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Innerhalb eines Monats geht Emilys Leben in New York City völlig den Bach runter: Ihr Freund verlässt sie, eine Überschwemmung zerstört ihr Blumengeschäft und ihre Versicherung weigert sich, den entstandenen Schaden zu begleichen. Eines Abends wird sie gar Opfer eines brutalen Überfalls, nur das Eingreifen eines Unbekannten verhindert das Schlimmste. Notgedrungen nimmt Emily den Job als Bürohilfe bei einer eher dubiosen Firma an. Keine ihrer Kolleginnen will ihr verraten, was wirklich hinter dem Unternehmen des unglaublich attraktiven, aber unnahbaren Chefs Liam Sullivan steckt. Welches Geheimnis umgibt ihren wortkargen Boss, den sie hinter seinem Rücken den Gamechanger nennen? Obwohl Emily die Nase voll von Männern hat, entfacht Liam ein Feuer in ihr. Verbrennt sie sich an ihm endgültig die Finger und steuert auf den absoluten Tiefpunkt ihres Lebens zu? Oder wird Liam Sullivan zu Emilys persönlichem Gamechanger?
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In love with Mr. Gamechanger
Rachel Callaghan
Inhaltsverzeichnis
Über die Story
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Nachwort und Danksagung
Impressum
Über die Story
Emily Cargers Leben ist scheiße – ganz schön scheiße!
Innerhalb eines Monats geht ihr Leben in New York City völlig den Bach runter: Ihr Freund verlässt sie, eine Überschwemmung zerstört ihr Blumengeschäft und ihre Versicherung weigert sich, den entstandenen Schaden zu begleichen. Eines Abends wird sie gar Opfer eines brutalen Überfalls, nur das Eingreifen eines Unbekannten verhindert das Schlimmste.
Notgedrungen nimmt Emily den Job als Bürohilfe bei einer eher dubiosen Firma an. Keine ihrer Kolleginnen will ihr verraten, was wirklich hinter dem Unternehmen des unglaublich attraktiven, aber unnahbaren Chefs Liam Sullivan steckt. Welches Geheimnis umgibt ihren wortkargen Boss, den sie hinter seinem Rücken den Gamechanger nennen?
Obwohl Emily die Nase voll von Männern hat, entfacht Liam ein Feuer in ihr. Verbrennt sie sich an ihm endgültig die Finger und steuert auf den absoluten Tiefpunkt ihres Lebens zu? Oder wird Liam Sullivan zu Emilys persönlichem Gamechanger?
Kapitel 1
Emily
Warum war ich nicht einfach zu Hause geblieben, anstatt meiner quengelnden Freundin Kaylee nachzugeben? Ich hätte auf mein Bauchgefühl hören, es mir mit Popcorn und einem Tee auf dem Sofa gemütlich machen und mir ein paar Folgen meiner Lieblingsserien auf Netflix reinziehen sollen. Oder mich mit meinem E-Reader in die Badewanne legen – das Highlight meines kleinen Apartments in Brooklyn. Mit Duftkerzen und gedimmtem Licht hätte man sich fast einbilden können, im Hilton eingecheckt zu haben. Ja, das wäre eine gute Idee gewesen, so hätte ich endlich unter Schluchzen und Freudentränen den neuesten Bestseller von Mona Kasten fertig gelesen.
All das wäre eine bessere Wahl gewesen, als jetzt auf diesem ledernen Barhocker im ›Sundance‹ zu sitzen, einem der Geheimtipps unter den Clubs hier im Szeneviertel Soho.
»Komm schon, Süße«, hatte Kaylee am Telefon gedrängt, »gib dir 'nen Ruck, dann kommst du endlich mal wieder auf andere Gedanken. Es hat dir noch immer geholfen, mit mir die Nacht zum Tag zu machen, wenn es dir nicht gut ging.«
Damit hatte sie mich überzeugt. Ein Mädelsabend angereichert mit ein paar Drinks, guten Gesprächen und vielleicht einigen Moves zu der richtigen Musik konnte schließlich nicht verkehrt sein.
»Okay«, hatte ich ihr geantwortet, »aber nur, wenn wir es uns schön machen und es nicht wieder endet wie beim letzten Mal.«
»Versprochen!«, rief sie lachend durch das Telefon und fügte hinzu: »Dass du immer auf den ollen Kamellen herumreiten musst, Süße. Der Typ sah einfach zum Anbeißen aus, den konnte ich mir nicht entgehen lassen, gib´s zu.«
»Darum geht es nicht, und das weißt du«, mahnte ich sie, und ihrer Stimme nach zu urteilen, hatte sie es auch verstanden. Mir war es richtig gegen den Strich gegangen, dass sie sich bei unserer letzten gemeinsamen Tour keine zehn Minuten, nachdem wir den ersten Club erreicht hatten, einem wikingerähnlichen Typen an den Hals geworfen und mich vollkommen ignoriert hatte. Schöner Mädelsabend!
»Großes Kingsbridge-Road-Girls-Ehrenwort«, hörte ich sie sagen und sah vor meinem inneren Auge, wie sie theatralisch die rechte Hand zum Schwur erhob.
»Auf dass der Rabe dich holt, wenn du es brichst?«, stellte ich die entscheidende Frage.
»Beim heiligen Edgar!«, erwiderte sie standhaft. Kaylee stammte wie ich aus der Bronx und wohnte nur ein paar Häuser entfernt von meinem Elternhaus in der Kingsbridge Road. Einen Steinwurf weiter lag das Poe-Cottage, das letzte nachweisliche Wohnhaus, in dem der Vater des Schauer- und Horrorgenres gelebt hatte. Es wurde, nachdem es um etwa 150 Meter verschoben worden war, zum Museum umgewandelt, in dem man sich in das neunzehnte Jahrhundert zurückversetzen und sich vom Geist Edgar Allan Poes erfüllen lassen konnte. Wenn man es sich denn traute, dachte ich schmunzelnd, als Kaylee den Rabenschwur leistete, den wir uns angelehnt an das bekannte Gedicht des Meisters ausgedacht hatten. So weit, so gut. Das war der Plan.
