It's Kind of a Cheesy Lovestory - Lauren Morrill - E-Book
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It's Kind of a Cheesy Lovestory E-Book

Lauren Morrill

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Beschreibung

Eine Liebesgeschichte zum Dahinschmelzen! Gratis-Pizza ein Leben lang und pünktlich zum 16. Geburtstag ein Job im Hot 'N Crusty – was verlockend klingen mag, lässt Beck nur mit den Augen rollen. Weil sie auf der Toilette der Pizzeria zur Welt gekommen ist, wird sie ihren Ruf als Pizza-Prinzessin nicht mehr los, und das verdirbt ihr gewaltig den Appetit. Doch sie braucht das Geld und nimmt die Arbeit an, auch wenn ihr kaum noch Zeit für ihre coole Clique in der Schule bleibt. Dafür wachsen ihr die nerdigen Kollegen immer mehr ans Herz. Vor allem Tristan, der Lieferant, verdreht ihr mehr den Kopf, als ihr lieb ist. Ein köstlicher Jugendroman über Pizza, Freundschaft und die große Liebe!

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Lauren Morrill

It´s Kind of a Cheesy Lovestory

Aus dem Englischen von Birgit Niehaus

***Eine Liebesgeschichte zum Dahinschmelzen***

Gratis-Pizza ein Leben lang und pünktlich zum 16. Geburtstag ein Job im Hot ’N Crusty – was verlockend klingen mag, lässt Beck nur mit den Augen rollen. Weil sie auf der Toilette der Pizzeria zur Welt gekommen ist, wird sie ihren Ruf als Pizza-Prinzessin nicht mehr los, und das verdirbt ihr gewaltig den Appetit. Doch sie braucht das Geld und nimmt die Arbeit an, auch wenn ihr kaum noch Zeit für ihre coole Clique in der Schule bleibt. Dafür wachsen ihr die nerdigen Kollegen immer mehr ans Herz. Vor allem Tristan, der Lieferant, verdreht ihr mehr den Kopf, als ihr lieb ist.

Ein köstlicher Jugendroman über Pizza, Freundschaft, und die große Liebe!

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Viten

Für Jackson Pearce

DUBIST Hot ’N Crusty

When the moon hits your eye like a big pizza pieThat’s … a mess.(frei nach)Dean Martin

Prolog

Ich bin auf dem Fußboden der Damentoilette des Hot ’N Crusty Pizza zur Welt gekommen.

Meine Mutter, die nicht ahnte, dass die merkwürdigen Bauchschmerzen, die sie seit ein paar Stunden hatte, Wehen waren, verspürte plötzlich Heißhunger auf Pizza mit Ananas und grünen Oliven – und musste genau so eine haben, unbedingt. Schön wär’s, wenn man diesen fragwürdigen Belag ihren Schwangerschaftshormonen zuschreiben könnte, aber leider bestellt sie exakt diese Kombi bis heute.

Sie betrat also die Pizzeria und schaffte genau drei Schritte, da musste sie sich am Arm meines Vaters festklammern wie auf dem ersten Hügel der Achterbahn. Sie sagte, sie wolle jetzt doch keine Pizza mehr, sie wolle nur noch dieses Baby raushaben. Wenn Mom die Geschichte erzählt (und das tut sie oft), verschweigt sie gern die Endlossalve derber Flüche, die sie dabei ausstieß. Wenn Dad die Geschichte erzählt (und Mom nicht dabei ist), füllt er diese Lücke sehr genüsslich aus.

Als die beiden jedenfalls begriffen, dass ihr erstes Kind Hals über Kopf in einer ortsansässigen Pizzeria zur Welt kommen würde, zerrte Dad Mom schnell auf die Damentoilette.

»Keine Ahnung, das schien mir der naheliegendste Ort zu sein, wenn deine Frau auf einmal ein Kind bekommt«, lautet Dads einzige Erklärung für diese Entscheidung. Dabei sind öffentliche Toiletten ja nun nicht gerade für ihre sterilen Fußböden bekannt.

Ein pickliger Pizzabäcker namens Jordan war der Erste, der aktiv wurde. Er riss eine rot-weiß karierte Decke von einem der Tische, rannte hinter meinen Eltern her und breitete sie auf dem Boden aus. Meine Mutter legte sich hin und presste mich, zusammen mit einer Tonne Schmierkram, auf die Welt. Es ging alles sehr schnell, weshalb der Teenie-Pizzabäcker als Hebamme einspringen musste. Der Krankenwagen kam erst eine Viertelstunde später, denn in der Eile hatte niemand daran gedacht, die 911 zu wählen. Das taten sie erst, als ich schon auf dem Boden der Toilettenkabine brüllte.

Als ich endlich ins Krankenhaus kam, 3,34 Kilo schwer und stark nach Knoblauch riechend, wartete bereits eine Fernsehkamera auf mich.

Offenbar war die Nachricht von dem Vorfall im Polizeiticker gelandet, woraufhin eine beherzte blonde Lokalreporterin namens Molly Landau ihren Kameramann in den Übertragungswagen gezerrt hatte und ins Brook Park Memorial Hospital gerast war.

Früher haben meine Eltern die CD mit diesen Top-News mindestens einmal pro Jahr hervorgeholt – heute können wir den Spot einfach auf YouTube anschauen. Man sieht mich dort krebsrot und zerknautscht auf Moms Brust schlafen. Mom trägt ein Krankenhausnachthemd und sieht ziemlich fit aus für jemanden, der gerade eine Geburt ohne jede ärztliche Hilfe hinter sich gebracht hat. Ich stecke in einem brandneuen Strampler mit der Aufschrift »I’m Hot ’N Crusty«. Das war die Blitzidee von Del DiMarco gewesen, dem Besitzer der Pizzeria, der mit quietschenden Reifen zum Copyshop gefahren war, um das Ding in Auftrag zu geben. Nach der TV-Premiere des Stramplers hat Del übrigens seine gesamte Belegschaft dazu verdonnert, T-Shirts mit demselben Aufdruck zu tragen.

Tut mir leid, Leute.

