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Tucholsky ist ein echter Glücksfall! Er spricht die Dinge aus, wie sie sind, und hat dabei seinen Spaß. Seine Themen sind hochaktuell, seine Probleme die unseren: In der Liebe, bei der Arbeit, auf Reisen – Ideal und Wirklichkeit wollen einfach nie ganz zusammenpassen, irgendwas ist eben immer. Was soll man machen? Tucholsky schimpft auf die Widersprüche des Lebens, dass es eine reine Freude ist!
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Seitenzahl: 81
Kurt Tucholsky
Irgendwas ist immer
Lebensweisheiten
Ausgewählt und herausgegeben von Günter Stolzenberger
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Fort mit der sonst so aktuellen Harfe!
Heut pfeif ich mir nach eigenem Bedarfe
auf meiner Flöte einen in Cis-Moll
von dem, was ist; von dem, was werden soll.
Von dem, was ist … Kaum kann uns etwas schrecken.
Mars schlägt mit Wucht auf sein verzinktes Becken –
laß bluten, was da bluten mag –
und er regiert die Stunde und den Tag.
Und er regiert die Stunde und das Jahr –
bedenk, wer damals noch am Leben war!
Und leise spielt – wie waren wir doch jung! –
der Leierkasten der Erinnerung.
Wie kannst du dich in all dem wiederfinden?
Du magst dich mühsam durch Systeme winden,
durch Pflichten, die es geben muß und gibt –
du siehst dahinter und wirst unbeliebt.
Laß dich von keinem Schlagwort kirren!
Von keinem Vollbart dich beirren!
Es schenkt dir niemand was dazu –
bleib, was du warst; bleib immer: Du!
Geheimrat Goethe sang nicht minder
vom höchsten Glück der Erdenkinder –
er war Ministerpräsident
und also sicher kompetent.
Man kehrt nach aller Schicksalstücke
doch immer auf sich selbst zurücke.
Drum wünsch ich dir nach dem Gebraus
dein altes, starkes, eignes Haus!
Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn –
aber abends zum Kino hast dus nicht weit.
Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:
Neun Zimmer, – nein, doch lieber zehn!
Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn,
Radio, Zentralheizung, Vakuum,
eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm,
eine süße Frau voller Rasse und Verve –
(und eine fürs Wochenend, zur Reserve) –,
eine Bibliothek und drumherum
Einsamkeit und Hummelgesumm.
Im Stall: Zwei Ponies, vier Vollbluthengste,
acht Autos, Motorrad – alles lenkste
natürlich selber – das wär ja gelacht!
Und zwischendurch gehst du auf Hochwildjagd.
Ja, und das hab ich ganz vergessen:
Prima Küche – erstes Essen –
alte Weine aus schönem Pokal –
und egalweg bleibst du dünn wie ein Aal.
Und Geld. Und an Schmuck eine richtige Portion.
Und noch ne Million und noch ne Million.
Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit.
Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit.
Ja, das möchste!
Aber, wie das so ist hienieden:
manchmal scheints so, als sei es beschieden
nur pöapö, das irdische Glück.
Immer fehlt dir irgendein Stück.
Hast du Geld, dann hast du nicht Käten;
hast du die Frau, dann fehln dir Moneten –
hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer:
bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher.
Etwas ist immer.
Tröste dich
Jedes Glück hat einen kleinen Stich.
Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten.
Daß einer alles hat:
das ist selten.
Auf den Bergen liegt der Schatten,
und der See ist dunkelgrün.
Von den Sechs-Mark-fünfzig-Platten
singt Maria Ivogün …
Horch, die schöne Melodie:
»Tralahü – lahü – lahi!«
Dumpf tönts von der Kegelbahn – – –
… Was hast du am Tag getan –?
Hast du einen Brief geschrieben?
Hast du im Büro gepennt?
Hast du Unkeuschheit getrieben?
Nahmst du 10 ½ Prozent
als Bankier der Industrie …
Tralahü – lahü – lahi –
Singt sie nicht wie Marzipan!
… Was hast du am Tag getan?
Hast des Staates du im stillen
dankbar-demutsvoll gedacht?
Hast du Margot Abführpillen,
die sie wollte, mitgebracht?
