James Brown trug Lockenwickler - Yasmina Reza - E-Book

James Brown trug Lockenwickler E-Book

Yasmina Reza

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Beschreibung

Das neue Stück von Yasmina Reza: Uraufführung am Residenztheater München am 24. März 2023 in der Inszenierung von Philipp Stölzl

Ein junger Mann, der sich für eine berühmte Sängerin hält. Sein Freund, ein Weißer, der lieber ein Schwarzer wäre. Ein Elternpaar, uneinig und rührend in seiner Hilflosigkeit. Eine Psychiaterin, die Auto fährt, ohne die Bremse zu betätigen, und eine Pflanze aus dem Regenwald in Konflikt mit dem europäischen Klima. Ein Stück über Identität oder Individualität – je nachdem, wo man steht. Komisch und traurig zugleich, wie immer bei Yasmina Reza.

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Das ist das Cover des Buches »James Brown trug Lockenwickler« von Yasmina Reza

Über das Buch

Das neue Stück von Yasmina Reza: Uraufführung am Residenztheater München am 24. März 2023 in der Inszenierung von Philipp StölzlEin junger Mann, der sich für eine berühmte Sängerin hält. Sein Freund, ein Weißer, der lieber ein Schwarzer wäre. Ein Elternpaar, uneinig und rührend in seiner Hilflosigkeit. Eine Psychiaterin, die Auto fährt, ohne die Bremse zu betätigen, und eine Pflanze aus dem Regenwald in Konflikt mit dem europäischen Klima. Ein Stück über Identität oder Individualität — je nachdem, wo man steht. Komisch und traurig zugleich, wie immer bei Yasmina Reza.

Yasmina Reza

James Brown trug Lockenwickler

Schauspiel

Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel

Hanser

PHILIPPE

PASCALINE HUTNER [Aussprache »Ühtnähr«]

LIONEL HUTNER

DIE PSYCHIATERIN

JACOB HUTNER

Eine Klinik und deren Park

(kein Realismus)

1.

Im Park. Abend.

Im Hintergrund ein Mann (Philippe) auf einer Schaukel.

Er bemüht sich, in Schwung zu kommen.

An seinen Füßen auffällige zweifarbige Schuhe.

2.

Ein Zimmer.

Ein Bett?

Kein Realismus.

PASCALINE: Er hat einen Blick auf den Park.

Ich hatte befürchtet, sie würden ihn zum Parkplatz hin unterbringen, vor dem Personalgebäude.

Wie schön, dieser Park.

Ist das nicht ein Kirchturm da hinten? Sag mal, das sieht doch aus wie der Kirchturm von Veuvron!

Gut, dass er einen Blick ins Grüne hat. Das wird ihm gefallen.

Weißt du noch, wie er auf dem Fensterbrett kleine Topfpflanzen gezogen hat?

Er liebt die Natur.

Und das Zimmer ist gar nicht klein.

Ich hatte Angst, er könnte sich eingesperrt fühlen. Aber das Zimmer ist sogar ziemlich groß für diese Art Einrichtung. Groß genug, dass es sich angenehm einrichten lässt. Ohne den Blick könnte es etwas beengt wirken, aber jetzt hat es genug Luft. Mit so einer Aussicht bist du in einem ganz normalen Zimmer.

LIONEL: Der Ärmste.

PASCALINE: Sag nicht, der Ärmste. Sieh das Positive.

Sieh das Positive, Schatz.

Sie werden sich hier um ihn kümmern, sie werden ihn in einem absolut akzeptablen Raum mit Blick in die Natur behandeln.

Es ist wichtig, etwas Grünes zu sehen.

Ich werde ihm einen Kasten mit Begonien hinstellen, wenn das erlaubt ist.

LIONEL: Begonien …

PASCALINE: Quäl dich nicht so, Schatz.

3.

Büro der Psychiaterin.

PASCALINE: Wo könnten wir anfangen?

LIONEL: Beim Anfang.

PASCALINE: Ja.

Eines Tages hört unser Sohn Jacob, damals fünf, im Autoradio die Sängerin Céline Dion.

Blitzschlag.

LIONEL: Ja.

PASCALINE: Wir kaufen ihm das Album und ein kleines Abspielgerät für Kinder …

Dann das nächste Album. Und noch eins.

Wir kaufen ihm Poster.

Und bald leben wir mit einem kleinen Fan zusammen, wie es vermutlich Tausende andere auf der Welt gibt.

Die Zeit vergeht …

Wir werden zu Konzerten eingeladen. Auf sein Zimmer.

Jacob verkleidet sich mit einem von meinen Zweiteilern als Céline und singt mit ihrer Stimme als Playback.

LIONEL: Zu dem Kleid bastelte er sich eine Langhaarfrisur, die er mit Schwung zurückschleuderte, aus den Bändern der Musikkassetten, die er irgendwo im Schrank gefunden hatte.

PASCALINE: Ja.

LIONEL: Ja.

PASCALINE: Das war lustig.

LIONEL: Nicht besonders.

