In den Weiten des Meeres - Nina Barth - E-Book

In den Weiten des Meeres E-Book

Nina Barth

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Beschreibung

Mike lebt ein glückliches Leben in New York City. Seiner Meinung nach die tollste Stadt der Welt. Mitten in seinem Abschlussjahr muss er jedoch umziehen auf eine kleine Insel in England. Zu Beginn ist Mike abgeneigt gegen alles, doch als er Mariella kennenlernt, stellt sie seine Welt völlig auf den Kopf. Sie hat etwas an sich, dass Mike schwach werden lässt. Doch sie hat ein Geheimnis, das zeigt, dass sie beide aus zwei Welten kommen. Kann so eine Liebe funktionieren?

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Seitenzahl: 450

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Für Alex, der mir zeigt was Liebe ist. Und für meine Eltern. Danke für alles.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1: Mike

Kapitel 2: Mike

Kapitel 3: Mike

Kapitel 4: Mike

Kapitel 5: Mariella

Kapitel 6: Mike

Kapitel 7: Mike

Kapitel 8: Mike

Kapitel 9: Mike

Kapitel 10: Mariella

Kapitel 11: Mike

Kapitel 12: Mariella

Kapitel 13: Mike

Kapitel 14: Mariella

Kapitel 15: Mike

Kapitel 16: Mike

Kapitel 17: Mariella

Kapitel 18: Mike

Kapitel 19: Mariella

Kapitel 20: Mike

Kapitel 21: Mike

Kapitel 22: Mike

Kapitel 23: Mike

Kapitel 24: Mike

Kapitel 25: Mike

Kapitel 27: Mike

Kapitel 28: Mariella

Kapitel 29: Mariella

Kapitel 30: Mariella

Kapitel 31: Mariella

Kapitel 32: Mariella

Kapitel 33: Mariella

Kapitel 34: Mariella

Kapitel 35: Mariella

Kapitel 36: Mariella

Kapitel 37: Mike

Kapitel 38: Mariella

Kapitel 39: Mike

Kapitel 40: Mariella

Kapitel 41: Mariella

Kapitel 42: Mariella

Kapitel 43: Mariella

Kapitel 44: Mariella

Kapitel 45: Mike

Kapitel 46: Mariella

Kapitel 47: Mariella

Kapitel 48: Mike

Kapitel 49: Mariella

Kapitel 50: Mariella

Kapitel 51: Mariella

Kapitel 52: Mike

Kapitel 53: Mariella

Kapitel 54: Mike

Kapitel 55: Mariella

Kapitel 56: Mariella

Kapitel 57: Mariella

Kapitel 58: Mariella

Kapitel 59: Mariella

Kapitel 60: Mike

Kapitel 61: Mariella

Kapitel 62: Mike

Kapitel 63: Mariella

Kapitel 64: Mariella

Kapitel 65: Mariella

Kapitel 66: Mariella

Kapitel 67: Mariella

Kapitel 68: Mariella

Kapitel 69: Mariella

Kapitel 70: Mariella

Kapitel 71: Mariella

Kapitel 72: Mike

Kapitel 73: Mariella

Prolog

Die Wellen schlagen brechend gegen die Klippen. Die Wolken am Himmel ziehen sich zusammen und färben ihn in ein düsteres Schwarz. Der Wind weht immer stärker und lässt die Wellen höherschlagen. Der Donner kommt näher und hallt lautstark von den Felsen wieder. Die Bewohner der Insel ziehen sich in ihre Häuser zurück. Sie schließen die Fensterläden und machen alles sturmfest. Die Straßen sind inzwischen menschenleer. Die Stadt ist wie ausgestorben. Keine Menschenseele weit und breit.

Doch nahe den Klippen regt sich etwas im Wasser. An der Wasseroberfläche zwischen den tobenden Wellen blitzt die Spitze einer Flosse auf. Sie schimmert und glitzert in den unterschiedlichsten Blautönen. Die Flosse versinkt in der nächsten Sekunde mit dem restlichen Körper im Wasser und schlängelt sich durch die Tiefen des Meeres. Unter Wasser spürt man nichts von dem Sturm, der oberhalb der Wasserfläche tobt. Ein Fischschwarm folgt der Flosse. Unter Wasser leuchtet die Flosse auf. Ihre verschiedenen Blautöne spiegeln sich im Wasser wieder und hinter lassen hinter ihr eine Glanzspur.

Nach einiger Zeit lassen die Fische von der Flosse ab und ein Delfin gesellt sich zu ihr. Die beiden schwimmen zur

Wasseroberfläche und tauchen auf. Der Sturm hat mittlerweile seinen Höhepunkt erreicht. Die Wellen sind meterhoch und schlagen wie wild um sich.

Obwohl es erst früher Mittag ist, ist der Himmel pechschwarz gefärbt. Im Sekundentakt tauchen Blitze auf und schlagen in weiter Ferne ein. Der Donner reflektiert brüllend von den Klippen wieder und hinterlässt ein Dröhnen in den Ohren. Die Fischerboote am Steg werden von den riesigen Wellen begraben und zerbrechen unter dem Druck.

Die Flosse gehört zu einem weiblichen Oberkörper mit schlanker Taille und wohlgeformten Brüsten. In ihrem Gesicht stechen glänzend blaue Augen heraus, die aussehen wie die endlosen Weiten des Ozeans. Sie und der Delfin blicken zurück zum Festland. Ihre langen dunkelbraunen Haare wellen sich um ihr zierliches Gesicht. Beim nächsten Donnerschlag ist sie schon wieder untergetaucht und man sieht nur noch das Ende einer Flosse, die mit ihr im Meer verschwindet.

Kapitel 1

Mike

Ich hasse es umzuziehen. In meinen achtzehn Lebensjahren war ich schon viermal umgezogen. In dem Moment, indem ich mich an einen Ort gewöhnt hatte und endlich Freunde fand, musste ich wieder weg. Bis zu meinem neunten Lebensjahr wohnte ich mit meiner Mom und meinem Dad in Chicago. Doch dann starb mein Vater bei einem Autounfall und meine Mom war plötzlich alleinerziehend. Sie arbeitet als Ärztin und wurde in den letzten neun Jahren viermal versetzt. Laut ihrer Aussage war es jedes Mal nötig, da sie dort anscheinend gebraucht wurde und es mehr Gehalt gab. Ich hatte aber eher das Gefühl, sie hielt es an einem Ort nicht lange aus und brauchte diese Abwechslung, um sich von den Gedanken und Erinnerungen an Dad abzulenken.

Ich lebte also schon in Chicago, Miami, Los Angeles und zuletzt in New York. Zum Glück waren es jedes Mal Großstädte, denn ich bin einfach kein Landmensch. Ich fand Städte und der ganze Trubel schon immer toll. In unserem letzten Zuhause in New York hatten wir eine kleine, aber wunderschöne Dachgeschosswohnung. Die Wohnung hatte eine eigene Dachterrasse und das mitten in Manhattan. Von ihr konnte ich über die Skyline der Stadt blicken und einfach alles war schnell zu erreichen. In New York gefiel es mir am besten. Nach Chicago war es für mich mein Zuhause. Aus Chicago sind wir weg, kurz nachdem das mit meinem Dad passiert war. Alles hatte Mom an ihn erinnert und ich hatte gemerkt, wie fertig es sie machte, weiterhin in unserem Haus und in der Stadt zu leben. Als wir dann nach New York zogen, dachte ich, es sei das letzte Mal, dass wir umziehen würden. Dort lebten wir auch vier Jahre, in denen ich feste Freunde fand. Und eine Freundin.

Abby.

Sie ist das schönste Mädchen an meiner Schule. Sie hat langes blondes Haar und wunderschöne braune Augen. Sie ist zugleich süß, aber auch sexy. Ich liebe alles an ihr. Ihr Kichern macht mich verrückt. Sie ist unglaublich. Sie war die Erste, mit der ich mir mehr vorstellen konnte. Da meine Mom öfters Nachtschichten hatte, kam jedes Mal Abby vorbei und wir verbrachten die Nacht zusammen. Mom hätte mir das sonst nie erlaubt. Doch jetzt sehen wir uns erst wieder im Herbst, wenn ich zum Studieren zurück nach New York komme.

