Ist unser Sohn hochsensibel? - Uta Reimann-Höhn - E-Book

Ist unser Sohn hochsensibel? E-Book

Uta Reimann-Höhn

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Beschreibung

Hochsensible Menschen wissen oft nichts von ihrer besonderen Begabung. Tritt die Hochsensibilität bereits bei Kindern zutage, ist es um so wichtiger, dass Eltern, Erzieher und Lehrer damit kompetent umgehen. Gerade hochsensible Jungen laufen Gefahr, in ihrer Besonderheit nicht oder falsch wahrgenommen zu werden. Sie werden öfter zu Außenseitern, und es drohen sogar psychiatrische Fehldiagnosen. Tatsächlich sind diese Kinder und Jugendlichen dünnhäutiger als andere, sie kommen schneller an ihre Grenzen, und sie haben eine besonders intensive Wahrnehmungsfähigkeit. Sie nehmen sich vieles sehr zu Herzen und verarbeiten Belastendes intensiver und länger. Diese Kinder haben andererseits durchaus Ressourcen, die es zu entdecken gilt. Die Autorin ist eine renommierte Expertin und Ratgeberautorin. In ihrem Buch hilft sie Eltern, ihre hochsensiblen Jungen in dieser Eigenart zu erkennen, zu verstehen und zu begleiten - vom Kindergarten bis ins junge Erwachsenenalter. Mit Test und vielen konkreten Tipps.

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Uta Reimann-Höhn
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Kapitel
Hochsensibilität oder Hypersensibilität – Mode-Diagnose, Krankheit oder Wesenszug?
Richtige Kerle stecken das weg
Hochsensible Jungen können leicht zu Außenseitern werden
Hochsensible Kinder werden immer mehr wahrgenommen
Hochsensibilität – ein junges Forschungsgebiet
Elaine N. Aron, die »Mutter« der Hochsensibilität
Fazit Hochsensibilität
2. Kapitel
Positive Merkmale von hochsensiblen Jungen
Das können Hochsensible richtig gut
Wichtig: Die Mutterbindung stärkt hochsensible Jungen
Hochsensibilität und die Informationsflut
Viele Kinder sind rundum verplant
Hochsensible Jungen und der Tod
3. Kapitel
Test: Ist mein Sohn hochsensibel?
Was folgt aus dem Testergebnis?
4. Kapitel
Die ersten Lebensjahre – Typische Situationen aus dem Alltag eines Kleinkindes
Hochsensible Säuglinge
Folgende Verhaltensweisen sprechen für eine Hochsensibilität bei Säuglingen
Mama ist die Beste
Junge Eltern denken nicht an Hochsensibilität
Hochsensible Kleinkinder fühlen intensiver
Vorlesen: Jeder Satz muss stimmen
Neue Situationen sind schwierig
Konflikte sind eine Katastrophe
Kindergeburtstage und Familienfeste
Körperpflege: Haarewaschen, Baden und Duschen
Haben Haare auch Gefühle?
Fingernägel schneiden tut weh
Essen
Mahlzeiten selber zubereiten
Mitleid mit den Lebewesen
Geräusche sind anstrengend
Kleidung
Tipps zur Kleiderfrage
Vorsichtig die Welt erkunden
Ängste
Wind und Regen sind unangenehm
Höhe und Geschwindigkeit
Was Sie nicht zu Ihrem hochsensiblen Sohn sagen sollten
Geschichten helfen Ihrem Kind, sich zu verstehen
Nils, der ängstliche Nasenbär
Zusammenfassung: hochsensible Kleinkinder
5. Kapitel
Schule: Hochsensible Jungen stehen unter Druck
So bereiten Sie den Schulbesuch Ihres Kindes optimal vor
Zeit ist ein wichtiger Faktor
Schule kostet Energie
Hochsensibilität und die Wohltat von Ritualen
Folgende Rituale können hochsensiblen Jungen helfen
In der Schule fehlen Ruheoasen
Bleiben Sie positiv und optimistisch
Anlaufschwierigkeiten im Schulalltag
Druck, Stress und eine hohe Erwartungshaltung
Nein-Sagen lernen
Plötzlich hochsensibel?
