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Das Leben der jungen Polizistin Mel ändert sich plötzlich, als sie ihre beste Freundin auf grausame Weise zugerichtet, in ihrer Wohnung auffindet. Eine konkrete Spur nach dem Täter führt Mel Sofi in eine Klinik für psychische Erkrankungen, in der sie sich mit einer Patientin gleichen Namens anfreundet. Bei der Suche nach dem Täter geraten beide Frauen in Lebensgefahr ...
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Seitenzahl: 164
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wurde 1961 in Düsseldorf geboren.
Sie hat eine erwachsene Tochter, zu der sie ein sehr enges Verhältnis pflegt.
1980 beendete Gabriele Kox erfolgreich eine Ausbildung zur Bürokauffrau in einem großen Unternehmen in Düsseldorf, in dem sie noch heute, seit vierzig Jahren, hauptberuflich als Sachbearbeiterin tätig ist.
Im Jahre 2013 entdeckte Gabriele Kox erstmals die Lust am Schreiben. Im Mai 2016 veröffentlichte sie ihren ersten Roman
„DU lässt mich nicht im Regen stehen“
Seit 2008 lebt Gabriele Kox in Hilden im Kreis Mettmann in Nordrhein-Westfalen.
„Irrer Irrtum“ ist ihr zweites Buch
Eine Verwechslungsgeschichte über zwei Frauen mit fatalen Folgen und eine Liebesgeschichte, die gar keine ist...
Das Leben der jungen Polizistin Mel ändert sich plötzlich, als sie ihre beste Freundin auf grausame Weise zugerichtet, in ihrer Wohnung auffindet.
Eine konkrete Spur nach dem Täter führt Mel Sofi in eine Klinik für psychische Erkrankungen, in der sie sich mit einer Patientin gleichen Namens anfreundet.
Bei der Suche nach dem Täter geraten beide Frauen in Lebensgefahr...
Kapitel 1: Langsam
Kapitel 2: Mell
Kapitel 3: Nach
Kapitel 4: ,,Frau Sofy,
Kapitel 5: Es
Kapitel 6: Mell
Kapitel 7: Mell
Kapitel 8: Mell
Kapitel 9: Zwölf
Kapitel 10: Mell
Kapitel 11: Mell
Kapitel 12: Mell
Kapitel 13: „Es
Kapitel 14: Mell
Kapitel 15: Die
Kapitel 16: „Pst...!“
Kapitel 17: Von
Kapitel 18: Heute
Kapitel 19: Als
Kapitel 20: Mells
Kapitel 21: Mit
Kapitel 22: „Wie
Kapitel 23: Eigentlich
Kapitel 24: Mit
Kapitel 25: Es
Kapitel 26: Kevin
Kapitel 27: Mell
Kapitel 28: Mell
Kapitel 29: Als
Kapitel 30: Frank
Kapitel 31: Auf
Kapitel 32: Es
stieg eine zierliche, elegant gekleidete Frau mittleren Alters die steilen Treppenstufen in den Keller hinab. Als sie mit schwingenden Hüften und High Heels das Lokal betrat, waren alle Augenpaare auf ihre langen, wohlgeformten Beine gerichtet. Sie wusste genau, dass perfekt sitzendes Schuhwerk Beine zu einem Blickfang machten. Tagein, tagaus lenkte sie geschickt mit einem perfekten Make-up und ausgefallener Garderobe von ihrem Gesicht ab.
Die Beleuchtung in der Kneipe war düster und die Luft stickig, das Mobiliar abgenutzt. Ihr stieg ein ekelerregender Gestank unter die Nase. Es roch nach Schweiß, Alkohol und Zigarettenrauch. Das Publikum bestand aus zwielichtigen Gestalten, und sie fühlte sich von den anwesenden Kleinkriminellen beobachtet. Hier war zwar genau der richtige Ort, um dubiose Geschäfte abzuwickeln und unerkannt zu bleiben, aber so düster und heruntergekommen hatte sie sich den von ihm vorgeschlagenen Treffpunkt nicht vorgestellt.
Der abartige Geruch, der sich wie eine Glocke über sie legte, und der Anblick der übrigen Gestalten ließ Übelkeit in ihr aufsteigen. Sie schaute ständig zur Türe, als hielte sie nach jemandem Ausschau.