Dass wir jetzt in meinem letzten Schuljahr noch mal umziehen mussten, nahm ich meiner Mom übel. Ich hatte zum ersten Mal Einwände erhoben. Sie wusste, wie viel mir die Stadt bedeutet und dann musste es dieses Mal auch noch ein anderes Land sein. Und dazu eine Kleinstadt namens Newport auf einer Insel in England.

Die Isle of Scarp ist sehr klein. Sie ist nur etwa 35 km lang und 20 km breit. Newport ist die Hauptstadt und dazu gibt es ein paar kleinere Gemeinden. Jetzt bin ich Stunden von meiner Heimat entfernt und somit von allem, was ich liebe. Ich möchte nur noch die kommenden Monate hinter mich bringen, um dann im Herbst an der NYU zu studieren und wieder mit meinen Jungs und Abby vereint zu sein.

Ich liebte es schon immer in Großstädten zu leben. Die vielen Menschen, die vielen Läden und unterschiedliche Charaktere, die Möglichkeiten, die sich einem bieten und was man alles unternehmen kann. Ich war in New York zum ersten Mal seit Dads Tod wirklich glücklich und habe mich seit Langem wieder „Zuhause“ gefühlt. Mom anscheinend nicht. Tagelang war ich sauer auf sie. Mitten im Schuljahr musste ich die Schule wechseln und wieder umziehen. Wie konnte sie mir das antun? Hätte sie nicht wenigstens bis zu meinem Abschluss warten können? Mom meinte, sie kann dieses Mal nichts dafür, da sie dort wirklich gebraucht wird, aber ich glaube, das ist nicht die ganze Wahrheit. Sie war wie die letzten Jahre, einfach nicht glücklich und denkt, der Umzug bietet ihr die Chance, es dieses Mal zu werden. Mittlerweile weiß ich, dass kein Umzug ihr da helfen kann. Besonders nicht eine kleine Insel, weit weg von unserem eigentlichen Zuhause.

Von New York mussten wir also erst mal nach London fliegen. Von da aus sind wir weiter zu einer kleinen Stadt und von dort ging es mit der Fähre nach Rhide, eine kleine Stadt an der Küste auf der Insel. Die Fahrt dauerte nur eine knappe halbe Stunde.

Mom fährt den Wagen von der Fähre auf die Straße. Ich blicke mich um.

Der Himmel ist dunkel und von grauen Wolken bedeckt, obwohl es erst Mittag ist. Ein Sturm muss hier vor Kurzem noch gewütet haben. Am Straßenrand liegen umgeknickte Bäume und überall sind Äste verteilt. Vor unserer Abreise hatte Mom sich stundenlang über die Insel informiert. Es herrsche ein mildes Klima auf der sonnenverwöhnten Insel. Wenigstens eine gute Sache, wenn ich schon auf eine Insel ziehen muss. Nur aktuell ist davon noch nichts zu sehen.

Wir fahren mit dem Auto die einzige Schnellstraße, die es hier anscheinend gibt, in Richtung Stadt. Sie befindet sich ungefähr zwanzig Minuten von Rhide entfernt, direkt am Hafen. Das sagt alles über die Größe der Insel. Ich fühle mich jetzt schon gefangen. Gefangen auf einer kleinen Insel ohne Abenteuer.

Während der Fahrt beobachtete ich die Landschaft, die an uns vorbeizieht. Die Wolken öffnen sich langsam und lassen ein paar Sonnenstrahlen hindurch. Meine Mom dreht das Radio leiser. Man merkt ihr an, dass sie aufgeregt ist. Wie jedes Mal, wenn wir an einen neuen Ort kommen. Für mich war es mittlerweile nichts Besonderes mehr.

»Ich bin gespannt, wie dir das Haus gefällt. Auf den Bildern sah es so schön aus. Ein kleines Haus auf den Klippen mit Blick auf das Meer. Klingt das nicht schön? Wir haben Glück, dass wir ein Haus mit Meerblick so günstig bekommen haben.« Mom strahlt mich an.

»Glück? Hier steht doch bestimmt jedes Haus am Uferrand. Es ist eine kleine Insel, da gibt es doch nur Wasser um einen herum«, erwidere ich.

»Ach Schatz, sei doch nicht direkt so negativ eingestellt. Dir wird es hier bestimmt gefallen. Es ist eine kleine Gemeinde, es wird so sein, als wären wir alle eine Familie. Wir werden nicht mehr nur zu zweit sein. Es wird schön sein, endlich mal seine Nachbarn zu kennen. Wir können Grillpartys veranstalten oder werden zu welchen eingeladen«, meint Mom voller Euphorie. Ich rolle nur genervt mit den Augen.

»Mir hat es aber so gefallen, wie es bisher war«, murmel ich.

Wie sie immer so optimistisch sein konnte, war für mich ein Rätsel. Ich wollte sie aber nicht verletzen, deswegen ging ich nicht weiter darauf ein.

»Ich hoffe, du hast Recht«, erwidere ich und seufze frustriert auf.

»Glaub mir, es wird toll. Ein Neuanfang in einer friedlichen Umgebung. Wir werden ein schönes Leben haben. Du wirst hier bestimmt ein tolles letztes Schuljahr haben. Die Meeresluft wird uns guttun und es wird sich anfühlen, als sei man die ganze Zeit im Urlaub.«

Wie immer, wenn sie aufgeregt war, redete sie ohne Punkt und Komma. Ich schaue wieder aus dem Fenster und lasse sie weiter über die Insel reden, während ich nur halb zuhöre. Mom glaubt, wir bekommen hier Normalität in unser Leben. Aber das, was auf mich zukommen sollte, ist alles andere als normal.

Kapitel 2

Mike

Meine Mom hört erst auf zu reden, als wir die Stadt erreichen. Oder sollte ich eher Dorf sagen? Wir fahren auf eine schmalere, gepflasterte Straße, die direkt durch die kleine Stadt verläuft. Sie liegt an einem Hafen, an dem Dutzende Fischerboote ankern und ein paar einzelne Segelboote. Ein paar der Boote sehen ziemlich mitgenommen aus, was an dem Sturm liegen muss, der vor Kurzem hier gewütet hat.

Die Häuser sehen schon älter aus. Viele sind aus Backsteinen gebaut und haben unterschiedliche Farben. Auf der Straße tummeln sich mehr Menschen als Autos. Seitlich führen kleinere gepflasterte Wege in ein anderes Viertel der Stadt. Neben der Hauptstraße gegenüber dem Hafen befinden sich Einkaufs- und Lebensmittelläden, kleine Cafés und das Rathaus. In der Ferne auf einer der Klippen kann man einen Leuchtturm erkennen.

Mein Blick bleibt am Rathaus hängen, als wir daran vorbeifahren. Es sieht aus, als gehöre es zu den ältesten Gebäuden der Stadt. Die braunen und grauen Backsteine bröckeln an einzelnen Stellen ab. Eine Treppe führt hoch zu einer großen Holztür. Sie sieht nicht sehr stabil aus. Oberhalb befinden sich bodenlange Fenster. Meine Aufmerksamkeit wird auf etwas anderes gelenkt. Vor den Steintreppen, die nach oben zum Rathaus führen, steht eine riesige Statue.

Eine Frau mit einer Fischflosse.

Ich drehe meinen Kopf und schaue der Statue hinterher, während meine Mom sich mit dem Auto durch die Straße schlängelt.

»Ist diese Stadt nicht wunderschön? Und so süß.«

Ich schaue Mom mit hochgezogenen Augenbrauen an. Sie strahlt und bewundert die Umgebung und bekommt dabei meine gequälten Blicke nicht mit.

»Süß? Dein Ernst Mom?«

Ich verspüre jetzt schon eine Abneigung gegen diese Stadt. Sie sieht schön aus, wie einer Postkarte entsprungen, aber nichts kommt gegen New York an.

»Siehst du, wenn wir jetzt rechts fahren würden, würden wir zu deiner neuen Schule gelangen.« Mom weist auf ein Schild an der Kreuzung hin.