PASCALINE: Lionel fand es weniger amüsant als ich.

LIONEL: Ja, weniger.

PASCALINE: Jacob wird größer.

Er gibt sich nicht mehr damit zufrieden, wie sie zu singen, sondern er spricht auch wie sie und gibt Interviews ohne Gegenüber, mit Québecer Akzent.

LIONEL: Er machte auch ihren Mann nach.

PASCALINE: Damals lebte ihr Mann René noch.

LIONEL: Ja.

PASCALINE: Manchmal machte er auch René nach, aber meistens Céline.

Er imitierte sie perfekt. Wir fragten ihn etwas, also, wir sprachen mit Jacob, und er antwortete als Céline.

Einmal beim Abendessen sagte Lionel zu ihm, er solle aufhören, den Clown zu spielen …

LIONEL: Den Clown mit Québecer Akzent.

PASCALINE: Er hatte einen sehr starken Akzent.

LIONEL: Sehr stark.

Ich sagte, ich sei es leid, diesen Clown mit Québecer Akzent zu hören. Er antwortete, er lebe zwar seit einiger Zeit in Frankreich, sei aber nichtsdestotrotz Kanadierin und habe nicht vor, seine Wurzeln zu leugnen. Ich sagte, das sei jetzt langsam nicht mehr witzig. Ich wurde laut. Er antwortete, er könne hier nicht rumkabbeln, er müsse seine Stimmbänder schonen.

PASCALINE: Seit diesem Abend lebten wir nicht mehr mit Jacob zusammen.

LIONEL: Nein.

PASCALINE: Wir lebten mit Céline Dion.

LIONEL: Wir lebten mit der Sängerin Céline Dion im Körper unseres Sohns Jacob Hutner.

PASCALINE: Ja.

Verlegener Moment.

LIONEL: Er nannte uns Lionel und Pascaline.

PASCALINE: Nicht mehr Papa und Maman.

LIONEL: Nein. Lionel und Pascaline.

PASCALINE: In derselben Zeit milderte er seinen Akzent ab. Wir hielten das für ein gutes Zeichen.

LIONEL: Im Gegenteil. Es wurde immer mehr zu einem inneren Erleben.

PASCALINE: Ja.

LIONEL: Eines Tages kam unsere Putzfrau und sagte, er habe ganz freundlich und behutsam nach einem Luftbefeuchter für seine Stimme verlangt — es fehlte nicht viel, und sie hätte ihn sehr bescheiden gefunden für einen so großen Star.

Da wurde mir klar, dass die Dinge eine ungute Wendung nahmen.

PASCALINE: Ohne Lionel etwas zu sagen — Männer sind manchmal einfach zu nüchtern —, ging ich zu einem, der Energiearbeit macht. Ich hatte davon gehört, dass manche Menschen von Wesenheiten besessen sein können. Der Energiearbeiter erklärte mir, Céline Dion sei keine Wesenheit. Und deshalb könne er sie auch nicht von Jacob lösen. Da eine Wesenheit eine herumirrende Seele sei, die sich an einen Lebenden heftet, konnte er keinen Mann befreien, der von einer jeden Abend in Las Vegas auftretenden Sängerin heimgesucht wird.

Der Heiler riet mir, einen Psychiater zu konsultieren.

Für dieses Wort war ich noch nicht bereit.

Entschuldigung, Frau Doktor.

Lionel war da klarer. Ich bin mit einem stabilen Mann verheiratet.

LIONEL: Und Professor Soloveichik machte uns auf Ihre Einrichtung aufmerksam.

PSYCHIATERIN: Wer sind Lionel und Pascaline?

LIONEL/PASCALINE: … Wir beide. Das sind unsere Vornamen.

PSYCHIATERIN: Ich meine für Céline.

LIONEL: Das wissen wir nicht.

PASCALINE: Nein.

LIONEL: Nein.

4.

Im Park, auf einer Bank.

Jacob Hutner/Céline unterhält sich mit einem Freund, Philippe, den er hier in der Einrichtung kennengelernt hat.

Jacobs Haare sind samt und sonders auf große Klettwickler gedreht.

Er trägt einen eleganten Jogginganzug, Frauenmodell, und Sportschuhe.

Er spricht mit einem leichten Québecer Akzent.

Philippe ist ein weißer Mann.

Er ist äußerst elegant, urban gekleidet, an den Füßen hat er schmale, lange zweifarbige Schuhe.

PHILIPPE: Warum erwähnst du Nelson Mandela?

JACOB: Das ist ein großer Mann.

PHILIPPE: Du erwähnst Nelson Mandela, weil ich schwarz bin.

JACOB: Ich erwähne Nelson Mandela, weil ich ihm begegnet bin.

PHILIPPE: Weil ich schwarz bin, musst du mir erzählen, dass du einen großen Schwarzen kennst.

Dir liegt daran, mir zu sagen, dass du weißt, es gibt unter den Schwarzen große Männer.

JACOB: Ach so?

PHILIPPE