Die feine Dame setzte sich an einen der freien Tische und blickte sich angewidert um. Ihr war durchaus bewusst, wie groß der Kontrast zwischen ihr und den hier Anwesenden war, die verwahrlost aussahen und stark nach Schweiß und Alkohol rochen.
Die Bedienung in dieser Spelunke ließ ebenfalls sehr zu wünschen übrig. Sie trug einen Minirock und zerrissene Strumpfhosen. Ihre Bluse war mit undefinierbaren Flecken und Brandlöchern übersät. Mit der Zigarette im Mundwinkel stellte sie den bestellten Whisky und das Wasser wortlos vor ihr auf den Tisch ab. Erneut rebellierte der Magen der feinen Dame. Während sie auf die verdreckten Gläser starrte, fischte sie nervös ihr Handy aus der viel zu großen Handtasche und wählte im Minutentakt eine Nummer. Dabei bemerkte sie, dass ihre Finger das Handy so fest umklammert hielten, als suche sie Schutz. Nachdem sich die Mailbox eingeschaltet hatte, legte sie, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, auf. Ihre Augen suchten erneut den düsteren Raum ab.
Jedes Mal, wenn sich die Tür öffnete, blickte sie gespannt in diese Richtung.
Sie schloss für einen Moment die Augen und erinnerte sich an ihren Mann, der sie, als sie ihn am meisten brauchte, verlassen hatte.
Seit ihrer Jugend musste sie sich mit dem Tod auseinandersetzen. Ihre Mutter und ihre Schwester waren beide an Unterleibskrebs gestorben. Sie hatte sich für ihre Familie aufgeopfert und sie bis zum letzten Atemzug gepflegt.
Viele Jahre später, bei einem routinemäßigen Hautscreening, erhielt sie erstmalig die niederschmetternde Diagnose ,Hautkrebs‘. Die Krebszellen hatten sich so tief in ihre Haut gefressen, dass in zahlreichen Operationen das kranke Hautgewebe entfernt und gesunde Hautlappen transplantiert werden mussten. Wulstige Narben waren das Ergebnis der zahlreichen Eingriffe. Oft hatte sie sich gewünscht, an unsichtbarem Unterleibskrebs erkrankt zu sein, als mit dieser abstoßenden, entstellten Gesichtshälfte zu leben, mit einer Fratze, die aus hässlichen Narbenwucherungen bestand. Die Spannungsgefühle und die Bewegungseinschränkungen an den operierten Stellen verursachten außerdem unerträgliche Schmerzen.
Das, was sie in dieser schlimmen Zeit durchgemacht hatte, musste sie ohne fremde Hilfe bewältigen, denn auch Franz, ihr Ehemann, hatte Probleme mit ihrem Aussehen und trennte sich noch von ihr, als sie mit der letzten Chemotherapie stationär war. Seitdem fühlte sie sich noch mehr von ihrem Umfeld ausgegrenzt und war voller Hass.
Viele Jahre später, inzwischen geschieden, begegnete sie ihrem Ex in Begleitung im Wartezimmer der,Praxis für Gynäkologie und Geburtshilfe‘. Seine Neue war jung, bildhübsch und schwanger.
Sie fühlte ein Brennen in der Brust und die nagende Frage, die sie innerlich zerfraß. Warum gerade ich? Womit habe ich das nur verdient? Jeder Gedanke an Schönheit versetzte ihr einen Stich mitten ins Herz, dessen Schmerz man nicht in Worte fassen konnte.
Sie trank den Whisky in einem Zug leer, da sie sonst in Tränen ausgebrochen wäre. Der Alkohol wärmte langsam ihren Körper und hinterließ ein Gefühl der Gleichgültigkeit. Der wahre Grund ihrer Anwesenheit in dieser Kneipe verlor für einen Moment an Bedeutung.
Plötzlich öffnete sich die Tür. Ihre Blicke trafen sich, als der Mann die Kaschemme betrat. An der Theke zog er seinen schwarzen, verfilzten Wollmantel aus und nahm seine ungewöhnliche Kopfbedeckung ab. Er trug eine Jeans, die vor Dreck stand und einen viel zu großen Pulli, der sich am Bündchen bereits auflöste.
Ohne seine Kopfbedeckung hätte sie ihn nicht wiedererkannt, denn er hatte sich für einen neuen Look entschieden – die Kahlrasur. Sie bemerkte die zahlreichen Beulen und Flecken auf seiner Kopfhaut, die sich, als er noch Haare hatte, ausgebreitet hatten. Er fasste sich mit der linken Hand über seine Glatze. Mantel und Mütze legte er auf den Barhocker.
