Niente problemi - Hanspeter Gsell - E-Book

Niente problemi E-Book

Hanspeter Gsell

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Beschreibung

Als ich meinen Freund Umberto wissen liess, dass wir eine Reise nach Süditalien planten, war er ausser sich. Es gelang ihm mühelos, seine vornehme Erziehung in kürzester Zeit zu vergessen. "Nach Süditalien? Nein, kommt nicht in Frage! In Apulien wird dich die Mafia ausrauben, in Kalabrien erschiessen und in Sizilien entführen. Man wird dich in einem alten Schafstall bei Wasser und Brot gefangen halten, dir das rechte Ohr abschneiden und ein Lösegeld verlangen." Da ich niemand kannte, der für meine Freilassung aus der Geiselhaft Geld bezahlen würde, lächelte ich nur müde. Gnadenlos entlarvt der Autor die Machenschaften der Weinindustrie. Selbsternannte Weinkenner, Besserwisser und Grossnasen sind ihm ein Graus. Wissenswertes rund um den Wein, um Weinmenschen und um Italien, verpackt in süffisant geschriebene Geschichten. Dieses Buch gehört in jedes Reisegepäck!

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Das Buch

Mehr als vierzig Jahre reiste der Autor beruflich durch Italien. In der ersten Zeit tingelte er als Musiker durchs Land, später lernte er als Weinhändler alle Regionen dieses wunderbaren Landes kennen.

Aus diesen Erinnerungen ist ein Buch voller spannender Erzählungen entstanden. Geschichten aus Apulien und dem Molise, aus Sizilien und Pantelleria, Blogeinträge aus der Toskana und den Marken, Tagebuchnotizen aus Venetien und der Lombardei, Reiseprotokolle aus dem Piemont und aus Ligurien.

Die kurz gehaltenen Geschichten eignen sich perfekt gegen den kleinen Wissensdurst zwischendurch. Unterhaltsam, humorvoll, mit bitter-heiterer Ironie, frech und prickelnd-frisch, lehrreich, eigenwillig in Stil und Ausdruck.

Der Autor

Hanspeter Gsell, geboren 1951, lebt in der Schweiz. Seine Kolumnen erscheinen in Tageszeitungen, seine süffig geschriebenen Reisetagebücher und Reportagen findet man in Fachzeitschriften.

Inhalt

Nein, nicht in den Süden

Puglia

Notizen aus Apulien

Taxi nach Bari

Freunde in Brindisi

Highnoon in Torchiarolo

Strozzapreti in Otranto

Molise

Notizen aus dem Molise

Heute gefälschte Schweizer

Zwei Esel gegen ein Auto

Marche

Notizen aus den Marken

Montelupo und das Ritual

Montelupo und die Carabinieri

Montelupo und die Schwaben

Emilia-Romagna

Notizen aus der Emilia-Romagna

Der Gang nach Canossa

Die Erfindung des Ragù alla Bolognese

Ein Marschall unter vielen

Schnuller im Wein

Veneto

Notizen aus Venetien

Dan’s Inferno

Harry’s – Die Vierzigerjahre

Harry’s – Die Neunzigerjahre

Mamma mia!

Prickelnde Aussichten

Città di Verona

Das perfekte Chaos

Kampfdegustieren mit Kari K.

