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Flieder, Fudge und falsche Freunde.
Mai in Cornwall. Die junge Gärtnerin Mags und ihr frischgebackener Ehemann Sam haben sich ein altes Cottage gekauft. Sie machen sich voller Energie daran, den Garten zu gestalten. Eines Tages entwurzelt ein Sturm die Weide hinter dem Haus und legt eine alte Blechdose frei. Mags findet heraus, dass sie einst einem Jungen gehörte, der damals unter rätselhaften Umständen verschwunden ist. Doch ehe sie einen Mann befragen kann, der mehr über die Vergangenheit ihres Cottages zu wissen scheint, wird dieser tot in seinem Fischerboot gefunden.
Ein alter Vermisstenfall bringt die liebenswerteste Ermittlerin Südenglands in Lebensgefahr.
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Seitenzahl: 230
Endlich ist es Frühling geworden im beschaulichen Rosehaven. Mags und Sam haben ein altes Cottage gekauft, das sie renovieren möchten. Als ein Sturm im verwilderten Garten einen Baum entwurzelt, entdeckt Mags eine alte Blechdose, die wohl vor vielen Jahren dort versteckt wurde. Der rätselhafte Inhalt macht sie neugierig, und Mags findet heraus, dass die Dose damals einem Jungen gehörte, der unter mysteriösen Umständen verschwunden ist. Doch als sie mit einem Mann sprechen will, der den Jungen damals kannte, findet sie ihn tot auf. Zu allem Übel erreicht Mags eine tragische Nachricht, die ihr Leben und das der Bewohner Rosehavens auf den Kopf stellen könnte.
Mary Ann Fox, geboren 1978, verdiente ihr erstes Geld in einer Gärtnerei. Der Liebe wegen ging sie nach England und arbeitete dort als Fremdenführerin, als Deutschlehrerin und dann im Botanischen Garten in Oxford. Sie lebt mittlerweile wieder in Hamburg und träumt von einem eigenen Garten, in dem sie das Meer rauschen hören kann.
Im Aufbau Taschenbuch sind ihre Kriminalromane »Je tiefer man gräbt«, »Je dunkler das Grab«, »Je kälter die Asche«, »Je länger die Nacht« und »Je höher die Flut« lieferbar.
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Mary Ann Fox
Je lauter der Sturm
Ein Cornwall-Krimi
Cover
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Motto
Cornwall, September 1971
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Impressum
Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne...
Hatred is so much easier to win than love – and so much harder to get rid of.
Enid Blyton
»Das ist nicht lustig!«
Terrys Stimme zitterte, und er schob sich den Gurt seiner großen Sporttasche wieder höher auf die Schulter.
»Wo seid ihr? Verdammt nochmal – ich hole mir hier noch den Tod. Es ist eiskalt hier drinnen.«
Er meinte, aus der Ferne ein leises Lachen zu hören. Wahrscheinlich waren die anderen schon längst aus der Höhle raus. Machten, dass sie nach Hause kamen. Er hätte sich nie mit diesen Idioten einlassen sollen.
»Verdammt. Ihr könnt mich mal. Ich gehe jetzt.«
Wenn sie glaubten, er würde ängstlich in der Höhle warten, hatten sie sich getäuscht. Er war ja nicht dumm. In zehn Minuten würde er hier raus sein.
Er drehte sich um und betrat den schmalen Gang zu seiner rechten Seite. Dort hatten sie ihn unter Lachen hineingebracht. Er musste ihm nur folgen, sich links halten und aufpassen, nicht über eine der alten Holzschwellen zu stolpern, die in unregelmäßigen Abständen in den Boden eingelassen waren. Ganz einfach. Auch, wenn er die Hand nicht vor Augen sehen konnte.
Um sich Mut zu machen und den anderen zu beweisen, dass sie ihm mit ihrer lächerlichen Aktion keine Angst machen konnten, begann er ein Lied zu summen.
Tom Tom turnaround – der Hit von New World ging ihm seit Wochen nicht mehr aus dem Ohr, und jetzt pfiff er ihn, um gegen die Dunkelheit anzukommen.
