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Beschreibung

Wie wir wurden, was wir aßen Katharina Adler, Lucy Fricke, Jens Friebe, Peter Glaser, E.L. Greiff, Verena Güntner, Thomas Lindemann, Felix Lorenz, Elinor Richter, Tex Rubinowitz, Jochen Schmidt, Oliver Maria Schmitt, Sarah Stricker, Fil, Frau Freitag und Klaus Cäsar Zehrer sind es, die geheimnisvolle Kugeln, Quorn, Casu Marzu, Charif, Klappstullen, Menschenfleisch, karamellisierte Würstchen, Einbrenn, Erdbeeren mit Sprühsahne, gehackten Gendarmsack, üblen Flugzeugfraß, Pansen, schwäbische Maultaschen, Kaas-Heff-Nüsse, Toast Hawaii oder auch mal eine Häsin servieren und sich beim Essen dann den Bauch vollschlagen, entsetzlich langweilen, wundern, ärgern, blamieren, überwinden, erbrechen. Sie mussten sich in Regeln und Rituale fügen und stehen wahlweise fasziniert oder überfordert vor den Erzeugnissen der Nahrungsmittelindustrie. Eines allerdings möchte in den hier versammelten 16 Geschichten und Texten unter 16 sehr unterschiedlichen Autorinnen und Autoren niemand: abnehmen.

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Seitenzahl: 262

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Iss doch wenigstens das Fleisch

Ulrike Sterblich (Hg.)

Anthologie

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Wie wir wurden, was wir aßen

 

Katharina Adler, Lucy Fricke, Jens Friebe, Peter Glaser, E.L. Greiff, Verena Güntner, Thomas Lindemann, Felix Lorenz, Elinor Richter, Tex Rubinowitz, Jochen Schmidt, Oliver Maria Schmitt, Sarah Stricker, Fil, Frau Freitag und Klaus Cäsar Zehrer sind es, die geheimnisvolle Kugeln, Quorn, Casu Marzu, Charif, Klappstullen, Menschenfleisch, karamellisierte Würstchen, Einbrenn, Erdbeeren mit Sprühsahne, gehackten Gendarmsack, üblen Flugzeugfraß, Pansen, schwäbische Maultaschen, Kaas-Heff-Nüsse, Toast Hawaii oder auch mal eine Häsin servieren und sich beim Essen dann den Bauch vollschlagen, entsetzlich langweilen, wundern, ärgern, blamieren, überwinden, erbrechen. Sie mussten sich in Regeln und Rituale fügen und stehen wahlweise fasziniert oder überfordert vor den Erzeugnissen der Nahrungsmittelindustrie. Eines allerdings möchte in den hier versammelten 16 Geschichten und Texten unter 16 sehr unterschiedlichen Autorinnen und Autoren niemand: abnehmen.

Über

Ulrike Sterblich, geboren 1970 in Berlin (West) schreibt, Bücher, Kolumnen, Kurzhörspiele.

Inhaltsübersicht

Wenn man kein Hungertuch hatGestopfte MäulerGroßraumwagenBlut und BeilagenWer einmal Pansen sagtDas Wirsing-DesasterABC für die Freunde der freundlichen ErnährungDas FleischMagere ZeitenFrüher essenMaultaschen! Verena.Die SchwesterEine wahre GeschichteHang on SloopyNehmen Sie doch das HuhnToast & Trost in DosenNachwort/Les Chefs van FlevohuisDie Autoren

Wenn man kein Hungertuch hat

Jochen Schmidt

In der kurzen Zeit, die das Essen in Freiheit verbringt, also auf dem Esstisch, sind meine Eltern nervös, sie haben Angst vor unaufgegessenem Essen. Wenn das Essen einmal aus den Töpfen befreit und auf die Teller gelassen wurde, muss es vollständig verspeist werden. Kaum dass sich alle aufgetan haben, bemerkt meine Mutter erstaunt: «Und ich dachte, es reicht nicht, dann hätte ich doch nicht noch mehr Kartoffeln aufgesetzt!» Wenn es allerdings einmal dazu kommt, dass alle Töpfe auf dem Tisch geleert sind, sagt meine Mutter: «Und ich dachte, es ist zu viel! Hätte ich doch noch mehr Kartoffeln aufsetzen sollen!» Dass das Essen immer zu viel oder zu wenig ist und nur ganz selten genau so viel gekocht wurde, wie die anwesenden Personen schaffen oder vernünftigerweise zu sich nehmen, will ihr nicht in den Kopf. Aber was heißt schon zu viel? Man kann die Gäste ja zum Essen nötigen. Ein Ostpreuße antwortete mal auf die Frage, ob es ihm bei seinen Gastgebern geschmeckt habe: «Ja, aber es fehlte an der Nötigung.» Bei uns wird immer ausgiebig genötigt, man sieht sich irgendwann von Töpfen mit Resten umstellt, die man essen soll, obwohl man satt ist. «Lass mal, das können wir doch morgen essen», sagt mein Vater. «Da gibt es aber was anderes.» «Dann kriegen es die Hühner.» «Und ich dachte, es reicht nicht!» «Ich könnte ja noch, aber ich will nicht», sage ich. «Gestern hat es nicht gereicht.» «Dann machen wir das eben zum Abendbrot warm.» «Das lohnt sich doch nicht, nun iss mal.» «Ich will aber selbst entscheiden dürfen, wann ich genug habe.» «Und ich dachte, es reicht nicht.»

