Irre Verständlich: Methodenschätze - Matthias Hammer - E-Book

Irre Verständlich: Methodenschätze E-Book

Matthias Hammer

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Beschreibung

Irre praktische Methoden! Wie hängen Denken und Handeln zusammen? Wie gehe ich mit heftigen Emotionen um? Wie führe ich schwierige Gespräche? Wie kann ich meine Klientinnen und Klienten motivieren? Dieses Buch ist ein Grundlagenwerk für Mitarbeitende im psychosozialen Bereich, wie es praktischer kaum sein kann! Bei nahezu allen psychischen Erkrankungen treten in den Bereichen Denken, Fühlen, Kommunikation und Motivation Schwierigkeiten auf, und zwar ganz unabhängig von der eigentlichen Diagnose. Das können Grübeln, emotionale Anspannung oder auch Antriebslosigkeit sein. Matthias Hammer und Irmgard Plößl machen das Wissen aus der Psychologie und Psychotherapie für die psychosoziale Arbeit nutzbar. Eine klare Struktur, Übungen und Beispiele von Situationen, denen wir im psychiatrischen Feld ständig begegnen, vermitteln Verständnis dafür, wie die Klientinnen und Klienten die Zusammenarbeit mit den Fachkräften erleben, wie sie fühlen und denken. Es folgen theoretisches Fachwissen und Tipps für eine empathische, verstehende Haltung. Herzstück aller Kapitel sind die Methodenschätze für die praktische Arbeit im Alltag. Inklusive umfangreiches Downloadmaterial.

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Dr. Matthias Hammer arbeitet als Psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis in Stuttgart nach langjähriger Tätigkeit in den Bereichen Psychiatrie, Rehabilitation psychisch kranker Menschen und Psychotherapie. Er leitet Seminare und Fortbildungen.

Dr. Irmgard Plößl ist Psychologische Psychotherapeutin. Sie leitet die Abteilung für Berufliche Teilhabe und Rehabilitation des Rudolf-Sophien-Stifts in Stuttgart. Seit Jahren gibt sie Seminare und Weiterbildungen.

Matthias Hammer, Irmgard Plößl

Irre verständlich: Methodenschätze

Wirksame Ansätze für die Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen

Matthias Hammer, Irmgard Plößl

Irre verständlich: Methodenschätze

Wirksame Ansätze für die Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen

Fachwissen

1. Auflage 2020, korrigierter Nachdruck 2024

ISBN: 978-3-88414-674-3

ISBN E-Book (PDF): 978-3-96605-112-5

ISBN E-Book (EPUB): 978-3-96605-113-2

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Weitere Bücher zum Umgang mit psychischen Erkrankungen unter:

www.psychiatrie-verlag.de

© Psychiatrie Verlag, Köln 2020

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne Zustimmung des Verlags vervielfältigt, digitalisiert oder verbreitet werden.

Umschlagkonzeption und -gestaltung: Grafikschmitz, Köln,

unter Verwendung eines Fotos von b-fruchten / photocase.de

Lektorat: Sandra Kieser, Köln

Illustrationen: Claus Ast, Nierstein

Typografiekonzeption und Satz: Iga Bielejec, Nierstein

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH

Zitat auf S. 37 aus: Michael Ende: Momo. © 1973, 2018 Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH, Stuttgart. Abdruck mit freundlicher Genehmigung.

Zitat auf S. 178 aus: Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein.

© 1983 Piper Verlag GmbH, München. Abdruck mit freundlicher Genehmigung.

Einleitung oder: Die Regulationssysteme des Menschen

Alarmsystem

Antriebssystem

Bindungssystem

Kommunikation und Gesprächsführung

Die Perspektive von Klientinnen und Klienten

Was wir alle kennen

Grundlagen der Kommunikation

Praktische Methodenschätze

Umgang mit Emotionen

Die Perspektive von Klientinnen und Klienten

Was wir alle kennen

Grundlagen zu Emotionen

Praktische Methodenschätze

Umgang mit Gedanken

Die Perspektive von Klientinnen und Klienten

Was wir alle kennen

Grundlagen zum Denken

Praktische Methodenschätze

Motivation

Die Perspektive von Klientinnen und Klienten

Was wir alle kennen

Grundlagen der Motivation

Praktische Methodenschätze

Zum Schluss

Anhang

Hinweise zu den Downloadmaterialien

Literatur

Einleitung oder: Die Regulationssysteme des Menschen

Alarmsystem

Antriebssystem

Bindungssystem

Als wir beide nach dem Psychologiestudium angefangen haben, mit psychisch erkrankten Menschen zu arbeiten – die eine als Psychologin im Psychosozialen Dienst der Werkstatt für behinderte Menschen, der andere als Psychologe in einer Rehabilitationsabteilung für psychisch erkrankte Menschen, hätten wir uns ein Buch wie dieses gewünscht. Wir hätten uns gewünscht zu erfahren, welche Methoden in der Begleitung von psychisch Erkrankten nützlich sind. Und wir haben uns viele Fragen gestellt: Kann man denn normal reden mit Menschen, die Stimmen hören? Darf ich wahnhafte Klienten kritisieren? Wenn ich Gefühle anspreche, eskaliert dann alles sofort? Von vielen Kolleginnen und Kollegen, die uns ein Vorbild waren, durch deren Anregungen, in Fortbildungen, aus der Fachliteratur und aus den Erfahrungen in der eigenen Arbeit haben wir viel gelernt. Und wir haben hier zusammengetragen, was sich aus unserer Sicht bewährt hat. »Irre verständlich: Methodenschätze« ist eine Sammlung von Ansätzen aus Psychologie und Psychotherapie, die sich für die Arbeit mit schwer psychisch erkrankten Menschen eignen. Natürlich können nicht alle Methoden in allen Situationen und mit jeder Person umgesetzt werden. Deren Anwendung muss in jedem Fall gut überlegt und an die Situation angepasst werden.

Wir haben dieses Buch für all jene Fachkräfte geschrieben, die psychisch erkrankte Menschen im Alltag begleiten und unterstützen. Es soll als übersichtliche Landkarte dienen und als Verständnishilfe. Das Buch stellt eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis her und macht deutlich, wie die dargestellten Methoden in der täglichen Arbeit wirken, wie sie eingesetzt und konkret angewandt werden können. Dies ist kein Selbsthilfebuch, aber ein Buch, das Hilfe zur Selbsthilfe geben soll.

Inhaltlich knüpfen wir an den ersten Band von »Irre verständlich« an; dieselbe anthropologische Logik liegt auch diesem Buch zugrunde. Wir versuchen in jedem Kapitel zunächst ein Verständnis dafür zu schaffen, wie unsere Klientinnen und Klienten die Zusammenarbeit mit uns erleben, wie sie fühlen und denken. Dann wird immer der Bezug hergestellt zu dem, was wir alle kennen – das allgemeine menschliche Erleben, das erst in einer extremen Ausprägung zur Erkrankung wird. Entsprechend erfordert die Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen die Anwendung von Methoden, die wir aus dem Alltag kennen, die wir aber an unsere Klientinnen und Klienten anpassen müssen. Anschließend werden die fachlichen Grundlagen erläutert – zur Kommunikation, zu Emotionen und Kognitionen und zur Motivation. Herzstück aller Kapitel sind die praktischen Hilfen für den Alltag, die Methodenschätze, mithilfe derer Fachkräfte die Selbsthilfemöglichkeiten bei ihren Klientinnen und Klienten unterstützen und fördern können.

Schon ein Gespräch mit psychisch erkrankten Menschen kann schwer zu führen sein. Manche Klienten erzählen im Gespräch immer dasselbe, andere sprechen fast gar nicht oder antworten sehr einsilbig. Im Kapitel zur Kommunikation wird dargestellt, wie diese Gespräche gelingen können und welche Methoden sich gerade in der Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen bewährt haben. Mitunter sind wir mit heftigen Gefühlsausbrüchen unserer Klientinnen und Klienten konfrontiert und wir wissen manchmal nicht, wie wir darauf reagieren sollen. Im Kapitel zu Emotionen erläutern wir, was passiert, wenn heftige oder unangenehme Gefühle aufkommen, und wie man praktisch damit umgehen kann. Das Kapitel zum Denken lässt uns verstehen, was Grübeln bedeutet, was in den Menschen vorgeht, wenn sie grübeln, und was wir tun können, wenn Klienten viel grübeln. Und nicht selten machen Klientinnen einfach nicht, was wir ihnen vorschlagen, obwohl wir doch sicher sind, dass das gut für sie wäre und sie weiterbringen würde. Das Kapitel zum Thema Motivation verrät, wie wir Klientinnen und Klienten motivieren können, auch wenn die am liebsten gar nichts verändern möchten. Und wie wir gelassen mit Widerstand umgehen.

Um unser Gegenüber zu verstehen und in ganz unterschiedlichen Situationen hilfreich unterstützen zu können, hilft uns ein Modell, das auf Paul Gilbert zurückgeht (Gilbert 2013; van denBrink & Koster 2013) und von drei Regulationssystemen ausgeht. Dieses Modell bzw. die Regulationssysteme sind die Grundlage für den verstehenden Zugang in diesem Buch, in jedem Kapitel wird Bezug genommen auf das Antriebssystem, das Alarmsystem und das Bindungssystem.

Die drei Regulationssysteme

Die drei Systeme dienen dazu, unsere Grundbedürfnisse und unser Überleben in einer sich ständig ändernden Umwelt zu sichern. Ihre Aufgabe ist es, uns vor Gefahren zu schützen (Alarmsystem), uns voranzubringen (Antriebssystem) und uns mit anderen Menschen zu verbinden (Bindungssystem). Der aktivierende Einfluss des Sympathikus bzw. sympathischen Nervensystems spielt dabei beim Alarmsystem und beim Antriebssystem eine Rolle, der beruhigende Einfluss des Parasympathikus bzw. parasympathischen Nervensystems dagegen beim Bindungssystem. Diese neurophysiologischen Systeme haben im Laufe der Evolution dem Überleben und der Weiterentwicklung der Menschheit gedient und sie sind zugleich hilfreich für das Verständnis von menschlichem Verhalten und Erleben auch in ganz alltäglichen Situationen.