Wieso hatte er sich bloß überreden lassen mitzukommen? Er hätte nach dem Spiel einfach auf seine Schwester warten und mit ihr nach Hause gehen sollen.
Stattdessen war er zu den Idioten ins Auto gestiegen. Sie wollten ihm die Höhlen am Slate Beach zeigen, ihren geheimen Treffpunkt, wie sie es nannten. Er hatte nur lässig genickt und ein Grinsen unterdrückt. Er wusste, wo sie sich trafen. Als er neu nach Cornwall gekommen war, hatte er zusammen mit seiner Schwester Wendy die Höhlen entdeckt und vorsichtig erforscht. Hinter dem Rücken ihrer Eltern, die als waschechte Londoner bei der Vorstellung, ihre Kinder könnten in alten Höhlen und Schächten spielen, sicherlich in Panik verfallen wären.
Also hatte er gewusst, wo sie hinfuhren. Aber er hatte nichts gesagt. Es tat gut, einmal nicht Opfer der Sprüche und Witze der anderen Jungs zu sein. Es war cool, in Gavins Auto zu sitzen und sich durch das weit aufgedrehte Fenster den kalten Abendwind um die Nase wehen zu lassen. Im Radio hatten die Doors gespielt, und er hatte sich super gefühlt.
Wieder lief ein Schauer über seinen Rücken, und er unterdrückte mit aller Kraft das Bedürfnis, über seine Schulter in die Dunkelheit hinter sich zu starren. Dort war nichts. Bloß nicht die Nerven verlieren. Die anderen waren schon längst weg, hatten die Taschenlampen mitgenommen, waren über den Strand gelaufen und die enge, in die Klippen gehauene Treppe hinaufgegangen zu Gavins Auto. Alles war eine verdammte Falle gewesen. Sie wollten ihn eine Nacht allein durch die kalten Höhlen irren lassen. Wahrscheinlich standen sie schon längst wieder mit den anderen im Dorf am Hafen und prahlten mit ihrer jüngsten Gemeinheit gegen den »Neuen«. Verrückt. Er lebte jetzt schon seit drei Jahren mit seinen Eltern in dem kleinen Cottage am Ende der Welt. Und trotzdem war und würde er immer der Neue bleiben.
Er würde weitergehen, immer die Felswand entlang zum Ausgang, und sich dann etwas überlegen, um sich zu rächen. Vielleicht würde er Wendy fragen. Seine kleine Schwester war mit ihren dreizehn Jahren zwar fast drei Jahre jünger als er, aber hatte jetzt schon eine spitze Zunge und einen schnellen Verstand. Sie wäre nie so naiv gewesen, den Jungs so einfach in die Höhlen zu folgen. Der Gedanke an Wendy und seine Eltern, die zu Hause in dem warmen Cottage auf ihn warten würden, beruhigte ihn.
Er liebte das kleine Cottage mit seinem großen Garten sehr und vermisste London und sein altes Zuhause kaum. Er war hier schnell in die Fußballmannschaft aufgenommen worden und spielte dort als Stürmer. Alles könnte perfekt sein, wenn nicht die Brüder Shane und Gavin Hunter beschlossen hätten, ihm das Leben schwerzumachen. Denn vor ihm war Shane der Stürmer in der Mannschaft gewesen. Terry hatte seinen Platz eingenommen. Kein guter Weg, um sich Freunde zu machen. Die beiden Brüder Hunter bildeten mit Stuart Lewis und dem Kotzbrocken Roger Wood ein unzertrennliches Quartett. Terry hätte es wirklich besser wissen sollen, als den vier Idioten ihre plötzliche Freundlichkeit abzunehmen.
Aber sie hatten an dem Tag das Spiel gewonnen, zusammen gejubelt. Sie waren verdammt nochmal eine Mannschaft, ein Team – und er war ein Idiot, dass er das Ganze auch nur eine Sekunde lang geglaubt hatte.
