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Eine romantische Geschichte über Liebe, Puderzucker und Wasserpfützen. Nach längerer Abwesenheit kehrt Beverly Greenwall für eine Stelle als Redakteurin eines Lifestyle-Magazins in ihre Heimatstadt Seattle zurück. Sie will sich erstmal eingewöhnen und ihre Karriere in Schwung bringen, für eine Beziehung fehlen ihr Zeit und Lust. Doch dann trifft sie morgens in ihrer Küche auf den smarten Matthew Miller, der seelenruhig und nur mit Shorts bekleidet einen Kaffee schlürft. Ganz langsam lichtet sich der Schleier: Wie konnte sie sich nur auf einen One-Night-Stand mit einem Kerl einlassen, der überhaupt nicht ihr Typ ist? Schnell wimmelt sie ihn ab und ist froh, als er die Türe hinter sich schließt. Der junge Start-up-Gründer hat jedoch Feuer gefangen und lässt erst locker, als er die sich sträubende Beverly zu einem Date überreden kann. Langsam nähern sich die beiden an, doch ein dunkles Kapitel aus Beverlys Vergangenheit hindert sie daran, sich ganz auf ihn einzulassen. Schafft es Matthew, ihre Zweifel zu zerstreuen und sie für sich zu gewinnen?
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Seattle Moments
Rachel Callaghan
Über das Buch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Nachwort
Leseprobe Fremde Angst – Burns Creek
Leseprobe Fremde Angst – Nemesis
Impressum
Eine Geschichte von Liebe, Puderzucker und Wasserpfützen.
Nach längerer Abwesenheit kehrt Beverly Greenwall für eine Stelle als Redakteurin eines Lifestyle-Magazins in ihre Heimatstadt Seattle zurück. Sie will sich erstmal eingewöhnen und ihre Karriere in Schwung bringen, für eine Beziehung fehlen ihr Zeit und Lust.
Doch dann trifft sie morgens in ihrer Küche auf den smarten Matthew Miller, der seelenruhig und nur mit Shorts bekleidet einen Kaffee schlürft. Ganz langsam lichtet sich der Schleier: Wie konnte sie sich nur auf einen One-Night-Stand mit einem Kerl einlassen, der überhaupt nicht ihr Typ ist? Schnell wimmelt sie ihn ab und ist froh, als er die Türe hinter sich schließt. Der junge Start-up-Gründer hat jedoch Feuer gefangen und lässt erst locker, als er die sich sträubende Beverly zu einem Date überreden kann.
Langsam nähern sich die beiden an, doch ein dunkles Kapitel aus Beverlys Vergangenheit hindert sie daran, sich ganz auf ihn einzulassen.
Schafft es Matthew, ihre Zweifel zu zerstreuen und sie für sich zu gewinnen?
Beverly
Verdammt, warum dröhnte es in meinem Schädel, als würde ich unter einer startenden Boeing 747 liegen? Ach ja, die Party gestern. Natürlich hatte ich wieder kein Ende finden können und musste nach dem fünften auch noch den sechsten und was weiß ich wievielten Longdrink in mich hineinkippen. Ganz zu schweigen von den Tequilas zwischendurch. Sauber! Ich würde einen verflucht guten Eindruck in meiner neuen Firma schinden können, wenn ich bereits in der zweiten Woche mit dunklen Augenrändern und einer verkaterten Stimme aufschlug. Doch das Jammern half mir jetzt auch nicht weiter, daher quälte ich mich aus dem Bett und bugsierte mich, mich am Handlauf festhaltend, die Treppe zum Erdgeschoss hinab in Richtung Küche. Kaffee! Der würde mich retten. Hoffentlich. Aber warum bitte roch es schon im Flur danach? Hatte ich heute Nacht noch einen gekocht und stehengelassen? Nein, unmöglich. Oder doch? Keine Ahnung. War etwa Audrey um diese Uhrzeit schon wach? Nein, auch das schloss ich aus, denn meine Mitbewohnerin und beste Freundin schlug nur in den seltensten Fällen vor Mittag auf, da sie nachts arbeitete. Ein seltsames Gefühl der Neugierde beschlich mich, als ich mich der Küchentür näherte.
