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Die Diskussion um Inklusion findet gegenwärtig vor allem als bildungspolitische und programmatische Auseinandersetzung statt. Didaktisch-methodische Fragen der Unterrichtsgestaltung werden dabei kaum thematisiert, obgleich ihnen für die Entwicklung eines inklusiven Schulsystems große Relevanz zukommt. Dies gilt insbesondere für einen inklusiven Fachunterricht in der Sekundarstufe, in dem Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten und geistiger Behinderung zieldifferent lernen: Wie kann Unterricht hier so gestaltet werden, dass er sowohl der Komplexität der Lerngegenstände als auch den Lernvoraussetzungen aller Schülerinnen und Schüler gerecht wird? Die in diesem Band versammelten Beiträge gehen dieser Frage nach und entwerfen für 15 Unterrichtsfächer der Sekundarstufe (Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Geografie, Geschichte, Sozialkunde, Ethik, Religion, Deutsch, Englisch, Kunst, Musik, Sport und Arbeitslehre) Perspektiven für inklusiven Fachunterricht. Die theoretische Reflexion wird dabei jeweils durch konkrete Ideen für die Unterrichtsgestaltung zu exemplarischen Themen ergänzt.
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Seitenzahl: 776
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1. Auflage 2015
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-025203-5
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-025204-2
epub: ISBN 978-3-17-025205-9
mobi: ISBN 978-3-17-025206-6
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Die Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems kann in Deutschland gegenwärtig – gemessen an der medialen Präsenz des Themas und den Statements politischer Akteure – als eines der zentralen bildungspolitischen Reformprojekte bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang werden Fragen, die die Umgestaltung der Schullandschaft betreffen, intensiv diskutiert und in einigen Bundesländern auch schon in die Tat umgesetzt: die Auflösung von Förderzentren, die Einbindung sonderpädagogischer Expertise in die Allgemeine Schule, eine Umstellung diagnostischer Verfahren und Ressourcenzuweisung, eine Reform der Lehramtsstudiengänge u.v.m. Während Fragen, die die strukturelle und organisatorische Schulentwicklung adressieren, einen großen Raum einnehmen, geraten originär didaktische Fragen, die aus der Zielstellung eines inklusiven Bildungssystems erwachsen, erst allmählich ins Blickfeld. Dies gilt insbesondere für die Frage, wie Unterricht so geplant und gestaltet werden kann, dass er den vielfältigen Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern, insbesondere auch von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen bzw. mit einem spezifischen Förderbedarf gerecht werden kann. Dieser ›blinde Fleck‹ in der Diskussion um schulische Inklusion ist insofern erstaunlich, kann doch Unterricht nach wie vor als Kerngeschäft von Schule verstanden werden.
Didaktische Herausforderungen stellen sich beispielsweise im Hinblick auf eine barrierefreie Gestaltung von Lernmedien und Unterrichtskommunikation in inklusiven Settings, die Berücksichtigung von Förderbedarfen im Bereich sozialer Kompetenzen oder die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit schwerwiegenden körperlichen Beeinträchtigungen und progredienten Erkrankungen. Herausforderungen stellen sich aber vor allem auch dann, wenn es um die Gestaltung eines zieldifferenten Unterrichts geht, der den Bildungsansprüchen von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen des Lernens und geistiger Behinderung Rechnung trägt. Solche didaktische Fragen spitzen sich gerade im Fachunterricht der Sekundarstufe zu, wenn nicht nur die Komplexität der Lerngegenstände und die fachlichen Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler immer weiter zunehmen, sondern in zieldifferent unterrichteten Klassen auch die Spannbreite der Lernvoraussetzungen innerhalb einer Lerngruppe.
Die mit diesen Herausforderungen verbundenen Fragen können nur im Schnittfeld von Fachdidaktik und Sonderpädagogik sinnvoll bearbeitet werden. Sie erfordern eine tiefergehende didaktische Diskussion, die sich gerade an konkreten Unterrichtsbeispielen differenziert entfalten kann, um am Ende nicht bei gehaltlosen Aussagen, sondern bei (ersten) Antworten zu landen, die sich in der Unterrichtspraxis als tragfähig erweisen können und durch die sich auch offene Fragen konkretisieren und weiterführende Forschungsperspektiven entwerfen lassen.
