In 40 Tagen um die halbe Welt - Kathrin Kaiser - E-Book

In 40 Tagen um die halbe Welt E-Book

Kathrin Kaiser

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Beschreibung

100 Dinge sind eingepackt, als ich nach 20 Monaten Vorbereitung startete. Es sollte bis an die Westküste Amerikas gehen. Ich wollte etwas von der Welt sehen, die Menschen und ihre Kulturen kennenlernen. Mich interessierte, was Eskimos essen und wie gefährlich die sagenumwobenen und gefürchteten Färöer-Inseln wirklich sind. Gefährlich wurde es mehrere Male, aber nur einmal hatte ich richtige Todesangst. Trotzdem dachte ich zu keinem Zeitpunkt daran, aufzugeben. Als ich während eines stundenlangen Tiefflugs über den eisigen Ozean völlig überraschend Wale gesehen habe, wusste ich, ich habe alles richtiggemacht. Mein kleines rotes Flugzeug erschreckte Robben auf Eisschollen, landete auf geschlossenen Pisten und flog über die Häuser amerikanischer Ex Präsidenten. Anfangs verlor ich sehr viel Gewicht, da die körperliche, aber auch mentale Belastung enorm hoch war. Ich wurde von einem Polizisten aus einer misslichen Lage befreit und ein anderes Mal entging ich knapp einer Anzeige wegen unerlaubten Falschparkens, ja das geht mit einem Flugzeug auch. Dann gewann ich in Las Vegas so viel Geld, dass es für ein ganzes Fass AvGas in Kanada reichte. Dafür verschwendete ich einmal unnützerweise Gebühren für ein FBO, nur um mal in den Arm genommen zu werden, weil mich der Flug dorthin fast gebrochen hätte. Auf Island entkam ich knapp einem Angriff von aggressiven Vögeln und einer Horrornacht in einer billigen Unterkunft. Ich flog in der Arktis über das Polareis und ein paar Tage später über die Wüste von Nevada. Mal kämpfte ich mich durch eisige Wolkenschichten mit unheimlichen Begegnungen und mal über die turbulenten Rocky Mountains, deren Ausmaß viermal so groß wie die von meinen geliebten Alpen sind. Es hatte oft Gegenwind, schlechtes Wetter, gab ständig Probleme mit dem Handy und natürlich auch technische Pannen. Manchmal gab es kein Flugbenzin, keine Hotelzimmer oder noch schlimmer, kein Internet und einmal hatte ich sogar eine Begegnung mit einer verrückten Fata Morgana. Wann immer ich landete, fand ich neue Freunde oder unerwartet Hilfe. Das Fliegen an sich ist ja nur das Handwerk, aber die Entscheidungen, die man auf so einer Reise treffen muss, verändern Einen. Nie fühlte ich mich so lebendig wie auf dieser Reise zu mir selbst, bei der ich unglaublich gewachsen bin. Ich lernte Dinge, die lernt man in keinem Theorieunterricht. Ich erlebte ein wahres, vielleicht eines der letzten Abenteuer, die man noch erleben darf. Ich würde es immer wieder tun...

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Von meinem waghalsigen Alleinflug in einer kleinen Propellermaschine über den Atlantik, das Packeis und die Wüste

Am Ende ist es die Magie, alles für einen Traum zu riskieren, den man nur selber kennt. Mein Sommer brachte mir Eisschollen und Klapperschlangen, und er roch nach Benzin. Ich flog um die halbe Welt, war allein mit Engeln und Dämonen über dem Atlantik und als ich das überlebte, war das Erste, das ich nach meiner Ankunft tat, vor Erleichterung den Boden zu küssen…

Nun, da Du weißt, wie diese Geschichte endet, könntest Du das Buch zuklappen und beiseite legen. Aber dann würdest Du nie erfahren, was mir alles unterwegs zwischen dem Packeis und der Wüste Aufregendes, Erschreckendes und Wunderbares passiert ist, als ich das wahre Abenteuer eines Sommers erlebte.

Kommt, ich nehme Euch ein Stück mit und erzähle davon. Aber seid gewarnt, es ist wie eine Achterbahnfahrt, also schnallt Euch besser an.

Für Silas und Maxim

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1: Donnerstag, der 23.06.2022

Kapitel 2: Freitag, 24.06.2022

Kapitel 3: Samstag, 25.06.2022

Kapitel 4: Sonntag, 26.06.2022 – Teil 1

Kapitel 5: Sonntag, 26.06.2022 Teil 2

Kapitel 6: Montag, 27.06.2022

Kapitel 7: Dienstag, 28.06.2022 Teil 1

Kapitel 8: Dienstag, 28.06.2022 Teil 2

Kapitel 9: Mittwoch, 29.06.2022

Kapitel 10: Donnerstag, 30.06.2022

Kapitel 11: Freitag, 01.07.2022

Kapitel 12: Samstag, 02.07.2022

Kapitel 13: Sonntag, 03.07.2022

Kapitel 14: Montag, 04.07.2022

Kapitel 15: Dienstag, 05.07.2022

Kapitel 16: Mittwoch, 06.07.2022

Kapitel 17: Mittwoch, 06.07.2022, Teil 2

Kapitel 18: Donnerstag, 07.07.2022

Kapitel 19: Freitag, 08.07.2022

Kapitel 20: Samstag, 09.07.2022

Kapitel 21: Sonntag, 10.07.2022

Kapitel 22: Montag, 11.07.2022

Kapitel 23: Dienstag, 12.07.2022

Kapitel 24: Mittwoch, 13.07.2022

Kapitel 25: Donnerstag, 14.07.2022

Kapitel 26: Freitag, 15.07.2022

Kapitel 27: Samstag, 16.07.2022

Kapitel 28: Sonntag, 17.07.2022

Kapitel 29: Montag, 18.07.2022

Kapitel 30: Dienstag, 19.07.2023

Kapitel 31: Mittwoch, 20.07.2023

Kapitel 32: Donnerstag, 21.07.2023, Teil 1

Kapitel 33: Donnerstag, 21.07.2023, Teil 2

Kapitel 34: Freitag, 22.07.2022

Kapitel 35: Samstag, 23.07.2023

Kapitel 36: Sonntag, 24.07.2022

Kapitel 37: Montag, 25.07.2023

Kapitel 38: Dienstag, 26.07.2023

Kapitel 39: Mittwoch, 27.07.2022

Kapitel 40: Donnerstag, 28.07.2022, Teil 1

Kapitel 41: Donnerstag, 28.07.2022, Teil 2

Kapitel 42: Donnerstag, 28.07.2022, Teil 3

Kapitel 43: Freitag, 29.07.2022

Kapitel 44: Samstag, 30.07.2022

Kapitel 45: Sonntag, 31.07.2022

Kapitel 46: Montag, 01.08.2022, Teil 1

Kapitel 47: Montag, 01.08.2022, Teil 2

Kapitel 48: Dienstag, 02.08.2022

Kapitel 49: Mittwoch, 03.08.2022

Kapitel 50: Donnerstag, 04.08.2022

Kapitel 51: Freitag, 05.08.2022

Kapitel 52: Samstag, 06.08.2022

Prolog

Man schaue sich dieses Meer aus dichtem Nebel unter mir an. Ist es nicht beängstigend und wunderschön? Ich kann mich gar nicht satt sehen an diesem Anblick. Soweit das Auge reicht, ist alles weiß. Die Sonne wird so stark reflektiert, dass ich meine Pilotenbrille aufsetzten muss. Wenn man die Sorge ausblendet, ob am Ende des Fluges auch wirklich der Weg nach unten frei von Wolken ist, dann kann man es genießen in all seiner Herrlichkeit. Über mir ist der Himmel strahlend blau und ich fliege in zweieinhalb Kilometer Höhe über diese geschlossene Wolkendecke, die wiederum über der Nordsee bewegungslos fast direkt auf der Wasseroberfläche festhängt. Vor einer Stunde habe ich das letzte Mal Land gesehen, als ich über Baltrum, der kleinsten der deutschen Nordseeinseln, im Steigflug war. Vor einer halben Stunde habe ich auch noch das Meer gesehen, bevor der Seenebel alles verschluckt hat. Die nächsten zwei Stunden erwarte ich nichts außer diesem Bild, was sich mir jetzt im Moment präsentiert. Als wenn eine überdimensionale Decke auf dem Meer ausgebreitet wurde und alles unter sich versteckt, wie die Offshore Inseln und die Windparks, bei denen sich an diesem Tag kein einziges Windblatt drehte.