Der kurze News-Spot zeigt meinen Vater, meine Mutter und Jordan, den Pizza-Geburtshelfer, wie sie sich über das Wunder des Lebens auslassen – nur eine Armlänge entfernt von der Toilette mit der automatischen Spülung. Die Nachricht war eine ziemliche Sensation. Ich wurde landesweit im Frühstücksfernsehen erwähnt. Ich war die Wohlfühl-Story bei verschiedenen überregionalen Kabelsendern, eine willkommene Abwechslung zwischen den endlosen Berichten über Kriege und politische Skandale. Selbst im People-Magazin tauchte ich auf. Denn meine Geschichte hatte nicht nur ein Happy End, Del hatte mir obendrein Gratis-Pizza auf Lebenszeit geschenkt und eine Jobgarantie ab meinem sechzehnten Lebensjahr. Was war ich doch für ein Glückspilz!

Es war meine erste Begegnung mit dem Ruhm.

Aber leider nicht meine letzte.

Eins

Ich sitze vor einer XXL-Salami-Pizza.

Mittendrin, in einem kleinen See aus rötlichem Öl, schwimmt ein flackerndes Teelicht. Gleich muss ich es auspusten und mir dabei etwas wünschen.

Um mich herum wird »Happy Birthday« gesungen – mit mal mehr, mal weniger Enthusiasmus. Rechts von mir sitzt Dad in seinem alten Brook-Park-Middle-School-Staff-Polohemd und trällert in besonders hoher Tonlage – ein Scherz, den er nach wie vor urkomisch findet. Links von mir konzentriert sich Mom darauf, ihr Dauerlächeln im Gesicht zu halten. Mein zehnter Geburtstag steckt ihr noch in den Knochen, da hatte der Foto­graf sie mitten beim Niesen erwischt. Del steht hinter mir. Er hat einen Oberkörper wie ein Bierfass und jede Zelle seines Körpers schreit: »ICH! BIN! ITALIENER!« Er führt den Chor seiner Angestellten an – eine müde und unbeteiligt dreinschauende Truppe aus Tresen-, Service- und Küchenkräften. Seine Stimme donnert wie die eines italienischen Opernsängers.

Das Hot ’N Crusty ist eine dunkle Höhle mit niedriger, holzvertäfelter Decke und schokobraunen Bodenfliesen. Die Fliesen sind immer klebrig, obwohl ich fast jeden Abend jemanden mit dem Wischmopp darübergehen sehe.

Lampen mit Pseudo-Glasmalerei baumeln an Ketten über den Tischen und tauchen den Raum in ein diffuses purpurnes Licht. Es gibt nur wenige Fenster, und die Sonne muss schon genau im richtigen Winkel reinscheinen, damit es mal kurz nicht nach Höhle aussieht. Die tiefrot gestrichenen Wände fügen dem Ganzen noch eine leichte Bordell-Note hinzu. Die Deko wiederum sieht aus, als hätte ein Italien-Reiseführer an die Wände gekotzt. Gewellte, angegilbte Poster des Schiefen Turms von Pisa, des Trevi-Brunnens und des Vatikans heischen um Aufmerksamkeit. Neben der Tür zu den Toiletten hängt sogar ein gerahmtes, mit persönlicher Widmung versehenes Foto von Papst Johannes Paul II. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es Dels Handschrift ist. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein Papst »Ich liebe dieses Knobibrot!« schreibt.

Auf den Tischen liegen rot-weiß karierte Decken, allesamt total ausgefranst. Jede einzelne sieht aus, als sei sie mindestens so alt wie das Exemplar, auf dem ich vor sechzehn Jahren geboren wurde. Aber zum Glück weiß ich, dass dieses spezielle Exemplar nicht darunter ist, denn ein quadratischer Ausschnitt davon hängt gerahmt – und gereinigt, Gott sei Dank – an der Wand, zusammen mit einer Sammlung von Zeitungsartikeln über meine Geburt.

Diese Collage markiert den Startpunkt meiner ganz persönlichen Hall of Fame im Hot ’N Crusty. Ihr kennt das sicher auch, oder? Eure Eltern haben die Wand neben der Treppe bestimmt auch mit Schulfotos von euch gepflastert, bis rauf in den ersten Stock? Und jedes Mal, wenn ihr dran vorbeilauft, rauscht euer Leben als Daumenkino an euch vorbei? Tja, das habe ich auch, nur dass es in meinem Fall keine Schulbilder sind, sondern fünfzehn Fotos von mir vor einer heißen Ofenpizza, eins aus jedem Lebensjahr. Und dass meine Galerie öffentlich zugänglich ist. Genial, oder?

Auf einigen der frühen Fotos weine ich, wie Babys das halt so machen. Später, zu Grundschulzeiten, bin ich von einer Horde Klassenkameraden umgeben. Aber danach, in der Mittelstufe, wird die Gruppe immer kleiner. Meine beste Freundin Natalie ist allerdings auf fast allen Aufnahmen drauf. Ihr weizenblondes Haar leuchtet wie ein Heiligenschein. Auf dem Foto aus der sechsten Klasse könnt ihr meinen missglückten Versuch bestaunen, mir einen Pony zu schneiden. Und auf dem Bild aus der Achten mein noch missglückteres Experiment mit geschwungenem Eyeliner. Meine Zahnspange taucht auf und verschwindet wieder, ebenso wie die verschiedenen Pizzeria-Mitarbeiter im Hintergrund. Doch auf jedem einzelnen Foto werde ich von meinen lächelnden Eltern flankiert. Und auf jedem Foto steht Del hinter mir und blickt stolz auf mich herab, so als wäre er mein Patenonkel – ein Titel, auf den er wahrscheinlich eifrig hingearbeitet hat, bis er irgendwann geschnallt hat, dass meine Eltern nicht die Spur religiös sind.

Ich blicke auf und schaue zu Larry am anderen Ende des Tisches. Seine riesige Kamera ist fertig aufgebaut und eingestellt – bereit für den großen Moment. Larry ist der einzig verbliebene Fotograf unserer Lokalzeitung, die inzwischen nur noch dreimal die Woche und sonntags erscheint. Er war schon bei dem Blatt, als es noch zweimal täglich erschien, wie er nicht müde wird zu erwähnen.

