Jagd-Reisefieber - Dirk Decker - E-Book

Jagd-Reisefieber E-Book

Dirk Decker

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Beschreibung

Die kurzweilig erzählten Geschichten über 35 Jahre Jagdreisen quer durch Europas Reviere berichten über spannende Jagderlebnisse in atemberaubenden Landschaften, an geschichtsträchtigen Orten, mit guten Freunden, bisweilen aber auch dubiosen Gestalten. Nur dem ersten Anschein nach bunt zusammengewürfelt, verbindet die gewachsene Jagdpassion einen Kreis von erfahrenen Jägern, die es ohne Neid und Missgunst genießen, gemeinsam im Ausland zu jagen. Dabei geht es ihnen nie nur um den reinen Jagderfolg, sondern immer auch um das gemeinsame Erleben ihrer Leidenschaft. Inspiration für all unsere jagdlich interessierten Leser!

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Seitenzahl: 286

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Einbandgestaltung: R2 I Ravenstein, Verden

Titelfoto: ©peter galacz/EyeEm/stock.adobe.com; Foto auf der Cover-Rückseite: Budimir Jevtic/stock.adobe.com; Autorenfoto auf der Cover-Rückseite: Archiv Dirk Decker

Bildnachweis: Die Bilder im Innenteil stammen von Dirk Decker bzw. Mitgliedern der jeweiligen Jagdgruppe; die Grafiken unter den grünen Infokästen stammen von Adobe Stock/stock.adobe.com: wectorcolor S. 15; khius S. 21; kapona S. 31, 113, 167, 191, 221; SunnyS S. 39; Aleksandra S. 51; Andreichenko S. 65; yik2007 S. 77; Kateina S. 87; k_yu S. 101; lenny S. 125; PYRAMIS S. 139; [email protected] S.155; Ana Gram S. 177; Margosoleil S. 209. Alle weiteren Bildquellen stammen von Adobe Stock/stock.adobe.com und finden sich direkt am entsprechenden Foto.

Alle Angaben in diesem Buch wurden nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Für einen eventuellen Miss-brauch der Informationen in diesem Buch können weder der Autor noch der Verlag oder die Vertreiber des Buches zur Verantwortung gezogen werden. Eine Haftung für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

ISBN 978-3-613-31305-7 (EPUB)

Copyright © by Müller Rüschlikon Verlag

Postfach 103743, 70032 Stuttgart

Ein Unternehmen der Paul Pietsch Verlage GmbH & Co. KG

Sie finden uns im Internet unter www.mueller-rueschlikon-verlag.de

Nachdruck, auch einzelner Teile, ist verboten. Das Urheberrecht und sämtliche weiteren Rechte sind dem Verlag vorbehalten. Übersetzung, Speicherung, Vervielfältigung und Verbreitung einschließlich Übernahme auf elektro-nische Datenträger wie DVD, CD-ROM usw. sowie Einspeicherung in elektronische Medien wie Internet usw. ist ohne vorherige Genehmigung des Verlages unzulässig und strafbar.

Gesamtleitung: Claudia König

Lektorat: Angelika Glock, www.wuppermanufaktur.de

Innengestaltung: Angelika Glock, www.wuppermanufaktur.de

VORWORT

DIE ERSTE

Schladming, Österreich (1984)

DER ZAUBERER

Bydgoszcz, Polen (1991)

EISREGEN

Łomża, Polen (1992)

DER EINARMIGE FÖRSTER

Nidzica, Polen (1995)

DER LUFTHANSA-WISENT

Białowieża, Weißrussland (1997)

GESCHWISTER-KEILER

Pakruojis, Litauen (1999)

PARIS–MOSKAU

Białowieża, Weißrussland (2002)

KALINKA

Białowieża, Weißrussland (2003)

DOPPELZIMMER

Karapancsa, Ungarn (2004)

FEUERTEUFEL

Breslau, Polen (2005)

KUTSCHENJAGD

Baranja/Požega, Kroatien (2006)

REVOLVER

Bukovetz, Bulgarien (2008 + 2009)

SIEBEN AUF EINEN STREICH

Kemence, Ungarn (2012)

JAGDHAUS WENCKHEIM

Diósjenő, Ungarn (2013)

GUNDEL

Litke/Magyarnándor, Ungarn (2014)

ERBLINDET

Magyarnándor/Vac, Ungarn (2016)

SCHAKAL

Donauauen, Rumänien (2018)

ASP

Lubiszyn, Polen (2020)

NACHWORT

VORWORT

„Du erhältst den Stand des Jagdkönigs der letzten Jagd“, ließ mich der Jagdherr nach der Begrüßung wissen. Unwohlsein kroch meine Glieder empor. Natürlich war es eine Art der Ehrerbietung, aber den vermeintlich sicheren Jagderfolg wollte ich nicht garantiert bekommen. Aber ablehnen konnte ich auch nicht, fügte mich schließlich meinem Schicksal, und prompt ging es schief. Ich hatte eine Rotte in den dichten Brombeerdornen falsch angesprochen und legte neben einem 30-kg-Frischling eine Bache von gut 50 kg auf die Schwarte. Diese war nicht frei und handelte mir einiges an Schelte ein.

Jagd wird für mich durch die Spannung vor dem Ungewissen geprägt. Der Satz „Fuchs kann immer kommen!“ bringt es ganz gut auf den Punkt. Dies gilt sowohl für das heimische Piddeln im Niederwildrevier als auch für die großen Drückjagden auf Schalenwild und natürlich auch uneingeschränkt für meine vielen Auslandsjagden der vergangenen Jahre. Nicht die Masse an Beute, nicht die starke Trophäe und schon gar nicht der sichere Jagderfolg standen bei meinen Reisen im Vordergrund. Immer ging es mir um das intensive Erleben meiner Art zu jagen. Komprimiert über mehrere Tage hinweg. Im Idealfall zusammen mit Gleichgesinnten mit ähnlichen moralischen und ethischen Ansprüchen an die Jagd, mit genügend Demut und Respekt vor unserer Schöpfung. Nur dann war die gemeinsame Freude über den Jagderfolg der krönende Abschluss einer Jagdreise.