Riecher und Schmecker

Skandal im Weinbezirk

Das Vermehrungswunder

Das Etikettenwunder

Das Herkunftswunder

Das Amarone-Wunder

Das Prosecco-Wunder

Das Holzwunder

Das Farbenwunder

Das finale Wunder

Der weisse Mercedes

Der Prinz auf dem Reiskorn

Das Salz der Begierde

Eine Nacht im Museum

Er sagte leise Servus

Giovanni übernimmt eine Bar

Als ich im Weinglas ertrank

Dekantiert

Das Körbchen

Rossi schenkt ein

Zia Maria

Lombardia

Notizen aus der Lombardei

Ugo tanzt

Daniele parkt

Alberto am Lago

Die Risotto-Königin

Mario macht Bio

Staatsstreich in Mailand

Zapfenstreich in Mailand

Sprudelbad und Cha-Cha-Cha

Liguria

Notizen aus Ligurien

Amici di Umberto

Liliput

Piemonte

Notizen aus dem Piemont

Mission Barolo

Trüffel und Eber

Jäger und Sammler

Tempi passati

Toscana

Notizen aus der Toskana

Die Autobahn zur Sonne

Kaderli und der schiefe Turm

Parcheggio libero

Zur goldenen Herberge

Zur kalten Herberge

Dante

Codericci und Bartiletti

Cantina aperta

Sesselrücker

Buffalo Bill

Città di Roma

Notizen aus Rom

Glanz und Gloria

Si mangia bene

Un caffè – per favore

Dieda im Palast

Ostern in Rom

Stand-by mit Samba

Sicilia

Notizen aus Sizilien

Ciao Gianni

Dolcefarniente

Katzentisch

Volare

Der Commissario

Wie der Löffel in die Spaghetti kam

Demeter, Poseidon und Zeus

Tigermücken und Mafia

Tifosi

Vorwort

Im Italienischen ist die Gross- und Kleinschrift grundsätzlich einfach: Alle Wörter werden klein geschrieben. Nur Satzanfänge, Eigennamen, Amtsbezeichnungen, Jahrhunderte, Epochen und Feiertage werden gross geschrieben.

In diesem Buch unterstelle ich alles dem Primat der Leserlichkeit und der Lesbarkeit. Es kommt somit vor, dass einzelne Schreibweisen von den Regeln abweichen.

Die in diesem Buch vorkommenden Personen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.

Das Eszett, auch scharfes ‘S’ genannt, wird in der Schweiz nicht verwendet.

Nein, nicht in den Süden!

Als ich meinen Freund Umberto wissen liess, dass wir eine Reise nach Süditalien planten, war er ausser sich. Es gelang ihm mühelos, seine vornehme Erziehung in kürzester Zeit zu vergessen; sein südlicher Teint wurde eine Spur blasser, seine Stimme senkte sich um zwei Oktaven.

«Nach Süditalien? Womöglich gar nach Apulien? Nach Kalabrien? Nach Sizilien? Nein, kommt nicht in Frage, nicht in den Süden! Ihr könnt zu mir nach Mailand kommen, auf meinem Golfplatz wohnen, jeden Abend im Salon speisen und anschliessend einen Passito di Pantelleria süffeln.»

Da mich weder die Aussicht auf einen Golfplatz noch auf einen Salon mit Passito reizte, lehnte ich sein Ansinnen ab und wiederholte meine Frage.

«Wir werden bald nach Süditalien fahren und nicht nur Apulien und Kalabrien besuchen, sondern obendrein die Abruzzen, das Molise sowie die Marken bereisen. Und Pantelleria. Kannst du mir ein paar nette Hotels empfehlen?»

«Nein. Ich werde dir keine netten Hotels empfehlen. In Afrika gibt es keine netten Hotels.»

Es ist auch für ungeübte Italienreisende unschwer zu erkennen, dass Umberto Anhänger der Lega Nord ist. Deren Anhänger würden noch so gerne Padanien, den nördlichen Teil Italiens, vom Süden abspalten. Umberto wäre somit sofort bereit gewesen, die Gebiete hinter der Porta Romana, dem südlichen Stadttor von Florenz, den Libyern abzutreten.

Dass deren Chefbeduine demnächst das Zeitliche segnen und sich mit seinen mutmasslich 99 Jungfrauen im Himmel tummeln würde, konnte er in diesem Moment noch nicht wissen.

Auf meinen Einwand hin, so schlimm könne es ja wohl nicht sein, meinte er ärgerlich:

«Es wird wesentlich schlimmer werden! In Apulien wird dich die Mafia ausrauben, in Kalabrien erschiessen und in Sizilien entführen. Man wird dich in einem alten Schafstall bei Wasser und Brot gefangen halten, dir das rechte Ohr abschneiden und ein Lösegeld verlangen.»

Da ich niemanden kannte, der für meine Freilassung aus der Geiselhaft Geld bezahlen würde, lächelte ich nur müde.

Die anderen Geschichten glaubte ich ihm auch nicht, Umberto ist ein begnadeter Geschichtenerzähler.

«Ich kenne da ein nettes Hotel in Rimini», fuhr er fort.

«Nein», entgegnete ich ihm und konnte es mir nicht verkneifen, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass es am Teutonengrill keine netten Hotels gibt.

Notizie della Puglia

Notizen aus Apulien

Lieber Umberto,

Ob du es glaubst oder nicht: Ich bin ohne deine Einwilligung nach Apulien gereist! Ich habe deine Tante, Zia Maria, besucht und in ihrem Trullo übernachtet. Sie hat mir ihren Gemüsegarten und die Olivenbäume gezeigt, ich habe von ihren Trauben genascht, einen unglaublich scharfen Peperoncino gegessen und den Duft der Zitronen und Orangen erahnt.

Der Trullo, dieses steingewordene Hexenhäuschen, hingeworfen in die archaische Landschaft Apuliens, war eine prächtige Wohnstatt, ruhiger Rückzugsort nach wilden Autofahrten.

«Diese Landschaft wurde mit Sicherheit vor dem Paradies erschaffen.»