»Hey, guten Morgen, wie trinkst du ihn? Schwarz oder mit Milch und Zucker?«, hörte ich den fremden Mann fragen, der sich, offensichtlich frisch geduscht und nur mit Boxershorts bekleidet, ein Frühstück an meinem Esstisch gönnte. Als wohnte er hier. Nach einem kurzen Schreck folgte die Ernüchterung in Form der wiederkehrenden Erinnerung. Ich hatte ihn mit nach Hause genommen, stimmt. Aber wieso? Hm, um ... keine Ahnung, ihn zu vögeln? Mein Gedächtnis setzte in dem Moment aus, als wir das Taxi vor meinem Haus verlassen hatten. Ein dumpfes Pochen hinter meiner Stirn erschwerte mein Denken und ich rieb fest mit der Hand darüber, als könnte ich den Schmerz dadurch hinauspressen.
»Du musst gehen«, sagte ich emotionslos, trat an ihn heran, nahm die Kaffeetasse aus seiner Hand und kippte die dampfende Flüssigkeit zur Hälfte hinunter. »Jetzt.« Unbeeindruckt davon stand er auf, lächelte mich mit seinen dunkelbraunen, fast schwarzen Augen unverschämt an und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen an die Arbeitsplatte. Ihm hingen Strähnen seines dunklen Haars wild im Gesicht und der schlanke, drahtige Körper zog meinen Blick magnetisch an. Kopfschüttelnd zwang ich mich, nicht länger hinzusehen.
»Jetzt sofort? Darf ich noch meinen Kaffee austrinken?« Er deutete mit dem Kopf auf die Tasse, ich folgte seinem Blick und trank den Rest. Danach drehte ich sie um, woraufhin die letzten Tropfen auf die Fußbodenfliesen fielen.
»Er ist ausgetrunken. Ich muss duschen und du musst gehen«, wiederholte ich, während ich aus der Küche schlurfte. Viel deutlicher konnte ich ihm doch nun wirklich nicht klarmachen, dass er verduften sollte.
»Hey«, rief er mir hinterher, »bekomme ich deine Nummer oder verrätst du mir wenigstens deinen Namen?«
»Du musst jetzt gehen«, sagte ich zum dritten Mal und kam mir langsam vor, als würde ich mit einem Kleinkind reden. Was stimmte nicht mit dem Typen?
Zurück in meinem Zimmer fiel mein Blick auf seine Klamotten, die er wohl heute Nacht auf dem Stuhl vor meinem Schminkspiegel abgelegt hatte. Ich griff danach, schnappte seine Lederschuhe und warf alles die Treppe hinunter.
»Danke«, hörte ich ihn fröhlich von unten rufen und fragte mich erneut, ob der Typ noch alle Tassen im Schrank hatte, wenn er so reagierte. Hätte das andersherum jemand mit mir gemacht, würde er sich unter einer Kanonade aus Beschimpfungen und Beleidigungen wiederfinden. Ihm, der mich optisch an den jungen Keanu Reeves erinnerte, schien es jedoch überhaupt nichts auszumachen. Umso besser, dachte ich mir und schleppte mich unter die Dusche.
Es war nicht mein erster One-Night-Stand gewesen, wobei ich auch nicht behaupten würde, bezüglich dessen über einen großen Erfahrungsschatz zu verfügen – jedenfalls nicht in der klassischen Version. Aber es war das erste Mal, dass ein Blackout meine Erinnerungen daran gelöscht hatte. Was ich einerseits begrüßte, andererseits etwas schade fand, da er irgendwie doch verdammt niedlich war. Das kalte Wasser aus dem Brausekopf traf auf meine Haut und ließ mich kurz zusammenzucken, doch im nächsten Moment hatte ich mich daran gewöhnt und ich spürte von Sekunde zu Sekunde, wie meine Lebensgeister zurückkehrten und es in meinem Kopf wieder normal zu arbeiten begann.