In Erinnerung bleiben die besonderen Erlebnisse. Diejenigen, die einen tief berührt haben. Die positiven meist geprägt vom erlösenden Glücksgefühl nach durchlebten Strapazen. Die negativen meist bestimmt durch eigene Unzulänglichkeiten oder die meiner Begleiter.

In Erinnerung bleiben die besonderen Jäger aus fremden Ländern. Diejenigen, die die Jagd genauso wertschätzen wie ich selbst. Aber leider auch die, die kaum Ehrfurcht vor der Jagd haben und diese schamlos ausnutzen, um sich an der Natur zu bereichern.

In Erinnerung bleiben die besonderen Orte, an denen ich jagen durfte. Von besonderer Naturschönheit, mit bewegter Geschichte oder gelebter Tradition. Niemals möchte ich diese Erfahrungen missen, und niemals werde ich zu bequem sein, neue Erfahrungen zu machen.

Dirk Decker

kurz vor Vollmond im Februar 2022

DIE ERSTE

Im Frühjahr 1984 beendete ich mit dem Abitur mein Dasein als Schüler. Nicht nur für mich das Ende eines prägenden Lebensabschnittes, sondern auch für meine Eltern etwas Besonderes. Ich hatte nicht damit gerechnet, aber ihnen war es wichtig, mir ihre Wertschätzung zu zeigen. Eine Gamsjagd im kommenden September war das Geschenk meiner Eltern zum erfolgreich bestandenen Abitur. Zusammen mit Carl und Egon, zwei guten Jagdfreunden meiner Eltern, sollte es in die Steiermark nach Österreich gehen. Ich hatte inzwischen Hunderte Tauben und Kaninchen erlegt, meine ersten Füchse im Schneehemd geschossen und an den ersten größeren Hasentreibjagden teilgenommen. Aber ein Stück Schalenwild war mir noch nicht vergönnt gewesen. Die Feldrehe in unserem Niederwildrevier waren heilige Kühe und wurden konsequent nicht bejagt, und andere Möglichkeiten hatte ich nicht. Blumenkind war ich auf Carls Hochzeit vor vielen Jahren, und nun durfte ich mit diesem erfahrenen Jäger auf Gämse pirschen! Ja, das war in der Tat etwas ganz Besonderes, dem ich die nächsten Wochen entgegenfiebern sollte.

Zwischen der Anmeldung zum Forststudium und einem Zelturlaub mit meiner damaligen Freundin in Frankreich bemühte ich mich, meine Ausrüstung für die Gebirgsjagd zusammenzustellen. Zunächst musste vernünftiges Schuhwerk her, und die gewohnten Jagdstiefel wurden durch feste Meindl-Wanderschuhe ersetzt. Ein paar Gamaschen dazu, und die Berge konnten kommen. Der alte Jagdrucksack meines Vaters war noch gut genug und musste nicht ersetzt werden. Auch sein Spektiv würde gute Dienste leisten. Viel mehr Kopfzerbrechen bereitete mir die Sorge, dass ich unter Umständen auf sehr große Entfernungen würde schießen müssen. Das hatte ich bisher noch nie gemacht, und auch die 11,7 g schweren Kugeln für die .30-06 meines Vaters passten nicht wirklich. So wurde ein leichteres Geschoss besorgt und die Waffe im freien Feld auf 185 m eingeschossen. Die 10 m hohe Autobahnböschung in unserem Niederwildrevier bot hierfür einen sicheren Kugelfang. Bis 200 m saßen die Treffer eigentlich ganz vernünftig auf dem Karton, darüber hinaus wurde es allerdings ziemlich hanebüchen.

Wir kalkulierten etwa neun Stunden Autofahrt bis zu unserem Ziel in Schladming. Früh setzten wir uns in Bewegung, um noch im Hellen vor Ort zu sein. Der Revierinhaber führte mit seinem Sohn einen kleinen Gasthof mit Hotelbetrieb. Carl und Egon fuhren schon seit vielen Jahren hierhin zur Jagd und waren inzwischen gut mit ihm befreundet. Sepp war ein österreichischer Gebirgsjäger, wie er im Buche steht. Rauschebart, von kleiner Statur und für sein Alter noch recht drahtig. Der Wirt begrüßte uns herzlich. Beim Abendessen planten wir die kommenden Tage. Sepp würde uns die ersten Tage allein führen, da sein Sohn zu viel zu tun hätte. Da sich Carl und Egon im Revier gut auskannten, sollten die beiden gemeinsam und ich mit Sepp als Führer in den Berg steigen.

Start- und Zielpunkt meiner ersten Auslandsjagd (Foto: ©ah_fotobox/stock.adobe.com)

Die Nacht war kurz, und nach einem stärkenden Frühstück ging es endlich los. Eine halbe Stunde Autofahrt brachte uns über kleinere Nebenstrecken zu einem Parkplatz am Fuße der Berge. Sepp verteilte den Proviant für die kommenden Tage auf unsere Rucksäcke, und dann ging es, die Büchsen geschultert, an den Aufstieg zur Almhütte. Die Luft im Tal war angenehm kühl, und die ersten Meter durch den Bergwald brachten uns kaum außer Atem. Nach gut drei Stunden Fußmarsch hatten wir die Baumgrenze und somit gut drei Viertel unserer Wegstrecke geschafft.

