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Brauche ich ein dickeres Fell, oder reicht auch eine Pelzweste?
Wie du’s machst, machst du’s falsch. Zumindest als Frau in einer Männerwelt. Zwischen Whisky und Lippenstift, Helikoptermami und Rabenmutti, zwischen Opernball und Arschgeweih.
Bergsteigen in Pumps ist nicht einfach. Laura ist dennoch losgelaufen und beantwortet provokant und selbstironisch elementare Fragen: Wie sexy ist noch seriös? Wann bemerkt eigentlich mein Chef, dass ich eine Mogelpackung bin? Muss ich mein Kind beim Algebra-Wettbewerb anmelden? Darf ich laszive Selfies verschicken? Wohin fliehe ich bei einem miesen Date?
Fragen, die noch keine Generation Frauen zuvor beantworten musste. Geschichten für Selbstzweifler und Größenwahnsinnige.
"Gar nicht mal so unlustig. Vor allem für eine Frau."
KATRIN BAUERFEIND
"Laura Karasek ist der wandelnde Widerspruch. Der Pelzkragen unter den Intellektuellen. Hohe Absätze, kluge Hauptsätze. Sie malt clevere Skizzen auf den Spiegel der Gesellschaft - mit dem Lippenstift."
MICKY BEISENHERZ
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Seitenzahl: 249
Laura Karasek, geboren 1982 in Hamburg, studierte Rechtswissenschaften in Berlin, Paris und Frankfurt am Main. Seit 2011 ist sie als Rechtsanwältin tätig. »Verspielte Jahre« ist ihr erster Roman.
LauraKARASEK
Geschichten überFrauen und Männer
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
® Lizenz der Marke STERN
durch Gruner + Jahr GmbH– Alle Rechte vorbehalten –
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Redaktionelle Mitarbeit: Anica Müller
Umschlaggestaltung: Massimo Peter-BilleUnter Verwendung eines Motivs von © Paladin12/shutterstock
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-7774-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Die Welt da draußen meint es nicht nur gut mit dir. Und die Welt hat auch nicht – im Gegensatz dazu, was deine Eltern dir immer erzählt haben – auf dich gewartet.
Du kannst dich in eine Depression googeln. Dachtest du eben noch, du seist vielleicht etwas Besonderes, belehrt dich das Netz eines Besseren. Alles, was du denkst, wurde schon gedacht. Nur in besser. Oder auf Latein. Und sogar schon getwittert. Es gibt bereits 89.000 Hashtags zu deiner einzigartigen Idee. Dein Einfall ist ein Reinfall. Du kannst nichts erfinden.
Ich arbeite in Frankfurt. Wirtschaftswelt, Deals, Share Purchase Agreements, Billable hours. Du hast schon eine Gerichtsverhandlung beim Landgericht gewonnen? Andere gewinnen zum zweiundvierzigsten Mal vorm Bundesgerichtshof! Du hast ein Buch geschrieben? Andere schreiben acht Bücher. Bücher, die verfilmt werden! Du sprichst drei Sprachen? Andere sprechen sieben! Und da ist immerhin was Exotisches dabei, Finnisch oder Arabisch oder verhandlungssicheres Chinesisch. Ich bin höchstens in Liebesbeziehungen verhandlungssicher (aber es ärgert mich schon, dass ich da überhaupt verhandeln muss).
Aber warum habe ich manchmal das Gefühl, nicht dazuzugehören? Und wohin gehöre ich? Ich fühle mich sogar unter Frauen häufig fehl am Platz. Alle benehmen sich so gut und essen so wenig. Aber in den Männerclub passe ich auch nicht. Ich mag keinen Whisky und kann mir schlecht Witze merken. Ich stehe gern vor Gericht und auch gern in der Zeitung oder im Fernsehen. Aber können die anderen nicht alle mehr als ich? Bin ich eine Mogelpackung und fliege irgendwann auf? Bald merkt jeder, dass ich nur von einer Welle aus Glück und Zufällen hier in die Welt der Erwachsenen und Mächtigen geschwappt wurde. Autoren sind Literaten. Intellektuelle. Und Wirtschaftsbosse sind seriös. Und was bin ich?