***
Matthew
Die Frau war ein Knaller. Aber sie schien ein kleines Alkoholproblem zu haben, denn offensichtlich hatte sie mich nicht wiedererkannt, obwohl sie es war, die mich heute Nacht an der Bar angegraben und schließlich mit nach Hause genommen hatte. Nicht, dass ich mich gewehrt hätte – sie sah in ihrem roten Cocktailkleid klasse aus und unsere Unterhaltung war wirklich äußerst witzig. Obwohl, oder vielleicht gerade weil sie zum großen Teil daraus bestand, dass wir uns über die anderen Gäste des Clubs amüsierten.
»Ich denke, wir sollten uns aus diesem Zirkus verabschieden, bevor ich noch einen Krampf vom Dauergrinsen bekomme«, hatte sie irgendwann vorgeschlagen. Sie hätte noch eine Flasche Rotwein zu Hause, die dringend geleert werden müsste. Dem konnte ich nicht widerstehen und wenig später saßen wir bereits im Taxi. Zugegeben, auch ich hatte den einen oder anderen Drink zuviel und so verlief der Rest des Abends doch anders, als ich erwartet hatte.
Nachdem ich heute Morgen von einem höllischen Nachdurst und dem Knurren meines Magens geweckt wurde, musste ich mich erstmal orientieren. Im ersten Moment war ich etwas überrascht, als ich registriert hatte, in einem fremden Bett und überdies nicht allein geschlafen zu haben. Doch schnell überkam mich ein Lächeln, als ich sie beim Schlafen beobachtete, wie sie gleichmäßig atmete, nur ab und zu durch einen kleinen Schnarcher unterbrochen. Wer war diese Frau, deren langes, brünettes Haar gerade die Hälfte ihres fein geschnittenen Gesichts verdeckte und die mich gestern abgeschleppt hatte? Mein Blick schweifte durch das von der Morgensonne in weiches Licht getauchte Schlafzimmer. Es war sauber und tadellos aufgeräumt, keine Spinnwebe in den Ecken und auch die schlierenfreie Fensterscheibe ermöglichte eine freie Sicht nach draußen. Akkurat angerichtete Deko auf dem Sims und der angrenzenden Kommode rundeten das schon fast spießige Bild ab, das zu der Frau von heute Nacht so überhaupt nicht passen wollte.
Leise stieg ich aus dem Bett und schlich die Treppe hinunter.
»Guten Morgen, Fremder«, hörte ich eine weibliche Stimme hinter mir sagen und erschrak ein wenig. Ich wandte mich zu ihr und erst jetzt hörte ich das Rauschen der Toilettenspülung. »Ich bin Audrey«, verkündete sie und schlurfte in ihrem viel zu großen T-Shirt, das bis zu den Knien reichte, an mir vorbei. »Und muss jetzt weiterschlafen.«
»Matt«, erwiderte ich und schaute ihr hinterher, wie sie durch eine Tür verschwand. Würde wohl eine Wohngemeinschaft sein, schoss es mir durch den Kopf und ich war gespannt darauf, wer mir noch so alles begegnen würde.
Die nächsten Minuten verbrachte ich ungestört damit, mir einen Kaffee zu kochen und ein Sandwich zu machen. Mein Blick fiel auf die Küchenuhr. Verdammt, ich musste langsam los. Doch bevor ich mich aufraffte, erschien meine attraktive Gastgeberin, deren Namen ich vergessen hatte. Oder hatte sie ihn mir gar nicht genannt? Egal, ich würde ihn schon in Erfahrung bringen.