Das Geburtstagsständchen mündet in ein Crescendo. Larry ist kurz davor abzudrücken, um meinen sechzehnten Geburtstag für die Nachwelt festzuhalten. Das Foto wird schon bald neben den anderen an der Wand hängen und außerdem in der Sonntagsausgabe seiner Zeitung abgedruckt werden. Ich drücke mir selbst die Daumen, dass bis dahin der Typ wieder zuschlägt, der regelmäßig Penisse an die Wände des Gerichtsgebäudes in der Innenstadt sprayt – dann komme ich wenigstens nicht auf die Titelseite. Fast hätte ich das als Kerzen-auspust-Wunsch gewählt, aber in letzter Sekunde entscheide ich mich doch für meinen ursprünglichen Wunsch. Seit meinem dreizehnten Geburtstag ist es immer derselbe.

»Happy birthday, liebe Beck …«, singt die Menge. »Happy birthday to youuuuuuuu.«

Es folgt ein kraftloser Applaus, dann schlurfen Dels Mitarbeiter zurück zu ihren jeweiligen Arbeitsplätzen. Dad pfeift und lässt mich hochleben, während Mom sich an mich lehnt und flüstert: »Wir haben dich so lieb, Beck!« Ich kneife meine Augen zu, beuge mich vor, und bevor ich das traurige kleine Teelicht auspuste, schicke ich meinen Wunsch ins Universum.

Nächstes Jahr möchte ich woanders essen gehen.

»Ich hoffe, du hast dir kein Auto gewünscht.« Dad angelt sich ein drittes Stück Pizza.

»Nee, nur ungehinderten Zugang zu einem schnuckeligen Toyota Corolla von 2005 mit zweifelhafter Klimaanlage«, antworte ich und knabbere an meiner Pizzakruste. Der käsige Teil auf meinem Teller ist schon kalt.

»Es soll ja vorkommen, dass Wünsche wahr werden«, sagt Dad.

»Wir fahren Samstagmorgen, oder?«, frage ich. Wochenlang habe ich in Vorbereitung auf die Fahrprüfung die Dreipunktwendung und das parallele Einparken geübt. Selbst wenn ich kein Auto bekomme, den Führerschein bekomme ich auf jeden Fall.

»Wir schlagen da auf, sobald sie öffnen. Dann haben die Fahrprüfer noch gute Laune«, sagt Dad. »Ich hab sogar überlegt, ein paar Donuts mitzunehmen. Du weißt schon, das Getriebe ein bisschen schmieren …«

»Traust du mir so wenig zu?«

»Beck, du weißt, ich hab dich lieb und ich glaube, dass du alles schaffst, was du dir in den Kopf setzt.« Er wuschelt mir durchs Haar, wie früher, als ich klein war. »Aber der Toyota hat immer noch einen gelben Kratzer im Lack, da, wo du die Bücherrückgabebox der Bibliothek gerammt hast.«

»Das ist Monate her«, grummele ich und drücke mein Haar wieder platt. Dad hatte beschlossen, ein paar ausgeliehene Bücher zurückzugeben, mit mir am Steuer. Es war eine meiner ersten Fahrstunden auf offener Straße. Ich hab an jenem Tag viel gelernt – zum Beispiel, dass die beiden Außenspiegel wirklich ganz schön weit abstehen. Und gerammt habe ich seitdem auch nichts mehr – wenn man von dem Bordstein absieht, an dem ich parallel einparken wollte. Aber das muss ich in einem Vorort wie Brook Park ja gar nicht können, denn hier gibt’s überall riesengroße Parkplätze – vor jeder Shopping-Mall. Ich will nicht behaupten, dass ich eine Profifahrerin bin, aber Kinder und streunende Katzen müssen definitiv nicht zu Hause bleiben, wenn ich auf den Straßen unterwegs bin.

»Zu schade, dass Natalie es nicht geschafft hat«, sagt Mom unvermittelt.

Ich kommentiere das nicht, denn um ehrlich zu sein: Ich habe Natalie gar nicht eingeladen. Ich wusste ja, dass sie Tanzunterricht mit Tamsin und Cora hat. Natalie hätte ihn ganz sicher ausfallen lassen, um mit mir zu feiern, aber ich wollte nicht, dass es mit den zwei anderen kompliziert wird. Wir sind noch eine ziemlich neue Clique – Natalie und ich, Tamsin und Cora, dazu noch Tamsins Zwillingsbruder und seine Kumpel.

Ich meine, sie müssen ja nicht gleich zu Beginn unserer Freundschaft erfahren, dass ich das Hot ’N Crusty-Toiletten-Baby bin. Wenn es eine Chance gibt, das nicht an die große Glocke zu hängen, dann ergreife ich sie natürlich. In einer Kleinstadt hat man schnell seinen Ruf weg – und bei mir ging’s noch ein bisschen schneller. Auf dem Schulhof haben mir die Kinder Pizza-Wortspiele an den Kopf geknallt, bevor sie überhaupt wussten, was Wortspiele sind. Und »Toiletten-Baby« ist als Spitzname einfach nicht zu toppen. Den kann kein Kind der Welt links liegen lassen. Schön wär’s, wenn wir aus alldem herausgewachsen wären, aber in einer Kleinstadt wächst man nicht so schnell aus etwas heraus. Ich werde das Toiletten-Baby bleiben, solange ich hier wohne. Was sich hoffentlich bald ändern wird. In den letzten Jahren habe ich versucht, mich aus alledem rauszuziehen, und ansatzweise ist mir das auch gelungen. Klar, an meinen Geburtstagen, wenn die Lokalzeitung das obligatorische Glückwunschfoto bringt, ploppt die Geschichte regelmäßig hoch. Aber kurz danach verschwindet sie auch wieder. Und in zwei Jahren, wenn ich auf irgendeinem College bin und meinen Geburtstag mit ein paar Büchern in der Bibliothek feiere oder auf dem Tisch eines Studentenwohnheims tanze, wird definitiv keine Pizza mehr im Spiel sein!

»Wir feiern am Wochenende nach«, erkläre ich Mom.