Sie zog eine Braue hoch. Ihre Augen gingen in seine Richtung. Sie beobachtete ihn, aber er würdigte sie keines Blickes. Obwohl er heute einen kühlen Kopf bewahren sollte, bestellte er sich einen doppelten Wodka, leerte das Glas in einem Zug und knallte es auf den Tresen, um sich einen zweiten zu bestellen. Bei seelischen Spannungszuständen trank er unkontrolliert. Heute war er mehr als angespannt, denn die elegante Frau in der Ecke, mit der er verabredet war, hatte ihm eine Menge Kohle versprochen, für einen kleinen Dienst.
Sie stand auf, legte einen Geldschein für die verzehrten Getränke auf den Tisch. Wortlos ging sie mit wiegenden Hüften an ihm vorbei und verließ die Kneipe. Als sie fort war, schaute, er auf den leeren Platz und entdeckte den braunen Umschlag, den sie, wie ausgemacht, für ihn dagelassen hatte.
und Mike liefen sich nach vielen Jahren im Café ,Auszeit‘ über den Weg.
Sie erinnerte sich an den ersten Kindergartentag, als sie beim Abschied von ihrer Mutter heftig weinte.
„Du kannst Micky behalten. Er soll dich für immer beschützen“, hatte er großzügig gemeint.
Mike trennte sich von seinem geliebten Kuscheltier ,Micky‘ und war von da an immer an ihrer Seite.
„Mell?“, hörte sie jemanden ihren Namen rufen. „Mell, bist du es wirklich? Unglaublich! Nach so vielen Jahren! Und du bist noch hübscher geworden!“
Mike ging mit offenen Armen auf Mell zu. Sie konnte der Stimme nicht gleich ein Gesicht geben. Als sie sich langsam umdrehte, erkannte sie den Mann und ging mit schnellen Schritten auf Mike zu. Sie fiel ihm um den Hals, als hätte es niemals Jahre der Trennung zwischen ihnen gegeben.
Für Mell war als Kind schon klar, dass sie ihre Sandkastenliebe einmal heiraten würde.
Damals fand sie seine braune Lockenpracht schon faszinierend. Seine blaugrauen Augen strahlten, wenn er sie ansah, und die vorwitzigen Pünktchen auf seiner blassen Haut gaben seinem Gesicht etwas ganz Besonderes. Feige ging er zwar jeder Auseinandersetzung mit den anderen Kindern aus dem Weg, aber wenn es um Mell ging, verteidigte er sie mit seinen kleinen Fäusten.
Mike begrüßte Mell so stürmisch, dass sie keine Luft mehr bekam. Von diesem Tag an verbrachten sie jede freie Minute miteinander, und nach kurzer Zeit läuteten tatsächlich die Hochzeitsglocken, und Mells Kindertraum ging endlich in Erfüllung.
In den anfänglichen Ehejahren war Mike mehr denn je Mells Traummann. Er war charmant, romantisch, loyal, zuverlässig, fürsorglich, und er bettete sie auf Rosen. Der liebevolle und behutsame Sex war fantasievoll und ausgefüllt. Das Leben an seiner Seite war perfekt.
Schleichend, kaum spürbar, machte Mike eine Kehrtwende um einhundertachtzig Grad. Von Tag zu Tag wurde die Spannung zwischen ihnen unerträglicher. Sein liebevolles Verhalten gehörte sehr bald der Vergangenheit an, und die Leidenschaft ebbte ohne erkennbaren Grund immer mehr ab. Mike Sofy veränderte sein Wesen und wurde Mell gegenüber immer rücksichtsloser, weit entfernt von dem Mike, mit dem sie einst im Sandkasten gespielt und den sie geheiratet hatte. Sie bekam zeitweise sogar richtig Angst vor ihm.
Eines Morgens gab es einen heftigen Streit zwischen Mell und Mike, und er endete in einem furchtbaren Fiasko.
Mike kam splitterfasernackt aus der heißen Dusche und ging zielstrebig auf seine Frau zu.
„Los, zieh dich aus“, befahl er mit eisiger Stimme.