Als ich anfing zu arbeiten, fühlte ich mich schon ertappt, wenn ich Begriffe, die beim Mittagessen mit den Kollegen fielen, hinterher auf Wikipedia nachlesen musste. Immer diese verdammte Wirtschaftssprache: Ist »Agio« jetzt ein Finanzbegriff, eine Verdi-Oper oder ein italienischer Badeort (habe es gerade beim Schreiben übrigens erneut gegoogelt)? Theo, wir fahr’n nach Agio! Wenigstens kenne ich das Bellagio (also das gute, schöne Agio) aus Las Vegas. Das Hotel mit der Fontäne. Da hab ich schon Geld verspielt – und wurde im Casino sogar nach meinem Ausweis gefragt! Danke, liebe Gene. Wobei die kurz darauf selbst den weißhaarigen Mann neben mir – hatte er einen Rollator? – am Roulettetisch kontrolliert haben. Nix danke, Gene! Nix danke, neue Gesichtscreme! »Die anderen kochen auch nur mit Wasser«, sagten die netten Kollegen damals. Aber bei mir kochte gar nichts. Meine Herdplatte war ein Krisenherd.
Und dann kommt der Chef immer genau dann rein, wenn du gerade auf Facebook deine Kollegen stalkst (»wo war noch mal der aus der Buchhaltung im Urlaub?«). Oder wenn du gerade online Fummel shoppst (und die Seite macht Musik, dazu räkeln sich Models auf dem Laufsteg oder Strumpfhosen blinken von deinem Bildschirm und er sieht, dass das nichts mit Jura zu tun hat. Nicht mal mit Recherche im weiteren Sinn). Kann einem Mann nicht passieren? Wirst du also deswegen irgendwann nicht befördert oder weil du eine Frau bist? Was hast du falsch gemacht?
Manchmal gab es Besprechungen, da saß ich allein mit zehn Männern (auch »Gegnern«) in einem Raum. Auf dem Tisch standen Kekse. Stundenlang rührte keiner einen Keks an. Ich wartete, bis der erste Chef einen Keks aß. Stets gibt er den Startschuss. Dann langte ich endlich zu. Zum Abschied schüttelte ich allen zehn Männern die Hand, sie wussten nicht, wie sie mich hierarchisch einordnen sollten. War ich Kollegin, Sekretärin, Praktikantin, Assistentin, Chefs Liebling? Als ich danach auf die Toilette ging, sah ich im Spiegel Schokoladenspuren um meine Mundwinkel und einen schwarzen Zahn von dem Browniehappen. Ich war eine schwierige und vor allem schmierige Frau. Das war wohl nix mit souverän. Kommt Zeit, kommt Pirat. Beim nächsten Mal.
Ich habe eine Freundin bei einer Unternehmensberatung, die mir von ihrem Chef erzählte. Als meine Freundin ihn fragte, wie er ihre Arbeitsleistung und ihre Karrierechancen einstufte, erwiderte dieser »Sie wissen ja: Ich gebe kein Feedback!« In was für einer Arbeitswelt leben wir? Feedbackfaulheit und Komplimenteknappheit ohne Anteilnahme, Fürsorge, Förderung. Kann man nicht leidenschaftlich im Beruf sein und gleichzeitig leidenschaftlich mit Menschen? Wir brauchen Mentoren, Idole, Vorbilder.
Neulich habe ich ein Selfie gemacht, in meinem Büro. Na ja, eigentlich wollte ich nur schauen, ob ich vom Mittagessen noch ein Stück Erbse in den Zähnen habe, und da mein Büro keinen Spiegel hat, habe ich die Selfiefunktion meiner Handykamera genutzt, um nachzusehen, ob sich zwischen meinen Vorderzähnen ein grüner Punkt (nein, nicht der zum Recyceln) von der Erbse (nein, nicht der, deren Prinzessin ich als kleines Mädchen immer für meinen Vater war) befand. Ich wollte mir also den langen Weg zumWCsparen und hielt mir mein Smartphone vors Gesicht, als einer meiner Chefs gerade mit einer Gruppe von Praktikumsbewerbern an meinem Büro vorbeikam. »Darf ich vorstellen: …«, hörte ich ihn bei seiner Führung noch sagen und auf mich zeigen. Vor Schreck machte ich ein Foto. Klick. Die Praktikanten grinsten, als stünden sie vor einem Paviankäfig. Selbstverliebt bei der Arbeit. So was würde einem Mann nicht passieren. Obwohl: Ich kenne einen Steuerberater, der regelmäßig Liegestützen und Sit-ups in seinem Büro macht und dabei Mails diktiert. Verbissenheit kennt keine Grenzen.