Unruhe macht sich in meiner Magengegend breit.

»Oh toll. Darauf freue ich mich natürlich besonders«, erwidere ich mit viel Sarkasmus. Davor graute es mich schon, seit ich wusste, dass wir wieder umziehen. Es war schrecklich, immer der „Neue“ zu sein. Ohne Freunde, ohne irgendjemand zu kennen.

»Ach Mike, du wirst dich schnell eingewöhnen und neue Freunde finden. Das hast du doch immer. Außerdem haben wir erst Samstag. Nachdem wir heute ausgepackt haben, können wir morgen früh in die Stadt gehen und vielleicht triffst du ja ein paar Jugendliche in deinem Alter, die mit dir in die Schule gehen werden.«

Ich wünschte, ich hätte auch immer eine so positive Einstellung wie meine Mom. Sie versucht aus allem immer das Beste zu machen.

»Heute stellen wir uns am besten gleich noch den Nachbarn vor. Vielleicht wohnt ein Junge in deinem Alter in unserer Nachbarschaft? Das wäre doch toll.«

Halbherzig nicke ich und schaue wieder aus dem Fenster.

»Wir werden sehen«, sage ich mit wenig Optimismus in der Stimme.

Mittlerweile fahren wir aus der Innenstadt hinaus und in Richtung Wohngebiet. Die Straße ist schmal. Seitlich befinden sich kleine Backsteingebäude in grauen Tönen. Die bunten Farben aus der Innenstadt sind verschwunden. Die Häuser reihen sich dicht aneinander. Vereinzelt kann man in der Ferne grüne Wiesen sehen, auf denen Pferde stehen oder Dutzende Schafe, die auf den nicht endenden grünen Wiesen grasen. Mehr gibt es nicht. Alte Häuser und danach kommen nur grüne Weiden, die sich anscheinend über den Rest der Insel erstrecken.

Ich schließe die Augen und versuche an New York zu denken, aber es gelingt mir nicht. Frustriert öffne ich sie wieder.

Wir fahren immer noch die kleine Straße entlang, vorbei an den kleinen Backsteinhäusern. Sie sehen teilweise heruntergekommen aus. Muss wohl an der Meeresluft liegen. Die Gärten vor den Häusern sind nicht so gepflegt, wie ich es aus anderen Vorstädten kenne, aber es passt zu dem ganzen Aussehen der Insel. Auf den Veranden der Häuser sieht man vereinzelt Menschen sitzen, die neugierig unser Auto beobachten. Mitten auf der Straße und in den Gärten spielen kleine Kinder.

Wir fahren weiter durch die Wohngegend, bis es einen kleinen Hang nach oben geht. Hier stehen nur vereinzelt Häuser und sie sehen noch mehr heruntergekommen und veraltet aus. Sie sind alle in Grau gehalten oder in einem schmutzigen Weiß. Ganz oben auf dem kleinen Berg, direkt an einer Klippe, befindet sich ein großes Anwesen. Es ähnelt dem Rathaus und hat etwas von einem kleinen Schloss.

Graue Türme ragen in den Himmel und bieten einen düsteren Anblick. Wenigstens haben sich die Wolken verzogen und tauchen somit das Anwesen in etwas Sonnenlicht, sonst würde es einem Erscheinen wie aus einem alten Horrorfilm.

Links von der Straße befinden sich Häuser oberhalb der Klippe. Hinter den Häusern auf der rechten Seite befinden sich lange Weiten grüner Wiesen, die natürlich mit riesen Schafherden bestückt sind.

Es stehen vier Häuser auf der rechten Seite und vier Häuser auf der linken Seite oberhalb der Klippen. Danach geht es eine kleine Auffahrt nach oben zu dem Anwesen. Je höher wir fahren, desto mehr hört man die Wellen gegen die Felsen schlagen.

Kurz vor der Auffahrt zu dem Anwesen auf dem Berg, fährt meine Mom langsamer und biegt links bei dem letzten Haus auf der linken Seite in die Einfahrt ein. Das Haus sieht aus wie alle anderen hier auf dem kleinen Berg. Ein kleines, unscheinbares und etwas heruntergekommenes Haus.

Vorne am Haus befindet sich wie auch bei den anderen, eine Veranda und ein kleiner verwilderter Garten. Hier scheint schon länger niemand mehr gewohnt zu haben. Das Gras ist kniehoch und das Unkraut wächst nur so aus allen Ecken.

Die Veranda war früher mal weiß, doch nach all den Jahren und den Auswirkungen des Wetters und der Seeluft hie, bröckelt das Weiß an manchen Stellen ab und hinterlässt eine schmutzige Grauschicht auf dem Geländer. Das Haus hätte dringend eine Renovierung nötig.

Meine Mom parkt vor dem Haus. Ich steige aus dem Auto aus. Mein Blick wandert wieder zu dem Anwesen, den schmalen Weg, den Rest des kleinen Berges hinauf. Es sieht außergewöhnlich aus, wenn nicht sogar ein wenig gruselig und dennoch fasziniert mich irgendetwas an dem Anwesen. Von dem Haus aus hat man wahrscheinlich den besten Ausblick über die Hälfte dieser Insel sowie über den Ozean.

Mittlerweile ist auch Mom ausgestiegen und stellt sich neben mich.

»Unser Haus kann mit dem da oben nicht mithalten, aber für uns zwei reicht es. Hat es nicht etwas Altes und Besonderes an sich? Ich glaube, das ist das schönste Haus, in dem wir je gewohnt haben.« Mom scheint schon wieder ihrem Optimismus zu verfallen.

Mein Blick ist immer noch auf das Anwesen oben auf dem Berg gerichtet.

»Ja es ist ganz nett.« Ich wende den Blick ab und schaue gequält mein neues Zuhause an.

»Nachdem wir ausgepackt haben, können wir ja mal bei dem Anwesen vorbeischauen und uns vorstellen. Ebenso wie bei unseren anderen Nachbarn.«

Ich seufze auf.

»Wenn du möchtest.« Von dem Enthusiasmus meiner Mutter konnte ich mich nicht so leicht anstecken lassen. Ich möchte mich am liebsten einfach nur im Bett verkriechen und meinem Jetlag entfliehen.

Ich laufe zum Kofferraum und nehme einen der wenigen Kartons, die wir besitzen und trage ihn die Stufen der Veranda hinauf. Die Dinge, die wir nicht mit dem Koffer transportieren konnten, hatten wir mit einem Unternehmen schon nach London gesendet und es dort mit unserem neuen Auto abgeholt.

Das Holz der Veranda knackst unter jedem Schritt. Vor dem Haus riecht die Luft verstärkt nach Salz und Meer und man hört das Rauschen des Meeres. Ich bleibe stehen und atmet kurz die Luft ein, während Mom an mir vorbei ins Haus läuft. Ich folge ihr.

Das Haus ist von innen genauso klein, wie es von außen aussieht. Das stört mich aber nicht sonderlich, da ich kleine Räume von New York gewöhnt bin. Ich trete ein und schaue mich um.

Rechts neben dem Eingang führt eine schmale Holztreppe - die schon besseren Zeiten erlebt hat - in das obere Stockwerk. Ein sehr kleiner Flur führt als einziger Weg in das Wohn- und Esszimmer. Davor geht es links in die Küche.

Das war dann auch schon alles, was das Haus zu bieten hat.

Ich stelle den Karton neben der Treppe ab und laufe zu meiner Mom ins Wohnzimmer.

»Ist das nicht schön? Wir haben einen erstklassigen Ausblick über das Meer.« Meine Mom strahlt im ganzem Gesicht, als sie sich vom Fenster abwendet und mich anblickt. Bis jetzt konnte ich keine ihrer Meinungen von der Insel akzeptieren, aber dieses Mal kann ich sie verstehen.

Vom Wohnzimmer aus hat man durch die großen Fenster einen Blick über den ganzen Ozean. Ich öffne die Terrassentür und gehe hinaus auf die kleine Terrasse. Ein Teil ist in den Felsvorsprung eingebaut. Die zweite Hälfte der Terrasse ragt über den Felsvorsprung hinaus. Seitlich der Terrasse befinden sich kleine Stufen. Die Steine bröckeln an manchen Stellen ab oder es fehlt ein großes Stück. Die Stufen führen hinunter zu einem kleinen Strandabschnitt. Unten aus dem Meer ragen mehrere Felsen aus dem Wasser hervor. Hohe Welle schlagen gegen die Felsen und brechen lautstark unter uns zusammen.