Lehrerwechsel
Hilfreiche Tricks für einen ruhigen Nachtschlaf
Schulwechsel und neue Konzepte
Freunde finden
Lehrergespräche sind nicht immer einfach
Bleiben Sie unbedingt sachlich
Wie überstehen hochsensible Jungen eine Klassenfahrt?
Selbstwertgefühl
Sieben Sätze, die hochsensiblen Jungen beim Aufbau ihres Selbstwertgefühls helfen
Fünf Sätze, die Ihrem hochsensiblen Sohn Sicherheit und Halt geben
Schlafbedürfnis
Nachtschreck
Gerechtigkeitsempfinden
Eine Geschichte zum Thema Gerechtigkeit
Emotionen färben ab
Perfektionismus
Ordnung und Selbstmanagement
Versprechen werden nicht gebrochen
Körpergefühl
Urlaub mit hochsensiblen Jungen
6. Kapitel
Oasen im Alltag
10-Minuten-Entspannungs-Vorschläge
Power-Posen helfen hochsensiblen Jungen
In zwei Minuten die Stimmung verbessern
Folgende Posen stärken das Selbstbewusstsein Ihres Sohnes
Körperkontakt kann bei Konflikten helfen
Tipps für den täglichen Körperkontakt:
Lieblingsplätze hochsensibler Jungen
7. Kapitel
Pubertät: Hochsensible Jungen werden erwachsen
Freunde finden
Einsamkeit kann ein Begleiter der Hochsensibilität sein
Emotionen im Überfluss
Disco und Kino – Geräusche und Licht
Typische Verhaltensweisen von Hochsensiblen im Restaurant
Partnerschaften eingehen
Hochsensible Helden sind selten
Die Berufswahl
Sechs berufliche Begabungsbereiche
Auch die Rahmenbedingungen im Berufsleben sind wichtig
8. Kapitel
Die Stärken hochsensibler Jungen
Von folgenden Fähigkeiten profitieren hochsensible Jungen
1. Eine ausgeprägte Intuition
2. Ein starkes Gerechtigkeitsempfinden
3. Ein gutes Einfühlungsvermögen
4. Kreativität, musische oder künstlerische Begabung
5. Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit
6. Gute Detailwahrnehmung
7. Guter Geruchssinn
8. Guter Geschmackssinn
9. Kapitel
Sechs Erziehungsfallen, die Eltern hochsensibler Jungen vermeiden sollten
Fehlende Abgrenzung zwischen Eltern und Kind: Überidentifizierung
Umfassender Schutz: Überbehütung
»Stell dich nicht so an!«: Überforderung
»Du bist der Allerbeste!«: Verherrlichung
Bauchgefühl ignorieren: Fremdbestimmung
Mein Kind ist immer die Nummer 1: Aufopferung
10. Kapitel
Hochsensibilität im Schnelldurchlauf
Fünfzehn klassische Eigenschaften von hochsensiblen Jungen mit kurzen Beispielen und Handlungstipps für Eltern
11. Kapitel
Hochsensibel oder vielleicht doch AD(H)S?
Hochsensibel ist nicht auch hochbegabt
Autisten sind auch hochsensibel
Eigenschaften und Unterschiede
12. Kapitel
Anlaufstellen für Eltern hochsensibler Kinder
Internet
Internetseiten zum Weiterlesen
Psychologen
Erziehungsberatungsstellen
Ärzte
Lesetipps für Kinder
Lesetipps für Eltern
Forschung
Nachwort
Anmerkungen
Über die Autorin
Vorwort
Wenn die äußeren und inneren Eindrücke stets hochdosiert bei einem Menschen ankommen, reagiert dieser unter Umständen heftig und stößt damit nicht selten auf Unverständnis und Ablehnung. Dies kann enorm anstrengend sein, sowohl für die betroffenen Personen als auch für deren Umfeld. Wer Umweltreize und emotionale Schwingungen nur abgeschwächt wahrnimmt, kann die Reaktionen besonders empfindsamer Personen nicht verstehen, trotzdem existiert diese Form der Wahrnehmung. Für diese besonders intensive Offenheit aller Sinnesbereiche hat die amerikanische Psychologin Elaine N. Aron den Begriff der Hochsensibilität geschaffen. Ob es das Persönlichkeitsmerkmal der Hochsensibilität, wissenschaftlich bezeichnet als eine höhere sensorische Verarbeitungssensitivität, wirklich gibt, ist allerdings umstritten.
