem er sich vom Schrecken erholt hatte, plusterte er sich auf und antwortete wie gewohnt überheblich.

«Bambi und ich fahren dieses Jahr zum Heliskiing nach Kanada.»

«Ach du Ärmster! Dort ist es ja saukalt und selbst Bären leben dort!»

«Ich weiss. Aber Bambi ...»

Bevor er weiterreden konnte, fiel ich ihm ins Wort.

«Wir fahren nach Moroni!»

«Hä? Nie gehört! Hat’s dort ebenfalls Bären?»

«Nein. Quastenflosser.»

Es gibt Menschen, die sammeln Briefmarken, Paninibilder oder Bierdosen. Ich sammle Inseln.

Nein, weder hänge ich diese auf, noch klebe ich sie in ein Album. Ich bereise sie und stecke anschliessend farbige Nadeln in eine «Hier-war-ich-schon-Weltkarte».

Es gibt gelbe Nadeln (war ich nur wenige Tage), grüne Nadeln (mehr als eine Woche) und rote Nadeln (da will ich hin).

Wie alle Sammler dieser Welt habe ich mich spezialisiert. Ich sammle ausschliesslich tropische oder mindestens subtropische Inseln. So ab 25 Grad Celsius aufwärts. Inseln, auf denen ich Kaderli und Bambi garantiert nie begegnen würde.

Moroni ist die Hauptstadt der «Union des Comores». Dieser Inselhaufen liegt vor der afrikanischen Küste; zwischen Mozambique und Madagaskar, im Indischen Ozean.

Die Komoren sind die Heimat des urzeitlichen Quastenflossers. Dieses Vieh, von dem die Wissenschaft bis vor kurzem glaubte, es sei ausgestorben, ging vor einigen Jahren einem Fischer ins Netz.

Doch nicht nur im Wasser, auch in der Luft tummeln sich eigenartige Lebewesen. Die komorischen Flughunde sollen locker die Grösse eines Bernhardiners erreichen …

Welch’ grandioses Abenteuer wartete auf uns!

Die Komoren

Zürich / Dubai

Puffärmel und der fliegende Teppich

Für unsere Reise auf die Komoren hatten wir Plätze bei der besten Fluggesellschaft der Welt gebucht. Sie gehört einem alten Beduinen und hat in den letzten Jahren sämtliche Auszeichnungen der Welt abgeräumt.

Und so standen wir eines schönen Morgens auf dem Flughafen Zürich-Kloten. Vor dem Gate hatten sich nur wenige Menschen eingefunden und ich träumte von einer freien Sitzreihe. Da könnte ich mich dann hinstrecken und ein kleines Nickerchen halten. Was jedoch jeder Traumdeuter weiss: Solche Träume sind nichts wert, gar nichts.

Unsere Begegnung mit dem Morgenland war äusserst heftig. Des Emirs fliegender Teppich kam nämlich aus Manchester und war mit Hunderten von orientalisch anmutenden Menschen auf dem Weg an den arabischen Golf besetzt. Pakistanische Grossfamilien spielten Cricket in den Gängen, ein indischer Wahrsager bot in Reihe 12 seine Dienste an und ein alter Afghane spielte auf seiner Flöte eine unpassende Melodie.

Ein Bild biblischen Ausmasses! Welch‘ herrliches Völklein würde mit uns in den Orient fliegen. Denn dort mussten wir auf unserer Reise zum Quastenflosser zuerst hin, nach Dubai. Vorerst hingegen waren noch einige Prüfungen zu bestehen!

Eine Stewardess in Puffärmeln (ich mag die Berufsbezeichnung Flight Attendant nicht, Stewardess tönt einfach vertrauter) begleitete uns zur Reihe 21 und bat uns, Platz zu nehmen.

Allerdings war da kein Platz. Die Sitzreihe war von einer Schar grimmig blickender Jungbeduinen belegt. Unsere Sitzplätze hatten sie mit Hilfe von zwei Schwimmwesten und einer Fensterabdeckung zu einer Anrichte für das kalte Buffet umgestaltet. Exotische Salate und Früchte verströmten einen verführerischen Duft, die kleinen getrockneten Fischchen liessen mich an den Quastenflosser denken.

Selbst das spielerische Element kam nicht zu kurz: Mithilfe kleiner Fleischbällchen spielten sie Korbball. Kreativ, wie nur Jungs sein können, benutzten sie die Kotztüten als Fangkörbe. Wirklich eine liebenswerte Truppe!

Wir versuchten uns bemerkbar zu machen, baten sie höflich, das Buffet abzubrechen und wedelten diskret mit unseren Bordkarten. Sie dachten indessen nicht daran, uns zur Kenntnis zu nehmen. Da sie eine vorbildliche Erziehung genossen hatten, wussten sie, dass man nicht mit jedem dahergelaufenen Fremden sprechen soll. Ich wandte mich deshalb an die nette Flugbegleiterin mit den Puffärmeln und bat sie um Hilfe. Sie zuckte bedauernd mit den Schultern und wies uns andere Sitze zu.

«Please sit down!», meinte sie orientalisch unterkühlt.