Sie werfen kein Essen weg, es wird alles noch verwertet. Wenn ich bei ihnen bin, sortiere ich immer erst einmal verschimmelte Brotkanten aus, aber ohne dass sie es merken, sonst würden sie die noch irgendwie zurechtschneiden. Saure Milch existiert praktisch nicht, die schmeckt eben nur ein bisschen anders als frische Milch. Mein Vater hat früher das Fett aus Milchtüten gekratzt. Verfallsdaten spielen sowieso keine Rolle. Meine Oma hat sogar vergammeltes Fleisch mit Kaliumpermanganat abgerieben, bis es zumindest nicht mehr giftig war. Vom Geschmack her ist es egal, weil sie alles so stark salzen.

«Die Haferflocken sind leider ziemlich salzig.»

«Ich hab aber nur einen Löffel Salz rangemacht.»

«Du musst gar kein Salz ranmachen.»

«Aber man braucht täglich Salz.»

«Aber das ist ja schon in der Gemüsebrühe drin, die du überall dazutust.»

«Weil die Nudeln sonst nicht schmecken.»

«Mir schon.»

«Wart mal ab, wenn dich deine Kinder immer kritisieren.»

In meiner Kindheit dachte ich, es gäbe nur vier oder fünf Gerichte:

Nudelauflauf mit Büchsengemüse, mit einer Packung Sahne übergossen und zentimeterdick mit Käse überbacken

Hühnerfrikassee

Rosenkohl mit Bechamelsauce

Kartoffelpuffer mit Apfelmus

(Und zum Abendbrot aufgebratene Nudeln mit Zucker und Zimt.)

Alles, wovon ich träumte, Käptn-Iglo-Fischstäbchen, Fondue, Schaschlik, Hefeklöße, Schnitzel, Pommes, Flambiertes, Pilzpfanne, Hirschrücken, Paradiescreme, Eisbombe, Gänsekeule mit Rotkohl, Unox Heiße Tasse, gab es nur zu Weihnachten oder im Fernsehen. Meine Mutter sagte dann: «Ihr könnt euch gerne am Fleischstand anstellen!» Aber ich wollte mich nicht am Fleischstand anstellen, denn ich hätte sowieso nicht gewusst, worauf man dort zeigen musste. Es lagen allerhand blutige Fleischbatzen hinter der Theke, Sachen mit Knochen, Sachen mit weißen Schichten drin, Sachen, die zugeschnitten werden mussten, manche sogar mit einem gewaltigen Fleischerbeil in Einzelteile gehackt. Aber was davon vom Rind oder vom Schwein war, oder gar vom Lamm, das wusste ich nicht. Nackensteak, Kammfleisch, Wellfleisch, Geschnetzeltes, Mischhack, das würde ich als Erwachsener alles lernen müssen. Und dann gab es ja auch noch das Rumpsteak. Um das zu bekommen, musste man rumstehen. Beim Bäcker Rumkugeln, beim Fleischer rumstehen, im Museum Bilder von Rums. Die Frauen am Fleischstand mit ihren dicken, rosigen Unterarmen warfen immer so begehrliche Blicke auf meine zarten Kinderfingerchen, wenn sie das schwere Fleischerbeil in ein Kälberrückgrat jagten.

Nach der Wende füllte sich der Kühlschrank meiner Eltern mit Blaubeerjogurt, Hagebuttenmarmelade, bitterer Orangenmarmelade, Oliven, Zaziki-Salat, neuseeländischem Straußenfleisch, Serrano-Schinken, es gab Vinschgauer Brötchen, Salz aus der Camargue und Wein aus Grönland. Aber irgendwann vermisste ich unser Hühnerfrikassee und das Jägerschnitzel mit Spirelli und Tomatensauce. Natürlich mit panierter Jagdwurst.

Weil ich erwachsen bin, nehme ich mir immer nur so viel, wie ich schaffe. Die Kinder nehmen sich immer so viel, dass die anderen möglichst weniger bekommen, und dann schaffen sie es nicht, auch nicht, wenn alles unter Ketchup begraben wird. «Wer hat denn da schon wieder so viel übriggelassen?», sagt mein Vater dann beim Abwaschen. «Wer hat denn da seinen halben Becher Wasser nicht ausgetrunken?» «Der schöne Apfelmus.» Seit einer Weile sagt mein Vater als einziger Mensch auf der Welt «der Apfelmus» statt «das Apfelmus» und behauptet, das schon immer getan zu haben. Er sagt auch «der PC» statt «der Computer» und «Ah-ta» statt «Ata» (was angeblich mit den deutschen Lautgesetzen zu tun hat), zunehmend wird auch wieder in «Mark» statt in «Euro» gerechnet.

Meine Eltern haben Angst vor unaufgegessenem Essen, es könnte uns ja beim anderen Essen verpetzen, sodass kein Essen mehr zu uns kommen will.

Oder weil von unaufgegessenem Essen das Wetter schlecht wird.

Oder weil unaufgegessenes Essen einem nachläuft.