Schon seit Minuten drehte ich das halbleere Martiniglas mit dem Cosmopolitan darin in meiner Hand, ohne einen weiteren Schluck davon zu nehmen. Gelangweilt schaute ich von der roten Flüssigkeit hin zu den Tanzenden, zu Kaylee und Jake. Natürlich hatte sie auch diesmal direkt einen ›Typen zum Anbeißen‹ ausgemacht, den sie direkt auf die Tanzfläche entführen musste. Jetzt tauschte sie engumschlungen heiße Küsse mit ihm aus und wuschelte mit einer Hand durch sein kurzgeschnittenes, dunkelblondes Haar. Es lag für mich auf der Hand, wohin das führen würde. Okay, er sah wirklich nicht schlecht aus in seinem engen, weißen Shirt, das den trainierten Body betonte, und der Bluejeans, die auf einen knackigen Hintern schließen ließ. Kaylees knallrotes Cocktailkleid und ihre langen schwarzen Haare boten einen krachenden Kontrast zu ihm, was durch die Lasershow noch verstärkt wurde. Ja, sie gaben ein heißes Pärchen ab, ohne Frage. Ich wandte meinen Blick von ihnen, schweifte über ihre und die Köpfe der anderen hinweg, bevor ich wieder mein Getränk betrachtete.
Rote, blaue, pinke und grüne Spotlights sorgten durch ihren schnellen Wechsel für ein surreales Licht über dem Dancefloor. Die harten Beats der Technomusik hämmerten durch die mit Pheromonen geschwängerte, wabernde Luft und sorgten für ein stoßweises Kribbeln in meinen Füßen, das bis zu den Knien hochschoss. Wie würde sich das wohl anfühlen, wenn die weichen Sohlen meiner apricot farbenen Riemchen-Pumps die Bässe nicht abfedern würden? Für die hatte ich mich zu Lasten der schwarzen High Heels entschieden, nur für den Fall, dass ich tatsächlich den Dancefloor betreten würde. Würde sich meine Stimmung an diesem Abend noch bessern und zumindest auf Normallevel steigen, würde ich es sicher auch genießen und mich dem Sound und der Stimmung im Club hingeben. Würde die paar Schritte zu der im Schachbrettmuster gefliesten Fläche hinter mich bringen und in die schwitzende, sich teilweise lasziv räkelnde oder rhythmisch zappelnde Menschenmenge eintauchen, zu einem Teil von ihr werden, meinen Verstand ausschalten und mich den Klängen der Musik hingeben.
»Willst du auch tanzen, Babe?«, hörte ich, wendete meinen Kopf in die andere Richtung und verdrehte die Augen.
Hatte dieser Typ mich gerade Babe genannt? Fassungslos schüttelte ich den Kopf.
»Wenn die Hölle zufriert«, sagte ich leise.
»Was?«, schrie er jetzt fast. »Ich kann dich nicht verstehen, wenn du zur anderen Seite sprichst.«
Irgendwie bekam ich beinahe Mitleid mit Mark, dem Freund von Jake. Die beiden hatten sich vor etwa einer halben Stunde mit ein paar Drinks zu uns gesellt und nachdem ich Kaylees schmachtenden Blick gesehen hatte, gab ich nach, sodass sie sich ganz zu uns an den Tisch setzten. Schließlich hatte sich meine Freundin fast zwei Stunden an unseren Schwur gehalten und sich ausschließlich mit mir beschäftigt. Klar, dass ich ihrem Glück und vor allem ihrer Libido nicht im Wege stehen wollte. Dummerweise blieb somit Mark an mir hängen und rechnete sich offensichtlich aus, dass er ebenso bei mir landen könnte, wie es sein Freund bei Kaylee bereits geschafft hatte. Woher sollte Mark, der mich mit seinen schmalen Schultern und den knabenhaften Gesichtszügen eher an einen Jungen aus der Highschool erinnerte, auch wissen, dass mein Hafen für den Einlauf männlicher Schiffe zurzeit außer Betrieb war? Egal, sein Baggerversuch machte mir nur deutlicher, dass sich meine Laune an diesem Abend wohl nicht mehr bessern würde.
»Ich muss nach Hause«, sagte ich und neigte meinen Kopf zu ihm, wodurch ich sehen konnte, dass er kaum Bartwuchs hatte. Wenn uns Jake vorhin nicht bestätigt hätte, dass er 25 Jahre alt war, ich hätte es nie geglaubt. »Tut mir leid.«
»Aber –.«, sagte er und sein Mund blieb offen stehen, während ich vom Hocker rutschte, den unteren Teil meines weißen Bleistiftkleides zurechtzupfte und nach der Handtasche griff, die zwischen uns auf dem verchromten Tisch lag. Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ich hatte jedoch nicht vor, sein Problem zu meinem zu machen.
Ohne weiter auf ihn zu achten, ging ich zu Kaylee, die sich immer noch in wilder Zungenakrobatik mit Jake beschäftigte, und tippte sie an. Überrascht schaute sie zu mir, nachdem sie von ihm abgelassen hatte.
»Was ist denn los?«, fragte sie unschuldig, doch meine Mimik sprach sicher Bände, denn nach einem Moment ergriff sie meinen Oberarm und kam meinem Gesicht mit ihrem ganz nah. »Ich hab es nicht wieder vermasselt, oder?«
»Nein«, sagte ich und lächelte sie an, was sie augenblicklich erleichterte. So deutete ich jedenfalls ihr Pusten. »Du warst ein Schatz, aber ich habe keine Lust darauf, Babysitter zu spielen.«
»Soll ich mitkommen?«, fragte Kaylee und ich hörte deutlich die Botschaft in ihrer Stimme heraus.
»Brauchst du nicht. Viel Spaß euch noch.«
Bevor ich mich von den beiden abwandte, nickte ich Jake zu und deutete über meine Schulter nach hinten, wo Mark an unserem Tisch sitzen musste. Jake folgte meinem Blick und hatte wohl verstanden, denn er nickte zurück und sagte:
»Ich kümmere mich um ihn.«
»Wir telefonieren, ja Süße?«
»Klar«, bestätigte ich, gab ihr einen flüchtigen Kuss, nickte abermals Jake zu und ging an der Tanzfläche vorbei in Richtung des Seitenausgangs. So umging ich es, noch einmal an Mark vorbeizumüssen.
