Instagrammatik - Herr Schröder - E-Book
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Herr Schröder

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Beschreibung

Alles ist neu in der Helene-Fischer-Gesamtschule, denn zum Schrecken des Cholerikums gibt es eine neue Schulleiterin, die ein digitales Update im Gepäck hat. G8 trifft auf 5G: Der Medienwagen hat jetzt Netflix, die Schulbücher gibt's als Podcast, die Referate werden per Videokonferenz gehalten. Doch es gibt auch positive Aspekte: Mithilfe von Youtube-Tutorials wird endlich der Lehrermangel ausgeglichen, und die Schüler*innen haben keine Angst mehr vor Mathe: der Dreisatz in zwei Sätzen. Selbst Herr Schröder, der gerade zum ersten Mal eine Dienst-Email verfasst hat, wittert Pionierluft und möchte Klick-Millionär werden - Opa-Gangnam-Style. Und seine Klasse soll dabei helfen: Was ist eigentlich TikTok? Warum gibt's den Link in Bio - und nicht in Deutsch? Und was ist ein Shit-Storm? Das alles wird Herr Schröder am eigenen Leib erfahren.

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Instagrammatik

Der Autor

JOHANNES SCHRÖDER ist studierter Deutschlehrer und Comedian. Was sich wie ein Widerspruch anhört, steht letztlich in einem direkten, kausalen Zusammenhang. Nach zwölf Jahren Schuldienst tourte „Herr Schröder“ mit seinem ersten Soloprogramm „World of Lehrkraft“ durch Deutschland, Österreich und die Schweiz, war in diversen TV-Formaten zu Gast (Markus Lanz, NDR Talkshow u.v.m.) und feierte seine erste Solo-Ausstrahlung bei RTL. 2019 veröffentlichte der Comedian sein erstes Buch World of Lehrkraft – Ein Pädagoge packt aus, welches ein SPIEGEL-Bestseller wurde. Seit Sommer 2021 ist Herr Schröder mit seinem zweiten Comedy-Programm „Instagrammatik“ unterwegs. Hier dreht sich alles um die Frage, was Schule im digitalen Zeitalter braucht, was Lernen im Kern ausmacht und wer am Ende alles nachsitzen muss.  SIMON SLOMMA ist Musiker, Comedian und Autor. Der Wahl-Bonner ist, seit er 2013 die Schauspielschule erfolgreich abschloss, auf den Kleinkunstbühnen dieses Landes unterwegs. Dort begegnete er 2015 auch Herrn Schröder. Der Rest ist Geschichte bzw. Deutsch. Außerdem veröffentlicht er regelmäßig Musikalben aus seinem Home-Studio (2020 Bohemian Rap CD, 2021 Subkultur).

Herr Schröder

Instagrammatik

Das streamende Klassenzimmer

Humor, Blödsinn

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch 1. Auflage August 2021 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © Robert MaschkeAutorenfoto: © yashar khosravaniE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten.ISBN 978-3-8437-2-2536-1

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Epilog

Danksagung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Prolog

Wischen Sie nach rechts!

Guten Morgen! Für alle, die mich noch nicht kennen: Ich bin der Herr Schröder. Mega-Pauker für Deutsch und Englisch an der HFG (Helene-Fischer-Gesamtschule), exmatrikulierter Student des Lebens und quasi Vize-Lehrer des Jahres. Sie dürfen sich wieder hinsetzen, danke.

Nach dem lauten Gong letztes Jahr haben hoffentlich alle die »große Pause« einigermaßen unbeschadet überstanden. Keine Sorge, ich möchte jetzt nicht über Gebühr auf die Krise eingehen, nur so viel: Das Leben hat uns einen unangekündigten Test vor die Nase gelegt, und wir kamen alle mächtig ins Schwitzen. Schließlich hatten wir niemanden zum Abschreiben. Stifte raus, alles weg vom Tisch und 1,50 Meter Abstand zum Sitznachbarn. Keinen Lektüreschlüssel, keine Spickzettel. Manche fingen sofort an, einfach drauflos zu schreiben. Andere sitzen jetzt noch vor dem weißen Blatt und kauen auf ihren Stiften herum. Plötzlich waren Themen prüfungsrelevant, die vorher nicht mal ein Tafelbild wert gewesen wären.