Alarmsystem

Auf Selbstschutz gerichtet

Kampf, Flucht, Erstarrung

Aktivierend oder hemmend

ABBILDUNG1Eigenschaften und Funktionen des Alarmsystems (van denBrink & Koster 2013)

Die Grundfunktion des Alarmsystems ist es, unser Bedürfnis nach Kontrolle und Sicherheit zu bedienen und den Organismus in die Lage zu versetzen, sich vor Gefahren und Bedrohung zu schützen. Gefühle, die mit dem Alarmsystem verbunden sind, sind überwiegend unangenehm: Wir sind aggressiv oder wütend, haben Angst oder verhalten uns abweisend. Die Botenstoffe, mit denen das Alarmsystem arbeitet, sind vor allem Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol. Besonders bei längerer Aktivierung des Alarmsystems, wenn man sich also ständig bedroht fühlt, spielt Cortisol eine große Rolle. Unser Körper wird ebenfalls in einen Alarmmodus versetzt, das Herz-Kreislauf-System ist aktiviert, die Muskulatur angespannt und die Atmung beschleunigt. Die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und Mitgefühl zu empfinden, ist dagegen reduziert, wenn das Alarmsystem stark aktiviert ist.

Die Amygdala (Mandelkern) ist im Gehirn jene Region, von der aus die Alarmreaktion gesteuert wird. Sie liegt im sogenannten limbischen System, das für Gefühle zuständig ist. Sobald wir Bedrohung und Gefahr wahrnehmen, wird das Alarmsystem aktiviert. Es ist sehr leicht und intensiv zu aktivieren und wird dann ziemlich dominant, denn für unser Überleben ist es extrem wichtig, Gefahren frühzeitig zu erkennen und abzuwehren. Die Amygdala als Alarmzentrale verfährt deshalb nach dem Motto: lieber einmal zu oft Alarm schlagen als einmal zu selten. Wenn das Alarmsystem häufig anspringt, z. B. bei Menschen, die großer Gefahr ausgesetzt waren und Opfer von Traumatisierung geworden sind, ist die Amygdala im Gehirn nicht selten deutlich vergrößert.

Dann besteht jedoch die Gefahr, dass das Alarmsystem gewissermaßen überreizt ist, es kann dann zu häufig anspringen, auch bei Gefahren, die gar nicht lebensbedrohlich sind. Insofern ist das Alarmsystem ganz wesentlich beteiligt an der Entwicklung von psychischen Erkrankungen. Eine akute psychische Krise entsteht durch das Zusammenwirken von Veranlagung (Vulnerabilität) und Stress. Bei einem chronisch überreizten, ständig aktivierten Alarmsystem ist die Stressbelastung dauerhaft hoch und die Gefahr einer akuten Krise steigt deutlich. Denn das Alarmsystem kann auch durch rein psychische Bedrohungen aktiviert werden, z. B. bei Kränkungen, Versagensgefühlen oder Einsamkeit, aber auch durch materielle Bedrohungen, wie Armut oder Arbeitslosigkeit. Und auch ganz ohne Bedrohung kann das Alarmsystem anspringen: Die bloße Erinnerung an ein traumatisches Ereignis kann die Alarmreaktion auslösen, obwohl zu diesem Zeitpunkt gar keine reale Gefahr droht. Wenn unsere Aufmerksamkeit ständig nur auf Bedrohungen gerichtet ist und unser Denken sich vorrangig mit Katastrophen beschäftigt, so kann auch dies das Alarmsystem aktivieren, selbst wenn wir uns eigentlich gar nicht in Gefahr befinden. Ganz besonders ausgeprägt ist dieser Mechanismus bei psychischen Erkrankungen, bei denen man sich bedroht oder verfolgt fühlt, extrem misstrauisch ist und in ständiger Erwartung von Katastrophen lebt. Das ist beispielsweise der Fall bei Psychosen, Depressionen, Angststörungen oder einer paranoiden Persönlichkeitsstörung. Bei Traumafolgestörungen ist das Alarmsystem ebenfalls maximal aktiviert. Aber auch durch Grübeln und sorgenvolles Denken – wenn man jederzeit mit einer Katastrophe rechnet – kann das Alarmsystem aktiviert werden.

Durch häufige Aktivierung von bestimmten Nervenzellnetzwerken stabilisieren sich genau diese Netzwerke (Bauer 2013). Je häufiger also eine Panikreaktion durch das Alarmsystem ausgelöst wird, desto leichter kann diese Reaktion auch in Zukunft ausgelöst werden und desto eher bewerten wir auch viele andere Situationen als potenziell bedrohlich und gefährlich. Eine zentrale Aufgabe von Fachkräften in der Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen ist es daher, durch den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung das überaktivierte Alarmsystem der Klienten und Klientinnen zu beruhigen (Fiedler 2018). Erst wenn das Alarmsystem nicht mehr dominant ist und die Klienten sich nicht mehr in einer permanenten Panikreaktion befinden, sind das Erleben von Sicherheit, Zugehörigkeit und Vertrauen (Bindungssystem) und Weiterentwicklung, Antrieb und Motivation (Antriebssystem) wieder möglich.

Antriebssystem

Auf Belohnung gerichtet

Wollen, Streben, Leisten, Konsum

Aktivierend

ABBILDUNG2Eigenschaften und Funktionen des Antriebssystems (van denBrink & Koster 2013)

Die Grundfunktion des Antriebssystems ist die Vermittlung positiver Gefühle. Denn unangenehme Gefühle entstehen ganz von selbst, wenn wir längere Zeit nichts tun. Für angenehme Gefühle müssen wir aber aktiv werden und das Antriebssystem versetzt uns deshalb in Bewegung. Entsprechend sind überwiegend angenehme Gefühle mit dem Antriebssystem verbunden, die allerdings meistens nicht lange anhalten und deren Abklingen das Antriebssystem erneut anspringen lässt. Also wollen wir immer mehr, unser Streben nach Leistung oder Konsum wird vom Antriebssystem gesteuert. Ganz besonders geht es uns oft darum, für Leistung Anerkennung oder durch Konsum Belohnungen zu bekommen. Das Antriebssystem nutzt den Botenstoff Dopamin, der auch als Molekül des Wollens bezeichnet wird (Klein 2014). Entsprechend fühlen wir uns unter seinem Einfluss energiegeladen, aktiviert, getrieben und erregt. Die Dopaminausschüttung wird dabei ausgelöst durch den Anblick einer möglichen Beute, ganz unabhängig davon, ob wir tatsächlich etwas brauchen oder aber mehr als genug haben (z. B. durch den Klingelton vom Handy oder beim Shopping).

Bei verschiedenen psychiatrischen Krankheitsbildern ist das Antriebssystem überaktiviert. Beispielsweise sind bei Suchtkranken der Antrieb und die Aufmerksamkeit stark darauf gerichtet, das Suchtmittel zu beschaffen. Das gilt sowohl bei stoffgebundenen Süchten als auch bei Verhaltenssüchten (z. B. Kaufen, Internet). Im Sinne einer Dysbalance sind bei suchtkranken Menschen die anderen Regulationssysteme weniger aktiviert: Beziehungen zu anderen Menschen spielen oftmals kaum noch eine Rolle (Bindungssystem) und auch Gefahren werden ignoriert (Alarmsystem). Bei bipolaren Störungen wechselt das Antriebssystem zwischen zu starker Aktivierung in der Manie und zu schwacher Aktivierung in der Depression. Und auch bei extrem ausgeprägtem Leistungsstreben mit dem Fokus auf Anerkennung, wie dies beispielsweise bei narzisstischen Persönlichkeitsstörungen der Fall ist, ist das Antriebssystem überaktiv. Gerade wenn man mit anderen Menschen um Aufmerksamkeit und Anerkennung konkurrieren muss, kann dies zu einem übersteigerten Antriebssystem führen. Gleichzeitig können sich das Alarmsystem und das Antriebssystem gegenseitig aufschaukeln: Fehlende Anerkennung für Leistung lässt dann das Alarmsystem anspringen, dieses aktiviert sofort wieder das Antriebssystem für noch mehr Leistung. Die Folge kann beispielsweise eine Burn-out-Problematik sein. Paul Gilbert (2013) sieht im Wechselspiel zwischen Antriebssystem und Alarmsystem eine wesentliche Dynamik in unserer Leistungsgesellschaft.

Bei schweren psychischen Erkrankungen ist das Antriebssystem aber oft nicht überreizt, sondern zu wenig aktiv. Bei einer Minussymptomatik in der Psychose, bei Depression aber auch durch Ängste kann der Antrieb fast ganz verloren gehen, es fällt Klientinnen und Klienten dann schwer, überhaupt etwas zu wollen oder zielgerichtet zu handeln. Im Kapitel zu Motivation wird dargestellt, wie das Antriebssystem bei diesen Menschen wieder aktiviert und Motivation wieder aufgebaut werden kann.

Bindungssystem

Auf soziale Verbindung gerichtet

Fürsorglichkeit und Freundlichkeit

Beruhigend

ABBILDUNG3 Eigenschaften und Funktionen des Bindungssystems (van denBrink & Koster 2013)

Die Grundfunktion des Bindungssystems ist es, uns zufrieden, sicher und mit anderen Menschen verbunden fühlen zu können. Wenn Sicherheit, Wohlbefinden und soziale Verbundenheit vorherrschen, ist das Bindungssystem aktiviert. Dieses System hat sich in der Evolution als ausgesprochen vorteilhaft für das Überleben des Menschen und überhaupt für alle Säugetiere erwiesen. Vor allem die Fürsorge von Eltern für ihren Nachwuchs erhöht dessen Überlebenswahrscheinlichkeit ganz erheblich. Dagegen wissen wir, dass der Nachwuchs von Fröschen sehr gefährdet ist. Kaulquappen werden von Fischen, Molchen, Insektenlarven etc. gefressen. Deshalb legen Frösche Tausende von Eiern, damit nur wenige Kaulquappen überleben.