Es dauerte ein paar Minuten, bis ich meinen Mantel von der Garderobenlady ausgehändigt bekommen und schließlich den Platz vor dem Club erreicht hatte. Dann spürte ich, wie mir jemand auf die Schulter tippte. In der Annahme, Kaylee hätte es sich anders überlegt, wirbelte ich lächelnd herum.
»Na, willst du –.«
»Hey«, sagte Mark und brachte mich damit zum Schweigen. Die fast taghelle Beleuchtung vor dem Clubeingang schmeichelte ihm nicht. Er sah jetzt nicht nur verdammt jung aus, sondern dazu noch so blass, als würde er unter Anämie leiden. Okay, hätte er das Gesicht und damit den Sexappeal einer der Salvatore-Brüder oder wenigstens von Edward Cullen, dann hätten wir über weitergehende Dinge reden können, aber hey, er sah halt aus wie ein Nachhilfeschüler einer Elementary School für Lichtempfindliche.
Mit aufeinandergepressten Lippen sah ich ihn ernst an und drückte den Rücken durch, sodass wir fast auf Augenhöhe waren. Im Club wirkte er größer auf mich. Dort hatte ich allerdings auf dem Hocker gesessen, sodass weder die fünf Zentimeter Absatz noch meine 1,75 Meter Körpergröße zur Geltung kamen.
»Was willst du?«, fuhr ich ihn an und merkte erst, nachdem die Worte meinen Mund verlassen hatten, dass uns einige der um uns herumstehenden, auf Einlass wartenden oder gerade eine Zigarette rauchenden Gäste anstarrten.
»Ich dachte nur, dass ich dich nicht allein nach Hause gehen lassen sollte«, sagte er leise. Ob ich ihn mit meiner abweisenden Art eingeschüchtert hatte oder es an der Aufmerksamkeit der anderen lag, dass er beschämt zu Boden blickte, wusste ich nicht. Es juckte mich auch nicht, ich fand es einfach lästig, dass er mir nach draußen gefolgt war.
»Nein, danke. Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen.« Abrupt wandte ich mich von ihm ab, ging mit energischen Schritten in Richtung der Straße und bog nach rechts ab.
Nach etwa einer Minute sah ich erleichtert über die Schulter. Hinter mir war alles ruhig. Meine Augen wanderten nach oben.
Es war noch früh in der Nacht, vielleicht eine halbe Stunde vor Mitternacht, und die frische, vitalisierende Luft verlieh dem sternenklaren Himmel eine besondere Note. Tief sog ich sie ein und ließ sie zischend wieder aus meinen Lungenflügeln nach draußen strömen. Für einen gemütlichen Abend war es noch nicht zu spät: Wenn ich den nächsten Bus bekäme, könnte ich noch vor ein Uhr auf meiner Couch liegen und da in wenigen Minuten bereits Sonntag war, musste ich auch nicht arbeiten. Ich grunzte abfällig bei dem Gedanken. Als ob ich an einem Montag, Dienstag oder irgendeinem anderen Tag der Woche arbeiten müsste. Natürlich nicht, doch ich wollte mich an diesem an sich schönen Abend nicht mit meinen Problemen befassen, daher wischte ich die Sorgen bei Seite und zwang mich zu einem Lächeln. Vor dem Abzweig zu der kleinen, kaum beleuchteten Gasse blieb ich stehen und haderte mit mir. Würde ich sie nehmen, wäre das eine Abkürzung von fünf Minuten.
»Ach, stell dich nicht so an«, sagte ich und ging darauf zu. In Gedanken versunken schlenderte ich den dunklen Weg entlang. Wofür sollte ich mich entscheiden? Das Sofa oder die Badewanne? Plötzlich hörte ich sich mir nähernde Geräusche. Bevor ich mir einen Reim darauf machen konnte, wurde ich schon von hinten an den Schultern gepackt. »Was soll das?«, schrie ich entsetzt auf. Statt einer Antwort presste sich eine Hand fest auf meinen Mund. Mit dem anderen Arm umschlang mich mein Angreifer und schleifte mich hinter sich her in die Dunkelheit der Gasse. Schlagartig wurde mir klar, was hier vor sich ging: Jemand wollte mich vergewaltigen. Oder umbringen!
Diese Erkenntnis ließ mich aufbäumen. Ich trat nach ihm, versuchte, meine Arme zu befreien, um ihn zu schlagen und zu kratzen. Mein Kopf schwang von rechts nach links und zurück, doch ich bekam keine Möglichkeit, ihn zu beißen oder mich sonst wie zu befreien. Der ungleiche Kampf dauerte nicht lange. Meine Kraft schwand, sodass er mich hatte tiefer in die Gasse schleppen können, wo er mich schließlich brutal zu Boden schleuderte. Ich riss die Augen auf, wollte wissen, ob es Mark war, der sich an mir für die Abfuhr rächen wollte. Doch ich schlug mit dem Hinterkopf auf etwas Hartem auf. Mein Kopf schien vor Schmerzen zu explodieren. Sofort verschwamm das Bild vor meinen Augen. Nur sehr undeutlich erkannte ich die Umrisse eines Mannes, der auf mir hockte und geifernd lachte. Ich kämpfte gegen meine drohende Bewusstlosigkeit an, doch die Befehle meines Gehirns schienen in meinen Gliedern nicht mehr anzukommen. Er lachte hämisch. Wahrscheinlich bemerkte er meinen bröckelnden Widerstand, denn er ließ meine Hände los, öffnete meinen Mantel und riss am V-Ausschnitt meines Kleides, der nur langsam nachgab.
»Verdammte Scheiße«, zischte er vollkommen überdreht, sodass ich nicht hätte sagen können, ob die Stimme Mark gehörte. Dann schließlich hielt der Stoff nicht mehr stand und riss mit einem ratschenden Geräusch. Im nächsten Moment fühlte ich die Hände meines Peinigers auf meinen Brüsten. Nur noch getrennt von meinem Spitzen-Bra quetschte er sie brutal. Fast übergab ich mich – vor Schmerzen, vor Scham und vor Angst. Ich wollte das nicht, wollte mich wehren, es nicht zulassen. Doch der Nebel in meinem Kopf wurde immer stärker, immer dichter. Langsam ergab ich mich meinem Schicksal und hoffte darauf, in Ohnmacht zu fallen, dann müsste ich es wenigstens nicht erdulden.