Zugegeben: Dieser Test wurde gründlich in den Sand gesetzt, und wir sind alle immer noch stark versetzungsgefährdet. Ein »Mangelhaft« in den entscheidenden Zukunftskompetenzen. Dazu muss man wissen, dass vor allem wir Lehrerinnen und Lehrer seit jeher, was die Bereitschaft zur Veränderung angeht, eine gewisse Herdenimmunität aufweisen.

Und als ob das alles noch nicht schlimm genug wäre, haben wir jetzt auch noch eine neue Schulleiterin an der HFG. Frau Anne Windkamp. 38 Jahre jung. Single und humorbefreit. Wobei niemand weiß, was zuerst kam. Die Einladung zur Eröffnungskonferenz fand ich in meinem Spam-Ordner. Gruselig, wie gut Google-Mail mich mittlerweile kennt

Anne. [email protected] an

[email protected]

und

Kollegium HFG

Betreff: Kick-off-Meeting

Hallo in die Runde,

ich bin die Neue hier. Und ich möchte euch am Beginn dieses Schuljahres alle herzlichst einladen zu einem kleinen Kick-off-Meeting im Lehrer­zimmer. Keine Sorge, es gibt Blechkuchen. Außerdem viele neue Impulse zum Thema Digitalisier …

Weiter habe ich nicht gelesen.

Ich höre schon die Lobeshymnen des Kultus-Mysteriums. Endlich weht hier mal ein anderer Wind! Endlich frisches Tafelwasser. Das Ende der Kreidezeit. G8 trifft auf 5G! 

Trotz allem: Das neue Schuljahr kann kommen. Wir haben uns ja alle mittlerweile an den Hybridunterricht gewöhnt, aber nichts geht über den analogen Kontakt. Frontalunterricht muss live stattfinden. Menschen sollten mehr sein als zweidimensionale Avatare. Und nebenbei bleibt der Stoff besser hängen, wenn er von Speichelauswurf begleitet wird. Ein Privathaushalt kann einfach gar nicht die passende Atmosphäre bieten, die man zum Lernen benötigt. Es braucht dieses pädagogische Grundrauschen: die mit allen Sinnen erfahrbare Direktheit schulischen Lernens. Das Knarzen der Vorkriegsmöbel im Klassenzimmer. Das schrille Geräusch, wenn ein ausgelatschter Turnschuh über PVC-Belag rutscht. Der Geruch von 30 warm gelaufenen Fußpaaren in der viel zu kleinen Umkleidekabine. Im Lehrerzimmer surrt das Laminiergerät, und der neue Kaffeevollautomat meldet »System Error«. Meine HFG.

Und nun wischen Sie nach rechts für eine Doppelstunde »Instagrammatik«: das pädagogische Regelwerk für die Welt von morgen, der Spickzettel für digitale Stressmomente, ein vitaminreicher Multimedial-Saft für User, deren Avatare Cordjackett tragen.

Also Handy aufs Display, Kopf in den Flugmodus und bitte alle Cookies akzeptieren. Aber krümeln Sie mir nicht das ganze Buch voll.

Kapitel 1

Frischer Wind

Es ist der Freitag vor Schulöffnung. Ich schlendere über den halb leeren Lehrerparkplatz in Richtung Haupteingang. Alles wie immer – und doch anders. HFG – Staatliche Gesamtschule. Nur der Schriftzug »Rauchfreie Schule« wurde mit einem kunstvollen Graffito in »Bauchfreie Schule« verwandelt. Vor dem Eingang liegen vier E-Roller und ein Leihfahrrad. Zwei Eichhörnchen jagen sich um die Tischtennisplatten. Das Schulgelände konnte über die letzten sechs Wochen ein wenig verschnaufen. Anfang August wurden am Schulteich zum ersten Mal seit 40 Jahren wieder Fischreiher gesichtet. Die Natur hat sich erholt. Wie wundervoll Schule sein könnte, so ohne Schülerinnen und Schüler. Still und leise steht der Betonwürfel im suburbanen Speckgürtel. In der Raucherecke liegt ein vergessener Turnbeutel, und ich kann mich sofort mit ihm identifizieren.

