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Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. Ich nahm den Stapel Bücher vom Tisch und ordnete sie wieder in die Regale ein. Ausgerechnet heute, wo ich etwas früher gehen wollte, herrschte in der Stadtbücherei von Brest, in der ich als Bibliothekarin arbeitete, reger Betrieb. Ungeduldig blickte ich auf meine Armbanduhr. Schon Viertel vor fünf! In etwas mehr als einer Stunde würde mich mein Verlobter, Henri de Cavagnac, von zu Hause abholen, um mit mir zum Schloß seiner Eltern zu fahren. Schloß Morgat lag an einem besonders wilden und zerklüfteten Teil der bretonischen Küste. Es war ein romanisches Schloß aus dem 12. Jahrhundert. Ich war noch niemals dort gewesen, aber Henri hatte mir immer wieder verschiedene Fotografien gezeigt, so daß ich es nun schon ganz gut kannte. Stolz und unnahbar stand es auf einer Anhöhe, von der aus die Klippen steil ins Meer abfielen. Das Meer war fast ständig in Aufruhr, so erzählte mir Henri, und in den Sagen und Legenden, die man sich von diesem ungewöhnlichen Landstrich erzählte, hieß es, zu bestimmten Zeiten kann man die Stimmen der Ertrunkenen hören, die um Bestattung bitten. Ein unheimlicher Ort! Auf der einen Seite faszinierten mich das Schloß und seine Umgebung, und ich wollte auch gern endlich meine zukünftigen Schwiegereltern kennenlernen, aber andererseits verspürte ich doch ein unbestimmtes Angstgefühl, wenn ich mir vorstellte, meinen dreiwöchigen Urlaub ausschließlich an diesem düsteren Ort verbringen zu müssen. Sicher, ich liebte Henri von ganzem Herzen, und wir wollten bald heiraten, aber ein gemeinsamer Urlaub an der Côte d'Azur oder auf Korsika hätte mir jetzt im Moment besser gefallen. Doch ich wollte ihn nicht enttäuschen und mir meine düsteren Gedanken, die sich um Schloß Morgat rankten, nicht anmerken lassen. Und ich würde ihn schon gar nicht wissen lassen, daß ich etliche Bücher über die Bretagne, speziell über die Gegend um den Pointe du Raz, gelesen hatte. Schaurige Geschichten erzählte man sich da, und obwohl ich ein modernes, aufgeschlossenes Mädchen war, das mit beiden Beinen auf der Erde stand, mußte ich doch zugeben, daß sie mich nicht unbeeindruckt ließen. Obwohl ich im elsässischen Colmar geboren und aufgewachsen war und erst seit ein paar Jahren mit meinem Vater in der Bretagne lebte, liebte ich dieses Land von Tristan und Isolde, das Reich der Feen und Gnome und der Gralslegende, sehr. Allerdings riefen Gedanken an Geisterburgen, die oft Schauplatz grauenhafter Szenen waren, an Teufelsbeschwörer, Sonnenanbeter und heidnische Opferstätten in mir stets ein leises Unbehagen hervor und jagten mir mehr als einmal kalte Schauer über den Rücken. Und nun sollte ich also mehrere Wochen in einem dieser geheimnisumwitterten Schlösser leben!
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Seitenzahl: 158
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Ich nahm den Stapel Bücher vom Tisch und ordnete sie wieder in die Regale ein. Ausgerechnet heute, wo ich etwas früher gehen wollte, herrschte in der Stadtbücherei von Brest, in der ich als Bibliothekarin arbeitete, reger Betrieb.
Ungeduldig blickte ich auf meine Armbanduhr. Schon Viertel vor fünf! In etwas mehr als einer Stunde würde mich mein Verlobter, Henri de Cavagnac, von zu Hause abholen, um mit mir zum Schloß seiner Eltern zu fahren.
