Jacobsweg - Spiegelbild meines Lebens - Lucia Falk - E-Book

Jacobsweg - Spiegelbild meines Lebens E-Book

Lucia Falk

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Beschreibung

"Wir können jeden Tag entscheiden, unser Leben zu verändern. Mach dich auf den Weg!" Diesen gut gemeinten Ratschlag nahm Lucia Falk an und machte sich auf den Weg. Auch wenn alles dagegen sprach. Indem sie es tat, fand sie Antworten auf viele Fragen, liebevolle Begegnungen und nicht zuletzt: sich selbst! Eine Jacobsweg Geschichte mit Tiefgang.

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Lucia Falk

Geboren 1949 in einer Kleinstadt im Südoldenburger Münsterland in Niedersachsen, in der sie heute wieder lebt. Sie wanderte im Alter von 34 Jahren für 12 Jahre nach Kanada aus. Dort lernte sie unter anderem das Leben der „Natives“ in Reservaten kennen. Sie lebte als junge Mutter für neun Monate in Brasilien. Sie übte folgende Berufe aus: Lehrerin, Kauffrau, Maklerin, Meridiantherapeutin und Coach am Telefon. Mit Beginn der Rente nahm sie einen Flüchtling auf. Für einige Monate im Jahr lehrt sie „Deutsch als Fremdsprache“ in verschiedenen Städten und Ländern. Hier stellt sie ihr erstes Buch vor, das nach einer 40-tägigen Wanderung (Camino 1 und 2) nach Santiago de Compostela entstand, auf der sie tiefgreifende Einsichten erlebte. Auf diesem Weg erlief sie sich so viel Bildung wie niemals zuvor.

Vorwort

Dies ist mein erstes Buch.

Hier berichte ich von Erfahrungen, die ich im Leben gemacht habe, indem ich viele unterschiedliche Kulturen und Menschen kennenlernen durfte. Als ich anfing, ein Buch zu schreiben, wusste ich noch nicht, wohin es mich führen würde. Es ergab sich erst auf dem Pilgerweg. Ich dachte, ich hätte mich für diesen Pilgerweg entschieden. Nun ist mir klar, dass der Pilgerweg mich rief und ich entschied, seinem Ruf zu folgen.

Ich reise gern und viel, kurze Strecken zu den umliegenden Städten, zu Familienmitgliedern, Freunden, Seminaren, mache Sporturlaube, Studienreisen, unternehme längere Reisen ins Ausland.

Beim Reisen werde ich aufmerksamer, als in meinem gewohnten Umfeld. Ich achte stärker auf die Umgebung, die Menschen, auch auf mich. Jedes Gespräch auf einer Reise macht mich glücklich. Beim Reisen werde ich neugierig auf das, was äußerlich geschieht und innerlich in mir in Bewegung kommt. Beim Reisen wird meine geistige Wachsamkeit angestoßen, mein Kopf wird frei.

Ich wusste, dass ich garantiert etwas erlebe würde, das meine Entwicklung in eine positive Richtung lenkt, sobald ich mich auf den Weg mache.

Zuhause fühlte ich mich nach einem monatelangen Aufenthalt wie gefangen, ohne seelischen und spirituellen Fortschritt.

Das Schreiben dieses Buches wurde zu einer Art Selbstgespräch, denn diese Gespräche führte ich auf dem Pilgerweg unbeabsichtigt täglich für viele Stunden.

Meinen Kindern Robert und Richard, ohne die

ich niemals die geworden wäre, die ich jetzt sein darf.

Danke! Danke! Danke!