Aus den geöffneten Fenstern des Lehrerzimmers im ersten Stock höre ich die Freude des Wiedersehens. Das große Hallo nach sechs Wochen unterrichtsfreier Zeit. 82 Kolleginnen und Kollegen in ihrer Lieblingsdisziplin: Reiseanekdoten austauschen und vorsichtig den nächsten Urlaub anvisieren. Die beweglichen Ferientage strategisch so legen, dass man über ein Viadukt an Brückentagen direkt in die Adventszeit gleitet.

Mit einem leichten Gefühl der Beklemmung steige ich die Freitreppe hoch. Natürlich freut man sich, alle wiederzusehen, dennoch drängt sich im direkten Vergleich natürlich die Frage auf, ob man seine Ferien wirklich gut genug genutzt hat.

Im Lehrerzimmer angekommen, lege ich meine Tasche ab und bahne mir den Weg Richtung Postfächer. Vorbei an den Kollegen, die stolz ihre maritime Segelbräune zur Schau tragen. Dabei schnappe ich ein paar Gesprächsfetzen auf: »Einmalige Ferienwohnung, alles Terrakotta«, »Wir kennen da jeden Winkel«, »Türkei, aber sauber«, »Diesmal nur die Eifel, wegen der Kleinen«, »Geheimtipp aus dem Lonely Planet, war trotzdem sehr voll«, »Nordsee – man muss es mögen«, »Mallorca – Binnenland natürlich«, »Kap Verde, unberührt. Die sind da mit so wenig zufrieden«, »Die leben ja vom Tourismus«, »Ich habe nicht eine Sekunde an die Schule gedacht« … 

Jeder ist bemüht, die Ferienstimmung noch etwas in den Alltag zu retten. Wer sieht relaxter aus? Wem ist das Loslassen am besten gelungen? Wer verkauft seine Stressfurchen als Lachfalten?

»Schrödi, wie waren deine Ferien?« Ein bebrillter Sonnenbrand blickt mich neugierig an. Wer war das noch gleich?

Ich antworte: »Du kennst mich ja. Warum in die Sterne greifen, das Gute liegt ja oft nur einen Katzenwurf entfernt.«

Kollege X lacht und hakt nach. »Was hast’n gemacht?«

Der unabhängig jeden Anlasses hoch motivierte Sportlehrer Theo Eisenmann – hinter vorgehaltenem Reclamheft nenne ich ihn manchmal Trillerpfeifen-Theo – mischt sich ein und haut mir mit der flachen Hand auf den Rücken. »Ist doch klar, was Schrödi gemacht hat! Schön mit dem alkoholfreien Bierbike durchs Sauerland. Oder doch mit dem Flugsimulator in die Karibik?«

»Ach, ich hab mal wieder zwei Wochen in der Bredouille verbracht.«

Theo nickt. »Toll, Frankreich.«

Der hat sich über die Ferien auch gar nicht verändert. Immer noch der Mensch gewordene Mattenwagen, mit einer Körperspannung wie ein Reck. Der springt abends auch mit ’nem Seemannsköpper ins Bett. Neuerdings hat er einen kleinen Magnesiumbeutel am Gürtel. Lieber nicht fragen, was es damit auf sich hat. Wahrscheinlich hat er in den Ferien den El Capitan ohne Sicherung bestiegen. Auf seinem Unterarm entdecke ich ein neues Tattoo. Eine schwarze, gezackte Linie, die aussieht wie eine Panne am Korrekturrand. Ist es eine Gebirgskette? Oder doch ein Kardiogramm? Oder gar beides?