Doch schon im nächsten Augenblick spürte ich, wie der Druck auf meinem Körper nachließ. Gleichzeitig vernahm ich einen Schrei und ich wusste trotz meines Zustands, dass der Laut nicht meinen Lippen entfahren war.
Was daraufhin geschah, dauerte wahrscheinlich nur Sekunden, für mich lief es jedoch wie in Zeitlupe ab. Wie durch einen dichten Schleier sah ich zwei Männer miteinander kämpfen, wobei der eine den anderen immer wieder gegen eine Mauer schleuderte, was dem Unterlegenen mehrfach ein gequältes Winseln entlockte. Da ich immer noch total benommen war, erkannte ich nicht, welcher der beiden dabei war, die Oberhand zu gewinnen. Von einem Moment auf den anderen verkrampfte sich mein Magen. Gerade noch rechtzeitig drehte ich mich auf die Seite, sodass ich mich nicht auf meinen Klamotten erbrach. Statt eines erleichterten Gefühls kreiste es in meinem Schädel umso mehr. Ich zuckte zusammen, als mich jemand am Oberarm berührte. Langsam näherte sich die Gestalt eines Mannes meinem Gesicht. Für eine Sekunde schärfte sich mein Blick. Ich sah eine alte, verblasste Narbe auf der nackten Brust des Mannes, direkt darunter eine Tätowierung, die aussah wie zwei chinesische Schriftzeichen ähnlich dem christlichen Kreuz. Dazwischen machte ich etwas wie ein kleines Viereck aus. Das Bild verschwamm immer mehr, dann wurde es wieder nebelig in meinem Kopf. Mit dem hilflosen Gefühl, dass mein Angreifer den Kampf gewonnen haben musste und sich jetzt seine Beute holte, gab ich mich dem rettenden Dämmerschlaf hin.
***
Liam
Die Zigarette, die mir Linda ›danach‹ angeboten hatte, lehnte ich ab. Auf keinen Fall wollte ich den Erfolg gefährden, schließlich hatte ich vor einem Jahr den Glimmstängeln abgeschworen.
»Danke, aber ich ziehe frische Luft vor«, erklärte ich ihr. Zum Glück war ich stocknüchtern, denn wenn ich ein paar Drinks gehabt hätte, wäre die Versuchung noch größer gewesen.
»Wenn es sein muss, aber warte kurz, damit ich mir etwas überziehen kann«, bat sie und schwang ihren wohlgeformten Körper aus dem Bett, in dem wir vor Sekunden noch wie zwei tollwütige Hunde übereinander hergefallen waren. Wobei ich bei ihr nicht einschätzen konnte, ob es der Profi in ihr war, der sie zu Höchstleistungen getrieben hatte, oder ob es auch mein Verdienst gewesen war. Vermutlich Ersteres, schließlich bezahlte ich sie dafür.
»Was immer du willst«, sagte ich, woraufhin sie ein gurrendes Geräusch von sich gab. Wir kannten uns dienstlich schon länger und sie wusste genau, worum es mir ging. Womit sie es zu tun hatte, wenn ich als ihr Kunde anklopfte. Seit über zehn Jahren würde sie den Job bereits machen, hatte sie mir mal erzählt, und ein paar Jahre plante sie noch ein. Dann wäre sie Ende dreißig und hätte genug auf der hohen Kante, um sich ihren Traum zu verwirklichen. Eine kleine Ranch in Kalifornien, auf der sie Pferde züchten, aber auch alten, kranken Tieren ein letztes Zuhause geben wollte. Allein deshalb rundete ich stets ihr bereits ordentliches Honorar großzügig auf.
Nachdem sie die Tür zum Bad hinter sich geschlossen und mir somit den anregenden Ausblick genommen hatte, zog ich meine Boxer-Shorts und die Jeans an, bevor ich zum Fenster schlurfte und es leise knarrend öffnete. »Der Schuppen ist halt etwas in die Jahre gekommen«, sagte ich mir und war über die vornehmlich in Rot gehaltene, gedimmte Beleuchtung nicht traurig. Wer wusste schon, wie Lindas ›Arbeitszimmer‹ bei Tageslicht aussah? Ich nicht und mir fehlte jede Motivation, es herauszufinden. Dabei handelte es sich allerdings um eine Momentaufnahme, denn der Gebäudekomplex wurde gerade grundsaniert und Lindas Apartment sollte im nächsten Monat dran sein.
»Für die nächsten acht Wochen bin ich dann auf Heimaturlaub bei meinen Eltern an der Ostküste in Sacramento. Bis dahin sollten sie die Bruchbude wieder auf Vordermann gebracht haben«, hatte sie mir bei der Terminvereinbarung bereits erklärt. Das löste keine Besorgnis bei mir aus, solange würde ich meine Hormone wohl unter Kontrolle behalten. Auch wenn es knapp werden könnte.
Für einen Samstagabend war es draußen ziemlich ruhig. Entferntes Motorengeräusch und vereinzeltes Jaulen einer Katze drangen an mein Ohr. Vielleicht war auch die Mieze auf der Suche nach einem nächtlichen Abenteuer. Und falls sie es fand, dann gratis, dachte ich schmunzelnd.
Natürlich wusste ich, dass dieses Zimmer im ersten Stock an der Rückseite des Gebäudes lag und somit der Straßenverkehr an der anderen Seite vorbeiführte. Die dunkle Gasse vor mir wurde nur durch den Sternenhimmel diffus beleuchtet, was mich an alte Film-Noir erinnerte, die sich durch starke Hell-Dunkel-Kontraste auszeichneten und vornehmlich an urbanen Schauplätzen spielten. So wie hier halt. Hinter kaum einem Fenster auf der gegenüberliegenden Gebäudefront brannte Licht und die nächste Laterne befand sich an der Kreuzung zur nächstgrößeren Straße, die etwa hundert Meter rechts verlief.