Schloß Morgat lag an einem besonders wilden und zerklüfteten Teil der bretonischen Küste. Es war ein romanisches Schloß aus dem 12. Jahrhundert. Ich war noch niemals dort gewesen, aber Henri hatte mir immer wieder verschiedene Fotografien gezeigt, so daß ich es nun schon ganz gut kannte.
Stolz und unnahbar stand es auf einer Anhöhe, von der aus die Klippen steil ins Meer abfielen. Das Meer war fast ständig in Aufruhr, so erzählte mir Henri, und in den Sagen und Legenden, die man sich von diesem ungewöhnlichen Landstrich erzählte, hieß es, zu bestimmten Zeiten kann man die Stimmen der Ertrunkenen hören, die um Bestattung bitten.
Ein unheimlicher Ort!
Auf der einen Seite faszinierten mich das Schloß und seine Umgebung, und ich wollte auch gern endlich meine zukünftigen Schwiegereltern kennenlernen, aber andererseits verspürte ich doch ein unbestimmtes Angstgefühl, wenn ich mir vorstellte, meinen dreiwöchigen Urlaub ausschließlich an diesem düsteren Ort verbringen zu müssen.
Sicher, ich liebte Henri von ganzem Herzen, und wir wollten bald heiraten, aber ein gemeinsamer Urlaub an der Côte d’Azur oder auf Korsika hätte mir jetzt im Moment besser gefallen.
Doch ich wollte ihn nicht enttäuschen und mir meine düsteren Gedanken, die sich um Schloß Morgat rankten, nicht anmerken lassen. Und ich würde ihn schon gar nicht wissen lassen, daß ich etliche Bücher über die Bretagne, speziell über die Gegend um den Pointe du Raz, gelesen hatte.
Schaurige Geschichten erzählte man sich da, und obwohl ich ein modernes, aufgeschlossenes Mädchen war, das mit beiden Beinen auf der Erde stand, mußte ich doch zugeben, daß sie mich nicht unbeeindruckt ließen.
Obwohl ich im elsässischen Colmar geboren und aufgewachsen war und erst seit ein paar Jahren mit meinem Vater in der Bretagne lebte, liebte ich dieses Land von Tristan und Isolde, das Reich der Feen und Gnome und der Gralslegende, sehr.
Allerdings riefen Gedanken an Geisterburgen, die oft Schauplatz grauenhafter Szenen waren, an Teufelsbeschwörer, Sonnenanbeter und heidnische Opferstätten in mir stets ein leises Unbehagen hervor und jagten mir mehr als einmal kalte Schauer über den Rücken.
Und nun sollte ich also mehrere Wochen in einem dieser geheimnisumwitterten Schlösser leben!
Fast hatte ich etwas Angst vor dem, was ich in diesen Wochen erleben würde. Denn daß ich manche aufregende Dinge erleben würde, das hatte ich irgendwie schon im Gefühl. Und wider meine Vernunft begann mein Herz in wilder Vorfreude zu klopfen.
Ich war noch nicht ganz mit Packen fertig, als es klingelte. Nach einer Weile führte Betty, die Papa und mir den Haushalt besorgte, Henri herein.
Henri war groß, schlank, ein sportlicher Typ. Er trug einen hellen Cordanzug, der fast die Farbe seines Haares hatte. Sein von Sonne und Wind gebräuntes Gesicht mit den seltsamen wasserblauen Augen stand in einem interessanten Kontrast dazu. Er war ein sehr gut aussehender Mann, und ich war stolz darauf, daß er mich zur Frau begehrte.
Er begrüßte mich mit einem flüchtigen Kuß, der mich etwas enttäuschte.
»Brauchst du noch länger, Suzanne?« fragte er ungeduldig und zündete sich eine Zigarette an.
»Nein«, erwiderte ich, »ich bin gleich soweit. Es tut mir leid, aber es war einfach unmöglich, heute früher zu gehen. In der Bücherei war der Teufel los.«
»Schon gut«, brummte Henri und nahm die beiden Koffer, die ich schon fertig gepackt hatte, um sie zum Wagen zu tragen.