Die Sonne strahlte vom Himmel und wärmte angenehm unsere Gesichter. Ein grandioser Panoramablick folgte dem nächsten. Mir war diese Welt bisher völlig unbekannt, hatten unsere Familienurlaube doch meist am Meer stattgefunden. Sepp hielt zwischendurch immer mal wieder Ausschau nach Gamswild. Oft schon hatte sich beim Aufstieg zur Hütte eine Möglichkeit geboten. Zwei Birkhennen fühlten sich gestört, aber sonst blieb es ruhig. Noch eine Rechtskurve, und die Jagdhütte kam endlich in Anblick. Die kleine Holzhütte mit dem Schindeldach befand sich in einer grandiosen Lage.

So hatte ich es mir erträumt. Beinahe rundum hatte man eine unbeschreibliche Sicht in die Tiefe der Alpen. Hangabwärts über ein weites Tal bis auf die benachbarten Berggipfel, hangaufwärts bis in die schneebedeckten Bereiche über den Geröllfeldern. Die kleine Veranda war nach Südwesten orientiert, sodass sie bis spät in den Nachmittag hinein von der Sonne beschienen wurde. Ein kleiner Bergbach neben der Hütte spendete frisches Wasser zum Kochen und Waschen. Das Plumpsklo lag etwa 20 m von der Hütte entfernt und hatte, wie konnte es anders sein, ein Herz in der Tür. Das Innere der Hütte bestand aus einem kleinen Vorraum und einem etwa 3 x 4 m großen Wohnraum. An der einen Wand zwei Doppelstockbetten, an der anderen ein Tisch mit zwei Bänken. Vor Kopf der gusseiserne Ofen, der nicht nur Wärme spendete, sondern auch als Kochstelle diente. Alles war auf das absolut Notwendigste reduziert.

Sepp stochte den Ofen an, und wir verstauten die wenigen Dinge aus unseren Rucksäcken. Ein Pirschgang war an diesem Tag nicht mehr vorgesehen, dafür war es auch längst zu spät. Nach dem kräftezehrenden Aufstieg mussten wir uns erst einmal stärken. Mehlsterz stand auf der Speisekarte. Das für die Steiermark typische Armeleuteessen schmeckt deftig und stillt selbst den größten Hunger. Hierzu wird Roggenmehl so lange in Schmalz geröstet, bis es hellbraun ist. Dann gießt man siedendes Wasser über das geröstete Mehl, rührt das Ganze ab und röstet den Teig weiter in der Pfanne. Anschließend zersticht man den Teig in kleine Stücke und salzt ihn unter stetigem Wenden etwas ab. Nach einigen Minuten des Abkühlens gibt man Speckwürfel hinzu, um dann den Sterz noch einmal kurz zu erhitzen. Selbst diese wohlschmeckende Mahlzeit war so minimalistisch wie die ganze Szenerie hier oben auf dem Berg. Ich fühlte mich pudelwohl.

Kaffeeduft holte uns sanft aus dem Schlaf. Draußen war es noch dunkel. Das Frühstück war einfach und verlief etwas wortkarg. Im Morgengrauen setzten Sepp und ich uns in Bewegung. Es war bitterkalt, wolkenverhangen und ziemlich diesig. Ein wenig Schnee hatte über Nacht die Landschaft in ein weißes Gewand gehüllt. Wir hielten uns zunächst an den Wanderpfad, den wir am Vortag erklommen hatten. Je heller es wurde, desto heftiger zog Nebel auf. Hin und wieder eröffnete der aufkommende Wind Blicke in den Berg, aber meist blieb die Sicht unter 50 m. Eine Wetteränderung war nicht in Sicht. Das hatte so keinen Zweck. Nach zwei Stunden waren wir etwas frustriert wieder zurück an der Hütte. Den Tag verbrachten wir beim Kartenspiel, mit Gamsjagd-Anekdoten aus den vergangenen Jahren und der Hoffnung auf Wetterbesserung. Die stellte sich über Nacht ein. Schon am Abend waren die ersten Sterne am Himmel zu sehen, und morgens war es sternenklar.

Wieder wählte Sepp zunächst den Weg Richtung Tal. Vor Erreichen der Baumgrenze ging es seitlich in den Berg. Mein Führer legte ein mäßiges, aber konstantes Tempo vor. Gekonnt kletterte er zwischen den Felsbrocken den Hang hinauf. Ich hatte im Vorfeld etwas Sorge, konnte aber gut mithalten. Immer wieder hielten wir inne, um die Felsen nach Gamswild abzusuchen. Weit über das Tal hinweg machte Sepp einen Bock aus. Ich brauchte einige Minuten, um die Gams ins Glas zu bekommen. Für uns nicht erreichbar, aber immerhin mein erster Anblick. Ich konzentrierte mich im Wesentlichen darauf, Sepp sicher und schnell genug zu folgen. Er würde so oder so das Wild eher entdecken als ich. Wir waren vielleicht gut eine halbe Stunde vom Weg entfernt, als mich Sepp aufforderte, in Deckung zu gehen. Hinter einer steilen Kluft stand im Gegenhang eine Gams. Dieses Mal hatte auch ich sie bereits erblickt.