Tamsin hatte letzte Woche verkündet, dass sie für Samstagabend ein »Geburtstagsspektakel« (ihr Wort) plant. Einerseits freut mich das natürlich, andererseits bekomme ich schon beim Gedanken an ein »Spektakel« zu meinen Ehren Schweißausbrüche.

»Mit wem denn alles?«, fragt Mom betont beiläufig. Dabei platzt sie fast vor Neugierde, das sehe ich.

Ich zähle ein paar Namen an den Fingern ab. »Natalie, Tamsin, Cora, Tamsins Zwillingsbruder Colin, Coras Freund Eli und deren Freund Mac.«

Ich hoffe, dass meine Wangen nicht allzu rot geworden sind, denn innerlich stehe ich in Flammen – wie immer bei der Aussicht auf einen gemeinsamen Abend mit Mac MacArthur. Ich kann immer noch nicht fassen, dass das jetzt anscheinend ein sich widerholendes Ereignis ist.

»Klingt, als werdet ihr Spaß haben …«, sagt Mom und schweigt vielsagend, während sie eifrig in ihrem Salat herumstochert. Die drei Spannungspünktchen am Ende ihres Satzes schweben noch eine Weile über ihrem Kopf. Sie würde so gerne mehr erfahren, aber sie wird nicht fragen. Sie ist eben eine gute Mutter. Und trotzdem werde ich ihr nicht mehr erzählen – was mich wahrscheinlich zu einer schlechten Tochter macht. Mom ist immer noch völlig von den Socken, dass seit Neuestem auch Jungs zu meinem Freundeskreis gehören – und obendrein noch welche, die sie nicht kennt. Sie leidet darunter, dass ich ihr nicht mehr alles erzähle, das ist mir klar. Aber über bestimmte Dinge will ich mit ihr einfach nicht reden. Zum Beispiel darüber, dass ich in Mac schon so lange und so heftig verknallt bin, dass ich mich gar nicht mehr erinnern kann, wie es ist, nicht in ihn verknallt zu sein. Ich will ihr auch nicht erzählen, dass Tamsin mich ein bisschen einschüchtert oder dass ich Angst habe, Natalie könnte nur noch aus alter Gewohnheit meine beste Freundin sein. Denn ich weiß genau, was Mom zu alldem sagen würde.

Das Ding ist nämlich: Mom hat es mit den Lebensweisheiten. Bei der Lebensweisheiten-Olympiade würde sie in allen Disziplinen Gold abräumen. Ein Buch mit ihren Weisheiten und Motivationssprüchen wäre sofort auf Platz 1 der New York Times-Bestsellerliste. Sie ist Amerikas unangefochtene Lebensweisheitsgöttin. In diesem speziellen Fall würde sie mir raten, einfach ich selbst zu sein. Meine wirklichen, wahren Freundinnen würden dann schon zu mir halten. Und jede, die mich nicht versteht, die nicht kapiert, wie ich ticke, wäre eben keine echte Freundin. Und – seien wir realistisch: Sie würde mich obendrein noch in ein peinliches Gespräch über sexuelle Gesundheit verstricken. Mal wieder. Aber nichts davon will ich hören (und schon gar nicht will ich mit ihr über Geschlechtskrankheiten und den richtigen Gebrauch von Kondomen reden, brrr). Die Wahrheit ist nämlich: Ich verstehe mich selber nicht. Ich weiß selbst nicht, wie ich ticke. Wer ich bin. Null.

Ob Mom auch dafür die passende Lebensweisheit hat? Keine Ahnung.

Ich weiß nur, dass ich mich mag, wenn ich mit Natalie, Tamsin und Cora zusammen bin. Oder mit den Jungs aus der Baseball-Mannschaft abhänge. Oder zu Football-Spielen gehe. Oder versuche, Tamsins Choreografie zu folgen, die sie zu irgendeinem Song aus ihrem Telefon tanzt. Ich will genau die Beck sein, die ich in diesen Momenten bin: eine Beck, die durch den Tag kommt, ohne sich in einem Dickicht blöder Pizza-Sprüche zu verfangen.

Mom stapelt ihren Teller, ihr Besteck und die Serviette ordentlich aufeinander, damit die Servicekraft abräumen kann. Dann lehnt sie sich seufzend auf ihrem Stuhl zurück.

»Nicht zu fassen, dass es sechzehn Jahre her ist, seit ich zum Pizza-Essen reingekommen und mit dir auf dem Arm rausgegangen bin.«

»Um ehrlich zu sein, bist du rausgerollt worden, Schatz«, korrigiert Dad mit einem Augenzwinkern.

Und jetzt folgt der Teil der Familien-Geburtstagstradition, den ich tatsächlich mag. Denn obwohl meine Geburtsgeschichte wirklich sehr schräg ist und mir für den Rest meines Lebens einen Stempel aufgedrückt hat, ist sie doch auch ziemlich großartig. Oder vielleicht sind meine Eltern auch nur besonders gut darin, sie zu erzählen. An dieser Stelle wird das Ausschmücken meiner Geburtsgeschichte regelmäßig zu einer Art Varieté-Nummer. Mom fängt an, in nostalgischen Erinnerungen zu schwelgen, und Dad springt ihr alle naselang mit irgendwelchen schillernden Details bei. Sie kennen ihren jeweiligen Text in- und auswendig, so perfekt, dass auch ich ihn mittlerweile fehlerfrei aufsagen könnte. Wir lachen uns alle drei kaputt, und am Ende weiß ich immer genau, was für ein Glückspilz ich bin, dass ich diese zwei Nerds als Eltern habe. Deshalb stimme ich unserer jährlichen Pizza-Party auch immer wieder zu – mit den Fotos und der Zeitung und der Wall of Shame und allem Drum und Dran. Weil es Mom und Dad glücklich macht. Und deshalb lächele ich in die Kamera, obwohl ich vor Scham innerlich so verkrampft bin, dass ich eigentlich eine Ganzkörper-Muskelzerrung bekommen müsste.