Aber auch die Schiffe sind unter der Nebeldecke verschwunden. Wie es sich wohl anfühlen muss, auf dem Deck eines dieser Schiffe zu sein, im kühlen, grauen und feuchten Nebel und die Arbeit erledigen zu müssen? Wenn ihre Maschinenmotoren ausgeschaltet sind, hören die Seeleute mich vielleicht jetzt gerade und wundern sich, was da wohl über ihnen fliegt und sie schauen nach oben, aber können außer einer trüben Suppe nichts sehen. Und ich sehe sie auch nicht, aber ich stelle es mir vor, dass sie da unten sind. Ansonsten würde es sich anfühlen, als wäre ich ganz allein auf der Welt. Zumindest bin ich ganz allein in meinem Flugzeug. Aber da ertönt schon die Stimme des Kontrollers in meinen Kopfhörern, der mich auf die nächste Frequenz schickt, denn soeben habe ich das deutsche Territorium verlassen und befinde mich nun im Luftraum des Königreichs Dänemark. Ab jetzt funke ich in englischer Sprache und ich brauche einen Moment, um mich darauf vorzubereiten. Im Inneren gehe ich noch einmal den Einleitungsspruch durch, bevor ich auf den Knopf drücke und sage: „Copenhagen Information, Delta Echo Echo Hotel Alpha, Grumman Alpha Alpha five, one PoB, VFR Flight from Echo Delta Wiskey Fox to Echo November Zulu Victor, with Flightplan, Position DOROR in Flightlevel eight five with Squak seventousend.“ Noch immer ist es ein ungewohntes Gefühl, mich selbst so reden zu hören, schließlich war mir die englische Sprache bis vor 3 Jahren völlig fremd, da ich in der Schule nur russisch gelernt hatte. Erst durch die Fliegerei bin ich unausweichlich damit konfrontiert worden und weil für mich damals schon klar war, dass ich unbedingt über die Grenzen hinausfliegen möchte, war ich von Anfang an hochmotiviert, das englische Sprechfunkzeugnis zu erreichen. Die standardisierten Phrasen sind natürlich nur das Eine. Aber schnell erkannte ich, was für ein großartiger Gewinn es ist, wenn man in Englisch kommunizieren kann, weil sich damit ganz neue Türen öffnen lassen und man mit Menschen auf der ganzen Welt viel leichter in Kontakt kommt. Die Dame vom dänischen Air Traffic Control gibt mir lediglich einen neuen Squak, den ich sofort eindrehe und ihr bestätige und lässt mich ansonsten in Ruhe. Woher auch sollte sie um meine innere Unruhe und Vorfreude wissen, für sie war ich nur eine abstrakte Raute auf ihrem Bildschirm, der sie jetzt eine Nummer verpasste und wahrscheinlich zufrieden war, mit dem Wissen, dass sie mit mir wenig Arbeit hatte, da mir so weit draußen über dem Meer bestimmt kein anderer Sichtflugverkehr im Weg rumfliegen würde.

Höchstwahrscheinlich würde erst kurz vor meinem Ziel die Wolkenschicht aufreißen, so war zumindest der letzte Stand der Wettervorhersage, bevor ich gestartet bin. Ich musste darauf vertrauen, es blieb mir gar nichts anderes übrig. Es war windstill. Es war überhaupt still, obwohl der Motor meines Fliegers natürlich monoton vor sich hin brummte. Aber die hohe Schlagzahl an Funksprüchen, ja fast eine Dauerberieselung im Funkverkehr war wie abgeschnitten. War es beim deutschen Fluginformationsdienst noch voller Flieger mit ihren Meldungen, passierte in Dänemark irgendwie nichts. Keiner fragte nach, ob ein bestimmter Luftraum aktiv ist. Keiner sagte, dass er gerade ein Schulungsflug macht. Keiner ist auf einem Rundflug von A nach A unterwegs. Keiner meldet Sichtkontakt mit genanntem Verkehr, wovor er gewarnt wurde. Es wurden keine Frequenzen, Squawks oder QNH’s übermittelt. Gar nichts, absolute Ruhe. Es flog einfach niemand anderes in diesem Moment in diesem Bereich.

Ich verschwende keinen Gedanken an all die Bedenken, die mir mit auf den Weg gegeben wurden, was mir Schreckliches passieren könnte und, dass ich doch für meine Jungs da sein muss. Es wurde mir quasi von mehreren Seiten bescheinigt, dass ich mit dieser Unternehmung meine Kinder zu Halbwaisen machen würde. Aber ich habe mich davon freigemacht. Als alleinerziehende Mama bin ich ununterbrochen für meine Söhne da. Die beiden haben genau mitbekommen, wie sehr ich die letzten Monate dafür gelernt, trainiert, ja wirklich gekämpft habe. Sie lieben mich genug, um mir die Erfüllung dieses Wunsches zu gönnen und sind in der Zeit im Ferienlager mehr als gut aufgehoben. Kinder sehen die Welt noch so unbeschwert, zumindest so lang, bis die Gesellschaft auch sie irgendwann umerzogen hat. Aber noch verstehen sie den Wunsch, der mich sehnsüchtig in die Ferne treibt. Noch sind sie selbst neugierig genug, immer wieder Fragen zu stellen. Ich hoffe, sie behalten ihre kindliche Art so lange wie möglich und denke, erst, wenn sie aufhören, sich zu interessieren, sollte man sich Sorgen machen.

Die Argumente der Bedenkenträger, was mir doch alles unterwegs passieren könnte, verstehe ich natürlich, aber ich sehe sie auch zwiegespalten. Einerseits kommen sie von Menschen, die von ihren eigenen unzureichenden oder begrenzten Fähigkeiten ausgehen, die also jetzt noch an dem Punkt stehen, wo ich selbst, vor meiner Entscheidung, diese Reise machen zu wollen, stand. In dem Moment damals habe ich mir, bei dem Entschluss, das durchziehen zu wollen, selber fast in die Hosen gemacht aus Respekt vor dieser Herkulesaufgabe, die ab da vor mir lag. Diesen Menschen versuche ich natürlich zu erklären, dass man sich durch die bestmögliche Vorbereitung eine realistischere Sicht darauf aneignen kann. Andererseits kommen wirklich nicht wenige Kommentare von (tatsächlich ausschließlich) Männern, die einfach nur ein Problem mit ihrem Ego haben und anscheinend meine private Sache als persönliche Beleidigung wahrnehmen. Passieren kann natürlich immer und überall etwas, das muss nicht mal etwas mit Fliegen zu tun haben.

Angst wäre in jeder Situation ein gefährlicher Treiber. Sie lenkt ab vom Nachdenken. Aber jetzt lasse ich meine Gedanken störungsfrei fliegen, denn den Blick in diese unendliche Weite schweifen lassen zu können, ist wie ein tiefes Luftholen für das Gehirn, bei dem es sich auch endlich mal wieder ausbreiten kann. Dieses Gefühl konnte mir der Simulator nicht vermitteln. Tja, es gibt Dinge, die lernt man nicht im Labor. Auch meine ergonomische Sitzposition hinter dem Steuerhorn im realen Flug, fast bewegungsunfähig für viele Stunden, unterscheidet sich deutlich von dem bequemen Ledersessel vor dem Simulator mit schwenkbarer Lehne, wo man auch mal schnell auf die Stopptaste drücken kann, um auf die Toilette zu verschwinden. Ich bin mit meinen über 1,80 m hochgewachsen und eigentlich zu groß für diese Maschine. Meine Knie stoßen fast immer an die Lüftungsbox, die unter dem Panel angebracht ist. Vor 50 Jahren waren die durchschnittlichen Menschen einfach viel kleiner.

Ich befürchte eher, dass ich aus lauter Trandusseligkeit irgendwo eine Treppe runterstolpere, aber nicht, dass mein Lycomming O320, einer der zuverlässigsten jemals gebauten Motoren, versagt. Beispielsweise an jenem Morgen, als ich vor dem Einladen meiner 100 Dinge die Rückbank ausbaute, um eine größere Ladefläche zu haben und vor allem, um den Zugang zu meinem Gepäck zu erleichtern, habe ich mir doch tatsächlich eine winzige Ecke meines Schneidezahns abgebrochen. Vor lauter Aufregung war ich zu stürmisch in einer Bewegung und peng, da war‘s passiert. Nach einem kurzen, aber dafür inbrünstigen Fluch habe ich weiter gearbeitet. Es half ja nichts, ich musste fertig werden. Ändern konnte ich es ja dann auch nicht mehr. Allerdings fühle ich seitdem ständig mit der Zunge unangenehm über die scharfkantige Ecke. Behandelt bekomme ich das in den nächsten 40 Tagen sicher nicht. 40 Tage, so lange soll meine Reise dauern. In 40 Tagen um die halbe Welt

Kapitel 1 Donnerstag, der 23.06.2022

Als der Wecker klingelte, war ich schon seit einer halben Stunde auf den Beinen. Ich hatte vor Aufregung sowieso kaum geschlafen. Zu viele Gedanken waren mir mitten in der Nacht noch durch meinen Kopf geschwirrt, nachdem ich mich gestern entschieden hatte, die Abreise vorzuziehen.

Rückblende Mittwoch: Die Entscheidung treffe ich von einem Augenblick zum andern. Übermorgen ist Zeugnisausgabe und der Beginn der Sommerferien. Ursprünglich ist an diesem Freitag mein Start geplant. Aber das Wetter macht mir einen Strich durch die Rechnung. Ein riesiges Tief über Mittel- und Norddeutschland wird mich nicht mal starten lassen und würde meine Reise gleich um einige Tage verzögert. Beim Schach habe ich gelernt: Angriff ist die beste Verteidigung. Im Reitsport hat mein Trainer immer gesagt: Nur vorne gibt’s das Geld. Und auch beim Kickboxen sagt mir mein Meister ständig: Niemals zögern! Natürlich haben diese Sportarten so gar nichts mit der Fliegerei gemeinsam. Aber meine innere Einstellung ist sowieso sehr stark lösungsorientiert und von daher kommt nur der spontane Entschluss in Frage, lieber früher als später zu starten. Und wieder muss ich Menschen, von denen ich in manchen Dingen abhängig bin, überzeugen, mir zu helfen - vor allem anderen die Kinderbetreuung. Schwierig ist es immer dann, wenn mein Umfeld mit meinem Tempo nicht mithalten kann, was leider gar nicht so selten ist.

Aber diesmal kann ich alles in wenigen Stunden klären. Meine Mutter kommt, um sich der Kinder anzunehmen. Mein Chef stimmt dem einen Tag früheren Urlaubsbeginn zu. Ein paar Freunde können spontan trotzdem zum Flugplatz kommen zur Verabschiedung. Mein Lieblingstürmer in Leer-Papenburg ist sogar im Dienst, so dass ich dort noch einen Zwischenstopp einplane, statt bis Norwegen durchzufliegen. Und natürlich in Norwegen selbst muss umorganisiert werden. Der Fliegerklub ist aber zum Glück flexibel genug für meine neuen Ankunftspläne. Also habe ich einen ganzen Tag gewonnen, aber dadurch auch weniger Zeit, für meine Last Minute To-dos, was zur Folge hat, dass ich das eine oder andere nicht mehr erledigen kann. Morgen also schon wird es losgehen.