Die Abitur-Gams

Sepp nahm sich einige Minuten Zeit zum Ansprechen. „Bock. Der passt!“, urteilte er kurz und knapp. Noch waren wir etwas zu weit entfernt. Im Schutz der Felsen pirschten wir Meter um Meter näher heran. Ein mannshoher Felsen schien zu passen. Sepp prüfte noch einmal seine Einschätzung und nickte dann aufmunternd. Er richtete den Rucksack als Auflage ein. So wirklich passte mir die Schussposition nicht, und gern hätte ich sie ein wenig verändert. Aber Sepp war nun mal derjenige, der die Situation bestimmte, und ich traute mich nicht, daran zu rütteln. Die Entfernung war für mich schwer einschätzbar. Im Fadenkreuz erschien mir der Gamsbock recht klein, sodass ich auf etwa 180 m tippte. Der Zielstachel wackelte ständig aus dem Stück. Verdammt, meine Position ließ einfach kein sicheres Zielen zu. Ein wenig fühlte ich mich gedrängt, nun endlich mein Glück zu probieren. Die Waffe eingestochen, wackelte ich mich ins Ziel und ließ fliegen. Ein Donner schallte durch das Tal. Der Bock warf auf, zeigte aber keine weitere Regung. „Vorbei! Probier es noch einmal!“

Wie lange würde die Gams es wohl aushalten? Der zweite Schuss war entsprechend schnell aus dem Lauf. Wieder vorbei. Die Gams machte zwei Sätze den Hang hinunter und stand erneut scheibenbreit. Ich hatte kaum Zeit, mir große Gedanken zu machen. Also noch einmal: Durchrepetiert, eingestochen, die Waffe fest eingezogen, und die dritte Kugel verließ den Lauf. Der Bock sackte hinten ein, machte sich wieder auf, um sich dann den Hang hinunter zu überschlagen. Auch ich hatte gesehen, dass der Schuss weich getroffen hatte. War mir die Situation peinlich, drei Schüsse und dann auch noch ein schlechter Treffer. Aber Sepp schien mein Unvermögen gelassen zu nehmen. In Ruhe packten wir alles zusammen und planten die nächsten Schritte. Wir wollten der Gams genug Zeit geben, ausreichend krank zu werden. 15 Minuten warteten wir ab, um uns dann endlich in Bewegung zu setzen. Sepp war einige Meter voraus und entdeckte die Kranke zwischen den Felsen zuerst. Er wies mich so ein, dass ich ihr einen sicheren Fangschuss auf den Träger geben konnte. Am Stück erntete ich ein kräftiges Weidmannsheil. Aber so richtig verdient hatte ich es eigentlich nicht, da konnten auch die aufbauenden Worte meines Führers nicht helfen.

Gemeinsam versorgten wir das Stück. Die Gams geschultert, ging es zurück Richtung Weg. Kurz davor hängten wir den Bock in eine klein gewachsene Latschenkiefer. Bei den niedrigen Temperaturen könne sie hier ruhig bis zum Ende der Jagd hängen bleiben. Vielleicht hätte aber auch sein Sohn Zeit, sie zwischendurch zu holen, meinte Sepp. Ich war froh, die Gams nicht bis zur Hütte hinauf bergen zu müssen. Egon und Carl freuten sich über mein Jagdglück und bemühten sich, meine Selbstzweifel auszuräumen. Sepp holte den Obstler aus dem Regal und gemeinsam tranken wir meinen Gamsbock tot.

Am Nachmittag stieg Carl allein in den Berg. Er wählte die Route hangaufwärts in Richtung der schneebedeckten Gipfel. Von der Hütte aus konnten wir ihn immer wieder ins Spektiv bekommen. Dort oben gebe es eine Notunterkunft an einem kleinen Bergsee in einem Talkessel, hieß es. Was hätte ich darum gegeben, Carl begleiten zu dürfen. Aber auch hier unten war es spannend genug. Im Schnee konnten wir ein größeres Geraffel ausmachen. Etwa 20 Geißen, Kitzen und junge Böcke standen unweit vor Carl. So erschien es uns zumindest im Spektiv. Vor Ort gestaltete sich die Situation jedoch völlig anders. Zwischen Carl und dem Scharwild befanden sich durchaus noch einige Meter, und die Sicht war durch einen Felsvorsprung verstellt. Endlos lange dauerte es, bis endlich der Schuss brach. Sepp stieg ihm entgegen, um beim Bergen zu helfen. Zwei Gämsen an einem Tag, das war auch für ihn außergewöhnlich.

Am nächsten Morgen durfte ich Sepp und Egon begleiten. Bergstock, Spektiv und ein wenig Proviant, mehr brauchte ich nicht. Das Wetter war klar und die Sicht ausgesprochen gut. Wir machten weit über das Tal hinweg eine Gams aus. Sie schien zu passen, einigermaßen sicher erreichbar, und auch das Bergen sollte dort oben möglich sein. Einen Teil des Weges konnte ich die beiden noch begleiten, dann wies mich Sepp an, zurückzubleiben und das Geschehen von hier aus zu beobachten. Die Gams war sicher noch mehrere Hundert Meter entfernt. Fast zwei Stunden brauchten die beiden, um ihr ausreichend nahe zu kommen. Auch Egon machte es besser als ich. Ein sicherer Schuss ließ den Bock im Felsen tödlich zusammenbrechen. Ich saugte jeden Schritt der beiden bis zum erfolgreichen Schuss auf und erlebte Egons Jagdglück, als wenn ich selbst geschossen hätte.

Sepps Sohn überbrachte am Nachmittag die traurige Nachricht, dass eine gute Freundin von Carls Familie während seiner Abwesenheit verstorben sei. Die Stimmung war gedrückt, und wir beschlossen, die Jagd zwei Tage früher als geplant abzubrechen. Wir verbrachten noch einen geselligen Abend im Wirtshaus, lauschten den spannenden Geschichten des jungen Wirtes über seine Bärenjagd in Alaska und rüsteten uns dann für die Heimreise. Einige Wochen später trafen wir uns mit unseren Trophäen bei Egon zum Gamsessen und ließen die leider viel zu kurz gekommenen Momente unserer Jagd in den Alpen noch einmal Revue passieren.