Der Gang wurde breiter, er konnte jetzt das leise Rauschen der Wellen hören. In die Dunkelheit der Höhle schlich sich die erste Ahnung der mondhellen Nacht. Terry atmete tief ein und trat hinaus auf den feinen Sand des Strandes. Die Flut hatte ihren höchsten Punkt erreicht, und die Wellen schwappten bis kurz vor seine Turnschuhe. Er konnte von Glück sagen, dass die Nacht so ruhig war; bei Sturm aus Südwesten würde das Wasser bis in die Höhle gedrückt werden. Auch wenn er nicht wirklich daran gezweifelt hatte, den Weg aus der Höhle zu finden, holte er erleichtert Luft.
»Und? Wie findest du es?«
Mags spürte, wie Sam sie gespannt beobachtete, und versuchte, ein möglichst unbeteiligtes Gesicht zu machen. Vergeblich. Sie lachte und griff nach seiner Hand.
»Es ist wunderschön. Ich wusste, dass hier irgendwo noch ein Cottage liegt, bin aber nie die Zufahrt weiter hinuntergegangen.«
Mags’ Blick wanderte über das geduckte, weiß getünchte Haus mit seinen hellgrün gestrichenen Sprossenfenstern und dem Dach aus Reet hin zu den drei großen alten Weiden neben dem schmalen Bachlauf in einem verwilderten Garten. Die Sonne schien, der Mai hatte Einzug in Cornwall gehalten. Im Garten blühten unter den Bäumen die wilden Maiglöckchen, und in den zugewucherten Beeten hatten einige Pfingstrosen ihren Platz verteidigt und streckten ihre schweren Blüten der Sonne entgegen. Am Bachufer wuchsen wilde Orchideen, und die Weiden strahlten in hellem Grün. Mags legte den Kopf in den Nacken. Schwalben stiegen aus ihren Nestern am First des Hauses zu tollkühnen Flugmanövern auf. Schon bald würde aus den Nestern das laute und fordernde Rufen der Jungen zu hören sein. Mags drückte Sams Hand und spürte den schmalen goldenen Ring an seinem Finger, den er seit einigen Wochen Tag und Nacht trug.
»Wusstest du, dass Schwalben am Haus Wohlstand und Glück bedeuten?«
Mags liebte den Mai, auch und gerade, weil er für sie und ihr Unternehmen, den Evergreen Gartenservice, viel Arbeit brachte. Sie hatte sich darauf spezialisiert, Gärten neu anzulegen und sich um die Außenanlagen der vielen Feriencottages in der Region zu kümmern. Ihr volles Auftragsbuch und die stetig steigende Menge an Stammkunden ließen ihr Unternehmerinnenherz schneller schlagen. Durch die Umgestaltung des Geländes einer alten Zinnmine zu einer Erlebnislandschaft mit unterschiedlichen Biotopen und Schaugärten waren sie und ihre Firma über die Grenzen Cornwalls hinaus bekannt geworden. Vor kurzem hatte sie zwei ihrer Aushilfen fest eingestellt, und zurzeit suchte sie dringend nach einer weiteren Kraft, die ihr vor allem den immer größer werdenden Haufen an Papierkram abnahm. Sie liebte ihre Arbeit, und sie liebte es, erfolgreich damit zu sein.
»Es wird das Meadow Cottage genannt.«
Sams Stimme holte sie aus ihren Gedanken zurück, und sie sah neugierig zu ihm auf.
»Warum sind wir hier, Sam?«
Sam Hawthorne, Historiker und Autor. Groß und schlaksig stand er da, die Hände in den Taschen einer seiner üblichen Cordhosen, und lächelte sie an. Wenn sie dieses Lächeln sah, wurde ihr warm ums Herz. Vor zwei Jahren hatten sie sich kennengelernt und ineinander verliebt. Was auch immer diese letzten Jahre ihr gebracht hatten – Sam war das größte Geschenk. Seine Haut hatte immer noch den hellen Bronzeteint, eine Erinnerung an die tropische Sonne und an ihre Reise nach Belize, von der sie vor einigen Wochen zurückgekehrt waren. Nicht irgendeine Reise, nein. Ihre Hochzeitsreise.
An Mags’ linker Hand glänzte ihr Ehering – und dass Sam ihr zum Ring direkt eine passende Kette geschenkt hatte, damit sie ihn während ihrer Arbeit um den Hals tragen konnte, zeigte nur, wie gut er sie kannte.