Dachtest du, wie Hitler schrie …
Tralahü – lahü – lahi –
mit dem bierigen Organ – – –
Was hast du am Tag getan?
Morgen, denkst du, bin ich schlauer.
Morgen fang ichs richtig an.
Jeder – Städter oder Bauer –
ist zur Nacht ein kluger Mann.
Aber welche Ironie –
Tralahü – lahü – lahi –:
Morgen leben alle Leute
egalweg genau wie heute.
Hinter den dicken Stäben meiner Ideale
lauf ich von einer Wand zur andern Wand.
Da draußen gehen Kindermädchen, Generale,
Frau Lederhändlerswitwe mit dem Herrn Amant …
Manchmal sieht einer her. Mit leeren Blicken:
Ah so! ein Tiger – ja, das arme Tier …
Dann sprechen sie von »Tantchen auch was schicken
in Pergamentpapier«.
Ich möcht so gern hinaus. Ich streck und dehn mich –
die habens gut, mit ihrer großen Zeit!
Sie sind gewiß nicht rein, und doch: ich sehn mich
nach der Gemeinsamkeit.
Der Tiger gähnt. Er käm so gern geloffen …
Doch seines Käfigs Stäbe halten dicht.
Und ließ der Wärter selbst die Türe offen:
Man geht ja nicht.
In stiller Nacht und monogamen Betten
denkst du dir aus, was dir am Leben fehlt.
Die Nerven knistern. Wenn wir das doch hätten,
was uns, weil es nicht da ist, leise quält.
Du präparierst dir im Gedankengange
das, was du willst – und nachher kriegst dus nie …
Man möchte immer eine große Lange,
und dann bekommt man eine kleine Dicke –
C’est la vie –!
Sie muß sich wie in einem Kugellager
in ihren Hüften biegen, groß und blond.
Ein Pfund zu wenig – und sie wäre mager,
wer je in diesen Haaren sich gesonnt …
Nachher erliegst du dem verfluchten Hange,
der Eile und der Phantasie.
Man möchte immer eine große Lange,
und dann bekommt man eine kleine Dicke –
Ssälawih –!
Man möchte eine helle Pfeife kaufen
und kauft die dunkle – andere sind nicht da.
Man möchte jeden Morgen dauerlaufen
und tut es nicht. Beinah … beinah …
Wir dachten unter kaiserlichem Zwange
an eine Republik … und nun ists die!
Man möchte immer eine große Lange,
und dann bekommt man eine kleine Dicke –
Ssälawih –!
Wie die langen Telegrafenstangen
jene schwarzen, dünnen Drähte, die
grad sich zu erheben angefangen,
immer wieder niedergehen, wie
diese dunkeln regelmäßigen Stäbe,
die das Auf und Ab und Auf und Ab
stetig kontrollierend in der Schwebe
halten –:
also von der Wiege bis zum Grab
drückt auch dich, o Mensch, bei allem Streben
(seist du Amme, Kanzler, Redakteur),
drückt auch dich, o Mensch, im ganzen Leben,
nieder, nieder, nieder –
das Malheur.
Jüngst betraf mich ein Japaner,
und in des Gespräches Wellen,
als wir von Matrosen sprachen,
ließ er ein klein Wörtlein fallen:
›Skibi‹.
»Was bedeutet das, Geehrter?«
fragt ich leicht und glatt und höflich.
»Nie noch hört ich diese Silben:
Skibi –?
Ists ein Laster? Ein Gesellschafts-
spiel? Kann man es konsumieren?
Tun Matrosen es? Mit wem wohl?
Skibi –?«
Der Japaner nickte höflich,
lächelte und schwieg. Und seitdem
hockt auf mir der Skibi-Wahnsinn.
Skibi! zwitschern alle Spatzen.
Skibi-skibi! gellt die Hupe.
Und die Stadtbahn-Wagenachsen
rattern: Skibi-skibi-skibi …!
Skibi! piept die Bodenmaus.
Und so sieht die Sonne aus:
Traurig krauche ich durchs Leben.
Kann mir niemand Rettung geben?