Hastig stopfte ich noch ein paar Sachen in meine Reisetasche und verabschiedete mich dann von Papa und Betty. Dann stieg ich in Henris Sportwagen.
Die Fahrt war herrlich. Wir fuhren eine schmale Küstenstraße entlang. Henri hatte das Verdeck seines Wagens heruntergeklappt. Vom Meer her wehte eine würzige Brise, und der kühle Abendwind spielte mit meinem langen dunklen Haar.
Wie ein goldener leuchtender Ball versank die Sonne schließlich im Meer und überglänzte mit ihrem letzten Schein das dunkle Wasser und die bizarren Felsen am Strand.
Nach einiger Zeit verspürte ich Hunger, und ich bedauerte, daß ich nichts zum Essen mitgenommen hatte. Selbst Betty hatte nicht daran gedacht. Oder glaubte sie, wir würden unterwegs einkehren?
»Im nächsten Ort gibt es einen gemütlichen ländlichen Gasthof mit ausgezeichneter Küche. Was hältst du von einem guten Essen?« fragte mich Henri in diesem Augenblick und wie schon so oft dachte ich mir, daß er wohl die Fähigkeit hatte, meine Gedanken zu lesen.
»Oh«, lächelte ich erfreut, »ich halte sehr viel davon.«
Wenig später saßen wir in der gemütlichen Gaststube und aßen gefüllte Hammelfüße, geschmorten Auerhahn und als Nachspeise ein Omelette surprise.
Es war schon dunkel, als wir wieder weiterfuhren. Henri hatte das Verdeck des Wagens wieder geschlossen, denn der Wind war heftiger und kühler geworden. Die Straße führte ein Stück ins Landesinnere und dann wieder an der Küste entlang.
Mir wurde ganz seltsam zumute, und mein Herz begann heftig zu klopfen, als ich tief unter mir das dunkle rauschende Meer liegen sah.
Der Mond warf ein kaltes, unwirkliches Licht auf die aufgewühlte Wasseroberfläche und ließ die zerklüfteten Felsen gespenstisch und drohend erscheinen. Ich schauerte zusammen, als ich mir vorstellte, daß Schloß Morgat ebenfalls in solch einer geheimnisvollen, verlassenen Gegend stand.
Ich wandte mein Gesicht vom Fenster ab und kuschelte mich tiefer in die Wagenpolster. Dabei bemerkte ich, wie Henri mir einen amüsierten Blick zuwarf.
»Ich habe fast den Eindruck, daß du dich fürchtest?« bemerkte er mit leisem Spott in der Stimme.
»Ich... nein... wieso kommst du darauf?« stotterte ich verwirrt. Ich wollte mir auf keinen Fall anmerken lassen, wie recht er hatte. »Nein, es ist nichts. Mir wird nur schwindlig, wenn ich so tief hinunterschauen muß.«
Das war keine Lüge. Ich war wirklich nicht schwindelfrei. Daß meine Angst allerdings einem ganz anderen Gefühl entsprang, brauchte er ja nicht zu wissen.
»Jetzt ist es nicht mehr weit. Gleich sind wir da«, tröstete mich Henri und legte seine Hand auf meine Schulter.
Doch seltsamerweise hatte diese Hand in diesem Augenblick gar nichts Tröstliches an sich und konnte mir diese unerklärliche Angst nicht nehmen.
Nach einer langgezogenen Kurve tauchte Schloß Morgat im diffusen Mondlicht auf. Ich konnte zwar keine Einzelheiten erkennen, aber es mußte sich um ein riesiges Gebäude handeln, wie ich aus den Umrissen erkennen konnte. Auf mich machte es den Eindruck einer Festung. An der Seite, wo die Felsen steil ins Meer abfielen, stand ein gewaltiger Turm.