Bei der Schulspeisung landete das Essen manchmal mitsamt Alu-Besteck direkt in der Tonne. Man sollte Kinder nicht mit Erziehungsversuchen behelligen, das Komische ist ja, dass man jahrelang erfolglos versucht, ihnen etwas beizubringen, was sie später als Erwachsene sowieso ganz von selbst richtig machen. Alles, was mir als Kind nicht geschmeckt hat, Quark, Spargel, Käse (Roquefort!), Auberginen, Erbsen, Linsen, Bohnen, Datteln, Feigen, Mayonnaise, warme Milch, Haferflocken, Mohrrübensaft, Graupensuppe, Kohlrabisuppe, Eintopf, Milchnudeln, Griebenschmalz, Letscho, Bierschinken, Spritzkuchen, Radieschen, Lakritze, Bier, Bitterschokolade, Wein, Wirsingkohl, Spinat, Mohnkuchen, Marzipan, Paprika, Sülze, Rosenkohl, esse ich heute sehr gerne. (Außer Lakritze.)

Manchmal habe ich nichts zu essen im Haus und keine Lust, einkaufen zu gehen. Diese immer gleichen Bewegungsabläufe und Denkvorgänge. Ich bin ja leider gegen Konsumeuphorie immun und es bräuchte eine millionenschwere Werbekampagne, um mich dazu zu bewegen, irgendeinen neuen Brotaufstrich im Regal auch nur zu bemerken. Der Anblick dieser riesigen Auswahl ermüdet mich immer so, dass ich mich am liebsten mit in die Feinkosttruhe legen würde. Ich weiß es ja schon vorher: zu Hause koste ich einmal von dem neuartigen Zeug in der pfiffigen Verpackung, und am nächsten Tag befindet es sich schon in diesem Schwebezustand, wahrscheinlich ist es noch gut, aber probieren wäre mir zu riskant, weshalb ich es stehenlasse, bis es eindeutig verschimmelt ist und ich es wegwerfen kann. Es langweilt mich, dieses aufdringlich bunte Zeug in den Wagen zu schaufeln, wenn ich doch eigentlich viel lieber eine Schnittlauchstulle möchte, aber mit echtem, selbst angebautem Schnittlauch vom Dorf, «Bollenpiepen» nannten wir ihn, und mit dem Brot meiner Jugend, das so gut geschmeckt hat, dass man schon auf dem Weg von der Kaufhalle nach Hause die halbe Kruste abgepult hat. Das kann sich heute gar keiner mehr vorstellen, wie Brot früher geschmeckt hat, man roch es kilometerweit, ich habe oft auf jeden Belag verzichtet, um den Geschmack nicht zu verfälschen, eine daumendicke Schicht Butter war alles, was ich zur Verfeinerung brauchte. Die Butter schmeckt natürlich auch nicht mehr so wie früher, es gibt ja gar keine richtigen Kühe mehr, mit schwarz-weißem Fell, und die Milch kommt bei den heutigen Kühen zwar aus dem Euter, aber dort wird vermutlich vorher irgendein Katalysator reingespritzt, damit man die Milchproduktion besser steuern kann. Weil ich so ungern einkaufe, muss ich mich manchmal tagelang von meinen Vorräten ernähren, und wie bei der Zahnpasta, aus der immer noch etwas rauskommt, selbst wenn sie leer ist, wie bei den Hosentaschen, in denen sich einfach immer noch irgendwo eine Münze findet, wie bei den Brusthaaren, von denen man bei jedem Griff hinein immer ein paar lose erntet, so ist es auch mit der Wohnung, man kann in einer modernen Wohnung gar nicht verhungern, es findet sich immer noch etwas zu essen.

Ich muss nur im Krümelfach vom Toaster nachsehen, das habe ich das letzte Mal vor Jahren geleert, als der Toaster wegen der vielen Krümel Feuer gefangen hatte. Was sich da an Krümeln findet, reicht immer für eine Brotsuppe oder einen ganzen Semmelpudding, wenn man es mit Wasser ansetzt und um die Krümel von unter der Wachsdecke ergänzt.

Das Eisfach vom Kühlschrank mache ich normalerweise nie auf, weil es zugewachsen ist und die Klappe festklebt. Aber wenn man es abtaut, entdeckt man manchmal eine Packung Gefrierspinat und dahinter einen angefangenen Becher Speiseeis, die sind ja immer viel zu groß.

Wenn man Kinder hat, gibt es eigentlich immer Süßigkeiten in der Wohnung, entweder in ihren verschiedenen Verstecken, oder in den eigenen, in denen man die opulenten Süßigkeitenmischungen mit den seltsam unvertrauten Namen verschwinden lässt, die von den Großeltern stammen. Es ist auch viel besser, wenn man überlagerte Gummibärchen lutscht, weil die so hart sind, dass man für jedes eine Weile braucht, während man neue sofort runterschluckt. Man kann auch an der Nudelkette knabbern, die das Kind damals im Kindergarten gebastelt hat.

Es lohnt sich immer, in der Schultasche nachzugucken, vor allem am Wochenende, da ist oft noch das Essen vom Freitag drin. Wenn man Glück hat, war das Kind am Freitagmorgen bei der Mutter, dann gibt es vielleicht sogar eine Cherry-Tomate oder eine Stulle mit frischen Radieschen. Das geht natürlich nur, wenn man getrennt lebt.