Leider registriert er meinen Blick. Er holt tief Luft und guckt in die Ferne.

»Das Klettern ist mein Leben. Da oben hilft dir keiner. Nur du und die raue Felswand. Und wisst ihr, Berge sind wie Schüler: Sie wollen versetzt werden.«

Der bebrillte Sonnenbrand nickt anerkennend. »Donnerwetter, Theo. Mach doch ’ne Kletter-AG.«

»Ach, AG war gestern. Ich mach jetzt YouTube-Tutorials! Nächster Halt: Klickmillionär! Schaut mal her.« Er zückt sein Smartphone und zeigt uns ein Klettervideo. Freeclimb. 251.000 Klicks. 1056 Kommentare. »Hab ich mit der GoPro gefilmt …«

Ein günstiger Moment, um sich aus dem Gespräch zu lösen.

Klickmillionär. Albern. Routiniert greife ich in mein Fach.

»Hä, was ist das denn?«

Normalerweise befindet sich in den Postfächern ein Sammelsurium an Zettelwirtschaft. Auszufüllendes, Abzuheftendes, zur Kenntnis zu Nehmendes, zu Ignorierendes, Abzuzeichnendes, Weiterzuleitendes. Ein Panini-Sammelalbum des Schreckens.

Doch diesmal greift meine Hand ins Leere. Nicht mal eine dusselige Einladung zu irgendeiner Sommerparty hat sich in mein Fach verirrt. Alles, was ich finde, ist ein kleiner Chip, ähnlich wie die Dinger, mit denen sich vor Supermärkten Einkaufswagen freischalten lassen. Irritiert mustere ich das anonyme Artefakt. Kollege X weiß mehr: »Ja, das wurde höchste Zeit. Kann doch nicht sein, dass wir zum Mars fliegen, aber an der HFG wird noch mit so altertümlichen Schlüsseln hantiert.«

»Na ja, aber ich bin Schlüsselkind. Wie funktioniert das denn?«, frage ich.

»Welche Farbe hast du?«

»Blau.«

»Oh.«

»Was?«

»Nix, ist doch super.«

»Welche Farbe hast du denn?!«

Ein Korken saust an meinem Ohr vorbei. Aus der Mitte des Raumes tönt es: »Ich wünsche allen Kolleg:innen ein fulminantes und erfolgreiches Schuljahr!«

Applaus.

Um die Korkenschützin hat sich eine Lehrertraube gebildet. Wo haben die denn alle plötzlich die Gläser her? Vielleicht hab ich ja den falschen Chip. Ich stelle mir den Kommentar des unbekannten Kollegen vor. »Nee, Schrödi, mit Blau gibt’s nur Schnabeltassen. Sektflöten kommen ab Rot.«

Biolehrerin Kuschel-Ursel (Klassenleitung 5b, Verfechterin pädagogischen Sanftgarens und gewissenhafte Pflegekraft der Korridorkakteen) drückt mir eine bedruckte Tasse in die Hand. In abgeblätterten Lettern ist zu lesen: Lehrer des Jahres. »Schrödi, das hätten wir auch nicht gedacht, dass man sich hier auf seine alten Tage noch mal so umstellen muss, oder?«

»Na ja, Ursula, kann doch nicht sein, dass wir zum Mars fliegen und hier an der HFG laufen nur Schlüsselkinder rum.«

Jemand gießt Sekt in meine Tasse.

»Ja, das sagt Steffen auch immer.«

Steffen! Genau. So heißt der Sonnenbrand! Physik und Mathe. Kollegen, die sich für diesen Lehrer interessieren, interessierten sich auch für: Liegefahrrad, Barfußschuhe, hochklappbare Sonnenbrillenaufsätze und Bimssteine.

»Ja, genau, Steffen, smarter Typ.« Ich puste und nehme einen Schluck aus der Tasse. Hatte kurz vergessen, dass da Sekt drin ist und nicht Kaffee. 