Hatte ich wirklich alles eingepackt? Ich ging die Listen schon zum x-ten Mal durch und fand immer noch Dinge, die ich für später markiert hatte. Jetzt war die letzte Chance für später. Was jetzt nicht in die Taschen kam, kam auch nicht mehr mit auf Reisen.

Zuerst aber wollte ich ein letztes Mal mit den Kindern frühstücken. Es sollte eigentlich gar nicht wie eine Abschiedsfeier wirken. Doch als sie mir beide jeweils einen Glücksbringer für meine Reise in die Hand legten, musste ich ganz schön schlucken. Meine beiden Jungs sind meistens totale Rabauken, die nur Blödsinn im Kopf haben. Aber dann überraschen sie mich zwischendurch immer wieder, wie hier, mit unerwarteten Liebesbeweisen, bei denen ich einfach dahinschmelze und ihnen alles verzeihe.

Von meinem 8-jährigen Maxim bekam ich eine selbstgemachte Kerze, ein kleines Teelicht. Oh Mann, wie goldig war das denn, als er voller Dramatik dazu sagte: „Es soll dir Licht und Wärme schenken!“ Und von meinem 14-jährigen Silas bekam ich sein heiliges Paracord-Armband aus geflochtener Fallschirmleine, welches man im Notfall zu einem reißfestem drei Meter langen Seil umfunktionieren kann. Ich liebe diese Jungs bis zum Mond und zurück.

Nachdem ich sie auf dem Weg zur Schule, naja, nicht gerade totgeknutscht, aber schon so viel abgebusselt hatte, bis auf einmal kam: „Mama, du bist peinlich!“, machte ich mich schleunigst wieder nach Hause. Ich wollte mich nur noch auf das Wesentliche konzentrieren. Es stand wirklich eine Mammutaufgabe vor mir, wenn ich bis zum frühen Nachmittag, alles schaffen wollte, um sicher loszufliegen.

Es folgten im Rekordtempo ein Wetterbriefing und die Flugplanung. Die hatte ich allerdings auch schon vorbereitet, wie im Übrigen für fast alle, bzw. sogar für alle möglichen Strecken auf meiner kompletten Route. Auch wenn ich selbstverständlich vor jedem Flug, schon allein wegen aktueller NOTAMs, die Route nochmal durchgehen musste, erleichterte es die Vorbereitung doch enorm, wenn die Grundstruktur mit allen Wegpunkten schon da war und man sich darüber nicht noch einmal den Kopf zerbrechen musste. Anzupassen gibt es natürlich immer etwas, auch diesmal. Da ich nun schon während der Woche flog, waren einige Militärzonen noch aktiv. Ansonsten gilt ja meistens: Am Wochenende ist kein Krieg! Also musste ich an den Stellen nachbessern, bevor ich die Flugpläne zur Deutschen Flugsicherung abschickte - zwei Pläne für zwei Flüge. Obwohl es nicht zwingend erforderlich war, innerhalb Deutschlands einen Plan aufzugeben, wenn man tagsüber nach Sichtflugregeln unterwegs war, wollte ich aber meine komplette Reise einheitlich dokumentieren. Und da gehörte eben der Flug von Bonn-Hangelar nach Leer-Papenburg mit dazu.

Beim finalen Wiegen, musste ich mich entscheiden, auf was ich noch verzichten konnte. Ich war immer noch mit fast 20 kg überladen, obwohl ich gefühlt schon total spartanisch gepackt hatte. Was wie eine Kleinigkeit klingt, kann durchaus fatale Folgen haben. Allein für diesen Tag waren bis 34° C vorhergesagt und mein Abflugzeitpunkt würde genau in der heißesten Tageszeit liegen, wenn die Startbahn glühte. Da tat sich ein schwächerer Flieger vollbeladen schon mal schwer mit dem Steigen, weil die Luft über so einer flimmernden Hitze einfach irgendwann nicht mehr trägt. Andererseits würden meine Kanister, die ich für besonders AvGasarme Gegenden dabei hatte, in Bonn noch leer sein, was mir wiederum Gewicht sparte und ich jetzt nicht so tun musste, als würde ich die Erdkrümmung zum Abheben brauchen. AvGas steht für Aviation Gasoline und ist das Flugbenzin, welches meine Propellermaschine mit einem Kolbenmotor benötigt.

Aber das machte tatsächlich einen riesigen Unterschied. Auch wenn die meisten der Runways genügend Länge haben, endlos sind die ja nun alle nicht. Als Erstes musste leider der sensationelle Paratec-Rettungsfallschirm dran glauben. Bei einem der Testflüge hatte ich es fast für unerträglich gehalten, zusammen mit der kompletten Survivalausrüstung, noch zusätzlich den ungewohnten Rucksack zu tragen. Natürlich verzichtete ich damit bewusst auf einen Lebensretter in einem absoluten Notfall und hätte ich Kapazitätsreserven gehabt, hätte ich ihn auch genutzt. Und trotzdem war ich fast erleichtert, als ich jetzt die 8kg von der Packliste strich.

Das gleiche Schicksal ereilte am Ende noch ein Paar Stiefel, mein Gummihammer für die Zeltheringe (ich würde es später so sehr bereuen), ein Teil vom Werkzeug, 2 von 4 Büchern, das Sixpack Wasserflaschen, einen der zwei Ersatzreifen samt Innenschlauch für das Hauptfahrwerk und die Hälfte der 20 Stück 300g Tafeln Milka Schokolade Sonderedition. Meine 50 Proteinriegel wollte ich auch schon schweren Herzens zu Hause lassen, aber beim nochmaligen Nachrechnen, löste sich das Problem auf. Und schon wenige Tage später würde ich heilfroh sein, dass ich sie dabei hatte.

Zufrieden wie immer, wenn ich irgendetwas ausgemistet hatte, sah ich meinen Gepäckberg an, der jetzt noch übrig war. Optisch war er nicht wirklich viel kleiner geworden, aber immerhin 23 kg leichter. Nachdem ich alles ins Auto gestopft hatte, war ich schweißgebadet.

Ein letztes Mal zu Hause geduscht und dann ging es los zum Flugplatz. Der Weg dorthin ist mir sehr vertraut. Hunderte Male bin ich schon über die Rheinbrücke, vorbei am Siebengebirge und bis in das beschauliche Örtchen Hangelar gefahren, an dessen nördlichen Ende sich der Flugplatz befindet. Die Fahrten dorthin sind immer begleitet von der Vorfreude auf den kommenden Flug. Egal ob das in der Ausbildung war oder bei späteren Rundflügen mit Passagieren.

Aber diesmal lag etwas ganz Besonderes in der Luft. Diesmal war die Aufregung eine Andere, denn es ging nicht einfach nur um einen Rundflug zum Kölner Dom oder in die Eifel oder einem Flug nach Koblenz in die Werft. Ich wollte nach Amerika fliegen. Ich, eine Sekretärin, eine alleinerziehende Mutter. Ich, die vor kurzer Zeit noch nichts von irgendwelchen Flugzeugen wusste, die bis dahin dachte, Pferde wären das „Nonplusultra“-Hobby. Ich, die jetzt Buch führte, über eine Haushaltskasse verfügte, um genau zu wissen, wann ich mir Flüge aus Spaß leisten konnte und wann besser nicht. Ich, die sich vor fast zwei Jahren in den Kopf gesetzt hatte, über den Atlantik zu fliegen und keiner konnte mir diesen Gedanken je wieder ausreden. Ab dem ersten Schritt der Vorbereitungen war es wie eine Schwangerschaft und nun war der Geburtstermin.

Angekommen. Ich parkte das Auto erstmal neben meinem Flieger und lud alles aus. Es hörte gar nicht mehr auf und irgendwie fühlte es sich viel zu viel an. Wie um Himmelswillen sollte ich das alles in das Flugzeug bekommen? Okay, ganz ruhig, erstmal musste eh die Checkliste abgearbeitet werden, bevor der Flieger bewegt wurde.

Da ich mir einen Hangar-Platz nicht leisten kann und die Gute immer draußen parkt, ist der Außen-Check umso wichtiger, gerade in Hinblick auf Wasser im Tank, was ja nicht nur vom Regen, sondern auch durch Kondensation kommen kann. Aber die Flügel waren vollgetankt, da war das eh unwahrscheinlicher und die Tankdeckel waren sehr dicht. Geregnet hatte es auch nicht, seit meinem letzten Flug - zwei Tage zuvor. Da hatte ich sie von der 100 Stundenkontrolle nach Hause geholt. Diese Kontrolle wäre eigentlich gar nicht dran gewesen, ich hätte noch fast 40 Stunden fliegen können. So war ich aber bestens für die Reise gerüstet und für die nächsten 100 Stunden (sogar plus 10% Überziehungsspielraum) konnte ich mich darauf berufen und war legal unterwegs.

Mein Flugzeug hat leider keine Gepäcktür an der Seite, wie die meisten anderen in ihrer Klasse. Aber das wiederum hält mich fit, wenn ich wie ein Schlangenmensch durch den Innenraum krabbele, um bis an die hinterste Tasche zu kommen. Wortwörtlich Luftsport.

In Tetris-Taktik und trotzdem unter Einhaltung der maximalen Gewichtsbelastung der einzelnen Beladungspunkte, schaffte ich es dann aber doch, mein Gepäck sinnvoll zu verstauen. Es würde ja auch nichts nutzen, wenn zum Beispiel meine Rettungsinsel nicht in Griffweite wäre. Wobei das Überlebensequipment für den Fall einer Notlandung auf dem ewigen Eis, Werkzeug und Ersatzreifen, ruhig ganz hinten sein durfte.