Offensichtlich war sie ein Morgenmuffel, denn sie machte mir sehr direkt klar, dass ich mich zum Teufel scheren sollte, indem sie meinen Kaffee austrank und mir unverblümt und mehrfach sagte, dass ich jetzt gehen müsste. Sie trug ein Nachthemd, das ihr ebenso zu groß war, wie das ihrer Mitbewohnerin Audrey. Ihr hingegen stand dieser Look deutlich besser. Obwohl es ziemlich schlabberig fiel, konnte es die Rundungen ihrer Brüste nicht verbergen und das, was ich von ihren schlanken Beinen erkennen konnte, gefiel mir auch außerordentlich. Doch ich musste mich ranhalten, damit ich nicht zu spät zu meinem Termin kommen würde. Sie wollte sich ja eh nicht mit mir unterhalten, so versuchte ich gar nicht erst, ihr ein Gespräch aufzuzwingen und beließ es dabei, sie nach ihrem Namen zu fragen. Hier lagen nämlich weder Briefe herum, von denen ich darauf hätte schließen können, noch gab es einen Kalender, dessen Spalten mit den Namen sämtlicher Bewohnerinnen beschriftet gewesen wären. Wenig überraschend reagierte sie nicht darauf, sondern wiederholte den Rauswurf, ging aus der Küche und kurz darauf hörte ich, wie meine Sachen auf den unteren Stufen der Treppe aufschlugen.
»Danke«, rief ich ihr zu und musste mich beherrschen, nicht laut zu lachen. Sie war zwar nicht besonders freundlich zu mir, aber ich hatte in meinem jungen Leben weitaus Schlimmeres durchmachen müssen, daher zog ich mich schnell an und kritzelte meine Nummer auf ein Stück Papier. Auch wenn sie mich nicht schnell genug loswerden konnte, hatte sie mein Interesse definitiv geweckt. Daher legte ich den Zettel auf den Küchentisch, überließ es damit dem Schicksal, ob sie sich bei mir melden würde, und machte mich auf den Weg.
Ein kühler Ostwind wehte mir vom Pazifik her ins Gesicht und verscheuchte die letzte Müdigkeit. Und es regnete. Natürlich tat es das, denn mit durchschnittlich 300 Regentagen im Jahr hier in Seattle war die Chance eher gering, einen der trockenen Tage zu erwischen. Vor allem jetzt im Februar. Da schaffte es die Sonne, wie auch in den anderen Wintermonaten, nur höchst selten, ein Loch in die graue Wolkendecke zu reißen. Schon verrückt: Die meisten Einwohner sagten, wenn man sie danach fragte, dass es gefühlt das ganze Jahr über regnete. Mich würde das auf Dauer depressiv machen, aber den Leuten hier schien es kaum etwas auszumachen, denn die Suizidrate war hier meines Wissens nach nicht höher als in anderen Teilen der USA. Zwar waren in den letzten Jahrzehnten viele von der George Washington Memorial Bridge gesprungen, die die beiden Stadtteile Queen Anne und Fremont miteinander verband, und hatten so ihrem Leben ein Ende gesetzt, aber dieses Schicksal teilte sie mit sehr vielen anderen Brücken in den Staaten. Warum dachte ich jetzt überhaupt über so etwas Morbides nach? Der letzte Abend und die Nacht waren viel zu schön, um solchen Gedanken nachzuhängen.
Einen Block weiter erwischte ich ein freies Taxi. Der Mann hinter dem Steuer, dessen Dreadlocks unter einer in den Nationalfarben Jamaikas gehaltenen Strickmütze herausschauten, grinste mich an, wobei zwei Reihen gelblicher Zähne zum Vorschein kamen. Wieder einmal war ich froh darüber, niemals mit dem Rauchen angefangen zu haben.
»Wohin soll es gehen?«
»Bringen Sie mich bitte ins Four Seasons«, erwiderte ich auf die Frage des Taxifahrers.
»Four Seasons, Union Street«, bestätigte er, während er die Taxiuhr anstellte. »Alles klar, Chef.« Der Wagen ruckelte kurz, dann waren wir auch schon auf dem Weg. Während wir durch die Stadt fuhren, konnte ich mich weder auf die interessanten Gebäude, die Seattle zweifellos bot, noch auf meinen abendlichen Termin konzentrieren, zu präsent war diese Frau in meinem Kopf, deren Namen ich immer noch nicht wusste. Na ja, wenigstens kannte ich den ihrer Mitbewohnerin und falls Audrey ein gutes Wort für mich einlegen würde, wer weiß, vielleicht rief sie mich ja in den nächsten Tagen mal an. Plötzlich stellte ich fest, dass es nicht mehr regnete. Ich beugte mich nach vorn.