Nun fing es auch noch an zu regnen. Der Sturm rüttelte an dem Auto, als es die steinige Auffahrt hinaufholperte, und mir wurde wieder übel, als ich wie unter einem Zwang den Abgrund hinabblickte.
»Bei Nacht und vor allem bei diesem Wetter sieht Schloß Morgat nicht sehr einladend aus. Aber morgen, bei Tageslicht wird es dir bestimmt gut gefallen«, meinte Henri leichthin.
Wir fuhren jetzt durch einen Torbogen in einen Innenhof. Henri lenkte den Wagen direkt in die Garage, deren Türen weit offenstanden. Als Henri die Scheinwerfer löschte, standen wir im Dunkeln.
»Nanu«, wunderte sich Henri, »was ist denn hier passiert? Warum brennt denn nirgends Licht?«
Meine Beklommenheit wuchs. Ich huschte hinter Henri über den Innenhof auf eine große Tür. Zu meiner Erleichterung war sie offen, und Henri und ich traten in einen großen Raum, der schwach vom Mondlicht erhellt wurde.
Es war eine Art Empfangshalle, wie ich vermutete. Henri probierte sämtliche Lampen, doch es blieb alles finster. Dann rief er ungeduldig nach Louis, dem Diener und Chauffeur des Hauses, den ich bereits aus seinen Erzählungen kannte.
Doch nichts rührte sich. Henri stieß einen unterdrückten Fluch aus, drückte mich in einen Sessel und bat mich, hier zu warten, bis er wieder käme. Dann entfernte er sich mit unsicheren Schritten durch eine zweite Tür.
Ich saß wie erstarrt. Was sollte das bedeuten? Warum gab es hier kein Licht? Henris Eltern wußten doch, daß ich heute kommen würde. Warum waren sie denn nicht hier, um mich zu begrüßen? Warum mußte ich hier allein im Finstern sitzen?
Obwohl es in dem Raum nicht kalt war, begann ich zu frieren. Ich lauschte angestrengt in die Dunkelheit, doch außer dem geisterhaften Heulen des Windes drang kein Laut an mein Ohr. Als ich mich aus dem Sessel erhob, um ans Fenster zu treten, merkte ich, daß ich leicht zitterte.
Wieder verspürte ich dieses Kribbeln in der Magengegend, als ich durch die hohen Fenster direkt in den Abgrund hinunterblickte. Schaudernd trat ich etwas zurück.
Tief unter mir rauschte der Ozean, und ich konnte hören, wie sich die Wellen an den Klippen brachen. Jetzt verdunkelten schwarze Wolkenfetzen das Mondlicht. Der Sturm wurde heftiger und pfiff schauerlich um das alte Gemäuer.
Ich flüchtete mich zitternd in den riesigen Ohrensessel und barg das Gesicht in den Händen. Die Vorahnung einer tödlichen Gefahr überkam mich plötzlich, und ich sehnte mich zurück nach der Geborgenheit meines gemütlichen Zuhauses.
*
Plötzlich ging das Licht wieder an. Erleichtert atmete ich auf und drehte mich um. Ich hörte Stimmen, und gleich darauf öffnete sich eine Tür. Eine reizende ältere Dame trippelte auf hohen Absätzen auf mich zu und reichte mir ihre ringgeschmückte Hand.
»Guten Abend und herzlich willkommen auf Schloß Morgat, liebe Suzanne. Ich bin Madame de Cavagnac, Henris Mutter.«
Mein Herz flog dieser Frau zu. Sie war zierlich und etwas kleiner als ich, trug ein schlichtes fliederfarbenes Wollkleid und eine wunderschöne gehäkelte Stola.
Das graue kurze Haar legte sich in anmutigen Wellen um ihren aristokratischen Kopf. Ihre hellen Augen, die mich sofort an Henri erinnerten, blickten mich freundlich und mit fast kindlicher Neugierde an.