Ein Gekritzel mit diesem Text – selbstverständlich in italienischer Sprache – habe ich auf einer alten Mauer in Ostuni, der Città bianca, der weissen Stadt, entdeckt. Der Verfasser wird wohl kaum an Mark Twain gedacht haben, der einen ähnlich lautenden Satz bei seiner Reise nach Mauritius in sein zerfleddertes Tagebuch notiert haben soll.

Aber lassen wir das. Ob vor oder nach dem Garten Eden erschaffen: Apulien verfügt über paradiesische Landschaften.

Wusstest du, dass Rudolph Valentino, der Star der Stummfilmzeit, in Castellaneta, einem Dorf zwischen Bari und Taranto, geboren wurde? Als «Scheich» im gleichnamigen Film wurde er zum gefeierten stummen Schauspieler seiner Zeit.

Auch Domenico Modugno ist ein Landsmann von dir. Geboren in Polignano war er Schlagersänger, Schauspieler und Politiker. 1958 gelang ihm mit Nel blu dipinto di blu, besser bekannt unter dem Titel Volare, der internationale Durchbruch.

Ein anderer Sänger wohnt ebenfalls in der Nähe deiner Zia: Albano Carrisi. Zusammen mit Romina Power sang er sich rund um die Welt. Ich habe ihn in Cellino besucht. Leider war nur sein Bruder dort, habe trotzdem hundert Flaschen vom Roten bestellt.

Was ich sonst noch alles in Apulien erlebt habe? Eine ganze Menge! Ich habe eine Taxifahrt in Bari überlebt und einige Tage später, mit zweihundert Italienern und Nonna Luisa, auf dem Schloss in Brindisi die Nationalhymne gesungen. Im Weiteren habe ich meinen Mietwagen abgeändert und in Otranto den Mann mit der blauen Sonnenbrille kennengelernt.

Soweit für heute. Morgen werde ich nochmals bei Zia Maria vorbeischauen. Ich soll dir ein paar Flaschen von ihrem guten Olivenöl bringen.

A presto! Bis bald!!

Torre a Mare | Provinz Bari

Taxi nach Bari

Auf dem Weg in den Süden hatten wir einen Stopp in Bari eingelegt. In einer romantischen Trattoria, nicht weit von der Stadt entfernt, assen wir herrliche Antipasti, frische Calamari und einen Piatto mit allerlei Pasta. Obwohl wir die drei Kilometer bis zum Hotel spielend zu Fuss geschafft hätten, bestellte ich beim Oberkellner ein Taxi.

Nach kurzer Zeit näherte sich ein junger Mann in Armani, Sonnenbrille und goldener Ankerkette. Sein tänzelnder Gang erinnerte mich an einen weltberühmten brasilianischen Transvestiten, ich taufte ihn deshalb auf den Namen Mambo. Die gepflegten, jedoch etwas zu öligen, schwarzen Haare fielen ihm über die Augen, so dass er sich fortwährend die Strähnen aus dem Gesicht streichen musste.

«Taxi?», fragte er – und ich wusste sofort, dass uns etwas Grauenhaftes widerfahren würde. Doch es kam noch viel schlimmer.

Nachdem er uns als Geiseln in seinen turbogeladenen Fiat eingeschlossen hatte, meinte er, dass dies seine erste Fahrt als Kutscher sei und er das genannte Hotel nicht kenne. Kaum hatten wir die Autobahn erreicht, beschleunigte Mambo auf gefühlte 220 Stundenkilometer und überholte dabei jeden, der ihm vor Korn und Kimme kam.

Er griff zum Telefonino und rief die Taxizentrale an.1

«Mimmo, wo ist das Albergo Roma? Mimmo, dove? Ich verstehe nichts! Mimmo, Mimmo! Wo? Was sagst du? Nein, das Roma! Si! No! Sississi! No, Mimmo!»

Als wir uns mit hohem Tempo der Ausfahrt Richtung Hotel näherten, versuchte ich mich bemerkbar zu machen. Im gleichen Moment meldete sich Mimmo aus der Zentrale und Mambo stieg voll in die Bremsen. Rauchend kamen wir hundert Meter nach der Ausfahrt zu stehen. Was Mambo nicht weiter irritierte.

Nachdem sich der Rauch verzogen hatte, verliessen wir die Autobahn – rückwärtsfahrend – durch die Einfahrt. Durch dieses etwas eigenwillige Fahrmanöver kam der Verkehr in Süditalien kurzzeitig zum Erliegen.

Angenehm überrascht, nicht in eine wilde Schiesserei verwickelt worden zu sein, zahlte ich Mambo gerne die fälligen 22 Euro. Es war eine wirklich gute Show.

