Seelenfänger - Hanspeter Gsell - E-Book

Seelenfänger E-Book

Hanspeter Gsell

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Beschreibung

Commissario Moroni hat genug von der Übermacht der Mafia, vom süditalienischen Chaos, von der bedrückenden Einengung durch die Kirche, von den Fesseln der mediterranen Lebensweisen. Er muss das Land verlassen, bevor ihn dieses völlig vereinnahmen kann. Auf einer kleinen Insel in der Südsee findet er eine neue Heimat und eine neue Aufgabe. Ein italienischer Kommissar aus Apulien, ein Amerikaner aus Pennsylvania und Chief Urumal aus Rumurung (Mikronesien) mischen die pazifische Insel gehörig auf. Was ist auf diesen geheimnisvollen Inseln geschehen? Macht jemand Jagd auf unerwünschte Einwanderer? Was hat der rätselhafte Japaner aus Hiroshima zu verbergen und weshalb arbeitet der Verwalter der Thunfische nebenbei als Prediger für die Zeugen Abrahams?

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Seitenzahl: 186

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Das Buch

Gianni Moroni, Kommissar aus Süditalien, ermittelt in der Südsee. Der Polizeichef der Insel Rumurung hat ihn gebeten, den Tod eines Ausländers aufzuklären.

Was ist auf den geheimnisvollen Inseln im Pazifik geschehen? Wer hat das Weisse Haus auf der Insel Falang gebaut? Macht jemand Jagd auf unerwünschte Einwanderer? Was hat der rätselhafte Japaner zu verbergen und weshalb arbeitet der Direktor der Thunfischfabrik nebenbei als Prediger? Hat etwa Chief Ikefang seine Finger im Spiel? Oder gibt es einen großen Unbekannten?

Der Autor

Hanspeter Gsell, geboren 1951, lebt in der Schweiz. Sein neustes Werk, ein amüsanter Abenteuer-Roman, spielt auf den Südsee-Inseln Rumurung und Falang. Gsell verbrachte mehrere Monate im Pazifik und kennt die Menschen und deren Gepflogenheiten bestens.

Der Autor pflegt auch im neusten Buch seinen gewohnt eigenwilligen Humor. Irre Sätze und Dialoge mit doppelten Böden begleiten Commissario Moroni durch die Südsee. Aberwitzige Lebensgeschichten pflastern diesen spannenden und beschwingten Roman: Fabulierlust auf höchstem Niveau!