Der didaktische Diskurs findet innerhalb der Fachdidaktiken und Sonderpädagogik bislang überwiegend in voneinander ›getrennten Welten‹ statt: Auch wenn Fragen im Hinblick auf Heterogenität und Differenzierung für die Fachdidaktik nicht neu sind und beispielsweise im Kontext von Mehrsprachigkeit bereits seit einiger Zeit thematisiert werden, erweitert sich doch das Spektrum an Heterogenität, das im Zuge der Inklusion im Fachunterricht Einzug hält, deutlich. In der Sonderpädagogik, insbesondere der Pädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung, wurden fachdidaktische Fragen wiederum bislang kaum aufgegriffen bzw. weitestgehend losgelöst vom Diskussionsstand in den Fachdidaktiken bearbeitet. Ein stärkerer fachlicher Austausch zwischen Fachdidaktiken und Sonderpädagogik und eine Zusammenführung der beiden Expertisen in Forschung und Lehre kann dabei nicht nur als überfällig, sondern auch dringend erforderlich betrachtet werden, um didaktisch-methodische Ansätze für einen inklusiven Fachunterricht entwickeln zu können.
Dieser Austausch wurde im Rahmen eines Symposiums, das in Kooperation mit der Professional School of Education der Humboldt-Universitäts-Gesellschaft mit Unterstützung des Lehrstuhls für Geistigbehindertenpädagogik (Prof. Dr. W. Lamers) im November 2013 an der Humboldt-Universität zu Berlin realisiert werden konnte, initiiert bzw. vertieft. Im Rahmen dieses Symposiums haben sich Vertreterinnen und Vertreter aus Fachdidaktik und Sonderpädagogik – aus Wissenschaft und inklusiver Schulpraxis – zu didaktischen Fragen eines zieldifferenten inklusiven Fachunterrichts intensiv ausgetauscht und gemeinsam Perspektiven für den Unterricht entworfen. Ergebnisse dieser gemeinsamen Arbeit fließen auch in die Beiträge dieses Sammelbands ein.
Anspruch der in diesem Band versammelten theoretischen und praxisorientierten Beiträge ist es, (fach-)didaktische Erkenntnisse und weiterführende Fragestellungen zu einem inklusiven Fachunterricht zu bündeln und für das Fächerspektrum der Sekundarstufe und die Gestaltung des Unterrichts in diesen Fächern zu spezifizieren und konkretisieren.
Nach einführenden Beiträgen, die sich mit der Bedeutung fachdidaktischer Fragen für eine inklusive Schul- und Unterrichtsentwicklung beschäftigen und einen Überblick über den aktuellen theoretischen und empirischen Forschungsstand geben, werden 15 Unterrichtsfächer der Sekundarstufe aus fachdidaktischer und sonderpädagogischer Perspektive im Hinblick auf einen zieldifferenten Unterricht mit heterogenen Lerngruppen didaktisch reflektiert. Die theoretischen Reflexionen erfolgen im Hinblick auf ein konkretes Unterrichtsthema und werden für jedes Fach in einem praxisorientierten Beitrag in Form von Gestaltungsideen für den Unterricht zusammengeführt und konkretisiert. Die Praxisbeiträge geben – über das exemplarische Unterrichtsthema hinaus – Anregungen für die unterrichtliche Praxis in den verschiedenen Fächern.
Unser besonderer Dank gilt allen Autorinnen und Autoren, die mit ihren Fachbeiträgen diese Publikation ermöglicht und mitgestaltet haben. Darüber hinaus danken wir Melina Plaßmann, Jule Wilisch und André Schäffer für ihre Unterstützung bei der redaktionellen Durchsicht der Manuskripte.