„Es geht nicht“, murmelte sie. „Ich habe wahnsinnige Unterleibsschmerzen.“
„Du weißt doch, was passiert, wenn du nicht so funktionierst, wie ich es gerne hätte, oder?“
An seiner Stimmlage erkannte sie, dass es ihm ernst war und er kein Nein akzeptieren würde. Er grapschte nach ihrem Körper, sein Atem ging schnell. Als sie spürte, wie er von Sinnen nach ihren Brüsten packte, wollte sie sich aus seinen Klauen befreien. Er zitterte vor Erregung, und Mell fühlte sich ihm wieder vollkommen ausgeliefert. Sie wusste, was jetzt passieren würde.
„Du Schlampe. Ich gebe dir Unterleibsschmerzen“, schrie er sie an und ging auf sie los. Er packte sie am Arm und warf sie auf das gemeinsame Ehebett, um sich an ihr zu vergehen. Mike warf sich auf sie, nach vorn übergebeugt hielt er mit der rechten Hand die über ihren Kopf gekreuzten Arme fest, mit der Linken zerrte er an ihrem Hosenknopf und versuchte, den Reißverschluss ihrer Jeans gewaltsam zu öffnen. Als ihr Körper sich verteidigend aufbäumte, schlug er mit aller Wucht auf sie ein, immer und immer wieder. Mells Augen füllten sich mit Tränen, und sie schrie sich die Seele aus dem Leib. Er drückte ihr das Kissen auf Mund und Nase, um sie zum Schweigen zu bringen. Entsetzt über seine rohe Gewalt flehte sie ihn mit aufgerissenen Augen an:
„Bitte hör auf damit“, stammelte sie unter dem Kissen hervor. „Ich bekomme keine Luft. Du bringst mich ja um!“
Mells Herz begann heftig zu schlagen. Sie hörte das Rauschen ihres eigenen Blutes in den Ohren. Endlich lies Mike von ihr ab. Er warf geschockt das Kissen auf den Boden. Es war, als würde er aus einer seltsamen Trance erwachen.
„Mell“, sagte er mit monotoner Stimme. „Bitte verzeih mir. Das wollte ich nicht.“
Wie immer versuchte er sich zu entschuldigen und tat so, als wäre nichts gewesen.
„Du solltest dringend einen Therapeuten ...“, druckste sie.
Mike ließ sie nicht ausreden.
„Lieber Himmel, stell dich doch nicht so an! Du willst es doch auch. Ich will doch nur mit meiner Frau schlafen, die ich über alles liebe. Ist das denn zu viel verlangt?“
„Nein“, schrie sie. „Ist es nicht, aber deine Definition von Liebe ist eine andere ...“.
„Ist ja gut“, sagte er so leise, dass sie ihn kaum verstehen konnte.
Bei seinen leisen Worten fühlte Mell sich ihm überlegen und begann, sich langsam aus seinen Fängen zu befreien. Als sie vom Bett aufstehen wollte, traf er sie mit der flachen Hand am Kopf, dann erhielt sie einen Schlag mit der geballten Faust unter dem rechten Auge auf das Jochbein. Sie hatte sich zuvor noch niemals so heftig gewehrt, doch nachdem er immer wieder auf sie eingeschlagen hatte, setzte endlich ihr Abwehrmechanismus ein. Zunächst schlug sie nur wild um sich, dann schnellte ihr Arm nach unten, und sie erwischte Mikes liebstes Stück‘. Mell drückte so fest zu, dass er das Gefühl haben musste, seine Eier würden aus dem Hodensack gequetscht werden. Mike sank in die Knie und fiel wie ein nasser Sack der Länge nach auf den Boden. Er bewegte sich keinen Millimeter. Es folgte ein qualvoller, endlos langer Schrei, der bis zur nächsten Straßenecke zu hören gewesen sein musste und anschließend ... angsteinflößende Stille. Nichts mehr war zu hören, außer dem keuchenden Atem ihres Mannes und dem Ticken des Weckers auf dem kleinen Nachttisch. Plötzlich und vollkommen unerwartet zog Mike seine Frau an den Haaren vom Bett hoch und schleuderte sie mit aller Wucht gegen den Kleiderschrank. Mell sackte zu Boden. Taumelnd versuchte sie sich wieder aufzurichten, wischte sich das Blut mit dem Handrücken von der Schläfe. Überraschend attackierte Mike sie mit zahlreichen Fußtritten, warf sich auf sie und legte seine Hände um ihren Hals, er drückte zu.