»Bereit für die nächste Runde, Großer?«, hörte ich Linda fragen. Das Öffnen der Tür zum Bad war an mir vorbeigegangen. Gerade wollte ich mich zu ihr umdrehen und mit einem Nicken bestätigen, dass ich heute noch nicht mit ihr fertig wäre, da fiel mir im Augenwinkel etwas Merkwürdiges auf. Gebannt starrte ich zu der Straßenecke, an der die Silhouette einer Frau aufgetaucht und stehengeblieben war. Offensichtlich spielte sie mit dem Gedanken, abzubiegen.
»Haben dir deine Eltern das so beigebracht?«
»Nein, das habe ich mir ganz allein beigebracht«, erwiderte Linda mit einem verführerischen Ton. Sie hatte nicht bemerkt, dass ich gar nicht sie, sondern die unbekannte Frau am Eingang zur Gasse meinte. Dann ging alles ganz schnell. Die Unbekannte wechselte tatsächlich ihre Richtung und kam auf mich zu. Keine Sekunde später sah ich einen Mann zu ihr rennen, der sie packte, woraufhin sie aufschrie. Perplex beobachtete ich die Situation. Anfangs nahm ich an, dass es eines dieser freakigen Rollenspiele war, dass jemand mal wieder seine oder ihre perversen Vergewaltigungsphantasien auslebte. Doch im nächsten Augenblick war mir klar, dass dieser Schrei und die folgenden erstickten Geräusche echt waren. Ohne weiter darüber nachzudenken, sondierte ich den Bereich unter dem Fenster. Zwei Mülltonnen und eine Handvoll Fahrräder standen zur Wahl. Ich entschied mich für die Mülltonnen und landete mit einem Scheppern darauf. Bevor die eine umfiel, hatte ich mich bereits seitlich abgerollt und kam kurz danach wieder auf die Beine.
Nur Sekunden später erreichte ich die beiden. Gerade noch rechtzeitig, vermutete ich, da er sich zwar vor Geilheit sabbernd gerade an ihren Brüsten zu schaffen machte, aber noch auf ihrem Becken saß. Ich atmete tief durch, bevor ich mit einer Hand seinen Gürtel, mit der anderen seinen Nacken packte und ihn von der am Boden liegenden Frau hochriss. Der Schweiß lief ihm vom Haaransatz herunter. Warum schwitzte das Arschloch so? An der eher frischen Außentemperatur konnte es nicht liegen. Wahrscheinlich war es die Geilheit, die es aus allen Poren schießen ließ. Gleich wäre es Angstschweiß, war ich mir sicher. Er quiekte auf wie ein Schwein, das zur Schlachtbank geführt wurde. Bevor er sich sammeln konnte, nutzte ich den Schwung und ließ ihn frontal gegen die Steinmauer krachen. Sein schmerzvolles Aufstöhnen konnte mich nicht beschwichtigen. Ich vergrub meine rechte Hand in seinem ebenfalls klatschnassen Haar, riss daran seinen Kopf nach hinten und schlug ihn noch einmal gegen die Wand. Das dadurch entstehende Geräusch, das mir das Brechen seiner Nase signalisierte, wurde von seinem erstickten Gurgeln begleitet. Wahrscheinlich waren noch ein paar Zähne draufgegangen und das einschießende Blut erstickte seinen Aufschrei.
Sämtlicher Widerstand war aus ihm gewichen und nachdem ich ihn ein letztes Mal die Mauer hatte knutschen lassen, stieß ich ihn von mir. Torkelnd und wimmernd entfernte er sich. Mit tiefster Verachtung sah ich ihm hinterher, wie er in die Richtung lief, aus der ich gekommen war. Dann fiel mein Blick auf Linda, die aus dem Fenster ihres Zimmers wohl alles beobachtet hatte. »Die Cops sind informiert!«, rief sie mir zu und kurz darauf sah ich ein Blitzlicht aufflackern. Cleveres Mädchen, dachte ich, denn sie hatte geistesgegenwärtig den unten vorbeilaufenden Mann mit ihrem Smartphone fotografiert.
Ein Würgen ließ mich aufhorchen. Schnell eilte ich zu der Frau und beugte mich über sie. Für eine Sekunde dachte ich, sie wäre klar, doch nur einen Wimpernschlag später schloss sie die Augen. Mit geübten Griffen stellte ich sicher, dass ihre Vitalfunktionen intakt waren. Die langen, blonden, offen getragenen Haare rahmten ihr Gesicht und ließen sie aussehen, als würde sie schlafen. Erst jetzt fielen mir die blutigen Strähnen auf. Ich fuhr mit meinen Fingern sanft über ihren Hinterkopf. Zum Glück handelte es sich nur um eine Platzwunde, die sicher genäht werden müsste, doch darum sollten sich die Sanitäter kümmern. Für mich blieb nichts weiter zu tun, als ihren Mantel vorne zu schließen und sie sicher zu lagern. Ein letztes Mal blickte ich zu ihr hinab. Sie lag auf der Seite und atmete gleichmäßig. In der Ferne hörte ich bereits das sich nähernde Geräusch der Polizeisirenen.
Mehr brauchte sie nicht. Ich musste jetzt sehen, dass ich von hier fortkam, sonst würde mich das in Teufels Küche bringen.
Kapitel 2
Emily
Ich musste mich etwas sortieren, bis ich verstand, was gerade vor sich ging.
»Miss, können Sie mir Ihren Namen sagen?«, hörte ich zum zweiten Mal eine Frauenstimme fragen. Jetzt, mit geöffneten Augen, sah ich, dass die Stimme zu der Frau gehörte, die neben mir kniete und gerade dabei war, mir eine Manschette an den Arm zu legen.
»Emily«, antworte ich und erschrak über das Krächzen, das meine Kehle verließ. »Emily Carger.« Ich fühlte mich, als hätte New York City mich langsam durchgekaut und anschließend genüsslich wieder ausgespuckt. Und das nicht zum ersten Mal in diesem Jahr.
»Bleiben Sie bitte ruhig, bis ich Sie untersucht habe«, sagte die Sanitäterin oder Rettungsärztin – ich konnte es nicht erkennen – zu mir, als ich mich daran machte, aufzustehen. Ich folgte prompt ihrer Bitte, was allerdings auch daran lag, dass die Kontrolle über meine Beine noch etwas eingeschränkt war.
»Woher wussten Sie – wer hat Sie gerufen?«, flüsterte ich.