Gerade mal eine Stunde hatte ich für das Beladen gebraucht und war damit sehr gut im Zeitplan, aber schon wieder total durchgeschwitzt. Es war wirklich unerträglich heiß. Aber damit hatte ich ja gerechnet und holte aus dem Auto die Ersatzklamotten. Das verschwitzte T-Shirt landete mit Schwung auf der nun leeren Rücksitzbank des Wagens und danach schlug ich die Fahrertür ein letztes Mal zu. Sollte mir doch irgendetwas passieren, würde derjenige, der sich um mein Auto kümmerte, wahrscheinlich nicht sehr erfreut sein, ein benutztes und dann vielleicht sogar müffelndes Kleidungsstück vorzufinden.

Aber während ich zum Flieger lief und darüber nachdachte, entschied ich, dass es dann den Umständen entsprechend zumutbar wäre. Ich würde jetzt bestimmt nicht zurücklaufen und eine Entschuldigung danebenlegen. Obwohl, kurz zögerte ich, aber nein, dann blieb ich standhaft. In dem Moment kam sowieso Jürgen, der ehemalige Flugleiter und ein guter Freund, um die Ecke mit einem weiteren Glücksbringer für meine Reise, der mich die ganze Zeit an meinen Heimatplatz erinnern sollte. Er gab mir eine kleine Figur, einen Donald Duck in Pilotenuniform, die sonst immer auf seinem Schreibtisch stand und ich musste versprechen, dass er sie unversehrt zurückbekommen würde. Hoch und heiliges Indianerehrenwort! Es folgten letzte Umarmungen, auch von meiner Kollegin und Freundin Petra, die extra noch gekommen war, um zu winken und ein Abschiedsbild zu knipsen. Und dann stieg ich ein, einfach so und flog davon …

Die Argumente, woran ich alles sterben könnte, fallen nun von mir ab. Als ich in Bonn-Hangelar, meinem Heimatflugplatz, gestartet bin, habe ich losgelassen. Das ist mein Sommer, auf den ich mich 20 Monate vorbereitet habe. Im Vorfeld habe ich verschiedene Überlebenskurse besucht, erwarb neue Lizenzen, erledigte eine Unmenge an bürokratischen Papierkram, führte gefühlt tausend Telefonate und schrieb nochmal so viel E-Mails, sah hunderte Filme über Landungen auf den Plätzen meiner Route und flog sie im Simulator nach, besorgte das nötige Notfallequipment und bereitete meinen Körper und Geist auf Situationen vor, die hoffentlich nie eintreffen würden. Ich erfülle mir meinen Traum.

Knapp eineinhalb Stunde später setzte ich schon zur Landung in Norddeutschland auf EDWF Leer-Papenburg an und wurde herzlich von Copi begrüßt. Jeder kennt ihn, jeder mag ihn. Wir unterhielten uns eine Weile bei einem Kaffee, zu dem er mich einlud. Den obligatorischen Käsekuchen lehnte ich allerdings ab, da ich seit dem Beginn meiner Fliegerei komplett auf Zucker verzichte. Mir ist dann doch das Fliegen wichtiger als ein Stück Kuchen. Außerdem hat das zuckerfreie Leben die hervorragende Nebenwirkung, dass ich so gut wie nie müde bin. Das gibt mir wiederum die nötige Energie, die ich brauche, um das Pensum zu schaffen, was ich mir selbst aufgebürdet habe.

Er erzählte mir, wie er aktuell kämpfen muss, um den AvGas-Preis unter 3 € zu halten. Leer-Papenburg war dafür bekannt, immer einer der Top 5 der günstigsten Tankstellen in Deutschland zu sein. Aber auch hier waren inzwischen die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs angekommen. Ich war gespannt, wie sich die Preise in den nächsten Wochen weiter entwickeln würden, bis ich wieder zurückkam.

Wir haben so lange gequatscht, dass ich dann doch noch den Flugplan etwas nach hinten schieben musste. Die unausgesprochene Daumenregel besagt, wenn man den Flug nicht bis 15 Minuten Verspätung antritt, sollte man verschieben. Spätestens nach 30 Minuten verfällt er dann eh. Soweit wollte ich es natürlich nicht kommen lassen. Also schaute ich ein letztes Mal auf das Wetter und aktualisierte meine Flugprogramme mit der neuen Startzeit.

Auf meinem Handy lief ein Flugnavigations-Programm, mit dem ich, seit Beginn meiner Fliegerei, immer ausreichend und gut navigiert habe. Lediglich im Kosovo wurden mir im Jahr zuvor bestimmte Lufträume nicht angezeigt und ich hatte etwas Trouble deswegen. Da dieser Software-Anbieter allerdings Canada und Amerika nur als Experimental anbietet und keine Garantie für die Richtigkeit in diesen Ländern übernimmt, musste ich notgedrungen nach einer Alternative suchen und bin auf Foreflight gekommen. Am Anfang war es eine enorme Umstellung und ich habe mich lange gesträubt, aber wenn man sich dann mal reingefuchst hat, erkennt man schnell viele Vorteile, die ihren Nutzen später beweisen konnten. Dieses Programm lief auf meinem iPad mini, das ich am Steuerhorn befestigt hatte.

Als weiteres und letztes Back-up hatte ich tatsächlich noch Papierkarten dabei, was sich zwar sehr antik anfühlt, aber Elektronik kann ja ausfallen. Jetzt könnte man natürlich argumentieren, was man über dem Atlantik mit dieser Art der Navigation schon ausrichten kann, so ohne jegliche terrestrischen Merkmale als Orientierungshilfe. Tja, da half natürlich nur der Zeitmesser und mein Stift zum Errechnen meiner Position. Ich hatte mir im Vorfeld die Mühe gemacht, während der Simulationen damit zu trainieren, und hatte anfangs auf erschreckender Weise oft mein Ziel verfehlt. Hundertprozentig habe ich es im Übrigen nie geschafft. Aber wenn man Land erreicht, kann man sich dann ja wieder an der Küstenlandschaft orientieren. Was meinem Flugzeug an Instrumenten fehlte, musste ich eben anderweitig ausgleichen. Das ist der Unterschied zu IFR, dem Fliegen nach Instrumentenregel, bei dem man sich auch mal entspannt zurücklehnen kann, weil der Autopilot die programmierte Strecke einfach stupide abfliegt. Ich muss die ganze Zeit rechnen, neben dem Rausschauen und Steuern, aber das ist es mir wert.

„Auf Wiedersehen, lieber Copi! Ich werde mich mal zwischendurch melden, wo ich dann gerade stecke auf meiner halben Weltreise.“

Ich spüre die Stille, die nur äußerlich ist. In meinem Kopf findet ein inneres lautes Rockkonzert statt, weil meine Gefühle überquellen, vorwiegend vor Freude, aber auch vor Sorge. Ich habe schließlich einige Geheimnisse an Bord, von denen ich selbst nicht alle kenne. Wie zum Beispiel ein Brief, für den ich noch nicht bereit war, ihn zu öffnen. Und trotzdem, endlich, endlich hat mein Abenteuer begonnen. Es gibt nichts mehr, was ich jetzt noch ändern könnte. Ich bin zu der Flugreise meines Lebens aufgebrochen und für mich gibt es kein Zurück, dafür war der Preis zu hoch.

All mein Herzblut steckt in dieser Reise, die sich für mich fast ausschließlich um mein geliebtes Flugzeug dreht. Es ist eine 50 Jahre alte Grumman, eine 4-sitzige kleine einmotorige Propellerreisemaschine mit gerade mal 150 PS. Sie gehört mir und ist mein ganzer Stolz. Da gibt es keinen Autopiloten, kein Einziehfahrwerk, keine eingebaute Navigationshilfe oder irgendwelche elektrischen Hilfsmittel. Aber ich denke mir andererseits, alles, was sie nicht hat, kann auch nicht kaputtgehen und spart mir eine Menge Kosten. Meinem Flieger verdanke ich so viel neu gewonnene Lebensqualität, Freiheit, Glücksmomente, ich bin so dankbar. Allein, was ich in dieser Zeit für interessante Menschen kennengelernt habe. Sehr viele davon sind zu wirklichen Freunden geworden. Ich könnte es mir auch nicht mehr ohne sie vorstellen. Was wäre das für eine Qual, wenn man nun schon mal von dieser Frucht probiert hat und um all diese Freude weiß, die das Fliegen, erst recht im eigenen Flieger, mit sich bringt, wenn man dann auf einmal darauf verzichten müsste? Nein, auf keinen Fall! Nicht mehr zu fliegen, kommt für mich gar nicht in Frage. Ich würde sehr viel opfern, nur um in die Luft zu kommen. Und zwar am liebsten in ihr, meiner PEGASUS, die mir inzwischen so vertraut ist. Hunderte Stunden bin ich bereits mit ihr geflogen. In so kurzer Zeit habe ich schon so viele Länder mit ihr bereist, das schweißt zusammen und gibt Vertrauen. Und zwar genug Vertrauen, diese Reise anzutreten. Wahrscheinlich käme kein anderer Mensch dieser Welt jemals auf die Idee, in einem Flugzeug mit dieser spärlichen Ausstattung und der geringen Performance auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, damit über den Atlantik zu fliegen und dann auch wieder zurück. Und das nicht etwa als Ferry-Pilot, um Geld zu verdienen, sondern alles aus Spaß. Das Abenteuer, das ich suche, ist für die allermeisten eine Nummer zu viel. Zu viel an Aufwand, Anstrengung, Zeit, aber vor allem an Gefahren. Wenig andere Orte sind so unbarmherzig wie der Atlantik. Es gibt hunderte, wenn nicht tausende Möglichkeiten, einen Fehler zu machen, der dem Abenteuer ein abruptes Ende bescheren könnte. Aber ich bin so gut es nur geht bewaffnet, nicht nur mit einem Plan B, sondern auch C, D, E und F und wenn alle Stricke reißen, schüttele ich noch ein G aus dem Ärmel. Allein in der heißen Phase kurz vor dem Abflug, musste ich so vieles umorganisieren, dass so mancher da bestimmt schon die Flinte ins Korn geworfen hätte.