Es war nicht das erste Mal, dass Mell ein Krankenhaus aufsuchen musste, aber das erste Mal, seit ihr Ehemann sie so übel zugerichtet hatte. Sie saß mit zahlreichen Platzwunden im Gesicht, übersäht mit Blutergüssen und blauen Flecken am Körper in der überfüllten Notfallambulanz und versuchte, die Tasten ihres Handys zu bedienen, um ihre Schwester Pia anzurufen. Die angeschwollenen Augen und aufgeplatzten Lippen entstellten sie ungemein.
„Sind Sie in der Badewanne ausgerutscht oder zur Abwechslung mal die Treppe hinuntergefallen?“, wollte die diensthabende Ärztin wissen, die Mell schon viele Male behandelt hatte.
„Dieses Mal bin ich ...“
Mell ließ den Satz unvollendet, aber die Ärztin wusste genau, was sie meinte.
Gerade als sie sich für die Untersuchung freimachen wollte, summte Mells Handy. Sie hatte Angst ranzugehen. Schlimmstenfalls war es Mike, der sich wieder für sein Fehlverhalten entschuldigen wollte. Sie beschloss, ohne einen Blick darauf zu werfen, es zu ignorieren.
Die Ärztin tätschelte ermutigend ihren Arm.
„Ich habe Erfahrungen mit misshandelten Frauen. Glauben Sie mir, es wird mit jedem Tag schlimmer werden. Die mit bloßem Auge erkennbaren Wunden werden schnell verheilen, aber es wird eine Ewigkeit dauern, bis sie ihm vergeben können oder er sie totgeschlagen hat.“
„Ich werde niemals ...“ Mell sprach nicht weiter, sie wusste, es war nicht angebracht, sich gegenüber einer Fremden zu öffnen. Sie presste die Hand auf ihren Mund, um nicht den über viele Monate erlittenen Schmerz, der sie jetzt wie eine Lawine überrollte, herauszuschreien. Sie war sich bewusst, dass sie Mike, der sie geschlagen, gedemütigt und sie immer wieder gegen ihren Willen genommen hatte, bis zu ihrem letzten Atemzug nicht verzeihen würde.
Mells Handy klingelte unentwegt.
„Frau Sofy, Sie sollten endlich rangehen“, sagte die Ärztin mitfühlend.
Mell zog ihr Handy aus der Hosentasche. Als sie die Nummer ihrer Schwester auf dem Display erkannte, tippte sie auf den grünen Hörer.
„Pia, könntest du mich bitte abholen? Ich bin in der Notfallambulanz. Nur noch dieses eine Mal“, flehte sie ihre Schwester an.
Mell fing an zu weinen. Sie konnte überhaupt nichts dagegen tun. Sie krümmte sich lautlos vor Schmerzen und umklammerte mit beiden Händen ihr Handy, um irgendwie Halt zu finden.
„Hat dieses Schwein es wieder getan? Mell, du musst endlich etwas unternehmen, bevor noch Schlimmeres passiert“, flehte sie ihre Schwester an.
„Bitte Pia, hol mich ab“, jammerte Mell in den Hörer und legte auf.
„Legen Sie sich bitte auf die Liege.“
Die diensthabende Ärztin tastete Mells Körper von oben bis unten gewissenhaft ab, ging um die Liege herum und blieb am Kopfende stehen. Sie sah die Würgemale am Hals, wo ihr Mann Hand angelegt hatte. Behutsam nahm sie Mells Kopf in die Hand und neigte ihn in sanften Bewegungen nach rechts und links. Die Ärztin bemerkte, dass Mell sich bei jeder Berührung und Bewegung verkrampfte. Sie gab aber keinen Ton von sich.
der handgreiflichen Auseinandersetzung war eine Zeit vergangen. Äußerlich erinnerte nur noch das rötlich-gelb verfärbte Veilchen, das Mell mit viel Schminke verdeckte und die gebildete Kruste auf ihren Lippen an den schlimmsten Tag in ihrem Leben.
„Guten Morgen, Frau Sofy!“
Mell, die in Gedanken an der roten Fußgängerampel stand, hob verwirrt den Kopf. Sie verengte die Augen, um die Person durch die Sonnenbrille besser sehen zu können, von der sie gerade angesprochen wurde.
„Frau Sofy, ist alles in Ordnung mit Ihnen?“
Nun erkannte Mell auch die Stimme.
