In den Casematten Magdeburgs (Historischer Roman) - Levin Schücking - E-Book

In den Casematten Magdeburgs (Historischer Roman) E-Book

Levin Schücking

0,0

Beschreibung

Dieses eBook: "In den Casematten Magdeburgs (Historischer Roman)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "In den letzten Jahren des siebenjährigen Krieges hatte Magdeburg, die große Elbfestung, das Hauptkriegsbollwerk des preußischen Staates, nach und nach eine Menge österreichischer Kriegsgefangener aufnehmen müssen. In jenen Tagen war das Loos eines Soldaten kein beneidenswerthes; im Gegentheil, es hatte mit dem Schicksale eines geplagten Hundes weit mehr Aehnlichkeit, als mit dem einem der heiligen Taufe mit seinem richtigen Christentitel versehenen anständigen Menschen. War der Soldat namentlich einer von denen, welche man ""unsicher"" nannte, so war die von allen Philosophen jedem menschlichen Individuum eingeräumte bestimmte Sphäre von Rechten für ihn die reine Illusion; die ganze Theorie von den Rechten und Pflichten des Menschen, von denen Cicero so schön geschrieben und Kant so tiefsinnig gedacht und Mirabeau so hinreißend gesprochen hat, - diese ganze Theorie stand in unglaublicher Abkürzung, aber mit sehr deutlicher grober Schrift vom Haselstock auf seinem Rücken geschrieben."" Levin Schücking (1814-1883) war ein deutscher Schriftsteller und Journalist.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 94

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Levin Schücking

In den Casematten Magdeburgs (Historischer Roman)

e-artnow, 2015 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-4969-8

Inhaltsverzeichnis

1
2
3
4
5

1.

Inhaltsverzeichnis

In den letzten Jahren des siebenjährigen Krieges hatte Magdeburg, die große Elbfestung, das Hauptkriegsbollwerk des preußischen Staates, nach und nach eine Menge österreichischer Kriegsgefangener aufnehmen müssen. In jenen Tagen war das Loos eines Soldaten kein beneidenswerthes; im Gegentheil, es hatte mit dem Schicksale eines geplagten Hundes weit mehr Aehnlichkeit, als mit dem einem der heiligen Taufe mit seinem richtigen Christentitel versehenen anständigen Menschen. War der Soldat namentlich einer von denen, welche man „unsicher“ nannte, so war die von allen Philosophen jedem menschlichen Individuum eingeräumte bestimmte Sphäre von Rechten für ihn die reine Illusion; die ganze Theorie von den Rechten und Pflichten des Menschen, von denen Cicero so schön geschrieben und Kant so tiefsinnig gedacht und Mirabeau so hinreißend gesprochen hat, – diese ganze Theorie stand in unglaublicher Abkürzung, aber mit sehr deutlicher grober Schrift vom Haselstock auf seinem Rücken geschrieben. Dem „Halbvertrauten“ ging es nicht viel besser, und nur dem „Ganzvertrauten“, dem mit Weib und Familie versehenen eingeborenen Landeskind sah man wohl etwas durch die Finger, wenn ihn einmal das ungerechtfertigte Verlangen anwandelte, sich als Menschen zu fühlen, und wenn dies natürlich nicht zu oft vorkam. Man hatte ihn nöthig, um den Kerkermeister der Uebrigen zu machen!

Das ganze System schien darauf berechnet zu sein, für die mörderischen Schlachten jener Zeit möglichst viel ganz desperater Kerle zu bekommen, welchen ihr Leben völlig leid geworden und die es mit Gewalt in die Schanze schlagen und los sein wollten.