1 Das Wort Handy wird in Italien niemand verstehen. Es heisst dort Telefonino oder Cellulare («Tschellulare»).

Brindisi Castello Svevo | Provinz Brindisi

Freunde in Brindisi

Unterwegs in Apulien: Ich lese ein Buch über Federico Secondo di Svevia, Friedrich II, den alten Staufer Kaiser, hier auch Puer Apuliae, das Kind aus Apulien, genannt. Geboren wurde er auf dem Marktplatz in Jesi, einem Dorf in den Marken, am 26.12.1194. Im Alter von 56 Jahren starb er an den Folgen einer Bauchfellentzündung in Castel Fiorentino im Norden Apuliens.

Federico Ruggero Costantino di Hohenstaufen, so sein ganzer Name, ein Enkel von Barbarossa, hat nicht nur ausgiebig der Falknerei gefrönt, sondern diese ebenso ausführlich dokumentiert. Sein reich bebildertes Werk De arte venandi cum avibus («Über die Kunst, mit Vögeln zu jagen»), wurde zum Lehrbuch über die Falknerei und die Vogelkunde.

Obwohl von Beruf Kaiser des römisch-deutschen Reichs, sowie König von Sizilien und Jerusalem, hielt er sich während seiner 39-jährigen Amtszeit beinahe dreissig Jahre in Italien auf. Besonders viel Zeit verbrachte er in seinem geliebten Apulien.

Entdeckte er bei Jagdausflügen besonders schöne Gegenden oder Orte, liess er sich umgehend ein Schloss, eine Burg oder eine wehrhafte Festung bauen. Allein in Apulien entstanden 68 Schlösser und Paläste.

Wer stand nicht schon mehr oder weniger fassungslos vor der Burg Castel del Monte nördlich von Bari und fragte sich: ‘Wie haben die das nur gemacht?!’

Auf unseren Reisen durch Italien sind wir immer wieder auf die Spuren von Federico II., seinem Grossvater Barbarossa, oder sonst einem Mitglied seiner weitverzweigten Familie gestossen. Ihre Sagen und Geschichten werden noch heute erzählt.

Der kaiserliche Knabe war bereits im Alter von fünfzehn Jahren mit der zehn Jahre älteren Konstanze, Witwe eines ungarischen Königs, in der Kathedrale von Palermo verheiratet worden. Diese Ehe hatte der Papst mit Federicos Mutter schon vor dessen Geburt vereinbart. So ging das in alten Zeiten bei Königs zu und her!

Die zweite Hochzeit indes wurde in seinem geliebten Brindisi, der Symbolstadt der Kreuzzüge, gefeiert. Diesmal hatte er die Braut eigenhändig ausgesucht: Jolanda von Brienne, Königin von Jerusalem und äusserst vermögend, war die Auserwählte. Was nicht bedeutete, dass die Dame auch lieblich und schön war. Denn Federico verschwand noch in der Hochzeitsnacht mit ihrer Cousine. Zugleich klaute er ihr in der gleichen Nacht den Titel «König von Jerusalem» und die dazugehörende Krone. Nicht die feine Art!

~

«Heute Abend essen wir mit ein paar Freunden im Castello», meinte Angelo. «Der Ministro, der Minister, wird dabei sein und der Sindaco, der Bürgermeister, von Brindisi.» Auf meine Bemerkung hin, wir hätten wohl nicht die richtigen Kleider dabei, antwortete er «Non ci sono problemi» – kein Problem. 1

«Ein paar Freunde» – so mussten wir lernen – sind in Italien mindestens zweihundert. Angelo scheute sich nicht, uns beinahe allen vorzustellen. Die Herren trugen schwarze Anzüge, die Damen mehrheitlich Gucci.

Bevor wir uns dem Carpaccio Punta d’Anca su letto di Rucola e Grana hingeben konnten, sangen wir mit Angelo und seinen Freunden die komplette italienische Hymne.

In den nun folgenden Stunden erläuterte mir mein Tischnachbar, Avvocato Montanaro, das italienische Rechtssystem; Dottoressa Canario schwärmte von Basilea und der Assessore Greco warnte mich vor Berlusconi.

Kurz vor Mitternacht und einer verheissungsvollen Burratina della Valle d’Itria con Pesto e Gherigli di Noci bat mich Ippòlito (Betonung auf dem ersten ‚O’), ihm die Vorzüge des Schweizer Steuersystems zu erklären. Ich beliess es bei einem kurzen «Non ci sono problemi», und wandte mich den Involtini di Verdure al Balsamico modenese zu.2

Zur Insalata di Mare alla Gallipolina erklärte uns eine Nonna Luisa, dass sie 1943 genau in diesen alten Mauern mit dem italienischen König, Vittorio Emanuele III., diniert habe.