In diesem Gehänge von Drahtschalen am Küchenschrank, das mal Ordnung beim Obst schaffen sollte, findet sich eine ganze Banane, die hatte ich erst übersehen, weil sie schwarz ist, aber das heißt gar nichts, heutige Bananen vergammeln nur noch äußerlich, innen schmecken sie ganz normal. Und selbst, wenn sie schon braun sind, das ändert höchstens was am Geschmack. Unter der Banane verbirgt sich auch noch eine Zwiebel, die kann man anbraten, vielleicht mit den Brotkrümeln aus dem Toaster. Die Knoblauchzehen lösen sich ja komischerweise immer mit der Zeit in Luft auf, da bleibt nur die Hülle. Noch mehr Brotkrümel findet man übrigens häufig im Bett. «Wer nie sein Brot im Bette aß, weiß nicht, wie Krümel piken.» Aber ich habe ja ein Doppelbett und kann die Krümel immer auf die andere Seite wischen. Und in meiner DDR-Schublade liegt noch der «Atomkeks», ein Kekskomprimat in einem Metallbehälter, vom VEB WIKANA, Süß- und Dauerbackwarenfabrik Wittenberg Lutherstadt, die eiserne Ration, die ich beim NVA-Dienst geklaut habe. Es ist zwar seit 20 Jahren abgelaufen, aber es hat ja auch schon vorher nicht geschmeckt.

Man kann wohl auch Tapete essen, weil im Kleister Stärke ist, aber das habe ich gar nicht nötig, weil sich meistens noch eine Kartoffel findet, die in die Kiste mit den Pfandflaschen gekullert ist, ich gebe sie nur alle paar Jahre ab.

In der Jacke mit dem Loch in der Tasche sind noch Kaugummis und ein paar Fishermans, die rutschen immer ins Futter.

Fleisch ist schwieriger aufzutreiben, aber da ist ja noch das Fahrrad, am Lenker klebt ein bisschen Rotkohl und mit etwas Glück am Schutzblech ein Schnipsel vom letzten Döner.

Am Ende bleibt mir nichts anderes übrig, als doch wieder meine Eltern zu besuchen, bei denen ich wie eine Made bin, die keine andere Funktion hat, als zu fressen. Hatte ich als Kind noch den Ehrgeiz, etwas Besonderes im Leben zu erreichen, etwa die Regierungen des Ostblocks zu stürzen, oder die Unvollendete von Schubert zu Ende zu komponieren, so weiß ich heute, dass das alles nur kurzzeitig Spaß machen würde und man sich bald, nachdem man alle Regierungen gestürzt hat, wieder langweilt. Meine Mutter fragt mich, ob ich Bohnen und Kartoffeln oder auch ein Würstchen will. Ich versuche dann immer, wie bei Burger King, so zu antworten, dass ich ein Minimum an Zusatzfragen gestellt bekomme: «Mach einfach, was dir am wenigsten Mühe macht, Mutti.»

«Also kein Würstchen?»

«Doch, eins.»

«Eins oder zwei?»

«Zwei.»

«Dann muss ich nochmal einkaufen gehen.»

«Dann nur eins.»

«Du kannst aber auch zwei haben.»

«Aber wenn du dann extra einkaufen musst?»

«Ach, ich bins gewohnt, euch zu bedienen.»

Während ich mit meinem Vater Fußball gucke, guckt meine Mutter im anderen Zimmer Eiskunstlauf. Irgendwie ist es so, dass sie immer genau dann rüberkommt, um etwas zu sagen, wenn im Spiel etwas Spannendes passiert. Da die meisten Fußballspiele aber langweilig sind, bleibt das ein ewiges Paradox. Es erinnert mich an die Karikatur von Henry Büttner, in der ein Mann seiner Frau eine Art vergitterten Laufgang wie für Tiger gebaut hat, durch den sie auf Knien gehen muss, wenn sie am Fernseher vorbei will. Meine Mutter hat sich abgewöhnt, darauf zu warten, dass man ihr zuhört, wenn sie etwas sagen will, sie kommt schon redend herein. Deshalb haben sich alle anderen angewöhnt, nicht hinzuhören. Später streiten sich meine Eltern dann, ob sie etwas gar nicht gesagt hat, oder ob mein Vater es überhört hat. Ich denke, es stimmt beides: sie hat es nicht gesagt, und er hat nicht hingehört.

Beim Eiskunstlauf ärgert meine Mutter, dass «die kleinen Chinesen» jetzt alles gewinnen. Die guckten immer so ernst, sagt meine Mutter, das sei alles nur Athletik bei denen. Die sprängen zwar alles vierfach, aber sie gäben sich mit dem Drumherum keine Mühe, obwohl es doch Eiskunstlauf heiße. Wir gucken seit 30 Jahren Eiskunstlauf, können aber ohne Hilfe des Moderators keinen Rittberger von einem Salchow oder einem doppelten Lutz unterscheiden. Mich fasziniert noch immer, dass die Läufer rückwärts nicht an die Bande prallen, sondern immer kurz vorher die Richtung wechseln. Ich denke, sie machen das, indem sie sich auf der großen Leinwand in der Arena selbst beobachten. Meine Mutter hat festgestellt, dass die Amerikaner seit neuestem häufig deutsche Namen haben. Sie denkt, das liege daran, dass die Nachkommen der deutschen Einwanderer wieder «in die Städte drängen», wie sie das nennt. Ich sage, dass die größte ethnische Gruppe in den USA deutschstämmig und es deshalb nicht unwahrscheinlich ist, dass viele Eiskunstläufer von uns abstammen. Sie sagt: «Ja, aber Sandra Bullock war in München auf einer Waldorfschule.»

