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Ist mit Isabell ein Wunder geschehen? Die Eltern erkennen ihre zehnjährige Tochter kaum wieder, als sie sie am Ende ihrer Ferien auf dem Berghof des Onkels wieder in ihre Arme schließen. Das ist doch nicht mehr ihre ewig unzufriedene, egoistische, kratzbürstige Isabell! Ein paar Tage inmitten der Natur mit vier fröhlichen Kindern an ihrer Seite, haben Isabel ganz und gar verändert. Jetzt geht es für sie nicht mehr nur noch darum, ein hübsches Kleid zu tragen und die angesagtesten Geschenke zu bekommen. Haben die Eltern richtig gehört? Ein Instrument will sie lernen?! Und bei alledem ist am wichtigsten, dass Isabel selbst über die Veränderungen am glücklichsten ist. -
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Seitenzahl: 174
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Marie Louise Fischer
SAGA Egmont
Ist das wirklich Isabell?
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)
Originally published 1962 by F. Schneider, Germany
All rights reserved
ISBN: 9788711719756
1. e-bogsudgave, 2017
Format: EPUB 3.0
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lindhardtogringhof.dk
Lindhardt og Ringhof Forlag A/S, et selskab i Egmont
Es ist ein feines Gefühl, morgens aufzuwachen und zu wissen: Heute habe ich Geburtstag!
Isabell, die sich sonst immer erst beim dritten Wecken entschloß, munter zu werden, sprang bei diesem Gedanken mit einem Satz aus dem Bett.
„Hurra, ich hab’ Geburtstag!“ rief sie begeistert.
Sie packte ihr Nachthemd mit beiden Händen und tanzte wie ein Kreisel durch das Zimmer, bis ihr schwindelig wurde und sie sich auf den Sessel vor ihrem kleinen Toilettentisch setzen mußte.
Ja, ihr habt richtig gelesen: Isabell hatte einen eigenen Toilettentisch mit einer Glasplatte, auf derKammund Bürste lagen, beide mit Silbergriffen und Monogrammen, zwei Cremedosen standen daneben und ein Fläschchen Kölnisch Wasser. Aber die Hauptsache war der große ovale Spiegel, den man nach vorn oder nach hinten kippen konnte, je nachdem, wie man sich betrachten wollte.
Isabell blickte in den Spiegel, und das, was sie sah, befriedigte sie sehr. Hellblondes Haar ringelte sich um ihr schmales Gesicht, die Wimpern ihrer großen grauen Augen waren lang und schwarz und schön gebogen, auch die Brauen waren dunkel und kräftig gezeichnet, der Mund war rund und voll — nur die Nase zeigte einen leichten Schwung nach oben. Isabell klemmte die Nasenflügel zusammen und drückte die Nasenspitze herunter. So hielt sie es eine ganze Weile aus, aber dann, als sie es satt bekam und die Nase losließ, richtete sie sich sofort wieder nach oben.
„Bäh!“ sagte Isabell und streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus.
Sie glich in diesem Augenblick nicht im geringsten mehr der zarten kleinen Prinzessin, die sie gerne sein wollte, sondern eher einem rechten Lausbuben.
Eine Viertelstunde später, als sie am Frühstückstisch erschien, war sie wieder ganz Dame. Sie hatte ihr allerbestes Schottenkleid angezogen, mit dem gerüschelten Kragen und den gerüschelten Manschetten; ihr blondes Haar war schön gebürstet und fiel in weichen Wellen bis auf die Schultern, und ihr schmales Gesicht strahlte engelhafte Bravheit aus.
„Guten Morgen, mein Schatz … meine allerherzlichsten Glückwünsche!“ Die Mutter, die am Kopfende des Tisches gesessen hatte, stand auf und nahm Isabell zärtlich in die Arme, küßte sie auf beide Wangen. „Wie fühlst du dich als Geburtstagskind?“
„Na, zehn Jahre alt zu werden, das ist keine Kleinigkeit“, erklärte Isabell mit Würde und setzte sich auf ihren Platz; ihr Gedeck war mit einem Blumenkranz umgeben. „Kann ich, bitte, ein Stück Kuchen haben?“
Frau Grunert schnitt ein Stück von dem schokoladenüberzogenen Gugelhupf ab. „Ich habe ihn selber gebacken“, sagte sie, „Torte gibt es erst heute nachmittag!“ Sie schenkte ihrer kleinen Tochter Tee ein.