Inhaltsverzeichnis

01 Via Magellano | Torchiarolo

02 Piazza Garibaldi | Torchiarolo

03 Vicolo del Senatore | Squinzano

04 Via Magellano | Torchiarolo

05 Vicolo del Senatore | Squinzano

06 Via Magellano | Torchiarolo

07 Vicolo del Senatore | Squinzano

08 Stazione Centrale | Bari

09 Aeroporto delle Puglie

10 Zürich | Singapur | Manila

11 Tamuning | International Airport Guam

12 Rumurung | International Airport

13 Falang Airport

14 Falang Guesthouse

15 Planters Bay Resort | Rumurung

16 Woolipik | Wooligang | Rumurung

17 Falang | Privathaus Chief Ikefang

18 Falang Nord | Weißes Haus

19 Falang Airport

20 Rumurung State Hospital

21 Immigration Office | Rumurung

22 Tuna Factory | Rumurung

23 Rumurung International Airport

24 Falang | Privathaus Chief Ikefang

25 Falang | Catholic Church

26 Falang | Privathaus Onkel Nishima

27 Tsushima | Japan

28 Japanisches Meer | Soldat Nishima

29 Tinian | Enola Gay

30 Motoyasu River | Hiroshima

31 Gaampeek | Rumurung State

32 Planters Bay Resort |Rumurung State

33 Punxsutawney | USA

34 San Pedro Bay | Los Angeles

35 Santa Monica | Los Angeles

36 Venice Beach | Los Angeles

37 International Airport Guam

38 Falang Nord |Kaiser Schiller

39 Falang Nord | Schillers Zeugen

40 Falang | Lubuws Kirche

41 Fair Ground | Falang Airport

42 Falang Nord | Das Weisse Haus

43 Casa Moroni | Rumurung

44 Planters Bay Resort | Rumurung

45 Casa Moroni | Rumurung

46 Casa Moroni | Rumurung

47 Casa Moroni | Rumurung

48 Casa Moroni | Rumurung

Quellen

Vorwort

Mikronesien liegt in der Südsee, im Stillen Ozean, im Großen Ozean. Still ist er nie. Groß jedoch schon. Ich werde keine Zahlen nennen. Was würde es nützen, wenn ich hier schriebe, dass der Pazifik 181.34 Millionen Quadratkilometer misst?

Ich halte mich deshalb an populäre Bilder: Sämtliche Landmassen der Erde hätten problemlos Platz im Pazifik. Und – obwohl die folgende Aussage politisch fragwürdig erscheint – es bliebe sogar noch genügend Raum, Afrika ein zweites Mal zu versenken.

Der Pazifik erstreckt sich von Asien und Australien im Westen bis nach Amerika im Osten. Im Norden wird er von der Beringstraße begrenzt, im Süden von der Antarktis.

Der erste Seefahrer, der diesen Riesenteich durchfuhr, war der Portugiese Magellan. Er «entdeckte» den Pazifik um das Jahr 1520. Bei genauerem Hinsehen handelte es sich bei dieser Aussage jedoch um Propaganda für das spanische Königshaus. Im besten Fall war Magellan der erste europäische Besucher im Pazifik.

Denn – obschon der Pazifik auf den ersten Blick tatsächlich leer erscheint – es gab bereits vor Tausenden Jahren Menschen, die mit ihren Booten längere Kreuzfahrten unternommen haben. Und es gibt Inseln, auf denen sich Kulturen entwickelt haben, die uns heute noch Rätsel aufgeben.

Erst 1979 schlossen sich die vier Inseln Pohnpei, Kosrae, Chuuk und Yap, zu den ‘Föderierten Staaten von Mikronesien’ zusammen. Die endgültige Unabhängigkeit erreichten sie 1991.

Dieser Roman ist auf einer Insel namens Falang angesiedelt. Falang liegt in der Lagune von Rumurung im westlichen Pazifik, ein paar Grad nördlich des Äquators.

Der Staat Rumurung ist, genauso wie die Insel Falang, eine Ausgeburt meiner Fantasie. Ich habe diese Inseln geboren, um die Einheimischen, von denen dieses Buch handelt, zu schützen. Denn diese Menschen existieren sehr wohl.

Das Buch beruht auf wahren Begebenheiten. Manchmal jedoch habe ich mir die Freiheit erlaubt, zwei Seelen zu einer Brust zu vereinen. Oder auch mal einen Stein von einer Insel auf eine andere zu versetzen, Namen wahlweise wegzulassen oder hinzuzufügen, zu verändern oder gänzlich zu fälschen. Das gilt im Besonderen auch für Kirchen und Freikirchen sowie deren Exponenten.

Nicht immer ist die Fälschung klar ersichtlich und nicht immer ist die Wahrheit auch die reine Wahrheit. Ich überlasse es der Fantasie meiner Leser, dies herauszufinden.

Hanspeter Gsell

1 Casa Moroni Via Magellano 33 Torchiarolo

Giovanni Maria Moroni stammt aus Apulien, dem tiefsten Süden Europas. Geboren wurde er 1971 in Torchiarolo, einem kleinen Dorf in der Nähe von Brindisi. Dort, im Salento, dem Stiefelabsatz Italiens, begann ein beschauliches Leben.

