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EINE NEU- UND WIEDERENTDECKUNG: MEHRSPRACHIGE GEDICHTE VON GERHARD KOFLER. EINE SORGFÄLTIG EDIERTE AUSWAHL VON GEHARD KOFLERS FRÜHWERK EXPERIMENTIERFREUDIG und KRITISCH zeigt sich der SÜDTIROLER LYRIKER Gerhard Kofler in seinen frühen Gedichten, die er auf DEUTSCH, ITALIENISCH UND SÜDTIROLER MUNDART verfasste. Neben Norbert C. Kaser gehörte Kofler einer lyrischen Aufbruchsgeneration an, die gegen Kulturkonservatismus und für die Entwicklung einer modernen, allen Sprachen offenen Literatur schrieb. Dabei ist die MEHRSPRACHIGKEIT seiner Gedichte nicht nur eine biografische Mitgift, sondern auch Stilmittel und Standpunkt im Diskurs um die Begriffe von HEIMAT und IDENTITÄT. Zum 70. Geburtstag des 2005 verstorbenen Schriftstellers erscheint nun in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut Brenner-Archiv eine sorgfältig edierte Auswahl seines FRÜHEN DICHTERISCHEN SCHAFFENS. Neben vollständigen Zyklen aus lange vergriffenen Gedichtbänden finden sich in diesem Band auch UNVERÖFFENTLICHTE ÜBERSETZUNGEN früher Gedichte Koflers aus seinem Nachlass. "In der modernen Zeit der vielen nichts sagenden Worte sind Koflers Gedichte eine kleine Kostbarkeit." Die Furche, Anna Lesnik
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Gerhard Kofler
in fließenden übergängen
in vasi comunicanti
Frühe Gedichte in Deutsch, Italienisch und Südtiroler Mundart
Poesie giovanili in tedesco, italiano e dialetto sudtirolese
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Maria Piok & Christine Riccabona
A cura e con una postfazione di Maria Piok & Christine Riccabona
Für H.
Diese Texte in Hochdeutsch, im Dialekt und in Italienisch entstanden in Wien, haben jedoch alle mit Südtirol zu tun: Ich gehe dort damit herum, schweife ab, trenne mich von meiner Kindheit, komme immer wieder zurück und erschreibe mir einige lebensnotwendige Extravaganzen.
Den Titel dieser Sammlung verdanke ich Pablo Neruda, dessen „Estravagario“ auf deutsch sowohl mit „Extravaganzenbrevier“ als auch mit „Extratouren“ übersetzt wurde.
Gerhard Kofler
d’improvviso così vicino
l’Isarco
nessun ricordo
finora scorreva
in direzione
del mio viaggio
acque chiare
come se finalmente
nulla
potesse più intorbidire
la mia infanzia morta
plötzlich so nah
der Eisack.
keine erinnerung
floß bisher so
in meine fahrtrichtung.
klare wasser,
als könnte endlich
nichts mehr
meine tote kindheit
trüben.
ma questi morti in famiglia, lo si sa,
a volte diventano più vivi di noi, che
di loro raccontiamo
con più attenzione.
fra questi morti che, lo si sa,
sanno presentarsi in una stanza
e che dopo i pranzi ci aiutano
a dirigere, vi trovo anche uno
con la testa ancor bionda –
vuol essere fotografato
con la bicicletta dal di dietro
perché così meglio si potesse vedere
la prima cartella.
uno che da bambino a scuola
a poco a poco
ha imparato a morire
come gli altri
e che è riuscito a
cambiare vita un po’
appena dopo.
aber diese toten in der familie, man weiß es,
werden manchmal lebendiger als wir,
die mit mehr aufmerksamkeit
von ihnen erzählen.
unter diesen toten, die, man weiß es,
sich in einem zimmer zeigen können
und nach dem essen uns helfen
zu verdauen, finde ich auch einen,
dessen kopf noch blond ist,
der mit dem fahrrad von hinten
fotografiert werden will,
damit man die erste schultasche
so besser sehen könne.
einen, der als kind in der schule
allmählich
gelernt hat, zu sterben
wie die anderen
und dem erst nachher gelang,
das leben ein wenig zu ändern.
nocher hom mer oft getramt
von de herrischn weiber
iber de der tatte gsogt hot
daß se beim orsch
a aso riachn
wia se suscht riachn
noch parfäm.
und do hom mer getramt
daß mer ihnen
untern kittl innigekrochn sein
und ihnen die feign und in orsch
ogschleckt hom, a set a zuig
hom mer getramt
domols.
und es isch ins dabei
so ondersch gwordn
daß mer ins gedenkt hom
des muaß wegen
dem 6. gebot sein,
dem unkeischn,
weil ins so ondersch
dabei gwordn isch,
hom mer ins des gedenkt,
weil suscht hätt mer
gor net gwißt worum.
jo, und do hom mer
no oft net gwißt
worum.