Wie es unter solchen Umständen den Kriegsgefangenen erging, bedarf der Schilderung nicht. In dunkle Casematten eingepfercht, wie eine Heerde behandelt, nur mit dem Unterschiede, daß man die letztere aus ökonomischen Gründen gut zu ernähren suchte, die Gefangenen aber, ebenfalls aus ökonomischen Gründen, hungern ließ, – unter der milden Obhut von Festungsbehörden stehend, deren väterlichste Zurechtweisungen bei Unordnungen und Balgereien um den Suppentopf darin bestanden, daß sie die Schildwachen ihre Musketen in den dicksten Haufen hinein abfeuern ließen – waren diese Unglücklichen in der That oft übler daran, als heutzutage die Galeerensclaven des Dey’s von Tunis. Die einzige Erleichterung für sie bestand darin, wenn sie aus ihren Casematten herausgeführt und mit Schanzarbeiten an den Wällen oder auch wohl mit Lohnarbeiten für Privatleute beschäftigt wurden, wo sie wenigstens frische Luft und Sonnenschein genießen, wenig arbeiten, kleine Complotte mit den Schildwachen anspinnen und die Begegnenden anbetteln oder verhöhnen konnten.

Es war an einem Sommertage des Jahres 1762, in den Morgenstunden, als solch eine Schaar von mehreren Hunderten österreichischer Gefangener, nach Ausweis ihrer zerlumpten Uniformstücke allen möglichen Truppentheilen angehörig, aus der niedrigen Doppelthüre einer Casematte hervorströmte, welche sich in der Sternschanze der Festung Magdeburg befand. Als die Colonne zwischen ihren Wächtern den Marsch zum Arbeitsplatz antrat, blieb der Lieutenant, welcher die kleine und auffallend schwache Escorte befehligte, auf der Schwelle stehen und sagte, in das Innere der Casematte gewendet: „Wollen Sie nicht mit heraus, Herr von Frohn?“

„Heut nicht!“ antwortete eine tiefe Männerstimme aus dem Innern.

„Es wäre uns lieb, wenn Sie bei dem Volke blieben und mir beiständen, die Canaillen in Ordnung zu halten!“

„Sehen Sie, wie Sie fertig werden – ich habe keine Lust,“ antwortete die Stimme.

„Nun, wie Sie wollen!“ rief der Lieutenant aus. „Corporal, schließ Er!“

Ein Corporal trat hinter dem Lieutenant aus dem Innern hervor, und während der Officier dem Trupp nachschritt, schloß jener das Thor der Casematte. Der im Innern des niedrigen, langen, durch einige Luftlöcher schlecht beleuchteten Raumes Zurückgebliebene stand jetzt von der Matratze auf, die am Ende der Casematte für ihn hingelegt war, und auf der er ausgestreckt gelegen hatte. Es mußte das eine Art Ehrenauszeichnung für ihn sein – die andern Gefangenen hatten nur das Stroh zum Lager, welches den Boden bedeckte. In der That zeigte seine Uniform, obwohl auch sie sich in sehr trümmerhaftem Zustande befand, daß er Officier in der kaiserlichen Armee sein mußte. Als er sich erhoben hatte und seine Glieder streckte, zeigte sich der mächtige herkulische Wuchs des Mannes. Er war vielleicht sechs Schuh hoch; die ganze Gestalt verrieth eine außergewöhnliche Körperkraft, und das Gesicht, dem die Haft freilich viel von der ursprünglichen Farbenfrische genommen haben mochte, zeigte doch edle, stolze Züge von großer Regelmäßigkeit und wahrhaft männlicher Schönheit.

