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Vom Autor des Bestsellers »Der Schneeleopard«: Wie man in Weltabgeschiedenheit und Einsamkeit glücklich werden kann
»Ich hatte mir vorgenommen, vor meinem 40. Geburtstag als Eremit in den Wäldern zu leben, und zog für sechs Monate in eine Hütte am Ufer des Baikalsees. Das nächste Dorf 120 Kilometer entfernt, keine Nachbarn, keine Zugangsstraßen, gelegentlich ein Besuch. Im Winter Temperaturen um die minus 30 Grad, im Sommer Bären an den Ufern. In dieser Wildnis – mit nichts mehr als zwei Hunden, einem Holzofen und einem Fenster mit Blick auf den See – schuf ich mir ein schlichtes und schönes Leben, ich machte die Erfahrung eines aus einfachen Handlungen bestehenden Daseins. Jeden Tag schrieb ich meine Gedanken in ein Heft. Dies ist das Tagebuch meines Einsiedlerlebens.«
Sylvain Tesson ist Gewinner des ITB BuchAward 2024 in der Kategorie »Lifetime Award« für sein bisheriges Werk, insbesondere für die Titel »In den Wäldern Sibiriens« und »Auf versunkenen Wegen«.
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Seitenzahl: 315
Sylvain Tesson
IN DEN WÄLDERN
SIBIRIENS
Tagebuch aus der
Einsamkeit
Aus dem Französischen
von Claudia Kalscheuer
Knaus
Das Original erschien 2011 unter dem Titel
Dans les forêts de Sibérie bei Gallimard, Paris.
Dieses Buch erhielt eine Förderung des französischen Außenministeriums,
vertreten durch die Kulturabteilung der französischen Botschaft in Berlin.
1. Auflage
Copyright der Originalausgabe © Éditions Gallimard, Paris, 2011
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2014
beim Albrecht Knaus Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Lektorat: Bernd Degner
Gesetzt aus der Stempel Garamond von
Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-12600-1
www.knaus-verlag.de
Für Arnaud Humann
Denn ich gehöre den Wäldern und der Einsamkeit.
Knut Hamsun, Pan
Die Freiheit gibt es immer. Man muss nur den Preis
für sie entrichten.
Henry de Montherlant, Tagebücher 1930–1944
Inhalt
Randnotiz
FEBRUAR · Der Wald
MÄRZ · Die Zeit
APRIL · Der See
MAI · Die Tiere
JUNI · Die Tränen
JULI · Der Frieden
Dank
Randnotiz
Ich hatte mir vorgenommen, vor meinem 40. Lebensjahr als Eremit in den Wäldern zu leben.
Ich zog für sechs Monate in eine sibirische Hütte am Ufer des Baikalsees, an der Spitze des Nördlichen Zedernkaps. Das nächste Dorf 120 Kilometer entfernt, keine Nachbarn, keine Zugangsstraßen, gelegentlich ein Besuch. Im Winter Temperaturen um die minus 30 Grad, im Sommer Bären an den Ufern. Kurz, das Paradies.
Ich nahm Bücher mit, Zigarren und Wodka. Alles Übrige– die Weite, die Stille und die Einsamkeit– war schon da.
In dieser Wildnis schuf ich mir ein schlichtes und schönes Leben, ich machte die Erfahrung eines aus einfachen Handlungen bestehenden Daseins. Im Angesicht von See und Wald betrachtete ich das Vorüberziehen der Tage. Ich hackte Holz, angelte mein Abendessen, las viel, wanderte durch die Berge und trank am Fenster Wodka. Die Blockhütte war ein idealer Beobachtungsposten, um noch die kleinste Bewegung der Natur zu erfassen.
Ich erlebte den Winter und den Frühling, das Glück, die Verzweiflung und am Ende den Frieden.