»Es tut mir schrecklich leid, daß Sie im Dunkeln warten mußten«, fuhr sie in leicht bekümmertem Tonfall fort, »aber wir hatten ein entsetzliches Unwetter. Ja, und plötzlich war der Strom weg. Unser Louis, der hier Diener und Chauffeur und überhaupt Mädchen für alles ist, ist über das Wochenende zu seiner Schwester gefahren. Wir Frauen standen dem Problem ziemlich hilflos gegenüber. Und Bertrand, mein Mann, wissen Sie, er ist nicht besonders praktisch veranlagt.«
Die letzten Worte flüsterte sie hinter vorgehaltener Hand. Ich mußte ein Schmunzeln unterdrücken, denn Henris Vater, wie ich unschwer erkennen konnte, war eingetreten und hatte offensichtlich die Worte seiner Gattin noch verstanden.
»So so«, sagte er in gespieltem Grimm, doch seine Augen mit den vielen Lachfältchen funkelten lustig, »und wer hat den Schaden wieder behoben? Aber nun laß mich erst einmal unseren Gast begrüßen. Guten Abend, Mademoiselle Millet, Sie sind ja noch hübscher, als ich Sie mir nach den Schilderungen Henris vorgestellt hatte.«
Monsieur de Cavagnac küßte mir die Hand, und ein eigenartiges Gefühl durchströmte mich dabei, als ich auf den gesenkten grauhaarigen Männerkopf blickte. Wann hatte mir jemals ein Mann die Hand geküßt?
Ich bedankte mich für das Kompliment und bat ihn, mich beim Vornamen zu nennen, was er freudig annahm.
»Ich freue mich sehr, daß Sie bald zu unserer Familie gehören werden. So einen guten Geschmack hätte ich Henri gar nicht zugetraut. Was sagst du dazu, Maman?«
Antoinette de Cavagnac schob ihren Mann halb tadelnd, halb lächelnd zur Seite und rief nach Marie, der Wirtschafterin. Diese war eine dicke mürrische Person mittleren Alters, die mich mißtrauisch und abweisend anstarrte. Auch Henri war nun wieder zurückgekommen und machte einen gutgelaunten Eindruck.
»Dein Gepäck habe ich schon nach oben gebracht«, wandte er sich an mich. »Marie wird dir alles zeigen. Sicher möchtest du dich noch etwas frischmachen. Anschließend können wir uns noch ein bißchen gemütlich zusammensetzen und miteinander plaudern. Oder hast du noch Hunger?«
»Nein«, lachte ich, »nicht schon wieder.«
Dann stieg ich hinter Marie die breite, steinerne Treppe hinauf.
Obwohl Henris Eltern so liebenswürdige Menschen waren, fühlte ich mich in ihrem Schloß doch recht unbehaglich. Alles wirkte düster und geheimnisvoll, und mir fielen die alten Sagen und Legenden wieder ein.
Marie führte mich einen langen schwach erleuchteten Gang entlang und öffnete dann eine schwere, geschnitzte Tür.
Die wenigen Möbelstücke waren viel zu wuchtig für diesen kleinen Raum. Ich stellte verwundert fest, daß kein Bett darin stand. Auf meine Frage hin ging Marie
zu einem großen, reich mit Schnitzereien verzierten Schrank und ließ eine kleine Klappe herunter, vor der ein Tritthocker stand.
Jetzt erst bemerkte ich, daß es sich um ein bretonisches Bett handelte, ein »lit clos«, das nach allen Seiten geschlossen war. Das Innere dieses seltsamen Bettes war mit kostbaren Vorhängen ausgestattet. Es gefiel mir sehr, und ich hätte mich am liebsten sofort hineingelegt.
Ohne ein Wort zu sagen, zeigte mir Marie noch das einfach ausgestattete Badezimmer, das gegenüber von meinem Zimmer lag, und ließ mich dann allein.
Mir war etwas beklommen zumute, als ich mich umzog und zurechtmachte. Es war kein Laut zu hören außer dem gelegentlichen Pfeifen des Windes.