„Wo sind die anderen?“ fragte Isabell.
„Elke muß schon um sieben Uhr aus dem Haus, das weißt du doch, Bernd wird bestimmt gleich kommen, und Vater habe ich noch nicht geweckt. Heute mittag sind wir alle beisammen. Elke kommt deinetwegen zum Essen nach Hause.“
„Gehört sich auch so“, sagte Isabell und steckte sich noch ein Stück Kuchen in den Mund.
„Schmeckt es dir?“
„Danke, ausgezeichnet! Wann ist die Bescherung?“
„Sobald du aus der Schule kommst!“
„Warum nicht gleich?“
„Aber, Isabell … wir haben doch immer erst mittags beschert!“
„Weiß ich. Aber ich habe doch ausdrücklich gesagt, daß ich diesmal nicht so lange warten will!“
Die Mutter seufzte. Ich habe es ausdrücklich gesagt! — für ein zehnjähriges Mädel eine recht dreiste Rede. Das fand sogar Frau Grunert, Isabells allzu nachgiebige Mutter.
„Ist doch wirklich wahr“, murrte Isabell, „es dauert schon sowieso immer ein ganzes Jahr, bis es soweit ist, und dann noch bis mittags warten … das grenzt ja an Tierquälerei!“
„Isabell … bitte!“
„Verrat mir wenigstens, was ich kriege!“
„Da du, wie du selber gesagt hast, schon ein ganzes Jahr auf diesen Geburtstag gewartet hast, kommt es doch auf die paar Stunden auch nicht mehr an.“
„Doch. Unbedingt. Ich halte es einfach nicht mehr aus … bitte, bitte, liebe, süße, gute Mama, ich flehe dich an … sag mir, was ich kriege! Ich verrate auch den anderen kein Sterbenswörtchen, daß ich es schon weiß!“ Isabell war aufgesprungen, hatte die Arme um den Hals ihrer Mutter gelegt und drückte das Gesicht an ihre Wange.
Frau Grunert versuchte, sie abzuwehren. „Bitte, mach es mir nicht so schwer, Schatz!“
„Aber ich will es dir schwer machen, Mamutschka! Was ist denn schon dabei, wenn du es mir jetzt sagst! Heute mittag erfahre ich es ja doch!“
„Eben. Also gedulde dich!“
„Aber ich kann es nicht … ich kann es wirklich nicht! Glaubst du denn, ich könnte in der Schule auch nur fünf Minuten aufpassen, wenn ich nicht weiß, was zu Hause auf mich wartet?“
Frau Grunert holte tief Luft, dann sagte sie: „Na schön! Dann …“
Aber sie kam nicht dazu, ihren Satz zu Ende zu sprechen, denn in diesem Augenblick trat Bernd, Isabells achtzehnjähriger Bruder, ins Zimmer.
„Guten Morgen, Kleines“, sagte er, packte Isabell am Nacken und schüttelte sie ein bißchen, „gratuliere zum Geburtstag!“
„Au … du tust mir ja weh!“ rief Isabell empört.
„Die Prinzessin auf der Erbse!“ Bernd beugte sich über seine Mutter, küßte sie. „Guten Morgen, Mama!“
„Gut geschlafen, Großer?“
„Prima, wie immer!“
Isabell setzte sich wieder auf ihren Platz. Sie war wütend. Wenn Bernd nicht im ungeeignetsten Moment gekommen wäre, das wußte sie ganz genau, hätte die Mutter ihr ihre Geschenke verraten.