»Dazu kann ich Ihnen leider nichts sagen.« Sie deutete über ihre Schulter nach hinten. »Aber dort wartet bereits ein Officer, der sich gern mit Ihnen darüber unterhalten möchte, was Ihnen zugestoßen ist.«
»Mh«, machte ich und ließ Ronda ihren Job erledigen. Mittlerweile hatte ich den Namen und das MD auf dem Schild lesen können, das an ihrem Overall befestigt war.
Während sie meinen Kopf abtastete, fragte sie mich, ob ich irgendwo Schmerzen hätte. Klar brannten meine Handgelenke vom festen Griff des Angreifers und die Ellbogen, weil ich damit zuerst auf dem Kopfsteinpflaster aufgeschlagen war, nachdem der Mann mich zu Boden geschleudert hatte. Aber das waren Kleinigkeiten. Am schlimmsten war das Gefühl, gegen meinen Willen tiefer in die Gasse gezerrt und durch meine Machtlosigkeit gedemütigt worden zu sein. Vom Ekel mal abgesehen, der mich überkam, als ich daran dachte, wie der Typ sich an meinen Brüsten zu schaffen gemacht hatte.
»Der Kopf brummt und mir ist leicht übel. Sonst geht es mir gut«, erwiderte ich wahrheitsgemäß und erleichtert darüber, dass sich meine Stimme gefestigt hatte.
»Gut. Jetzt wird es ein wenig zwicken«, bereitete mich Ronda auf den Einstich der Nadel vor. Ich hielt die Luft an, doch es war harmloser und auch schneller vorbei, als ich vermutet hatte. »Das war es schon. Vier Stiche. In vier Wochen werden Sie sie gar nicht mehr sehen oder gar spüren.«
»Danke«, sagte ich zu der mir zuzwinkernden Ärztin.
»Ich empfehle Ihnen dennoch, sich im Krankenhaus noch einmal durchchecken zu lassen. Sicher ist sicher.«
»Ja«, antwortete ich und zwang mich zu einem Lächeln. Mit Sicherheit würde ich nicht ins Hospital fahren, war ich mit den Beiträgen für meine Krankenversicherung doch fast ein Vierteljahr im Verzug.
Doc Ronda drückte aufmunternd meine Schulter, packte ihre Ausrüstung zusammen und half mir anschließend auf die Beine. Es ging zwar langsam, aber es ging. Und so musste ich bei der Befragung durch den Cop nicht weiter in dieser erniedrigenden Position verharren, sondern stand ihm in Augenhöhe gegenüber.
»Woran können Sie sich noch erinnern?«, wollte der Polizist wissen, nachdem er meine Personalien aufgenommen hatte.
»Es ist ziemlich verschwommen«, schränkte ich von vornherein ein. »Ich wollte dummerweise durch die Gasse gehen, um den Weg zur Haltestelle abzukürzen. Dann packte mich jemand, zerrte mich hierher und stieß mich zu Boden. Der Typ warf sich auf mich und riss an meinem Kleid herum, bis es nachgab.« Ein Würgereiz überkam mich bei dem Gedanken, doch ich konnte ihn unterdrücken. Der Officer, der sicher im Alter meines Dads war, sah mich mitfühlend an.
»Ganz ruhig«, sagte er, »lassen Sie sich Zeit.«
»Zeit?«, fragte ich gereizt. »Damit sich der Typ in einen anderen Bundesstaat verpissen kann?«
»Wir haben eine sehr genaue Beschreibung des vermeintlichen Täters und in seinem Zustand sollte er nicht weit kommen«, erklärte der Officer in aller Seelenruhe. Was er da sagte, drang in diesem Moment nicht zu mir durch, daher führte ich weiter aus:
»Jedenfalls hat er mich dann begrapscht.« Ich deutete mit beiden Händen auf meine Brüste, die zum Glück von meinem Mantel bedeckt wurden. Wann hab ich den denn wieder zugemacht?, fragte ich mich. Der Kerl hatte ihn mir doch so gut wie ausgezogen. Hauptsache jetzt war er zu. »Beim Hinfallen muss ich mit dem Kopf aufgeschlagen sein, daher war ich ziemlich benommen und hab das alles nicht mehr so genau mitbekommen. Ich weiß nur noch, dass er plötzlich von mir abgelassen und sich einen Kampf mit jemandem geliefert hat.« Ich versuchte, mich zu konzentrieren, doch je mehr ich mich anstrengte, umso mehr schwollen meine Kopfschmerzen wieder an. Erinnerungsfetzen von einem tätowierten, vernarbten Kerl mit nacktem Oberkörper flimmerten vor meinem inneren Auge. Konnte das wirklich sein? Oder spielte mein Unterbewusstsein mir da einen merkwürdigen Streich?
»Alles in Ordnung, Miss?«, fragte der Officer besorgt, dem mein schmerzverzerrtes Gesicht nicht entgangen war. »Soll ich den Doc nochmal rufen?«
»Nein, danke, schon okay«, beschwichtigte ich, obwohl es nicht okay war. Nichts von alledem: weder meine Schmerzen, noch dass ich sexuell belästigt worden war und auch nicht mein zerrissenes, sauteures Kleid! Wer bezahlte mir das überhaupt? Langsam schüttelte ich den Kopf, mehr über mich selbst und meine Gedankengänge. Warum um alles in der Welt machte ich mir Sorgen wegen ein paar hundert Dollar, wo ich nur um Haaresbreite einer Vergewaltigung entkommen war?
»Gut. Also haben Sie ihn nicht erkannt?« Er wartete meine verneinende Geste ab. »Haben Sie eine Vermutung, wer es gewesen sein könnte?«
Mit einem Schlag wurde es mir bewusst: Hatte sich Mark an mir rächen wollen? Sich das holen, was ihm seiner Meinung nach zustand? Der harmlose Nerd mit dem Teint eines Vampirs? Eigentlich nicht vorstellbar. Andererseits würde das die Kürze des Kampfes erklären und warum ich danach nicht weiter belästigt wurde. Dessen war ich mittlerweile sicher, da sich unterhalb meiner Brüste nichts so anfühlte, als hätte sich jemand daran zu schaffen gemacht. Auch saß mein Slip tadellos. Das hatte ich bereits gecheckt, als die Ärztin sich noch um mich kümmerte.