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Vor der Reise

Tag Vechta – Pobena

Tag Pobena – Castro Urdiales

Tag Castro Urdiales - Liendo

Tag Liendo – Noja

Tag Noja – Nuemes

Tag Guemes – Santa Cruz de Bezana

Tag Santa Cruz de Bezana – Santillana del Mar

Tag Santillana del Mar – Cobreces

Tag Cobreces – San Vincente de la Barquera

Tag San Vincente de la Barquera – Pendueles

Tag Pendueles – Llanes

Tag Llanes – Prado

Tag Prado – Carda

Tag Carda – Deva (Vorort von Gijon)

Tag Deva (Gijon)– Muros de Nalon

Tag Moros de Nalon – Soto de Luina

Tag Soto de Luigna - Cadavedo (Ostersonntag)

Tag Cadavedo – Luarca (Ostermontag)

Tag Luarka – A Carida

Tag A Carida – Ribadeo

Tag Ribadeo – Xan Xusto

Tag San Xusto – Mondonedo

Tag Mondonedo – As Paredes

Tag As Paredes – Baamonde

Tag Baamonde – A Roxica

Tag A Roxica – Sobrado dos Monxes

Tag Sobrado dos Monxes - Arzua

Tag Arzua – Amenal

Tag Amenal – Santiago de Compostela

Tag In Santiago de Compostela

Tag Santiago de Compostela

Tag Santiago - Braga/Portugal

Tag Braga

Tag Braga

Tag Braga - Muxia

Tag Muxia - Finisterre

Tag Finisterre - Olveiroa

Tag Olveiroa - Negreira

Tag Negreira - Santiago de Compostela

Tag Santiago de Compostela - Flughafen Santiago de Compostela (letzter Tag)

Auf dem Heimflug nach Deutschland

Nachwort

Dank

Vor der Reise

Warum war ich in Bilbao? Ich wusste, dass ich mich auf den Jakobsweg nach Santiago de Compostela machen wollte. Doch warum? Weil ich so gut wie gelähmt gewesen war. Diese Wanderung sollte mir wieder auf die Beine helfen.

Entschlossen zu diesem Experiment hatte ich mich im September 2018. Los ging es dann im April 2019.

Davor lagen einige Lebenstiefen, die mich dazu geführt hatten. Aber eins nach dem anderen:

Mein ehemaliger Mann Arno war beim BKA in Wiesbaden tätig. Er konnte seine Arbeit zu einem großen Teil von zu Hause aus erledigen, da auch er, wie ich, kurz vor der Rente stand. Eine seiner großen Leidenschaften war das Recherchieren und Schreiben. Deshalb verfasste er einige Artikel für die Oldenburger Volkszeitung. So bekam er auch den Auftrag, einen Artikel über Matthias Dickmann zu schreiben, der einen Vortrag über seine Heilmethode als Meridiantherapeut halten würde. Arno war der Ansicht, dass es sich hier nur um Scharlatanerie handeln könne.

Er sagte zu mir: „Lucia, ich mache nur ein paar Fotos und den Vortrag werde ich mir sparen.“

Allerdings kam es ganz anders, als Arno sich den Abend vorgestellt hatte. Er fuhr mit extremen Vorurteilen zu besagtem Vortrag und wollte Mathias Dickmann vorher interviewen. Ich begleitete Arno.

Matthias Dickmann ließ sich nicht auf Arnos Fragen ein, ja, er ignorierte sie einfach. Er schaute Arno sehr intensiv an, als wüsste er, was Arno dachte und sagte: „Wie und warum soll ich auf Ihre Fragen eine Antwort geben, wenn Sie die Antwort weder hören noch verstehen wollen. Um sich selbst ein Bild machen zu können, möchte ich Sie bitten, mich zu begleiten.“ Arno ließ sich tatsächlich darauf ein. Also gingen Arno, Matthias Dickmann und ich in einen Nebenraum. Herr Dickmann forderte uns auf, fünf Minuten auf ihn zu warten. Arno meinte: „Ich weiß nicht, was nun auf mich zukommt und warum ich mich darauf einlasse. Doch dieser Mensch hat mich durch seine Persönlichkeit dazu bewegt, das Experiment zuzulassen.“