Bernd betrachtete sie erstaunt. „Was ist denn los mit dir, Kleines? Ist dir die Petersilie verhagelt?“
„Laß mich in Ruh!“
„Ärgere sie nicht, Bernd!“ sagte die Mutter. „Sie hat nur wissen wollen, was sie geschenkt kriegt!“
„Ach so!“ Bernd lachte. „Und wie ich dich kenne, Mamutschka, wärst du bestimmt weich geworden, wenn ich nicht hereingeplatzt wäre! Ich habe es ja schon oft gesagt, du und Vater, ihr seid dieser kleinen Kröte einfach nicht gewachsen.“ Er lachte noch mehr, als er Isabells zorniges Gesicht sah.
„Komm, komm! Nur nicht wild werden. Das ist eine ganz falsche Taktik. Versuch’s doch mal mit mir! Wer sagt dir denn, daß ich dir nicht verraten kann, was heute mittag auf dich wartet?“
Isabells Gesicht hellte sich auf, aber ihre Stimme klang noch sehr mißtrauisch, als sie fragte: „Wurdest du es tun?“
„Vielleicht.“ Er steckte sich einen Bissen Kuchen in den Mund, drückte ihn hinunter, sagte dann: „Wenn du mich recht schön bittest!“
Isabell sah in das verschmitzte Gesicht ihres Bruders. „Den Gefallen tu ich dir nicht“, erklärte sie von oben herab, „wie käme ich denn dazu? Wenn du mich auf den Arm nehmen willst, mußt du früher aufstehn.“
„Bitte, hört auf, euch zu zanken!“ sagte Frau Grunert energisch. „Ihr wißt, wie sehr ich das hasse … noch dazu an Isabells Geburtstag!“
„Bernd hat angefangen. Er will mich durchaus ärgern!“
„Wirklich, Bernd, du solltest dran denken, daß du älter bist!“ sagte Frau Grunert. „Du als ihr großer Bruder solltest sie eigentlich beschützen!“
„Glaubst du wirklich, Isabell braucht Schutz, Mamutschka? Da kann ich ja nur kichern. Das einzige, was ihr fehlt, sind hin und wieder einmal ein paar hinter die Ohren!“
„Bernd … aber wirklich!“ sagte Frau Grunert ärgerlich.
„Kränk dich nicht, Mama“, sagte Isabell mit heuchlerischer Sanftmut, „er versteht es nun einmal nicht besser!“ Sie schnitt dem großen Bruder blitzschnell eine Fratze.
„Möchtest du noch ein Stück Kuchen, Isabell?“ fragte die Mutter.
„Nein, danke … ich muß jetzt laufen!“ Isabell stand auf, legte die Serviette zerknüllt neben den Teller, küßte ihre Mutten. „Bis heute mittag, Mama!“
Frau Grunert runzelte die Stirn. „Sag mal, willst du wirklich in diesem Kleid in die Schule?“
„Warum nicht? Es ist doch sehr schick.“
„Sicher. Aber es ist doch viel zu schade für die Schule!“
„Du vergißt, daß ich heute Geburtstag habe!“
„Das habe ich keineswegs vergessen“, sagte Frau Grunert, und es war ihr anzumerken, wie sehr sie sich bemühte, streng zu sein, „aber ich finde nicht, daß das ein Anlaß ist, dich vor deinen Klassenkameradinnen aufzuspielen!“
„Aufspielen … wie kommst du denn darauf?“
„Mama“, sagte Bernd, „warum läßt du dich mit dem Kind auf Diskussionen ein? Befiehl ihr einfach, sich umzuziehen … und schon ist der Fall erledigt!“
Isabell war schon in der Tür. „Leider, mein verehrungswürdiger Bruder“, sagte sie mit einem süßen Lächeln, „bleibt mir dafür keine Zeit mehr!“
„Aber die Serviette könntest du wenigstens Zusammenlegen!“ rief Bernd.
Isabell hörte es noch in der Diele, aber sie dachte nicht daran, noch einmal zurückzugehen. Sie war mit sich zufrieden. Wenn sie auch nicht herausgebracht hatte, was sie geschenkt bekam, so hatte sie sich doch wenigstens von Bernd nicht kleinkriegen lassen. Das war schon viel wert.