Als der erste Schwung unseres Geschirrs abgeräumt ist und Dad nach Geld kramt (das Essen ist zwar umsonst, aber Dad gibt immer ordentlich Trinkgeld), baut sich Del am Ende unseres Tisches auf. Er stemmt die Hände in die Hüften, die Füße schulterbreit auseinander wie Superman, und betrachtet uns mit einem breiten Lächeln, das er irgendwo unter seinem buschigen Schnauzer hervorkramt.

»Ein weiteres tolles Jahr für Familie Brix, was?«, fragt er mit seiner dröhnenden Stimme. Er bückt sich nach einer Papierserviette auf dem Boden und steckt sie in seine Tasche. Das Hot ’N Crusty kann noch so … na ja … heiß und knusprig sein, aber Del ist total pingelig, was die Räumlichkeiten angeht. Der Laden ist einfach sein ganzer Stolz, seine ganze Freude. »Ach ja … Beck, ich hab noch ein bisschen Papierkram, den du ausfüllen müsstest. Komm doch bitte am Tresen vorbei, bevor du gehst, ja? Dann sprechen wir kurz über deinen ersten Arbeitstag. Wir freuen uns so, dich endlich in unserem Team zu haben!« Er klatscht in die Hände wie ein Little-League-Coach, und im nächsten Moment ist er verschwunden – einer Kellnerin zu Hilfe geeilt, die kurz davor ist, ein Tablett voller Limo auf den Schoß eines älteren Gasts fallen zu lassen.

Ich blicke zu meinen Eltern hinüber, aber die sind schwer damit beschäftigt, die restlichen Teller zu stapeln und ihre Sachen zusammenzusuchen.

»Äh, wieso geht er davon aus, dass ich den Job machen werde?«, frage ich.

»Wirst du nicht?«, fragt Mom zurück.

»Nein, werde ich nicht«, sage ich. Wir hatten diese Diskussion schon vor ein paar Wochen, als meine Eltern mich an Dels Geburtsgeschenk erinnert haben. Es ist ein nettes Angebot … aber mehr auch nicht. Ein Angebot. Eines, das ich auf keinen Fall annehmen werde. Jetzt plötzlich sind meine Eltern verdächtig still. Dad kramt noch immer in seinem Portemonnaie he­rum, als würde ein Lotto-Gewinnerlos darin stecken, und Mom starrt auf ihr Handy, obwohl sie keine einzige witzige App darauf hat.

»Aber du brauchst doch einen Job, Beck«, sagt Dad, nachdem er sein Portemonnaie endlich in die Tasche gesteckt hat.

»Ja, aber nicht diesen. Das haben wir doch schon besprochen.«

»Aber du hast ja keinen anderen gefunden. Deshalb hab ich, als ich die Reservierung für heute Abend gemacht habe und Del fragte, ob du noch interessiert bist …« Mom beißt sich auf die Lippe. Sie weiß, dass sie’s verbockt hat. Normalerweise ist Mom ziemlich gut darin, mich meine Sachen selbst regeln zu lassen. Aber ausgerechnet diesmal hat sie’s vergeigt. Indem sie Del gesagt hat, ich würde im Hot ’N Crusty anfangen. Was für ein Albtraum!

»Du hast ihm zugesagt, ohne mich zu fragen?«

»Nein, ich hab ihm nur gesagt, dass du noch verfügbar bist. Aber du weißt ja, wie enthusiastisch Del sein kann …«, murmelt Mom. Ja, das weiß ich allerdings. »Ich bin sicher, dass du noch absagen kannst.«

Aber ich will ihm nicht absagen. Ich will einfach so tun, als gäbe es all das nicht. Natürlich hat Mom recht. Del ist ein enthusiastischer Typ. Ihm zu sagen, dass ich seinen Job nicht will, ist, als müsste ich bei einer Macy’s Parade eine Nadel in einen der riesigen Ballons bohren und zusehen, wie langsam die Luft entweicht, bis er ein schlapper Haufen auf dem Asphalt ist.

»Du kannst natürlich jobben, wo du willst, Beck. Aber einen Job brauchst du. Und dieser hier scheint mir ziemlich gut zu sein«, sagt Mom behutsam und wirft Dad einen Blick zu. Wieso habe ich das Gefühl, als hätten die beiden schon ausführlich darüber gesprochen?

»Im Gastrobereich gibt es wesentlich schlechtere Jobs. Stell dir vor, du müsstest an der Kasse eines Drive-ins oder irgendwo an der Fritteuse stehen.« Dad tippt vielsagend auf die silbrige Narbe, die seit einem Schülerjob bei Burger Barn seinen Handrücken ziert. »Ich wette, Del zahlt auch besser als die Goldenen Bögen.«

»Du musst natürlich nicht«, sagt Mom. »Du kannst dich bewerben, wo du willst. Bei Del hättest du einfach den Vorteil, dass du keine Bewerbung schreiben und kein Gespräch führen musst. Und du könntest in Jeans aufkreuzen.«

Ich lasse meinen Blick durch den Laden schweifen. Mustere Dels Mitarbeiter – die heutige Abendschicht. Ich habe sie nie sonderlich beachtet, obwohl sie in all meinen Fotoalben auftauchen. Es ist eine Mischung aus mürrischen Oberschülern (ein paar von ihnen kenne ich vage von der Brook Park High) und einigen Älteren, die aussehen, als würden sie entweder gleich kündigen oder als hätten sie sich damit abgefunden, bis zu ihrem Tod in dieser Pizzeria festzuhängen. Sie tragen alle Jeans. Ansonsten besteht ihre Uniform aus dem unvermeidlichen roten »I’m Hot ’N Crusty«-T-Shirt und einem schwarzen Basecap mit rot aufgesticktem HnC. Okay, es gibt schlimmere Uniformen. Und natürlich haben Mom und Dad recht: Ich brauche wirklich einen Job. Meine Eltern zahlen mir ein kleines Taschengeld, das für Sachen wie Kino oder hin und wieder einen Café- oder Barbesuch mit Freunden reicht. Sogar eine Jeans ist mal drin, wenn ich die Schnäppchenangebote abpasse.