Seinen zweiten Vornamen, ‘Maria’, benutzte er nur für offizielle Zwecke. Er führte, hauptsächlich im Ausland, immer wieder zu unnützen Diskussionen. Der Name ‘Giovanni’ hingegen, hat den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass man zweimal im Jahr seinen Namenstag feiern kann. In Moronis Fall waren das jeweils der 24. Juni und der 27. Dezember.

In Italien nahm man die Festivitäten zum Namenstag schon immer wesentlich wichtiger als Geburtstagsfeste. Diese Tradition kam Moroni in seiner Jugendzeit durchaus gelegen: Es gab zweimal im Jahr Geschenke. Er hasste zwar die endlosen Auftritte der Großväter, Onkel, Tanten und Cousins. Aber – auch für ein kleines Glück muss man leiden können.

Aus dem Vornamen Giovanni wurde schnell das etwas moderner klingende ‘Gianni’. Gianni Moroni studierte, wie bereits sein Vater, Rechtswissenschaften sowie Politik. Allerdings hatte er nicht die Absicht, sein Leben als Dottore, als Avvocato – Rechtsanwalt oder als Giudice – als Richter, zu verbringen. Er wollte unter keinen Umständen ein Leben als graue Maus in den Hinterzimmern der Justiz verbringen; er wollte näher bei den Menschen sein.

Deshalb besuchte er nach seinen Studien die Polizeischule in Rom und bewarb sich anschließend bei den zuständigen Behörden um einen Job in Torchiarolo.

Dank seiner guten Verbindungen, sein Vater arbeitete als Rechtsanwalt in Bari, seine leider vor längerer Zeit verstorbene Mutter stammte aus einer Adelsfamilie des Nachbardorfs Cellino San Marco, wurde er umgehend eingestellt.

Bereits nach kurzer Zeit wurde er zum Commissario von Torchiarolo befördert. Seine fröhliche Natur machte ihn zu einem beliebten Bürger; er wurde für seine Aufrichtigkeit, Unbestechlichkeit und seine Arbeitsmoral geschätzt. Vielleicht mit ein Grund, dass man ihn mit der Zeit nur noch Dottore nannte.

In seiner Freizeit kleidete er sich, gemessen an italienischen Verhältnissen, durchaus klassisch. So trug er immer dunkle Anzüge, fein gestreifte Hemden und braune Schuhe. Dazu passend, band er sich jeweils eine Krawatte mit dem adligen Familienwappen seiner verstorbenen Mutter um. Der goldene Siegelring, den er vor langer Zeit von seinem Grossvater erhalten hatte, steckte am rechten Ringfinger.

Seine liebste Freizeitbeschäftigung war das Musizieren. Er hatte sich vor einigen Jahren ein Klavier der Marke Fazioli gekauft. Eine ältere Musiklehrerin, Signorina Cozzecorto, brachte ihm das Spielen bei.

Zur Kirche hatte Gianni Moroni ein gespaltenes Verhältnis. Selbstverständlich war er katholisch getauft worden und hatte gezwungenermaßen bis zu seinem sechzehnten Lebensjahr regelmäßig die Messe besucht. Diese Zeiten aber waren endgültig vorbei. Heute ging er nur noch in die Kirche, wenn es sich nicht vermeiden ließ.

Es gab in Torchiarolo gleich mehrere Kirchen. Die meisten waren jedoch einsturzgefährdet oder sonst außer Betrieb. Nur gerade die Chiesa Maria Santissima Assunta schien für Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen geeignet zu sein.

Torchiarolo hat knapp dreitausend Einwohner. Viele davon sind Selbstversorger, besitzen einen Gemüsegarten, einen Weinberg und einen Olivenhain.

Aus den Oliven presst man ein goldgrün schimmerndes Öl, das Gemüse wird eingelegt oder landet direkt auf den eigenen Tellern. Die Trauben bringt man der Cooperativa, der lokalen Winzergenossenschaft. Reich wurde niemand damit, doch das Geld genügte, um über die Runden zu kommen.