Ein Alarm riss mich aus meinen Gedanken. Im Display des Handys erschienen neben dem rhythmischen Piepton die Worte: Benzinhahn drehen. Stimmt, schon wieder waren 30 Minuten vergangen. Ich wischte den Alarm weg, drückte den Schalter der elektrischen Spritpumpe, schob den Benzinhahn zur anderen Seite, wartete 3 Sekunden, roch für einen kurzen Moment die vertraute AvGas-Duftnote und nahm fast unbewusst zur Kenntnis, dass sich an der Performance nichts verändert hatte. Daraufhin schaltete ich die Pumpe aus, machte mir Notizen zum bisherigen Verbrauch und setzte mir einen neuen Alarm. Fertig, abgehakt.

Ich habe für alles Mögliche Alarme oder Erinnerungen eingestellt, damit ich nichts vergesse. Denn was nützt eine Checkliste, wenn ich vergesse, drauf zu schauen. Also habe ich tatsächlich auch dafür einen Alarm. Außerdem noch für Mahlzeiten einzunehmen, eine Nachricht zu schreiben mit meinem per Satelliten unterstützen Tracker, meine Kameras zu überprüfen, den „Point of no Return“ nachzuberechnen mit dem tatsächlichen Wind und nicht mit dem aus der Vorhersage, dementsprechend das Telefonat mit dem Satellitentelefon zu terminieren und es sollten noch einige mehr dazukommen.

Ich war nun mitten über der Nordsee und hatte noch eine Flugstunde bis Sola – Starvanger, dem Flughafen im Südwesten Norwegens. Von Copenhagen Information wurde ich in die Obhut von Polaris Control übergeben und ich ließ mir von dem Fluglotsen die aktuellen Wetterdaten von meinem Zielflugplatz ansagen.

Inzwischen wurde ich etwas nervös, weil ich immer noch kein Ende der Wolken unter mir sah, was aber wohl, bei der noch zurückzulegenden Entfernung, auch klar war. Ich war nicht nervös, dass ich nicht landen könnte, Alternativen gab es einige zur Auswahl, wo ich hätte hinfliegen können. Nein, ich machte mir Sorgen, dass ich nicht in Sola landen könnte, da für dort alles geplant war.

Warum ich nicht über Schottland geflogen war, wurde ich später gefragt. Na ganz einfach, weil ich nicht getrieben wie die Ferry-Piloten sein wollte, so unter Zeitdruck, wie auf der Flucht. Sondern als Abenteurerin sehnte ich mich, neue Wege zu gehen und schöne Flecken auf der Welt zu entdecken. Aber der Hauptgrund war, dass ich während dieser Reise so viele andere Grumman-Freunde wie möglich treffen wollte. Gerade die, denen es nicht möglich war, auf meine jährliche Veranstaltung zu kommen, wollte ich besuchen und persönlich kennenlernen.

Es gibt nicht so viele Grumman wie zum Beispiel Cessnas oder Pipers. Aber das macht diese kleinere Gemeinschaft ja auch so familiär. Jeder der Besitzer ist daran interessiert, dass die wenigen übriggebliebenen Flugzeuge von diesem Typ in der Luft bleiben, also überleben und von daher ist die gegenseitige Unterstützung groß.

Über verschiedene Ecken bin ich ein halbes Jahr vorher mit Erlend in Kontakt gekommen. Er ist ein Vorstandsmitglied in einem Fliegerklub im Südwesten Norwegens, auf dem Flughafen Sola-Stavanger. Dieser Klub hatte bis vor Kurzem eine Grumman, dazu noch eine Traveler, wie ich eine habe, als Schulungsflugzeug. Es hatte sich eine nette Brieffreundschaft daraus entwickelt, die dann dazu führte, dass ich eingeladen wurde, in seinem Fliegerklub meinen ersten Übernachtungsstopp einzulegen. Die Vorfreude darauf, ihn und seine Leute kennenzulernen, war so groß, dass es mich schwer enttäuscht hätte, wenn das nicht klappen würde.

Der Lotse war, im Gegensatz zu mir, nicht sehr zuversichtlich, dass ich nach Sola durchkäme, da es sich demnächst auch dort zuziehen würde. Na, das wollte ich mir erstmal anschauen, da ich in Leer getankt hatte, konnte ich mir einen Umweg leisten und musste nicht jetzt schon die Alternative anfliegen. Vierzig nautische Meilen, ungefähr zwanzig Minuten vor Sola, wurde ich an Sola Approach vermittelt. Und dieser versicherte mir, dass der Flughafen selbst aktuell noch 100 % wolkenfrei wäre. Aber auch er bestätigte, dass von Süden her was reinkäme. Sollte es mir nicht möglich sein, wegen zu schlechter Sicht, in den vorgegebenen Höhen zu fliegen, würde er mir Sondergenehmigungen geben und mich zum Airport leiten. Solange ich aber weiterhin VMC, also Sichtwetter-Bedingungen hatte, durfte ich meinen Weg nach dem offiziellen Anflugverfahren fortsetzten. Wenn ich es aber nicht rechtzeitig schaffte, und der Flughafen plötzlich doch nicht mehr für mich erreichbar war, müsste ich nördlicher einen Flughafen wählen, zum Beispiel Bergen. Das wollte ich tunlichst vermeiden, denn was ich bei früheren Recherchen dort so an Übernachtungsmöglichkeiten gefunden hatte, war da mit hohen Unterkunftskosten zu rechnen.

Den ersten Luftraum in 3500ft konnte ich noch unterfliegen, aber schon kurze Zeit später hätte ich unter 2500ft sinken müssen und das war mir schon nicht mehr möglich. Also durfte ich in den Luftraum C eindringen, musste mich dann aber strikt an die Vorgaben des Controllers halten, da permanent IFR-Verkehr ein- und ausflog und ich den Ablauf der teils großen Passagiermaschinen somit nicht störte.

Und auf einmal, wie abgeschnitten, waren die Wolken weg. Ich flog schon längst über hügeliges Gelände, aber jetzt konnte ich es auch sehen. Und ich sah es ziemlich deutlich, ich war nämlich gar nicht so hoch darüber. Und dann sah ich den bezaubernden Hafen der Stadt Sandnes, über dem ein Pflichtmeldepunkt mit demselben Namen war. Viel zu schnell würde ich schon wieder vorbei sein und so verrenkte ich fast meinen Kopf, um alles aufzusaugen. Nach der stundenlangen Eintönigkeit, prasselten die Eindrücke auf einmal wie ein Feuerwerk auf mich ein. Schnell knipste ich ein Bild, bevor ich schon beim nächsten Pflichtpunkt, über einer Trabrennbahn, war, wo ich eine weitere Meldung machte. Daraufhin bekam ich die Frequenz vom Tower zugewiesen und dieser gab mir dann die Freigabe zur Landung auf der Piste 18.

Eben war ich noch nach Norden geflogen und hatte zum Schluss immer Rückenwind gehabt. Trotzdem war ich natürlich schneller als der Wind gewesen und konnte so ja auch die Wolkendecke überholen. Weil man immer gegen den Wind landet, musste ich nun erstmal ausholen und zwei Linkskurven fliegen. So wurde ich im Endanflug aber nicht nur ausgebremst, sondern sah jetzt auch die Wolkenkante wie eine Mauer auf mich zukommen.

Diese letzte Meile vor der Schwelle, dem frühestmöglichen Aufsetzpunkt auf der Bahn, fühlte sich spektakulär an. Ich flog im Sinkflug übers Wasser, welches von der Landebahn nur durch eine Schnellstraße getrennt war, die direkt davor auch noch überflogen werden musste, ohne dass der Verkehr stoppte. Gleichzeitig kam von vorne dieses Nebel-Monster auf mich zu, und, wie es schien, würde es das Ende der Piste früher erreichen als ich deren Anfang. Aber es war eine optische Täuschung, die mir noch über dem Wasser, kurz vor der Straße, bewusst wurde. Die Wand bewegte sich nicht schnell auf mich zu, sondern war eher statisch und die Untergrenze dieser Wolkenschicht lag bei etwa 600ft, so dass mich nichts auffressen und ich auch nicht in einen gefährlichen Blindflug geraten würde. Unter den Wolken waren gute Sichten und ich landete immer noch sicher unter blauem Himmel, rollte von der Bahn und parallel dazu auf dem Taxiway bis zum Fliegerklub.

Dort wartete Erlend bereits auf mich und neben ihm stand sein bester Freund Knut. Nach einer herzlichen Begrüßung und kurzer Zusammenfassung des Fluges, halfen mir die beiden beim Tanken. Es war zwar eine Selbsbedienungszapfsäule und ich besaß auch die erforderliche BP-Card, aber es war tatsächlich alles nur in Norwegisch angeschrieben, wovon ich kein einziges Wort verstand. Ohne Hilfe wäre ich aufgeschmissen gewesen. Nicht mal erraten können hätte ich die richtigen Tasten. Aber so war ja alles gut gegangen und dann hatten die beiden noch eine tolle Überraschung für mich.