Sie hatten schnell und überhastet auf dem Standesamt von Truro geheiratet und waren von dort direkt nach London zum Flughafen gefahren. Nicht gerade die große und fröhliche Hochzeit, die sich die meisten Einwohner von Rosehaven für ihr Traumpaar gewünscht hatten. Aber die Umstände hatten plötzlich etwas anderes gefordert. Mags ahnte, dass sie und Sam noch viele, viele Runden im Golden Budgie, dem einzigen Pub Rosehavens, ausgeben müssten, um das Dorf wieder zu versöhnen.
Sam lächelte sie weiterhin etwas verlegen an. Er hatte sie vor einer halben Stunde von ihrer Arbeit am Schreibtisch weggelotst mit der Ankündigung einer Überraschung. An einem Sonntag über Plänen und Abrechnungen zu sitzen, war nur einer der Preise, die Mags für ihre Selbstständigkeit zu zahlen hatte. Sie brauchte dringend jemanden, der ihr den ganzen Bürokram abnahm. Und sie hatte auch schon eine Idee, wer das sein könnte.
Sam zog sie an der Hand weiter in den Garten und den kleinen Hügel neben dem Bach hinauf.
»Ist das nicht einfach wunderbar hier?«
Mags nickte. Das Cottage war an seiner Rückseite über die gesamte Länge mit einem Wintergarten aus Holz erweitert worden. Das Reetdach war von zwei großen Gauben unterbrochen, die sicherlich viel Licht ins Obergeschoss ließen. Obwohl alles neu gestrichen werden musste, eine Scheibe des Wintergartens einen großen Sprung hatte und das Reetdach an der ein oder anderen Stelle etwas zerrupft aussah und ausgebessert werden musste, strahlte das Haus eine Beständigkeit und Stabilität aus, die sich sofort auf sie übertrug.
Ein perfekter Ort. Mags schmiegte sich an Sams Seite.
»Soll ich den Garten neu anlegen? Hast du einen Auftrag für mich an Land gezogen? Ich würde das wirklich sehr gerne tun, ich weiß einfach nur nicht, wann ich Zeit finde. Aber wahrscheinlich wird zuerst ohnehin noch das Haus renoviert, und dann könnte ich …«
Sie ging im Kopf ihren viel zu vollen Terminkalender durch und versuchte, noch irgendwo ein Plätzchen zu finden. Sie wollte sich unbedingt dieses Gartens annehmen – lange hatte sie kein Stück Land mehr gesehen, das so nach ihr und ihrer Fürsorge rief.
Sam unterbrach ihre Gedanken und drehte sie an den Schultern zu sich um.
»Nein. Kein weiterer Auftrag.«
Er gab ihr einen sanften Kuss.
»Aber wenn du Ja sagst, darfst du den Garten so gestalten, wie du möchtest.«
»Wenn ich Ja sage? Wozu?«
Mags spürte, wie ihre Knie weich wurden. Sie hielt die Luft an.
»Du meinst …?«
»Ja. Es steht zum Verkauf.«
Sie hatten in den letzten Monaten öfter davon gesprochen, dass sie gemeinsam ein neues Zuhause suchen würden, aber noch kein Haus gefunden, das ihnen gefiel – und das sie sich leisten konnten.
Mags war tief verwurzelt in dem kleinen Dorf Rosehaven, in dem sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hatte und in dem sie nach einigen turbulenten Jahren in Amerika auch wieder Schutz und ihren Frieden gefunden hatte. Sam hatte daher vor einigen Monaten sein Leben umgekrempelt und seine Stelle in Oxford und seine Karriere als Historiker aufgegeben, um in Cornwall bei Mags zu leben und sein Glück als Autor zu versuchen.
Zurzeit lebten sie auf allerengstem Raum in dem umgebauten Schuppen, der Mags die letzten Jahre als Wohnhaus und Büro gedient hatte. Ein zauberhafter, romantischer und perfekter Ort für eine einzelne Person – ein ziemlich enger und mittlerweile aus allen Nähten platzender Ort für ein Paar.
Mags würde ihn und ihre Freundin und Vermieterin Miss Clara, in deren Rosengarten der Schuppen stand, vermissen. Nicht aber die Enge und die vielen Bücherstapel, die sie morgens umrunden musste, um an ihre erste Tasse Tee zu gelangen.