Nach der Pasticcio di Lasagnette verdi al Caciucco meinte Montanaro süffisant, dass er vor einer Woche mit Papst Benedikt XVI. durch diese Hallen gewandelt sei.3

Worauf Nonna Luisa nachlegte und trotzig bemerkte: «Ich war die erste Italienerin auf dem Mount Everest!», um sich anschliessend den Laganari all’Orto del Contadino zuzuwenden.

Ich jedoch stand auf und zeigte auf meine Jeans: «Diese Hose habe ich getragen, als ich mit Wilhelm Tell über das Rütli schritt!»

«Non ci sono problemi», meinte Nonna Luisa weise, und Angelo lächelte leise vor sich hin.

1 Der vielleicht am meisten gehörte Satz während meiner Reisen durch Italien. Er kann als Antwort auf jede, noch so blöde Frage eingesetzt werden.

2 Ja, bei der Schreibweise der Gerichte handelt es sich um die Original-Abschrift. Nein, ich übersetze die Gerichte nicht ins Deutsche. Sie würden dadurch nicht besser.

3 Vorsicht Falle! Der Papa (mit Betonung auf der ersten Silbe – und grossgeschrieben) ist der Papst, beim papà jedoch handelt es sich um den Vater, er wird auf der zweiten Silbe betont. Doppelkonsonanten können ziemlich ungemütlich werden: Eine pappa ist ein Brei und wird auf der ersten Silbe betont.

Torchiarolo | Provinz Brindisi

Highnoon in Torchiarolo

«Matto! Ich brauche Pomodori für den Sugo! Fahr’ mal bitte zu unserem Gemüsegarten und hole mir welche!»

Matto zögerte nicht lange, stieg in seinen Fiat 500 und freute sich auf die kurze Fahrt Richtung Brindisi. Ihr Gemüsegarten lag an der Strada Statale, unmittelbar nach der Abzweigung nach Torchiarolo, hinter dem kleinen Anwesen seiner Schwiegermutter.1

Er setzte sich die Sonnenbrille auf, drehte den Zündschlüssel, liess den Motor kurz aufheulen und entschied sich für die Abkürzung über die alte Landstrasse zwischen Borgo Salestre und Castello Toricello. Hier war kaum jemand unterwegs, Matto drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch.

In weiter Ferne erblickte er ein entgegenkommendes Auto. Kein Problem, im Prinzip konnten sich hier zwei Autos kreuzen.

Im Prinzip.

~

«Gigi! Wir brauchen eine Kiste Wein! Fahr’ mal bitte nach Torchiarolo in die Cantina!»

Gigi zögerte nicht lange, stieg in den Fiat 500 und freute sich auf die kurze Fahrt Richtung Bari. Der Laden lag an der Strada Statale, unmittelbar nach der Abzweigung nach Torchiarolo.

Er setzte sich die Sonnenbrille auf, drehte den Zündschlüssel, liess den Motor kurz aufheulen und entschied sich für die Abkürzung über die alte Landstrasse zwischen Castello Toricello und Borgo Salestre. Hier war kaum jemand unterwegs, Gigi drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch.

In weiter Ferne erblickte er ein entgegenkommendes Auto. Kein Problem, im Prinzip konnten sich hier zwei Autos kreuzen.

Im Prinzip.

Es hörte sich an, als ob beide Autos gleichzeitig von Granaten getroffen worden wären. Die linken Seitenspiegel wurden wegrasiert, die Innenräume waren voller winziger Glassplitter. Gigi und Matto standen auf die Bremsen, ihre Autos kamen kreischend zu stehen.

Die Stille war beeindruckend, beinahe grotesk. Später soll Gigi erwähnt haben, dass sogar die Zikaden ihren Gesang – zumindest vorübergehend – eingestellt hätten. Aus der Ferne habe er möglicherweise das klagende Lied einer Mundharmonika gehört.

Matto blickte kurz in den Rückspiegel, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr auf das andere Auto zu. Knapp vor dessen Stossstange hielt er an. Matto stieg aus. Gigi stieg aus.

Sie nickten sich kurz zu, nahmen ihre Sonnenbrillen ab und begutachteten die Seitenspiegel. Anschliessend vollführten sie eine beachtliche Zahl der typisch italienischen Handbewegungen und zogen ihre Sonnenbrillen wieder an.

Man einigte sich, dass man Seitenspiegel eh nicht brauche und sie demnach nicht ersetzen würde.2

Gigi wischte die Glassplitter aus dem Innern des Wagens. Er stellte sich vor, wie sich diese Splitter in seine Augen gebohrt hätten.