Heute darf man sich auch in seriösen Jobs anziehen wie eine Frau. Darf man? Müssen wir weiterhin in biederen Hosenanzügen herumlaufen und um alles, was nach Make-up oder Haarpflege aussieht, einen weiten Bogen machen? Jacke wie Hose. Aber eben nicht wie Rock. Musste ich mich entscheiden, was ich überhaupt sein wollte: Anwältin oder Tussi? Karriere oder Kosmetik? Offenbar schließen Intelligenz und Lipgloss sich aus. BH statt BGH.
Ich musste schon früher als Praktikantin in einem großen Unternehmen mal zum Personalchef. Wegen meiner Outfits. Es hieß, sie seien »zu aufreizend« und ich mir »meiner Wirkung nicht bewusst«. Aber ich bin mir schon bewusst. Warum muss es so verkrampft sein: Kann man nicht gleichzeitig seriös und trotzdem ein bisschen sexy sein? Oder muss man geschlechtslos auftreten? Kann man weiblich sein – ohne unprofessionell zu wirken? Oder sind manche Männer nur deshalb so pingelig, weil sie sich selbst im Anzug so eingeengt und verkleidet fühlen, weil sie weniger Spielraum haben als wir? Warum spielt es eine Rolle, was ich anhabe? Und warum sagt das angeblich etwas über meine Fähigkeiten aus?
Können Machtspiele auch Schmachtspiele sein? Ich wollte immer unter Männern bestehen, mithalten. Eine Frau im Mannspelz, Titten sind die neuen Eier. Ich wollte nicht zu verletzlich sein, aber auch kein böser Wolf werden (ohne Rotkäppchen und ohne Rotkäppchen-Sekt-Allüren). Aber darf ich als Frau dabei sein, wenn die Chefs am Feierabend ins Stadion gehen und Golfturniere spielen – oder empfinden die Männer eine Frau als Spaßbremse? Ich trinke ja auch eigentlich lieber Aperol Spritz in einer warmen Bar. Ich hätte auch kein Trikot parat. Aber ihr solltet mich trotzdem fragen! Soll ich ein Herrengedeck und ein Eisbein bestellen beim Business Lunch? Käme jedenfalls cooler als der Salat mit Hähnchenbrust und wenig Dressing. Aber warum bestimmt ihr, wie wir zu sein haben? Nicht zu gierig, nicht zu laut, nicht zu durstig, nicht zu sinnlich.
Als wir mit anderen Jurastudenten mal ein Gefängnis besucht haben, hieß es »Zieht euch nicht zu sexy an, liebe Referendarinnen, da sind Knackis, die haben seit 13 Jahren keine Frau mehr gesehen.« Hab ich auch eingesehen. Andererseits: Muss ich mich anziehen, um es anderen recht zu machen.
Ich mag Frankfurt. Ich bin freiwillig hier. Die Stadt ist fleißig, offen, berufstätig, umtriebig. Buchmesse trifft EZB. Ich möchte hier nicht weg. Ich möchte nur ab und zu wenigstens ins Fußballstadion mitgehen und den ersten Schokoladenkeks essen.
Frankfurt. Neulich stand ich im Aufzug. Ich befand mich in einem Hochhaus einer großen Bank. Morgens, halb zehn in Deutschland, kein Knoppers, dafür viel Haargel und wenig Worte. Keiner grüßt. Weder beim Einstieg noch beim Ausstieg. Kein Lebewohl. Kein Willkommen und Abschied. Die meisten Herren – in maßgeschneiderten Anzügen, Budapestern – halten sich für vornehm, pressen sich aber trotzdem vor mir und den anderen beiden weiblichen Mitfahrern aus dem Fahrstuhl, als gäbe es da draußen Freibier. Freigel. Hier werden nur Blackberries geerntet, aber keine Komplimente. »Selbst schuld!«, scheinen sie uns zuzurufen. Ist das Gleichberechtigung? Sind schlechte Manieren irgendwie cool? Und wenn ja: warum?