Annunziata, seine gute Fee, besorgte Moroni den Haushalt, wusch und bügelte seine Wäsche. Und sie kochte ihm die weltbesten Orecchiette, diese wunderbaren süditalienischen ‘Öhrchen’. Annunziata hatte die Zubereitung den Hausfrauen in Bari abgeschaut.

In ihren Teig kam nur Semola di grano duro, Hartweizengrieß, Wasser und eine Prise Salz. Sie bereitete die Orecchiette bei sich zu Hause vor und brachte dem Dottore jeweils die getrockneten Teigwaren. Moroni musste sie nur noch in heißem Wasser al dente kochen. Manchmal aß er sie mit einem selbst gemachten Pesto aus getrockneten Tomaten und Pinienkernen oder rieb sich Pecorino, den würzigen Schafskäse aus der Gegend, darüber.

Nur am Samstag aß er auswärts, meistens in der Trattoria della Torre, einer kleinen Taverne im Zentrum von Torchiarolo. Die Trattoria verfügt, neben dem eigentlichen Ristorante, über eine Saletta, einen kleinen Saal. Dort war für den Dottore samstags immer ein Tisch reserviert. Der Raum war spärlich eingerichtet. Nur einige Nachdrucke von Vespa-Plakaten hingen an den Wänden.

Ein perfekter Ort für Moroni.

Seit Nonna Luisas Kochkünste in einem bunten Lifestyle-Magazin lobend erwähnt worden waren, strömten immer mehr Besucher in ihre Trattoria. Dem touristischen Zeitgeist folgend, hatte Luisa blau-karierte Tischtücher gekauft. An der Decke hingen verstaubte Plastik-Schinken, auf dem kleinen Spiegelkasten an der Wand lagen Parmesan-Laibe aus bemaltem Kunststoff. An den Wänden hingen schwarz-weiße Bilder aus vergangenen Zeiten. Umberto II, Gina Lollobrigida und Sophia Loren schauten den Kunden in die Teller.

Nonna Luisa stammt aus Gallipoli, einer alten Hafenstadt am Ionischen Meer. Bestellte Moroni ein Glas Rosso, er trank ihn immer eher kühl, servierte ihm Luisa dazu frisch zubereitete Friselle – sonnengereifte Tomaten auf knusprig gerösteten Brotscheiben mit einem Tropfen Olivenöl.

Den frischen Fisch kaufte sie ausschließlich bei ihrem Bruder in Gallipoli. Ob gebraten, gegart oder gegrillt. Niemand konnte die Fischlein so wohlschmeckend zubereiten wie Nonna Luisa.

Ein weit gereister Philosoph soll einmal gesagt haben, es müsse wohl für die Fischlein eine Ehre sein, ihr Leben in Luisas Küche aushauchen zu dürfen.

2 Bar Roma Piazza Garibaldi Torchiarolo

Nach dem Essen besuchte Moroni regelmäßig die Bar Roma an der Piazza Garibaldi. Totò, der Wirt, machte den weltbesten Ristretto: Der Boden der Tasse war nur knapp mit crèmigem Kaffee bedeckt. Moroni gab mehrere Portionen Zucker dazu. Erst wenn der Löffel kerzengerade darin stecken blieb, war der Caffè perfekt angerichtet.

Die Bar Roma war eine Mischung aus Kiosk, Bar und Rentnertreff. Am Kiosk gabs Lose zu kaufen, an der Bar Espresso zu trinken. Die Rentner saßen an kleinen Tischchen vor dem Haus. Dort palaverten sie zusammen, tauschten alte Geschichten aus und tranken ein Glas Wein.

Commissario Moroni war überall anzutreffen. War Markt in Torchiarolo, sorgte er mit seinen Untergebenen für die Sicherheit der Besucher, bei den Marktfahrern kassierte er Gebühren. Bei Fußballspielen galt seine Aufmerksamkeit den Randalierern und Pöblern.