«Na eben, sag ich doch», antworte ich. «Und der mit dem italienischen Namen, Caprioti oder so, hat eine deutsche Großmutter.» Das hat zwar nichts mit unserem Gespräch zu tun, aber meine Mutter führt Gespräche in Gedanken einfach immer weiter und teilt einem dann etwas mit, was normalerweise viel später kommt, oder was sich auf etwas bezieht, was jemand anders vor ein paar Wochen gesagt hat.

Nach dem Ende der Eiskunstlaufübertragung kommt meine Mutter zu uns, um uns während des Elfmeterschießens das Ergebnis zu verkünden: «Das kanadische Paar ist zu Unrecht auf dem dritten Platz.»

«Zu Unrecht, weil sie zu hoch bewertet sind oder zu tief?», fragt mein Vater.

«Und die Chinesen haben wieder so ernst geguckt.»

«Zu hoch bewertet oder zu tief?», fragt mein Vater noch einmal.

«Nein, die waren zu Recht Zweite.»

«Warum zu Unrecht bewertet, das skandinavische Paar?», fragt mein Vater und wird langsam ärgerlich.

«Nicht skandinavisch, kanadisch», sagt meine Mutter, als sei das eine Antwort. Und zu mir sagt sie: «Willst du die Würstchen gebraten oder gekocht?»

«Wie’s dir bequem ist.»

«Mir macht es nichts aus.»

«Na dann gebraten.»

«Und lieber Bratkartoffeln oder gekochte?»

«Bratkartoffeln.»

«Dann muss ich aber erst Kartoffeln kochen.»

Das Abschiedsgespräch ist dann immer meinen Stullen gewidmet. «Wie viele Stullen soll ich machen? Drei oder vier?»

«Drei.»

«Also drei Stullen oder drei Doppelte?»

Das kann ich nicht beantworten, weil ich nicht weiß, was sie mit «doppelt» meint. Wir haben uns bis heute nicht auf eine gemeinsame Klappstullenterminologie einigen können.

«Und ein Säftchen?»

«Ja, eins.»

«Eins oder zwei?»

«Dann zwei.»

«Beide Apfelsaft oder eins von jedem?»

«Was ist denn das andere?»

«Orangensaft, aber ich weiß nicht, ob da noch welcher da ist.»

«Dann Apfelsaft.»

«Na, gut, dass ich so viel Apfelsaft gekauft habe.»

Wir gucken ja gerne «Seinfeld», die Lieblingsfigur meiner Mutter ist die Mutter von George. Eigentlich sind in allen Serien die Mütter ihre Lieblingsfiguren. Ihre Lieblingsserie ist «Roseanne». Meine Lieblingsfigur ist bei «Seinfeld» George, und bei «King of Queens», der Serie mit dem «kleinen Lastwagenfahrer», wo meine Mutter nicht versteht, dass der so dick ist und trotzdem so eine hübsche Frau hat, ist der aufbrausende, leicht senile Schwiegervater Arthur mein Favorit. Ich identifiziere mich also mit sozial unverträglichen Männern, meine Mutter mit ihren Müttern. Vielleicht ist sie ja deshalb Mutter geworden, und ich Sohn, das passt schon ganz gut zusammen.

Dies alles schreibe ich, während ich in ihrer Wohnung auf dem Klo sitze, dem einzigen Raum, in dem keine Bücher stehen, sondern nur drei Dutzend Putzmittelsorten. Zu jeder Verschmutzung gibt es ein passendes Putzmittel, sogar Kalbslederreinigungsmittel haben sie. Nur auf dem Klo finde ich in der Wohnung meiner Eltern ein bisschen zu mir.

«Ist wer aufm Klo?» fragt meine Mutter. Dabei sieht man das an der roten Farbe, die von außen anzeigt, dass jemand die Tür verriegelt hat. Sie rüttelt an der Tür. «Ist wer aufm Klo?», fragt sie, obwohl die Tür zu ist.

«Ja.»

«Na, lass dich nicht stören.»

Gestopfte Mäuler

Katharina Adler

DOSENRAVIOLI AUF TOAST

(ein Rezept von Diane)

 

KARAMELLISIERTE WÜRSTCHEN

(eine Spezialität von James)

 

BUTTER-SPAGHETTI MIT DEN FINGERN VOM TOPF AUF DEN TELLER

(ein Servier-Vorschlag von Sigrun)

 

FRITTIERTES GEMÜSE

(eine langsame Folter von Frau Strassl)