Dr. Grunert arbeitete als Chemiker in einem Industrieunternehmen; er war dort ein wichtiger Mann. Seine Familie lebte im ersten Stockwerk einer riesigen alten Villa. Das Haus lag in einer schönen Wohngegend, mitten in einem gepflegten Garten.
Aber jetzt war es Herbst, und es ging ein kühler Wind. Isabell hatte sich ihren Wintermantel angezogen, bevor sie die Wohnung verließ. Von den Platanen fielen dürre gelbbraune Blätter auf die Straße. Isabell wirbelte sie mit den Füßen hoch, denn das machte Spaß.
Das Haus, in dem Grunerts lebten, stand in einer stillen Einbahnstraße, aber ringsum brandete der Verkehr der großen Stadt. Auf dem Weg zur Schule mußte Isabell siebenmal die Fahrbahn überqueren. Sie benutzte immer die Fußgängerüberwege, sah erst aufmerksam nach links und dann nach rechts und achtete an den gefährlichen Kreuzungen genau auf die Farbe der Ampeln.
Heute schienen ganz besonders viele Autos unterwegs zu sein, und so kam Isabell nur sehr langsam vorwärts. Als das große rote Backsteingebäude der Luisenschule vor ihr auftauchte, war es kurz vor acht Uhr. Gerade noch beim letzten Klingelzeichen konnte sie in ihre Klasse schlüpfen.
Fräulein Hermann, die Deutsch-Lehrerin, folgte ihr so dicht auf den Fersen, daß Isabell nicht einmal mehr Zeit blieb, ihre Freundinnen zu begrüßen.
Fräulein Hermann trat hinter das Katheder und schlug das Klassenbuch auf. Sie schraubte ihren Füllfederhalter auf und machte ihre Eintragung. „Fehlt jemand?“ fragte sie.
Erni, die Klassensprecherin, zeigte auf. „Irene Besser“, sagte sie, „schon die ganze Woche. Sie ist entschuldigt.“
„Ah, ich erinnere mich … Angina, nicht wahr?“
„Jawohl, Fräulein Hermann!“
Fräulein Hermann schraubte ihren Füller wieder zu und ließ den Blick über die Klasse schweifen. Sie war jung und hübsch und immer sehr korrekt angezogen. Als sie vor einem Jahr an die Luisenschule gekommen war, hatten viele geglaubt, leicht mit ihr fertig zu werden. Aber bald hatte sich herausgestellt, daß sie sehr streng sein konnte und viel von ihren Schülerinnen verlangte.
„Nanu“, sagte sie, als sie Isabells schönes Kleid sah. „Sollte ich übersehen haben, daß heute ein Feiertag ist?“
„Ich habe Geburtstag!“
„Gratuliere! Und du scheinst wild entschlossen, ihn mit Nachdruck zu feiern?“
„Natürlich! Geburtstag ist ja nur einmal im Jahr.“
„Sehr richtig. Ich wundere mich, daß du es an diesem großen Tag überhaupt für nötig gefunden hast, in die Schule zu kommen.“
Isabell spürte, daß Fräulein Hermann sie aufs Glatteis führen wollte, und so flötete sie mit Unschuldsmiene: „Ich würde niemals freiwillig einen Tag versäumen.“
„Das kann schon sein. Aber manchmal scheinst du den Unterricht mit einer Modenschau zu verwechseln.“
Hinter ihrem Rücken hörte Isabell ein paar Mädchen kichern, aber sie blieb ganz ungerührt. „Ich glaube, da besteht doch ein erheblicher Unterschied“, sagte sie.
„Wahrhaftig! Du überraschst mich. Bitte, sei so gut und komm nach vorne, damit alle deine Kameradinnen dein prächtiges Kleid bewundern können. Ich habe nämlich eine kleine Aufgabe für dich.“
Isabell trat vor. Sie wußte, daß sie sehr hübsch aussah. Außerdem hoffte sie, Fräulein Hermann würde sie ein Gedicht aufsagen lassen, das tat sie für ihr Leben gern.