Herr Dickmann kam mit vier Personen zurück: einem 80-Jährigen, einem 17 Jahre jungen Mädchen und zwei anderen Personen mittleren Alters. Dann sagte er zu Arno: „Führen Sie das Interview bitte mit diesen vier Personen durch. Danach haben Sie die Möglichkeit, an meinem Vortrag teilzunehmen oder nach Hause zu fahren.“

Weder Arno noch ich konnten glauben, was diese Menschen über Matthias Dickmann erzählten. Jedem dieser Menschen hatte er geholfen, ihr Leid zu lindern oder komplett zu heilen. Arno und ich nahmen an dem sehr gut besuchten Vortrag teil.

Zu Hause sagte Arno zu mir: „Lucia, ich war wie hypnotisiert von seiner Ausstrahlungskraft. Es ist nicht zu glauben, wie er die Zuhörer, ob jung oder alt, in seinen Bann zieht.“ Noch in derselben Nacht schrieb Arno seinen Artikel über Matthias Dickmann. Am nächsten Tag rief die Redaktion bei uns an und fragte, ob Arno nicht übertreiben würde. Arno erwiderte: „Ganz im Gegenteil - dieser Mann und seine Heilkraft haben mich mehr als überzeugt.“

Wir haben uns mit Matthias angefreundet und lernten ihn intensiv kennen. Seine tiefe Stimme und sein starker ehrlicher Humor, der mit Sicherheit nicht von jedem Menschen akzeptiert werden kann, brachten mich dazu, ihn ins Herz zu schließen.

Nach etwa einem Jahr brachte mich mein Mann im Auto liegend zu Matthias. Ich konnte mich kaum bewegen. Was war passiert? Stehen, gehen und liegen ging irgendwie, ansonsten konnte mein Körper nichts mehr – einfach so. Liegend konnte ich kein Bein anheben. Sitzen am Tisch, im Auto – unmöglich! Socken aus- und anziehen oder Schnürsenkel binden – ohne Hilfe nicht möglich! Gymnastik, ein Fremdwort in dieser Situation. Wir hofften, dass Matthias mich von den Schmerzen und auch von der Lähmung befreien würde.

Matthias brachte es hart auf den Punkt. Es klingt mir noch heute in den Ohren: „Lucia, deine Ehe ist im Arsch“. Bis zu diesem Zeitpunkt und für ein weiteres Jahr wusste ich nicht, dass Arno sehr viel Zeit mit einer anderen Frau verbrachte. Ich ahnte nicht, dass mein Körper mir Zeichen gab, die ich nicht wahrhaben wollte. Damals fragte ich meinen Mann, ob er eine Freundin hätte. Er verneinte es und meinte: „Das bildest du dir ein. Typisch Frau.“ Jedenfalls konnte ich nicht mehr laufen, Socken anziehen, Auto fahren.

Matthias behandelte mich. Sofort konnte ich wieder sitzen und somit Auto fahren. Doch konnte ich mich nicht wie gewohnt bewegen. Meine Schmerzen und die Lähmung verschwanden nach jeder Behandlung für ein paar Stunden. Ich musste noch mehrmals zu Matthias gebracht werden - es war mehr gestützt und aus dem Auto gehoben, als normal gestiegen. Nach der vierten Behandlung sagte Matthias, ohne mit der Wimper zu zucken und fast schon im Vorbeilaufen erneut zu mir: „Deine Ehe ist im Arsch“. Ich verstand allerdings noch immer nicht, was Matthias mir mitteilen wollte.

Bis heute frage ich mich: Wieso wusste er etwas, das ich nicht wusste? Und es stimmte, nur habe ich es erst ein Jahr später erfahren. Was Matthias noch sagte, war: „Helfen kannst du dir nur selbst.“

Meine Lähmung war so schlimm, dass ich sogar ins Krankenhaus ging. Geholfen hat mir dort keiner, aber diese tiefe Stimme von Matthias war irgendwie immer bei mir mit dem Satz, dass ich mir nur selber helfen könne.