»Es könnte tatsächlich sein, dass ich –.«, begann ich zögerlich, wurde jedoch von dem Polizisten ausgebremst, der mir ein Tablet unter die Nase hielt, das einen laufenden Mann im Blitzlicht zeigte. Er hielt sich die Hand vor den blutverschmierten Mund und die Nase. Schnell erkannte ich, dass es hier in der Gasse geschossen worden war.
»Ist das der Mann, an den Sie denken?«
Das Gesicht des Flüchtenden war einerseits wegen der vorgehaltenen Hand, andererseits wegen der Perspektive, aus der das Foto aufgenommen worden war, nicht eindeutig zu erkennen.
»Nein«, sagte ich etwas erleichtert, da ich Mark zumindest ausschließen konnte. Somit lag ich mit meiner Einschätzung ihn betreffend nicht völlig falsch und brauchte mir keine Sorgen zu machen, dass Kaylee in übler Gesellschaft gelandet wäre. »Den Mann habe ich noch nie gesehen. Das glaube ich jedenfalls. Woher haben Sie das Bild?«
Der Officer deutete die enge, dunkle Straße entlang.
»Eine Bewohnerin von dort hatte zufällig aus dem Fenster beobachtet, dass Sie überfallen wurden, woraufhin sie uns informierte und geistesgegenwärtig das Foto schoss.«
»Und der andere, der mit ihm gekämpft hat? Hat sie den auch gesehen?«
»Sie konnte aus der Entfernung lediglich sagen, dass es ein zweiter Mann war, der Ihnen zu Hilfe kam und den Angreifer so zugerichtet hat. Nachdem dieser flüchtete, ist Ihr Schutzengel in Richtung Süden weggegangen. Sie hatten verdammtes Glück, Ms. Carger.«
***
Liam
Entgegen dem eher negativen Image, mit dem die Damen und wenigen Herren des horizontalen Gewerbes leben mussten, genossen sie von mir eine einwandfreie Wertschätzung. Allerdings bezog ich nur diejenigen ein, die ich bislang, ausschließlich rein geschäftlich, kennenlernen durfte. Meine durchweg positiven Erfahrungen könnten natürlich an der gehobenen ›Preisklasse‹ liegen, in der ich meist verkehrte. Mit dem Straßenstrich oder den Etablissements, die in heruntergekommenen Seitenstraßen in den Slums zu finden waren, wo sich drogenabhängige und oft illegal in den Staaten untergekommene Mädchen für einen Fünfziger oder weniger anboten, hatte das nichts zu tun. Bei den Damen meines Vertrauens wechselten schon mal tausend Dollar den Besitzer – für eine Nacht wohlgemerkt.
Weder meine Geschäftspartner noch meine engsten Vertrauten wussten von meiner Vorliebe für Luxusprostituierte. Sie würden mich sicher als charmant, geistreich und stets zu einem guten Flirt aufgelegt beschreiben. Doch niemand konnte in mein Inneres sehen, konnte sehen, dass es nur meine mühsam aufrecht erhaltene Fassade war, die ich mir über Jahre errichtet hatte.
Und es war gut so. Es passte einfach ideal in mein derzeitiges Lebensschema: Ich bekam es, wenn ich es brauchte, wo ich es brauchte, wie ich es brauchte und mit wem ich es brauchte. Ohne lästigen Smalltalk, zeitaufwändige Dates und vor allem ohne jegliche Verbindlichkeit, abgesehen vom vereinbarten Honorar. Ansonsten störte keine Gefühlsduselei, kein unerwarteter Anruf und es gab keine gebrochenen Herzen.
»Und wenn die Cops nach dir fragen?«, wollte Linda von mir wissen, nachdem ich über die Feuerleiter wieder in ihr Apartment zurückgekehrt war. Sie fuhr mit ihrem Zeigefinger die Konturen meiner nackten Brust nach, während ich mein Shirt anzog.
»Sag ihnen einfach, du hättest mich nicht erkannt.« Ich wusste, dass ich mich auf sie verlassen konnte. Warum sollte sie riskieren, mich als Kunden zu verlieren? Zumal ich für mein vieles Geld keine ordinären Schweinereien von ihr verlangte, mich von ihr manchmal auch nur mit einem Happy End massieren ließ. Darüber hinaus kannte sie außer meinem Vornamen nur meine private Handynummer. Vertrauen war zwar gut, doch musste ich mit meinem Background nicht unnütz hausieren gehen. Wer konnte schon wissen, ob die eine oder andere Dame nicht den Versuch einer raffinierten Erpressung unternehmen würde, sollte sie über mein Vermögen auf der einen und der Signifikanz eines hochseriösen Rufes auf der anderen Seite Bescheid wissen?
»Okay«, hauchte sie und sah mir hinterher, wie ich zur Tür ging.
Bevor ich diese endgültig ins Schloss fallen ließ, drehte ich mich noch einmal zu ihr um.
»Tut mir leid, dass ich dich da mit reingezogen habe, aber ich kann bei sowas nicht einfach wegschauen.«
»Machst du Witze? Es war fantastisch, wie du dem Schwein den Arsch versohlt hast. Ich hoffe, dass jemand wie du in der Nähe sein wird, falls mir mal etwas Ähnliches passieren sollte.«
»Das wollen wir nicht hoffen. Bye.« Ich ging, ohne eine weitere Erwiderung abzuwarten.
Bevor ich das Gebäude verließ, schlug ich den Kragen des Mantels hoch und zog meine Baskenmütze tief ins Gesicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass mich jemand auf der Straße erkennen würde, lag zwar nur im statistisch geradeso erfassbaren Bereich, doch über die Jahre hatte ich es mir angewöhnt, mich möglichst unsichtbar durch die Gegend zu bewegen. Und das nicht nur, wenn ich von einer Edelprostituierten kam.
»Wie machst du das immer?«, hörte ich häufig Geschäftspartner oder Bekannte fragen.
»Was meinst du?«, war meine Standardantwort darauf, obwohl ich in der Regel wusste, worauf sie hinauswollten.