Aber sie sollte enttäuscht werden.
„Nimm ein Stück Kreide“, befahl Fräulein Hermann, „und schreib folgenden Satz an die Tafel: Meine Mutter hat den Tisch schön gedeckt!“
Isabell tat, wie ihr gesagt wurde.
Fräulein Hermann sah sich ihr Werk prüfend an. „Ausgezeichnet. Und jetzt, bitte, sei so freundlich und bestimme uns die einzelnen Satzteile!“
Isabell machte ihre Sache tadellos, bis sie an das Wörtchen „schön“ kam; Sie tippte mit dem Finger darauf und sagte: „Das ist ein Eigenschaftswort!“
„Bist du ganz sicher?“
„Ja, natürlich.“
„Auf was bezieht sich denn ‚schön‘?“
„Auf den Tisch. Der Tisch ist schön.“
„Nein, meine liebe Isabell, der Tisch ist nicht schön … er ist schön gedeckt. Das ist ein bedeutender Unterschied.“
„Schön ist hier Umstandswort“, erklärte Isabell rasch.
„Zu spät, meine Liebe, ich habe ganz den Eindruck, daß dir der Unterschied zwischen Eigenschafts- und Umstandswörtern nicht ganz geläufig ist. Wollen wir es mal mit einem anderen Beispiel versuchen …“
Gute zwanzig Minuten hielt Fräulein Hermann das Geburtstagskind an der Wandtafel fest, und als sie es endlich in Gnaden entließ, war Isabell erschöpft und das schöne Schottenkleid weiß von Kreide; dafür aber war Isabell sich ganz sicher, daß sie nie mehr in ihrem ganzen Leben ein Umstandswort mit einem Eigenschaftswort verwechseln oder gar groß schreiben würde. Dann endlich ertönte das Pausenzeichen, und Fräulein Hermann verließ die Klasse.
Lolo Klausner stürzte zu Isabell. „So eine Gemeinheit“, sagte sie ehrlich. „Dein schönes Kleid! Halt dich ganz still, ich klopf’ dir die Kreide heraus. Was ist Fräulein Hermann bloß eingefallen? Bestimmt paßt es ihr nicht, daß du viel eleganter bistals sie!“
Isabell zuckte die Achseln. „Wenn mir alles so gleichgültig wäre …!“
„Sie hat einen richtigen Piek auf dich, und nicht erst seit heute!“ Lolo Klausner war Isabells beste Freundin. Sie war hübsch, aber nicht ganz so hübsch wie Isabell, nicht ganz so gut angezogen, nicht ganz so intelligent und nicht ganz so verwöhnt, und was das Wichtigste war: sie sah es auch ein. Sie bewunderte Isabell in jeder Beziehung.
Auch Sybill, Susanne und Christine kamen zu Isabells Platz. „Ärgere dich nicht!“ sagten sie, und: „Die ist ja bloß neidisch!“ und: „Wahrscheinlich ist sie heute morgen mit dem linken Fuß aufgestanden!“
Isabell genoß es, im Mittelpunkt zu stehen. „Reden wir nicht mehr darüber“, sagte sie, „halb so wichtig.“
„Weißt du schon deine Geschenke?“ fragte Lolo.
„Bis jetzt noch nicht. Bescherung ist erst mittags.“
„Bei uns auch immer“, erklärte Christine, „ich finde, der letzte Vormittag, bis es endlich soweit ist, das ist das Alleraufregendste.“
„Aber wahrscheinlich hast du doch wenigstens eine Ahnung?“ bohrte Susanne.
„Das schon. Schließlich weiß ich, was ich mir gewünscht habe. Am meisten freue ich mich auf mein eigenes Radio!“
„Kriegst du eines? Wirklich?“ Sybill bekam große Augen.