Ich blicke wieder auf das Meer. Durch die Wolken kommen langsam Sonnenstrahlen hervor und lassen das Wasser glitzern. Hier auf der Terrasse weht ein stärkerer Wind. Man kann genau erkennen, dass die Meeresluft hier auf der Terrasse und auf den Möbeln noch größere Spuren als vor dem Haus hinterlassen hat. Ich fahre mit meiner Hand über das Geländer, während ich über das Meer blicke. Das Geländer sieht morsch aus und an einzelnen Stellen bricht schon das Holz ab. Ich frage mich, ob es auch wirklich standhält?

Meine Mom tritt neben mich und legt mir ihren Arm um die Schulter, was ziemlich witzig aussehen muss, da ich mittlerweile einen Kopf größer bin als sie.

»Wir haben so ein Glück, dass wir dieses Haus bekommen haben. Hier werden wir bestimmt glücklich«, seufzt sie.

In mir sammelt sich meine ganze Wut, die sich in den letzten Wochen angeschaut hat, die ich versucht hatte zu unterdrücken. Es ist toll, dass sie sich freut, aber sie weiß, wie schwer es mir fällt und das ich nicht ständig hören möchte wie schön es hier ist. Ja, es ist schön, das lässt sich nicht bestreiten. Es sieht aus wie auf einer Postkarte mit dem Meer, dem kleinen Städtchen und seinen Häusern, aber es ist nicht das, was ich wollte. Wenn wir so weitermachen, endet es wieder in einem Streit und ich hasse es mich mit meiner Mutter zu streiten.

»Mom, ich sage es dir noch einmal«, beginne ich ruhig. »Du weißt, dass ich im Herbst auf ein College gehen werde? Das nicht hier sein wird? Ich werde dieses Haus oder diese Insel nicht mein Zuhause nennen, da es gar nicht so weit kommen wird.«

»Auf dem Festland gibt es auch ein College«, antwortet sie.

Ich umgreife das Geländer fester und stöhne genervt aus.

»Es ist mein Traum, in New York zu leben und dort zur Uni zu gehen. Nach all den Umzügen habe ich mich dort endlich richtig eingelebt und ich möchte in mein altes Leben wieder zurück«, antworte ich aufgebracht.

»Jetzt warte mal ab. In den paar Monaten, die wir hier sind, kann sich deine Meinung noch ändern. Hier ist es wunderschön. Wir wohnen direkt am Meer. Ist das nicht atemberaubend?« Mom schaut mich mit leuchtenden Augen an.

Bevor es zu einem Streit kommt, halte ich mich lieber zurück und antworte nichts mehr. Ich schlucke meine Wut herunter.

»Ich weiß, es ist schwer und du denkst, es ist unfair, aber ich glaube, dieses Mal wird alles anders. Lass es nur zu«, sagt sie sanft.

Ich verdrehe genervt die Augen.

»Hast du Hunger? Ich kann uns schnell ein spätes Mittagessen machen. Ich fahre kurz in die Stadt und besorge ein paar Lebensmittel«, wechselt sie das Thema.

Ich nicke abweisend und atme langsam aus.

»Okay. Ich bringe solange die restlichen Kisten rein und räume schon etwas auf«, antworte ich mit ruhiger Stimme.

Nach dem Essen möchte ich mich einfach in mein fremdes Bett verkriechen und darauf hoffen, dass die Zeit hier schnell vergehen wird. Ich habe gar keine Lust in der Nachbarschaft rumzulaufen und mit einem falschen Lächeln im Gesicht zu jedem Hallo zu sagen. Mom hingegen ist schon wieder total in ihrem Element. Gerade erst angekommen und schon versucht sie alles, damit wir uns wohlfühlen und einen guten Eindruck machen.

Ich reiße mich von dem wirklich atemberaubenden Blick auf das offene Meer los und laufe zurück ins Haus. Ich muss schon zugeben, dass es etwas hat, direkt am Meer zu wohnen.

Als wir das letzte Mal umgezogen sind, meinte meine Mom es sei auch wirklich das letzte Mal. Ich habe es geschafft, in New York glücklich zu werden und mir ein Leben aufzubauen. Und jetzt, wo ich es am wenigsten erwartet hatte, musste ich mich wieder neu zurechtfinden. So weit weg wie nie zuvor.

New York machte mich glücklich. Ich möchte mich hier auch nicht richtig einleben, wenn ich sowieso bald wieder verschwinde. Ich möchte nur die paar Monate überstehen und dann wieder zurück in mein altes Leben. Wie sollte ich hier auch glücklich werden? Ich habe keine Freunde, kenne niemanden und bestimmt gibt es nicht mal einen Club oder sonst eine Aktivität für jemand in meinem Alter. Am Montag ist für mich mein erster Schultag und ich bin dann wieder mal der Neue. Wie die meiste Zeit in meinem Leben. Alle werden mich anstarren und über mich reden. Jeder hat seine Freunde, seine Clique, sein Leben. Und dann wechsle ich auch noch mitten im Abschlussjahr. Schlimmer hätte es einfach nicht kommen können.

Kapitel 3

Mike

Ich laufe wieder nach draußen zum Auto und trage die restlichen Sachen ins Haus. Nach all den vielen Umzügen haben wir uns angewöhnt, wenig Dinge zu besitzen. Das macht den Umzug einfacher.

Mom fährt währenddessen mit dem Auto in die Stadt und ich bin froh, erst mal alleine zu sein. Den Karton mit den Küchengeräten stelle ich in die Küche. Unsere Möbel mussten wir in New York zurückgelassen, da uns gesagt wurde, dass das Haus hier möbliert sei. Wieder ein Neuanfang, in dem wir alles Alte hinter uns lassen.

Mir kommt es jedes Mal so vor, als versuche meine Mutter vor dem Tod meines Vaters zu entkommen. Aber er wird immer an uns haften und uns begleiten. Ich habe mich mittlerweile abgefunden, aber meine Mutter kann nicht mal einen anderen Mann anschauen. Ein einziges Mal war sie mit einem Mann aus. Doch dabei blieb es. Sie traf ihn nie wieder und ging auch nicht noch einmal aus.

Sie versuchte vor mir immer die taffe Frau zu spielen, aber ich weiß, dass ihr der Tod immer noch zu schaffen macht. Selbst nach all den Jahren. Die beiden hatten eine schöne Verbindung und ich vermisse Dad, aber das ist kein Leben. Für keinen von uns. Ich wünschte, ich könnte ihr helfen und hoffe, dass sie hier wenigstens ein wenig Frieden findet. Sie hat es ebenso wie ich verdient, glücklich zu sein.

Ich würde es ihr nicht böse nehmen. Ich weiß, dass Dad ihr immer was bedeuten wird, aber ich werde nicht für immer an ihrer Seite sein. Ich will nicht, dass sie irgendwann alleine ist.

Ich nehme einen meiner Koffer und trage ihn nach oben. Die Stufen knacksen bei jedem Schritt. Im oberen Stockwerk gibt es nur zwei Zimmer und ein kleines Badezimmer. Ich gehe in das kleinere Zimmer rechts von der Treppe, direkt neben dem Bad.

Es ist nichts Besonderes. Ein Schreibtisch, ein Bett, eine Kommode und ein Kleiderschrank stehen in dem Raum. Alles neutral gehalten aus Holz. Die Möbel sehen schon etwas abgenutzt und älter aus. Gegenüber der Tür neben dem Schreibtisch befindet sich das größte der zwei Fenster im Raum. Neben dem Bett hat es noch ein kleines Fenster, das nach vorne zur Straße zeigt.