»Lassen Sie mich an der Ecke raus, den Rest gehe ich zu Fuß.« Gleichzeitig fuhr er an den Straßenrand und antwortete mir.
»Wie Sie wünschen, Chef.« Nachdem wir angehalten hatten, drückte er eine Taste am Taxameter. »21,40 bekomme ich.« Verdammt, ich hatte überhaupt nicht in meinen Taschen nachgesehen. Hoffentlich versteckte sich darin noch etwas. Dann fühlte ich das typische Banknotenpapier unter meinen Fingern, zog ein paar Scheine hervor und drückte dem Fahrer fünfundzwanzig Dollar in die Hand.
»Stimmt so, danke«, sagte ich lächelnd und verabschiedete mich. Allerdings hätte ich ihm nicht beim Wegfahren hinterhersehen, sondern lieber auf den Gehweg achten sollen, denn im nächsten Moment trat ich in eine Pfütze und spürte das Wasser sofort zwischen meinen Zehen. »Na super, läuft ja.« Kopfschüttelnd ging ich weiter. Typisch für mich, aber nicht weiter tragisch, denn so weit war es nicht mehr bis zum Hotel und duschen müsste ich eh, nachdem ich die ganze Nacht durchgesumpft hatte.
Beverly
Es überraschte mich angenehm, dass mein Gast sich offenbar zu benehmen wusste, denn er hatte sowohl die Kaffeetasse als auch das Brett, von dem er sein Sandwich aß, abgespült und wieder in den Schrank zurückgestellt.
»Womit er wohl über eine bessere Kinderstube verfügt als du«, sagte ich zu mir selbst.
»Wer? Matt?«, hörte ich Audrey fragen, die wie aus dem Nichts in der Küche auftauchte. Aber klar, es war ja schon später Vormittag.
»Matt?«
»Mensch, Bev, lässt du dir von den Kerlen, die du abschleppst, nicht mal die Namen geben?«, fragte sie zwinkernd und nahm mir mit derselben Selbstverständlichkeit die volle Kaffeetasse aus der Hand, wie ich es vorhin bei Matt getan hatte – wenn das denn wirklich sein Name war.
»Dazu bin ich irgendwie nicht gekommen«, wich ich aus, denn es war mir schon etwas peinlich.
»Gut, dass du mich hast«, sagte Audrey, trank einen Schluck und stellte mir die Tasse vor die Nase. »Oh, was ist das?« Sie bückte sich umständlich und kroch halb unter den Tisch. Ich schob mich mit dem Stuhl zurück und schaute neugierig, wonach sie suchte. Mit einem kleinen Zettel in der Hand richtete sie sich wieder auf, warf einen Blick darauf und ließ ihn auf den Tisch fallen. »Ist sicher für dich«, sagte sie und ging zum Kühlschrank. Mit schiefgelegtem Kopf inspizierte ich das Stück Papier, als wäre es etwas Gefährliches oder zumindest etwas Besonderes. Aber es war nur ein Zettel mit einer Handynummer drauf. Kurz überlegte ich, dann griff ich danach, zerknüllte ihn und warf ihn gekonnt in den Mülleimer, der neben der Arbeitsplatte stand. »Du willst ihn nicht zurückrufen? War es so schlecht? Oder war er so schlecht? Dabei sieht er doch total heiß aus.«
»Es war so gut oder so schlecht, dass ich keine Erinnerung mehr daran habe. Und sooo heiß war er nun auch wieder nicht«, versuchte ich, gleichgültig zu klingen.
»Blackout? Wieder zuviel Tequila gestern?«
»Mh«, erwiderte ich und nickte langsam. Auch nach dem Duschen war meine Erinnerung nicht wiedergekehrt, sodass die letzte Nacht wohl für immer im Dunklen bleiben würde. Allein deswegen würde ich ihn nicht anrufen, aber hauptsächlich aus dem Grund, dass mir eine Beziehung oder sowas im Moment nicht in den Kram passte. Schließlich war ich noch recht neu in meiner Firma und wollte mich in den nächsten Jahren auf meine Karriere konzentrieren. Da würde ein fester Freund nur Ballast sein und mich in meiner Konzentration stören. So jedenfalls redete ich es mir erfolgreich ein und ließ dabei natürlich außen vor, dass mehr dahinter steckte. Aber das ging niemanden etwas an. Mit einem eigenen Kaffeepott und einem Salat setzte sich Audrey zu mir an den Tisch.
