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Studienarbeit aus dem Jahr 2001 im Fachbereich Didaktik für das Fach Deutsch - Pädagogik, Sprachwissenschaft, Note: 2,0, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (Fachbereich Erziehungswissenschaften), Veranstaltung: Seminar Integrativer sprachlicher Anfangsunterricht, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Entwicklung des Zahlbegriffs beim Kinde Für den Lehrer der ersten Klasse, dem es vor allem aufgegeben ist, den Schülern einen Begriff von den ersten natürlichen Zahlen zu vermitteln, muß es von großem Interesse sein, auf welche Voraussetzungen er sich bei dieser Aufgabe stützen kann. Gehört es doch zu den zentralen didaktischen Prinzipien, daß der Unterricht an das Vorwissen und die Vorerfahrungen der Schüler anzuknüpfen und diese in das Neuerkannte zu integrieren habe. Kinder fangen spätestens ab dem 3. Lebensjahr an, mit Quantitäten umzugehen; sie hören Zahlwörter und beginnen, sie auch selbst zu verwenden. Was wissen wir also über die Vorerfahrungen von Schulanfängern mit Zahlen und über die Entwicklung ihres Zahlverständnisses? Diese Frage läßt sich eigentlich nur individuell, für jeden einzelnen Schüler gesondert, beantworten. Jedoch liefern kollektive Untersuchungen und Befunde zur Entwicklung des Zahlbegriffs beim Kind, wie sie nachfolgend referiert werden, zum einen Ideen für geeignete, auch systematische Beobachtungen und zum anderen Rahmeninformationen über die im Einzelfall zu erwartenden Ergebnisse. Jedenfalls sind sie geeignet, Problembewußtsein zu wecken und die Wahrnehmung zu schärfen. [...]
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Für den Lehrer der ersten Klasse, dem es vor allem aufgegeben ist, den Schülern einen Begriff von den ersten natürlichen Zahlen zu vermitteln, muß es von großem Interesse sein, auf welche Voraussetzungen er sich bei dieser Aufgabe stützen kann. Gehört es doch zu den zentralen didaktischen Prinzipien, daß der Unterricht an das Vorwissen und die Vorerfahrungen der Schüler anzuknüpfen und diese in das Neuerkannte zu integrieren habe. Kinder fangen spätestens ab dem 3. Lebensjahr an, mit Quantitäten umzugehen; sie hören Zahlwörter und beginnen, sie auch selbst zu verwenden.
Was wissen wir also über die Vorerfahrungen von Schulanfängern mit Zahlen und über die Entwicklung ihres Zahlverständnisses? Diese Frage läßt sich eigentlich nur individuell, für jeden einzelnen Schüler gesondert, beantworten. Jedoch liefern kollektive Untersuchungen und Befunde zur Entwicklung des Zahlbegriffs beim Kind, wie sie nachfolgend referiert werden, zum einen Ideen für geeignete, auch systematische Beobachtungen und zum anderen Rahmeninformationen über die im Einzelfall zu erwartenden Ergebnisse. Jedenfalls sind sie geeignet, Problembewußtsein zu wecken und die Wahrnehmung zu schärfen.
Es gehört zu den unbestreitbaren Verdiensten des berühmten Schweizer Psychologen Jean Piaget, im Rahmen seiner genetischen Erkenntnistheorie eine prägnante, empirisch fundierte Theorie zum Aufbau von Begriffen bei Kindern entworfen zu haben. Ein eigenes Werk hat er dabei der „Entwicklung des Zahlbegriffs beim Kinde“ (1965) gewidmet. Über dessen zentrale Inhalte soll nachfolgend ausführlich berichtet werden.
Kinder wie Erwachsene verdichten ihre Welterfahrungen aufgrund eines lebendigen Wechselspiels von Sinneswahrnehmungen und geistiger Auseinandersetzung mit der Realität. Sie gelangen dabei von imitativer Übernahme von Verhaltensformen bzw. deren situativer Anpassung an die Wirklichkeit nach und nach zu gegrifflichen Konzepten. Eine solche Verdichtung ist nur dadurch möglich, dass das Denken aus der großen Flut von
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Sinneseindrücken und Erfahrungen bestimmte wiederkehrende oder gleichartige als Konstanten herauszuheben vermag.
Nach Piaget muss ein Kind gewisse Objekte bzw. Objekteigenschaften als unverändert erkennen können, auch wenn diese ihre äußere Erscheinungsform (oder auch ihren Namen) ändern, um Begriffe bilden zu können. Denn nur auf der Grundlage einer solchen bezeichneten Objekt- oder Eigenschaftskonstanz können gleiche Objekte bzw. Merkmale zu Klassen zusammengefaßt und damit begriffliche Abstraktionen vollzogen werden. Um Größen- und Zahlbegriffe erwerben zu können, muß ein Kind in der Lage sein, die Erhaltung von Längen, Flächeninhalten usw. sowie von Anzahlen bei nur qualitativen Veränderungen ihrer gegenständlichen Repräsentation zu erkennen. Die Konstanz der Quantität gegenüber nur qualitativen Veränderungen nennt Piaget „Invarianz“1. Im Zusammenhang mit der Einsicht in die Invarianz der Quantität spielt zunächst die Größenkonstanz eine entscheidende Rolle. Sie ermöglicht uns, die bekannte Größe eines Gegenstandes in unserer Wahrnehmung relativ konstant zu halten. Jedoch nicht nur die Größenkonstanz spielt für den Aufbau des Zahlbegriffs eine entscheidende Rolle, sondern es muß auch die der unmittelbaren optischen Wahrnehmung entzogenen Größen (z. B. Gewichte) umfassen. Neben der kontinuierlichen Quantitäten muß sich die Invarianz auch auf die Anzahlen als diskontinuierliche Qunatitäten erstrecken. Ferner müssen Größenverhältnisse mit Hilfe bestimmter Maßzahlen ausgedrückt werden können. Und dies gibt nur einen Sinn, wenn die Kinder Größen nicht nur relativ, sondern absolut konstant halten können. Denn nur dann hat es die Invarianz der Quantität erfaßt.2
Um der Frage der Invarianz der Quantität bei Kindern nachzugehen, hat Piaget viele Jahre hindurch umfangreiche empirische Untersuchungen angestellt.
1.3 Fehlende Invarianz:
An einem von vielen Versuchen soll deutlich gemacht werden, wie wenig jüngere Kinder unter Umständen in der Lage sind, an gefällten quantitativen Urteilen festzuhalten: In zwei kongruenten, zylinderförmigen Glasgefäßen befinden sich gleich viele blaue bzw. rote Perlen. Wir stellen uns Kinder vor, welche die Anzahl der roten und der blauen Perlen aufgrund des optischen Eindrucks als gleich groß einschätzen. („Man könnte mit ihnen zwei
1Piaget, Jean: Die Entwicklung des Zahlbegriffs beim Kinde; Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1965, S. 16