Eltern eines hochsensiblen Kindes stellen die Existenz dieses Wesenszuges nicht infrage. Besonders betroffen sind dabei die hochsensiblen Jungen. Aufgrund ihrer Empfindsamkeit haben sie es im Alltag schwerer, sich in der »rauen« Männerwelt zu behaupten. Sie sind lärm- und geruchsempfindlich, reagieren sensibel auf emotionale Schwingungen und mögen Auseinandersetzungen und Konflikte nicht. Das zieht sich durch alle Lebensbereiche: den Kindergarten, die Schule, die Ausbildung, die Arbeit, den Freundeskreis und die Familie. Hochsensible Jungen werden stärker kritisiert und eher ausgegrenzt als hochsensible Mädchen, weil ihr Verhalten dem klassischen Rollenbild eines Mannes nicht immer entspricht.
Ihre Empfindlichkeit äußert sich in zurückhaltendem oder ängstlichem Verhalten. Sie geraten schnell in einen Überreizungszustand hinein und können sich dann nur schwer beruhigen. Wutanfälle mit starken Weinattacken, eine Folge der Überforderung, können besonders bei kleinen Kindern immer wieder auftreten. Die hochsensiblen Jungen haben meistens unumstößliche Kleidungsregelungen, nur wenige enge Freunde, führen endlose Diskussionen und neigen zu großen Dramen. Sie legen jedes Wort auf die Goldwaage und haben einen sehr direkten Kontakt zu ihren Gefühlen. Hochsensible Jungen können sehr anstrengend sein, wenn ihre Eltern, Lehrer und Freunde nicht wissen, wie sie auf die extreme Form der Wahrnehmung reagieren sollen. Diese Jungen, die empfindsam, zurückhaltend und nachdenklich, aber ebenso aufbrausend und unbeherrscht sind, haben eine dünne Haut. Sie nehmen Dinge wahr, die anderen entgehen. Sie sind besondere Kinder mit einem feinen Gefühl für die Zwischentöne, einem Gespür für Ungerechtigkeit und einem oft langsameren Lebenstempo, weil sie die vielen unterschiedlichen Eindrücke und Details erst verarbeiten müssen.
Hochsensibilität ist eine Gabe und ein Fluch, je nachdem wie die Umwelt darauf reagiert. Besonders hypersensible Jungen können unter diesem Wesenszug leiden, denn von einem Jungen wird erwartet, sich dem typischen Verhalten der »wilden Kerle« anzuschließen. Doch hochsensible Jungen fühlen sich in quirligen, lauten Gruppen nicht wohl. Sie mögen es ruhig, überschaubar und sicher. Durch ihre vorsichtige und zurückhaltende Art schützen sie sich vor den vielen Umweltreizen, denen sie sich mehr als andere ausgeliefert fühlen.
Mit diesem Buch über hochsensible Jungen und junge Männer versuche ich die besonderen Wahrnehmungen der betroffenen Kinder und Jugendlichen in ihrem Alltag nachvollziehbar zu beschreiben. Ebenso wichtig ist es mir aufzuzeigen, wie hochsensible Jungen und ihre Eltern den Alltag am besten bewältigen, wie ihnen geholfen werden kann und welches Potenzial in dieser besonderen Form der Wahrnehmung steckt.
Sie finden in meinem Buch unter anderem
⚫Beispiele hochsensibler Säuglinge, Kleinkinder, Schulkinder und Jugendlicher in der Familie, der Schule und im Freizeitbereich
⚫ Die sechs größten Erziehungsfallen liebevoller Eltern von hoch- oder hypersensiblen Jungen
1. Kapitel
Hochsensibilität oder Hypersensibilität – Mode-Diagnose, Krankheit oder Wesenszug?