Ein Schulflugzeug war momentan auf Reisen und ich konnte den Hangarplatz bekommen. Darüber freute ich mich sehr, schließlich waren doch noch stärker werdende Winde vorhergesagt. Das weckte unangenehme Erinnerungen an den Norwegenflug vor zwei Jahren in mir, als, nach einer heftig stürmischen Nacht in Bodø, mein Flugzeug wie mit Sandpapier behandelt dastand. Stellenweise war die Farbe großflächig abgeschmirgelt gewesen.

So aber konnte ich beruhigt sein und mich um unwichtigere Dinge sorgen wie zum Beispiel, wo ich noch etwas zu essen herbekommen würde. Als die Pegasus endlich im Hangar auf ihren Platz rangiert war und ich alle Dinge ausgeräumt hatte, von denen ich glaubte, sie für die nächsten zwei Tage zu brauchen, schlossen wir das Schiebetor. Sie bekam von mir noch einen letzten Kuss auf ihre Nase, dem Spinner, das ist die Spitze vor ihrem Propeller, weil das eine liebgewonnene Gewohnheit ist. Daraufhin quetschte ich mich an ihrer Nachbarin, einer schicken YAK, vorbei, löschte das Licht und schlüpfte durch die kleine Tür, die im Tor eingebaut war.

Inzwischen war es spät geworden, aber immer noch sehr hell. Es war ja gerade erst zwei Tage nach Mittsommer, dem längsten Tag im Jahr. Es würde also sowieso keine richtige dunkle Nacht geben, nur eine Dämmerung für gerade mal zweieinhalb Stunden. Im Fliegerklub zeigten die Jungs mir das Gästezimmer, das ich benutzen durfte. Es war ein einfacher kleiner Raum, mit einem Doppelstockbett, einem Sessel mit Fußhocker, einem Kleiderschrank und einem flachen Sideboard mit einem Fernseher darauf. Am wichtigsten aber war für mich erstmal die Steckdose; erfreulicherweise war sogar eine Verteilerdose angeschlossen. Das Zimmer war also perfekt für mich. Darauf folgte ein kleiner Rundgang durch das restliche Gebäude und während der Führung lernte ich noch ein paar andere Klubmitglieder kennen, die gerade ein Debriefing eines Schulungsfluges durchgingen. Nach der letzten viel zu kurz geratenen Nacht, der Aufregung des Tages plus der beiden Flüge, wollte ich für mich den Tag beenden.

Dann lag ich aber doch noch eine Weile wach, denn nicht nur das fremde Bett war ungewohnt, sondern auch die Situation, ohne die Kinder zu sein. Aber noch mehr beschäftigte mich das Wetter in den nächsten Tagen. Immer wieder berechnete ich meine nächste Route und spielte die Vorhersagen für verschiedene Zeiten durch, mit unterschiedlichen Wettermodellen und bei mehreren Anbietern. Es half nichts, die nächsten zwei Tage würde ich auf keinen Fall weiterfliegen können und für danach war die Prognose noch zu vage. Dann versuchte ich es mit dem Einschlafen, aber erst als ich auf die glorreiche Idee kam, das lichtdichte Rolle herunterzuziehen, klappte es auch endlich mit dem Wegdriften ins Traumland.

Kapitel 2 Freitag, 24.06.2022

Durch das leicht gekippte Fenster drang eine hauchdünne Brise des Meeres bis zu mir ins Bett unter die Decke, die ich mir bis über den Kopf gezogen hatte. Noch bevor ich die Augen öffnete, wurde mir wieder bewusst, dass ich auf einer Abenteuerreise war. Ich spürte die Erregung, die mich ergriff und brauchte genau zwei Sekunden zum Aufwachen.

Beim Anziehen roch ich allerdings auch Kaffee. Es waren also schon Schüler oder Charterer im Fliegerklub zu Gange. Sehr gut, da fiel bestimmt eine Tasse für mich ab.

Es war Freitag und somit noch ein ganz normaler Arbeitstag, aber Erlend nahm sich für mich frei und fuhr mit mir am späten Vormittag in seinem modernen Tesla in die Stadt Stavanger. Mir fiel auf, dass es hier unglaublich viele Teslas gab und Erlend bestätigte mir, dass in Norwegen schon jede zweite Neuwagenzulassung ein Elektroauto wäre und zeigte mir, wie man das an den Nummernschildern erkannte.

Wir parkten neben dem Norwegischen Erdölmuseum; ein beeindruckendes Gebäude in Form einer Ölbohrinsel. Das Museum hatte täglich von 10 Uhr bis 16 Uhr geöffnet und die Eintrittskarte kostete für einen Erwachsenen 150 Norwegische Kronen, also ungefähr 15 Euro. Öl hat diese Stadt an der Westküste als Zentrum des Petroleum-Geschäfts großgemacht. Und so erfuhr ich von der Entdeckung des Öls in der Nordsee vor gut 50 Jahren und der weiteren Entwicklung bis heute. Wir schlenderten anschließend durch die Straßen, während er mir eine Reihe von Sehenswürdigkeiten zeigte.

Da war zum einen die Skagen-Brücke, die man in der Ferne sah. Sie begrenzt die Bucht zum offenen Wasser hin. Wir liefen an einigen riesigen Ausflugsschiffen vorbei, die im Hafenbecken Vagen, auf ihre Passagiere wartend, am Kai festgemacht waren, Richtung Fischmarkt und setzten uns in eins der vielen Restaurants. Von dort hatte man einen schönen Blick über den Yachthafen und die Getreidesilos dahinter. Die Gespräche mit Erlend wurden immer vertrauter und freundschaftlicher. Er erzählte mir vom Fliegerklub und von seinen schönen Flügen, die er schon gemacht hatte; viele davon gemeinsam mit Knut, den ich am Abend zuvor kennengelernt hatte. Und ich wiederum erzählte ihm von meinen weiteren Plänen auf meiner Reise, auch, dass sich meine Abreise noch etwas hinziehen könnte. Spontan machten wir aus, den nächsten Tag für einen Ausflug zu nutzen. Aber heute hatten wir erstmal anderes vor.

Seine Freundin Solveig arbeitete nicht weit vom Fischmarkt und wir trafen uns mit ihr. Damit ich noch mehr von dem schönen Stavanger zu sehen bekam, nahmen wir zurück zum Auto einen anderen Weg durch kleine Gässchen und Nebenstraßen. Diese waren gesäumt von unzähligen weißen Holzhäuschen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, viele mit üppigen Rosenbüschen in winzigen Vorgärten. Solveig war eine ganz bezaubernde Person und es fühlte sich an, als würden wir uns schon ewig kennen. Erlend kam gar nicht mehr zu Wort, da wir beiden ununterbrochen über Gott und die Welt redeten.

Wir fuhren nicht direkt zum Flughafen zurück. Sie mussten noch einkaufen, wie sie mir sagten. Zu meiner Überraschung taten wir das bei einer der besten Metzgereien Norwegens. Der Delikatessenladen von Albert Idsøe war im Vorjahr der Gewinner eines Feinkostwettbewerbs des Landes geworden. Und ich staunte wirklich nicht schlecht, wie vorzüglich das schmeckte, als ich fast schamlos alles probierte, was man mir nun mal ebenso zum Probieren hinhielt. Alles sah wirklich sehr appetitlich aus.

Für den Abend planten die beiden eine Grillparty mit Freunden anlässlich meiner Ankunft. Ich war sehr gerührt darüber und freute mich innerlich wie ein Schneekönig, dass ich, bei so vielen verschiedenen Möglichkeiten für einen ersten Zwischenstopp auf dieser Reise, absolut richtig gewählt hatte.

Und noch einmal unterbrachen wir die Fahrt, als wir am Sola Beach vorbeikamen, einen 2 km langen Sandstrand. Niemals hätte ich diesen Anblick in Norwegen erwartet. Barfuß gingen wir, zwischen den Sonnenanbetern auf ihren Decken, durch weichen hellen Sand bis zum Meer. Unsere Füße wurden von seichten Wellen mit kleinen Schaumkronen umspült. Das Wasser war gar nicht so kalt, wie ich gedacht hätte. Und tatsächlich tummelten sich einige Mutige sogar weiter draußen im Wasser. Was man von hier nicht sah, wenn man es nicht wusste, war, dass keine 50 Meter hinter dem Strand die Landebahn 10 anfing. Sola hat zwei fast im rechten Winkel zueinander liegende Bahnen. Der Strand vor der Schwelle erinnert mich an Bilder, die ich von St. Maarten und dem Maho Beach kenne. Da, wo die Badegäste schon fast einen Sport daraus machen, so nah wie möglich zu den an- und abfliegenden Düsenjets eine standfeste Position einzunehmen. Und wenn sie nicht sogar selbst unter dem Jubel der anderen Menschen vom starken Luftstrahl der Turbinentriebwerke weggeblasen werden, dann möchten sie doch zumindest die Kleidung vom Leib gerissen bekommen. Zum Glück war wie am Vortag Südwind und ich kam nicht in Versuchung, auch diesen Blödsinn zu machen. Ich kenne mich nämlich.

Als ich später von Erlend und Knut zu dem Grillabend abgeholt wurde, kamen wir am Hafrsfjord an drei haushohen martialischen Schwertern vorbei. Wir hielten an, damit ich sie mir aus der Nähe ansehen konnte.

Ich bin fasziniert von den Wikingern und ihrer Geschichte. Hier also hatte Harald Schönhaar im Jahr 872 seine Konkurrenten geschlagen und so das Königreich geeint. Dieses Denkmal von Fritz Roed, welches 1983 eingeweiht wurde, soll unübersehbar daran erinnern. Als ich direkt davorstand, es anfasste und mich dann dagegen lehnte, bekam ich eine Gänsehaut bei dem Gedanken an so eine Schlacht, deren Ursprung wie so oft auf eine unerfüllte Liebe zurückzuführen war. Diese drei Schwerter symbolisieren Frieden, Einheit und Freiheit.