Ich konnte nach einer Reha wieder gehen, doch die körperlichen und seelischen Schmerzen blieben. Dann gestand mir mein Mann per WhatsApp, dass unsere Ehe vorbei sei. Wieder kam mir die tiefe Stimme von Matthias in den Sinn: „Lucia, deine Ehe ist im Arsch.“

Jetzt wusste ich, es konnte mir nur einer helfen: Matthias! Ich würde alles tun, was er mir sagte, um meinen Schmerz zu überwinden.

Ich fuhr zu ihm und was sagte er? „Na, Lucia, ist deine Ehe jetzt im Arsch?“

„Was kann ich nun tun?“, fragte ich Matthias und wusste gleichzeitig; egal, was er sagen würde, ich würde es tun. „Lucia, dein Mann Arno ging den Jakobsweg. Mach du es auch!“

„Wie kann ich den Weg gehen, überhaupt erst dort hinkommen, wenn ich nicht sitzen kann, Schmerzen habe, handlungsunfähig bin und festsitze?“ Erst später erfuhr ich übrigens, dass mein Mann den Jakobsweg gar nicht gelaufen war. Während seiner angeblichen sechs Wochen Pilgerreise, traf er seine Freundin!

Matthias sagte wieder: „Lauf los - du kannst es, ich weiß das!“

Wenn es einer wusste, dann er, dachte ich. Ich lief innerlich los, körperlich dauerte es noch ein paar Jahre. Matthias gab mir etwas sehr Wertvolles mit. Er sagte, dass ich damit viele Menschen glücklich machen würde. Matthias weihte mich ein in die Kunst seiner Art des Heilens.

Auf einer Geburtstagparty bei Matthias traf ich seinen Freund, den Schauspieler Sven Martinek. Eine Aussage ist mir vom Gespräch mit Sven im Gedächtnis haften geblieben. Er sagte zu mir: “Lucia, mach dich auf den Weg!“ Ich fragte ihn, wie er darauf komme. Er antwortete: „Es steht in deinem Gesicht, praktisch eingeprägt.“ Ratlos fragte ich ihn, was er damit meine. Er erklärte mir: „Alles kann man im Gesicht eines Menschen lesen. Gesichtsforschung ist mein Hobby. Es tut dir gut, deinem Leben eine neue Richtung zu geben“.

Ich wusste, dass es Millionen Menschen gibt, die einen Jakobsweg gegangen sind. Sicherlich hatte jeder seine eigene Motivation, es zu tun. Doch ich war weder körperlich noch seelisch in der Lage dazu. Dennoch habe ich mich auf den Weg gemacht.

Ich lief los und täglich half ich vielen Menschen auf dem Jakobsweg - vor allem aber mir selbst, die ich nichts außer stehen, gehen und liegen konnte und praktisch gelähmt war. Einerseits half ich den Menschen schmerzfrei zu laufen, gleichzeitig allerdings auch mir selber.

So war nun der Jakobsweg Teil meines Lebensweges. In der Zukunft würde ich mir weitere Wünsche erfüllen: das Schweben in der Luft zwischen den Alpengipfeln mit dem Paraglide-Schirm und eine Fahrt nach Kappadokien in der Türkei, eine Reise nach Israel und eine nach Schottland zum Wandern und zum Whiskey-Tasting.

Jetzt war die richtige Zeit. Ich wollte den Jakobsweg nicht in 10 Jahren gehen im Alter von 79 Jahren! JETZT war JETZT und somit der beste Zeitpunkt. Was hinderte mich daran, sofort loszulaufen? Wenig, außer dass ich mich vorbereiten musste und nicht wusste, was ich auf einer solchen Wanderung dringend oder eventuell benötigen würde, oder zu Hause lassen konnte, aber auch der herannahende Winter.