Natürlich wird mir diese Reise immer in Erinnerung bleiben. Es war meine erste Jagd im Ausland. Es sollte bis heute meine einzige Jagd auf Gamswild in einer mir unbekannten Gebirgslandschaft bleiben. Es war eine Jagd, die ursprünglicher nicht hätte sein können. Es war eine Jagd mit zwei guten Freunden, die ihr Handwerk verstanden. Es war eine Jagd, die mir aber auch Grenzen aufgezeigt hat. Auch wenn sie mit der Erlegung des Gamsbockes ein gutes Ende fand, wollte ich meine Schlüsse daraus ziehen und bemühte mich fortan, stets bestmöglich auf derartige Herausforderungen vorbereitet zu sein. All diese ersten Eindrücke waren letztlich prägend für meine Jagdreisen der kommenden Jahre.

Jagd:

Pirsch auf Gamswild

Ort:

Schladming, Österreich

Revier:

privat

Datum:

September 1984

Strecke:

2 Gamsböcke und 1 Gamsgeiß

Anzahl Schützen:

3

Vermittler:

privat

DER ZAUBERER

Meine Eltern hatten seit zwei Jahren ein Hochwildrevier in der Eifel gepachtet, und ich erhielt endlich die Möglichkeit, auch auf Schalenwild intensiver zu jagen. Seit meiner Abitur-Gams war nur ein Überläuferkeiler im Rahmen eines Praxissemesters während meines Forststudiums hinzugekommen. Aber nun eröffneten sich mir genügend Gelegenheiten, auf Rot-, Schwarz- und Rehwild zu jagen.

Zu den guten Freunden, die sich regelmäßig im Jagdhaus meiner Eltern trafen, gehörten Carl, den ich Jahre zuvor zur Gamsjagd nach Österreich begleiten durfte, Friedrich, ein Landwirt und guter Freund der Familie aus der Nachbarschaft, und natürlich Josef, ebenfalls Landwirt und ein gern gesehener Gast auf unseren heimischen Niederwildjagden. Josef kannte ich schon von Kindesbeinen an. Wenn wir als Knirpse mit auf Fasanen durften und mal wieder in den Rüben schlappmachten, war er oft zur Stelle und trug uns bis zum Ende der Furche. Er schoss eine exzellente Flinte und wurde gefühlt auf jeder zweiten Niederwildtreibjagd zum Jagdkönig gekrönt. Nicht nur auf Jagdgesellschaften hatte er dabei stets den Schalk im Nacken, sondern auch privat sorgte er immer wieder für eine ausgelassene und lustige Stimmung. Vom Alter her lag Josef fast genau zwischen mir und meinen Eltern. Seit Jahren schon fuhr er einmal im Jahr mit einer erlesenen Jagdgruppe nach Ungarn zur Drückjagd. Wie sehr habe ich seine vielen Geschichten geliebt, die er von diesen Reisen zu berichten hatte.

Im Frühjahr 1991 fragte mich Josef dann, ob ich mir vorstellen könne, auch einmal im Ausland auf Schwarzwild zu jagen. Grundsätzlich hatte ich natürlich große Lust, aber nach Abschluss meines Studiums und zugleich zu Beginn meiner beruflichen Karriere waren die finanziellen Möglichkeiten doch etwas begrenzt. Ungarn schied also aus, aber eine günstigere Reise nach Polen lag durchaus im Rahmen meiner Möglichkeiten. Diese gemeinsame erste Drückjagdreise sollte der Beginn einer intensiven und besonderen Jagdfreundschaft werden. Inzwischen haben wir fast 30 Jagdreisen und unzählige unvergessliche Momente zusammen erlebt.

Neun Jäger hatten sich unter der Leitung des leider schon lange verstorbenen Rolf zusammengefunden, um gemeinsam im Nordwesten Polens, etwas nördlich von Bydgoszcz, auf Sauen und Rotwild zu jagen. Die meisten waren älter als Josef und ich, und nicht alle zählten zu unserem Bekanntenkreis. Ein kleines Wagnis bestand also, wussten wir doch allesamt nicht, ob die Einzelnen auch in der Lage waren, harmonisch in einer Gruppe gemeinsam zu jagen. Da wir uns in mehreren privaten Pkws auf den Weg nach Polen machten, ergab sich auch während der Anreise kaum eine Möglichkeit, einander näher kennenzulernen. Uns hatte man Herbert, den ewigen Junggesellen, als Beifahrer zugeteilt. Nach einer anstrengenden Autofahrt hofften wir, dass wenigstens die anderen eine etwas umgänglichere Art haben würden.

Die Reise führte uns in das 9.113 ha große Staatsrevier Różanna zwischen Danzig und Bydgoszcz in der Woiwodschaft Kujawien-Pommern. 140 Stück Schwarzwild, 30 Stück Rotwild und ungefähr 100 Rehe kamen hier jährlich zur Strecke. Knapp zwei Drittel des ausnahmslos flachen Reviers waren bewaldet, der Rest bestand aus weitläufigen Ackerflächen. Der Wald war vorwiegend mit Nadelwäldern, insbesondere Kiefern, bestockt. Nur etwa 30% betrug der Anteil an Laubbäumen wie Birken, Buchen, Erlen und Zitterpappeln. Zahlreiche, teilweise sehr großflächige Seen prägten das Landschaftsbild.

Kujawien-Pommern (Foto: ©jesiotr9/stock.adobe.com)

Am Ufer eines dieser Gewässer lag völlig einsam und idyllisch unsere Unterkunft, das Haus des örtlichen Försters und seiner Familie. Für die Zeit unserer Anwesenheit waren die Kinder ausquartiert worden, um genügend Platz zu schaffen. Nur noch der Förster mit seiner Ehefrau und seiner Mutter sowie den beiden Hunden, einem Pudelpointer und einem Dackel, war noch vor Ort. Auch wenn das Haus groß war, konnte dennoch nicht jedem ein eigenes Schlafzimmer zugeteilt werden. Josef und ich nahmen mit dem Wohnzimmer vorlieb, ich erhielt das provisorische Bett auf der Familiencouch neben dem Klavier. Gegessen wurde an einem langen Holztisch in der Küche. Dort zauberten Ehefrau und Mutter deftige polnische Köstlichkeiten für uns hungrige Jäger. So beengt alles auch war, so gemütlich und familiär fühlte es sich an.