Richtige Kerle stecken das weg
Paul kann Hosen mit Knöpfen nicht ertragen und weint stundenlang, wenn seine Lieblingsjeans mit dem weichen Gummizug in der Waschmaschine ist. Auch Reißverschlüsse machen ihm Angst und er bevorzugt flauschige Sweatshirts.
Moritz schläft auch mit zwölf Jahren nur im absoluten Notfall bei der Oma oder bei einem Freund. In einem fremden Bett fühlt er sich einfach nicht wohl, kann dann nicht einschlafen und ist irritiert von der unbekannten Umgebung. Die fremden Geräusche und Gerüche halten ihn wach.
Luka spürt jede Missstimmung in der Familie oder bei seinen Freunden sofort. Er möchte dann wissen, was los ist, und die Situation wieder normalisieren. Gelingt das nicht, zieht er sich entweder völlig zurück oder bekommt einen Wutanfall, weil er mit der ungeklärten Situation und dem Gefühlschaos nicht umgehen kann.
Leonist mit seinen Ohren überall. Selbst entfernte Gespräche kann er noch wahrnehmen und sich über den Inhalt Gedanken machen. Wenn andere Kinder auf dem Schulhof Witze machen, denkt Leon sofort, er wird ausgelacht. Das belastet seine sozialen Kontakte enorm.
Paul, Moritz, Luka und Leon gelten als hochsensibel, ihre Wahrnehmung der Umgebung ist intensiver als bei anderen. Sie reagieren empfindlicher und feinfühliger als gleichaltrige Jungen, obwohl es dafür keinen offensichtlichen Grund gibt. Weder ist ihr Gehör außergewöhnlich gut ausgeprägt noch wurden sie von ihren Eltern auf das Wahrnehmen bestimmter Gerüche oder Empfindungen trainiert. Es sind ganz normale Jungen, die sich in ihrem Verhalten von den anderen abheben. Sie müssen häufiger getröstet werden, fühlen sich schnell von Ereignissen und Anforderungen überrollt, sind oft erschöpft und ihre Belastbarkeitsgrenzen sind niedrig. Sie brauchen mehr Zeit, um sich an Neues zu gewöhnen, und überdenken Dinge gerne intensiv. Solche Kinder profitieren sehr davon, wenn ihre Bedürfnisse ernst genommen werden.
Hochsensible Jungen können leicht zu Außenseitern werden
Heulsuse und Weichei sind nur einige beleidigende Namen, die sich solche empfindsamen Jungen anhören müssen. Die Seelchen, zartbesaiteten Mimosen oder Muttersöhnchen sind jedoch keine »Warmduscher«. Im Gegenteil: Durch ihre Feinfühligkeit müssen sie in ihrer Wahrnehmungswelt mit wesentlich mehr Anforderungen zurechtkommen als andere Kinder. Um sich weitgehend normal zu verhalten, müssen sie intensive Empfindungen überspielen. Das ist anstrengend und kostet Energie. Wenn sie als Kind nicht von Erwachsenen verstanden, geschützt und bestärkt werden, landen sie leicht in der Rolle des Opfers, Außenseiters oder Sonderlings. Besonders jüngere Kinder haben wenig Verständnis dafür, wenn jemand anders ist oder sich merkwürdig verhält. Gespräche können dabei helfen, Verständnis für die hochsensiblen Jungen zu erreichen. Häufig ist dafür aber gar keine Zeit. Die hochsensiblen Kinder müssen lernen, mit ihrer intensiven Form der Wahrnehmung zurechtzukommen. Dass sie ihren eigenen Weg finden, ihre Belastungsgrenzen kennen und das Leben danach ausrichten, ist ein wichtiges Erziehungsziel.