Ich gehe auf das große Fenster zu. Von hier aus kann ich auf den Ozean schauen und sehe noch das große Anwesen oben auf dem Berg. Mein Blick wandert vom Anwesen über das Meer. Mittlerweile haben sich alle Wolken am Himmel verzogen und die Sonne scheint. Die Sonnenstrahlen werden vom Wasser reflektiert und lassen es glitzern. Die Wellen sind noch immer hoch. Selbst durch das geschlossene Fenster kann ich hören, wie sie gegen die Felsen schlagen.

Etwas am Strand zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. In dem Wasser in der Nähe des Strandabschnitts des Anwesens bewegt sich etwas. Ich kneife die Augen zusammen, um mehr erkennen zu können. Ein Mädchen mit langen, gewellten braunen Haaren läuft aus den Fluten an den Strand. Sie scheint nackt zu sein. Ich gehe näher ans Fenster, aber das einzige, was ich erkennen kann, sind die Konturen ihres nackten Körpers. Am kleinen Strandabschnitt nahe eines Felsen, der unterhalb des Anwesens grenzt, zieht sie sich ihre Klamotten über. Als sie angezogen ist, dreht sie sich um und schaut in meine Richtung.

Ich schrecke zurück.

Hat sie mich gesehen? Nein, sie kann mich nicht gesehen haben. Nicht aus dieser Entfernung, vor allem hier im oberen Stock. Das ist unmöglich. Das Fenster muss doch bestimmt spiegeln. Woher sollte sie überhaupt wissen, dass ich dort stehe? Das Haus steht ja anscheinend schon seit Jahren leer. Nicht, dass sie jetzt denkt, ich wäre ein Spanner.

Langsam mache ich wieder einen Schritt auf das Fenster zu und blicke hinaus. Das Mädchen hat sich mittlerweile wieder umgedreht und läuft die kleine steinerne Treppe den Hang hinauf. Mein Herz pocht wie verrückt. Vermutlich hat sie nur in meine Richtung geschaut.

Ich blicke noch einmal zu dem Mädchen, aber sie ist mittlerweile in dem Anwesen verschwunden. Ich wende mich ab und schaue mich in meinem spärlich eingerichteten und kahlen Zimmer um. Ich atme tief durch und beginne dann meine wenigen Dinge auszupacken, bis Mom nach mir ruft.

»Mike! Essen ist fertig, kommst du?«

Ich stelle meine Lampe auf den Schreibtisch und gehe dann nach unten.

»Das riecht gut, Mom. Was gibt essen?«

Meine Mutter drückte mir zwei Teller in die Hand.

»Ich habe nur ein paar Nudeln mit Tomatensoße gemacht. Decke doch bitte den Tisch, dann bringe ich das Essen.«

Nebenan im Essbereich stelle ich auf einen alten Holztisch die Teller. Mom folgt mir mit dem Essen.

»Ich freue mich schon, wenn es wärmer wird und wir dann hoffentlich draußen auf der Terrasse essen können.«

Sie schöpft mir und ihr selbst etwas von den Nudeln und der Soße in den Teller.

»Ich habe mir das Obergeschoss schon mal angeschaut, ich habe dir das größere Zimmer überlassen«, sage ich mit vollem Mund zu ihr.

»Ich hätte auch das Kleine genommen«, antwortet Mom.

»Von den Zimmern aus hat man auf jeden Fall einen tollen Ausblick über den ganzen Ozean. Von meinem Fenster sehe ich ein Teil des Anwesens oben auf dem Berg, ebenso wie den Strandabschnitt unten am Meer. Ich glaube, ich habe vorhin ein Mädchen aus dem Wasser kommen sehen. Sie ist die Treppen zu dem Anwesen hochgelaufen.«

Mom schaut mich fragend an.

»Bei dem Wetter ist sie schwimmen gegangen? Das Wasser ist doch bestimmt eiskalt.«

Ich zucke mit den Achseln.

»Aber vielleicht hast du Glück und sie ist in deinem Alter, dann würdest du schon jemand kennen, wenn du zur Schule gehst. Auf jeden Fall müssen wir dann nachher dort vorbeischauen«, sagt Mom.

Ich schweige und konzentriere mich auf mein Essen. Hätte ich doch nichts erwähnt.

So fremd wie gerade habe ich mich noch nie gefühlt. Als würde mein Körper das alles hier mitmachen, aber ich bin noch nicht richtig hier. Es fällt mir dieses Mal so schwer, mich daran zu gewöhnen. Bisher hatte ich immer von Anfang an den Glauben und das Gefühl, mich gut einzuleben und den Ort und das neue Haus auch als mein Zuhause anzusehen. Aber hier? Hier fühlt sich alles kalt und trostlos an. Ich habe mich noch nie so leer und einsam gefühlt.

Kapitel 4

Mike

Nach dem Essen helfe ich meiner Mom beim Abwasch, während sie die Muffins aus dem Backofen nimmt. Kochen und backen sind eine ihrer Stärken und ich wundere mich, warum ich noch nicht kugelrund bin.

»Mom? Wie viele Muffins hast du den noch vor zu backen? Willst du die ganze Insel versorgen?«

Mittlerweile stehen zwei Bleche mit Muffins auf der Theke und sie holt die nächsten zwei aus dem Ofen.

»Lieber zu viel als zu wenig. Nachher stehen wir bei einem der Nachbarn und haben keine Muffins mehr. Was macht das den für einen Eindruck?«

Typisch meine Mutter. Sie will es immer allen Recht machen und hat Angst, was andere über uns bzw. sie denken.

»Wir wollen uns hier ein schönes Leben aufbauen, also werden wir nett zu unseren Nachbarn sein und sie kennenlernen.«

Das typische „Vorstadtleben“. Meiner Mom ihr größter Traum und mein Albtraum.

»Ich lasse die Muffins abkühlen, dann können wir los und die Nachbarn besuchen. Du kannst derweil schon mal meine Sachen hochtragen und in mein Zimmer stellen.«

»Mach ich. Ruf mich, wenn du los möchtest.«

»Danke Mike.«

Ich trage Moms Sachen nach oben und ziehe mich dann in mein Zimmer zurück, dass mir im Moment nicht hätte fremder sein können. Zum Auspacken habe ich nicht viel Lust. Ich besitze auch nicht viel. Ein paar Klamotten, ein paar Bücher und meinen Laptop. Den packe ich als Erstes aus und stelle ihn auf mein Bett und fahre ihn hoch. Ich hoffe, das Internet funktioniert. Es wurde letzte Woche schon eingerichtet.

In der Zwischenzeit hole ich das einzige Bild von mir, meiner Mom und meinem Dad aus einem der Kartons und stelle es auf meinen Schreibtisch. Es wurde bei unserem letzten gemeinsamen Ausflug zum Grand Canyon aufgenommen.

Mein Blick wandert wieder Richtung Fenster und ich schaue rüber zu unseren Nachbarn. Von dem Mädchen ist nichts mehr zu sehen. Nur das Wasser schlägt leichte Wellen und der Strand liegt verlassen da sowie das Haus.

Ich wende mich ab und schiebe meine Sachen auf die Seite. Ich überziehe schnell mein neues Bett und mache es mir dann möglichst bequem. Meinen Laptop nehme ich auf den Schoß und logge mich bei Facebook ein, in der Hoffnung, dass einer meiner Freunde oder Abby online ist. Natürlich ist keiner online. Mit der Zeitverschiebung ist es in New York morgens und in den Neuigkeiten kann ich sehen, dass sie letzte Nacht auf einer Party waren. Ich spüre einen kleinen Stich. Ich hoffe wirklich ein paar neue Leute kennenzulernen, sonst werden es ein paar richtig langweilige Monate werden.

Ich surfe noch ein wenig weiter, bis meine Mom ins Zimmer kommt.

»Ich ziehe mich noch kurz um, dann können wir los. Bist du so weit?«

»Ja.« Ich klappe meinen Laptop zu und stelle ihn auf meinen Schreibtisch.

»Das ist wirklich ein schönes Bild.« Meine Mom nimmt das Bild von uns drei in die Hand. Ich kann genau sehen, wie sie mit den Tränen zu kämpfen hat. Ich lege ihr einen Arm auf die Schulter. Sie wischt sich die Tränen weg und dreht sich um.