Mir war es vergönnt, das erste Stück Wild unserer Reise zu erlegen. Alttier und Kalb wechselten in kurzer Distanz, aber mit hohem Tempo aus dem Treiben. Leicht spitz von hinten konnte ich im dichten Unterholz eine Kugel antragen, und das Kalb lag nach kurzer Flucht. Freudig übergab mir der Jagdleiter den Bruch und ließ durchblicken, dass er mir dies schon am Vorabend bei der Einstimmung auf die Jagd zugetraut habe. Wie er zu dieser Auffassung kam, war mir nicht ganz klar, aber gut tat es trotzdem. Natürlich wusste ich, dass ich noch recht grün hinter den Ohren war. Mir fehlte fast jegliche Drückjagderfahrung, und ich saugte wissbegierig jeden nützlichen Hinweis der Erfahreneren auf. Aber auch unter diesen gab es große Unterschiede. Josef zählte sicherlich zu den Meistern, andere eher zu den Gesellen, trotzdem konnte ich von allen etwas lernen.

Im Revier bewegten wir uns vorwiegend mit alten russischen Militärfahrzeugen der Marke UAZ. Uljanowski Awtomobilny Sawod, kurz UAZ, ist ein ehemals sowjetischer Autohersteller aus Uljanowsk, einer russischen Großstadt an der Wolga. Dabei kamen meist der legendäre Geländewagen UAZ-469 und der Kleinbus UAZ-452, der russische „Brotlaib“ auf Rädern, zum Einsatz. Beides absolute Alleskönner, die selbst bei –50 °C noch ansprangen und nicht nur in der Armee, sondern auch in der osteuropäischen Forst- und Landwirtschaft ihre Dienste taten. Und wenn der Anlasser dann doch mal nicht funktionierte, konnte man die Wagen immer noch ankurbeln.

Übers freie Feld! (Foto: ©Milan/stock.adobe.com)

Der Jagdleiter begleitete mich von den Fahrzeugen aus zu meinem Stand auf freiem Feld. Der Wald war sicherlich 200 m entfernt, und ich fragte mich schon, was ich hier wohl ausrichten könnte. Kein Stück würde doch freiwillig über den blanken Acker flüchten, schon gar nicht, wenn zwei Jäger dort völlig offen ihren Stand bezogen hatten. Am Waldrand konnte ich Paul ausmachen. Er war damit beschäftigt, seine VHS-Videokamera in Stellung zu bringen. So war es für ihn fast unmöglich, das klobige Ding zu bedienen und gleichzeitig das Treiben im Auge zu behalten, geschweige denn aktiv an der Jagd teilzunehmen. Natürlich haben sich alle ein paar Wochen nach der Jagd über Pauls Einladung zu einem Videoabend gefreut, aber ein wenig unverständlich war mir diese Ablenkung während der Jagd schon. Ich hatte es nicht für wahrscheinlich gehalten, aber tatsächlich suchten drei Überläufer ihr Heil über das freie Feld. Doch bevor ich sie aufnehmen konnte, musste das Schussfeld frei sein. Ich zögerte, da mir nicht so ganz klar war, wo genau die anderen Schützen postiert waren, und so musste mir der Jagdleiter die Entscheidung abnehmen. Er bat mich, die Sauen zu bejagen. Befreit fuhr ich auf der hinteren Sau mit und bemühte mich, möglichst vorn abzukommen. Die Entfernung war jedoch etwas weiter als gedacht, und der Schuss traf weich. Dennoch sackte der Überläufer abrupt zusammen und verendete nach kurzem Schlegeln. Wieder erntete ich Lob, und allmählich wuchs in mir das Gefühl, dass mir genau diese Jagdform wirklich liegen könnte.

Auch wenn die Gesamtstrecke mit 16 Stück Wild am Ende der vier Jagdtage nicht überragend war, genossen wir es sehr, gemeinsam in der Gruppe zu jagen und die Abende gesellig miteinander zu verbringen. Dies freute auch unsere Gastfamilie, gab sie sich doch jede erdenkliche Mühe, dass wir uns wohlfühlten. Josef mauserte sich indes beim Abendbrot zu einem wahren Zauberer. Er platzierte mehrfach ein Stück Brot auf der Tischkante, verdeckte es mit einem Küchenhandtuch und zelebrierte die entscheidenden Zauberworte. Wie von Geisterhand waren die Brotkrumen verschwunden, als er das Handtuch theatralisch in die Lüfte riss. Ungläubig schauten insbesondere diejenigen, die ihm gegenübersaßen. Der Rest hatte den Trick schnell durchschaut. So lag nämlich der Pudelpointer unter dem Tisch, schnellte immer wieder blitzschnell nach oben und ließ sich die Leckerchen nicht entgehen. Einige Male lachten auch unsere Gastgeber herzhaft mit, aber dann mussten dem Spektakel doch Grenzen gesetzt werden, und so mahnten sie die Hunde, die Küche zu verlassen. Sie sollten das Betteln am Tisch nicht erlernen, und auch auf die Figur der Jagdhunde wurde hier konsequent geachtet.