»Was hast du für ’n Chip, Ursi?«

»So ’n runden.«

»Ja. Und die Farbe?«

»Lila.«

»Ah ja.«

Die Stimme in der Mitte des Raumes hebt erneut an: »So, ihr Lieben, ich hoffe, jetzt sind alle feucht-fröhlich ausgestattet. Das war natürlich nur Bestechung für das, was jetzt kommt.« Gelächter. Steffen pfeift auf zwei Fingern. »Allen, die schon einen Blick in ihr Fach geworfen haben, wird aufgefallen sein, dass wir ein neues Schlüsselsystem haben.«

Jetzt endlich erkenne ich die Rednerin. Frau Anne Windkamp, die neue Schulleiterin. Sie hält die Sektflasche wie den UEFA-Pokal.

»Das und vieles Weitere ist Teil der digitalen Umstellung. Alles, was wir sonst auf tote Bäume gedruckt haben, findet ihr jetzt in der Cloud.«

»Wo?« Kuschel-Ursel zuppelt mir am Hemd.

»In so einer Art Datenwolke, Ursi.«

»Ich kann mir vorstellen, dass das für viele Kolleg:innen natürlich jetzt eine enorme Umstellung bedeutet und mit einigen Ängsten verbunden ist. Das Wort ›Wandel‹ besteht ja auch zu 80 Prozent aus Wand.«

Trillerpfeifen-Theo zückt seinen Notizblock.

»Und die gilt es zu überwinden. Gemeinsam.« Die neue Schulleiterin macht eine ausschweifende Handbewegung, als würde sie ein Spannbettlaken glatt streichen. »Und wenn wir jetzt alle mit vereinten Kräften …« Sie blickt in die Runde, und ich meine erkennen zu können, dass sie sich in diesem Moment dazu entschließt, noch eine rhetorische Schippe draufzulegen:

»Leute. Warten wir nicht auf die Politik. Wir wissen doch am besten, wie hier die Uhren ticken. Es muss sich einiges ändern, damit die HFG anschlussfähig bleibt. Aber auf die Gefahr, dass das alles zu technisch klingt: Außerschulische Veranstaltungen sind mir im letzten Jahr deutlich zu kurz gekommen! Wir brauchen ein vitales Sozialcurriculum: Förderung der Soft Skills auch außerhalb des Unterrichts.«

Ich rufe rein: »Aber wie sollen wir denn so mit dem Lernstoff durchkommen?«

Sie schaut mich an. »Vielen Dank, Herr … äh …«

»Schröder«, sage ich und halte ihrem Blick stand.

Sie wendet sich wieder der Runde zu. »Vielen Dank für dieses Beispiel, Herr Schröder!« Ich lächele bescheiden. »Denn genau diese Begrifflichkeiten möchte ich an der HFG gerne ersetzt wissen.« Sie zählt die Wörter mit den Fingern ab: »Lernstoff, Stundenplan, Notenspiegel, Brückentag«, sie blickt mir direkt in die Augen, »Cholerikum.«

Einige kichern.

»Im Ernst.« Sie kreuzt ihre geballten Fäuste vor der Brust. So langsam hab ich das Gefühl, einer Performance beim Eurovision Song Contest beizuwohnen. Fehlt nur noch die Pyrotechnik.

»Wenn wir die faszinierende Welt des Lernens als ›Stoff‹ bezeichnen und in die engen Raster eines ›Stundenplans‹ zwängen, um sie dann den Schüler:innen im ›Frontalunterricht‹ um die Ohren zu hauen – wie soll sich da jemals was ändern? Sprache schafft Realität.«

Man hört nichts, außer dem leisen Aufsteigen der Kohlensäurebläschen aus den Sektflöten. Ich nehme einen Schluck aus meiner Tasse.