Von besonderem Interesse waren jeweils die Spiele der einheimischen Mannschaft, der Valesio Sport Torchiarolo. Moroni zögerte nicht, bei Prügeleien dazwischen zu gehen. Mit gezielten Faustschlägen und Kopfnüssen beendete er jede Rangelei im Keim.

Während der ersten Jahre war er zum Verkehrsdienst eingeteilt. Da hieß es, den Verkehr zu regeln, Parksünder zu büßen oder Umleitungen auszuschildern.

Hatte er einmal einen Bussenbescheid ausgestellt, musste der Betrag umgehend bezahlt werden. Ob Winzer, Bürgermeister oder Mafioso. Der Dottore war das Gesetz. Gesetze aber waren da, um befolgt zu werden.

Mit dieser Arbeitshaltung war er in Süditalien zwar allein auf weiter Flur. Aber er beabsichtigte nicht, sich den Sitten und Gebräuchen der Gegend anzupassen. Er blieb bei seiner unbequemen und unbeugsamen Haltung.

Deshalb verpasste er auch dem Besitzer der dunklen Limousine vor dem Roma – sie versperrte die gesamte Straßenbreite – einen gesalzenen Strafzettel.

Nach einem kurzen Telefonat mit dem Straßenverkehrsamt in Brindisi wusste er, wem der Wagen gehörte: einem Mann namens Antonio Carlino. Eigentlich wusste niemand so genau, was dieser Antonio Carlino – manche nannten ihn auch Don Antonio – eigentlich trieb.

Nur einmal hatte sich Mario, ein alter Winzer aus dem Nachbardorf, bitterlich bei Moroni beklagt. Ein dubioser Verkäufer hatte ihm einen unnützen und viel zu teuren Traktor aufgeschwatzt.

Den für den Kauf benötigten Betrag hatte man ihm vorgeschossen. Eine Bank mit dem Namen Santo Credito AG gewährte ihm einen Kredit in der Höhe von 150'000 Euro. Die Zinsen sollten, so der Winzer, lediglich acht Prozent betragen.

Da Mario weitsichtig war, hatte er das Kleingedruckte nicht entziffern können. Sonst hätte er bemerkt, dass die Zinsen nicht jährlich, sondern monatlich zu bezahlen waren. Acht Prozent Zinsen pro Monat! Mario war krassen Kreditbetrügern zum Opfer gefallen.

Ein Anruf bei der Handelskammer in Bari bestätigte Moronis Vermutung: Antonio Carlino war Verwaltungsrat der Santo Credito AG. Ein Mitarbeiter der Camera di Commercio meinte, Don Antonio sei wohl auch Mitglied der Sacra corona unita (SCU), der apulischen Mafia.

Die’Heilige Krone’ profitierte von ihrer Nähe zu Albanien. Ob Drogen aus Kolumbien, Geflüchtete aus dem fernen Hindukusch oder junge Frauen aus Südosteuropa: Man handelte mit allem, was man zu Geld machen konnte.

Die Mafia in Torchiarolo? Natürlich hatte Gianni Moroni von der Mafia gehört. Wenn man im Mezzogiorno, im Süden Italiens lebt, macht man unweigerlich mit deren Mitgliedern Bekanntschaft.

Bereits in der Schule hatte man die Kinder sorgfältig voneinander getrennt. Während Gianni mit seinem rostigen Fahrrad in die Dorfschule fuhr, chauffierte man die Abkömmlinge der Mafia-Familien in Luxuslimousinen in eine der zahlreichen Privatschulen der Provinzhauptstadt. Sie wohnten in abgeschotteten und gesicherten Villen im Hinterland und zeigten sich vornehmlich nachts in Bari oder Brindisi.

Auch auf dem Polizeiposten von Torchiarolo wurde immer wieder über die bösen Männer und ihre krummen Geschäfte gemunkelt. Mehr jedoch nicht. Die Omertà, das Gesetz des Schweigens, die Schweigepflicht, war allgegenwärtig.