Etwas wirklich Gutes hatte es, als ich ein Kind war, unter der Woche selten gegeben. Mein Bruder und ich waren an Dosenravioli, die uns ein australisches Au-pair in der Mikrowelle aufgewärmt hatte, gewöhnt, an Würstchen aus dem Zehnerpack, zubereitet von einem englischen Sprachschüler, dessen Spezialität es gewesen ist, die Würstchen zu karamellisieren, an Butter-Salz-Spaghetti einer arbeitslosen Schauspielerin. Auch wenn das alles nicht besonders geschmeckt hatte, auch wenn es oft jeden Tag das Gleiche gegeben hatte, man hatte uns fast alles vorsetzen können und wir aßen es. Wir wussten ja, dass irgendwann das Wochenende kommen und dann unsere Mutter etwas Richtiges kochen würde. Es war völlig selbstverständlich, dass sie unter der Woche dafür keine Zeit hatte. Nicht arbeiten zu gehen hätte unsere Mutter unglücklich gemacht, wir wollten eine zufriedene Mutter, es hätte eine kleinere Wohnung bedeutet, weniger Spielzeug, keine Ferienreisen, wir wollten aber Spielsachen, wir wollten jeder ein Zimmer für sich und wir wollten nach Amerika, unseren Großvater besuchen.

Nachdem Sigrun eine Rolle in einer Vorabendserie bekommen hatte, kündigte meine Mutter an, dass wieder jemand Neues kommen würde. Aufregend war das nicht. Diane, Sigrun, James und noch einige andere hatten in regelmäßigen Abständen für eine Weile ihre Leben mit uns geteilt – I want a guy, who loves me the European way – endlich die Ophelia spielen – learning German is sooooo fucking hard, don’t tell your parents I said fuck – und dann waren sie wieder fort gewesen. Als ich dieses Mal von der Schule nach Hause kam, wusste ich allerdings schon beim ersten Blick auf den Teller, dass etwas anders war als sonst. Es gab Wiener Schnitzel und Bratkartoffeln!

Während mein Bruder und ich uns mit großem Appetit an das herrliche Essen machten, stellte uns meine Mutter Frau Strassl vor. Sie war nicht aus Australien, nicht aus England und auch nicht aus dem aus Münchner Kinderperspektive ebenso weit entfernten Nordrhein-Westfalen. Sie kam aus Niederbayern, war um die fünfzig und trug ein schwarzes T-Shirt mit Mehlflecken auf der mächtigen Brust. Zur Begrüßung sagte sie nur: «Fast wie bei der Raubtierfütterung hier.» Dann ging sie in die Küche, um bald mit einem Nachtisch zurückzukehren: einem Vanillepudding, der noch warm war – selbstgemacht, nicht aus der Tüte.

An jenem ersten Tag blieb meine Mutter zu Hause, um zu sehen, ob sie die Neue bei ihren Kindern lassen konnte. Ab dem folgenden Tag waren wir mit Frau Strassl allein. Da mein Bruder jünger ist als ich, hatte es sich so eingespielt, dass ich diejenige war, die den Kontakt mit der neuen Person im Haushalt aufnahm, Einzelheiten über sie in Erfahrung brachte und dann das, was meinen Bruder interessieren könnte, weiter erzählte, bevor er sich selbst an ein Kennenlernen wagte. Normalerweise konnte ich ihm solche Dinge berichten: Diane spielt gerne Fußball, James hatte als Kind auch eine Carrera-Bahn oder Sigrun liest dir dein Lieblingsbuch vor, wenn du sie fragst. Bei Frau Strassl war das schwieriger. Wortkarg war sie nicht, das war überhaupt nicht das Problem. Ich erfuhr, dass sie aus Aiterhofen kam, sie hatte als Näherin gearbeitet, war dann arbeitslos geworden. Schwierig war das gewesen, denn sie war die Alleinverdienerin in der Familie, ihrem Mann war vor einiger Zeit das Bein amputiert worden. «Wegen Zucker», erklärte sie. Das ganze letzte Jahr habe sie nichts anderes beschäftigt, als die Pflege ihres Mannes. Schon nach der ersten Woche wusste ich, wie man einem Einbeinigen am besten in die Badewanne half, und dass, wenn ihr Mann, laut Frau Strassl ein Grantler, keine Lust hatte, sich selbst zu waschen, sein eines Bein von Vorteil war, denn so kam man besser an die Weichteile. Weichteile sage ich, Frau Strassl sagte: «Mei, da kannst ihm halt besser die Knödel einseifen.»

Auch wenn ich nicht genau wusste, ob und wie ich das alles meinem Bruder weitergeben sollte, kann ich nicht sagen, dass ich nicht spannend fand, was Frau Strassl erzählte, spannend und schlimm zugleich. Von ihrer Tochter bekam ich zu hören, die unter einer Hautkrankheit litt, weshalb sie auch kaum arbeiten konnte. Jetzt kümmerte sie sich aber um ihren Vater. «Soll die ihn pflegen, hat uns lang genug auf der Tasche gelegen», sagte sie und ermahnte mich, meinen Eltern nicht das Geld aus der Nase zu ziehen. Auch andere Dinge lernte ich. Zum Beispiel die Vorzüge von Bier, das besser als jedes Shampoo sei. «Bier gibt den Haaren Glanz», lehrte mich Frau Strassl, «und macht den Erwachsenen schöne Gedanken.»