Das Bindungssystem nutzt vorrangig die Botenstoffe Oxytocin, GABA und Serotonin. Das Erleben von sozialer Verbundenheit führt zu länger anhaltenden angenehmen Emotionen wie Wärme, Gelassenheit, Zufriedenheit und Wohlbefinden. Das Bindungssystem kann vor allem dann aktiv sein, wenn die anderen Regulationssysteme nicht im Vordergrund stehen, wenn also das Alarmsystem aktuell keinen Anlass für Gefahr sieht und das Antriebssystem nicht aktiv sein muss, weil kein Mangel besteht. Wenn unser Bindungssystem aktiviert ist und wir andere Menschen in der Nähe haben, die wir als hilfreich erleben, so reduzieren sich die Gefühle von Angst, Bedrohung, Gefahr oder Mangel zusätzlich noch. Wir Menschen sind von der Evolution so geformt, dass wir am besten funktionieren, wenn wir uns sicher, unterstützt und mit anderen verbunden fühlen. Wir sind von Geburt an angelegt auf Beziehungen zu anderen Menschen und die allermeisten von uns haben ein grundlegendes Bedürfnis nach Verbundenheit und Zugehörigkeit.

Wir sollten in unserer Arbeit als Fachkräfte versuchen, das Bindungssystem unserer Klientinnen und Klienten zu stärken, und so dazu beitragen, dass sie sich beruhigen und sicher fühlen können. Wenn das Alarmsystem bei Klienten überaktiv ist, so sollten wir in diesem Panikmodus nicht mit ihnen arbeiten, sondern versuchen, Bedingungen zu schaffen, die eine Verlagerung in das Bindungssystem möglich machen. Durch vertrauensvolle, haltgebende, Zugehörigkeit und Sicherheit vermittelnde Beziehungen können wir Klienten am besten dabei unterstützen, das überaktive Alarmsystem zurückzufahren und wieder Antrieb und Neugier zu entwickeln.

Auch das Bindungssystem kann zu ungünstigen Lebenssituationen führen. Ein Problem sind aber meist nicht zu viele oder zu intensive Beziehungen, sondern die falschen Bindungen und ein Mangel an Bindung durch Einsamkeit. Das Bindungssystem kann dazu führen, dass man in abhängige, missbräuchliche oder gewalttätige Beziehungen hineingerät. Und das Bindungssystem reagiert sehr auf den Verlust von Beziehungen, auf Beziehungslosigkeit, Einsamkeit und Isolation. Dies wird als Gefahr eingeschätzt und dadurch wiederum wird das Alarmsystem stark aktiviert. Da viele psychisch erkrankte Menschen nur ein kleines Beziehungsnetzwerk haben, sind Einsamkeit und soziale Isolation wichtige Belastungsfaktoren. Generell können zwischenmenschliche Beziehungen nicht nur seelische, sondern weitreichende körperliche Auswirkungen haben. Joachim Bauer (2013) betont, dass gute zwischenmenschliche Beziehungen, Bindung und soziale Unterstützung die am besten wirksame und nebenwirkungsfreie Medizin gegen seelischen und körperlichen Stress sind. Eine von Vertrauen und Wertschätzung geprägte Beziehung zu einer Fachkraft bietet daher nicht selten einen sicheren Anker für die emotionale Weiterentwicklung eines Klienten oder einer Klientin.

Zusammenfassung

Wir Menschen brauchen alle drei Regulationssysteme, jedes ist für sich genommen wichtig und sinnvoll. Es ist deshalb nicht anzustreben, dass ein System stärker aktiviert ist als die anderen oder dass einzelne Systeme gar ganz abgeschaltet werden. Stattdessen sollten sich die drei Systeme in einem harmonischen, wechselseitigen Gleichgewicht befinden.

ABBILDUNG4 Die drei Regulationssysteme im Gleichgewicht (van denBrink & Koster 2013)

Meistens hat eines der drei Systeme die Oberhand, dabei sind schnelle Wechsel zwischen den Systemen möglich. Alle drei Regulationssysteme müssen gut arbeiten und sich bei Bedarf auch wechselseitig ablösen können. Besteht eine konkrete Gefahr, kann ein gut funktionierendes Alarmsystem lebensrettend sein. Wenn wir Hunger haben oder etwas unbedingt erreichen möchten, dann ist das Antriebssystem aktiv. Wenn keine Gefahr droht und nichts organisiert werden muss, kann das Bindungssystem in den Vordergrund treten. Diese drei Regulationssysteme sind zutiefst verankert in uns Menschen. Alle Menschen müssen die Grundbedürfnisse nach Bindung, Sicherheit und Aktivität in Balance halten, psychisch erkrankte Menschen genauso wie alle anderen auch.

Bei psychisch erkrankten Menschen sind die drei Regulationssysteme allerdings oftmals nicht in der Balance. Eine Form der Dysbalance kann ein chronisch überaktives Alarmsystem sein, was ein ständiges Erleben von Bedrohung und Gefahr zur Folge hat. Viele psychisch erkrankte Menschen haben darüber hinaus ein unzureichend entwickeltes Bindungssystem, weil sie in Kindheit und Jugend Traumatisierung oder kaum Sicherheit erlebt haben. Vielen fällt es dann schwer, fürsorglich und liebevoll mit sich selbst umzugehen, und sie entwickeln ein eher negatives Selbstbild. Das Ungleichgewicht besteht hier in einem unzureichend aktivierten Bindungssystem. Eine Dysbalance des Antriebssystems kann dagegen sowohl in übersteigerter als auch in fehlender Aktivierung bestehen. Zu hoch gesteckte Ziele, verbunden mit der Angst, diese Ziele nicht zu erreichen, können das Antriebssystem zu stark aktivieren. Ein unterentwickeltes Antriebssystem führt dagegen eher dazu, dass man nichts mehr wollen kann, keine Energie aufbringt und sich nur schwer motivieren kann.

Insgesamt möchten wir Sie in diesem Buch also über die Hintergründe informieren, wie Emotion, Kognition und Motivation zusammenhängen. Wir sind überzeugt davon, dass dieses Wissen Fachkräften bei ihrer Arbeit hilft, Menschen dabei zu unterstützen, besser mit ihrer psychischen Erkrankung umzugehen und ein Gleichgewicht zwischen Verbundenheit, Aktivität und Sicherheit zu erleben.

Ganz vorn steht das Kapitel zur Gesprächsführung, denn Kommunikation ist das wichtigste Medium unserer Arbeit: um Kontakte zu knüpfen, aber auch um Menschen zu helfen, sich zu beruhigen, sich zu motivieren oder Ziele zu vereinbaren. Kommunikation dient dem Aufbau von Bindung und Beziehung, dem Abbau von Stress und der Beruhigung und vermittelt Sicherheit. Deshalb ist das Thema Kommunikation übergeordnet, gleichzeitig stellen wir auch in allen anderen Kapiteln Gesprächsführungsstrategien vor.

Im nächsten Kapitel finden Sie zunächst einige allgemeine Informationen über den Zusammenhang zwischen Emotionen und psychischer Erkrankung. Emotionen hängen ganz eng mit den drei Regulationssystemen zusammen. Belastende Gefühle haben viel mit der Überaktivierung des Alarmsystems zu tun. Angenehme Gefühle erleben wir, wenn wir unsere Ziele erreichen und Erfolg haben oder wenn wir Bindung und Zugehörigkeit erfahren. Und Emotionen geben uns Rückmeldung dazu, ob unsere Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Aktivierung und Bindung erfüllt werden.

Im Kapitel zur Kognition werden Auswege aus häufigen Gedankenfallen dargestellt. Denn bei vielen psychischen Erkrankungen führen v.a. Grübeln, Sichsorgen und Katastrophengedanken zu einer zusätzlichen Aktivierung des Alarmsystems, ohne dass eine reale Bedrohung vorliegt.

Das Kapitel Motivation hält Handwerkszeug bereit, wie es gelingen kann, das Antriebssystem wieder zu aktivieren und zu stärken und ungesunde Übermotivation etwas zu beruhigen.

In der Begleitung von psychisch erkrankten Menschen erleben wir oft, dass Menschen intensive Gefühle oder aber gar keine Emotionen mehr haben, dass Menschen passiv und zurückgezogen leben oder zeitweise überaktiv sind. Wir erleben, dass Menschen zu uns kommen mit übertriebenen Sorgen, mit extrem negativen Sichtweisen von sich selbst, von anderen Menschen und von der Welt. Wir wollen all dies hier mit den dahinterliegenden drei Regulationssystemen in Verbindung bringen und fachliche Theorien und Hintergründe darstellen, wie diese Verhaltensweisen entstehen, und so Verständnis wecken und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen.