Ich legte den Beginn der Wanderung auf den ersten April fest und begann mit der Vorbereitung. Ein weiterer Grund, den Weg zu gehen, war für mich, ab Tag eins des Weges Autorin zu sein, um ein Buch über diesen Weg zu schreiben. Mein erstes Buch, das Sie gerade in den Händen halten.

Der Mann einer Freundin aus Hamburg war dreimal auf einem Jakobsweg unterwegs gewesen. Ich besuchte das Ehepaar und ließ mir berichten. Dazu sah ich viele Fotos. Mein Freund Stephan gab mir ein Buch zu lesen. Vier weitere Bücher zum Jakobsweg kaufte ich mir. Das Buch von Hape Kerkeling hatte ich vor Jahren gelesen und auch den Film gesehen. Besonders beeindruckte mich das Buch „Der Salzpfad“. Ein todkranker Mann wanderte mit seiner Frau diesen 1000 km langen Küstenweg in England und gesundete.

Ich reservierte eine Schublade im Gästezimmer und füllte sie über die Monate mit vielen Kleinigkeiten, die ich eventuell mitnehmen könnte. Einen langen Seidenrock kürzte ich auf Knielänge, da der Stoff extrem leicht war und ich auch am Abend appetitlich aussehen wollte. Ich kaufte einen neuen Schlafsack. Mein alter wurde sehr häufig von meinem Sohn ausgeliehen und hatte viele Musikfestivals erlebt. Ich kaufte die dickere Version mit Daunenfüllung, auch wenn diese schwerer war, als die leichtere Version. Ich entschied mich gegen Synthetik, auch auf die Gefahr hin, dass er bei Dauerregen eventuell durchweicht werden könnte und das Trocknen laut Anleitung im Buch „Pilgertipps und Packliste Jakobsweg“ von S. Yates ein Problem darstellen könnte. Unter Daunen fühle ich mich stets angenehm geborgen und habe die nötige Wärme, die mich gut schlafen lässt.

Das viele Gelesene, das mir zum Teil widersprüchlich erschien, begann mich zu beunruhigen. Ich beschloss, mir die Devise der Indianer zu Herzen zu nehmen: Ziel sehen und loslaufen.

Der Sinn meiner Wanderung und alles, was ich versuchte, vorauszusehen, würde sich kurz vor der Reise, während der Reise oder in der Reflexion der Reise ergeben. Im Januar und Februar wurde mir klar, dass ich die Gegend zwischen Bilbao und Santiago de Compostela gerne allein und ohne Mitreisende erforschen wollte.

In der Zeit stellten mir viele Bekannte Fragen zum Jakobsweg, die ich nicht beantworten konnte, da ich den Weg noch nicht kannte. Oft erhielt ich Vorträge zum Jakobsweg von Personen, die den Weg ebenso wenig kannten, wie ich. Ich fragte mich, woher diese Personen ihr Wissen nahmen.

Ich erhielt auch ungefragt viele Ratschläge zum Jakobsweg, die ich mir geduldig anhörte, obwohl ich diese aus den gelesenen Büchern kannte. Mir diese Ratschläge anzuhören, fiel mir schwer. Dabei höflich zu bleiben ebenso, da ich wusste, dass die mich Belehrenden nichts Weiteres über den Jakobsweg zu berichten hatten als das, was ich selber schon gelesen hatte. Hier half mir meine Erziehung, die ich für neun Jahre auf dem Frauengymnasium genießen durfte, wie auch das fortlaufende Training, das ich in den vielen Jahren als Lehrerin professionalisiert hatte. Auch die vielen Supervisionen und Lehrgänge, die die Ausübung meines Ehrenamtes begleiteten, halfen mir, die Geduld zu bewahren.

Im März besuchten mich mein in Kanada lebender Sohn und dessen Freundin. Ich verschob den Abflug nach Bilbao auf den 04.04.2019 und fuhr Mitte März für sieben Tage in die Alpen zum Skilaufen. Anschließend durchforsteten mein Sohn und seine Freundin gemeinsam mit mir alle Utensilien, die ich gesammelt hatte. Wir machten drei Stapel. Der erste war für die wichtigen Sachen, der zweite lief unter der Überschrift: „kann mit“, und der dritte war für die unnötigen Dinge.