Mit einem tiefen Seufzer stieß Mags die Luft wieder aus.
»Ach, Sam! Wenn es auf den Markt kommt, dann werden die Angebote aus London schnell durch die Decke gehen. Es ist wirklich wunderschön. Und die Lage ist ein Traum. Aber so ein Haus können wir uns nicht leisten.«
Sie hatte schon allein wegen ihrer Arbeit viel mit den neu renovierten Ferienhäusern in der Gegend zu tun und wusste, was einige der Londoner bereit waren, für ein Cottage wie dieses zu bezahlen.
Sam schüttelte den Kopf.
»Es wird nicht auf den freien Markt kommen. Denn ich habe ehrlich gesagt den Kaufvertrag schon fast unterschrieben.«
»Du hast was?«
»Es tut mir leid. Ich wollte dich überraschen. Jim hat mich auf die Idee gebracht.«
Jim war ein Freund von Mags’ verstorbenen Vater und hatte ihr stets zur Seite gestanden. Nach einem heftigen Streit im letzten Jahr und der darauffolgenden Versöhnung waren sie und der ehemalige Surfer und Althippie sich näher als je zuvor. Mags war froh, sich auf Jims Stärke und Energie verlassen zu können. Aber warum in aller Welt hatte er Sam ein Haus wie dieses gezeigt, das sie sich sowieso niemals würden leisten können? Jim wusste doch, dass die Immobilienpreise für die alten Cottages jeder Krise zum Trotz Jahr für Jahr stiegen und es den Einheimischen fast unmöglich war, noch selbst etwas zu kaufen.
»Das Cottage gehört einer guten alten Freundin von ihm. Sie hat es von ihren Eltern geerbt und zwischendurch immer mal wieder vermietet. Die letzten Mieter sind vor einigen Jahren ausgezogen, seitdem steht es leer. Jim scheint sich als eine Art Hausmeister um alles gekümmert zu haben. Jetzt will seine Freundin zu ihren Kindern nach Frankreich ziehen und das Haus in gute Hände abgeben. Es hängen wohl einige Erinnerungen daran. Sie hat Jim gefragt, ob er einen geeigneten Käufer kennt, jemanden, der das Haus schätzen wird und es wieder mit Leben erfüllt. Sie will einfach nicht, dass es zu einem Ferienhaus gemacht wird. Und da hat Jim mich angerufen.«
Sam hatte sehr schnell gesprochen, und Mags schwirrte der Kopf.
»Und wann habt ihr das alles besprochen?«
Ihr Mann wurde rot.
»Vor zwei Wochen. Du warst so beschäftigt mit der großen Eröffnung der Mine in Drabstock und den anderen Aufträgen, und ich wollte erst einmal herausfinden, ob das Cottage überhaupt infrage kommt.«
Bevor Mags etwas sagen konnte, redete Sam schnell weiter.
»Jim hat mir alles gezeigt. Innen muss einiges getan werden. Aber die Fenster und der Wintergarten sind gut in Schuss, das Dach ist dicht und vor einigen Jahren erneuert worden, und die Leitungen sind zwar alt, aber sie funktionieren. Jim hat sich alles angesehen – und ich vertraue seinem Urteil.«
Mags nickte.
»Wenn Jim sagt, dass es solide ist, dann ist es das. Aber es wird zu teuer sein. Das Grundstück ist riesig.«
Und wunderschön. Mags schluckte. Es war das schönste Haus, das sie seit langem gesehen hatte.
»Ja, der kleine Wald hinter dem Bach gehört auch noch dazu. Und die beiden Wiesen neben dem Zufahrtsweg, sie sind allerdings noch verpachtet. Kate March hat einige ihrer Kühe dort stehen.«
»Sam, wir sprechen hier über wahnsinnig viel Geld, oder?«
Er nannte eine Summe, bei der Mags erst einmal nach Luft schnappen musste.
»Ich weiß. Aber es ist trotz allem ein Schnäppchen für die Größe und die Lage.«
Mags sah sich wehmütig um und dann Sam in die Augen. Er hatte recht, der Preis war gut – aber so viel Geld hatten sie nicht.