Kommunikation und Gesprächsführung

Die Perspektive von Klientinnen und Klienten

Was wir alle kennen

Grundlagen der Kommunikation

Klientenzentrierte Gesprächsführung

Validierende Gesprächsführung

Kommunikation auf Augenhöhe

Gut zuhören

Gut nachfragen

Lösungsorientierte Gesprächsführung

Ressourcenorientierte Gesprächsführung

Vorschläge und Lösungen anbieten

Praktische Methodenschätze

Nonverbale Kommunikation

Die Sprache des Gegenübers sprechen

Auf spontane Gesprächswünsche reagieren

Anliegen und Ziele formulieren

Umgang mit Ambivalenz

Gefühle ansprechen

Über Wahnsymptome sprechen

Entscheidungsfreiheit wahren

Pausen im Gespräch

Von sich sprechen

Worte machen den Unterschied

Feedback geben und bekommen

Beiläufige Kommunikation

Ein Gespräch beenden

Kritikgespräche führen

Kritik annehmen

»Ich glaube daran, dass das größte Geschenk, das ich von jemandem empfangen kann, ist, gesehen, gehört, verstanden und berührt zu werden. Das größte Geschenk, das ich geben kann, ist, den anderen zu sehen, zu hören, zu verstehen und zu berühren. Wenn dies geschieht, entsteht Beziehung.«VirginiaSatir

Für die allermeisten Menschen ist wichtig, dass sie sich von anderen wahrgenommen und akzeptiert fühlen und ein Gefühl von Zugehörigkeit, Sicherheit, Unterstützung und Verbundenheit mit anderen Menschen haben (Gilbert 2013). Wir Menschen sind so angelegt, dass wir Bindungen und Beziehungen mit anderen Menschen eingehen. Kommunikation ist ganz wesentlich für die Gestaltung solcher Beziehungen. Durch Kommunikation fühlen wir uns vom anderen gesehen, gehört und verstanden und können auch andere verstehen und erreichen. Vor diesem Hintergrund ist Kommunikation das zentrale Mittel für unsere Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen. Kommunikation findet mit Worten statt, wir führen Gespräche. Sie findet aber auch ohne Worte statt über Mimik, Gestik und vor allem darüber, dass wir dem Gegenüber unsere Aufmerksamkeit schenken. Aber auch dem anderen die Aufmerksamkeit zu entziehen oder sich abzuwenden ist eine Form von Kommunikation. Durch Kommunikation gestalten wir die Beziehung zu anderen Menschen. Wenn es gelingt, die Beziehung zu Klientinnen und Klienten so zu gestalten, dass sie sich angenommen und wertgeschätzt fühlen, so wie sie sind, dann werden Wachstum und Entwicklung möglich. Entscheidend ist, dass Klienten und Klientinnen uns als »mitfühlende Begleiter« erleben können.

Beziehungsgestaltung und Kommunikation sind die wesentlichen Elemente unserer Arbeit.

Kommunikation ist nicht nur die Anwendung unterschiedlicher Gesprächsführungstechniken, sondern eine umfassende innere Haltung, die über das Einsetzen einzelner Kommunikationswerkzeuge hinausgeht (Ripper & Ripper 2018). Dafür sollten Sie sich von Ihren Klientinnen und Klienten emotional berühren lassen und offen sein für deren emotionales Erleben. Damit die Gesprächsführung zur Beziehungsgestaltung beitragen kann, gibt es Methoden, die sich bewährt haben, und solche, die eher weniger geeignet erscheinen. Insgesamt ist gelungene Gesprächsführung aber nicht eine Aneinanderreihung von Techniken nach Rezept. Entscheidend ist, eine offene, akzeptierende, annehmende und authentische Grundhaltung einzunehmen. Kommunikation ist der zentrale Schlüssel, der den Zugang zu Menschen öffnen oder verschließen kann. Es gibt nicht nur die eine »richtige« Art, Gespräche zu führen, es gibt viele Wege, emotional gut im Kontakt zu sein und zu kommunizieren, aber natürlich kann es manchmal auch zu Missverständnissen und Schwierigkeiten kommen. Derselbe Schlüssel passt nicht für alle Schlösser, aber einer passt immer. Vom richtigen Umgang mit den Schlüsseln der Kommunikation handelt dieses Kapitel. Die vorgestellten Methoden können als Zutaten für eine gelingende Kommunikation verstanden werden, die nicht alle verwendet werden müssen und immer wieder neu kombiniert werden können. Das Kapitel ist als Schatzkiste mit Anregungen zu verstehen.

Die Perspektive von Klientinnen und Klienten

Viele Klientinnen und Klienten berichten rückblickend von Gesprächen mit Fachkräften, die wichtig für sie waren auf ihrem Weg, die Erkrankung zu bewältigen und sich wieder gesund zu fühlen. Viele erzählen von Gesprächen, die ihnen nachdrücklich in Erinnerung geblieben sind, weil sie sich wirklich wahrgenommen gefühlt haben. Sie erlebten ein Gespräch z. B. als hilfreich, wenn es ihnen dadurch gelungen ist, selbst klarer zu sehen oder Ideen für Veränderungsmöglichkeiten zu entwickeln. Während der Arbeit an diesem Kapitel habe ich immer wieder Klientinnen und Klienten gefragt, was sie als positiv und hilfreich in der Kommunikation mit Fachkräften erlebt haben.

BEISPIELE

martina »Also ich finde es ganz wichtig, einen Termin für ein Gespräch auszumachen, damit meine Betreuerin auch wirklich Zeit hat. Es ist wichtig, Zeit zu haben, um kurz eine Situation, in der man sich befindet, zu beschreiben. Erst mal klarmachen, in welcher Situation man steckt, welches Problem man grade hat, wofür man eine Lösung finden will. Und dann ist es zuerst einmal toll, wenn die Person gut zuhören kann, ohne sofort zu viele verschiedene Lösungsmöglichkeiten vorzuschlagen.«

samir »Ich finde sehr gut, wenn meine Betreuerin im Gespräch die Lenkung übernimmt, auch die zeitliche Lenkung, mich manchmal auch unterbricht, um z. B. zum Thema zurückzukehren. Strukturieren kann gut kombiniert werden mit Zuhören und Wiedergeben. Wichtig ist dabei, dass man wirklich spürt, dass die Zeit da ist, um etwas zu äußern. Gut ist aber auch, wenn das Gegenüber das Gespräch doch etwas strukturiert, damit nicht die Zeit um ist und das Problem noch gar nicht zur Sprache kam. Überhaupt sind Formulierungen wichtig: das Wort Problem z. B. vermeiden, besser Herausforderung sagen.«

olaf »Nachfragen ist wichtig, sich zwischendurch interessieren, ob es läuft. Nicht nur Problemgespräche führen. Fachkräfte sollten wirkliches Interesse zeigen. Privates von den Klienten erinnern, dies auch mal ansprechen, z. B. ein Hobby. Auch gut ist, wenn sie nachfragen, wie es einem geht, was gestern los war oder so. Der Mensch möchte wahrgenommen werden, das Gefühl haben, dass es nicht egal ist, ob er da ist oder nicht.«

sybel »Einen angenehmen Raum für ein Gespräch finde ich wichtig, schlicht oder nett dekoriert, aufgeräumt und nicht zu abgelegen. Ich will mich auch als Frau sicher und wohl fühlen und mag es nicht, wenn ich männliche Berater erst mal in irgendwelchen dunklen, mir unbekannten Ecken suchen muss.«

Auf der anderen Seite mussten die meisten Klientinnen und Klienten, die ich gefragt habe, nicht lange überlegen, um sich an unangenehme Gesprächssituationen mit Fachkräften zu erinnern. Manche berichten, sie hätten sich nicht verstanden gefühlt oder wurden vorschnell in eine Ecke gedrängt, bewertet und abgestempelt, nicht ernst genommen oder unter Druck gesetzt.

BEISPIELE

senad »Echt nervig ist, wenn jemand sagt, er habe Zeit für ein Gespräch, und dann aber doch total in Eile und unkonzentriert ist. Dann soll er das doch lieber sagen und einen anderen Gesprächstermin vorschlagen.«

tina »Ich finde es unmöglich, wenn mich jemand einfach so wegschiebt. Ein Betreuer sagte mal zu mir: ›Das ist jetzt nicht mein Gebiet, dafür habe ich überhaupt keine Zeit, ich habe so viel zu tun‹ und dann hat er mir noch erzählt, was er alles zu tun hat. Ich hab mich total abgebügelt gefühlt und hatte den Eindruck, dass der mir sein Problem aufdrücken will. Ich gehe dann mit einem schlechteren Gefühl raus, als ich reingekommen bin. Besser ist es doch, Klartext zu sprechen und auch zu sagen, wie es weitergeht. Also: dass er jetzt keine Zeit für mich hat und wann er sich die Zeit nehmen kann.«

peter »Schlecht ist es, nicht begrüßt zu werden. Ein Handschlag muss gar nicht sein, aber der Mensch will Aufmerksamkeit erfahren, wahrgenommen werden.«

Was wir alle kennen

Wir alle haben vermutlich gute und schlechte Erfahrungen mit Gesprächen in unserem Alltag gemacht. Wir kennen das Gefühl, wirklich verstanden worden zu sein, und haben Gespräche als echte Entlastung erlebt. Auf der anderen Seite hat jeder schon Gespräche erlebt, die sich im Kreis drehen und die einen ärgerlich oder hilflos zurücklassen. Ob eine bestimmte Methode der Gesprächsführung – beispielsweise das Äußern von Verständnis oder das Erteilen von Anweisungen – als hilfreich oder als vollkommen unangebracht erlebt wird, hängt dabei entscheidend von der Beziehung zwischen den Gesprächspartnern ab und vom Kontext, in dem das Gespräch stattfindet

Wer beispielsweise wegen einer Störung zum wiederholten Mal bei seinem Telefonanbieter anruft, wird sich vermutlich nicht verstanden fühlen, wenn die Person am anderen Ende der Leitung beteuert: »Ich verstehe Ihr Problem«, sondern wütend den Telefonhörer in die Ecke pfeffern. Wenn wir dagegen einer Bekannten erzählen, dass wir große Ängste haben, vor vielen Menschen einen Vortrag zu halten, dann werden wir erleichtert sein, wenn die Bekannte sagt, sie verstehe das, denn ihr sei es genauso gegangen, und wir sind neugierig zu erfahren, wie sie mit den Ängsten umgegangen ist.