Ein Stück Schulweg ging ich mit Bauernkindern gemeinsam. Von ihnen lernte ich das Wort „die Herrischn“. Das waren und sind immer noch die besseren Bürger aus der Stadt. Besonders die geschminkten Frauen der „Herrischn“ riefen bei den Bauernkindern zugleich Ablehnung und Faszination hervor. Dies hier ist ein Rollengedicht, das sexuelle Vorstellungen aus der Kindheit meiner bäuerlichen Weggefährten in der unmittelbaren Wir-Form rekonstruiert.
“ancora un giorno più vicino all’eternità”
tiene in una mano il foglietto del calendario
come un monito di penitenza
e nell’altra lo spazzolino dell’acqua santa
per le pulizie interiori
(è la suora davanti a me)
come ho potuto
infettarmi di scarlattina
(sarà stato proprio a Bolzano)
che ora a Bressanone nella ex-casa della GIL
in rossa architettura mussoliniana
sto sdraiato tutto solo
40 giorni nel deserto
(così a lungo ti mettono in caserma
nel 1959 se hai la scarlattina)
“ancora un giorno più vicino all’eternità”
dice ogni giorno la suora e ha ragione
ma sbaglia a farlo
„wiederum einen tag näher der ewigkeit“
sie hält das kalenderblatt
wie einen bußzettel in der einen
den weihwasserbesen
zum inneren reinemachen
in der anderen hand
(die geistliche schwester vor mir)
wie habe ich mich denn
mit scharlach angesteckt
(wahrscheinlich war’s doch in Bozen)
daß ich hier im Brixner ex-GIL-gebäude
in klotziger Mussolini-architektur
als einziger daliege
40 tage in der wüste
(so lange kasernieren sie einen
wegen scharlach noch im jahr 1959)
„wiederum einen tag näher der ewigkeit“
sagt sie jeden tag und hat recht
und tut falsch daran.
obn in Presels in der summerfrisch
isch er gsessn mit a hetschebetschschtaudn
hot se ins maul gschteckt und dron gekuit
der erschte norrate in meinem lebn
hot nimmer gonz dazuaghert zum hof
ober er isch a nimmer davun wegkemmen
weil in Pergine hobnse den a net dergholtn.
und a des nägschte johr
wor er no olleweil do
ober nocher isch er gschtorbn,
gottseisgedonkt, hobn se gsogt
und fir mi seins auf oamol
gonz bluatig gwesn,
die hetschebetschn, de a nimmer
dazuaghert hobn zum hof
ober gsegn hot mer se holt
do no olleweil.
ancora infantili ieri i pensieri nei cieli azzurri
oggi dai rami nudi mi spaventa
il chiasso degli uccelli pronti al volo
e non è una metafora e solamente
qualcosa di simile, se metto alcune
bottiglie di vino nella valigia
per svernare al nord contro corrente
kindlich noch gestern in blauen himmeln denkend
erschreckt mich heute aus den kahlen ästen
das lärmen der vögel vor ihrem abflug.
und es ist keine metapher und nur
etwas ähnliches, wenn ich ein paar
flaschen wein in den koffer lege
zum überwintern gegen den strom im norden.
all’inizio c’erano gli animali, le piante, le notizie
d’enciclopedia
cheGquaderni
come se così volessi creare un ordine
che non trovavo altrove.
poi venne il tifo del calcio e il raccoglier resultati
e poco dopo già gli eventi attorno ai Beatles
(anche le ragazze pin-up le ritagliavo
togliendole dal contesto disturbante)
ed ora il legger libri
e lo scriver versi mi appaiono
anche questi solo varianti del tentativo
che allora incominciò nei colori dei quaderni incollati.
zuerst waren es tiere, pflanzen, enzyklopädisches
das ich ausschnitt und in hefte klebte
als wollt’ ich dadurch eine ordnung schaffen
die ich sonst nirgends fand.
dann kam das fußballfieber und das resultatesammeln
und bald darauf schon alles drum und dran der Beatles
(auch pin-up-girls schnitt ich heraus
aus ablenkendem kontext.)
und jetzt scheinen mir
das bücherlesen und das verseschreiben
auch nur varianten des versuchs
der einst in bunt geklebten heften anfing.
era lei, l’insegnante
d’italiano al liceo,
ad aprirmi la
grande poesia del Saba.
oggi ci penso ogni volta
che rinnovo le mie forze
nei versi del triestino semita.
e mi ricordo come allora
al primo contatto
quasi volevo rifiutare
la “Felicità” del Saba
perché comincia con:
“La giovinezza cupida di pesi
porge spontanea al carico le spalle.