Ich möchte im Aufzug vorgelassen werden. Die Herren tun einen Schritt zur Seite und man spaziert vor ihnen hinaus. Nicht wichtig, aber irgendwie schön. Ich möchte, dass jemand den Knopf für mich drückt und fragt: »Wohin wollen Sie?« Ja und wohin wollte ich dann eigentlich, »wenn ich das wüsste«, hätte ich gern geantwortet. Oder er hätte – meine Pflicht erkennend – gefragt: »Wohin müssen Sie?« – »Man muss immer hoch. Aber ich will eigentlich gar nicht immer.« Lasst uns stehen bleiben, stecken bleiben. Und dann hätten wir uns angelächelt. Oder er hätte mich peinlich gefunden und trotzdem gelächelt. Wie auch immer: Man wäre irgendwie beschwingt ein- oder zumindest ausgestiegen. Hier nicht. Hier lächelt keiner. Aufzugfahren ist eine ernste Angelegenheit. Ebenso wie Bahn fahren, Bus fahren, Schlange stehen, ins Theater gehen. Ernst und wichtig. Sind wir Anwälte, Berater, Banker, Deutschen denn so ernst und wichtig? Stellt euch nicht so an. Es gibt doch nichts Charmanteres als Menschen – ob im Anzug oder im Aufzug –, die sich nicht so ernst nehmen. Dann doch lieber Treppenlaufen. Macht wenigstens einen knackigen Po. Ich arbeite im 35. Stock. Die Grußlosigkeit macht meinem Gemüt zu schaffen. Es könnte so einfach sein – ist es aber nicht.
»Du musst dir ein dickeres Fell zulegen«, sagte ein Kollege kurz nachdem ich in einer Wirtschaftskanzlei angefangen hatte. Der erste Job. Fast wie die erste Liebe. Am Anfang gibt man alles, am Ende tut’s weh. »In der Liebe gibt es immer einen Anfang und ein Ende. So ist das eben. – Aber was ist mit der Zeit dazwischen? – In der Zeit dazwischen trauert man dem Anfang nach und wartet auf das Ende.« Catherine Deneuve
Wollte ich denn dieses »dicke Fell« – oder reichte nicht auch eine Pelzweste? Wenn wir das Schlechte nicht mehr an uns heranlassen – was geschieht dann mit dem Guten? Bleibt das auch draußen? Vielleicht gibt es ja eine Zwischenlösung: ein Fell mit Filter. Und wenn endlich mehr Frauen in Führungspositionen sind: Braucht man dann die Fellweste überhaupt noch?
Na ja, die Männer fördern sich wenigstens gegenseitig – so jedenfalls mein Eindruck. Die prosten sich zu, klopfen sich auf die Schulter, gründen Whatsapp-Gruppen mit schmutzigen Sprüchen und E-Mail-Verteiler mit schlüpfrigen Bildchen (bis zum Durchsuchungsbefehl). Die Chefs suchen sich Nachwuchs, Fans, Schützlinge – junge Eiferer, die sie selbst jung und cool erscheinen lassen. Man duzt sich. Man spricht über »Weiber« und Macht. Oder man fachsimpelt über Technik, Autos, die besten Werkzeugkästen, die besten Lebensversicherungen, Rotweine, Golfplätze.
Wer erfolgreich ist, will sich nicht ständig mit jüngeren Frauen umgeben. Und wir jungen Dinger haben mehr Angst vor den Managerinnen, weil unsere Weiblichkeit sie nicht beeindruckt, weil ihr Blick strenger und kritischer ist, weil ihnen der Beschützerinstinkt fehlt und weil unser Lächeln sie nicht erweicht. Fördern macht Arbeit. Warum sollten die wenigen Chefinnen den Jüngeren beibringen, was sie sich selbst so hart erarbeiten mussten? Denn jede hat es als eine von hundert Frauen ganz alleine ganz nach oben geschafft – und wir sollen uns ebenso anstrengen, leiden und kämpfen. Denn eigentlich gilt: Jugend sticht! Neidisch könnten sie sein, weil sie möglicherweise auf Kinder, auf Zeit mit der Familie, auf Männer oder auf Weiblichkeit verzichtet haben. Und misstrauisch könnten sie sein, weil junge Frauen anders ticken. Sie wollen alles: Karriere, Kinder, Kleidung, Küsse, keine Kohlenhydrate, Krafttraining. Früher wurde man dann als »Powerfrau« bezeichnet. Ich finde diesen Begriff bescheuert. Das klingt wie ein Molkeriegel. Nach dem Sport. Nach so einer spaßbefreiten Drilldompteurin. Sogar der Begriff »Karrierefrau« ist im Duden wie folgt definiert:
Frau, die dabei ist, Karriere zu machen, bzw. die eine wichtige berufliche Stellung errungen hat(oft abwertend) Frau, die ohne Rücksicht auf ihr Privatleben, ihre Familie ihren Aufstieg erkämpft [hat]Kann man nicht Karriere machen und trotzdem Rücksicht auf sein Privatleben nehmen? Und warum überhaupt »Rücksicht«, als sei das Privatleben ein Pflegefall, ein lästiges Haustier. Mein Privatleben braucht keine Rücksicht, im Gegenteil: Es braucht Cocktails und Freunde und dann Ibuprofen. Ist es heute nicht sogar so, dass wir im Privatleben weniger verspielen wollen und in der Karriere schon mal zocken? Ein Freund von mir ist für den Job nach Riad gezogen. Das würde ich vermutlich nicht tun. Ist das ein Problem? Bin ich als Frau weniger flexibel, zu gebunden, zu vernetzt in meiner Heimat, zu verwurzelt? Ist mir mein Privatleben wichtiger und bin ich weniger bereit, darauf zu verzichten – oder hat der Typ, der nach Saudi-Arabien geht, bloß keines, auf das er verzichten könnte?
Also gut: Ich bin eine Frau. Ich mag Lipgloss. Aber ich mag auch Bockwurst. Ich bin gegen das Plattbügeln von Weiblichkeit und Männlichkeit. Ich finde es okay, wenn ich sage, dass ich einen Mann brauche. Am liebsten einen ohne Strickjacke, Schnupfen und Wärmflasche. Einen richtigen, der mich beschützt und nicht friert oder fleißiger Kalorien zählt als ich. Ich will so eine Art Richard Burton, einen dichtenden Boxer, einen Liebesbrief schreibenden Herkules. Keinen Vegetarier mit Harfe. Keinen Celine-Dion-Fan. Keinen Kamillenteetrinker. Ich trage gern hohe Schuhe, weil ich mir auf ihnen gefalle. Wenn ich ehrlich bin: auch weil sie Männern gefallen. Na und? Hohe Schuhe haben schon bei manchem Liebeskummer eine Schlacht gewonnen (und vielleicht auch mal vor Gericht). Warum also das Frausein aufgeben?
Ich habe früher auch im Büro geweint. An meinem Computer geheult. Auf dem Damen WC. Sogar mal in der Kantine. Manchmal wollte ich, dass es keiner sieht. Und manchmal wollte ich, dass es jeder sieht. Seht her, ihr habt mich verletzt! Ihr macht mich fertig! Ihr dummen Säcke ohne Gefühle. Ich wollte getröstet werden, gesehen werden. »Du darfst im Büro nicht schluchzen«, sagten die jungen Kollegen damals und verdeckten meine roten Augen mit ihren breiten Schultern. Ich habe es dann schnell mit Puder übermalt. Wie kommt man also an so ein Fell? Sich nichts anmerken lassen oder nichts mehr fühlen? Abstumpfen oder abdecken? Noch mehr Schminke?
Als ich irgendwann zum ersten Mal zurückgeschnauzt habe, standen zwei Männer in der Tür und sagten »Oh, sie hat wohl heute ihre Tage!« Eine Frau, die aggressiv ist, hat entweder ihre Regel oder ist schwanger. Eine Zicke, empfindlich, eine Diva. Über eine Frau, die mit dem Chef zum Abendessen geht, wird geredet. Über den Chef auch – aber es schadet ihm nicht unbedingt. Eine Frau muss sich für ihre kurzen Röcke und engen Hosen (»wie mit Bodypaint aufgemalt«) verantworten, ein Chef für seinen Blick auf den Rock nicht immer. Lebt er in einem anderen Rechtssystem? Es sei denn, eine Frau – beispielsweise ich – regt sich darüber auf. Tue ich aber nicht. Wir sind doch keine Feinde. Ein Blick kann Freude machen, genau wie ein Rock. Aber ein Blick kann auch widerlich sein. Und dann kann der Rock nix dafür.