Die meisten Menschen reagieren verärgert, wenn ihnen Vorschriften gemacht werden oder sie sich gegängelt fühlen. Nahezu niemand lässt sich gerne Anweisungen geben und findet es gut, wenn der eigene Handlungs- und Entscheidungsspielraum eingeschränkt wird. Das führt dann mitunter sogar dazu, dass wir uns weigern, Anweisungen zu befolgen, die wir eigentlich sinnvoll finden. Wir leisten einfach aus Prinzip Widerstand, um uns nicht fremdbestimmt zu fühlen (»Nur weil der das sagt, mache ich das noch lange nicht.«). Ganz anders erleben wir solche Anweisungen, wenn wir jemanden speziell darum gebeten haben. Dies kann beispielsweise bei einem Arzt der Fall sein, dessen Anweisungen wir als hilfreich erleben und denen wir Folge leisten. Und auch den lautstark vorgetragenen Anweisungen des Fitnesstrainers im Sportstudio folgen wir widerspruchslos.

Wann haben wir das Gefühl, dass ein Gespräch ein »gutes Gespräch« war? Das hängt natürlich von den Inhalten ab, über die gesprochen wurde. Davon, ob wir alles sagen konnten, was uns wichtig war, Antworten auf unsere Fragen bekamen und Dinge klären konnten. Mindestens genauso wichtig ist jedoch die Gesprächsatmosphäre. Das Gefühl zu haben, dass das Gegenüber wirklich zuhört und verstehen möchte, was wir meinen. Dass die Person uns vielleicht einen Rat gibt, aber nicht über uns bestimmen möchte. Dass wir uns auf gleicher Ebene begegnen und nicht vom anderen belehrt oder von oben herab behandelt werden. Und wenn es dann noch gelingt, nicht nur Worte auszutauschen, sondern auch Raum für Emotionen zu lassen, dann ist echte Begegnung zwischen Menschen möglich und ein wirklich gutes Gespräch entsteht.

Der Kontext spielt natürlich eine wichtige Rolle. Gespräche mit guten Freundinnen führen wir oft mit Emotionen und einer Anteilnahme, die uns in Gesprächen mit Klienten unangebracht erscheinen. Dort sind wir darauf bedacht, dass wir in unserer fachlichen, professionellen Rolle bleiben. Die professionelle Distanz einzuhalten ist tatsächlich wichtig. Mitunter kann diese Distanz aber dazu führen, dass wir im Gespräch mit einem Klienten oder einer Klientin betont fachlich und sachlich vorgehen und gar nicht mehr offen für den Menschen sind, wenig zugewandt und emotional spürbar. Wir sollten daher eine Sensibilität dafür entwickeln, wie das Erleben und auch das Verhalten einer Person durch die Art beeinflusst wird, wie wir mit ihr sprechen.

Grundlagen der Kommunikation

Wenn zwei oder mehr Menschen zusammensitzen, sich aufeinander konzentrieren und miteinander sprechen, dann ist das natürlich Kommunikation. Doch Kommunikation umfasst viel mehr als das Führen von Gesprächen. Auch die zwei Sätze, die zwischen Tür und Angel gewechselt werden, und jede kleine Bemerkung im Alltag sind Kommunikation. Kommunikation benötigt keine direkte Begegnung, wir können schriftlich kommunizieren oder über soziale Medien. Und Worte sind generell nicht die einzige Form der Kommunikation. Jemanden anzulächeln, ihm den Rücken zuzudrehen, jemandem zuzunicken oder die Hände in die Hüften zu stemmen sind ebenfalls Formen der Kommunikation. Der Kommunikationswissenschaftler und Psychotherapeut Paul Watzlawick(2016) prägte den berühmten Satz: »Man kann nicht nicht kommunizieren«. Kommunikation besteht also nicht nur aus Worten. Auch wenn wir schweigen oder bewusst versuchen, gar nichts zu tun, senden wir eine Botschaft und es findet Kommunikation statt.

Der Begriff Kommunikation geht auf das lateinische Wort »communicatio« zurück und bedeutet »Mitteilung«. Kommunikation beinhaltet, in Beziehung zu treten mit jemandem. Entscheidend ist dabei die innere Haltung, die man gegenüber dem Gesprächspartner einnimmt. Günstig ist, wenn wir uns bewusst konzentrieren, aufmerksam sind und uns unserem Gegenüber zuwenden.

Durch Kommunikation können wir die Beziehung zu unseren Klientinnen und Klienten verbessern. Wenn es uns gelingt, die Beziehung zu unseren Klientinnen und Klienten aktiv zu gestalten, ist dies ein Kennzeichen, dass wir gut arbeiten. Auch in Studien zur Wirksamkeit von Psychotherapie wird immer wieder belegt, dass nicht die eingesetzten Techniken primär wirksam sind, sondern die Qualität der Beziehung zwischen Therapeutin und Klient (Fiedler 2018). Manche Fachkräfte können bei fast allen Klientinnen und Klienten positive Entwicklungen anregen und diese wirksam unterstützen. Im amerikanischen Sprachgebrauch werden sie »Supershrinks« genannt (Fiedler 2018). Supershrinks zeichnen sich u.a. durch die folgenden Haltungen aus:

Supershrinks (Rudolf 2018)

Freundliches Interesse Sie interessieren sich aufrichtig und anhaltend für andere Menschen und gehen nicht davon aus, sie wüssten sowieso schon, was der Klient wolle oder worum es ihm gehe.

Respektvolle Akzeptanz Sie signalisieren, dass sie auch schmerzliche oder hoffnungslose Zustände ihrer Klientinnen ertragen können und dass Klientinnen ihnen diese Dinge mitteilen können. Die Zusammenarbeit zeichnet sich durch geteilte Verantwortung aus.

Ihre Grundeinstellung ist geprägt durch Versöhnlichkeit, grundlegende Gelassenheit, Daseinsfreude, Dankbarkeit und Humor.

Von Carl Rogers (1902–1987), dem Begründer der Gesprächspsychotherapie, können wir ebenfalls viel lernen zum Thema Haltung und Beziehung in der Kommunikation. Die auf Rogers (2009) zurückgehende Klientenzentrierte Kommunikation bietet auch abseits von Psychotherapie viele Ansatzpunkte für den Beziehungsaufbau und die Gesprächsführung. Im Vordergrund steht für Rogers stets die Haltung des Gesprächsführenden.

Carl Rogers legte Wert auf die Feststellung, dass es bei Kommunikation nicht nur darum geht, was inhaltlich gesagt wird, was man »rüberbringen« möchte. Mindestens genauso wichtig sind die Emotionen, die im Gespräch entstehen. Diese sollten wahrgenommen und angesprochen werden. Auch Paul Watzlawick unterscheidet zwischen dem Inhalts- und dem Beziehungsaspekt der Kommunikation: Jede Mitteilung enthält rein sachliche Informationen und zugleich sagt sie etwas über die Beziehung der Gesprächspartner untereinander. Der Beziehungsaspekt ist mindestens so bedeutsam wie die inhaltliche Botschaft.

Wir sollten in einem Gespräch eine Atmosphäre schaffen, in der Klientinnen und Klienten keine Angst haben müssen, in der sie Vertrauen und Verständnis spüren, in Kontakt mit ihren Emotionen sind und sich mit sich selbst auseinandersetzen können. Damit diese Atmosphäre entsteht, sollten wir auf drei von Rogers benannte Qualitäten achten: Kongruenz, Wertschätzung und Empathie.

Klientenzentrierte Gesprächsführung

Empathie: Hinspüren

In der Arbeit mit psychisch erkrankten Klienten ist es wichtig, empathisch zu sein, das ist allgemein bekannt. Empathie wird manchmal jedoch fast gleichgesetzt mit einer Persönlichkeitseigenschaft. Menschen sind scheinbar entweder empathisch oder sie sind es eben nicht. Das stimmt so jedoch nicht. Empathie ist viel eher eine innere Haltung, die wir einnehmen und um die wir uns immer wieder bemühen sollten.

Empathisch zu sein bedeutet, die Gefühle zu erspüren, die das Gegenüber hat. Bildlich gesprochen sollte man in diese Emotionen eintauchen, sie erleben und verstehen, jedoch ohne sie zu bewerten. Wir sollten versuchen genau hinzuspüren, welche Emotionen ein Klient hat, auch wenn er sie vielleicht selbst gar nicht zum Ausdruck bringt. Dabei sollten wir unbedingt darauf achten, dem Klienten keine Emotionen zu unterstellen, und auch nicht davon ausgehen, welche Emotionen wir beispielsweise selbst anstelle des Klienten hätten. Damit Empathie entsteht, muss man die eigenen Gedanken und Gefühle soweit möglich beiseitelassen. Es geht weder darum, dass wir das Erleben des Klienten an unsere eigenen Erfahrungen »andocken«, noch darum, dass wir bewerten, ob die Emotionen angemessen und »richtig« sind.

Empathie bedeutet auch, die Emotionen des Gegenübers nicht nur wahrzunehmen, sondern diese auch mitzuteilen. Reinhard und Anne-Marie Tausch (1990) beschreiben verschiedene Empathie-Techniken, mit denen Emotionen widergespiegelt werden können.

klientin »Meine Chefin hält immer nur zu den anderen. Mich nimmt nie jemand in Schutz!«

BEISPIEL

Paraphrasieren bzw. Spiegeln

Auf der Sachebene kann die Gesprächspartnerin zunächst in eigenen Worten zusammenfassen, was die Klientin gesagt hat.

ergotherapeutin »Sie haben den Eindruck, dass keiner zu Ihnen hält.«

Ein Ausdruck von Empathie ist es, nicht nur zusammenzufassen, was die Klientin inhaltlich gesagt hat, sondern auch das erspürte Gefühl anzusprechen.

ergotherapeutin »Sie fühlen sich im Stich gelassen.«

BEISPIEL

Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte

Wir sollten uns dabei ganz auf das Erleben der Klientin konzentrieren:

• Welche Wünsche und Bedürfnisse sind für sie im Moment wichtig?