Meine Mutter hatte an ihr nichts auszusetzen, sie war bisher noch mit jedem und jeder einverstanden gewesen, über die wir uns nicht beschwert hatten, wir hatten uns noch nie beschwert. Mit meinem Vater allerdings gab es gleich zu Beginn eine Irritation. Als Frau Strassl erfuhr, dass er Amerikaner ist, kniff sie die Augen zusammen. «Amerikaner?! Die haben mir nach dem Krieg eine Tafel Schokolade geschenkt. Die erste in meinem Leben überhaupt, ich hab sie sofort gegessen. Speiübel ist mir geworden. Ein Kriegskind, das verträgt eine Suppe, ein Brot, aber doch keine Schokolade!», sagte Frau Strassl, und dann war nicht klar, ob sie ihren Zeigefinger nur hob oder schon damit auf meinen Vater deutete, als sie hinzufügte: «Aber das hat den pumperlgsunden Amis niemand gesagt, dass das einem Mädel mit einem Hungermagen nicht bekommt.»

Mein Vater hob die Schultern. «Darf ich mich dafür vielmals bei Ihnen entschuldigen?»

«Entschuldigen?», Frau Strassl winkte ab. «Mit Verlaub, ihr seid eh insgesamt komisch. Auf alles klatscht ihr Ketchup.»

Mein Vater lachte. Er lachte, um nicht widersprechen zu müssen, mein Vater ist ein sehr höflicher Mann. Er blieb auch höflich, als Frau Strassl ihm die Wochen darauf stets eine Flasche Ketchup zu dem Essen stellte, das er sich nach der Arbeit aufwärmen sollte. Stoisch legte er sie jedes Mal zurück in den Kühlschrank. Wenn es zum Essen passte, gab er sich auch ein paar Spritzer auf den Teller, nicht ohne diesen abzuwaschen, bevor er ihn in die Spülmaschine stellte, um alle Ketchup-Spuren zu beseitigen.

Die Herkunft meines Vaters schien Frau Strassl nicht aus dem Kopf zu gehen. Ein paar Tage später setzte sie sich zu meinem Bruder und mir an den Tisch, sah uns beim Essen zu und sagte, als würde sie an ein gerade begonnenes Gespräch anknüpfen: «Dann seid’s ihr also halbe Amis.»

Mein Bruder nickte.

«Wart ihr schon mal da?», fragte Frau Strassl interessiert.

«Of course», antwortete mein Bruder stolz in seinem kindlichen Englisch.

«Wir fliegen meistens in den Sommerferien zu unserem Opa», ergänzte ich.

Frau Strassl lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. «Ich war noch nie raus aus Deutschland.»

«Noch nie?!»

«Wirklich, wirklich nie?», setzte mein Bruder nach.

Frau Strassl klatschte in die Hände. «Da machen sie Augen, die verwöhnten Kinder. Euch sollte mal einer ins echte Leben schmeißen. Aber gut, passiert schon noch. Und vergesst nicht!», rief sie auf unser Essen deutend, «Kartoffeln, nicht nur Ketchup.»

«Mein Vater ist ja auch kein ganzer Amerikaner», sagte ich mit dem Gefühl, ihn in Schutz nehmen zu müssen. «Unser Opa ist nämlich eigentlich aus Wien und musste da weg.»

«Das auch noch», erwiderte Frau Strassl, «bei euch kommt aber alles zam.»

Obwohl sie uns noch eine Weile vorhielt, «Viertel-Ösis» zu sein, zog sie daraus leider nicht den Schluss, wieder einmal Schnitzel zu braten. Auch selbstgemachten Pudding gab es nicht mehr. Es gab einfachere, weniger aufwendige Gerichte.

Nur ein Mal hörte ich ein Gespräch zwischen meinen Eltern, in dem mein Vater sich nicht begeistert darüber zeigte, dass seine Tochter sich mittlerweile nicht mehr mit Shampoo die Haare wusch und er sich von seinem Sohn neulich hatte fragen lassen müssen, was schönere Gedanken mache: Bier oder Ketchup?

Das Schuljahr endete. Wir flogen in diesen Sommerferien nicht nach Amerika, wir fuhren nach Italien. Frau Strassl hatte angekündigt, die sechs Wochen in Aiterhofen bei der Familie zu verbringen. Als sie jedoch nach Ferienende wieder zu uns kam, erklärte sie: «Ich war im Ausland und ich bin geflogen, zum allerersten Mal!» Ihre Tochter habe von der Krankenkasse eine Kur am Toten Meer genehmigt bekommen und da habe sie beschlossen mitzufliegen, weil sie sich das endlich einmal leisten hatte können. «Da wart’s ihr noch nicht. Keiner von euch!» Triumph lag in ihrer Stimme. Das Essen in ihrer Pension sei toll gewesen. Ein Daniel habe für sie gekocht. «Ein ganz ein schnuckeliges Mannsbild», schwärmte Frau Strassl. Jeden Tag habe es verschiedenes Gemüse gegeben, und dabei so praktisch! Als Höhepunkt ihres Reiseberichts präsentierte sie uns einen Karton, in buntem Papier verpackt mit einer großen Schleife. Sie habe ein Geschenk für die Familie. An den glänzenden Augen meines Bruders las ich ab, dass ihm Ähnliches durch den Kopf ging wie mir: Wir hofften auf spannendes Spielzeug, auf eine andere Idee kamen wir gar nicht. Frau Strassl erlaubte uns die Schleife zu lösen und die Verpackung aufzureißen. Weil wir die Kinder unseres Vaters sind und in Sachen Höflichkeit von ihm schon etwas gelernt hatten, versuchten wir beide unsere Enttäuschung nicht allzu deutlich zu zeigen. Denn was wir auspackten, war eine Fritteuse. Frau Strassl lächelte sehr stolz, und von da an gab es tatsächlich jeden Tag viel unterschiedliches Gemüse – alles frittiert. Besonders großartig fanden wir das nicht, aber wir folgten weiter der Devise, dass unter der Woche der Magen gefüllt werden musste, egal wie, ohne Diskussion.