Bei Gericht zum Beispiel hat mir das Frausein nie geschadet. Die Anwälte der Gegenseite mit Alphastimme und Alphaanzug witterten meine vermeintlichen Schwachstellen, spielten sich auf, stolzierten eitel durch den Gerichtssaal. Ich war jung, blond, unerfahren. Und die Richter hatten oft mehr Sympathie für die »junge Kollegin« – die auch abwertend als solche von der Gegenseite bezeichnet wurde (»Mit Verlaub, junge Kollegin!«). Oder wir hatten schlicht die besseren Argumente.
Lasst mich doch Frau sein, lasst mir meinen Lippenstift und ich lasse euch euren Whisky. Ich will doch nur im Aufzug vor euch raus. Ich verspreche auch, nicht mehr zu weinen. Oder nur heimlich. Und in der Kneipe kann ich mithalten und ich werde lachen, auch wenn ihr zum fünften Mal den Spruch bringt »Heute singt für Sie! … Das Niveau.« Ich kann mich auf euer Niveau saufen. Und falls ich vorher umkippe, wäre es trotzdem lieb, wenn ihr mich ins Taxi setzt. Danke.
Weihnachtsfeiern: für manche ein Karrierebeginn, für andere das Karriereende – wo früher meine Leber war, ist heute eine Minibar. Wie Sie sich auf Weihnachtsfeiern benehmen sollten:
a) wenn Sie Praktikant sind:
Sie wollen, dass der Chef endlich Notiz von Ihnen nimmt? Machen Sie es nicht wie die anderen Praktikanten und seien Sie zu schüchtern, um den Geschäftsführer anzusprechen! Tun Sie’s. Und duzen Sie ihn – das findet er bestimmt cool. Dann rechnen Sie ihm vor, dass sich der billige Wein überhaupt nicht lohnt, weil alle Mitarbeiter auf die viel teureren Longdrinks umsteigen würden. Machen Sie auf dicke Hose und spendieren Sie ihm einen Champagner. Bringen Sie außerdem noch eine Freundin mit, die auch »umsonst saufen« wollte. Oder wünschen Sie sich Songs vom DJ wie »Zwanzig Zentimeter – nie im Leben, kleiner Peter.« Hemd aufreißen. Einsatz zeigen. Sie sind nicht wie alle anderen. Sie kriechen niemandem in den Arsch. Die meisten Orgelpfeifen hören dem Chef doch nur deshalb so gern bei der Beschreibung seiner Origami-Kollektion zu, weil sie sich davon etwas versprechen.
b) wenn Sie schon ein paar Jahre bei der Firma arbeiten:
Nehmen Sie sich vor Ihrem eigenen Wohlbefinden in Acht. Wiegen Sie sich nicht in Sicherheit. Trinken Sie nicht durcheinander. Vermeiden Sie Schlägereien, zu kurze Kleider, zu aufwendige Frisuren, Provokationen. Seien Sie lustig – aber nicht lustiger als der Chef. Stehen Sie auch um Himmels willen nicht gelangweilt mit einer Grüntee-Schorle in der Ecke. Weihnachtsfeiern sollen Ihren Kollegen und Chefs ruhig zeigen, dass Sie passioniert und nicht verspannt oder verbissen sind. Stapeln Sie also am Buffet ruhig alles auf Ihren Teller, was drauf passt. Falls Sie in der Architektur-Branche sind, beweist das nicht nur, dass Sie gut zuschlagen, sondern auch Türme bauen können. Wenn Sie sich beim Essen hinsetzen, stechen Sie nicht zu fest in die Cherry-Tomate, die auf ihrem Teller thront. Das gibt Spritzer auf dem Hemd Ihres gegenübersitzenden Chefs. Salat, Mohn, Sesam, Knoblauch, Zwiebeln, Hackbällchen, Harzer Roller, schwarzer Kaffee, Heringssalat – alles eher zu vermeiden. Es sei denn, Sie haben einen Vorrat Kaugummis und eine portable Elektrozahnbürste sowie Zahnpasta dabei.