Man wusste, dass beinahe alle Geschäfte Pizzo, Schutzgelder, bezahlten. Auch Kreditbetrügereien und Wucherzinsen gehörten zur Tagesordnung. Die Carabinieri unternahmen kaum etwas dagegen.

In Torchiarolo war die Gemeinde-Polizei für den Straßenverkehr und den Zivilschutz zuständig. Für alles andere waren die Carabinieri an der Via Brindisi verantwortlich.

Commissario Dottore Moroni hatte in seinem Leben noch nie Angst gehabt. Weder vor der Mafia noch vor den Carabinieri: Er traute beiden nicht. Immer wieder hörte man von Mauscheleien zwischen Behörden und kriminellen Banden.

Deshalb schickte er Carlino nicht nur einen Bussenbescheid, sondern gleich auch noch eine Anklage wegen Kreditbetrug und Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation ins Haus.

Kopien seiner Anklage sandte er an den Questore, den Polizeipräsidenten der Provinz Brindisi sowie an die Anti-Mafia-Behörde, die Direzione Investigativa Antimafia, in Bari.

Als Commissario Moroni am nächsten Morgen in seinen Wagen steigen wollte, bemerkte er, dass die Räder fehlten. Das Auto stand auf vier Holzpflöcken.

‘Diese verdammten Albaner!’, soll er geflucht haben. Damit lag er jedoch falsch. Nicht irgendwelche daher gelaufenen Ausländer hatten sein Auto lahmgelegt, sondern ein Italiener. Unter dem Scheibenwischer fand er dessen Nachricht mit einem nicht so freundlichen Gruß. «Wenn du mir nochmals in die Quere kommst, knalle ich dich ab wie einen räudigen Gaul. Ti faccio saltare la testa!»

Auch ohne Absender wusste Moroni sofort, wem er den Schlamassel zu verdanken hatte.

3 Don Antonio Carlino Vicolo del Senatore Squinzano

Dottore Moroni ließ sich von solchen Kleinigkeiten nicht gross beeindrucken und fuhr nach Dienstschluss zum Anwesen von Don Antonio Carlino. Dieses lag in der Nachbargemeinde Squinzano. Da sein kleiner Fiat immer noch auf vier Holzpflöcken vor seiner Wohnung stand, nahm er kurzerhand seinen Dienstwagen.

Das Haus von Don Antonio war ein Palazzo, ein palastähnliches Anwesen aus dem 16. Jahrhundert. So mancher Kunsthistoriker wäre bei dessen Anblick ins Schwärmen gekommen. Welch’ herrliche Friese, Zinnen und Säulen zierten den Palast!

Leider war das Haus von einer hässlichen, mit Stacheldraht bewehrten Mauer aus Beton umgeben. Moroni suchte zuerst vergebens nach einem Eingang. Erst auf der Rückseite des Grundstücks wurde er fündig. Eine kunstvoll geschmiedete Pforte schien auf das Gelände zu führen. Neben dem Eingang hing ein goldenes Schild mit der Aufschrift ‘A.C. – Antonio Carlino’.

Er drückte auf die Klingel und schaute sich um. Die ganze Umgebung wurde von Video-Kameras überwacht. Moroni versuchte, einen möglichst gleichgültigen Gesichtsausdruck zu machen. Während er auf eine Reaktion wartete, kratzte er sich hinter den Ohren und entfernte ein imaginäres Staubkörnchen von seinem Anzug.

Nachdem zuerst nichts passiert war, klingelte er noch einmal. In diesem Moment begann sich das Tor wie von Geisterhand zu bewegen; knarrend öffnete es sich gegen innen. Eine metallene Stimme krächzte «Entra, tritt ein!»

Er passierte das Tor und wurde von einem Leibwächter in Empfang genommen. Dieser hatte die Größe eines Wandschranks und war dem französischen Schauspieler Gérard Depardieu nicht unähnlich.