Auf, nach Japan laßt mich fahren,
seekrank, heiß, mit Möwenscharen,
wochenlang in Schiffsbewegung,
II. Klasse (mit Verpflegung) –
Und ich seh nicht Palästina,
Indien nicht an und China –
Bombay nicht und nicht Kalkutta,
in Port Said die Kuppelmutter …
Ungegessen, ungeschlafen,
fahr ich.
Auf dem Quai im Japan-Hafen
spring ich auf den ersten besten,
halt ihn an am Knopf der Westen –
schreiend frag ich:
»Was ist Skibi –?«
Der Japaner, kalten Blutes,
spricht: »Das fragt man nicht. Man tut es.
Skibi-skibi-skibi-skibi –!«
In die Heimat fährt ein Greis.
Stumm. Zerbrochen. Haar schlohweiß.
Geht ins Kloster als Trappist,
weil er nicht weiß, was Skibi ist.
Da hockt der dicke Gott und grinst,
der schwere Bauch in düstern Falten …
und über des Geschickes Walten
sitzt jener ruhig da und blinzt …
O Wandrer, lüfte deinen Hut!
Denn dieser strebt zum Idealen.
Was weiß er von des Denkens Qualen?
Er existiert und damit gut!
Ich kann den Blick nicht von dir wenden.
Denn über deinem Mann vom Dienst
hängst du mit sanft verschränkten Händen
und grienst.
Du bist berühmt wie jener Turm von Pisa,
dein Lächeln gilt für Ironie.
Ja … warum lacht die Mona Lisa?
Lacht sie über uns, wegen uns, trotz uns, mit uns, gegen uns –
oder wie –?
Du lehrst uns still, was zu geschehn hat.
Weil uns dein Bildnis, Lieschen, zeigt:
Wer viel von dieser Welt gesehn hat –
der lächelt, legt die Hände auf den Bauch und schweigt.
Du latscht uff deine jroßen Botten
in Kino durch de janze Welt.
Bei Weiße und bei Hottentotten …
wat hast du alles anjestellt!
Du kommst so an … Der jreeste Recke
valiert trotz seine Niedertracht.
Du kiekst bloß eenmal um de Ecke,
un alles lacht.
Du schmierst se Flammri in Zylinder,
loofst durch de Beene von Pochtier;
du bist so nett zu kleene Kinder,
schmeißt Damens Eis ins Dekollteh.
Denn jehste hin un feifst ein Liedchen,
als hättste weita nischt jemacht.
Und wer dir sieht mit dein Hietchen
der lacht.
Vor dir hat jeda schon jesessen.
Trotz Koppweh, Ärja, Not un Schmerz …
Vor dir hat jeda det vajessn.
Ick wer da sahrn: du hast Herz!
Du machst, det die vanimftjen Knaben,
bloß, weil du da bist, Unrecht haben.
Und tragen se dir mit Jebimmel
(noch lange nich!) in dunkle Nacht –:
denn sieht dir Jott in sein Himmel
steht uff
un lacht.
Dies ergötzte hoch und niedrig:
Als der edle König Friedrich,
August weiland von ganz Sachsen,
tat zum Hals heraußer wachsen
seinem Volk, das ihn geliebt,
so es billigen Rotwein gibt –
als der König, sag ich, merkte,
wie der innre Feind sich stärkte,
blickt er über die Heiducken,
und man hört ihn leise schlucken …
Und er murmelt durch die Zähne:
»Macht euch euern Dreck alleene!«
Welch ein Königswort! Wahrhaftig,
so wie er – so voll und saftig
ist sonst keiner weggegangen.
Wenn doch heute in der langen
langen Reihe unsrer Kleber,
Wichtigmacher, Ämterstreber,
einer in der langen Kette
nur so viel Courage hätte,
trotz der Ehre und Moneten
schnell gebührend abzutreten!
O, wie ich sein Wort ersehne:
»Macht euch euern Dreck alleene!«
Edler König! Du warst weise!
Du verschwandest still und leise
in das nahrhafte Zivil.
Das hat Charme, und das hat Stil.
Aber, aber unsereiner!
Sieh, uns pensioniert ja keiner!
Und wir treten mit Gefühle
Tag für Tag die Tretemühle.
Ach, wie gern, in filzenen Schuhen
wollten wir gemächlich ruhen,