Aber darüber hinaus finanzieren sie mich nicht. Das können sie nicht. Dad ist Sozialkundelehrer an einer Middleschool und hat erst vor Kurzem seinen Studienkredit abgestottert, und Mom war schon immer zu Hause. Vor meiner Geburt war sie ebenfalls Lehrerin. Sie hat Hauswirtschaft unterrichtet. Allerdings hieß es anders, es hatte einen komplett idiotischen Namen: Family Life Science oder so ähnlich. Sie hat Kochen, Nähen, persönliche Finanzplanung und andere Fächer unterrichtet, alle wahrscheinlich tausendmal nützlicher als Algebra oder Trigonometrie. Aber nach meiner Geburt hat sie damit aufgehört. Mom hat das Unterrichten geliebt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie insgeheim nur darauf gewartet hat, Mutter zu werden und zu Hause bleiben zu können. Und als sich diese Gelegenheit mit mir dann bot, hat Mom sie ruckzuck ergriffen – und zwar mit jeder Faser ihres Körpers. Sie war von Anfang an der Typ Bastel-Vorlese-Spiel-Koch-und-Back-Mutter. Als ich in die Schule kam, war sie sofort Elternsprecherin und Ausflugsbegleiterin und ein paarmal sogar Vorsitzende des Gesamtelternbeirats.

Als ich älter wurde, hatte sie nicht mehr ganz so viel zu tun. Aber statt eine ruhige Kugel zu schieben, hat sie sich gleich in einen neuen Job gestürzt: als Bäckerin und Konditorin. Das kann sie wirklich gut, aber da sie es nicht Vollzeit und im großen Stil betreibt, sondern in unserer Küche zu Hause, verdient sie nicht so viel. Jedenfalls nicht genug, um mir ein Taschengeld zu zahlen, das es mir erlauben würde, bei Tamsins Wochenend-Shopping-Touren mitzuhalten. Und erst recht nicht genug, um mir, nach bestandener Führerscheinprüfung, das Benzin und die Versicherung zu zahlen.

Deswegen muss ich arbeiten. Nur nicht ausgerechnet hier. Ich will weg vom Hot ’N Crusty und nicht den Personalschlüssel des Ladens verbessern. Als wir durch die Tür schlurfen und auf Moms Subaru-Kombi zusteuern, zerbreche ich mir bereits den Kopf, wie ich an einen anderen Job komme. Und zwar schnell! Denn irgendetwas sagt mir, dass meine Eltern zwar einverstanden sind, wenn ich woanders arbeite, dass sie aber nicht ewig warten werden, bis ich etwas gefunden habe.

Zwei

Die Plastikkarte glänzt noch, die Ecken sind messerscharf. Ich habe meinen Führerschein heute Morgen bekommen und mich danach etwas zu lange vor Dad gebrüstet, dass ich im ersten Anlauf bestanden habe. Ich kann mich nicht sattsehen an meiner nigelnagelneuen Fahrerlaubnis. Sie kommt mir vor wie ein Flugticket in die Zukunft. Ich bin dem Erwachsenenleben einen Riesenschritt näher gekommen. Einen Riesenschritt in Richtung: Brook Park verlassen und nie wieder das Hot ’N Crusty-Toiletten-Baby sein.

»Lass mal sehen!« Tamsin nimmt mir die Plastik­karte ab und beäugt das briefmarkengroße Foto, das durch all die Hologramme, Wasserzeichen und sonstigen Antifälschungs-Maßnahmen kaum zu erkennen ist. Die milchweiße Haut ihrer Nase kräuselt sich. »Ich hätte dich davor vernünftig schminken sollen.«

»Ich hatte Angst, dass das ein schlechtes Omen ist«, erkläre ich, nehme ihr den Führerschein wieder ab und betrachte das Foto. Ich habe einen Pickel auf dem Kinn, und meine Haare, die normalerweise herunterhängen wie Spaghetti, nehmen auf dem Foto merkwürdig viel Platz ein. Aber mir gefällt es trotzdem. Meine Sommersprossen sind nicht zu erkennen und meine grünen Augen heben sich schön vor der grauen Kulisse des Department of Motor Vehicles ab.

»Du bist zu abergläubisch«, sagt Tamsin und wirft ihre feuerrote Mähne zurück.

»Ich finde, ich bin gerade abergläubisch genug«, murmele ich.

»Was willst du, Tamsin?«, schaltet sich Colin ein. »Wir können nicht alle so krachend durchfallen wie du.«

»Ich behaupte nach wie vor, dass das Bullshit war.« Tamsins Stimme schraubt sich in eine gefährliche Höhe und Lautstärke. Tamsin würde lieber sterben, als dem Debattierklub beizutreten, was schade ist, denn mit ihrer aufrichtig entrüsteten Art würde sie es garantiert sofort in die Landesausscheidung schaffen. »Ich hatte massenhaft Platz, um noch vor Rot rechts abzubiegen. Das Auto war nicht mal ansatzweise dabei, mich zu rammen, und die Frau war ganz eindeutig unterzuckert oder unterkoffeiniert. Oder vielleicht hätten sie mir ganz einfach nicht so einen nervösen Prüfer ins Auto setzen sollen. Ich kam mir vor, als würde ich meine Uroma herumkutschieren.«

»Wenn es eine halbe Stunde in deinem Leben gibt, in der du so fahren solltest, als hättest du deine Uroma neben dir, dann ist das ja wohl die Führerscheinprüfung.« Colin verdreht die Augen, obwohl auch er es sich eigentlich nicht leisten kann, große Töne zu spucken. Okay, er hat seine Prüfung im ersten Anlauf bestanden, aber schon zwei Wochen später hat er seinen Pick-up um einen Telefonmasten gewickelt. Er ist zum Glück mit ein paar Schrammen davongekommen, dafür hat Mr Roy seinen Führerschein für sechs Monate einkassiert. Väterliche Erziehungsmaßnahme. Colin hat ihn erst vor Kurzem zurückbekommen – zusammen mit einem nagelneuen Pick-up, den er hoffentlich nicht so schnell schrottet.