»Na, dass du aus dem Nichts auftauchst. Du weißt, dass das manchmal echt unheimlich ist? Dass du unheimlich bist!«, folgte in der Regel sinngemäß als Erklärung. Ein, so hoffte ich, geheimnisvoll wirkendes Lächeln beendete das Thema meist.
Obwohl ich es nicht wollte, zwang mich etwas in mir, in die kleine Straße einzubiegen, die zur hinter dem Gebäude verlaufenden Gasse führte. Rote und blaue Lichter blinkten mir im Wechsel entgegen, woraus ich schloss, dass sowohl die Cops als auch der Notarzt bereits eingetroffen waren. Das musste man den Einsatzkräften in der Stadt, die niemals schlief, hoch anrechnen: Sie waren stets verdammt schnell zur Stelle. Auch wenn es um die Frau nicht so schlimm stehen konnte, die ich vor wenigen Minuten vor ihrem Angreifer gerettet hatte.
Ein paar Schritte später sah ich nun auch die Einsatzwagen. Etwa zehn Schaulustige verfolgten das eher unspektakuläre Treiben des Cops und der beiden Sanitäter oder Ärztinnen. Kurz blieb ich in der Reihe hinter einem etwa 80-jährigen, kleinen Mann in Feinrippunterhemd stehen. Sicher war er aus einer der umliegenden Wohnungen vom kurzen Kampf und dem erbärmlichen Gewinsel des Typs aufmerksam gemacht worden. Ich überragte ihn locker um eineinhalb Köpfe, so hatte ich freie Sicht auf den Officer, der mit dem Rücken zu mir keine zehn Meter entfernt die Frau befragte, die ihm gegenüberstand. Sie wurde zum großen Teil von ihm verdeckt, sodass ich sie nur an ihrem zerrissenen Kleid und dem Haar erkannte, das ihr noch etwas wild den Kopf rahmte.
»Sie hat tierisch Glück gehabt«, erklärte mir der alte Mann ungefragt.
»Ach ja?«, fragte ich, bemüht darum, möglichst beiläufig zu klingen. Er hatte mich doch hoffentlich nicht beobachtet.
»Ja, ich sag es Ihnen. Diese verdammten Schlitzaugen!«
»Mh«, machte ich nur. An sich hätte ich beruhigt weitergehen können, denn der Greis hatte den Überfall mit Sicherheit nicht gesehen. Zwar könnte ich kein Phantombild des Mannes anfertigen lassen, den ich aufgemischt hatte, aber dass es sich bei ihm um einen Mitte bis Ende 20-jährigen Weißen gehandelt hatte, stand außer Frage. Ein paar der neben uns stehenden Leute folgten gebannt seinen Ausführungen.
»Ohne Scheiß. Ein Vietnamese oder Japse hat sich die arme Frau gegriffen, während ein zweiter an der Ecke Schmiere gestanden hat«, erklärte er enthusiastisch weiter. »Doch die haben nicht mit dem Typen gerechnet, der plötzlich von dort hergelaufen kam.« Er deutete in die Richtung, aus der ich tatsächlich vorhin gekommen war. »Es war wie im Film, ich sag es euch: Der Typ trug neben einer Uzzi einen Patronengurt um den nackten Oberkörper. Er sah aus wie Rambo, hatte auch so ein Stirnband, das kennt ihr ja.«
Zustimmendes Gemurmel. Langsam fand ich Gefallen an der Räuberpistole des Mannes.
»Was passierte dann?«, fragte eine Frau mittleren Alters.
»Der Kerl, der aufpassen sollte, hat sofort das Weite gesucht. Dann hat der Rambo die Waffe zur Seite gelegt und dem Mann auf der Frau zugerufen, dass er sie in Ruhe lassen soll. Der schlug dem armen Mädchen fest ins Gesicht und stand auf, um sich mit dem Rambo zu prügeln. Doch der stieß einen Kampfschrei aus und nach wenigen Sekunden konnte der Kerl nur noch flüchten. Dann tauchte eine Nebelwolke auf, in der der Rambo verschwand.« Längst sah der alte Mann nicht mehr zu der angegriffenen Frau, sondern hatte sich zu seinem Publikum umgedreht, das im Halbkreis mit teilweise ungläubigem Blick um ihn herumstand. »Echt, Leute, das müsst ihr mir glauben. Wie der verdammte Copperfield!«
Ein letztes Mal blickte ich zu der jungen Frau, der es einigermaßen gutzugehen schien. Bevor ich den Tatort verließ, neigte ich mich zu dem alten Mann hinunter.
»Sind Sie sicher, dass dieser Typ aussah wie Rambo? Oder hatte er vielleicht grüne Haut?« Schmunzelnd machte ich mich auf den Weg zu meinem Wagen, der einen halben Block weiter in einer Parkbucht auf mich wartete.
Kapitel 3
Emily
Nach der Befragung durch den Officer bot er mir an, mich mit dem Streifenwagen nach Hause zu fahren. Doch mich überkam ein erneuter Schwächeanfall, der mir fast die Beine und den Körper wegriss, als ich ihm dafür danken wollte. Doc Ronda hatte das gesehen und bestand darauf, mich in die nächstgelegene Klinik zu bringen. In Anbetracht meines Kontostandes gab ich nur schweren Herzens nach und ließ die Vernunft das Rennen machen.
Kaum hatte ich den Untersuchungsraum in der Notaufnahme des Brooklyn Hospital Centers verlassen, kam Kaylee auf mich zugestürzt.
»Em!«, kreischte sie. »Was machst du für Sachen? Wie geht es dir? Alles in Ordnung? Verflucht nochmal, antworte doch!« Meine Freundin lief während des Wortschwalls auf mich zu und ihr Gesicht drückte echte Besorgnis aus. Auf der Fahrt mit dem Rettungswagen in die Klinik hatte ich ihr lediglich eine Kurznachricht schicken können. Ein Gefühl von Wärme breitete sich in mir aus. Schließlich hatte sie sich direkt auf den Weg hierher machen und wahrscheinlich zuvor ihren Flirt abschießen müssen, sobald sie meine Nachricht erhalten hatte. Sonst könnte sie unmöglich schon hier sein.
»Alles gut soweit«, beruhigte ich sie und klärte sie über die Untersuchung auf, die ich gerade über mich ergehen lassen hatte.