Non regge.”
e perché prosegue:
“Vagabondaggio, evasione, poesia,
cari prodigi sul tardi!”
ma ormai
anch’io
ci sono arrivato.
sie war es, die italienisch-
professorin am gymnasium,
die mir eröffnete
die große poesie des Saba.
heute denke ich jedes mal daran
wenn ich die kräfte erneuere
in den versen des semiten aus Triest.
und ich erinnere mich, wie ich damals
bei der ersten begegnung
fast Sabas „Felicità“
ablehnen wollte
weil sie beginnt mit:
„Die Jugend begierig nach Gewichten
bietet spontan der Last die Schulter an.
Sie hält nicht stand.“
und weil es weiter heißt:
„Herumziehen, Ausbruch, Poesie,
teure Wunder erst später!“
aber inzwischen
bin auch ich
dort angekommen.
des ausländische deitsch
hersch jetz schun wia
des glockngebimmle
so oft, lei daß es holt
no mehr in die ohrn
weah tuat, und net lei des,
a den KAFFEE NACH DEUTSCHER ART
preißens den preißn schun on.
des mocht die schond
perfekt, denk i und renn
schnell zem hin, wos no
den herrlichn macchiato gibt,
kloan und stork
noch inserer ort.
nella giornata mondiale del risparmio
(perché lo sapevo fare così bene)
spesso io dovevo
recitare poesie
davanti ai signori grigi
la voglia dei versi
anche dopo
non m’è venuta meno
ma in quanto ai soldi
quando li ricevo
subito li spendo
a larghe mani
am weltspartag, da mußte
immer wieder ich („weil ich
so gut betonen konnte“)
gedichte aufsagen
vor grauen herren.
die lust an versen
ist mir dadurch
nicht vergangen
aber das geld, sobald
ich es nur irgendwie bekomme
gebe ich schnell
mit beiden händen aus.
c’erano gli ASSI
e naturalmente
la VIRTUS DON BOSCO
ma anche quelli
dell’OLTRISARCO
e tante altre squadre importanti
per noi sul campo Talvera
là dove il fiume
ormai da tempo
non ci arrivava più
a riempire il suo letto.
ripassandovi
trovo tutto deserto
e tutti quei palloni
che mi passarono
per la testa
sono sgonfiati come
pesci morti
e quei gridi entusiastici
ormai si sono induriti
come dei ciottoli,
uno uguale
all’altro.
dort waren die ASSI
und natürlich
die VIRTUS DON BOSCO
aber auch jene
von OBERAU
und viele andere
für uns wichtige mannschaften
am Talferplatz
wo der fluß
schon seit langem
es nicht mehr schafft
sein bett auszufüllen.
gehe ich dort vorbei
finde ich alles öde
und all die bälle
die mir durch
den kopf gingen
sind zusammengesackt
wie tote fische
und jene begeisterten schreie
sind nun verhärtet
wie kieselsteine,
einer dem
anderen gleich.
„wenn i so oan lei siech
mit der roasa zeiting
nocher siech i schun schworz“,
moant der Gasperi Klaus,
„a togesblattl lei firn sport
von vorn bis hintn hupfn
de teppatn schurnalischtn
gluschtig den ballilan noch
und de ondern tolme
hupfn imenen hintri
und regn sich no amol auf
weils koan rigore gebn hot,
als obs jo eh im telesport
net schun genua gwesen war
und lesn no amol noch
wer sich oller derennt hot
in der formula uno
und wia de ondern heldn
auf insere berg aui tretn
und nocher wieder oin sausn
beim Giro jedes johr
und wia sich wieder ondere
mit de tolgatn hondschuach
ihre schädl zerschlogn bis se
in gong nimmer tscheppern hern.
des gibts holt lei
bei ins in Italien
so a GAZZETTA DELLO SPORT
jeden tog de roasa zeiting,