«Was will ER?», fragte der Wandschrank und verzog die Oberlippe. Vermutlich dachte er, sein Arbeitgeber sei die Königin von England und nicht ein ordinärer Mafioso.

«Mein Name ist Dottore Giovanni Maria Moroni. Ich bin Commissario in Torchiarolo. Antonio Carlino hat mein Auto ruiniert, er muss für den Schaden aufkommen.»

«Hat ER eine Audienz bei seinen Gnaden?»

«Nein. Erstens hat ER mit dir keine Schafe gehütet, zweitens weiß ER nicht, was eine Audienz sein soll, und drittens kennt ER auch keinen Signor Gnaden.»

«Hä?», antwortete der Wandschrank. «Was für einen ausgemachten Blödsinn erzählst du mir gerade? Soll das witzig sein?»

«Nein, das ist absolut nicht witzig. Ich möchte zu Don Antonio, aber subito.»

«Seine Gnaden sind abwesend», wiederholte der sprechende Wandschrank, drehte sich um und knallte das Tor zu. «Va al Diavolo! Zum Teufel mit dir!»

4 Casa Moroni Via Magellano 33 Torchiarolo

Da Moroni als privater Besucher gekommen war, blieb ihm nichts anderes übrig, als zurück nach Torchiarolo zu fahren. Er parkte den Dienstwagen vor der Polizeistation und ging zu Fuß nach Hause.

Von der Via Cristoforo Colombo gelangte er zur Via Amerigo Vespucci. Von dort war es nur noch ein Katzensprung bis zu seinem Haus. Das Quartier war kein Prunkstück italienischer Baukunst; es war jedoch beschaulich, ruhig und übersichtlich.

Moronis Grundstück war umgeben von mannshohen Mauern, nur durchbrochen von einigen pseudoromanischen Säulen und geschmiedeten Gittern. Das einstöckige Haus war in hellen Pastellfarben gestrichen. Gianni Moroni wohnte allein im Haus, er hatte es von seiner Großmutter geerbt.

Sein Kleinwagen stand immer noch auf vier Holzpflöcken in der Einfahrt zur Garage. Er würde morgen Beppe anrufen. Dieser betrieb in der Nähe eine Garage und würde ihm sicher mit den Rädern behilflich sein.

Der Commissario öffnete die quietschende Haustüre. Er würde sie wohl gelegentlich schmieren und ölen müssen, dachte er sich.

Es roch wie immer muffig, die Luft war abgestanden. Um die Räume vor der südlichen Sonne zu schützen, hielt er die Fenster den ganzen Sommer über geschlossen. Schwere Vorhänge verdunkelten die Zimmer.

Allerdings hatte sich auch noch ein anderer Gestank verbreitet. Moroni versuchte herauszufinden, wo er herkam. Zuerst öffnete er die Türen zu seiner Terrasse. Ein schmaler Weg führte zu seinem Gemüsegarten vor dem Haus. Dort wuchsen Tomaten, Zucchetti und ein paar Reben.

Ein alter Olivenbaum breitete seine mächtigen Äste aus. Moroni überlegte sich schon lange, den Baum zurückzuschneiden. Dessen Schatten bedeckte bereits einen Großteil seines Gartens.

Anschließend warf er einen Blick in die Küche, alles war ordentlich aufgeräumt. Die Pfannen hingen, nach Größe sortiert, über dem Herd. Neben der kleinen Spüle stand eine klassische Kolbenmaschine sowie ein Espressokocher von Bialetti. Auf einem Gestell an der Wand lagen, fein säuberlich aufgereiht, Packungen mit Spaghetti, Spaghettoni und Spaghettini.

Die angrenzende Vorratskammer war gut gefüllt mit Oliven und eingelegtem Gemüse aus dem eigenen Garten. Im Kühlschrank fand er die von Annunziata vorbereiteten Orecchiette. Mehrere Kanister mit rotem und weißem Wein von der Cooperativa sowie eine Kanne mit Olivenöl vom Nachbarn standen in der Ecke.