Die Herausgeber,
Berlin, im März 2015
Vorwort
I Einführende Beiträge
1 Inklusiver Fachunterricht als didaktische Herausforderung
Oliver Musenberg & Judith Riegert
2 Inklusion und Lehrerbildung – Forschungsdesiderata
Vera Moser & Stefan Kipf
II Didaktische Reflexionen aus der Perspektive unterschiedlicher Fächer
3 Inklusiver Fachunterricht in der Sekundarstufe – didaktische Überlegungen aus Perspektive unterschiedlicher Fächer
Judith Riegert & Oliver Musenberg
4 Mathematik
4.1 Fachdidaktische Ansätze für einen inklusiven Mathematikunterricht am Beispiel der Einführung in die beschreibende Statistik
Martina Lenze & Brigitte Lutz-Westphal
4.2 »Das Kind da abholen, wo es steht« – Mathematische Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung in der Sekundarstufe als Voraussetzung für inklusiven Mathematikunterricht
Christoph Ratz
4.3 Überlegungen zur Einführung in die beschreibende Statistik im gemeinsamen Unterricht einer 7. Klasse
Martin Gwiasda
5 Biologie
5.1 Blut und Blutkreislauf aus fachdidaktischer Perspektive
Hauke Hellwig
5.2 Inklusiver Biologieunterricht
Peter Zentel & Julia Michaelys
5.3 Planung einer Unterrichtsreihe zum Thema »Blut und Kreislauf« für einen inklusiven Biologieunterricht
Sabrina Pichl
6 Physik
6.1 Herausforderung Elektrizitätslehre
Alexander Kauertz
6.2 Elektrizitätslehre – Didaktische Überlegungen im Kontext heterogener Ausgangslagen aus sonderpädagogischer Sicht
Markus Scholz
6.3 Wie fließt der Strom? Ein Unterrichtsbeispiel aus dem Fach Physik
Britta Beekes
7 Chemie
7.1 Inklusiver Chemieunterricht: Chance und Herausforderung
Jürgen Menthe & Thomas Hoffmann
7.2 Sonderpädagogische Aspekte inklusiven Chemieunterrichts in der Sekundarstufe
Thomas Hoffmann & Jürgen Menthe
7.3 Unterrichtspraktische Impulse für einen inklusiven Chemieunterricht
Jürgen Menthe, Thomas Hoffmann, Andreas Nehring & Lisa Rott
8 Geografie
8.1 Den gemeinsamen Geografieunterricht denken. Das Beispiel des Aralseesyndroms in der Sekundarstufe
Péter Bagoly-Simó
8.2 Gemeinsamer Geografieunterricht in der Sekundarstufe – Aralsee-Syndrom
Christoph Dönges
8.3 Inklusiver Geografieunterricht: Didaktische Überlegungen am Beispiel des Themenschwerpunkts Aralsee
Christiane Seeber
9 Geschichte
9.1 Inklusion und Geschichtsdidaktik
Martin Lücke
9.2 Veranschaulichung der Vergangenheit – Ansprüche heterogener Lerngruppen an inklusiven Geschichtsunterricht
Oliver Musenberg
9.3 Das Afrikanische Viertel in Berlin – Kolonialismus als Thema im inklusiven Geschichtsunterricht
Marieke Derichs & Oliver Musenberg
10 Politik und Sozialkunde
10.1 Kompetenzorientierung im inklusiven Politikunterricht
Peter Massing
10.2 Das Fach Sozialkunde in sonderpädagogischer Perspektive. Das Thema Menschenrechte im inklusiven Unterricht
Uta George
10.3 Der Fußball – Kinderarbeit als Verstoß gegen die Kinder- und Menschenrechte?
Anna-Maria Plehn
11 Philosophie und Ethik
11.1 »Gerechtigkeit für alle!« – Inklusion als Thema im inklusiven Ethikunterricht
Klaus Blesenkemper
11.2 Gerechtigkeit als Thema des inklusiven Ethikunterrichts
Claudia Gottwald
11.3 Ist es gerecht, Menschen manchmal ungleich zu behandeln? Ein Praxisbeitrag aus dem Fach Ethik
Elke Koziolek
12 Religion
12.1 Inklusiver Religionsunterricht am Beispiel des biografischen Begegnungslernens: die Perspektive der Fachdidaktik
Anika Tobaben
12.2 Inklusiver Religionsunterricht aus der Perspektive der Sonderpädagogik
Stefan Anderssohn
12.3 Religionsunterricht: Begegnungslernen am Beispiel Martin von Tours
Stefan Anderssohn
13 Deutsch
13.1 Erzählen im inklusiven Deutschunterricht – Fachdidaktische Überlegungen zur Rezeptions-, Deutungs- und Erzählkompetenz