»Schnäppchen hin oder her. Wir können uns das nicht leisten.«
Sam jedoch schien ihr gar nicht zuzuhören und redete einfach weiter.
»Und hast du die großen Scheunen am Weg vorn gesehen? Sie gehören mit zum Cottage, wurden früher als Ställe und dann als Garagen genutzt. Jim sagt, sie sind stabil und neuer als der Rest des Hauses. Und dass sie mit etwas Einsatz zu einem Büro und einem Lager umgebaut werden könnten.«
»Ein Büro?«
»Ja. Geschäftsräume. Deine Geschäftsräume. Ein Raum, in dem du Kunden empfangen und dich mit ihnen besprechen kannst. Ein Lager für dein Werkzeug und für Materialien. Platz für einen zweiten Transporter. Für deine Firma. Und genug Land dahinter, für ein eigenes Gewächshaus zum Beispiel. Ich habe mit der Bank gesprochen, und sie sehen eine Möglichkeit, wenn das Haus und das Gelände gleichzeitig auch Sitz deiner Firma werden würden.«
Mags schluckte.
»Das geht mir zu schnell.«
Sam nahm sie in den Arm, und sie atmete tief seinen warmen und vertrauten Geruch ein.
»Du weißt doch selbst, dass aus deinem ursprünglich mal kleinen Unternehmen längst eine beachtliche Firma geworden ist. Du brauchst den Raum. Ich brauche ebenfalls mehr Platz. Und zusammen können wir das schaffen.«
Mags schaute sich um. Sie sah die alten Weiden, die ihren Garten bewachen würden. Sah die länglichen Schuppen an der Zufahrt, die mit wenig Arbeit ihr Firmensitz werden würden. Sah das weiß gestrichene Cottage mit seinem Reetdach und die in weiten Bögen über den Garten gleitenden Schwalben. Dieses Cottage könnte ihr Zuhause werden. Ihr gemeinsames Zuhause.
Es war perfekt. Der Plan zwar absolut verrückt, aber dennoch perfekt.
»I’m pickin’ up good vibrations, she’s giving me excitations.«
Mags sang lautstark mit, als sie mit ihrem Wagen über die schmale Straße in Richtung des Meadow Cottages fuhr. Die Sonne schien auf die grünen Wiesen herab, und die grauen Steinmauern am Straßenrand glitzerten, als wären sie mit feinem Goldstaub überzogen. Sie hatte einen MP3-Player an das Radio ihres neuen Transporters angeschlossen und mit ihren Lieblingsliedern bespielt. Der Fahrtwind wirbelte durch das geöffnete Fenster und sie genoss die frische und klare Luft.
Noch vor zwei Jahren hatte sie an einem ebenso schönen Tag in ihrem alten, heißgeliebten grünen VW Bus mit dem Namen Puckpuck gesessen und dasselbe Lied gesungen. Was war seitdem alles passiert! Sie freute sich darüber, dass trotz aller Abenteuer, Tragödien und Veränderungen die grünen Hügel Cornwalls noch genauso vor ihr lagen wie damals. Bis vor einigen Jahren hatte sie noch nicht gewusst, wie viel Kraft ihr ihr Zuhause geben würde. Und nun hatte sie den nächsten Schritt getan und sich ihr eigenes Stück Land mit ihrem eigenen kleinen Haus gekauft. Zusammen mit Sam. Es war perfekt.
Ihr neuer Transporter war rot und hatte sich immer noch nicht das Recht auf einen Namen verdient. Ihm fehlte es eindeutig an Persönlichkeit, einen Mangel, den er allerdings durch funktionierende Bremsen, eine Servolenkung und einen jederzeit wie ein Kätzchen schnurrenden Motor wieder wettmachte.
Sie würde mit Sam heute Abend darüber sprechen, zusammen würden sie es sicherlich schaffen, einen guten Namen zu finden.
Durch die geöffneten Fenster konnte Mags trotz der Musik schon beim Abbiegen in die schmale Zufahrt zum Cottage lautes Bohren und Hämmern hören.