Der Abend war super schön. Die Gespräche waren locker und das Essen erste Sahne. Nach dem Dessert spazierten Solveig und ich noch ans Meer. Es hatte in den letzten Stunden schon in der Ferne geblitzt und gedonnert und die Front kam immer näher. Wir beide wollten uns vom Logenplatz aus anschauen, wie die gewaltigen Gewitterwolken an uns vorbei rollten. Ein bisschen Regen mussten wir in Kauf nehmen, aber im Grunde kamen wir unbeschadet, nur als Zuschauer, davon.

Der Regen gehört zu Stavanger wie das Öl, heißt es. Seine Bewohner wissen schon, warum sie so vieles großzügig überdacht bauen. Viele trotzen einfach dem Nieselgrau mit bunten Hausfassaden.

Es wurde sehr spät, was der Kenner natürlich an der kaum vorhandenen Dämmerung wahrnahm. Auf der Fahrt nach Hause, also ab der zweiten Nacht in derselben Unterkunft konnte man das ja wohl so nennen, sah ich in dieser Nacht sogar Sterne. Das Gewitter hatte den Himmel freigewaschen und die Luft war glasklar. Da für mich feststand, dass ich auch am Folgetag nicht nach Westen aufbrechen würde, hatte ich auch keinen Druck, mich noch um irgendetwas kümmern zu müssen und so fiel ich diesmal ruckzuck in den Schlaf.

Das Denkmal der Schlacht von 872 symbolisieren Frieden, Einheit und Freiheit

Kapitel 3 Samstag, 25.06.2022

Heute war ein Flugtag, das war gleich von Anfang an klar; wenn auch nicht in meiner Grumman und auch nicht Richtung Amerika.

Schon zur Frühstückszeit war der Fliegerklub voller Leute, wie ich erfreut feststellte, als ich aus meinem Zimmer kam. Zum einen war so viel los, weil natürlich am Wochenende die meisten Piloten nicht ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen mussten. Selbst die im Home-Office Arbeitenden waren dann wahrscheinlich froh, mal unter Menschen zu kommen. Dazu war an diesem Tag einfach eine gigantisch tolle Wetterlage wie ja so oft, nachdem ein Tief durchgezogen war. Zum anderen war aber auch viel los, weil genau zum jetzigen Zeitpunkt zwei Mitglieder des Klubs bei einem Wettbewerb mitflogen, der gerade im Sportkanal live übertragen wurde. Es war die Norwegische Meisterschaft im Präzessionsfliegen. Die Regeln waren klar. Ohne elektronisches Navigationsequipment, nur nach Papierkarte und vorher ausgedruckten Luftbildaufnahmen, musste man bestimmte Wegpunkte überfliegen und durfte dabei von einer Art Korridor nicht abweichen.

Ich war begeistert, das war ja genau mein Ding. Unwillkürlich fieberte ich jetzt mit den anderen mit, während ich meinen Kaffee schlürfte, den schon wieder irgendein Heinzelmännchen heimlich gekocht hatte. Als meine Freunde eintrafen, wurden sie herzlich von allen begrüßt und sofort redeten alle wie wild auf Norwegisch durcheinander. Ich konnte nur raten, um was es dabei ging, aber anscheinend wurden die Neuankömmlinge über den aktuellen Stand der Wettkampfteilnehmer unterrichtet. Das war schön, wenn man sah, wie so ein Fliegerklubleben verbindet.

Da ich heute auf einem anderen Platz im Raum saß als an den letzten beiden Tagen - der bequemste Sitz blieb natürlich nicht lang frei - bemerkte ich jetzt erst, dass die Räumlichkeiten des Klubs wie eine Empore direkt über einem Hangar gebaut waren. War die Seite des Eingangs fast ebenerdig, fiel das Gelände zur Rückseite stark ab. Die Fenster zu dieser Seite gingen gar nicht nach draußen, sondern gaben den Blick in eine Art Souterrain frei, wo gerade eine von zwei gleich aussehenden Tomahawks rausgezogen wurde. Es war unglaublich, dass ich so nah neben Fliegern geschlafen hatte, sogar zwei Nächte, und das jetzt erst bemerkte. Und ich fand diese riesige Halle richtig schön, sauber und voller schicker Flieger.

Ich erzählte Erlend voller Erstaunen meine Entdeckung. Daraufhin sagte er, er könne mir noch ganz andere Hangars hier auf dem Flughafen zeigen mit wirklich interessanten Fluggeräten darin. Etwas Zeit hätten wir noch vor unserem Ausflug. Solveig und Knut begleiteten uns und zu meiner Überraschung gingen wir zum Parkplatz. Der Flughafen war so groß, da hätte es ewig gebraucht, bis wir zum anderen Ende gelaufen wären. Aber genau dort wollten wir hin.

Also fuhren wir einmal komplett um das Gelände und passierten am nördlichen Ende ein Tor, zu dem die ansässigen Flugzeugbesitzer einen Schlüssel hatten. Und dann bekam ich meine ganz eigene Führung durch verschiedene Hangars. Das Highlight war eine Halle mit einigen sogar flugfähigen Warbirds, wie eine Mustang, eine Spitfire und sogar einem Fieseler Storch, der mit seiner original historischen Bemalung auf dem Seitenruder in Deutschland gar nicht fliegen dürfte.

Wahrscheinlich war es mir als Deutsche sogar verboten, überhaupt dorthin zu schauen. Aber, weil ich ja vorsätzlich nie sicher sein möchte, machte ich schnell ein Beweisfoto. Das innerliche Schmunzeln galt somit nicht dem Motiv, sondern meiner Ungezogenheit.

Das waren schon richtige Schätze, die hier parkten. Aber schließlich gingen wir in Erlends Hangar und zogen gemeinsam seine Piper Arrow heraus. Die war viel schwerer als meine und da ist dann schonmal Teamwork gefragt. Ein tolles leistungsstarkes Flugzeug hatte er da, mit 200 PS, Einziehfahrwerk und voll IFR ausgestattet. Aber ich fragte mich, ob ich mit einem so schwer zu handelnden Flieger überhaupt unabhängig genug wäre, allein zu reisen. Was, wenn ich sie irgendwo rangieren müsste und gar nicht bewegt bekäme? Aber über diese ungelegten Eier musste ich mir ja jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Ich freute mich einfach, dass die beiden mich auf einen Rundflug mitnehmen wollten. Knut war inzwischen wieder zurück zum Klub gefahren.

Witzigerweise lagen hier im Hangar oder auch im Fliegerklub überall Schwimmwesten und zum Teil auch Trockenanzüge herum. Es ist einfach selbstverständlich, von der ersten Schulstunde an, immer mit dem Notwassern zu rechnen, weil man hier ganz einfach immer über Wasser fliegt, egal in welche Richtung man unterwegs ist. Also würden sie eher blöd gucken, wenn man in Sola ohne Weste einsteigt, obwohl man nicht nur Platzrunden fliegen möchte.

Wir suchten für mich eine passende Weste heraus, bei der nicht mehr viel verstellt werden musste und, als der Außencheck erledigt war, hieß es endlich: Boarding! Solveig stieg ein und setzte sich selbstlos hinten auf die Rücksitzbank. Mir überließ sie großzügig den Copiloten-Platz. Da eine Piper ja nur eine einzige Tür hat, durch die jeder musste, der rein oder raus wollte und die sich über dem Flügel auf der rechten Seite befand, hieß das für mich, als Letzte einzusteigen.

Wir überflogen als Erstes die Stadt Stavanger und ich erkannte all die Plätze wieder, wo wir am Vortag langgelaufen waren. Es ist eine wunderschöne Hafenstadt. Die bunten Häuser am Yachthafen mit den Restaurants waren deutlich zu erkennen. Das Öl-Museum stach einem mit seiner abstrakten Bauweise gleich ins Auge. Ich sah den Fischmarkt und fand sogar das Haus, in dem der Metzger die leckeren Sachen verkaufte. Wir ließen die große Brücke rechts liegen und flogen nach Nordosten auf das Festland zu. Unter uns cruisten Motorboote in die gleiche Richtung, aber bestimmt nicht mit dem gleichen Ziel.

Erlend zeigte mir eine Insel namens Sør-hidle, die bekannt für ihre besondere Botanik war. Wir umkreisten den nördlichen Teil und er ließ mir die Zeit, den Anblick auf mich wirken zu lassen. Ein Paradies aus Wasseranlagen, Palmengärten, Parks mit unglaublicher Struktur, gesäumt von Blumen in allen möglichen Farben, weiße Sandstrände und riesige Gewächshäuser, die wahrscheinlich genauso schön befüllt waren.

Und wieder war ich von einem Anblick überrascht worden, den ich hier niemals erwartet hätte. Verband ich doch Norwegen unbewusst immer automatisch mit den schroffen und kargen Ansichten, so völlig ohne Gewächse, an die ich mich noch aus dem Trip ans Nordkap erinnerte.

Dieser Garten heißt „Flor og Fjᴂre“, was so viel heißt wie „Pflanzen und Feen“ oder „Pflanzen und Tiere“ oder auch „Flut und Ebbe“, wahrscheinlich liegt es jeweils im Auge des Betrachters.

Solveig erzählte mir, dass es dort ein hervorragendes und fast immer ausgebuchtes Restaurant gäbe, das ein sehr beliebtes Ausflugsziel auch per Boot wäre, ganz speziell für Pärchen. Das konnte ich mir sehr gut vorstellen.

Aber schon kurz nach dieser ganzen Romantik, konzentrierte ich mich wieder auf unser eigentliches Ausflugsziel, den berühmten Preikestolen. Hierbei handelt es sich um eine sich völlig von der Umgebung unterscheidende flache Felsplattform mit der Flächengröße einer Turnhalle, jedoch in quadratischer Form. Die Kanzel - die wörtliche Übersetzung lautet: der Predigerstuhl - ist auf natürliche Weise vor circa 10.000 Jahren durch eine Sprengung entstanden, als die Kanten der Gletscher bis oberhalb des Felsens reichten.