Außerdem sollten Sie mit einem vertrauten Kollegen ein Codewort vereinbaren. Ich hatte so was mal in einer sehr defizitären Beziehung. Mein Ex und ich haben uns so gestritten, dass wir ein Rettungswort hatten, wenn der Streit vollkommen ausartete, eine Art Bremse, Pause, Zäsur: »Spongebob« war unser Wort. Manchmal versuchten wir auch, uns auf Englisch zu streiten, damit die Sprache uns nicht so schnell unter die Gürtellinie entwischte, damit wir uns zumindest zusammenreißen würden, während wir nach den korrekten Beleidigungen im fremdsprachigen Wortschatz suchten. Andererseits: »Fuck off« fanden wir ziemlich leicht. Andere Freunde von mir nahmen ihre Streitigkeiten immer als Sprachmemos mit dem Handy auf, um einen Beweis zu haben, wer recht gehabt hatte. »Das habe ich so nie gesagt!« »Spul sofort zurück!«
Also, kurzum: Nehmen Sie Ihren Chef einfach sofort auf, sobald er Ihnen eine Beförderung oder einen Bonus verspricht (vor allem, falls er zu betrunken ist, um sich morgen daran zu erinnern). Sagen Sie »Moment mal!«, bevor er Ihnen persönliche, intime Details zu seiner Ehe erzählt, und zücken Sie dann Ihr Handy, um ihn aufzunehmen. Man weiß ja nie, wozu es mal nützlich sein könnte. Und bitten Sie Ihren Freund mit dem Codewort »Gonorrhoe«, Sie aus einer Situation zu retten, die peinlich zu werden droht. Rufen Sie einfach laut »Gonorrhoe« durch den Raum, damit er Sie leicht findet. Zur Not auch, während der Geschäftsführer eine bedächtige Ansprache hält.
c) wenn Sie der Chef sind:
Sie können tun und lassen, was Sie wollen. Erzählen Sie die langweiligsten Geschichten, bei denen Ihre Frau immer abwinkt! Wie Sie damals in der Schule den Algebra-Wettbewerb gewonnen haben! Wie Ihre Präsentationen Menschen zum Weinen bringen! Reichen Sie Taschentücher. Ihre Mitarbeiter werden an Ihren Lippen hängen. Bestellen Sie sich selbst teure Rotweine, die nicht auf der Karte sind, und sagen Sie »Bevor ich diesen Chateau Migräne hier trinke, zahle ich lieber selbst.« Erfreuen Sie sich an den Knoblauchzehen in der Nudelsoße und checken Sie Ihr Handy, sobald einer Ihrer Mitarbeiter redet.
Mein Vater erzählte mir mal, dass der wunderbare Regisseur Billy Wilder (»Manche mögen’s heiß«) seiner Frau beim Dinner auf ihre Bemerkung »Heute haben wir Hochzeitstag, darling«, erwidert haben soll, »Please. Not while I’m eating.« Falls also einer Ihrer Mitarbeiter Sie mit einer emotionalen Rede vollschwallt, dass Sie der beste Chef sind, den er je hatte, dass das Jahr ohne Sie niemals so erfolgreich gewesen wäre – machen Sie’s wie Billy: »Nicht während des Essens! Und schon gar nicht während des Trinkens! Und bitte nicht in der Weihnachtszeit!«
In sozialen Netzwerken wird unanständig gehetzt, hasserfüllt gepöbelt oder auch mal ungerechtfertigt euphorisch gelobt. Gibt es noch echte Gefühle? Oder nur noch Emoticons? Herzchen fliegen und flattern über den Bildschirm für jede noch so belanglose Nachricht, pastellfarbene Kaffeetassen, dekorierte Avocados, schlafende Katzen, gähnende Hunde, Hamster, die mit Hirse jonglieren, leckende Leguane – andererseits Beschimpfungen für jede auch nur entfernt politische oder gar intellektuelle Äußerung. Haltung ist out, Milchschaum ist in.
Wo ist der Anstand hin, wenn es um das Miteinander geht? Wenn einer Dame über 60 mit eingegipstem Arm niemand mehr beim Tragen der Tasche hilft? Alle starren aufs Handy. Niemand reicht einem die Hand. Wo ist sie, die Rücksichtnahme, wenn eine Hochschwangere durch die Gänge der U-Bahn geschubst wird und Halbstarke nicht mehr aufstehen, um ihr einen Platz anzubieten? Und haben Sie schon mal versucht, mit zwei kleinen Kindern zu fliegen? Sie werden von den anderen Passagieren angesehen, als ob Sie einen sehr ansteckenden Hautausschlag hätten – neben Ihnen will jedenfalls niemand mehr sitzen und Ihre Nachbarn verlassen freiwillig den Gangplatz und wechseln zu zwei Zwiebelmett-Brot essenden Engländern mit Bieratem.