Sie hatten beschlossen, dass die Handwerker zunächst die Schuppen an der Seite des Weges ausbauen sollten. Sie würde zwei Büros, einen offenen Empfangsraum und mehrere Lagerräume in die alten Mauern setzen. Hinter den beiden Schuppen würde es genügend Lagerfläche für ihre Materialien und außerdem zwei überdachte Parkplätze geben. Sie hatte Pläne für zwei flache Gewächshäuser erstellt, die auf der Wiese hinter dem Gebäude zusammen mit einigen Freilandbeeten angelegt werden sollten. Wenn sie erst einmal in der Lage wäre, einen Teil der Pflanzen, die sie benötigte, selbst zu ziehen, würde das ihren Gewinn steigern.
Die Verhandlungen mit der Bank über den Kredit zum Kauf waren zäh verlaufen, und mehr als einmal war sich Mags nicht sicher gewesen, ob sie es schaffen könnten. Am Ende aber hatte die Bank ihrem Geschäftsplan zugestimmt und den Kredit bewilligt. Mags’ guter Ruf, der gewonnene Wettbewerb um die Mine in Drabstock, die Zusammenarbeit mit dem bekannten Landschaftsarchitekten Gulliver und die seit Gründung ihres Unternehmens steigenden Einnahmen hatten den Ausschlag gegeben. Sam hatte sein Erspartes und den Erlös aus dem Verkauf seiner Wohnung in Oxford mit in den Topf geworfen, und sie waren sich einig geworden.
Sie wusste nicht, ob sie nach den Hunderten von Unterschriften, die sie und Sam in den unpersönlichen Räumen der Bank in Ennis geleistet hatten, vor Freunde tanzen oder in panische Starre verfallen sollte.
Doch jedes Mal, wenn sie die Einfahrt zum Cottage, zu ihrem neuen Zuhause, hinunterfuhr, war sie Sam erneut aus vollstem Herzen dankbar, dass er es für sie gefunden hatte. Das war ihr Haus.
Mags ließ den Wagen schwungvoll den schmalen Weg hinabrollen, als sie plötzlich aus dem Augenwinkel eine Bewegung sah und mit ganzer Kraft auf die Bremsen stieg.
Für einen winzigen Moment zogen die Bilder einer dunklen Nacht an ihren Augen vorbei, und sie hörte wieder das Geräusch von reißendem Metall. Sie hörte sich selbst schreien, wartete auf den Schmerz und den Geschmack von Blut in ihrem Mund. Doch dann fing ihr Anschnallgurt die Bewegung ihres Körper auf, der Transporter stand, und die Sonne schien warm auf ihre geschlossenen Augen.
»Oh!«
Sie schnallte sich mit einem Fluchen ab, drückte die Tür auf und ließ sich vom Fahrersitz gleiten. Ihr rechter Arm, den es bei ihrem Unfall im letzten Jahr fast zerrissen hatte, schmerzte kurz, aber Mags war noch viel zu erschrocken, um es zu registrieren.
Vor ihr auf der Straße stand ein alter Mann, gekleidet in eine grüne Gärtnerhose und ein ausgeblichenes T-Shirt. Unter einem Strohhut ragten graue Haare hervor, die ein braungebranntes und von Falten durchzogenes Gesicht umrahmten.
Dafür, dass er gerade beinahe von einem Transporter gerammt worden wäre, schien er ausgesprochen gelassen zu sein und lächelte sie an.
»Hallo. Ich suche Wendy.«
Seine Stimme war auffallend rau. Er schüttelte kurz verwirrt den Kopf, als würde er sich selbst über ihren Klang wundern.
»Sie sind aber nicht Wendy.«
Mags holte tief Luft und versuchte, ihren rasenden Puls unter Kontrolle zu bringen. Die Augen des Mannes glitten von ihr über das Auto zum Cottage und wieder zurück.
»Wendy wohnt dahinten. Wollen Sie auch zu ihr? Ich muss ihr etwas erzählen.«
Mags hatte sich wieder halbwegs im Griff. Der Mann lächelte sie an, drehte sich um und ging mit ziemlich wackeligen Schritten weiter.
»Warten Sie!«
Sie eilte an seine Seite und griff vorsichtig nach seinem Arm. Er schüttelte den Kopf.