Er nahte sich jetzt der eben verschlossenen Thüre und schien zu horchen, bis die Schritte der Abziehenden verhallt waren; dann ging er eine Weile auf und ab, und endlich wandte er sich zu seiner Matratze zurück. Nachdem er an einer Ecke derselben eine Naht leicht mit dem Finger gelöst hatte, zog er aus dem Stroh, welches sie füllte, einen zinnernen Becher hervor, den er lange aufmerksam betrachtete. Der Gegenstand verdiente in der That diese Betrachtung. Seine Oberfläche war durch Linien in sechs größere und acht kleinere Felder getheilt, und in jedes dieser Felder waren merkwürdige Darstellungen gravirt, die in dem Künstler eine eigenthümlich phantastische und allegorienliebende Denkweise erkennen ließen und in Erstaunen setzten über die Fruchtbarkeit seines Gehirns an solchen Erfindungen. Unter den einzelnen Bildwerken befanden sich gereimte Verse zur Erläuterung derselben; diese Unter- und Inschriften bedeckten die Ränder, den Fuß, die untere Seite, ebenso war der Deckel mit Gravirungen von innen und außen bedeckt. Zumeist waren diese Verse so mikroskopisch klein geschrieben, daß unser gefangener Officier darauf verzichten mußte, sie zu lesen. Andere enträthselte er jedoch, und er fand, daß diese Ergüsse nicht ohne poetischen Werth seien. Eines der Bilder stellte im fernsten Hintergrunde auf einem Hügel einen strahlenumflossenen Tempel dar, über dem ein beflügeltes Roß zum Himmel schwebt. Auf dem Wege zu dem Tempel schleppt sich ein mit Ketten beladener Mann unter einem schweren Kreuze hin, gedrängt von einem Schergen, der einen Stock schwingt, über welchem das Wort: „Ordre“ zu lesen ist. Hinter dem Dulder aber taucht der Gott der Zeit auf, mit einem Kranze, dessen Bedeutung die Worte: „le prix des travaux“ andeuten.

Unter dieser Darstellung erblickt man einen Kerker, in welchem ein mit vielfachen Ketten und Fesseln angeschlossener Gefangener sitzt, mit der Unterschrift: „ecce homo“ Er hält ein Herz in seiner Hand, worüber die Worte: „sans reproche“ zu lesen sind. Hinter ihm steht eine böse Furie mit Schlangenhaar und Fackel und einem Hunde, daneben die Legende: „mordons-le!“ Vor ihn aber ist eine weibliche Gestalt getreten, mit einem Lichte in der Hand, ohne Zweifel die Göttin der Weisheit mit dem Lichte der Vernunft. Unter dem Fenster des Kerkers schwebt ein Genius mit der Erdkugel, dem Bilde der Welt, und spricht, wie zu Fluchtversuchen zu verlocken: „viens jouir!“ Die Verse unter dieser Darstellung lauteten:

Mag das Wetter immer stürmen, Tiefer Raum kann mich beschirmen, Hier erwart’ ich bessre Zeit! Wenn die Schicksalswetter schrecken, So soll mich mein Herz bedecken, Scheint dir Hülfe noch so weit. – Wenn die Sonne wieder scheint, O wie süß riecht dann die Erde! Wenn das Auge nicht mehr weint, Was ist Kummer, was Beschwerde? Nur ein Traum, der uns vergnügt, Wenn der Kämpfer rühmlich siegt! –

Waren diese Bilder und Inschriften in der That geeignet, durch die Feinheit und Regelmäßigkeit der Ausführung, so wie durch die Erfindungsgabe, welche sich darin zeigte, Bewunderung zu erregen, so war die Bewunderung eine doppelte bei unserem österreichischen Lieutenant, dem die Person, welche ihm den Becher geschenkt hatte, die Versicherung gegeben, daß der Verfertiger desselben in einem schlecht erhellten Kerker sitze, daß er die Arbeiten mit einem Nagel, den er sich spitz geschliffen, ausführe und daß eine zwischen seinen Handschellen befestigte Stange ihn am freien Gebrauch seiner Hände hindere.

Den Namen des Gefangenen hatte er noch nicht erfahren können. Die Existenz dieses Menschen schien geflissentlich mit Geheimnissen umgeben zu werden.