»Also ich geh mich mal umziehen. Treffen wir uns unten. Packst du in der Zwischenzeit die Muffins noch in die Körbe? Ich habe welche in den Regalen gefunden und auf die Theke gestellt.«

»Soll ich dann noch eine Schleife hin binden?«, antworte ich sarkastisch.

»Pack einfach die Muffins ein.« Meine Mom zwinkert mir zu und läuft dann in ihr Schlafzimmer. Ich schnappe mir meine Jacke und laufe runter in die Küche und packe die Muffins ein.

Danach gehe ich wieder auf die Terrasse. Ein leichter kühler Wind weht mir um die Ohren. In weiter Ferne wird der Himmel wieder dunkel. Wahrscheinlich zieht ein neuer Sturm auf.

»Sieht nach Gewitter aus. Hoffen wir, es hält noch den Nachmittag.« Meine Mom ist mittlerweile fertig gerichtet. Sie hat eine Jeans und eine Bluse mit einer Strickjacke an und hat sich die Haare hochgesteckt. Sie möchte wirklich einen guten ersten Eindruck machen.

»Also bringen wir es hinter uns«, seufze ich und laufe in die Küche.

»Lass uns erst einen Korb mitnehmen und dann holen wir die Anderen. Nimmst du ihn bitte?«, sagt Mom.

Ich ziehe mir meine Jacke über mein weißes T-Shirt und nehme einen der Körbe. Wir laufen als Erstes zu dem Haus direkt neben uns. Eine Frau, die vielleicht ein paar Jahre jünger ist als meine Mom, öffnet uns die Tür.

»Hallo! Mein Name ist Christine und das ist mein Sohn Mike. Wir sind aus New York hierhergezogen und wohnen nun neben an. Wir dachten wir stellen uns mal vor und bringen ein paar Muffins vorbei.« Meine Mutter stellt uns vor, als hätte sie das Ganze auswendig gelernt und reicht der Frau die Hand. Ich überreiche ihr den Korb mit den Muffins und lächle sie gezwungen freundlich an.

»Oh, das ist ja nett. Seit Jahren sind keine neuen Menschen hierhergezogen«, sagt die Frau, während sie uns nett anlächelt. Sie trägt eine Schürze über ihrer Jeans und einem Strickpullover. Ich kann mir gut vorstellen, warum seit Jahren niemand Neues mehr hierhergezogen ist.

Sie schenkt uns ein strahlendes Lächeln. Mit ihren lockigen blonden Haaren und den blauen Augen sieht sie aus wie ein Engel.

»Das Haus neben an steht schon so lange leer, ich freue mich, Sie in unserer Nachbarschaft begrüßen zu können. Ich bin Charlotte und ich wohne hier mit meinem Mann und unseren zwei Kindern. Mein Mann ist Fischer, daher ist er auch gerade unterwegs. Aber wir machen nächsten Sonntag einen Brunch mit ein paar Freunden und Nachbarn, da sind sie beide recht herzlich eingeladen. Möchtet ihr etwas trinken? Dann kann ich gleich mal einen von den köstlichen Muffins probieren.« Diese Charlotte hört gar nicht mehr auf zu reden. Sie und meine Mom werden sich bestimmt gut verstehen.

Ich möchte am liebsten wieder gehen, aber ich weiß, dass meine Mom nichts lieber tun würde, als sich mit unserer Nachbarin anzufreunden. Ich laufe also den beiden hinterher ins Wohnzimmer. Das Haus sieht von innen so ähnlich aus wie unseres, nur ist es etwas größer.

»Wartet einen Moment. Ich hole meine zwei Mädchen, sie spielen gerade in ihrem Zimmer. Sie sind acht und elf Jahre alt.«

Charlotte läuft nach draußen in den Flur. Mom und ich setzen uns derweil auf das Sofa.

»Schade. Leider sind sie nicht in deinem Alter«, meint Mom.

Ich verdrehe die Augen.

»Macht nichts Mom«, antworte ich.

»Ist Charlotte nicht toll? Ich denke, wir werden uns gut verstehen. Ich mag sie jetzt schon.« Meine Mom strahlt über das ganze Gesicht. Ich bin froh, dass sie sich freut, aber ich spüre immer noch den Drang, von hier zu flüchten.

Charlotte kommt mit zwei kleinen Mädchen zurück ins Wohnzimmer. Sie sehen ihrer Mutter sehr ähnlich. Beide haben dasselbe lockige blonde Haar.

»Das sind meine Kinder. Lucy und Ana.«

»Hallo ihr zwei. Ich bin Christine und das ist Mike. Wir wohnen neben an.«

»Ich lasse euch kurz allein und mache uns einen Kaffee. Wollt ihr beide einen? «, fragt Charlotte.

Mom nickt lächelnd.

»Nein danke. Für mich nichts«, antworte ich.

»Alles klar«, trällert sie auf dem Weg in die Küche.

»Hallo. Freut uns Sie kennenzulernen. Wir gehen wieder spielen«, sagt die Ältere von beiden.

Meine Mutter lacht. »Kein Problem. Geht spielen und nehmt euch am besten noch einen von den Muffins mit.«

Das lassen sich die Mädchen nicht zweimal sagen und verschwinden mit einem Muffin in jeder Hand. Im selben Augenblick kommt Charlotte mit zwei Kaffeetassen zurück und stellt sie auf dem Wohnzimmertisch ab.

»Bei Süßigkeiten können die zwei nicht Nein sagen. Wie findet ihr denn euer Haus und die Stadt bis jetzt?«

Mom ist bei Charlottes Frage wieder sofort in ihrem Element.

»Die Insel und die Stadt sind richtig schön. Ganz anders, wie wir es kennen und so schön familiär. Und unser Haus ist der Wahnsinn. Es ist zwar alt und müsste vielleicht bald mal renoviert werden, aber wir haben einen Blick über das Meer. So etwas hatten wir noch nie. Wir haben bis jetzt nur in größeren Städten gewohnt.«

»Ja, das stimmt, aber in New York war es doch bestimmt auch toll? Ich war noch nie woanders, als hier auf der Insel. Leider haben wir es noch nicht geschafft, großartig zu verreisen. Hauptsächlich, da mein Mann Fischer ist und wir längere Zeit nicht wegkönnen und das Geld leider fehlt.«

Sie war noch nie weg von dieser Insel? Wie kann man sein ganzes Leben am selben Ort und das auch noch auf einer kleinen Insel verbringen?

»Oh ja New York ist auch toll. Aber dort kennt man häufig nicht mal seine Nachbarn. Deswegen haben wir uns gedacht, wir lernen hier gleich mal unsere Nachbarn kennen. Und so schön wie es hier ist, kommt es einem ja schon vor, als wäre man im Urlaub«, sagt Mom und lächelt Charlotte an.

Ich lasse die beiden weiterreden und widme mich einem Muffin in der Hoffnung, dass die Zeit so schneller vergeht. Mom und Charlotte reden eine gefühlte Ewigkeit weiter, bis Mom endlich das Gespräch beendet.

»Danke für den Kaffee Charlotte. Das können wir gerne wieder machen. Aber wir wollen uns noch den anderen vorstellen und müssen daheim noch auspacken. Für den Brunch nächste Woche könnte ich einen Kuchen backen.«

»Oh, das wäre toll. Die Muffins sind richtig lecker.«

Ich stehe auf, in der Hoffnung die beiden würden nicht wieder in einem Redefluss verfallen. Zum Glück steht meine Mom ebenfalls auf und wir laufen zur Tür.

»Kommen sie doch einfach nächste Woche zu uns rüber«, meint Mom zu Charlotte.

»Sehr gerne. Wenn etwas sein sollte oder ihr etwas wissen möchtet, könnt ihr euch jederzeit an mich wenden.«

»Auf Wiedersehen und danke für die Einladung«, sage ich.

Mom winkt Charlotte im Hinausgehen zu.

»Wir sehen uns.« Charlotte winkt natürlich mit einem strahlenden Lachen zurück.

»Ist das nicht toll? Gleich die ersten Nachbarn sind so nett. Das fängt ja schon mal gut an. Vielleicht haben wir ja das Glück und einer der anderen Nachbarskinder ist in deinem Alter.«

Wieder verdrehe ich nur meine Augen und sage nichts.