Hochsensible Kinder werden immer mehr wahrgenommen
Paul, Moritz, Luka und Leon haben eine feine Wahrnehmung für Zwischentöne und Stimmungen. Das ist ein ganz besonderer Wesenszug, der in den letzten Jahren immer interessanter für Therapeuten, Pädagogen, Psychologen und Neurowissenschaftler geworden ist. Und auch in der öffentlichen Wahrnehmung finden hochsensible Menschen langsam aber sicher ihren Platz. In Blogs und Foren, in Zeitungsbeiträgen oder Dokumentationen, Sachbüchern und sogar in Kinderbüchern. Das ist gut! Wer einen hochsensiblen Sohn hat, kennt aus eigener leidvoller Erfahrung die Probleme, die sich dadurch im Alltag ergeben.
Da eine besondere Empfindsamkeit immer noch nicht als Kernkompetenz des männlichen Geschlechts gilt, sind Jungen und junge Männer besonders betroffen. Viele hochsensible Männer leiden zeitlebens unter ihrer intensiven Wahrnehmung, ihrer Reizoffenheit, und versuchen, sich den Vorstellungen der Gesellschaft über »normales Männerverhalten« anzupassen. Es ist der Anpassungsdruck, der sie belastet. Sie verstecken ihre Hochsensibilität, gehen Menschenansammlungen und Gruppenaktivitäten aus dem Wege, verbringen viel Zeit alleine oder täuschen bei zu hoher Belastung eine Krankheit vor. Oft fühlen sie sich unverstanden, ausgegrenzt und alleine. Diese Selbstwahrnehmung beginnt schon in der Kindheit, wenn hochsensible Jungen merken, dass sie anders sind.
Je mehr Verständnis diese Kinder erfahren, desto eher können sie ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln und sich mit ihrer besonderen Art der Wahrnehmung arrangieren. Damit das gelingt, müssen Eltern ihre Kinder verstehen und unterstützen. Aber auch die Öffentlichkeit sollte ein Gespür dafür bekommen, dass manche Menschen reizoffener und damit angreifbarer als andere sind. Am besten gelingt das durch Information. Fernsehbeiträge, Zeitungsberichte und Bücher tragen dazu bei, dass die besonderen Wahrnehmungsfähigkeiten von hochsensiblen Menschen nicht als Spinnerei abgetan werden. Medien werden aufmerksam und beginnen das Phänomen zu untersuchen. Auch die Wissenschaft beschäftigt sich zunehmend mit der Untersuchung von Menschen, die sich als besonders feinfühlig, empfindsam oder hochsensibel bezeichnen. Sie versucht herauszufinden, was es mit dem Phänomen auf sich hat. Nach und nach nimmt die Hochsensibilität ihren Platz in der Gesellschaft ein.
Hochsensibilität – ein junges Forschungsgebiet
Das Phänomen der Hochsensibilität oder Hypersensibilität interessiert viele Menschen, denn laut einer Umfrage ordnet sich jeder Fünfte dieser Gruppe zu. Sich anders zu fühlen als andere, besonders empfindlich zu sein oder keiner Gruppe anzugehören können Signale dafür sein, dass eine Hochsensibilität vorliegt. Doch eine klare Grenze zwischen erhöhter sensitiver Wahrnehmung und der Hochsensibilität ist nicht bekannt. Allerdings spricht für die Existenz eines solchen Persönlichkeitsmerkmales, dass das Interesse daran riesengroß ist. Viele Menschen tragen dieses Wissen um ihr Anderssein ein ganzes Leben lang mit sich herum und sind erleichtert und glücklich, wenn das Phänomen einen Namen bekommt.
»Unsere Umwelt ist komplexer geworden. Dass sich so viele mit Hochsensibilität identifizieren, kann ein Ausdruck ihrer Überforderung sein.«Die Psychologin Sandra Konrad leitet an der Bundeswehruniversität in Hamburg das einzige deutsche Forschungsprojekt zur »höheren sensorischen Verarbeitungssensitivität«, wie das Phänomen in der Fachsprache heißt.
Besonders Eltern hochsensibler Kinder oder betroffene Erwachsene suchen nach Erklärungen und Lösungen.