Als ich dann wenig später wieder nach unten ging, löste sich ein dunkler Schatten aus einer der Nischen auf dem Gang. Ich erschrak zu Tode. Doch es war nur Marie, die mir den Weg zeigen wollte.
Sie sprach immer noch kein Wort, und ich fragte mich, ob sie mich wohl absichtlich so erschreckt hatte. Irgendwie war mir diese Frau nicht ganz geheuer. Doch wenn ich eines Tages hier als Henris Frau einziehen würde, mußte ich mich wahrscheinlich an sie gewöhnen.
Der Raum, in den Marie mich nun führte, gefiel mir sofort.
Die Wände, das fiel mir als erstes auf, waren aus rohen Granitsteinen zusammengefügt, aus denen ein großer Kamin herausgearbeitet war.
Die Ölbilder, die dort hingen, zeigten das graue, stürmische Meer oder bäuerliche Motive. Die Decke bestand aus dunklen, dicken Balken, in die allerlei Figuren und Schriften geritzt waren. Auf dem dunkelroten Steinfußboden lagen weiße und graue Ziegenfelle.
Marie führte mich an einem langen Tisch, um den hochlehnige Stühle mit Binsengeflecht standen, vorbei zu einer Nische am Fenster. Dort befand sich eine behagliche Sitzecke.
Henri saß seinen Eltern gegenüber und unterhielt sich mit einer älteren Dame, der man ansah, daß sie früher einmal eine Schönheit gewesen sein mußte. Ich nahm an, daß dies seine Tante war, von der er mir erzählt hatte.
Bei meinem Eintritt erhob er sich.
»Liebe Suzanne, darf ich dir noch meine Tante Claudine Verlaine vorstellen? Sie ist Mamans Schwester.«
Madame Verlaine reichte mir ihre Hand, die sie gleich darauf wieder zurückzog, als hätte sie sich verbrannt. Dabei blickte sie mich kühl und hochmütig an.
Ich wußte sofort, daß ich mich mit dieser Frau niemals anfreunden konnte. Wie war es möglich, daß zwei Schwestern so unterschiedlich waren?
Trotz der feindseligen Haltung Madame Verlaines mir gegenüber wurde es noch ein unterhaltsamer Abend. Wir plauderten über das Schloß, über meine Arbeit und meine Familie und über meine und Henris gemeinsame Zukunft.
Dazu tranken wir selbstgemachten Cidre aus bunten Keramikbechern.
Gegen Mitternacht verabschiedete ich mich, nachdem Henris Mutter sich auch zurückgezogen hatte. Ich hoffte, daß Henri mich noch auf mein Zimmer begleiten würde, damit wir noch ein paar Minuten allein gewesen wären.
Doch er nickte mir nur flüchtig zu und vertiefte sich wieder in ein Gespräch mit seiner Tante. Er schien sich sehr gut mit ihr zu verstehen, und ich verspürte einen feinen Stich in meinem Herzen.
Mißmutig kleidete ich mich aus und machte mich für die Nacht zurecht. Als ich dann in meiner »Schlafkoje« lag, fühlte ich mich grenzenlos einsam und verlassen und konnte lange nicht einschlafen. Ungute Gedanken huschten durch meinen Kopf, und ich begann unwillkürlich zu frieren.
Ich hörte das laute Tosen des Meeres, in das sich seltsames Murmeln und Klagen mischte. Als ich sah, daß der Vorhang sich bauschte, kletterte ich aus meinem Bett, um das Fenster zu schließen.
Fasziniert blickte ich hinaus. Das Mondlicht warf einen hellen Schein auf die Anlagen des Schlosses und die Felsen über dem Meer. Ich sah die Steilwälle und den Turm, der schwarz und drohend in den Himmel ragte.