„Guten Tag Frau Dr. Ullrich. Entschuldigung, ich habe Sie nicht gleich erkannt. Halten Sie mich bitte nicht für unhöflich, aber mir geht es gerade nicht so gut. Die vergangene Nacht war mal wieder viel zu kurz.“
Frau Dr. Lisa Ullrich drückte Mell zur Begrüßung vorsichtig die verletzte Hand.
„Nein, das tue ich nicht. Kommen Sie, lassen Sie uns im Café ,Auszeit‘ etwas trinken. Sie sehen aus, als könnten Sie tatsächlich einen Muntermacher gebrauchen.“
„Wirklich?“, fragte Mell verlegen.
Die Frauen traten in das gegenüberliegende Café ein und nahmen Platz. Schweigend schauten sie einander an. Die Bedienung steuerte zielstrebig auf die beiden zu und fragte im ruppigen Ton nach der Bestellung.
„Für mich einen Roibuschtee“, orderte Frau Dr. Ullrich.
„Ich kann Tee nicht ausstehen“, fügte Mell hinzu. „Ich nehme lieber einen Cappuccino.“
Mell blieb nicht verborgen, dass Frau Dr. Ullrich sie eingehend musterte.
„Frau Sofy, ist wirklich alles in Ordnung? Sie waren schon so lange nicht mehr in meiner Sprechstunde. Irgendetwas bedrückt Sie doch?“, fragte die Ärztin nach einer Weile des Schweigens.
Mell schaute sich argwöhnisch um. Sie hatte Angst, hier ihrem Mann zu begegnen wie damals, als sie sich nach der Sandkastenzeit wiedergetroffen hatten.
„Entschuldigen Sie, wenn ich nur mit halbem Ohr zuhöre, aber mein Leben ist gerade vollkommen aus dem Ruder gelaufen.“
„Wollen Sie darüber reden?“
„Lieber nicht.“
Schweigen.
Mell war dann doch diejenige, die die Stille unterbrach.
„Ich brauche dringend Hilfe!“, platzte es aus ihr heraus. „Ich habe die Befürchtung, dass ich vielleicht... na, wie soll ich es ausdrücken ..., dass ich gerade dabei bin, in eine Alkoholabhängigkeit zu geraten.
Frau Doktor nippte an ihrer Teetasse und beugte sich ein wenig über den Tisch.
„Dann erzählen Sie doch mal, wie Sie darauf kommen.“
Über die verletzte Lippe, das besondere Benehmen ihrer Patientin und das Tragen der Sonnenbrille in der kalten Jahreszeit verlor Frau Ullrich jedoch kein einziges Wort.
„Nun ja. Da ich seit einiger Zeit mit gewaltigen Schlafproblemen zu kämpfen habe, greife ich immer öfter zur Flasche.“
Wieder beobachtete Mell die Eingangstür.
„Wenn ich Alkohol trinke, fühle ich mich erleichtert. Es kommt leider immer häufiger vor, dass ich später nicht mehr weiß, welcher Schuh zu welchem Fuß gehört. Ständig vergesse ich, wohin ich gerade gehen wollte. Meine Brille suche ich unentwegt, obwohl sie auf der Nase sitzt. Meinen Haustürschlüssel finde ich nach langem Suchen im Kühlschrank. Solche Dinge halt. Ich bin in letzter Zeit sehr schusselig. Hinzu kommen die ständigen Kopf- und Magenschmerzen, die mich wahnsinnig machen. Die innere Unruhe lässt mich in meiner Wohnung auf- und abgehen. Tja, und zu guter Letzt trinke ich ein Glas Wein nach dem anderen. Gegen die aufkommenden Koliken trinke ich dann noch einen Schnaps“, erzählte sie kleinlaut.
Verwundert stellte Mell fest, dass der innere Druck plötzlich von ihr abgefallen war. Sie war erstaunt, wie erleichtert sie sich auf einmal fühlte, denn sie hatte zuvor mit niemanden, außer mit ihrer Schwester natürlich, über ihre Befürchtungen gesprochen.
„Frau Sofy, ich bin mir sicher, dass wir das in den Griff bekommen. Rufen Sie in meiner Praxis an, und vereinbaren Sie zeitnah einen Termin“, schlug die Ärztin vor. „Sinnvoll wäre es, Sie kommen sehr bald.“