»Okay, ich stell keine weiteren Fragen zu dem Thema. Aber zu anderen schon: Bist du aufgeregt wegen heute Abend? Hast du das Kleid nochmal anprobiert?«
»Boah, geh mir mit dem Kleid weg. Ich hoffe inständig, dass ich da noch reinpasse, ohne auszusehen, wie eine Presswurst.«
»Ach komm, Bev, du spinnst doch.« Sie schaute demonstrativ an mir herunter. »Wahrscheinlich müssen wir es noch abnähen, so dünn wie du bist.«
»Mh. Wir werden sehen«, sagte ich und starrte auf den Rest meines Sandwiches. Sollte ich das vielleicht lieber nicht mehr essen? Keinesfalls teilte ich Audreys Meinung über meine Figur, im Gegenteil: An den Hüften und den Oberschenkeln sah ich durchaus noch Handlungsbedarf. Egal, dachte ich, und stopfte mir das Brot in den Mund. Wenn ich nichts mehr essen würde, würde ich heute Abend noch zusammenklappen, und das wäre sehr unangenehm. Ich musste auf die Charity-Gala zu Gunsten irgendeiner Stiftung für Gewaltopfer ins Four Seasons und darüber einen Artikel für das Lifestyle-Magazin schreiben, für das ich seit einigen Wochen arbeitete. Zwar hatte es mich überrascht, dass ich dafür ausgewählt worden war, denn mein Bereich in der Zeitschrift war ›Wohnen und Innenausstattung‹. Jedoch war eine der beiden Kolleginnen, die sich normalerweise mit den Veranstaltungen der High Society beschäftigten, in Europa unterwegs, um über die Klimakonferenz zu berichten, und die andere lag mit einem gebrochenen Bein im Grey Sloan Memorial Hospital. So fiel die Wahl meiner Redaktionsleiterin auf mich, zumal ich in Seattle aufgewachsen war und zumindest über die regionale Prominenz ganz gut Bescheid wusste. Mir sollte es recht sein, auch wenn ich mit Menschenansammlungen nicht viel anfangen konnte. Im Gegenteil, ich litt schnell unter Platzangst und war auch nicht gerade für Smalltalk geboren. Das wäre aber hoffentlich auch nicht notwendig. Ich würde mir die offiziellen Reden anhören, ein paar Fotos machen, mich mit Lachs, Hummer, Kaviar und anderen dekadenten Speisen vollstopfen, drei oder vier Gläser Champagner schlürfen und mich wieder auf den Heimweg machen. Wahrscheinlich würde ich mir währenddessen bereits das Kleid ausziehen – falls es nicht von allein platzte – und mir vor dem Schlafengehen noch ein paar Folgen einer Liebesschnulze auf Netflix gönnen.
»Also nein«, sagte ich, »ich bin nicht aufgeregt deswegen und werde daher auch keinen Freudentanz auf dem Tisch aufführen.«
»Schade, ich sehe dich so gerne tanzen, und dann noch in diesem Cocktailkleid. Rrrrr.«
»In zwei Wochen hast du doch wieder frei, dann geh ich mit dir in den Club. Versprochen.«
»Und dort tanzt du nur für mich?«, fragte Audrey und klimperte übertrieben mit den Wimpern, sodass ich losprustete und aufpassen musste, nicht den Rest des Sandwiches über den Tisch zu verteilen.
»Als ob du dort Augen für mich hättest. Du hängst doch in Nullkommanichts wieder irgendeinem Latinoboy am Hals, wenn wir da sind.« Jetzt lachte auch meine Mitbewohnerin.