In tiefen Rissen war damals Wasser eingedrungen und gefroren. Dann trat eigentlich der gleiche Effekt ein, wie bei einigen missglückten Experimenten in meiner Kindheit, als ich mit acht oder neun Jahren, in einem bitterkalten Winter, befüllte und verschlossene Flaschen über Nacht auf den Balkon stellte, um zu beweisen, dass es nicht stimmte, was meine Erzrivalin im Unterricht erzählt hatte. Damals gab es neben einer Ohrfeige nur zerbrochenes Glas. Hier aber hatte der Gletscher ganze Arbeit geleistet, indem er blockweise Gestein absprengte und mit sich riss. Übrig blieb diese bei Wandertouristen super beliebte „Kanzel“. Denn nicht nur ihre einmalige Form war beeindruckend. Von dort aus hatte man einen unbeschreiblichen Blick auf den 40 km langen Fjord und die anderen Berge. Wer sich bis zur vorderen Kante traute, konnte über 600 Meter in die Tiefe bis zur Wasseroberfläche schauen. Natürlich nur, wenn es das Wetter zuließ. Ein paar Verrückte kamen auch bei Nebel dorthin, wahrscheinlich für spektakuläre Fotos.

Aber nicht nur Touristen zog es hierher. Filmemacher waren aufmerksam geworden auf dieses einmalige Motiv. Sei es Tom Cruise in Mission Impossible oder Ragnar Lothbrok in Vikings, diese Kulisse lieferte ihnen das I-Tüpfelchen an Dramatik. Wenn man den Felsen einmal zu Fuß besichtigen wollte, kam man tatsächlich nur über einen gar nicht mal so ungefährlichen zweistündigen Wanderweg dorthin, so weit ist der nächste Parkplatz entfernt. Über teils steile Streckenabschnitte, angelegte Bohlenwege durch morastigen Sumpf, dann durch ein Geröllfeld, an Seen vorbei und schließlich über Treppen, gelangte man zu der ungesicherten Plattform. Vom Flughafen aus waren es 50 km per Auto bis zu dem besagten Parkplatz, aber mit dem Flieger gerade mal 14 nautische Meilen Luftlinie.

Und da waren wir. Immer näher kamen wir, immer deutlicher konnte man die Menschen erkennen, die sich auf dem Preikestolen tummelten, der aussah wie ein Hubschrauberlandeplatz, nur ohne das H. Nachdem wir einige Kreise gezogen hatten, und von mir alles ausgiebig bestaunt worden war, flogen wir nach Süden bis zur Nordsee. Auf Höhe von Egersund drehten wir nach rechts und folgten der Küste heimwärts. Dieses Stück war die gleiche Strecke, wie ich sie zwei Tage zuvor auch geflogen war, aber diesmal kam ich in den Genuss, ganz wolkenfrei die Landschaft unter mir zu genießen. Was für ein toller Ausflug, ich hätte mir keinen schöneren Abschluss für meinen Aufenthalt in Norwegen, der ersten Station meiner Reise, wünschen können. Zurück im Fliegerklub schrieb ich ins Gästebuch, wie wohl ich mich hier gefühlt hätte und dass ich unbedingt nochmal herkommen wollte, und das meinte ich auch von Herzen so.

Wir zogen meine Grumman aus dem kleinen Hangar und schoben sie vor den Fliegerklub. Diese Nacht würde sie draußen stehen bleiben. Es gab kaum Wind und ich würde mir damit am nächsten Morgen eine Menge Zeit sparen. Ich kontrollierte den Ölstand und schüttete nochmal eine Flasche nach. Danach war zwar mehr als üblich drin, aber immer noch unter der Markierung für die maximale Füllmenge. Vielleicht war beim nächsten Zwischenstopp keine Zeit dafür und lieber hatte sie etwas zu viel am Anfang als zu wenig am Ende des Tages.

Einer der angehenden Piloten bot sich an, sie nochmal gründlich zu waschen. Na toll, jetzt schämte ich mich etwas. Das war eins der Dinge, die aus Zeitmangel, dem früheren Abflug geschuldet, ersatzlos auf meiner Liste gestrichen worden war, auch in der Hoffnung, dass sich vielleicht ein Regenschauer unterwegs der Sache annahm und sich das Problem so von ganz allein erledigte.

Nun fühlte ich mich ertappt, zumal Erlend und Knut neben mir standen. Aber sei es drum, da hatte ich vor mir also einen Fan - nicht von mir, aber von meinem Flieger und natürlich von der Reise, die sie antreten würde. Er beharrte darauf, dass es für ihn eine Freude wäre, wenn er sich irgendwie mit einbringen könnte. Normalerweise war ich da sehr eigen und sah es gar nicht gern, wenn ihr jemand zu nahekam. Allerdings musste ich mich später auf der Reise schneller als mir lieb war, daran gewöhnen, dass die Tage ihrer Privatsphäre gezählt waren. Aber soweit waren wir noch nicht. Wie konnte ich dem Flugschüler also diesen Wunsch ausschlagen? Erinnerte ich mich doch an die Anfänge meiner Reiterei. Ich bettelte damals förmlich danach, niedere Dienste für die Turnierreiter tun zu dürfen, und das als Erwachsene. Selbst wenn die Reiter sich damals freuten, das Geld für Stallburschen zu sparen, taten sie mir doch einen Gefallen, dass ich dem nahe sein konnte, wonach ich mich so sehr sehnte, den Pferden. Später, als ich selbst zu Turnieren fuhr, suchte ich mir gezielt solche Mädchen aus, mich zu begleiten, wo ich wusste, dass sie genauso empfanden. Also schickte ich den Jungen los, Eimer und Schwamm zu holen und freute mich auf ein sauberes fliegendes Pferd.

Nun stand mir die letzte Nacht bevor, bis zum ersten von vielen Flügen, die meiner Reise ihren Stempel aufdrücken sollten. Ab hier begann die Atlantiküberquerung! Dieses Vorhaben war für viele Piloten ein Traum, bei den allermeisten blieb er es auch. Zu groß war der Preis und damit war nicht nur das Geld gemeint.

Aber auch, denn schließlich kostet diese ganze Unternehmung mehr als das Flugzeug selbst, welches ich ja noch nicht mal abbezahlt habe. Was natürlich denjenigen, die mir mein Vorhaben selbst nach meinem Start noch ausreden wollten, ein weiteres Argument lieferte. Und nicht zuletzt hatte ich aus diesen Gründen an die hundert Gespräche geführt mit potenziellen Sponsoren.

Genau an einer Hand kann ich meine Unterstützer abzählen. Diese geringe Ausbeute zwang mich dazu, alles mit einem Kredit zu finanzieren. Bis auf diese wenigen Unterstützer hatte niemand genug Vertrauen in mein Vorhaben. Und immer wieder wirkte, neben den Bedenken „einmotorig“, „alte Kiste“ und „allein im Cockpit“, unterschwellig die Begründung mit, dass ich eine Frau bin, was mich sehr frustrierte. Schwierig war somit für mich, die Stärke aufzubringen, nach jeder weiteren niederschmetternden Absage, immer noch an mich selbst zu glauben, sowie an mein Flugzeug, und nicht aufzugeben.

Die restlichen Stunden des Tages verbrachte ich mit den Flugvorbereitungen, insbesondere mit dem Wetter. Alles lief darauf hinaus, dass ich vor 4 Uhr morgens spätestens in der Luft sein müsste. Das Sturmtief, welches die letzten beiden Tage über Deutschland gewütet hatte, zog nun von Süden her in meine Richtung und zwang mich somit ein zweites Mal, vor ihm zu flüchten. Was für eine Aufregung, wie sollte man denn da einschlafen können. Ach nein, es lag wieder am Licht. Das Runterziehen des Rollos hatte so etwas Beruhigendes an sich, dass man sich gleich eingelullt und geborgen fühlte, aber nur so lange, bis man sich den Kopf am Doppelbett stieß. Super, genau das meinte ich mit Gefahren während meines Abenteuers.

Kapitel 4 Sonntag, 26.06.2022 – Teil 1

3 Uhr morgens. Die Dämmerung konnte sich noch nicht recht dazu entscheiden, zu weichen. Ob, wegen den jetzt schon tiefen Wolken und der zu erwartenden Front, überhaupt noch mit Tageslicht zu rechnen war, blieb auch dahingestellt. Ich packte meine Taschen zusammen und versuchte, mein liebgewonnenes Zimmerchen so ordentlich wie möglich zu verlassen, damit sich auch der nächste Besucher hier wohlfühlen konnte.

Zu meiner großen Freude, kam nicht nur Erlend - einer musste mich ja auf das eingezäunte Flughafengelände lassen - sondern es kam auch Knut zu dieser unchristlichen Zeit, um sich von mir zu verabschieden. Wie drei müde Krieger torkelten wir, noch etwas schlaftrunken, zum Flugzeug, wobei zwei von uns sich ja gleich wieder hinlegen konnten. Als alles eingeladen war, zog ich mir das erste Mal auf dieser Reise meinen Überlebensanzug an - ein einfacher, wenn auch trotzdem teurer Trockenanzug. Weil er, für sich allein, aber nur trocken- und nicht warmhält, hatte ich allerlei Schichten noch untergezogen, als letzte eine Art Plüschoverall. Wie das riesige Michelin-Männchen in dem Film Ghostbusters ging ich nun ein letztes Mal auf die beiden zu und umarmte sie ganz herzlich. Bei meiner Ankunft hatte ich ihnen zur Begrüßung ein