• Wie nimmt sie die Situation wahr?

• Welches Gefühl löst die Klientin bei mir als Fachkraft aus?

Unsere eigene Bewertung der Situation sollten wir nicht ins Gespräch einfließen lassen, sondern uns ganz auf die Sicht der Klientin konzentrieren. Eigene Emotionen, die die Klientin mit ihrer Schilderung bei uns auslöst, können jedoch mitgeteilt werden.

ergotherapeutin »Es macht mich traurig, dass Sie sich so alleingelassen fühlen.«

BEISPIEL

Verbalisierung von Wunschgedanken

Wenn Sie erspüren, welches Bedürfnis hinter dem Gefühl steht, können Sie das Gespräch zusätzlich noch in eine positive Richtung lenken. Versuchen Sie auszudrücken, was die Klientin sich wünscht, und bringen Sie dies in Ihrer Zusammenfassung zum Ausdruck.

BEISPIEL

Giraffensprache: nur Beobachtungen, keine Bewertungen

ergotherapeutin »Sie wünschen sich, dass jemand zu Ihnen hält und Sie nicht alleine dastehen.«

Wenn wir uns über das Verhalten eines Klienten ärgern, fällt es uns oft besonders schwer, empathisch zu sein. Mit einer empathischen Gesprächsführung kann es jedoch auch bei schwierigem oder störendem Verhalten gelingen, nachzuvollziehen, welches unerfüllte Bedürfnis hinter diesem Verhalten steht. Und oft ergeben sich Ideen, welche anderen, nicht störenden Verhaltensweisen das Bedürfnis stattdessen befriedigen könnten. In der gewaltfreien Kommunikation (Rosenberg 2019) wird die empathische Gesprächsführung auf der Ebene der Gefühle und Bedürfnisse auch als »Giraffensprache« bezeichnet (siehe auch S. 90).

Die Giraffensprache ist die Sprache des Herzens und heißt so, weil die Giraffe das Landtier mit dem größten Herzen ist und aufgrund ihres langen Halses einen guten Überblick hat. In der Giraffensprache wird strikt darauf geachtet, nur Beobachtungen mitzuteilen und keine Bewertungen. Gefühle und die dahinterliegenden Bedürfnisse werden wahrgenommen und angesprochen, sowohl beim Gegenüber als auch bei sich selbst. Die Giraffensprache ist eine mitfühlende, empathische Sprache, in Giraffensprache werden keine Forderungen gestellt, sondern Wünsche formuliert.

BEISPIEL

Bedingungslose Akzeptanz: bezieht sich nicht nur auf einzelne Verhaltensweisen, sondern auf die ganze Person

ergotherapeutin (in Giraffensprache) »Sie fühlen sich im Stich gelassen und haben den Eindruck, dass niemand zu Ihnen hält. Es macht mich traurig, dass Sie sich so alleingelassen fühlen. Ich möchte mit Ihnen einen Weg finden, damit Sie sich wahrgenommen und geborgen fühlen können.«

Wertschätzung: Du bist o. k.

Eine wertschätzende Haltung gegenüber Klientinnen und Klienten einzunehmen ist die zweite von Rogers benannte Qualität in der klientenzentrierten Gesprächsführung. Wir alle wissen, wie wichtig Wertschätzung ist, und wohl kaum jemand würde von sich selbst sagen, er oder sie arbeite nicht wertschätzend mit den Klientinnen und Klienten. Dennoch kann es passieren, dass die Wertschätzung, die man jemandem entgegenbringt, zu wenig zum Ausdruck gebracht wird, nicht nur zwischen Fachkräften und Klienten, sondern auch unter Kolleginnen und Vorgesetzten. Es lohnt sich deshalb, bewusst auf das Übermitteln professioneller Wertschätzung zu achten.

Wertschätzung bedeutet nicht, den anderen allgemein großartig zu finden oder zu übermitteln, was am Gegenüber besonders toll ist. Wertschätzung bedeutet nach Rogers, eine Person so zu akzeptieren, wie sie ist. Das Gegenüber wird vollständig respektiert, angenommen und geachtet. Rogers (1973) nennt dies »bedingungslose Akzeptanz«. Eine Klientin empfindet sich also als wertgeschätzt, wenn sie das Gefühl hat, als Person in Ordnung und akzeptiert zu sein – und dies nicht nur dann, wenn sie sich so verhält, wie andere das von ihr erwarten.

In der Lebensgeschichte vieler Menschen mit psychischer Erkrankung zeigt sich, dass sie diese bedingungslose Akzeptanz kaum kennengelernt haben, sondern häufig den Eindruck hatten, den Ansprüchen anderer genügen zu müssen und nur dann akzeptiert zu werden, wenn sie diese erfüllen. Wenn Kommunikation nicht wertschätzend erfolgt, können Erinnerungen an frühere verletzende Erfahrungen wieder wachgerufen werden, gemeinsam mit den entsprechenden Emotionen wie Angst oder Wut. Dagegen ermöglicht es wertschätzende Kommunikation, dass Klientinnen und Klienten sich auch selbst achten können. Wertschätzung vermitteln Sie, indem Sie:

• sich Klientinnen und Klienten aufmerksam zuwenden;

• sich Zeit nehmen;

• beim Zuhören nicken oder zustimmende Laute wie »Ah«, »Mhm« etc. einsetzen;

• genauer nachfragen, um besser zu verstehen;

• Blickkontakt halten;

• Klientinnen und Klienten mit Namen ansprechen, sie begrüßen und verabschieden.

Wertschätzung ist eine Grundhaltung, sie bezieht sich nicht nur auf einzelne Verhaltensweisen, für die der Klient wertgeschätzt oder gelobt wird.

Kongruenz: Echt sein

Für Carl Rogers ist die Echtheit (Kongruenz) die wichtigste Qualität in der klientenzentrierten Gesprächsführung. Denn Empathie und Wertschätzung wirken nur, wenn wir sie wirklich empfinden, und nicht, wenn wir sie nur als Technik einsetzen.

Nur das sagen, was man wirklich meint und fühlt

Unter Kongruenz versteht man, dass Verhalten, Gestik, Mimik und das, was gesagt wird, in Übereinstimmung sind. Außer bei sehr guten Schauspielern ist das nur dann der Fall, wenn wir das, was wir sagen, auch tatsächlich meinen und empfinden.

Sie sollten daher keine Rolle spielen, Empathie und Wertschätzung nicht nur zur Schau stellen, sondern sie als echte innere Haltung empfinden. Dazu ist es wichtig, dass wir uns immer wieder bewusst machen, welche Emotionen wir unseren Klientinnen und Klienten gegenüber haben, und dass wir zu diesen Emotionen stehen. Dazu gehören auch vermeintlich unprofessionelle Emotionen wie Ärger, Hoffnungslosigkeit oder Ungeduld. Auch solche Emotionen sollten nicht einfach weggeschoben oder verdeckt werden. Sie gehören dazu, wenn wir echt sein wollen. Doch was, wenn Sie sich ärgern, ungeduldig sind oder hoffnungslos? Nutzen Sie den kollegialen Austausch, sprechen Sie darüber, um die Emotionen zu verstehen und um anderen, wertschätzenden Emotionen nachzuspüren. Informeller Austausch unter Kolleginnen, kollegiale Beratung, Supervision oder Fallbesprechungen sind daher eine wichtige Voraussetzung, damit wir bei der Arbeit echt sein können. Sie sollten Ihre aktuelle Beziehung zu Klientinnen und Klienten immer wieder überdenken und sich Rückmeldungen dazu einholen, ob die Botschaften, die Sie verbal und nonverbal senden, in Übereinstimmung, also echt sind (siehe »Von sich sprechen«, S. 75).

Validierende Gesprächsführung

Manchmal suchen Klientinnen das Gespräch mit uns, weil sie aufgewühlt sind. Mitunter reagieren sie auch im Verlauf des Gesprächs ganz emotional, beispielsweise wenn sie mit Kritik an ihrem Problemverhalten konfrontiert werden und ihr Alarmsystem wachgerufen wird. Klientinnen und Klienten sind dann mitunter vollauf damit beschäftigt, sich zu verteidigen, auch gegenüber dem Gesprächspartner, der oft als Gegner wahrgenommen wird. Solche Gespräche verlaufen häufig wenig konstruktiv und muten eher wie Streitgespräche oder Auseinandersetzungen an. Erst wenn die betreffenden Klientinnen und Klienten sich wieder sicher und verstanden fühlen, sind sie weiter zugänglich für Rückmeldungen jeglicher Art und können aufnehmen, was ihr Gegenüber sagen möchte. Deshalb sollte die Gesprächsführung zu einer Atmosphäre von Sicherheit, Zugehörigkeit und Verstandensein beitragen. Dies gelingt mit der Methode der validierenden Gesprächsführung.

Die validierende Gesprächsführung kann unabhängig von der Art des Gesprächs und vom Zeitpunkt angewandt werden, also sowohl um ein Gespräch zu eröffnen als auch mittendrin und zur Beendigung eines Gesprächs. Gespräche validierend zu führen bewirkt, dass das Gegenüber sich verstanden, wahrgenommen und akzeptiert fühlt. Gerade durch dieses Gefühl des Angenommenseins gelingt es Klientinnen und Klienten oft, sich für eine Veränderung zu motivieren. Validierende Gesprächsführung ist nicht damit gleichzusetzen, alles zu verstehen und keine Grenzen zu setzen. Validierende Gesprächsführung versucht immer, eine Balance herzustellen: Gar keine Grenzen zu setzen ist nicht gleichbedeutend mit validieren, totale Abgrenzung aber auch nicht.