Aber wir haben ja auch keine Idole mehr, keine Vorbilder. Führ dich auf wie Sau – und du wirst … meinetwegen auch Präsident. Zudem hat die Theatralik im Netz Hochkonjunktur: »Ich habe heute zwei Kniebeugen geschafft! Und mein Quinoa-Chia-Hanf-Müsli selbst zubereitet. Ich habe mir heute SELBST und ganz allein eine Sushi-Rolle im Restaurant bestellt. Ich habe ein Salatblatt dekorativ neben ein Radieschen gelegt! Hey, ich kann Rechtschreibung: habe meinen Namen gerade fehlerfrei in den Sand geschrieben. Ich danke meiner Familie, Gott, meinen Kollegen und Wegbegleitern und allen, die immer an mich geglaubt und mich unterstützt haben.« Als hätte man einen Nobelpreis gewonnen. Jeder verkauft und fühlt sich als Star. Aufmerksamkeit ist Trumpf. Oder eben Trump. Lieber ein schlechter Tag als ein schlechter Hashtag. Was soll uns der Milchschaum mit dem Herzen eigentlich mitteilen? Erstens: »Ich bin superrelaxed und habe frei, ihr arbeitenden Idioten!« Zweitens: »Ich bin superbusy und trinke den ganzen Tag Kaffee, um mich in meinem krassen Job zu konzentrieren.« Drittens: »Ich habe Verstopfung und brauche was zur Verdauung und hoffe, dass ich gleich aufs Klo kann (Emoticon und Foto dazu folgen sogleich).« Viertens: »In meinem Hirn ist mehr Schaum als auf diesem Espresso.«
Ich beobachte Eltern, die mit ihren Kindern nur noch mit Emoticons kommunizieren. Früher hat doch das Schreiben Spaß gemacht, die Bilderrätsel, die Wortspiele. Heute gibt es nur einen lachenden Smiley oder ein pulsierendes Herz. »Papa, ich bin grad vom Fahrrad gefallen und liege jetzt mit gebrochenem Arm im Krankenhaus.« – Trauriger Smiley, Daumen runter. »Mama, ich habe das Abitur bestanden.« – Ein Motiv mit Sektglas. Und am Ende wundern sich alle, warum das Kind (trotz Abitur) so schlecht in Deutsch – und so enttäuscht von den Eltern – ist.
Ist es denn so schlecht, heutzutage gebildet, aufmerksam, freundlich zu sein? »Ach, der war mir einfach zu lieb!«, sagen viele Frauen und suchen sich dann einen, der sie ignoriert oder versetzt. Die Herausforderung! Das Zähmen! Ja, das macht uns am meisten Spaß. Und wenn uns einer schreibt: »Schlaf gut, meine wunderschöne Fee. Ich nehme dich mit zu den Sternen!« Dann denken wir: »Du Depp, ich bin ein Kaktus und nimm mich lieber mit in eine Schnapsbar.«
Wie schmal der Grat zwischen Romantik und Kitsch ist, zwischen Anbiedern und Hofieren, zwischen Hochmut und Demut – heute gibt es kaum noch das richtige Maß. Es wäre ja auch theoretisch leichter, sich im Nachhinein für einen Fehler zu entschuldigen als im Vorhinein um Erlaubnis zu bitten. Problem ist nur: Heute entschuldigt sich keiner. Nein, öffentlich wird von allen gegen alle Regeln verstoßen. Niedertracht ist besser als eine vermeintliche Niederlage. Also machen wir mit, wir wollen uns wehren, auch nicht zu kurz kommen in dieser von Inszenierungen und Rücksichtslosigkeiten zehrenden Welt. Wir fangen an, Satzzeichen wegzulassen, und versenden nur noch ein Weinglas-Symbol mit einem Fragezeichen, wenn wir einen Freund zum Drink treffen wollen. Oder einen Hammer, wenn wir jemandem ein Kompliment machen wollen. Für Heiratsanträge reicht schon das Symbol mit dem Ring aus. Wir hören auf, uns Mühe zu geben – weil niemand für uns aufgestanden ist, als wir schwanger oder krank waren. Benehmen, Manieren, ja sogar ein Lächeln kann schon als Schwäche gewertet werden, als Eingeständnis. Wer lacht, bekommt Falten. Wer Falten hat, ist nicht schön. Wer nicht schön ist, ist unbeliebt.