Dennoch verstanden unsere Gastgeber unsere Späße, stimmten ins Horrido und in das ein oder andere Jägerlied ein und gaben uns das Gefühl, von Herzen willkommen zu sein. Nicht immer gelang es in den Folgejahren, solch eine persönliche Bindung aufzubauen, aber genau diese Jagden waren diejenigen, die mir am intensivsten in Erinnerung geblieben sind.

Jagd:

Drückjagd auf Rotwild, Schwarzwild und Rehwild

Ort:

Bydgoszcz, Kujawien-Pommern, Polen

Revier:

Staatsrevier Różanna, 9.113 ha

Datum:

November 1991

Strecke:

5 Stück Rotwild, 9 Sauen, 2 Rehe

Anzahl Schützen:

9

Vermittler:

Diana Jagdreisen

EISREGEN

Die Vorjahresgruppe bemühte sich auch im Jahr darauf, erneut eine gemeinsame Drückjagdreise zu organisieren. Da die Kosten unserer Fahrt nach Kujawien nicht ganz in Relation zum zu erwartenden Jagderfolg standen, bemühte sich Josef um eine günstigere Alternative. Ziel war es, eine Jagd über einen kleinen polnischen Reisevermittler direkt vor Ort zu buchen und so die teuren Buchungskosten größerer Vermittler zu umgehen. Mit Zbigniew Gulko und seiner Grüne Gilde GmbH hatte er jemanden ausgemacht, der im nordöstlich von Warschau gelegenen Łomża Mitglied eines Jagdvereins war und dort entsprechende Drückjagden anbieten konnte. Bei einer Kostenreduzierung gegenüber dem Vorjahr von fast 50% entschieden wir uns, das überschaubare Wagnis einer Jagd im privat geführten Revier eines Jagdvereins einzugehen. Im Vergleich schnitten staatliche Reviere häufig besser ab, da dort lange nicht so intensiv gejagt wurde und man Erfahrung hatte, Verkaufsjagden in die Jahresplanung zu integrieren. In den Revieren der Jagdvereine hingegen war der Jagddruck meist höher, da dort jedes Mitglied eine jährliche Abschussfreigabe erhielt und zudem auch vereinsinterne Drückjagden durchgeführt wurden.

Die Stadt Łomża liegt in Podlachien, der nordöstlichsten Woiwodschaft Polens, und grenzt ganz im Norden im Vierländereck an die russische Enklave Oblast Kaliningrad und die Länder Litauen und Weißrussland. Podlachien ist der am geringsten besiedelte und entwickelte Landstrich Polens. Zusammen mit den Masuren gilt die Woiwodschaft als die „grüne Lunge“ unseres Nachbarlandes. Allerdings ist die Reise dorthin mit über 1.200 km Wegstrecke auch extrem zeitaufwendig und kräftezehrend. Aber nicht nur die Entfernung, sondern auch die Unwägbarkeiten des Wetters im Wintermonat Dezember veranlassten uns, für An- und Abreise vorsorglich jeweils zwei Reisetage zu veranschlagen. In aller Herrgottsfrühe trafen wir uns auf dem Hof von Josef, um die Reise in den Osten Polens anzutreten. Ich hatte wie immer unruhig geschlafen und mir die Zeit frühmorgens zu knapp eingeteilt. So war es nicht verwunderlich, dass die anderen zehn Jagdkameraden längst vor Ort und die meisten ihrer Reisetaschen und Waffenkoffer schon verstaut waren. Auch die Zuteilung, wer mit wem in welchem Kleinbus fuhr, war längst entschieden. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass die beiden Fahrzeuge von gänzlich unterschiedlicher Qualität sein würden. Der eine ein Franzose mit Vollausstattung, der andere ein deutsches Bauarbeiterfahrzeug, das tags zuvor noch auf die Schnelle vom Dreck der Vorwoche befreit worden war. Natürlich war der Franzose längst besetzt, und der Rest hatte mit den Kunstledersitzen im Transporter vorliebzunehmen. Da ich mit Abstand der Jüngste im Bunde war und bei Weitem noch nicht das Recht hatte, Ansprüche zu stellen, war meine Zuordnung von vornherein klar. Auch wenn der Sound unseres Radios mit Stereo wenig zu tun hatte und das Regeln der Heizungsanlage bei nur zwei Lüftungsschlitzen im Armaturenbrett nicht ganz so einfach war, nahm ich es gelassen. Wir hatten zu fünft zumindest ausreichend Platz, um auch mal die Füße ausstrecken zu können. Unsere festen Fahrerteams Bruno und Kurt im Franzosen sowie Alfred und Rolf im Transporter meisterten die gut 800 km bis zu unserem ersten Etappenziel, der Stadt Posen, gekonnt und sicher.

Schon am späten Nachmittag erreichten wir unser Hotel am Stadtrand. Das Viersternehotel musste im ehemalig kommunistischen Polen ein echter Luxusbunker gewesen sein. Natürlich saß die ein oder andere Escortdame etwas zu auffällig an der Bar, und auf dem Parkplatz wurden ausgediente russische Nachtsichtgeräte aus dem Kofferraum verkauft, aber ansonsten war zu guten westlichen Hotels kaum ein Unterschied wahrnehmbar. Wir machten uns frisch, aßen im Hotelrestaurant zu Abend und nutzten ausgiebig die Bar bis spät in die Nacht. Folgerichtig vereinbarten wir, die Reise am nächsten Tag erst nach einem üppigen und gemütlichen Frühstück fortzusetzen. Es lagen nur noch 450 km vor uns, und die sollten doch ohne Probleme in etwa sieben Stunden zu schaffen sein.