„Ich denke schon. Jedenfalls habe ich es mir ausdrücklich gewünscht.“
„Ach, das besagt doch gar nichts!“ Christine war als älteste von vier Geschwistern Kummer gewöhnt. „Wünschen kann man sich, was man will … ob man’s kriegt, steht auf einem anderen Blatt!“
„Bei mir nicht“, erklärte Isabell überlegen, „ich habe noch immer alles bekommen!“
„Du Glückspilz!“ Lolo war voller Bewunderung. „Du hast die richtigen Eltern erwischt!“
„Irrtum!“ Isabell warf ihre blonden Locken in den Nakken. „Ich behandle sie richtig. Das ist ganz einfach, man muß nur wissen, was man will.“
„Ach, spuck nicht so große Töne“, sagte Susanne, „ich weiß genau, daß ich mir seit Jahren ein Fahrrad wünsche … aber glaubst du, ich kriege es? Kein Drandenken. Meine Eltern wollen einfach nicht. Obwohl ich ihnen immer wieder sage, daß alle in der Klasse eins haben.“
„Ich nicht!“ Christine schnitt eine Grimasse. „Meine Eltern sagen, es ist zu gefährlich!“
„Fahrrad habe ich längst“, sagte Isabell herablassend, „ihr versteht es eben nicht, euch durchzusetzen, ihr müßt …“ Aber Isabell kam nicht dazu, ihren bestimmt sehr aufschlußreichen Vortrag zu beenden, denn jetzt ertönte die Klingel zur zweiten Stunde.
In der großen Pause wurde Isabell wieder von ihren Freundinnen umringt.
„Wenn du tatsächlich ein Radio bekommst …“, begann Susanne.
„Was heißt hier … tatsächlich? Ich bekomme eins, ihr werdet sehen!“ warf Isabell ein.
„… dann könnten wir heute nachmittag tanzen!“ fuhr Susanne fort.
„O prima!“ rief Sybill, dann fügte sie ganz erschrocken hinzu: „Aber ich kann gar nicht tanzen!“
„Bringen wir dir bei!“ erklärte Isabell großmütig.
„Eine tolle Idee!“ sagte Christine. „Um sechzehn Uhr ist heute ein fabelhaftes Programm!“
„Vielleicht macht dein Bruder auch mit, Isabell?“ fragte Susanne hoffnungsvoll.
„Wünsch dir nur das nicht! Bernd ist ein Flegel!“
„Aber du hast uns doch gesagt, daß du schon ein bißchen tanzen von ihm gelernt hast.“
„Stimmt. Zum Lernen ist er ganz gut. Aber ansonsten … ein großer Spaßverderber. Nein, Bernd würde nur stören.“
„Na ja, es wird wohl auch so gehen“, sagte Susanne.
„Übrigens … außer euch kommt noch jemand, ein Mädchen namens Rosemarie“, erklärte Isabell.
„Wer ist das?“ „Kennst du sie?“ — „Ist sie nett?“ fragten die Freundinnen.
„Keine Ahnung … ich meine, ob sie nett ist. Sie ist die Tochter von Vaters Geschäftsfreund, ich habe bloß mal ganz kurz mit ihr gesprochen.“
„Weshalb lädst du sie dann ein?“ fragte Sybill erstaunt.
„Mein Vater hat darauf bestanden!“
„Habt ihr’s gehört!“ rief Christine triumphierend. „Unsere tolle Isabell, die angeblich alles durchsetzen kann, was sie will … aber wenn ihr Vater was von ihr verlangt, dann muß sie gehorchen, ganz genau wie jede von uns!“
„Du bist ein Kamel!“ sagte Isabell hochmütig. „Natürlich hätte ich sie nicht einzuladen brauchen, wenn ich es nicht gewollt hätte … Aber warum? Sie tut uns ja nichts. Merk dir eines: In Kleinigkeiten ist es immer richtig, den Eltern nachzugeben, dann kann man seine Wünsche um so leichter durchsetzen, wenn es drauf ankommt.“
„Ich hätte es netter gefunden, wenn wir unter uns geblieben wären“, sagte Sybill.
„Ist es dein Geburtstag oder meiner? Na eben. Außerdem, wenn sie uns blöd kommt, lassen wir sie einfach links liegen … sozusagen am ausgestreckten Arm verhungern.“
„Ich weiß noch gar nicht, was ich anziehen soll“, ließ sich Christine vernehmen.