Der Stapel für „unnötig“ wurde groß, der Stapel für „muss mit“ wurde klein und der Stapel für „kann mit“ war kaum erwähnenswert.

Anschließend erstellten wir einen Notizzettel mit den noch fehlenden Utensilien, die ich besorgen musste. Wir steckten zwei Liter Wasser in einen 30 Liter Rucksack, packten die Utensilien des Stapels „muss mit“ hinein und stellten den Rucksack auf die Waage. Diese zeigte 6,8 Kilogramm an. Einen Rucksack dieser Größe würde ich kaufen müssen. Wir legten einen meiner Nordic-Walking-Stöcke auf die Waage wie auch meinen faltbaren Wanderstock. In Anbetracht des Gewichtes sollte letzterer zu Hause bleiben.

Ich kaufte bei Rucksack.de einen Rucksack für Frauen. Zwei Mitarbeiter kümmerten sich intensiv um mich. Meine Wahl fiel auf einen leichten 36-Liter Rucksack von der Firma Osprey, der 1,5 Kilo auf die Waage brachte. Die Mitarbeiter halfen mir beim sehr genauen Einstellen der Riemen und Bänder. Sie legten ein großes Gewichtsstück in den Rucksack und betrachteten mich von allen Seiten. Das Gewicht sollte so gleichmäßig wie möglich verteilt sein.

Am Tag vor dem Abflug packte ich den Rucksack. Statt des leichten Nordic-Walking-Stockes befestigte ich meinen Wanderstock am Rucksack. Ich hatte mir nachts Sorgen wegen eventueller Schwierigkeiten bei der Aufgabe des Gepäckes am Flughafen bezüglich der Länge des anderen Stockes gemacht.

Am Abend schmückte ich meinen Wanderstock mit 17 kleinen Muscheln aus Papier, die ich farbig angemalt und auf den Stock geklebt hatte. Auch schmückte ich den Rucksack mit einer farbigen Muschel aus Papier, die ich 43 Tage später zurückbrachte, während die von mir in Spanien erstandenen Muscheln zerbrachen oder vom Rucksack fielen, weil die Bänder, mit denen sie befestigt waren, während des Wanderns durchgescheuert wurden.

An diesem Abend konnte ich mir keine Antwort auf die Frage geben, warum ich dieses Abenteuer nicht schon früher auf mich genommen hatte. Ich fühlte mich außerdem völlig „beziehungslos“ und sagte mir: „Vielleicht hilft dir dieses Abenteuer, dich mit dir selbst in Beziehung zu setzen, sodass du auf keine weitere „enge emotionale“ Beziehung zu Mitmenschen fixiert bist, diese benötigst und suchen musst.“

Meine Freundin Ingrid fragte mich ein paar Tage vor dem Abflug, ob sie mich zum Bahnhof Diepholz bringen solle, wo mein Jakobsweg (der Camino/der Weg) starten sollte. Dankbar nahm ich ihr Angebot an.

1.Tag Vechta – Pobena

An diesem 04.04.2019 läutete mein Wecker nicht. Dank Ingrids Hilfe erreichte ich dennoch den von mir ausgesuchten Zug zum Flughafen Düsseldorf. Pünktlich um 08:31 Uhr erreichte ich den Flughafen. Das Abenteuer konnte beginnen.

Nach der Landung in Bilbao stellte ich mich vor den Flughafen, blickte in mich hinein, und sagte zu mir: „Jetzt beginnt diese Reise.“ Ich beschloss, sofort loszugehen und nicht, wie mir geraten worden war, eine Nacht in Bilbao zu bleiben. Nach etwa einem Kilometer wurde ich von der Autostrada gebremst. Ein Herr erklärte mir in einer in der Nähe gelegenen Tankstelle: “A pied – impossible! Solo Autobus.“ Er erklärte, dass der Bus vom Terminal abfahre. Ich wanderte zurück zum Terminal, kaufte mir einen Fahrschein für den Bus und erhielt eine große Stadtkarte gratis dazu.