„Wenn ich nur Mittel und Wege wüßte, mit einem Menschen in Verbindung zu kommen, der solche Becher macht,“ sagte der österreichische Officier halblaut für sich. „Es muß ein äußerst anschlägiger und geriebener Patron sein, der mir trefflich dienen könnte. Aber der Teufel weiß, wo sie ihn hingethan haben!“

Nach einer Weile verbarg er den Becher wieder in dem Stroh und zog nun eine Hand voll zerrissener, mit Linien bedeckter Papierstücke aus demselben Versteck hervor. Er legte sie nach einer gewissen Ordnung vor sich nieder – sie bildeten nun etwas wie eine zusammenhängende Zeichnung, welche offenbar den Plan einer Festung darstellte – nur hie und da fehlte noch ein Stück, bald in der Mitte, bald an den Ecken. Der gefangene Officier vertiefte sich in das Studium desselben, wie vorhin in das des Bechers; er stand dann von der Matratze auf, und nachdem er die Schnalle seiner Weste gelöst hatte, begann er mit dem Dorn derselben den ganzen Plan möglichst genau auf die mit schwarzem Leder überzogene innere Fläche seiner Dragoner-Mütze zu kritzeln.

Von Zeit zu Zeit hielt er mit dieser Arbeit inne, um aufzublicken und mit angehaltenem Athem zu lauschen. „Der Maulwurf wühlt!“ sagte er endlich.

Nach einer Pause legte er sich der Länge nach nieder, das Ohr dicht an den Boden gedrückt. Als er sich erhob, flüsterte er: „Es kann nicht lange währen, bis der Patron sich bis hierher durchgearbeitet hat. Es wird eine komische Scene werden, wenn er den Kopf in die Casematte steckt und ich ihm hier „Guten Morgen, Camerad!“ sage. Ich werde ihn zum Chef des Minircorps ernennen, sobald ich Gouverneur von Magdeburg bin. Aber wo bleibt heute mein dienstthuender Adjutant?“

Er versteckte jetzt sorgfältig die Papierfragmente, schob die Matratze an ihren Platz und trat an eines der kleinen vergitterten Fenster oder Luftlöcher, die durch die dicken Mauern gebrochen waren. Nach einer Weile sah er die Gestalt einer auf- und abwandelnden Schildwache daran vorüberschreiten und rief sie an.

„Heda, Wache, welche Stunde ist’s?“

„Die Uhr wird sogleich zehn schlagen.“

„Und das Wetter wird den Traiteur auf den Kopf schlagen, daß er mein Frühstück nicht sendet. Meint der Schuft, ich habe hier so viel Zeitvertreib, daß ich darüber das Essen vergesse?“

„Dort kommt die Esther,“ sagte die Schildwache und schritt weiter.

In der That klirrte nach einer Weile das Schloß der Casemattenthüre; sie wurde geöffnet, und ein Unterofficier wurde auf der Schwelle sichtbar. Hinter ihm trat ein junges, schlankes, schwarzlockiges und die jüdische Abstammung verrathendes Mädchen in die Casematte, und während der Unterofficier wieder verschwand, weil ihm die frische Luft und der Sonnenschein draußen angenehmer sein mochte, als die durchaus nicht reine Atmosphäre, welche in der Casematte herrschte, brachte das Mädchen einen kleinen Korb herbei, den sie vor dem gefangenen Officier niedersetzte.

Dieser umschlang mit seinem rechten Arm ihre Taille und hob mit der Linken ihr Kinn in die Höhe, um sie auf die schöne schmale Stirn zu küssen. Denn Esther Heymann, das Judenmädchen, welches für die leiblichen Bedürfnisse des Gefangenen Sorge trug, hatte in der That eine Stirn, welche ein eben nicht mit wichtigeren Dingen beschäftigter Officier wohl in Versuchung kommen konnte, zu küssen, und das um so mehr, als sie es sich, dem Anschein nach mit großer Hingebung, gefallen ließ. Er küßte dann ihren vollen rosigen Mund und blickte ihr in die schönen, dunklen, feuchtglänzenden Augen.

„Hat je ein Festungsgouverneur einen schöneren Adjutanten gehabt?“ flüsterte der Officier.