Petra Anders & Almuth Meissner
13.2 Bilder erzählen – Eine didaktische Betrachtung aus Perspektive der Sonderpädagogik
Judith Riegert & Angelika Thäle
13.3 Erzählen zum piktographischen Comic »Der Froschkönig« – Ideen zur Unterrichtsgestaltung
Stefanie Maack
14 Englisch
14.1 Inklusiver Englischunterricht: Yes We Can!
Monika Floyd
14.2 Zielperspektive: Inklusiver Englischunterricht – didaktische Diskussion am Unterrichtsbeispiel »London«
Andreas Köpfer
14.3 Planung einer Unterrichtsreihe für einen inklusiven Englischunterricht zum Thema »London«
Rumjana Bukowsky
15 Kunst
15.1 Inklusiver Kunstunterricht in der Sekundarstufe: Das relationale Potenzial künstlerischer Bildung
Christina Griebel
15.2 Identität ausbilden und soziale Beziehungen eingehen – Inklusiver Kunstunterricht unter Berücksichtigung von Menschen mit geistiger Behinderung
Teresa Sansour
15.3 Unterrichtsideen zum Erfahrungsfeld »Soziale Beziehungen eingehen, eine Identität finden und erwachsen werden« als Thema des Kunstunterrichts – am Beispiel Joseph Beuys’
Kristina Kapphahn & Almut Grypstra
16 Musik
16.1 »Thema und Variation« vermitteln im subjektorientierten Musikunterricht
Ulrike Höfer
16.2 Das Fach Musik aus Sicht des Förderschwerpunktes geistige Entwicklung
Carsten Goebell
16.3 »Thema und Variation« im inklusiven Musikunterricht
Stephan Höfer
17 Sport
17.1 Das Thema »Fitness-Sport« in der Sekundarstufe I aus Sicht der Sportdidaktik
Jan Erhorn
17.2 Sonderpädagogische Perspektiven für den Sportunterricht unter inklusiven Bedingungen
Eberhard Grüning
17.3 Unterrichtsideen für den Fitnesssport unter inklusiven Bedingungen
Jan Erhorn & Eberhard Grüning
18 Arbeitslehre und Wirtschaft-Arbeit-Technik
18.1 Wirtschaft-Arbeit-Technik – Lernen im inklusiven Fachunterricht
Simone Knab & Grit Wachtel
18.2 »Ernährung und Gesundheit: Obstsalat da capo« – Überlegungen zum inklusiven Unterricht im Fach Wirtschaft-Arbeit-Technik
Martina Nöthe
Die Autorinnen und Autoren
Vor zwanzig Jahren wurde von der UNESCO (1994) im spanischen Salamanca die »World Conference on Special Needs Education« einberufen und damit die europäische Diskussion um Inklusion langsam in Gang gesetzt. Im deutschsprachigen Fachdiskurs wird der Begriff nach der Jahrtausendwende sichtbar (Hinz, 2000; 2002; Sander, 2002), zunächst noch innerhalb der disziplinären Grenzen der Integrationspädagogik und Sonderpädagogik, um schließlich mit der Unterzeichnung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen eine bis dahin nicht gekannte, auch mediale Aufmerksamkeit zu erfahren. Inklusion ist seitdem Gegenstand politischer, pädagogischer, juristischer und ethischer Auseinandersetzungen, hat den Begriff der Integration weitestgehend abgelöst und ist zu einem internationalen Terminus der Bildungs- und Erziehungswissenschaften aufgestiegen.
Was in dieser chronologischen Skizze als kontinuierliche und kohärente Entwicklung erscheinen mag, ist ein im deutschsprachigen Raum von zahlreichen kontroversen Debatten begleiteter Prozess, der bis heute nicht in einem allgemeinen, konsensuellen Verständnis von Inklusion gemündet ist. Während das Schlagwort Inklusion überall zu hören und zu lesen ist, befindet sich der Begriff Inklusion weiterhin im Fluss diskursiver Auseinandersetzung (vgl. u. a. Feuser, 2012; Hinz, 2013; Jantzen, 2012; Katzenbach, 2012a; Tenorth, 2013; Wocken, 2011; 2013). So wird er z. B. gegen zu freundliche Umarmungen der Sonderpädagogik verteidigt (vgl. Hinz, 2013) und vor seinen »neokonservativen Kritikern« (Jantzen, 2012 mit Bezug auf Ahrbeck, 2012) in Schutz genommen (vgl. z. B. Katzenbach, 2012a).
Aus inklusiver Perspektive mag auch die Schwerpunktsetzung des vorliegenden Buches zumindest verdächtig sein, geht es doch im Folgenden primär um die Differenzlinie Behinderung und somit um nur eine von vielen Heterogenitätsdimensionen (vgl. Sturm, 2013, S. 19ff) bzw. um nur einen der »Standards der Inklusion« (Reich, 2014, S. 31), von denen Kersten Reich insgesamt fünf zusammenstellt:
1. »Ethnokulturelle Gerechtigkeit ausüben und Antirassismus stärken«,
2. »Geschlechtergerechtigkeit herstellen und Sexismus ausschließen«,
3. »Diversität in den sozialen Lebensformen zulassen und Diskriminierungen auch in den sexuellen Orientierungen verhindern«,
4. »Sozioökomische Chancengerechtigkeit erweitern« und schließlich
5. »Chancengerechtigkeit von Menschen mit Behinderungen herstellen« (ebd., S. 32–36).