Jemand hatte es gut mit mir gemeint. Mit Hilfe dieser Karte gelang es mir, mich in der wuseligen Stadt zurechtzufinden und auch wieder hinauszufinden. Nur mit meinem Wanderführer und den Zeichen mit dem Pfeil hätte ich den Weg nicht gefunden.

Ich wanderte zur Stadt „Muskiz“, doch ich fand die im Wanderführer eingezeichnete Herberge nicht. Eine Dame erklärte mir, dass es im Ort keine Herberge mehr gäbe. Ich müsse nach Pobena wandern. Das wollte ich vermeiden, da es spät war. Die Dame erklärte mir eine wundervolle Abkürzung in Richtung Pobena, die nur eine halbe Stunde dauerte. Eine weitere Abkürzung fand ich selbst, indem ich an der Seite des Flusses entlanglief, an der die Herberge liegen sollte. Plötzlich stand ich vor einem Haus, dass ich niemals als Herberge erkannt hätte, wenn nicht Albergue an der Tür gestanden hätte. Bei genauem Hinsehen erkannte ich das Erkennungszeichen, die Muschel. Ich war noch ungeübt darin, die Muschel und die Pfeile als Wegzeichen zu erkennen. Auch die Pilgerherbergen erkannte ich nur mit Schwierigkeiten als solche.

Ich schaute vorsichtig durch die Tür. Links saß ein Mann und sagte irgendetwas zu mir. Ich verstand ihn nicht. Er fragte, ob ich ein Cama (Bett) wolle. Cama war für mich eine Kammer, also Zimmer.

Ich nickte. Erneut forderte er mich auf zu irgendetwas. Nun verstand ich. Er wollte meinen Pilgerausweis (Credential) sehen. Diesen hatte ich während meiner Vorbereitungen zur Reise bei einer Jakobsgesellschaft in Bayern bestellt und erhalten. Er gab mir einen Stempel, ein Papierbettlaken und ein Papierkopfkissen, zeigte mir den Platz für die Wanderschuhe und führte mich kurz in den Schlafsaal. Er meinte, das Restaurant sei hinter dem Haus. Nachdem er mich auf die Öffnungszeiten und die Preisliste für das Abendessen und das Frühstück hingewiesen hatte, war ich auf mich selbst gestellt.

Die Vorhänge im Schlafsaal waren geschlossen, viele Stockbetten standen ungeordnet im Raum. Ich bezog mein Bett, legte meinen Schlafsack auf das Bett, das am nächsten zur Tür stand, betrachtete den Raum argwöhnisch und wusste nicht, ob ich tatsächlich bleiben wollte. Wohl fühlte ich mich nicht, da ein solches „Schlafzimmer“ mir komplett fremd war. Doch was sollte ich tun? Ich hatte das Abenteuer angefangen und es direkt abzubrechen, kam mir nicht in den Sinn. So musste ich - zumindest diese erste Nacht - in dieser für mich entsetzlichen Herberge über mich ergehen lassen. Ich musste lernen, die Dinge an mich herankommen zu lassen. In dieser Nacht zwang ich mich dazu und hoffte, dass es mit der Übung, somit in den nächsten 39 Nächte leichter fallen würde.

Ich schöpfte Mut, ließ meinen Rucksack in dem Raum mit circa 30 Betten stehen, prägte mir den Weg vom Bett zur Toilette genau ein und ging zum Restaurant, um etwas zu trinken. Hunger hatte ich nicht, da ich genug Proviant für die ersten zwei Tage mitgenommen hatte. Eine Kellnerin führte mich durch die dicht besetzte vordere Kneipe zum Speisesaal.