Und seither wissen wir, weshalb alle Italiener immer, auch in dunkler Nacht, Sonnenbrillen tragen.

1 Kommt ein Cinquecento (Fiat 500), ein «Fünfhunderter», um die Ecke gefahren, ist ihm die Aufmerksamkeit gewiss: «Jööh! Soo schöön, herzig, niedlich, knuffig!»

«Knutschkugel» nannte ihn die NZZ. Der Designer apostrophierte sein Werk als «Haushaltsgerät auf Rädern».

Wir hingegen gaben ihm Namen wie Rennsemmel, Mussolini- oder Tschinggen-Rucksack, die Letzteren politisch selbstverständlich völlig inkorrekt. Hier die Masse des Gefährts: Länge: 297 cm, Breite: 132 cm, Höhe: 132 cm. Vorsicht: Viele Parkhäuser in Italien orientieren sich nach wie vor an den Abmessungen des Fiat 500.

2 Auf der ganzen Welt wird die Sprache manchmal durch Gesten unterstrichen, sie gehören zum Gespräch dazu. In Italien spielt die Gestik eine wesentlich grössere Rolle als beispielsweise im deutschen Sprachraum.

Am besten versuchen Ausländer erst gar nicht, die Gestik der Italiener nachzuahmen. Nicht nur, weil es lächerlich wirkt, sondern auch, weil bereits geringe Unterschiede der Gesten zu völlig anderen Resultaten führen können.

Otranto | Provinz Lecce

Strozzapreti in Otranto

Manche Menschen reisen nicht gerne nach Italien. Schon gar nicht mit dem Auto oder dem Motorrad. So erzählt Kaderli weiterhin die Legende von Opa und dessen Reise nach Italien.

«Vom Wagen meines Opas wurden alle vier Reifen geklaut! Und dies, während er oben auf dem Eiffelturm stand!»

Natürlich stand nicht Opas Wagen, sondern Opa selbst auf dem Turm; der Turm stand mit Sicherheit nicht in Paris, sondern in Pisa.

Autos, ob mit oder ohne Reifen, werden in Italien nicht häufiger gestohlen als im restlichen Europa. Und trotzdem: Besitzer von Motorrädern aus dem Hause Harley-Davidson oder anderen, zweirädrigen Statussymbolen fahren nur im Konvoi durch Italien. Sie übernachten ausschliesslich in Hotels, die schwerbewachte, gepanzerte Einstellhallen zur Verfügung stellen können.

Wurde früher tatsächlich mehr geklaut? Keine Ahnung. Aber es müsste schon sehr viel früher gewesen sein. Immerhin reise ich jetzt seit beinahe fünfzig Jahren durch Italien und nie wurde mir ein Wagen gestohlen.

Ich hatte mein Auto im Zentrum von Florenz abgestellt und es mit offenen Fenstern zwei Tage stehen lassen. Obwohl es bereits über eine Stereoanlage mit Radio und Kassettengerät verfügte, hat man diese nicht ausgebaut.

Auf der Insel Pantelleria hatte ich den Mietwagen mit offenem Verdeck im Hafen geparkt. Die Fotoausrüstung, ich hatte sie auf dem Rücksitz liegen gelassen, befand sich nach drei Stunden immer noch genau dort.1

~

Vorsichtig liess ich den Wagen auf den Parkplatz rollen. Allerdings war ich mir in diesem Moment nicht sicher, ob es sich wirklich um einen solchen handelte. Doch die verwaschenen Linien liessen zumindest erahnen, dass der grosse Platz am Hafen vor längerer Zeit zum Abstellen von Autos geplant worden war.

Der Motor lief, es war brütend heiss, ich wollte mich noch einen Moment an der kühlen Brise der Klimaanlage erfreuen. Noch hatte ich mich nicht entschieden, den Wagen überhaupt zu verlassen, wir waren nämlich umzingelt.

Vor der linken Kühlerhaube lümmelten zwei, vielleicht 14-jährige Jungs herum. Barfuss, in kurzen Hosen und verwaschenen T-Shirts, ihre strubbeligen, dunklen Haare umrahmten ungewaschen dreinschauende Gesichter, kohlenschwarze Augen blinzelten mich unsicher an.

Im Hintergrund war ein schon etwas älterer Typ zu sehen, er trug eine verspiegelte, blau gefärbte Sonnenbrille. Er steckte in modisch-kaputten Jeans, in der Hand hielt er eine Schachtel Marlboro. Als Statussymbol diente ihm ein grosser Schlüsselbund von Ferrari; das Smartphone war noch nicht erfunden worden.