»Wir brauchen eine neue Art zu denken respektive zu sprechen. Aus Unterricht wird ›Lernangebot‹, und der Stundenplan ist ab sofort nur noch ein ›Serviervorschlag‹.«

Sie macht eine Pause, niemand reagiert. »Das war ein Scherz.« Alle lachen. Sie hebt ihre Hände beschwichtigend und ruft uns zur Räson. »Ja, und aus dem Lehrerzimmer wird ab sofort die ›Begegnungslounge‹, und es gibt keine Türen mehr.«

Großes Gelächter erfüllt den Raum. Trillerpfeifen-Theo ruft: »Genau, Tag der offenen Tür, aber jeden Tag!«

Frau Windkamp guckt entschlossen und sagt: »Nein, das ist mein Ernst.«

Der Raum verstummt. In diesem Moment realisieren wir, dass tatsächlich alle Türen zum Lehrerzimmer entfernt worden sind.

Ein Raunen geht durch den Raum.

Sie faltet ihre Hände vor der Brust und senkt ihre Stimme.

»Ich weiß, dass ihr Angst habt, aber Herzrasen kann man nicht mähen, und jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt.«

Sie scheint mit dieser Metapher noch nicht ganz zufrieden zu sein und setzt nach:

»Natürlich ist ein Schiff im Hafen sicher, aber dafür wurde es nicht gebaut. Und wer im digitalen Zeitalter immer noch mit seinem alten Segelboot unterwegs ist, der wird auf der rauen See im Datenstrom nicht überstehen können.«

Mit dieser Metapher ist sie zufrieden.

»Also frage ich euch, liebe Kolleg:innen der HFG: Seid ihr an Bord?« Sie streckt ihre Faust in die Luft.

Das scheint der Höhepunkt ihrer Performance zu sein. Sie hält diese Geste eine gefühlte Ewigkeit, fixiert einen Punkt am Horizont, der für uns alle noch unsichtbar ist, und einen Moment lang meine ich sogar, Tränen in ihren Augen erkennen zu können.

Während ein erst zögerlicher und dann immer stärker werdender Applaus losbricht, höre ich in meinem Kopf eine Stimme, die sagt:

»Germany – zero Points.«

Kapitel 2

Währenddessen auf WhatsApp

Anastasia: Leude. WhatsApp soll zwar nicht mehr so sicher sein, aber ich denke, das passt schon. In einer Woche geht’s wieder los. Yay. Wisst ihr schon was? Kurse und so, wer mit wem und überhaupt. Was ist mit Onlineunterricht? Wisst ihr, wen wir in Deutsch haben?

Justin hat die Gruppe verlassen.

Murat: Ich weiß auf jeden Fall, wen ich nich will

Anastasia hat Justin hinzugefügt.

Jan: Hi Leute, ich bin zwar neu und so, aber ich könnte mal versuchen ins Schulnetzwerk zu gehen, um mal zu gucken, ob ich was rauskrieg. Es gibt ja einmal diesen Schülerbereich, wo wir alle rein können und dann gibts noch den Lehrerbereich, der ist Passwort geschützt.

Justin: Ok und wie willst du da rein?

Jan: Naja, ich könnte mich quasi reinhacken.

Murat: Geil! Jani-Leaks.

Jan schreibt:

Jan: Was ich schon weiß: Es gibt eine neue Schulleiterin. Anne Windkamp. 38 Jahre. Lange studiert. Habs aus Wikipedia. Schon krass, dass die da drin steht. Hat auch schon im Silicon Valley gearbeitet. Es gibt sogar ein Foto von ihr mit Elon Musk auf irgendeiner Digital Convention in China.

Murat: Krass

Jan: Außerdem bekommt jeder einzelne von uns einen eigenen Schullaptop. Und die sind gar nicht mal so übel.

Justin: Alter wie geil ist das bitte

Jan: Naja, Mathe haben wir jetzt beim Leffringhausen.

Anastasia: Ok, gibt Schlimmeres.

Justin: Scheiß auf Leffringhausi, ich bin jetzt auf der TikTok-Academy. Hab Mathe endlich mal verstanden.

Murat: Dreisatz in zwei Sätzen oder was?