Tamsins »Geburtstags-Spektakel« hat sich als Ausflug zum Pearce Lake entpuppt. Nach der wortgewaltigen Ankündigung eigentlich eine ziemlich kleine Nummer, aber ich finde es perfekt. Goldrichtig. Und irgendwie zeigt es vielleicht auch, dass Tamsin mich doch versteht. Für Ende September ist es noch ziemlich warm, deshalb haben wir Burger und Würstchen gegessen, die Eli auf dem Smokey Joe seines Vaters gegrillt hat. Dann haben wir auf den Sonnenuntergang gewartet und die Jungs haben eine ganze Kiste Böller und Raketen gezündet. Gut zwanzig Minuten hat das Feuerwerk gedauert, und außer dass Colins Augenbrauen zweimal fast verkohlt wären, ist nichts Schlimmes passiert. Seitdem hängen wir ab. Die Türen von Tamsins moosgrünem Range Rover stehen offen, aus den Lautsprechern dröhnt ihre Playlist. Die Jungs haben mit Stöcken, die sie am Seeufer gefunden haben, ein bisschen Baseball-Schlagtraining gemacht und reihenweise Steine ins Wasser gedroschen. Die Baseball-Saison beginnt zwar erst im Februar, aber sie alle spielen Herbstturniere für eine regionale Auswahlmannschaft. Und das bedeutet, dass sie das ganze Jahr über Schlagen üben – tagein, tagaus, mit allem, was so herumliegt. Als hätten sie eine Art athletischen Tick. Sobald sie in die Nähe von etwas kommen, das sich als Schläger eignet, kann man sich nur noch wegducken.

Jetzt lässt Mac seinen Stock fallen und kommt das sandige Ufer hinauf, die Schuhe in der Hand. Der Mond übergießt ihn mit silbrigem Licht – so als wüsste das Universum, dass dieser Typ seinen persönlichen Scheinwerfer braucht. Ich muss daran denken, wie er mir zum ersten Mal richtig aufgefallen ist. Es war der erste Schultag in der Neunten und Mac war bestimmt zehn Zentimeter größer aus den Sommerferien zurückgekehrt. Sein Haar war zerzaust und seine Zahnspange weg. Er wirkte, als sei er endlich in seinen Körper hineingewachsen. Er schlenderte mit seinem schlaksigen, entspannten Gang umher, der mir inzwischen so vertraut ist, dass ich ihn, wenn er hinter mir geht, schon am Geräusch seiner großen Füße erkenne. Ich war eigentlich auf der Stelle verknallt, aber erst letztes Jahr habe ich zum ersten Mal ein Wort mit ihm gewechselt. Natalies Tanzstudio hatte dichtgemacht, deshalb ist sie zur Madison School am anderen Ende der Stadt gewechselt. Dort landete sie in dem Kurs von Tamsin und Cora. Es dauerte nicht lange und wir vier Mädchen hingen andauernd zusammen herum. Und als Cora irgendwann mit Eli ging, hatten wir plötzlich auch noch drei Jungs in unserer Clique: Eli, Colin und Mac. Am ersten Tag nach den Winterferien in der Zehnten setzte sich Mac in der Cafeteria plötzlich neben mich und rief damit unseren Mittagspausen-Tisch ins Leben (ich kann’s immer noch nicht glauben). Ich schwör’s euch, ich wäre fast zu einer Beck-Pfütze zusammengeschmolzen und auf dem fleckigen Linoleum zerflossen. Er blitzte mich mit seinem unglaublich strahlenden, authentischen Lächeln an und stellte sich vor.

»Ich bin Mac«, sagte er, während er seine Milchpackung aufriss. Woraufhin ich zur kommunikativen Höchstform meines bisherigen Lebens auflief. Immerhin konnte ich mir ein »Ich weiß« verkneifen.

Spätestens seit dem Tag war es komplett um mich geschehen.

Als Mac jetzt vom Ufer zu mir herüberspaziert, lächelt er mich mit dem gleichen Lächeln an wie damals. Ich lächele zurück – hoffentlich cool und relaxt und nicht auf eine Ich-möchte-dich-ins-Wasser-schmeißen-und-bis-zur-Besinnungslosigkeit-abknutschen-Weise. Ich hole tief Luft und frage mich, ob er sich zu mir auf die Picknickdecke setzen wird, aber in dem Moment kreischt Tamsin los und zieht sämtlich Aufmerksamkeit auf sich.

»Sie haben’s wirklich gebracht!«, jubelt sie und wedelt mit ihrem Handy. Das Display leuchtet. Es ist wenige Sekunden nach Mitternacht, die Sonntagsausgabe unseres Käseblatts ist jetzt online. Und weil niemand die Bank im Stadtzentrum ausgeraubt oder sein Auto ins Freibadbecken gefahren hat, prangt mein Geburtstagsfoto prominent auf der ersten Seite. Meine Eltern grinsen, Del sieht aus, als hätte er den Jackpot geknackt, und ich lächele – aber nur mit dem Mund, nicht mit den Augen. Das Foto gehört nicht zu den schlimmsten – das fieseste ist eindeutig das aus der sechsten Klasse, als ich mir am Vorabend selbst einen Pony geschnitten hatte.

Das Handy beleuchtet Tamsins breites Grinsen. »Du siehst gut aus, Beck. Das lila Tanktop steht dir gut. Tolle Farbe.«

»Danke«, sage ich und lasse das Kompliment über mich ergehen. Das Top habe ich von Tamsin. Sie hat es mir am Morgen in der Schule geschenkt, eingewickelt in passendes lila Papier und einen Wust von Schleifen und Bändern.

Mac beugt sich über ihre Schulter, um einen Blick auf das Handy zu erhaschen, und ich versuche, nicht in Grund und Boden zu versinken, während er das Foto betrachtet. Gefällt ihm das lila Top? Kann er den Pickel auf meinem Kinn sehen? Er war gerade am Aufblühen, aber der SOS-Anti-Pickel-Stift, den ich von Cora habe, hat ihn halbwegs erfolgreich zurückgedrängt. Mag er es, wie ich meine Haare gelockt habe? Sie rahmen mein Gesicht ein – ein Trick, den Natalie und ich aus einem YouTube-Tutorial haben.