In der tiefsten Taiga verwandelte ich mich. Die Bewegungslosigkeit gab mir, was das Reisen mir nicht mehr verschaffen konnte. Der Geist des Ortes half mir, die Zeit zu zähmen. Meine Einsiedelei wurde zum Laboratorium dieser Wandlungen.
Jeden Tag verzeichnete ich meine Gedanken in einem Heft.
Dieses Tagebuch eines Einsiedlerlebens halten Sie in Händen.
S. T.
FEBRUAR · Der Wald
Die Marke Heinz vermarktet etwa fünfzehn verschiedene Saucen. Der Supermarkt von Irkutsk führt sie alle, und ich kann mich nicht entscheiden. Ich habe schon sechs Einkaufswagen mit Nudeln und Tabasco beladen. Der blaue Lastwagen wartet auf mich. Mischa, der Fahrer, hat den Motor nicht abgestellt, draußen herrschen minus 32 Grad. Morgen verlassen wir Irkutsk. In drei Tagen werden wir die Blockhütte am Ostufer des Sees erreichen. Ich muss heute mit den Einkäufen fertig werden. Ich wähle die »Super Hot Tapas« aus dem Heinz-Sortiment. Ich nehme 18 Flaschen davon: pro Monat drei.
Fünfzehn Sorten Ketchup. Wegen solcher Dinge wollte ich dieser Welt den Rücken kehren.
9. Februar
Ich liege auf meinem Bett in Ninas Haus, in der Straße der Proletarier. Ich liebe die russischen Straßennamen. In den Dörfern findet man die »Straße der Arbeit«, die »Straße der Oktoberrevolution«, die »Straße der Partisanen« und manchmal eine »Straße des Enthusiasmus«, auf der graue alte Slawinnen träge ihrer Wege gehen.
Nina ist die beste Zimmerwirtin von Irkutsk. Früher war sie Pianistin und trat in den Konzertsälen der Sowjetunion auf. Jetzt führt sie eine Pension. Gestern hat sie mich gefragt: »Wer hätte gedacht, dass ich mich eines Tages in eine Pfannkuchenfabrik verwandeln würde?« Ninas Kater schnurrt auf meinem Bauch. Wenn ich ein Kater wäre, wüsste ich, auf welchem Bauch ich mich wärmen würde.
Ich stehe kurz vor der Erfüllung eines sieben Jahre alten Traumes. 2003 war ich zum ersten Mal am Baikalsee. Ich wanderte am Ufer entlang und entdeckte in regelmäßigen Abständen Blockhütten, bewohnt von seltsam glücklichen Einsiedlern. Die Vorstellung, mich unter dem Blätterdach der Hochwälder zu verkriechen, allein, in der Stille, setzte sich in mir fest. Sieben Jahre später bin ich nun hier.
Ich muss die Kraft finden, den Kater wegzustoßen. Aus dem Bett aufzustehen verlangt eine ungeheure Energie. Vor allem, um ein neues Leben zu beginnen. Dieser Drang kehrtzumachen, wenn das, was man ersehnt, zum Greifen nah ist. Manche Menschen machen im entscheidenden Moment eine Kehrtwende. Ich habe Angst, zu dieser Sorte zu gehören.
Mischas Lastwagen ist vollgepackt bis obenhin. Bis zum See sind es fünf Stunden Fahrt durch vereiste Steppen: eine Seefahrt durch Wellenberge und -täler einer versteinerten Dünung. Am Fuß der Hügel rauchen Dörfer, auf Untiefen gestrandete Schwaden. Angesichts solcher Bilder schrieb Malewitsch: Wer je Sibirien durchquert hat, wird nie wieder nach Glück streben können. Als wir die Kuppe eines Hügels erreichen, liegt der See plötzlich vor uns. Wir halten an, um zu trinken. Nach vier Gläsern Wodka die Frage: Durch welches Wunder schmiegt sich die Küstenlinie so vollkommen den Konturen des Wassers an?
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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