»Ich habe keine Zeit. Anna wartet mit dem Essen auf mich. Sie mag es nicht, wenn …«
Mitten im Satz brach er ab, und Mags sah, wie seine Augen sich schlossen und sein Gesicht das Lächeln verlor.
»Wartet sie auf mich? Nein. Oder? Sie ist nicht mehr da. Ich glaube, sie ist tot. Sie sah so schön aus damals in ihrem blauen Kleid. Alle wollten mit Anna ausgehen. Aber sie hat mich gewählt.«
Er öffnete die Augen und sah sie an.
»Was machen Sie hier? Sind Sie wegen Wendy da? Ich muss jetzt wirklich mit ihr sprechen.«
Was dann folgte, war nur noch ein Flüstern.
»Bevor ich alles vergessen habe. Terry … Ich darf das nicht vergessen.«
Seine Stimme schlug wieder um und klang nun eher wie die eines wütenden Kindes. Mags konnte sehen, dass seine Hände und Arme voller blutiger Kratzer waren und seine Gummistiefel voller Matsch und Erde.
»Kommen Sie, wir gehen zum Haus. Ich bin Mags. Mags Blake.«
»Ich bin Stuart. Aber ich muss jetzt zu Wendy!«
Er entriss ihr seinen Arm und ging weiter. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Sie könnten vom Haus aus Hilfe rufen.
»Maggie!«
Sie sah auf und lächelte den bärtigen Mann an, der mit großen Schritten auf sie zukam.
Jim hatte die Bauleitung übernommen, und Mags war heilfroh, ihn jetzt zu sehen. Neben ihm ging Sam mit besorgtem Gesichtsausdruck auf sie zu. Sie spürte, wie Stuart an ihrer Seite sich versteifte und stehen blieb.
»Ist alles in Ordnung, Mags?«
»Ja. Alles gut. Ich möchte euch Stuart vorstellen. Er – er kam mir auf dem Weg entgegen, und wir wollen das letzte Stück jetzt zusammen gehen.«
Jim blieb vor dem älteren Mann stehen und sah ihn länger an.
»Stuart? Stuart Lewis, oder? Wir kennen uns von früher. Aus der Schule. Du warst einige Klassen über mir.«
»Ja. Jim. Ich weiß. Du warst immer mit der kleinen Wendy zusammen. Ich suche sie. Ich muss ihr etwas erzählen.«
»Wendy wohnt nicht mehr hier. Sie lebt in London.«
»Nein! Ich muss ihr aber etwas sagen. Ich vergesse es sonst.«
Jims sah den Mann an und sprach beruhigend auf ihn ein.
»Willst du es mir nicht sagen? Wendy ist meine Freundin. Ich telefoniere nachher mit ihr, dann kann ich es ihr ausrichten. Sie kommt nächste Woche her.«
Mags sah von Jim zu Sam.
»Wendy ist die Vorbesitzerin?«
»Ja.«
Der ältere Mann schien verunsichert.
»Wendy ist nicht hier? Aber das muss sie doch. Sie wollte doch niemals weggehen, solange …«
Er brach ab und schwankte vor Erschöpfung. Bevor Mags ihn fassen konnte, hatte Jim schon einen seiner starken Arme um den Mann gelegt, um ihn zu stützen.
»Es ist ein heißer Tag, Stuart. Wollen wir uns nicht ein wenig vor dem Haus in den Schatten setzen? Ich könnte ein Glas kalten Tee vertragen. Vielleicht kann Mags uns zwei Gläser besorgen. Und Sam? Kannst du einmal Clara anrufen und Bescheid sagen, dass wir Besuch von Stuart Lewis haben? Ich glaube, sie weiß wahrscheinlich mehr.«
Jim führte den alten Mann langsam in Richtung des Cottage und setzte sich mit ihm auf die Holzbank, die neben den Schwalbennestern an der sonnigen Hauswand stand.
»Hier kann man gut sitzen, oder?«
»Ich habe auch Schwalben an meinem Haus. Dieses Jahr wird ein gutes Jahr für sie. Viele Eier. Ich habe in eines der Nester gesehen, und darin lagen vier Eier. Ein gutes Jahr.«