»Was soll ich denn machen? Die sind einfach zum Anbeißen.«
***
Matthew
»Na, ich hoffe, es hat sich gelohnt«, hörte ich meinen Bruder Henry aus dem Bad rufen, nachdem ich ins Zimmer gekommen war und mich zurückgemeldet hatte. Hatte er etwa mitbekommen, dass ich mit dem Mädel abgedampft bin? Mit einem Handtuch um die Hüfte gebunden trat er in den Türrahmen und rubbelte mit einem weiteren Tuch sein kurzes, blondes Haar trocken.
»Keine Ahnung, wovon du redest«, erwiderte ich, bemüht darum, möglichst desinteressiert zu klingen. Er lächelte, wodurch er mich sofort an unseren Dad erinnerte, der vor einigen Jahren zusammen mit unserer Mom bei einem Verkehrsunfall verunglückt war. Henry war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, sowohl die strahlend blauen Augen wie auch den athletischen Körperbau hatte er geerbt und mit viel Sport hielt er ihn in Form. Bei mir hingegen hatten sich die Gene unserer mexikanischen Mom durchgesetzt, somit glaubte uns kein Mensch, dass wir Brüder waren.
»Das kann ich mir vorstellen, du hattest ja nur noch Augen für diese Beverly und hast mich gar nicht mehr wahrgenommen.«
»Beverly? Woher kennst du ihren Namen?«
»Was? Oh Mann, da war wohl der ein oder andere Kurze zu viel!« Er grinste über beide Ohren. »Den hat sie dir jedenfalls genannt, als sie sich zu dir gesetzt hat. Nebenbei bemerkt war das der Zeitpunkt, ab dem ich nicht mehr für dich existiert habe«, erklärte er mir lachend. »Aber mach dir keine Sorgen, ich hatte ebenfalls einen schönen Abend.«
»Da bin ich ja beruhigt.« Beverly hieß sie also und jetzt, wo ich den Namen hörte, fiel mir auch wieder ein, dass sie ihn mir gesagt hatte. ›Ich bin Beverly und verkneif dir irgendwelche Anspielungen, ob Hills mein Nachname sei‹, hatte sie mir zugeraunt und beim zweiten Teil des Satzes auf ihren Ausschnitt gedeutet, ›sonst ist das hier schneller wieder vorbei, als es angefangen hat.‹ In mich hineingrinsend drangen weitere Gesprächsfragmente wieder in meine Erinnerung. Die Nebelschwaden verschwanden zusehends.
»Nun bring dich mal wieder in Ordnung, du siehst scheiße aus. Denk an das Meeting in zwei Stunden und zur Charity-Gala willst du doch auch noch, oder?«
»Bleib locker, ich hab alles im Griff.« Mir war durchaus bewusst, dass der heutige Tag zukunftsweisend für meinen Bruder und mich sein könnte. Dennoch überwogen die Gedanken an Beverly. Hoffentlich würde sie mich anrufen, solange ich noch in der Stadt war und nicht erst, wenn wir wieder zu Hause in Odgen waren, einer Kleinstadt nahe Salt Lake City, in der wir seit unserer Kindheit lebten und die 800 Meilen südöstlich von Seattle entfernt lag.
***
Wir wurden bereits erwartet, obwohl unser Termin erst in fünfzehn Minuten anberaumt war. Die Dame am Empfang winkte uns direkt durch, nachdem sie uns den Weg zum Besprechungsraum gezeigt hatte.
»Sehr schön, dass Sie es einrichten konnten«, begrüßte uns Mr. Swanson, ein untersetzter Mann mit fliehender Stirn, und wir schüttelten ihm nacheinander die Hände. Darauf stellte er uns seine Sekretärin und den anwesenden Anwalt vor, die am Konferenztisch saßen, auf dessen glänzender Oberfläche einige Stapel Dokumente lagen.
»Wir haben zu danken«, entgegnete mein Bruder, worauf wir uns den Dreien gegenüber setzten.
»Haben Sie sich mittlerweile entschieden, ob Sie unser Angebot annehmen?«, fragte ich direkt, bevor wir unnütz Zeit mit minutenlangem Gequatsche verschwenden würden. Mr. Swanson lachte merkwürdig auf, fast hörte es sich wie ein Quieken an. Mit einem Seitenblick auf Henry stellte ich fest, dass auch er sich zusammenreißen musste, um nicht selbst zu lachen.