„Macht euch so schick wie möglich … Ehrensache!“ forderte Isabell. „Meine Schwester Elke … Ihr wißt, die ist auf der Kunstakademie … die kann prima fotografieren. Sie hat mir versprochen, ein paar schöne Bilder zu machen … ihr bekommt dann jeder einen Abzug.“
„Aber ich hab’ gar nichts sehr Schickes“, klagte Christine, „aus meinem guten Blauen bin ich ’rausgewachsen, und das Grüne ist verschossen und …“
„Na, irgend etwas wirst du schon finden!“ sagte Isabell. „Nimm eben das Beste, was du hast … Im Notfall stellen wir dich eben ganz nach hinten, daß nur der Kopf zu sehen ist!“
Christine wurde rot, sie mußte schlucken.
„Manchmal hast du einen Takt wie ein Nilpferd!“ sagte Susanne.
„Wieso?“ Isabell war ganz erstaunt. Erst jetzt sah sie, daß Christine Tränen in den Augen hatte. „Hab’ ich dich beleidigt? Tut mir leid. Aber wenn du meine Meinung nicht hören willst, warum jammerst du mich dann erst an?“
„Also, bitte, Kinder, zankt euch doch nicht!“ versuchte Lolo zu vermitteln. „Du bist wirklich überempfindlich, Christine … Wenn Isabell dich nicht hätte dabeihaben wollen, hätte sie dich ja gar nicht eingeladen. Daß du nicht die Eleganteste von uns bist, ist ja nicht neu.“
Sybill legte ihren Arm um Christines Schultern. „Weißt du was, ich hab’ eine prima Idee! Ich werde auch bloß mein Zweitbestes anziehen … dir zuliebe! Wenn wir das alle machen …“
Aber mit diesem Vorschlag erntete sie einen Sturm der Empörung. „Was fällt dir ein?“ — „Wie käme ich denn dazu?“ — „Bei euch ist wohl ’ne Schraube locker?“ riefen alle durcheinander.
Wenn nicht noch grade rechtzeitig das Klingelzeichen ertönt wäre, wären sich die fünf Freundinnen womöglich noch in die Haare geraten.
Isabell fand ihren Platz neben Christine. „Nicht böse sein“, flüsterte sie ihr, während sie die Treppe hinaufstiegen, zu, „du kommst doch bestimmt?“
Christine nickte. Sie wäre todunglücklich gewesen, wenn sie an Isabells Geburtstag nicht hätte dabeisein dürfen.
Als Isabell diesen Mittag nach Hause kam, nahm sie sich nicht einmal — was selten genug bei ihr vorkam — die Zeit, in den Spiegel zu schauen. Sie riß sich den Mantel herunter, warf ihre Mappe in die Ecke und raste wie eine abgeschossene Rakete zum Wohnzimmer.
Die Tür war abgeschlossen.
Isabell trommelte mit beiden Fäusten dagegen, rief: „Macht doch auf … bitte, bitte! Aufmachen … ich bin schon da!“
Tatsächlich wurde die Tür sogleich geöffnet, aber nur einen Spalt breit, grade so weit, daß die Mutter hinausschlüpfen konnte. „Ich bitte dich, Schätzchen, was ist in dich gefahren? Was soll der Lärm?“ fragte sie und strich ihrer kleinen Tochter über die zerzausten Locken.
„Ich will endlich meinen Geburtstagstisch sehen!“ Isabell drückte ein bißchen, und schon standen ihre großen grauen Augen voller Tränen — sie wußte, daß sie damit bei ihrer Mutter alles erreichen konnte.
„Isabell, mein Liebling, weine doch nicht!“ rief Frau Grunen erschrocken. „Nur noch ein paar Minuten … ein paar winzige Minütchen … dann ist es ja soweit!“
„Ich kann es einfach nicht mehr aushalten“, schluchzte Isabell.
„Na, na, na!“ sagte Dr. Grunert.