Wir stellen uns also allen anderen Nachbarn hier in der Straße vor. Im letzten Haus unten an der Straße öffnet uns ein Junge, der in meinem Alter sein muss, die Tür.

»Hallo, wir sind eure neuen Nachbarn und wohnen hier in der Straße, in dem letzten Haus auf der linken Seite. Ich bin Christine und das ist mein Sohn Mike. Er ist achtzehn Jahre alt. Wahrscheinlich so alt wie du«, sagt Mom.

Danke Mom. Richtig peinlich. Beschämt stehe ich neben ihr.

Der Junge lacht.

»Hey ich bin Luke.« Er streckt mir die Hand zum Handschlag entgegen und reicht sie danach meiner Mom.

»Richtig. Ich bin achtzehn. Kommt rein. Meine Mom ist in der Küche.«

»Sehr nett von dir, Luke. Ihr beide könnt euch ja unterhalten«, sagt Mom und läuft in Richtung Küche.

Ich schüttle den Kopf. Manchmal kann sie echt peinlich sein.

»Komm gehen wir in mein Zimmer.«

Ich folge Luke die Treppe nach oben.

»Tut mir echt leid. Meine Mom möchte unbedingt, dass ich neue Freunde kennenlerne.«

Luke lacht. »Kein Problem. Meine Mom war damals auch so, als wir hierhergezogen sind.«

Wir laufen in sein Zimmer, das mindestens doppelt so groß ist als meins. Gegenüber von seinem Bett stehen ein Flachbildfernseher und ein Minikühlschrank.

»Wow. Echt cooles Zimmer.« Ich blicke mich staunend um. Dagegen sieht mein Zimmer aus wie eine Besenkammer.

»Danke. Es ist nicht schlecht. Wir haben leider keinen Meerblick, wie die Häuser auf deiner Seite, dafür wurde das Geld in Elektronik investiert«, sagt Luke.

»Du sagst, du bist auch hierhergezogen? Woher kommst du?«, frage ich, während ich seine Playstation bestaune.

»Wir sind vor sieben Jahren hierhergezogen. Wir lebten in London, also kann ich mir vorstellen, was das für ein Schock für dich sein muss, plötzlich in einem Kaff mitten auf einer Insel gelandet zu sein. Ich habe schon mitbekommen, dass ihr aus New York kommt. So was spricht sich schnell auf der Insel rum. Es ziehen nicht viele Menschen her. Eher ziehen sie von hier weg.«

»Kann ich total verstehen«, antworte ich.

»Ich wollte schon immer mal nach New York. Es muss toll sein, dort zu leben«, ergänzt Luke.

»Du musst unbedingt einmal nach New York, dort ist es wirklich atemberaubend. Gibt es hier überhaupt irgendetwas Spannendes?«, frage ich ihn.

»Wenn du aus New York kommst, wird hier selbst das Spannendste, das Langweiligste für dich sein. Aber wenn du Lust hast, am Freitag findet am Leuchtturm eine Party statt. Dort sind öfters Partys. Sie werden von irgendwelchen Jugendlichen, einem Club oder von der Stadt aus organisiert. Je nachdem was ansteht. Und sonst gibt es hier eine Bar und einen Club. Der Club ist jetzt nicht der Beste oder Größte, vor allem im Vergleich zu New York, aber für die Insel und für uns Jugendliche tut er es«, erklärt Luke.

Dachte ich es mir schon, dass diese Insel nicht so viel zu bieten hat.

»Ich komme gerne.« Wenigstens etwas was ich auf der Insel tun kann. Dann werde ich die ersten Tage nicht alleine sein.

»Wir werden dann auch auf der gleichen Schule sein oder?«, frage ich.

Luke lacht. Verwirrt schaue ich ihn an.

»Hier gibt es alles nur einmal. Eine Schule, ein Krankenhaus, eine Bücherei, einen Supermarkt. Du wirst dich leider ein wenig umstellen müssen.«

»Na toll, das kann ja super werden«, antworte ich ironisch.

Luke klopft mir auf die Schulter.

»Du wirst dich schon daran gewöhnen. Mit der Zeit ist es nicht so schlimm, wie man denkt. Hast du ein eigenes Auto? Sonst kann ich dich am Montag mit in die Schule nehmen, dann musst du nicht laufen oder mit dem Bus fahren.«

Wenigstens eine gute Sache bringt der Tag.

»Das wäre klasse. Danke.«

»Mike? Kommst du?«, ruft meine Mom von unten zu uns hoch. Ein Wunder, dass sie ohne meine Hilfe ein Gespräch unterbrechen konnte.

»Ich komme«, rufe ich.

»Na ihr scheint euch ja gut zu verstehen«, sagt eine brünette Frau mit kurzen Haaren, die neben meiner Mom steht.

»Ja. Luke hat angeboten, mich mit in die Schule zu nehmen.«

Meine Mutter fängt an zu grinsen.

»Ich dachte, ich war auch mal neu und kannte niemand. Ich weiß wie das ist«, sagt Luke.

»Also gut, dann bis Montag«, murmle ich.

Wir verabschieden uns und laufen die Straße zurück zu unserem Haus.

»Ist das nicht toll? Schon hast du jemand kennengelernt«, meint Mom.

»Ja Mom. Es ist echt toll gelaufen. Reicht das dann für heute?«

»Nein. Wir müssen noch zu dem Anwesen oben auf dem Berg. Das sind auch unsere Nachbarn, selbst wenn sie nicht direkt neben uns wohnen.«

»Oh man«, stöhne ich auf. Ich bin kaputt und erledigt und will einfach nur ins Bett.

»Okay, aber schnell«, sage ich.

»Jaja. Hol den letzten Korb und wir gehen los.«

Ich sprinte ins Haus und hole den letzten Korb mit Muffins.

»Das Haus sieht richtig alt aus. Bestimmt ist es ein Vermögen wert«, flüstert meine Mom während wir dem Haus näherkommen.

»Ich bin gespannt, wer da wohnt«, antworte ich.

»Lauren, Lukes Mutter, hat mir erzählt, dass dort eine Familie wohnt, die seit Generationen im Besitz dieses Anwesens ist. Nicht immer wohnt jemand in diesem Haus. Vor ein paar Jahren ist das Mädchen mit ihren zwei Tanten hergezogen. Ihre Eltern seien nach ihrer Geburt umgekommen. Die Familie sei immer unter sich und würde sich nicht oft in der Stadt blicken lassen.«

Mittlerweile haben wir die Auffahrt des Anwesens erreicht. Ich nicke Mom zu, die staunend das Anwesen betrachtet.

Aus der Nähe sieht das Anwesen noch größer und atemberaubender aus. Es ist, wie auch die anderen Häuser, direkt in die Klippen gebaut. Es hat einzelne Türme, die nach oben ragen. An mehreren Stellen bröckelt das Gestein und ein paar der Dachziegel fehlen. Das Haus besteht aus grauen Backsteinen und an den Hauswänden schlängeln sich Pflanzen nach oben. Es gibt Dutzende riesige Fenster. Sie reichen vom Boden aus bis nach oben. Allerdings sind in den meisten die Vorhänge zugezogen. Es macht einen verlassenen Eindruck und hat etwas von einem Gruselhaus aus einem Horrorfilm. In der Auffahrt steht kein einziges Auto. Rechts neben dem Anwesen befindet sich eine alte Garage mit riesigen Holztüren davor.

Wir halten vor der Haustür. Das Holz ist morsch und splittert an vielen Stellen ab. Sie ist breit und hoch, dass man locker zu zweit durchgehen könnte. Die großen prachtvollen Türen lassen sich zu beiden Seiten öffnen. Der Rahmen ist durchzogen von Linien und Muster, die wie Seetang, Pflanzen und Muscheln aussehen. Der Türklopfer an der rechten Tür hat die Form eines Dreizacks. Meine Mutter drückt auf die Klingel rechts neben der Tür, anstatt den Türklopfer zu benutzen.