»Direkt zur Sache, Mr. Miller, so habe ich es gern«, schmierte er mir Honig um den Mund.
»So ist es bei uns in Utah üblich«, behauptete Henry, wobei das natürlich vollkommener Unfug war, denn auch bei uns gab es unzählige Leute, die sich am liebsten selbst beim Reden zuhörten. Aber sei´s drum, deshalb waren wir nicht hier.
»Nun«, begann Mr. Swanson, »wir haben uns das gründlich überlegt und ich habe es mit meinen Partnern, die ich hier und heute mit vertrete, eingehend besprochen. Bis auf kleine Änderungen stimmen wir mit Ihnen überein und sollten wir das noch korrigieren können, stünde einem Abschluss nichts mehr im Wege.« Erneut wechselte ich einen Blick mit Henry.
»Okay, dann lassen Sie hören«, forderte ich ihn auf, seine Wünsche zu äußern. Vor zwei Jahren hatte ich mit meinem Bruder und meinem Onkel ein Start-up gegründet – wir entwickelten eine softwarebasierte Technik, mit der wir die Sicherheit und den Transport von Schiffscontainern revolutionieren würden, und hatten uns das weltweite Patent darauf gesichert. Um jedoch nicht nur das Know-how zu veräußern, wodurch uns mittelfristig von der Konkurrenz das Wasser abgegraben werden würde, entschlossen wir, selbst in Produktion zu gehen. Da die ersten Interessenten für unser System bereits Schlange standen, und zwar neben den USA und Kanada auch Europa und vor allem Asien, brauchten wir einen Fertigungsstandort, in dessen Nähe sich ein internationaler Hafen befand. So kam außer Los Angeles und San Diego nur noch Seattle in Frage, da wir an die Westküste wollten, um einen kurzen Weg zu den asiatischen Kunden zu gewährleisten. Am Ende machte wegen vieler Punkte Seattle das Rennen und die Firma von Mr. Swanson sollte uns das passende Grundstück suchen, auf dem wir die Fertigungshallen errichten konnten. Sein Ruf eilte ihm voraus: Er galt als bestens vernetzt in der Wirtschaft und Politik des Staates Washington und würde uns, wie er betonte, alle Wege ebnen.
»Nun, wir haben momentan zwei in Frage kommende Objekte. Beide erfüllen Ihre Kriterien, wobei das eine etwas teurer käme, dafür schneller bebaubar wäre, die Lage des Anderen ist deutlich günstiger, wie auch der Preis, allerdings müssten wir dazu im Umfeld noch etwas Platz schaffen.«
»Was meinen Sie mit Platz schaffen?«
»Neben dem Objekt befindet sich eine stillgelegte Fabrikanlage, die abgerissen werden müsste. Der Stadtrat würde das sofort durchwinken, wenn der Eigentümer mitspielt.«
»Und, spielt er mit?«, wollte ich wissen.
»Nun, wenn wir ihm gut zureden«, erwiderte Mr. Swanson und rieb mit dem Daumen am Zeigefinger. »Aber keine Sorge, die Kosten dafür würden wir uns mit der Stadt Seattle teilen, wenn sie dafür einen Teil der freigewordenen Fläche für sozialen Wohnungsbau nutzen könnte.«
»Hört sich kompliziert an«, sagte Henry.
»Ist aber relativ einfach«, sagte Mr. Swanson und winkte ab. »Die Gesamtkosten für Sie blieben auf jeden Fall unter denen für das andere Projekt.«
»Das klingt gut. Solange wir uns darüber einig sind, dass alle Parteien davon profitieren.«
»Selbstverständlich. Neue Arbeitsplätze, neue Wohnungen und eine weitere Stärkung des Wirtschaftsstandortes Seattle. Eine win-win-win-Situation sozusagen.«
Wir hörten uns in der Folge die angesprochenen Punkte an, die er gern vertraglich geändert haben wollte, gingen den anvisierten Ablauf noch einmal gemeinsam durch, bevor wir uns gut gelaunt verabschiedeten.