»Valide« kommt aus dem Lateinischen und bedeutet dort kräftig, wirksam oder fest. Der Begriff Validieren wird in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet, meistens für die Prüfung auf Plausibilität und Stimmigkeit. In der Gesprächsführung bedeutet Validieren, den Klienten zu vermitteln, dass ihre Verhaltens- und Erlebensweisen aus ihrer Sicht stimmig sind, wenn auch manchmal nicht die einzig möglichen und mitunter nicht die sinnvollsten Verhaltens- und Erlebensweisen.

Verstehen, warum das Gegenüber so denkt, fühlt und handelt

Validieren geht weiter als Empathie. Wenn wir validieren, bemühen wir uns aktiv um Nachvollziehbarkeit. Empathie bedeutet zu verstehen, wie der Gesprächspartner denkt und fühlt. Beim Validieren kommt noch etwas hinzu: Wir verstehen nicht nur, wie der andere denkt und fühlt, wir verstehen auch, warum er aufgrund seiner Situation und Lebenserfahrung genau so denkt und fühlt. Wir nehmen das Gegenüber also als Ganzes wahr und können seine Gefühle und Verhaltensweisen einordnen vor dem Hintergrund seines bisherigen Lebens oder seiner aktuellen Lebenssituation. Validieren geht also über ein empathisches Verstehen hinaus und bedeutet auch Nachvollziehen.

BEISPIEL

klientin »Meine Chefin hält immer nur zu den anderen. Mich nimmt nie jemand in Schutz!«

ergotherapeutin (empathisch) »Sie fühlen sich im Stich gelassen.«

ergotherapeutin (validierend) »Das fühlt sich für Sie ja so an, als würde gar keiner zu Ihnen halten und als würden Sie mal wieder ganz alleine dastehen.«

Um es gleich vorwegzunehmen: Wenn Sie validierend Gespräche führen möchten, so ist es nicht damit getan, jeden Satz mit »Ich verstehe Sie …« zu beginnen. Validieren bedeutet, zunächst einmal für richtig und gültig zu erklären, wie ein anderer Mensch die Welt sieht und sich verhält, und nachzuvollziehen, wie seine innere Welt, seine Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen vor dem Hintergrund seiner Lebensgeschichte und Erfahrungen zu verstehen sind.

BEISPIEL

ergotherapeutin »Wenn ich als Kind die Erfahrung gemacht hätte, dass immer nur meinen Brüdern recht gegeben wird, würde mich das wahrscheinlich auch aufregen, wenn meine Chefin die Kollegin in Schutz nimmt.«

Wenn Formulierungen in einem Gespräch nicht validierend sind, so bedeutet das nicht, dass die Aussagen falsch, unsachlich oder gar schädlich sind. Im Gegenteil: Oftmals sind diese Formulierungen durchaus richtig und müssen im Gespräch auch gesagt werden, nur nicht gleich an erster Stelle. Validieren hat nichts mit unterwürfiger Nettigkeit zu tun. Validieren kann auch bedeuten, klare Grenzen zu setzen und Probleme deutlich zu benennen.

Formulierungen, die nicht validierend sind, erzeugen allerdings bei Klientinnen und Klienten eher das Gefühl, dass sie nicht verstanden wurden. Viele neigen dann dazu, ihre Sichtweise oder ihr Problem noch deutlicher und mit noch mehr Nachdruck zu schildern, um endlich verstanden zu werden. Sie sind dann weniger offen für Veränderungsvorschläge oder Lösungsideen.

Bei emotional aufgewühlten Klientinnen und Klienten ist es daher sinnvoll, vor allem zu Beginn eines Gesprächs auf validierende Formulierungen zu achten, um zunächst eine Atmosphäre des Angenommenseins zu schaffen. Darauf aufbauend können dann kritische Inhalte und Hinweise leichter kommuniziert werden und Veränderungsprozesse kommen eher in Gang.

Um sich die Unterschiede noch einmal klar vor Augen zu führen, ordnen Sie die Äußerungen in der folgenden Tabelle den Kategorien »validierend« und »non-validierend« zu. Die Auflösung finden Sie bei den Downloadmaterialien.

KLIENT »Ich muss die Prüfung absagen, ich habe totale Panikattacken und kann überhaupt nicht mehr schlafen.«

 

Validierend

Nonvalidierend

»Das ist doch kein Grund, solche Angst zu haben. Sie machen das doch ganz toll in der Ausbildung.«

»Angesichts der Probleme, die Sie früher in der Schule hatten, kann ich gut verstehen, dass Sie das jetzt so aufwühlt, obwohl es ja viel besser läuft als früher.«

»Weil Sie die Schule damals als so schlimm erlebt haben, wollen Sie das jetzt nicht noch mal bis zum Schluss aushalten müssen, verstehe ich das richtig?«

»Deswegen müssen Sie doch nicht gleich absagen, das wird bestimmt wieder besser, warten Sie mal ab.«

»Soll ich mal mit Ihrem Chef reden? Uns fällt bestimmt was ein, damit die Prüfung angenehmer für Sie wird.«

Die nächste Tabelle enthält weitere Beispiele für validierende und non-validierende Formulierungen, und es gibt noch Platz für Ihre eigenen Antworten. Probieren Sie auch Kombinationen von Äußerungen aus. Es hat sich bewährt, mit einer validierenden Äußerung zu beginnen.

KLIENTIN »Neulich auf dem Gang, da sind Sie einfach wortlos an mir vorbeigegangen und haben mich nicht gegrüßt. Ich habe mich total schlecht gefühlt. Sie können mich nicht leiden und sind arrogant, das war mir ja gleich klar!«

Validierend

Non-validierend

»Es kam Ihnen also so vor, als hätte ich Sie bewusst nicht gegrüßt. Ich kann verstehen, dass Sie das verletzt hat.«

»Ich habe Sie halt nicht gesehen. Das kommt schon mal vor, ich war in Gedanken.«

»Sie haben das persönlich genommen und sich abgelehnt gefühlt. Ich kann nachvollziehen, dass das schlimm für Sie war.«

»Das tut mir leid, bitte entschuldigen Sie.«

 

»Das ist doch kein Grund, das gleich so persönlich zu nehmen.«

 

»Jetzt überlegen Sie doch mal, ob es nicht noch einen anderen Grund geben könnte, warum ich Sie nicht gegrüßt habe.«

  

  

  

  

KLIENTIN »Ich bin durch die Prüfung gefallen – das ist eine Katastrophe! Jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr, wie es weitergehen soll.«

Validierend

Non-validierend

»So ein Mist, ich hätte Ihnen so gewünscht, dass Sie die Prüfung schaffen!«

»Davon geht doch die Welt nicht unter!«

»Das tut mir so leid für Sie, das ist ja wirklich blöd, dabei haben Sie sich so gut vorbereitet!«

»Ist doch nicht so schlimm, Sie können die Prüfung sicher noch mal machen.«

  

  

  

  

Eine empathisch-validierende Gesprächsführung ist natürlich nicht nur im Gespräch mit psychisch erkrankten Menschen sinnvoll. Für unsere Klientinnen und Klienten ist sie jedoch oft ganz besonders wichtig. Denn sie haben nicht selten die Erfahrung gemacht, von anderen nicht verstanden zu werden. Im Gegenteil – viele haben vermittelt bekommen, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, dass sie »nicht richtig« sind. Gerade Menschen mit Störungen bei der Informationsverarbeitung, beispielsweise im Rahmen einer Psychose, oder mit Problemen der Identität, wie bei der Borderlinestörung, haben dies oft in ihr Selbstbild übernommen und misstrauen der eigenen Wahrnehmung und Einschätzung. Gerade für psychisch erkrankte Menschen ist also besonders wichtig, dass sie sich von anderen verstanden und angenommen fühlen, und sie reagieren ausgesprochen sensibel, wenn dies nicht der Fall ist.

Kommunikation auf Augenhöhe

Mittlerweile ist es ein geflügeltes Wort, dass Kommunikation mit Klienten auf Augenhöhe stattfinden sollte, und viele Institutionen werben damit. Aber was genau ist damit gemeint, wenn auf Augenhöhe kommuniziert wird?

Früher war es üblich, schon allein über die Höhe der Sitzposition und die Art des Sitzmöbels hierarchische Unterschiede zwischen Gesprächspartnern zu demonstrieren und zu festigen. Ein Beispiel ist der sogenannte Chefsessel, der ein bisschen größer und vor allem höher war als der Besucherstuhl und so von vornherein Überlegenheit demonstrierte. Solch ein offensichtliches Zurschaustellen unterschiedlicher hierarchischer Positionen ist weitgehend aus der Mode gekommen. Aber ist eine Kommunikation auf Augenhöhe allein schon dadurch gewährleistet, dass die Gesprächspartner auf derselben Art von Stühlen sitzen?

Das psychodynamische Modell der Transaktionsanalyse nach dem kanadischen Psychiater Eric Berne (2002) ermöglicht es, die unterschiedlichen Positionen, die in Gesprächen eingenommen werden, unabhängig von der Sitzposition zu verdeutlichen. In der Transaktionsanalyse geht man von drei unterschiedlichen Ich-Zuständen aus. Ich-Zustände sind eine Kombination aus Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen. Die Transaktionsanalyse unterscheidet zwischen dem Kind-Ich, dem Eltern-Ich und dem Erwachsenen-Ich.