Damit nicht genug, nehmen wir eine weitere Fokussierung innerhalb dieser Differenzkategorie vor, indem wir die Bildungsansprüche von Schülerinnen und Schülern mit den Förderschwerpunkten geistige Entwicklung und Lernen ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Diese Personenkreiskonstrukte wurden mit der Einführung des Begriffs »Förderschwerpunkt« durch die Kultusministerkonferenz zwar sprachlich leicht ›camoufliert‹, bilden sich aber nach wie vor in der Ordnung des Schulsystems ab. Uns geht es hier aber weniger darum, die zurecht kritisierte ordnungspolitisch orientierte Einteilung und Zuschreibung zu tradieren, sondern um den Verweis auf eine didaktische Dimension, die sich mit den beiden so beschriebenen Personenkreisen verbindet, nämlich die Notwendigkeit eines zieldifferenten Unterrichts. Im Unterschied zu anderen Förderschwerpunkten werden hier nämlich – zusätzlich zu Fragen der Vermittlung – Fragen nach Curriculum, Inhalten und Lernzielen virulent, die gerade im Hinblick auf die (Weiter-)Entwicklung eines inklusiven Fachunterrichts von Bedeutung sind.
Warum die vorgenommene Fokussierung auch vor dem Hintergrund der aktuellen bildungspolitischen Entwicklungen notwendig ist, um ein gewisses kritisches Potenzial entfalten zu können, möchten wir im Folgenden skizzieren.
Im Kontext von Schule meint Inklusion zunächst die Zugehörigkeit aller Kinder und Jugendlichen zum allgemeinen Bildungssystem. Mit dieser normativen Setzung ist der Anspruch verbunden, den vielfältigen Ausgangslagen und Bedarfen von Schülerinnen und Schülern und allen Dimensionen von Heterogenität im allgemeinen Bildungssystem angemessen Rechnung zu tragen, seien es z. B. sozio-ökonomisch, geschlechter-, migrations- oder behinderungsbedingte Differenzen (vgl. Sturm, 2013, S. 130). Damit stellt Inklusion in der pädagogischen und primär schulpädagogischen Diskussion – und nur um diese geht es im Folgenden – eine normativ aufgeladene Programmatik und Zielperspektive dar. Ein solches Verständnis von Inklusion unterscheidet sich dann auch von einem Inklusionsbegriff, der als Beschreibungs- und Analysekategorie in einem systemtheoretischen Kontext Verwendung findet (vgl. Luhmann, 1990; Moser, 2013).
Um die Anerkennung egalitärer Differenz (vgl. Prengel, 2006) und die individuell notwendige Unterstützung aller Kinder und Jugendlichen in der allgemeinen Schule und nicht mehr in separierten Sondersystemen realisieren zu können, müsste sich die Forderung nach schulischer Inklusion auf der Ebene der Organisations-, Schul- und Unterrichtsentwicklung niederschlagen und letztlich einen radikalen, d. h. grundlegenden Umbau der ›Regelschule‹ bedeuten (vgl. Katzenbach, 2010). Nicht nur etablierte Funktionen der Schule (z. B. Verteilung von im sozialen Vergleich gewonnener Noten und entsprechender Zertifikate, Selektion und Allokation) müssten durch den Anspruch einer inklusiven Schule kritisch in den Blick genommen werden, sondern auch die aktuellen Bemühungen um eine standardbasierte Kompetenzmessung. Bislang ist eine solche Wirkung allerdings kaum spürbar. Vielmehr scheinen beide – die bildungspolitisch aufgegriffene Forderung nach schulischer Inklusion einerseits und der Erhalt des Status Quo des Regelschulsystems andererseits – noch weitestgehend parallel nebeneinander herzulaufen, immer in Sichtweite, aber ohne konkrete Bezugnahme (vgl. Feuser, 2013b; Katzenbach, 2012a): Die so entstehenden Widersprüche werden im bildungspolitischen durch einen konturlosen und relativ beliebig ausgedeuteten Inklusionsbegriff kaschiert, durch den weder das etablierte Sonderschulsystem noch die Ausrichtung der Regelschule grundlegend infrage gestellt werden muss (vgl. KMK, 2011, S. 16). In der bildungspolitischen zeigt sich bundesweit eine Tendenz, schulische Inklusion in der konkreten Umsetzung auf die Förderschwerpunkte Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung zu beschränken, während beispielsweise an der »Schule für Geistigbehinderte« bzw. »Schule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung« bis auf Weiteres festgehalten wird. Das gilt zum Beispiel für Berlin, wobei die Hauptstadt im bundesdeutschen Vergleich sogar noch als recht progressiv gelten kann. In Sachsen beispielsweise ist durch den Ausschluss lernzieldifferenter Integration in der Sekundarstufe der Besuch einer Regelschule nach Ende der Grundschulzeit für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung bislang noch gar nicht vorgesehen (vgl. Eichfeld & Schuppener, 2011, o. S.).
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