Er gab sich Mühe, böse auszusehen, und ich überlegte, was zu tun sei. Weiterfahren kam nicht in Frage. Wir wollten unbedingt in die Trattoria Pescatore, und die war gerade mal hundert Meter entfernt. Einfach auszusteigen und die Jungs nicht zu beachten, schien mir keine gute Idee zu sein, ich brauchte meinen Wagen noch zur Weiterfahrt.

Also stellte ich den Motor ab, stieg aus, setzte meine Sonnenbrille auf, schloss die Türe und klimperte meinerseits mit dem Schlüssel. Um meiner Stimme eine leicht mafiöse Stimmlage zu verleihen, steckte ich mir zwei Wattebäusche hinter die Weisheitszähne.

«Ciao!», sagte ich zur blauen Sonnenbrille. «Könnt ihr auf meinen Wagen aufpassen? Wir sind im Pescatore und in zwei Stunden wieder zurück.»

Ich drückte ihm den Autoschlüssel und fünf Euro in die Hand.

Zu den Strozzapreti di Gragnano, serviert mit kleinen Tintenfischen, tranken wir ein Glas des lokalen Weissweins und warfen zwischendurch einen Blick auf unseren Wagen.2

Die Jungs hatten ihn quasi in Besitz genommen, die blaue Sonnenbrille lehnte lauernd an der Fahrertüre.

Immer wenn eine junge Frau vorbei ging, klimperte der Macho mit meinem Schlüssel, machte Bella Figura, strich sich übers Haar und tat im Übrigen nichts.3

Als ich den Wagen wieder abholte, drückte ich der Sonnenbrille einen weiteren Fünfer in die Hand.

«Arrivederci, a presto!» rief er uns nach. «Tschüss, bis bald!»

1 Wer war nicht schon im Hafen, im Porto, spazieren. Wie wunderbar und simpel ist doch dieses Wort. Aber Vorsicht: Der Hafen ist zwar un Porto, die Türe hingegen ist una Porta. Sie waren in zwei Häfen spazieren? Dann wären dies due Porti gewesen. Porti heisst jedoch auch «du bringst».

2 Wörtlich bedeuten Strozzapreti «Priesterwürger», etwa übersetzt mit: «Mögen die Pfaffen daran ersticken».

3 Das Wort Macho («Matscho») stammt aus dem Spanischen. Italiener verrenken sich auf der Strasse schon mal das Genick, wenn sie hübschen Frauen hinterherschauen und ihnen dabei ein Ciao Bella zurufen. Solche Sprüche dürfen nicht überbewertet werden, es ist absolut respektlos, weiblichen Wesen unbeachtet zu begegnen. Somit wird der routinierte Italiener nicht davor zurückschrecken, auch Donatella Versace ein Ciao Bella zuzurufen.

Fare bella figura, einen guten Eindruck machen, ist in Italien ein Muss. Man versteht darunter die Kunst gut dazustehen und nicht unangenehm aufzufallen. Man zieht sich geschmackvoll an, zeigt ein gepflegtes Äusseres, ist freundlich und benimmt sich leidlich zivilisiert.

Notizie del Molise

Notizen aus dem Molise

Heute geht’s in die Region Molise, nördlich von Apulien. Sie kennen das Molise nicht? Da sind Sie nicht der Einzige. Vielleicht sind Sie einfach zu spät geboren. Denn bis 1963 gehörte das Gebiet zur Region Abruzzen. Keine Ahnung, weshalb man unbedingt selbstständig werden wollte. Denn das Molise ist klein, winzig. Gibt man an der südlichen Demarkationslinie zu viel Gas, hat man bereits die Grenze zur Region Abruzzen überschritten.

Sie denken sicher, das mit der «Demarkationslinie» sei etwas übertrieben. Nein. Während sich das südliche Apulien fest in der Hand mafiöser Gruppierungen befindet, ist das Molise frei von solchen «Familien». Warum? Ganz einfach. Die Gegend ist arm wie eine Kirchenmaus, da gibt es nichts zu holen.

Gestern haben wir unseren Freund Bruno getroffen. Er musste mit uns auf die Tremiti-Inseln schaukeln. Es war wirklich ein Muss für ihn. Denn Bruno, wir nannten ihn aufgrund seiner Körpergrösse «Bruno, den Bären», stammt aus Campobasso, der Hauptstadt des Molise, und mag keine Inseln. Nicht weil sie Inseln sind, sondern weil man ausschliesslich mit dem Schiff dorthin kommt. Auf Schiffen aber wird ihm kotzübel. Und so sass er nun, der arme Tor, weiss und farblos wie der Geist eines im Jahre 1334 von Seeräubern dahingemeuchelten Mönchs und betete, dass dieser Tag endlich ein Ende haben möge. Er nahm letzten Endes sogar ein sehr gutes Ende. Bei einer Pizza im La Vecchia Napoli in Termoli.