Während wir warten, schaue ich nach oben und betrachte weiterhin das Haus. Oberhalb der Haustür befindet sich ein halbrundes riesiges Fenster. Dicke dunkelblaue Vorhänge versperren jedoch einen Einblick ins Innere. Ich will gerade wieder meinen Blick abwenden, als ich eine Bewegung an einem der Fenster über mir sehe. Hinter dem Vorhang lugt ein Mädchen hervor. Sie sieht aus wie das Mädchen, das ich am Strand gesehen habe. Als sie bemerkt, dass ich sie sehe, zieht sie schnell den Vorhang wieder zu.

Im selben Moment öffnet sich ein kleiner Spalt der rechten Hälfte der Tür und eine junge bildhübsche Frau steht vor uns. Sie sieht jung aus, aber auch irgendwie im selben Moment älter. Ich kann ihr Alter sehr schlecht einschätzen. Zuerst hätte ich gesagt, sie ist so alt wie ich, aber ich vermute sie ist vielleicht Mitte zwanzig. Sie hat langes, glattes blondes Haar, das sich perfekt um ihr Gesicht legt und sich an jede ihrer Bewegungen anzupassen scheint. Ihr Gesicht ist makellos. Ihre Haut ist glatt und strahlt, weswegen es mir schwerfällt, ihr Alter zu schätzen.

Ihr Gesicht ist sehr zierlich und weiblich. Dazu hat sie glänzend stechende grüne Augen, die einen geradezu durchbohren zu scheinen. Ihre strahlenden Augen werden umrundet von langen dunklen Wimpern. Unterhalb ihrer Stupsnase thronen die vollsten Lippen, die ich je gesehen habe. Passend zu ihren Augen trägt sie ein Kleid, dass denselben Farbton hat. Es schmieg sich perfekt an ihre weiblichen Kurven. Ich kann meinen Augen schier nicht glauben. Sie sieht unglaublich schön und… perfekt aus.

Als sie uns erblickt, wandelt sich ihr Gesichtsausdruck. Ich kann ihn nicht richtig zuordnen, aber sie scheint uns gegenüber skeptisch zu sein.

»Wie kann ich ihnen helfen?« Ich löse mich von ihrem Anblick und registriere, dass sie uns etwas gefragt hat. Selbst Mom scheint ein wenig verwirrt von ihrem Anblick zu sein.

Jetzt fesselt mich nicht mehr ihr Aussehen, sondern ihre Stimme. Noch nie habe ich eine so zarte, süße und zugleich lieblich perfekte Stimme gehört. Ich fühle mich zu ihr hingezogen, als wäre ich in ihrem Bann. Ich bin nicht fähig etwas zu sagen. Es ist, als hätte sie mir meine Stimme genommen.

»Ähm hallo. Mein Name ist Christine und das ist Mike, mein Sohn. Wir sind heute aus New York hierhergezogen. Wir wohnen in dem kleinen Haus, direkt unten am Hügel. Wir haben Muffins gebacken und wollten uns als ihre neuen Nachbarn vorstellen«, antwortet Mom stockend.

Immer noch verwirrt und wie in Trance strecke ich der Frau die Hand mit dem Korb entgegen. Die zweite Hälfte der Tür öffnet sich und eine weitere Frau erscheint. Da beide Türhälften geöffnet sind, kann man jetzt einen Blick in das Anwesen werfen. Mein Blick wandert neugierig in das Haus.

In der Mitte verläuft ein Flur in das Innere des Gebäudes. Rechts und links befindet sich eine riesige Treppe, die oben zusammen verläuft. Mehr ist oben nicht zu erkennen. Der Eingangsbereich sieht aus wie das Foyer eines schicken Nobelhotels. Es sieht zwar alles alt und schon gebraucht aus, aber es hat etwas Wertvolles ans ich. In der Mitte steht ein kleiner Tisch, auf dem eine Vase mit Blumen steht. Seitlich an den Wänden hängen Bilder, die Unterwasserwelten wie Tiere und Pflanzen zeigen. Rechts und links führt ein Weg weiter in das Innere des Anwesens, aber ich kann nicht viel erkennen.

Ich wende den Blick vom Inneren des Hauses ab, als die andere Frau beginnt zu antworten.

»Oh, das ist ja toll. Endlich neue Bewohner auf dieser Insel.« Sie lächelt uns an und ich verliere mich direkt in ihren Augen und in ihrer sanften und lieblichen Stimme.

»Mein Name ist Claris und das ist meine Schwester Serena. Wir nehmen sehr gerne die Muffins an und begrüßen sie recht herzlich auf der Isle of Scarp. Wir hoffen, ihnen gefällt es hier und sie fühlen sich wohl.«

Serena, die uns die Tür geöffnet hat, sagt kein Wort und blickt uns – bzw. eher mich - nur skeptisch an. Claris, die Frau, die uns so nett begrüßt hat sehr starke Ähnlichkeit mit Serena. Der einzige Unterschied ist, dass ihre Haare lockig sind. Die Gesichtsform und die Augen sind bei beiden gleich. Selbst die Stimme klingt gleich. Sie müssen wohl Zwillinge sein.

»Vielen Dank für die herzliche Begrüßung. Es ist zwar alles neu und anders hier für uns, aber uns gefällt, was wir bis jetzt gesehen haben. Von unserem Haus haben wir einen tollen Ausblick über das Meer und sogar einen kleinen Strandabschnitt«, sagt Mom, dieses Mal mit einer gefassten Stimme.

Ich schaffe es langsam mich von den Frauen zu lösen und finde meine Stimme wieder. Ich schaue sie weiter an, während ich spreche.

»Mom, ich glaube nicht, dass sie das alles hören möchten«, versuche ich sie zu unterbrechen, bevor sie in ihren üblichen Redeschwall übergeht.

Claris lächelt uns weiterhin freundlich an.

»Oh kein Problem. Wir freuen uns, wenn es ihnen auf dieser Insel gefällt. Sie müssen bestimmt unsere neue Ärztin sein. Ich habe viel von ihnen und ihren Qualifikationen gehört und wir sind froh, eine so tolle Ärztin wie sie hier zu haben, vor allem da wir hier starken Personalmangel haben. Die Menschen werden alt, aber es gibt nicht genügend Leute, die hierbleiben und bestimmte Jobs übernehmen«, antwortet sie in einem bedauernden Tonfall.

»Es freut mich hier helfen zu können. Wir wollen sie auch nicht weiter stören, bestimmt sehen wir uns noch.« Meine Mom wird ein wenig rot, da sie sich so geschmeichelt fühlt.

Ich muss grinsen.

»Es freut mich sie beide kennengelernt zu haben«, sage ich zu den beiden Frauen und schaue sie noch mal von oben bis unten an. Keine Ahnung, was sie mit mir anstellen, aber sie haben eine unglaubliche Anziehung. Zudem habe ich noch nie jemand so perfektes gesehen. Selbst ihre Haare liegen perfekt und passen sich an jede ihrer Bewegungen an. Ist so was überhaupt möglich?

»Uns freut es ebenso«, flötet Claris, während Serena immer noch skeptisch das Kinn nach oben streckt.

»Einen schönen Abend«, sagt Claris und schließt dann die Tür. Bevor die Tür ins Schloss fällt, wandert mein Blick noch mal ins Innere. Oben an der Treppe erregt etwas mein Interesse. Dort am Geländer steht das Mädchen mit den langen braunen, welligen Haaren, das ich heute Mittag am Strand schon gesehen habe. Das Letzte, was ich noch sehe, bevor die Tür ins Schloss fällt, sind ihre strahlend dunkelblauen Augen, die wie die endlosen Weiten des Meeres aussehen.

Auch sie sah einfach perfekt aus. Sie hatte dieselbe Stupsnase und vollen Lippen wie Claris und Serena. Auch ihre Haare waren so lang wie die der beiden, nur, dass sie braun waren und ihre Augen blau. Sie scheinen wohl sehr gute Gene zu haben.

Eine Sekunde lang starre ich noch auf die geschlossene Tür, bis ich mich losreißen kann.

Mom läuft schon voraus. Ich folge ihr und muss mir ein Gähnen unterdrücken. Mich holt die Müdigkeit des anstrengenden Tages ein.