Trist wirkte Posen im Nieselregen. Das Wetter hatte sich über Nacht deutlich verschlechtert, und auch die Temperaturen hatten merklich angezogen. Trotz des widrigen Wetters und zunehmenden Verkehrs verlief unsere Fahrt bis Łódź recht reibungslos. Aber je weiter wir nach Osten kamen und uns Warschau näherten, desto kälter wurde es. Unser Transporter hatte keine Temperaturanzeige, aber wir mussten inzwischen nahe am Gefrierpunkt angekommen sein und drehten daher den Heizungsregler bis in den roten Bereich. Auch der Verkehr nahm weiter deutlich zu. Die vielen weißrussischen und russischen Kennzeichen verrieten das Ziel der unzähligen Lastwagen, die sich gen Osten schoben. Wir nahmen einen Fahrerwechsel vor. Der zunehmend ängstlicher werdende Rolf übergab das Steuer an Alfred.

Inzwischen ging der Nieselregen in Eisregen über, und die Fahrbahnen hatten sich längst in blanke Eisflächen verwandelt. Der Verkehr quälte sich nur noch im Schneckentempo voran. Der ein oder andere Lkw schaffte es nicht, die Spur auf der Fahrbahn zu halten und verabschiedete sich seitlich in den Graben. Andere stellten sich quer und versperrten so unsere Fahrspur. Alfred nahm die Situation gelassen. Wo immer es möglich war, schaffte er es, den Wagen auf 60 km/h zu beschleunigen und zu langsame Fahrzeuge gekonnt zu überholen. Den linken Unterarm auf das Steuer gelegt, hatte er dabei keine Sorge, sich nach hinten zu wenden und sich angeregt an unseren Gesprächen zu beteiligen. Das passte Rolf gar nicht, und ihm wurde zusehends mulmiger. Er klammerte sich ans Armaturenbrett und versuchte Alfred klarzumachen, dass bereits eine Geschwindigkeit jenseits der 30-km/h-Marke außerhalb jeglicher Verantwortung läge.

Hinter Warschau folgten wir den Schildern Richtung Białystok. Der Eisregen hatte sich mittlerweile zu kräftigem Schneefall gemausert und Landschaft und Straßen in ein schmutziges Weiß gehüllt. Unsere Fahrt machte dies kaum sicherer, zumal inzwischen auch die Dämmerung eingesetzt hatte. Die Temperatur auf den Rücksitzbänken fiel auf bedrohlich niedrige Werte, und auch vorn war es selbst in unseren dicken Jagdjacken nur im Bereich der Lüftungsschlitze einigermaßen auszuhalten. Die veranschlagte Fahrzeit war schon lange überschritten, und allmählich machte sich Hunger breit. Die Lunchpakete des Vortages waren längst verzehrt, und im Gegensatz zum Franzosen war unser Wagen kaum mit Süßigkeiten ausgestattet. Die drei Tafeln Schokolade und die Tüte Pfefferminzbonbons waren längst aufgeteilt. Uns blieb nur noch die alte Hirschsalami, die ein Eifler Hegering meinem Vater als Dank für eine Hegeringjagd in unserem Revier geschenkt hatte. Die Wurst war knüppelhart und hatte im Inneren schon Hohlräume gebildet. Wir genossen diese in dünnen Scheiben, als stammte sie aus einem Delikatessenladen. Ob es am Alter, an unseren leeren Mägen oder an den Zutaten lag, war nicht zu ergründen, aber der Wagen war fortan von unangenehmen Düften durchflutet. Die letzten 50 km führten abseits der Schnellstraße über tief verschneite kleinere Landstraßen. Unser Wagen übernahm unter meiner Leitung die Vorhut. Mehrfach blinkte uns der Franzose von hinten an und stellte meine Künste, die Landkarte zu lesen, infrage. Die Straßen wurden immer schmaler, und die Schneelage wurde immer bedrohlicher. Wir durchquerten nur noch ab und an kleinere Siedlungen, deren Ortsschilder eingeschneit und kaum noch lesbar waren. Auch mich überkamen langsam Zweifel, ob unser Ziel auch tatsächlich näher rückte. Erst der erlösende Ortsname ließ alle beruhigt wieder in die Sitze gleiten.

Unterkunft in Podlachien (Foto: ©Fencewood studio/stock.adobe.com)

Das Jagdhaus war Teil eines kleinen Gehöftes am Ortsausgang, etwas abseits der Straße. Als wir das Blockhaus betraten, war es schon spät am Abend, und zwölf Stunden anstrengende Fahrt lagen hinter uns. Herr Gulko hatte sich schon große Sorgen gemacht und begrüßte uns nun umso herzlicher. Ein wenig Hektik brach aus, als es an die Verteilung der Zimmer ging. Wie im Jahr zuvor waren Josef und ich als Zimmergenossen eingeteilt. Dies sollte sich im Übrigen in den kommenden 13 Jahren so fortsetzen. Danach ging unsere Jagdgruppe dazu über, vermehrt Einzelzimmer zu buchen, und auch wir konnten irgendwann unser gegenseitiges Schnarchen nicht mehr ertragen. Wir waren etwas spät dran, und der Rest der Gruppe war schon mit Sack und Pack in den ersten Stock gestürmt. Hätten sie bemerkt, dass es auch im Parterre ein großes Doppelzimmer gab, wäre dies sicherlich längst belegt gewesen. Unser Zimmer war so geräumig, dass drei Betten Platz darin fanden. Auf einem der Betten waren achtlos ein löchriger Rucksack, ein abgenutzter Parka, ein alter Jagdhut und ein Fernglas in einer ranzigen Lederhülle abgelegt. Josef und ich gingen davon aus, dass diese Sachen einem der polnischen Jäger gehörten, und legten sie deshalb vor die Zimmertür. Es dauerte allerdings nicht lange, bis unser Jagdfreund Herbie in der Tür stand. Er war äußerst entrüstet, dass wir seine Sachen aussortiert und ihn des Zimmers verwiesen hatten. So richtig wollte er unserer