»Du hast so ein Schwein! Gratispizza bis ans Lebensende? Das ist ja wie … eine Torserie!«

Ich bin schlagartig ernüchtert. Natürlich schaut er gar nicht mich an. Seine Augen kleben auf der XXL-Salami-Pizza vor mir. Klar, Pizza ist ja auch unwiderstehlich. Ich dagegen bin nur … ich. Von Pizza in den Schatten gestellt zu werden, ist praktisch mein Schicksal.

»Also, ich wär lieber im Margaritas geboren«, schaltet sich Eli ein. »Lebenslang Gratis-Tacos – das wär’s.«

»Wärst du im Margaritas geboren, hätten sie inzwischen längst dichtgemacht. Die hätten sich’s doch gar nicht leisten können, dich durchzufüttern, du menschlicher Müllschlucker«, sagt Cora.

Ich habe im Laufe meines Lebens ungefähr zehntausend Variationen dieses Gesprächs gehört. Denn natürlich hat jeder, wirklich jeder, eine Idee, womit er gerne lebenslang gratis versorgt werden würde. Eis? Cheeseburger? Mein Onkel Nate scherzt gerne, dass seine zukünftige Frau ihr Baby bitte schön in einer Bank bekommen soll, weil es dann ohne Ende Geld gibt. Ich selbst wünschte, ich hätte meinen chaotischen Einzug in die Welt bei MacArthur Toyota gehalten. Macs Vater verschenkt nämlich andauernd Autos bei Wohltätigkeitsevents und so. Hätte Mom mich in seinem glänzenden weißen Showroom geboren, wäre ich wahrscheinlich die Prius-Prinzessin – und nicht das Hot ’N Crusty-Toiletten-Baby. Dann könnte ich jetzt, zu meinem sechzehnten Geburtstag, ein schickes neues Auto fahren – statt Pizza verkaufen zu müssen, für ein paar Dollar über dem Mindestlohn. Außerdem hätte ich wahrscheinlich jeden einzelnen Geburtstag mit Mac verbracht. Verdammt, warum musste Mom ausgerechnet Heißhunger auf Pizza haben? Warum konnte sie nicht unbändige Lust auf eine Testfahrt verspüren?

Eine Windböe lässt mich frösteln und ich ziehe meine Hände in die Ärmel meines Brook-Park-Trojan-Shirts. Was für ein Glück, dass nicht mehr Hochsommer ist! Wäre es ein bisschen wärmer, würde Tamsin uns wahrscheinlich zum Nacktbaden animieren, sie steht auf verrückte Aktionen. Und Nacktbaden ist nun wirklich nichts, was ich in meinem Leben brauche. Klar, in der Theorie klingt es ganz verlockend, mich in Macs Gegenwart bis auf die Unterwäsche zu entblättern. Aber in der Praxis muss ich vorher noch ein paar romantische Meilensteine abhaken. Zumindest würde ich ihn gern mal geküsst haben, bevor ich ihm meinen rosa Baumwollschlüpfer mit den Lamas drauf präsentiere.

Die Playlist in Tamsins Auto läuft auf Shuffle. Gerade ist ein alter Boyband-Song dran. Wie auf ein geheimes Zeichen springen Tamsin und Cora von ihrer Decke im Sand auf, und im nächsten Moment stecken sie schon mitten in einer Choreografie, absolut lässig.

»Na los, komm schon, Natalie!«, ruft Cora und winkt sie zu sich auf die improvisierte Uferbühne. »Das kannst du auch!«

Neben mir stöhnt Natalie auf, aber nach kurzem Protest ist sie ebenfalls auf den Beinen und steigt mühelos in die Performance der beiden ein. Sie tanzen Shimmy, drehen sich wie verrückt und machen ein paar coole Armbewegungen. Ist es eine Choreografie, die sie aus der Tanzschule kennen? Oder sind es bloß irgendwelche Moves, die sie einstudiert haben, als ich mal nicht dabei war? Ich weiß, dass sie sich auch ohne mich treffen. Wenn ich Mom bei irgendwelchen Tortenlieferungen helfen muss, zum Beispiel. Oder wenn sie gemeinsam zu Tanzwettbewerben fahren. Und sie planen es ja nicht absichtlich so, deswegen ist das auch völlig okay. Wirklich. Trotzdem versuche ich, nicht allzu viel darüber nachzudenken.

Als die drei in einem perfekt koordinierten Gleit-dreh-Move auf die Knie gehen, lassen die Jungs ihre Stöcke und Steine fallen und schauen der Spontan-Performance zu. Ihre »Wows!« und »Whoops!« sausen über den stillen See wie hüpfende Kieselsteine.

»Beck, hast du nicht auch Lust, zum Tanztraining zu kommen?«, ruft Tamsin und grinst mich auf meiner Decke an. Sie macht winzig kleine Shimmy-Bewegungen, aber nicht so locker und geschmeidig wie Natalie und Cora. Tamsin ist nämlich quasi eine Primaballerina, groß und schlank und etwas storchenähnlich. Sie beherrscht Pirouetten und Sprünge und alles, aber in einer Gruppenchoreografie wirkt sie immer ein bisschen wie eine schlecht animierte Puppe. Es ist wirklich nur ein kleiner Makel, denn irgendwie schafft sie’s trotzdem, das Ganze auf elektrisierende Weise mit ihrer Ballerina-Grazie zu veredeln. So wie eigentlich alles an Tamsin elektrisierend ist. Vielleicht liegt das an ihrem Selbstbewusstsein. Obwohl Tamsin wahrscheinlich schlechter twerkt als eine Oma aus dem Mittleren Westen, sieht es bei ihr trotzdem irgendwie cool aus. Tamsins Einladung, mit ihnen zu trainieren, ist nett gemeint, aber sie scheint vergessen zu haben, dass ich mich ungefähr so lässig bewege wie ein besoffener Flamingo. Ich habe Dads Koordinationsvermögen geerbt – und das liegt leider so weit im Minusbereich, dass selbst die simpelste Polonaise einen großen Bogen um ihn macht. Moment, welchen Fuß soll ich nehmen? Und wo muss ich ihn hinstellen?

»Yeah«, sagt Cora, die ihre Hüften bereits zum nächsten Song kreisen lässt. »Dienstag und Donnerstag. Du kannst mit uns fahren.«