Elaine N. Aron, die »Mutter« der Hochsensibilität
1997 begann die amerikanische Psychologin Elaine N. Aron1 erstmals, das Thema wissenschaftlich aufzuarbeiten. Die meisten Bücher und Testverfahren zur Hochsensibilität beziehen sich auf die Erkenntnisse der Psychologin. Laut Elaine Aron ist die Hochsensibilität ein angeborenes und damit auch vererbtes Persönlichkeitsmerkmal. Diese hochsensible Veranlagung zeige sich bereits im Säuglingsalter, unter anderem durch ein intensives und aufmerksames Beobachten des Umfeldes, durch ein schnelles Quengeln bei zu vielen Aktivitäten und durch ein geringeres Bedürfnis, das Umfeld zu erkunden.
Bis heute gibt es noch keine eindeutige neurowissenschaftliche Definition, und auch die Diagnose der Hochsensibilität ist umstritten. Die Fachleute beschäftigen sich allerdings weiter mit dem Thema aus dem noch sehr jungen Forschungsgebiet. Trotzdem liegen bisher kaum wissenschaftliche Studien zum Phänomen der Hochsensibilität vor.
Untersuchungen aus den Jahren 2008 (Temperamentsforscher Mary Rothbart und David Evans) und 2015 (Psychologen Karin Sobocko und John Zelenski) befassen sich mit dem ursprünglichen Fragebogen zur Feststellung der Hochsensibilität. Die Ergebnisse der Tests sprechen gegen die Annahme, dass es sich bei der Hochsensibilität nach Aron um ein einzelnes, zusammenhängendes Konstrukt handelt. Vielmehr würde es sich hier um die Messung verschiedener Typen von Empfindsamkeit handeln.
Immer wieder wird daher die Frage gestellt, ob das Phänomen der Hochsensibilität wirklich existiert oder nur eine weitere neue Erfindung im Spektrum der vermeintlich besonderen Wesensmerkmale ist. Daher werden die empfindsamen Menschen in Bezug auf ihr Verhalten und ihre Fähigkeiten in unterschiedlichsten Zusammenhängen erforscht. Franziska Borries kam in ihrer Doktorarbeit an der Universität Bielefeld zu dem klaren Ergebnis, dass es hochsensible Menschen gibt. Sie kennzeichnet sie als Personen, »die sich von anderen in der Art und Weise unterscheiden, wie sie Stimuli wahrnehmen und verarbeiten.«2 HSPs (High sensitive persons) finden sich in allen Altersstufen und sozialen Schichten. Der Wesenszug bleibt das ganze Leben erhalten und befähigt die Betroffenen, sich gerade in zwischenmenschlichen Lebensbereichen sinnvoll und produktiv einzubringen.
2. Kapitel
Positive Merkmale von hochsensiblen Jungen
In vielen Büchern, Blogs oder Beiträgen wird die Hochsensibilität als Problem geschildert. In einer unsensiblen, auf Leistung und Äußerlichkeiten geprägten Umgebung haben es hochsensible Jungen in der Tat schwer. Stoßen sie jedoch auf Verständnis und können ihre besonders intensive Art der Wahrnehmung akzeptieren und einbringen, birgt dieses Persönlichkeitsmerkmal eine Fülle von Potenzial. Es ist sehr wichtig, Persönlichkeitsmerkmale nicht negativ zu betrachten, sondern sie wertzuschätzen und positiv anzusehen. Im Sinne einer sich selbst erfüllende Prophezeiung führt die negative Sichtweise häufig in eine Abwärtsspirale. Schaffen es Eltern und Kinder jedoch, ihre besonderen Fähigkeiten als Bereicherung zu betrachten, ändert sich die Haltung zur Hochsensibilität.
Dann kann die intensive Wahrnehmung von Details oder Emotionen für alle sehr bereichernd sein. Gespräche mit einem hochsensiblen Jungen eröffnen manchmal neue Fragen und können sich lange hinziehen. Wer nur oberflächlich smalltalken möchte, wird dies nicht zu schätzen wissen. Wer aber Freude und Spaß an guten Gesprächen hat, kommt mit einem hochsensiblen Jungen, jungen Mann oder Erwachsenen immer auf seine Kosten. Doch auch hier gibt es Grenzen, denn intensive Gespräche können erschöpfend sein. Wie bei allen intensiven Betätigungen und Handlungen ist dann eine kleine Pause notwendig, um die Beteiligten nicht zu überfordern.