Er öffnete die Türe zum Salotto, zu seiner guten Stube. Um besser sehen zu können, musste er zuerst Vorhänge und Fensterläden öffnen. Er sah auf den ersten Blick, dass auch hier alles an seinem gewohnten Ort stand.

Seine verstorbene Großmutter hatte ihm eine himmelblaue Polstergruppe mit goldenen Fransen hinterlassen. Die Sessel nahmen beinahe den ganzen Raum ein. Es war jedoch ein Fernsehgerät gewaltigen Ausmaßes, das die gute Stube beherrschte. Das Klavier daneben sah beinahe klein aus.

Auf einem kleinen Salon-Tisch aus rosa Marmor versammelten sich Unmengen von Nippes. Auf gehäkelten Unterlagen standen und lagen Zwerge, Gnome und eine Büste von Caesar. Sowie ein in Silber gerahmtes Foto ihres bereits früher verstorbenen Mannes. Er war bei einer Schießerei zwischen verfeindeten Mafia-Familien ums Leben gekommen.

Zu guter Letzt betrat er sein Schlafzimmer. Kaum hatte er die Türe geöffnet, schlug ihm ein metallischer, unangenehmer Gestank entgegen. Den Grund sah er sofort. Jemand hatte den Kater der Nachbarin an die Wand genagelt. Den Kopf nach unten, die Beine ausgestreckt wie der Gekreuzigte, hing er über Moronis Bett.

Der Kater war schwarz wie Pech, der Kopf hing an einem seidenen Faden, noch immer tropfte dunkles Blut auf das Kopfkissen. Daneben lag eine Botschaft von Don Antonio.

«Se non smetti subito dannato ficcanaso, sarai presto inchiodato al muro, a testa bassa. Wenn Du nicht sofort mit deiner verdammten Spitzelei aufhörst, wirst du demnächst auch an die Wand genagelt. Mit dem Kopf nach unten.»

5 Don Antonio Carlino Vicolo del Senatore Squinzano

Wutentbrannt verließ Commissario Moroni sein Haus. Das ließ er sich von diesem mafiösen Kreditbetrüger und Katzenmörder nicht gefallen!

Sein Wagen stand immer noch auf Holzpflöcken neben dem Haus, deshalb nahm er sein Fahrrad. Er strampelte damit zum Polizeiposten an der Via Cristoforo Colombo.

Dort setzte er sich in einen Dienstwagen, einen brandneuen Alfa Romeo und fuhr mit Blaulicht und Sirene nach Squinzano. Er hatte sich seine beste Uniform angezogen, ein offizieller Besuch war angesagt.

Der Kollege hinter dem Radargerät meinte später zu Moroni, er sei nicht gefahren, sondern gerast. Und zwar wie eine Wildsau.

Worauf ihm der Commissario entgegnet hatte, Wildschweine würden seines Wissens nicht Auto fahren können. Den Bussenbescheid könne er wegschmeißen, er sei nämlich dienstlich unterwegs gewesen.

Vor Antonios Palazzo bremste er scharf und würgte dabei den Motor ab. Die Klingel ließ er dieses Mal aus und öffnete das Tor mit einem wuchtigen Schlag seines Wagenhebers. Es krachte und Moroni fiel durch die eingeschlagene Türe.

Hier wurde er umgehend von zwei Leibwächtern in Empfang genommen und man geleitete ihn zur Empfangshalle des Hauses. Hinter einem Schreibtisch gewaltigen Ausmaßes thronte Don Antonio.

Um besser über die Kante des Schreibtisches sehen zu können, hatte sich der klein gewachsene Mafiaboss mehrere Kissen unter seinen Hintern geschoben. Moroni musste sich ein Lachen verkneifen, beschloss jedoch gute Miene zum bösen Spiel zu machen.