~

Die Tremiti-Inseln waren immer wieder als Verbannungsort benutzt worden. So soll Kaiser Augustus eine Enkelin wegen Sittenlosigkeit hier eingelagert haben.

1911 hat Italien mehr als tausend Libyer hierher deportiert. 1987 soll Gaddafi beabsichtigt haben, die Inseln zu annektieren. Was er gottlob nicht getan hat.

Molise war immer ein Auswanderungsgebiet. So sind auch die Familien von Mario Lanza, dem berühmten Sänger und Schauspieler, sowie dessen Kollege Robert de Niro, hungerleidend in die USA geflohen.

Von de Niro soll das folgende Zitat stammen: «Die Zeit läuft. Was immer du tun möchtest, tu es. Tu es jetzt. Hör auf zu warten.»

Da ich Zitate gleicherweise für Lebensweisheiten halte, haben wir Termoli Richtung Larino verlassen und werden bei Angelo d’Uva einkehren und später in Castelvecchio übernachten.

Dort hat uns Antonio, seine Wohnung zur Verfügung gestellt. Keine Ahnung, ob er dies je wieder machen wird.

Von Mario Lanza gibt es keine Zitate. Dafür eine wunderschöne Fassung des Schmachtfetzens Arrivederci Roma.

Larino |Provinz Campobasso

Heute gefälschte Schweizer

Machen Sie sich keine Sorgen, wenn Sie diesen Namen noch nie gehört haben. Auch manche Italiener zucken beim Namen Molise nur mit den Schultern oder machen eine ihrer lustigen Handbewegungen. Die Region Molise liegt eingeklemmt zwischen Apulien, den Abruzzen, Kampanien und dem Latium. Sollten Sie es besuchen wollen, dürfen Sie nicht allzu schnell fahren und sollten frühzeitig abbremsen. Sonst werden Sie es verpassen.

Wie üblich hat mich der Wein in diese Gegend gebracht. Angelo d’Uva heisst der Winzer. Welch ein Name! Nicht Müller, Meier oder Gsell. Nein! Angelo von Traube – der Trauben-Engel!

Wir trinken herrliche Weine und man erzählt uns wunderbare Geschichten von einem ausgestorbenen Volk, das im ersten Jahrtausend vor Christus diese Gegend beherrschte.

~

Man nannte sie Osci – «Oschi». Der Einfachheit halber werde ich sie fortan «die Oskars» nennen.

Sieben Dörfer in der Hochebene von Larino standen unter ihrer Fuchtel, es muss eine wüste Bande gewesen sein. Ständig lagen sie miteinander im Krieg, raubten sich zwischendurch die Frauen, prügelten sich durch die Jahre. Nur wenn äussere Feinde drohten, schloss man kurz einen Waffenstillstand. «Ein einzig’ Volk von Brüdern» wolle man sein, schwor man kurz aber heftig und schlug alle in die Flucht. War der Feind weg, besann man sich der alten Zeiten und schlug sich wieder gegenseitig tot, brandschatzte mal hier und mal da und raubte sich gegenseitig die Frauen.

Auch im alten Rom hatte man von den Untaten dieses Völkleins gehört, und man war begeistert! Genau solche Rabauken brauchte man doch!

Eines Morgens, der erste Konsul, vielleicht hiess er Claudius Crassus, hatte eben den ersten Cappuccino des Tages geschlürft, da erinnerte er sich unvermittelt an seinen alten Kumpel Vibio.

Der kam doch aus einem dieser gottverdammten Nester! Er liess ihn zu sich holen und befahl ihm mit schneidender Stimme: «Er möge mir diese prügelnde Bande bringen, und zwar subito! Wir brauchen neues Kanonenfutter für unsere Legionen!»

Vibio liess den alten Crassus ungern warten, schwang sich noch am selben Tag auf seinen Rappen und machte sich auf den Weg.

Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, er erzählte den Jungs etwas von Jungfrauen, die sie erwarten würden, gelang es ihm, die männlichen Oskars anzuheuern, und brachte sie nach Rom.

Da sie besonders geschickte Krieger waren, wurden sie umgehend an die Front gebracht, wo sie alsbald von irgendwelchen Milizen umgebracht wurden.

Kaum hatten die Oskars eine Randnotiz in der italienischen Geschichtsschreibung hinterlassen, waren sie schon wieder ausgestorben und vergessen. Nur einer hatte überlebt. Der Oskar hiess Giuseppe und war Polizist.