«Alles trieft geradezu vom Öl. Man möchte einfach nur sagen, Gemüse ist ja schön und gut, aber dämpfen Sie doch bitte auch einmal etwas», hörte ich dann allerdings meinen Vater ein paar Wochen später durch die angelehnte Schlafzimmertür schimpfen.

Meine Mutter setzte entgegen, dass die sogenannten «Spezialitäten» der bisherigen Au-pairs alle nicht großartig gewesen waren und es auch oft das Gleiche gegeben hatte.

«Nur haben die die Hälfte verdient», meinte darauf wieder mein Vater. Und außerdem hätte Frau Strassl am Anfang noch gut gekocht. Man hätte richtig beobachten können, wie sie sich immer weniger Mühe gab. Das mit der Fritteuse hielt er nur für einen Vorwand, keine Pfanne und keinen Topf mehr in die Hand nehmen zu müssen.

Meine Mutter bat meinen Vater um Nachsicht. «So leicht ist es auch wieder nicht, jeden Tag für eine Familie zu kochen.»

«Wir zahlen ihr zu viel», legte er nach. «Sie fliegt ans Tote Meer, sie kann uns schreckliche Geschenke kaufen, und wir können uns nicht mal mehr leisten, meinen Vater zu besuchen.»

«Ihr weniger zu geben, das geht nicht mit der Familie. Das wäre nicht sozial, und die Fritteuse, das war doch eigentlich rührend. Hast du nicht gesehen, wie liebevoll sie sie sogar noch verpackt hat?»

«Von mir aus. Nur muss sie denn ihr Geschenk auch wirklich jeden Tag benützen? Muss das sein?»

«Ich werde nicht mir ihr darüber sprechen. Bei solchen Dingen kann man so schnell jemanden beleidigen. Wenn du ein Problem mit ihrer Küche hast, dann musst du das regeln.»

Da wurde mein Vater zögerlich. «Ich habe das Gefühl», sagte er schließlich, «Frau Strassl betrachtet mich irgendwie immer noch als so eine Art Besatzer. Das will ich nicht auch noch in irgendeiner Form bekräftigen, indem sie den Eindruck bekommt, dass ich ihre Großzügigkeit nicht zu schätzen weiß und ihr sogar noch etwas vorschreiben will.»

«Aber du hältst doch wirklich nichts davon und du willst ihr etwas vorschreiben.»

«Ein bisschen Folter ist das auch, was sie betreibt», konterte daraufhin mein Vater, «vielleicht war die Fritteuse gar nicht so nett gemeint, vielleicht will sie uns ja auf ihre Weise langsam quälen. Wie gesagt, seit sie hier ist, habe ich das Gefühl, der Krieg sei erst seit gestern vorbei.»

«Also komm! Und für einen Besatzer hält sie dich ganz bestimmt nicht. Frau Strassl muss inzwischen mitbekommen haben, dass dein Vater auch noch einen anderen Hintergrund hat.»

«Woher soll sie das wissen? Ich habe es ihr nicht erzählt und fände es ehrlich gesagt auch äußerst geschmacklos, mich so vor ihr rechtfertigen zu müssen.»

Ich schlich zurück in mein Zimmer. Ein bisschen heiß war mir, weil ich das Gefühl hatte, meinen Vater gegenüber Frau Strassl auf geschmacklose Weise verteidigt zu haben. Gesprochen haben wir darüber allerdings nie. Auffallend war danach nur, dass mein Vater oft bereits in der Kantine zu Abend gegessen hatte oder alles, was er zu Hause aß, großzügig mit Ketchup verfeinerte, ohne sich noch darum zu scheren, ob Frau Strassl das bemerkte oder nicht.

Wie gerne würde ich nun fortsetzen, was für genügsame Kinder wir immer noch und trotz allem waren. Dass wir ohne zu murren weiter das aßen, wo selbst mein Vater die Waffen gestreckt hatte. Für meinen Bruder galt das auch, er war doch noch klein, hungrig genug, und ich hatte ihm nichts von der Auseinandersetzung meiner Eltern erzählt. Bloß bei mir hatte sich etwas verändert. Das zu essen, wogegen sich mein Vater sträuben durfte, fiel mir zunehmend schwer. Ich begann mir von meinem Taschengeld Käsesemmeln vom Bäcker zu holen und schob zu Hause meine Portionen meinem Bruder unter, der sie brav für mich verzehrte. Ich dachte, all das geschähe unbemerkt, aber es dauerte nicht lange, bis Frau Strassl meinte: «Ist da jemand heimlich auf Diät? Glaub nicht, dass mir so was entgeht. Bloß weil du in Italien ein Dickerchen geworden bist, ist das kein Grund, bei mir jetzt das Essen zu verweigern.»