Generell sind hochsensible Menschen schneller erschöpft als andere, besonders wenn sie sich in öffentlichen Situationen befinden und einer Reihe von Sinneseindrücken ausgesetzt sind.
Beispiel: Die Eltern von Jan (neun Jahre) sind mit ihrem Sohn auf einem Flohmarkt. Es ist heiß und voll, die Menschen drängen sich an den Ständen. Jan sucht nach einem speziellen Computerspiel und durchstöbert konzentriert die Auslagen. Nach 40 Minuten wirkt er plötzlich erschöpft. Seine Belastungsgrenze ist ausgereizt und er bräuchte nun dringend eine Pause von dem Trubel. Seine Eltern reagieren verständnisvoll: »Lass uns in den Schatten gehen und einWasser trinken, wir wollen ja schließlich Spaß haben und keinen Flohmarktmarathon absolvieren.« Sie reagieren auf Jans Signal mit Verständnis und profitieren selber von der erholsamen Pause. Danach haben alle noch Lust, den Flohmarkt weiter zu durchstöbern. Der Vormittag verläuft ohne Zwischenfälle und alle freuen sich über den schönen Ausflug.
Auch wenn die Eltern von Jan noch keine Anzeichen von Erschöpfung zeigen, so ist es doch sinnvoll, sich nach ihrem Sohn zu richten. Sobald sie seine Belastungsgrenze überschreiten, wird der Flohmarktbesuch zu einem Glücksspiel. Jan wird sich zusammenreißen, aber zunehmend lustlos und angestrengt sein. Seine Laune wird immer schlechter werden und die miese Stimmung wird sich auch auf seine Eltern übertragen. Da ist es nur klug, sich nach dem Jungen zu richten und das Beste aus der Situation zu machen. Schließlich schadet eine kleine Pause niemandem und Jan lernt dadurch, auf sich zu achten.
Die gute Wahrnehmungsfähigkeit von hochsensiblen Jungen und Mädchen hat viele Vorteile. Eine hohe Belastbarkeit und Stressresistenz gehören nicht dazu, aber ihre anderen Fähigkeiten können für Freunde oder die Gemeinschaft sehr hilfreich sein.
Das können Hochsensible richtig gut
⚫Hochsensible Menschen sind gute Zuhörer. Sie erkennen die Zwischentöne menschlicher Kommunikation besser, je älter sie werden.
⚫Sie sind nachdenklich und fragen gerne nach. Sie interessieren sich für die Hintergründe und möchten diese verstehen.
⚫Hochsensible nehmen viele Details auf, schauen genau hin, können gut analysieren.
⚫Sie merken sich viele Details, haben ein gutes Gedächtnis.
⚫Ältere Jungen und Erwachsene denken viel über sich und andere nach.
⚫Da sie ständig eine Vielfalt von Reizen und Informationen aufnehmen, steigert sich auch ihre Komplexität im Denken.
⚫Hochsensible haben oft ein gutes Körpergefühl und lernen intuitiv.
⚫Da sie Töne, Klänge, Gerüche und Farben intensiver wahrnehmen, haben sie oft auch eine musische oder künstlerische Ader.
⚫Sie sind häufig sehr verantwortungsbewusst, sowohl ihrer eigenen Gesundheit als auch dem Wohlergehen anderer gegenüber.
⚫Sie empfinden Gefühle intensiver als andere, sowohl die schönen als auch die negativen. Dadurch erleben sie wunderbare Glücksgefühle aber auch tiefe Verzweiflung.
Wichtig: Die Mutterbindung stärkt hochsensible Jungen
Wie sich die hohe Sensibilität von Kindern auswirkt, haben die niederländischen Entwicklungspsychologinnen Renske Gilissen und Marian Bakermans-Kranenburg von der Universität Leiden 2008 untersucht. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sich eine gute Mutterbindung für hochsensible Kinder sehr positiv auswirkt. Die empfindsamen Kinder wurden einem hohen Stress ausgesetzt, indem sie furchterregende Filme ansahen. Die hochsensiblen Kinder zeigten sich wesentlich ängstlicher als die anderen. Hatten Sie eine gute Mutterbindung, konnten sie mit dem Stress jedoch besser umgehen als die anderen Kinder.