Kind-Ich

Dieser Ich-Zustand stammt natürlich aus der Kindheit, tritt aber auch im Erwachsenenalter weiterhin auf. Wir verhalten uns dann nicht nur so wie in unserer Kindheit, wir fühlen uns auch so. In der Transaktionsanalyse werden drei verschiedene Formen des Kind-Ichs unterschieden. Das spontane Kind folgt seinen Bedürfnissen und ist natürlich und unbefangen, ohne auf die Konsequenzen seines Handelns zu achten. Beim Erwachsenen zeigt sich das spontane Kind z. B., wenn wir spontan etwas bejubeln, aber auch, wenn wir unvermittelt ganz wütend reagieren, beispielsweise auf den Fahrstil eines anderen Autofahrers. Das angepasste Kind verhält sich dagegen sehr gehorsam und folgsam, es passt sich an bzw. unterwirft sich dem Willen des Gegenübers. Als Erwachsene befinden wir uns in diesem Ich-Zustand, wenn wir uns z. B. nach einem Fehler schuldbewusst entschuldigen und alles tun, um das Gegenüber wieder freundlich zu stimmen. Ganz anders dagegen das trotzige Kind, es rebelliert gegen den Willen des Gegenübers und will sich nichts vorschreiben lassen. Im Ich-Zustand des trotzigen Kindes sind wir beispielsweise immer dann, wenn wir uns jemandem widersetzen: »Was glaubt der eigentlich! Der hat mir doch gar nichts vorzuschreiben!« All diese Ich-Zustände können auch auftreten, wenn das Alarmsystem aktiviert ist und eine Alarmreaktion ausgelöst wurde. Manche Menschen reagieren dann mit Trotz und Widerstand, andere sind spontan wütend oder ängstlich und wieder andere versuchen durch Beschwichtigung und Unterwerfung die erlebte Bedrohung abzuschwächen.

Eltern-Ich

In diesem Ich-Zustand agiert man generell aus der Position der Stärke, Macht und Überlegenheit heraus, deshalb ist er sehr beliebt. Die Transaktionsanalyse unterscheidet zwei verschiedene Formen des Eltern-Ichs. Das kritische Eltern-Ich verkörpert Werte, Normen, Gebote und soziale Gefühle. In diesem Ich-Zustand appellieren wir an die Moralvorstellungen von jemandem oder an sein Mitgefühl, um etwas zu erreichen. Beispielsweise die Äußerung des Wohnbetreuers: »Sie wollen doch auch nicht, dass Ihre Mitbewohner nicht schlafen können, weil Sie mitten in der Nacht laut Musik hören. Denen geht es dann ganz schlecht!« Dagegen bietet das helfende Eltern-Ich Wohlwollen, Trost, Wärme und Unterstützung. Das helfende Eltern-Ich wird angesprochen, wenn das Gegenüber klein und hilfsbedürftig ist oder sich zumindest so gibt: »Ich organisiere einen guten Kopfhörer für Sie« oder »Sie können sicher die maximale Lautstärke begrenzen, ich schaue mir das mal an« wären typische Sätze eines Wohnbetreuers aus dem helfenden Eltern-Ich heraus.

Erwachsenen-Ich

Dieser Ich-Zustand zeichnet sich dadurch aus, dass zwei Erwachsene wirklich auf Augenhöhe kommunizieren, dass das Gegenüber also auch im Erwachsenen-Ich angesprochen wird und nicht als hilfsbedürftiges Kind. Das Erwachsenen-Ich zeigt durchaus Emotionen, aber nicht unkontrolliert. Ein möglicher Einstieg in einen Dialog aus dem Erwachsenen-Ich könnte sein: »Klar möchte jeder gerne mal laut Musik hören. Was könnten Sie denn mit Ihren Mitbewohnern absprechen, damit die sich nicht gestört fühlen?«

Welche Positionen eine Fachkraft und ein Klient in einem Gespräch einnehmen und wie dies den Gesprächsverlauf beeinflusst, das ist durchaus interessant. Als Beispiel dient uns ein Gespräch zwischen einer Betreuerin im Wohnheim und ihrer Klientin. Die Klientin mit der Diagnose einer Borderlinestörung hat sich am Tag zuvor selbst verletzt. Sie hat sich mit einem Messer am Arm geschnitten und ist dann mit der blutenden Wunde durch das Wohnheim gelaufen.

BEISPIEL

wohnbetreuerin »Das ist ja ganz schlimm, was Sie da gestern gemacht haben. Ich habe gar nicht gemerkt, dass es Ihnen so schlecht geht. Wie kann ich denn beim nächsten Mal verhindern, dass Sie sich selbst verletzen müssen? Sie können doch immer zu mir kommen, ich bin für Sie da.«

ABBILDUNG5

Hier ist die Wohnbetreuerin in der Position des helfenden Eltern-Ichs, gewissermaßen die Stammposition von Fachkräften, die Menschen mit psychischer Erkrankung begleiten. Viele definieren ihre berufliche Rolle so, dass sie helfen und unterstützen sollen, und sehen die Klienten und Klientinnen als hilfebedürftig an. Hilfe anzubieten ist ja keinesfalls falsch. In unserem Beispiel wird jedoch deutlich, dass die Wohnbetreuerin allein auf ihrer Seite Veränderungsmöglichkeiten sieht: Was hätte sie anders machen können bzw. was könnte sie künftig besser machen? Aufseiten der Klientin spricht sie gar keine Handlungsmöglichkeiten an, diese wird eher als hilflos und nicht verantwortlich für ihr Handeln gesehen.

Manche Klientinnen und Klienten nehmen aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem Hilfesystem gewissermaßen vorsorglich die Position des oder der Hilfsbedürftigen bzw. des angepassten Kindes ein und sprechen Fachkräfte damit im helfenden Eltern-Ich an. Oftmals haben Klientinnen und Klienten die Erfahrung gemacht, dass sie auf diese Weise eher Unterstützung bekommen und ihre Ziele erreichen. Die Kommunikation findet allerdings auch dann nicht auf Augenhöhe statt. In diesem Fall könnte die Klientin auf diese Weise das Gespräch eröffnen:

BEISPIEL

klientin »Es tut mir so unendlich leid, was gestern passiert ist. Ich wusste mir einfach nicht mehr anders zu helfen. Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte. Und Sie waren ja im Gespräch, da wollte ich nicht stören.«

ABBILDUNG6

Auch die Position des kritischen Eltern-Ichs wird von Fachkräften häufiger eingenommen. In unserem Beispiel könnte die Wohnbetreuerin aus dem kritischen Eltern-Ich heraus beispielsweise so argumentieren:

BEISPIEL

wohnbetreuerin »Denken Sie doch mal dran, wie das für Ihre Mitbewohnerinnen ist, wenn die all das Blut sehen. Damit kommen einige doch gar nicht zurecht. Das können Sie denen nicht zumuten.«

ABBILDUNG7

Die Klientin könnte auf diese Äußerung durchaus aus dem trotzigen Kind-Ich heraus reagieren:

BEISPIEL

klientin »Sie haben immer nur Verständnis für die anderen! Ich finde es so schlimm, dass Sie gar nicht verstehen, wie schlecht es mir oft geht, und sich immer nur um die anderen kümmern!«

ABBILDUNG8

In all diesen Beispielen findet die Kommunikation zwischen Eltern-Ich und Kind-Ich nicht auf Augenhöhe statt. Wir sollten eine Sensibilität dafür entwickeln und nicht zu schnell in die Position des Eltern-Ichs gehen. Auch dann nicht, wenn wir von Klientinnen und Klienten in dieser Position angesprochen werden. Manchmal scheint es der Erwartung an unsere berufliche Rolle zu entsprechen, Hilfe anzubieten, uns zu kümmern, Verantwortung zu übernehmen oder moralische Grundsätze zu vertreten und auf deren Einhaltung zu achten.

Und tatsächlich gibt es Situationen, in denen diese Rolle angebracht ist. Beispielsweise, wenn Klienten vorübergehend nicht steuerungsfähig sind, sehr verwirrt oder akut erkrankt, und es erforderlich ist, stellvertretend für sie zu handeln und Verantwortung zu übernehmen. Solche Situationen kommen jedoch außerhalb der Akutpsychiatrie eher selten vor, deshalb sollte die Kommunikation aus dem Eltern-Ich heraus nicht die Regel sein. Denn der Klient oder die Klientin erlebt sich in der Position des Kind-Ichs nicht als kompetent, selbstständig und mit Ressourcen ausgestattet, sondern als hilfsbedürftig, abhängig und manchmal auch im Widerstand. Wir stärken unsere Klienten also immer dann, wenn wir sie aus der Position des Erwachsenen-Ichs auf Augenhöhe ihrerseits im Erwachsenen-Ich ansprechen.

BEISPIEL

wohnbetreuerin »Ich habe mich gestern sehr erschrocken, dass Sie sich verletzt haben. Ich mache mir Sorgen, dass so etwas wieder vorkommen könnte. Ich möchte mit Ihnen gemeinsam überlegen, was Sie anders machen können, wenn es Ihnen noch mal so schlecht geht.«

klientin »Ich weiß, ich hätte eigentlich etwas machen sollen, das mir guttut, aber irgendwie ging das in dem Moment nicht.«

wohnbetreuerin »Warum ging das in dem Moment denn nicht? Was hätte anders sein müssen oder was hätten Sie gebraucht?«

ABBILDUNG9

Wenn Sie von Klienten oder Klientinnen im Eltern-Ich und somit nicht auf Augenhöhe angesprochen werden, so müssen Sie diese Rolle nicht annehmen und können gewissermaßen aus dem Spiel aussteigen. In der Regel gelingt das, indem Sie bewusst die angesprochene Ebene verlassen und ins Erwachsenen-Ich wechseln.

BEISPIELE

klientin »Ich stelle mich immer so dumm an, ich hab echt keine Ahnung, wie das geht. Können Sie mir helfen?«

gruppenleiterin »Mir fällt auf, dass Sie es gar nicht mehr selbst probieren, sondern gleich um Hilfe bitten. Ich erkläre es Ihnen gerne noch einmal. Und ich wünsche mir, dass Sie sich künftig die Zeit nehmen, es selbst zu probieren. Wenn es gar nicht klappen sollte, helfe ich Ihnen gerne.«

klient »Der hat mich schon wieder so blöd angeschaut. Da müssen Sie jetzt aber echt mal was machen!«

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