Gerade, als ich das Fenster schließen wollte, sah ich etwas, was mich so sehr erschreckte, daß ich die Luft anhielt. Hinter einem der schmalen Fenster des Turmes bemerkte ich einen flackernden Lichtschein.
Ich beugte mich atemlos zum Fenster hinaus. Nein, ich täuschte mich nicht! Jetzt erschien das Licht an einem der anderen Fensteröffnungen. Wer ging um diese Zeit in dem alten Turm umher? Henris Vater hatte doch ausdrücklich davor gewarnt, zu dem Turm zu gehen, weil er baufällig war und immer wieder Steine aus dem brüchigen Mauerwerk fielen.
Aber es bestand kein Zweifel. Ich sah das Licht ganz deutlich. Nach einer Weile verlöschte es. Seufzend wandte ich mich ab. Gleich morgen früh wollte ich Henri von meinen Beobachtungen erzählen.
Bevor ich wieder in mein Bett kroch, untersuchte ich die Schränke, blickte in den Kamin und lauschte in den dunklen Flur. Alte Geschichten von Räubern und Gespenstern kamen mir in den Sinn und ließen mich lange keinen Schlaf finden. Ich hörte immer nur dieses Jammern und Klagen, das vom Meer zu mir herauf drang und das mich auch noch in meinen Träumen verfolgte.
*
Am Morgen erwachte ich durch ein Klopfen an meiner Tür.
»Frühstück, Mademoiselle«, hörte ich die unfreundliche Stimme der Haushälterin. Dann entfernte sie sich mit schlürfenden Schritten.
Ich sprang eilig aus meinem Bett und lief zum Fenster, um die Vorhänge zurückzuziehen. Die Angst und die Beklommenheit der letzten Nacht waren von mir abgefallen. Ich war neugierig, wie Schloß Morgat im Tageslicht auf mich wirken würde.
Als ich erwartungsvoll hinausblickte, überlief mich jedoch ein leichter Schauer. Das Schloß wirkte kalt und abweisend. Es war ebenso grau wie der wolkenverhangene Himmel und das Meer, das monoton und gleichmäßig gegen die Klippen rauschte.
Die Luft war kühl und feucht. Ein paar Vögel umkreisten den alten Turm und stießen durchdringende Laute aus. Es war eine trostlose Atmosphäre, die über dem Ganzen lag.
Gewaltsam schüttelte ich die trüben Gedanken ab und ging ins Bad.
Nach dem Duschen schlüpfte ich in meine Jeans und zog mir einen warmen Pullover über. Dann ging ich nach unten, um zu frühstücken.
An dem langen Tisch saßen Henris Eltern und seine Tante. Ich begrüßte sie mit gespielter Fröhlichkeit.
»Na, gut geschlafen, Suzanne?« fragte mich Monsieur Bertrand.
»O ja«, antwortete ich. »Wo ist denn Henri?«
»Er sitzt unten an den Klippen und angelt«, erklärte seine Mutter mit freundlichem Lächeln. »Er erwartet Sie nach dem Frühstück. Er möchte Ihnen die Gegend zeigen.«
Monsieur Bertrand erklärte mir noch den Weg und bat mich, sehr vorsichtig zu sein, da die Steine nach dem Regen recht glitschig wären.
Wenig später lief ich über den Schloßhof. Etwas abseits lag der alte Turm. Er wirkte wirklich sehr baufällig, und ich fragte mich, ob ich mir das Licht am Fenster in der Nacht nicht vielleicht doch nur eingebildet hätte.
Der Turm war umgeben von Mauerresten und Ruinen, von denen nur die Kasematten noch erhalten waren. Alles war mit Gras und wildem Wein überwuchert. Zu dem Eingang zum Turm konnte man über eine halb zerfallene und abgebröckelte Steintreppe gelangen, was mir aber sehr gefährlich erschien. Die Tür selbst war mit Latten vernagelt.
Ein eigentümliches Gefühl nahm von mir Besitz, und ich wandte mich schnell ab, um zum Strand hinabzugehen.