Die Beziehung zur Mutter entscheidet laut dieser Studie ganz besonders darüber, ob und wie stark hochsensible Kinder unter Stress geraten. Mit einer guten Mutterbindung profitieren hochsensible Kinder in Stresssituationen sogar von ihrem Persönlichkeitsmerkmal. Eine gute Mutterbindung bestimmt demnach mit darüber, ob sich eine ausgeprägte Hochsensibilität günstig auswirkt oder nicht.
Hochsensibilität und die Informationsflut
Es ist nicht verwunderlich, dass mit fortschreitender Zivilisation auch die Hochsensibilität ein immer größeres Thema wird. In rasantem Tempo hat sich unsere Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten durch das Fernsehen und das Internet verändert. Alle Erwachsenen und Kinder sind einer ständigen Informationsflut ausgesetzt, der man sich kaum entziehen kann. Beschäftigten sich die Kinder vor wenigen Jahrzehnten noch hauptsächlich mit Freunden, Fernsehen am Wochenende und Büchern, so können sie sich heutzutage den verschiedenen Medien nicht mehr entziehen. Über Smartphones, Tablets, riesige Flachbildfernseher oder Desktop-PCs werden sie rund um die Uhr mit Bildern und Tönen versorgt. Kein Kaufhaus, in dem nicht mehrere Bildschirme flimmern und Musik läuft. Sogar in die Schulen haben die PCs über das Whiteboard flächendeckend Einzug gehalten. Je mehr Informationen den Kindern zur Verfügung stehen, desto größer ist die Verführung, diese auch abzurufen. Das Verweilen auf Inhalten ist nicht »in«, es muss schnell gehen.
Für hochsensible Menschen ist das eine Belastung, weil sie stets versuchen, die Informationen zu verarbeiten und zu verstehen. Positive und negative Ereignisse belasten sie stärker als andere. Kindern fällt es besonders schwer, sich gegen die Informationsflut und die vielen verschiedenen Reize abzugrenzen. Ein hohes Tempo ist heute Normalität, Langsamkeit liegt nicht im Trend. Das ist in vielen Bereichen sichtbar. Filme sind schneller geschnitten, Nachrichten wechseln sich in hohem Tempo ab, ein Trend jagt den nächsten und Zeitmanagement ist ein allgegenwärtiges Thema.
Je älter die Kinder werden, desto mehr steigt der Druck der Gruppe, sich über die sozialen Medien rund um die Uhr zu vernetzen. Wer sich aus diesem Kreislauf der Information ausklinkt und sich beispielsweise bei Facebook oder WhatsApp abmeldet, verliert schnell den Anschluss an die anderen. Ein Kind ist ab einem bestimmten Alter auf diese Informationsquelle fast schon angewiesen. Verabredungen werden über das Internet oder das Smartphone ausgemacht, denn das ist effektiver und geht schneller als jemanden anzurufen. Die Ablehnung der modernen Medien bedeutet zwar, mehr Freizeit zu haben und sich weniger stressen zu lassen, führt aber auch zu einer gewissen Einsamkeit.
Viele Kinder sind rundum verplant
Natürlich: Eltern wollen für ihre Kinder nur das Beste und überschütten sie mit Angeboten und materiellen Dingen. Das Kind soll schließlich gegenüber den anderen nicht zurückstehen müssen. Zu zahllosen Spielzeugen, die ein durchschnittliches Kind heutzutage in seinem Kinderzimmer hat, kommen noch zahllose Aktivitäten. Neben der Schule sollen Kinder sich auch im Freizeitbereich ständig beschäftigen und ihre Persönlichkeit weiterentwickeln. Oft bleibt da gar keine Zeit mehr, die erlebten Ereignisse zu verarbeiten und zur Ruhe zu kommen. Doch genau das brauchen hochsensible Kinder ganz besonders.