Je tiefer man gräbt & Je dunkler das Grab - Mary Ann Fox - E-Book
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Je tiefer man gräbt & Je dunkler das Grab E-Book

Mary Ann Fox

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Beschreibung

Zwei Krimis von Mary Ann Fox in einem E-Book.

Je tiefer man gräbt.

In Rosehaven, einem malerischen Dorf inmitten blühender Gärten und versteckter Buchten, macht Mags sich als Gärtnerin selbständig. Sie soll Besucher durch den prachtvollen Garten eines alten Herrenhauses führen, aus dem vor Jahren eine Frau spurlos verschwunden ist. Bei einem der Rundgänge macht Mags eine grausame Entdeckung: Unter den blühenden Hortensien stößt sie auf menschliche Knochen. Als sich herausstellt, dass sie zu der verschwundenen Frau gehören, gerät auch Mags in Lebensgefahr ...

Je dunkler das Grab.

Die junge Gärtnerin Mags Blake wird von dem Historiker Sam Hawthorn um Hilfe gebeten. Er arbeitet an einer Festschrift über die Klosterinsel St. Michael’s Mount, und Mags soll ein Kapitel über die Gärten der Insel schreiben. Bei ihren Recherchen stößt sie in einer Kapelle auf die nackte Leiche eines alten Mannes – niemand scheint ihn zu kennen. Als ein Freund von Mags unter Verdacht gerät, mischt sie sich mit Sam in die Ermittlungen ein. Dabei stoßen sie auf ein jahrzehntealtes Geheimnis. Und zwischen den beiden knistert es gewaltig …

Cornwall, Crime and a Cup of Tea. Eine liebenswerte Heldin ermittelt vor der atemberaubenden Kulisse Cornwalls.

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Zwei Krimis von Mary Ann Fox in einem E-Book!

Je tiefer man gräbt.

In Rosehaven, einem malerischen Dorf inmitten blühender Gärten und versteckter Buchten, macht Mags sich als Gärtnerin selbständig. Sie soll Besucher durch den prachtvollen Garten eines alten Herrenhauses führen, aus dem vor Jahren eine Frau spurlos verschwunden ist. Bei einem der Rundgänge macht Mags eine grausame Entdeckung: Unter den blühenden Hortensien stößt sie auf menschliche Knochen. Als sich herausstellt, dass sie zu der verschwundenen Frau gehören, gerät auch Mags in Lebensgefahr.

Herrenhäuser, Scones und Steilküsten – ein Kriminalroman voll südenglischem Flair

Je dunkler das Grab.

Die junge Gärtnerin Mags Blake wird von dem Historiker Sam Hawthorn um Hilfe gebeten. Er arbeitet an einer Festschrift über die Klosterinsel St. Michael’s Mount, und Mags soll ein Kapitel über die Gärten der Insel schreiben. Bei ihren Recherchen stößt sie in einer Kapelle auf die nackte Leiche eines alten Mannes – niemand scheint ihn zu kennen. Als ein Freund von Mags unter Verdacht gerät, mischt sie sich mit Sam in die Ermittlungen ein. Dabei stoßen sie auf ein jahrzehntealtes Geheimnis. Und zwischen den beiden knistert es gewaltig …

Cornwall, Crime and a Cup of Tea. Eine liebenswerte Heldin ermittelt vor der atemberaubenden Kulisse Cornwalls.

Über Mary Ann Fox

Mary Ann Fox, Jahrgang 1978, verdiente sich ihr erstes Geld in einer Gärtnerei. Der Liebe wegen ging sie nach dem Studium nach England und arbeitete dort als Fremdenführerin, als Deutschlehrerin und dann im Botanischen Garten in Oxford. Sie arbeitet und lebt mittlerweile in Hamburg-Altona.

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Mary Ann Fox

Je tiefer man gräbt&Je dunkler das Grab

Zwei Krimis in einem E-Book

Inhaltsübersicht

Über Mary Ann Fox

Informationen zum Buch

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Je tiefer man gräbt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Je dunkler das Grab

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Informationen zu St. Michael’s Mount

Impressum

Mary Ann Fox

Je tiefer man gräbt

Ein Cornwall-Krimi

One for sorrow, two for mirth

Three for a funeral, four for birth

Five for heaven, six for hell

Seven for a secret, never to be told …

Die Morgendämmerung setzte ein, feiner Nebel lag über Shelter Gardens. Eine Elster, die ihr Nest dieses Jahr gut versteckt in das Reetdach der Hütte gebaut hatte, saß auf den Ästen des Walnussbaums. Aufmerksam bewegte sich ihr Kopf von rechts nach links. Geräusche wurden in der feuchten Morgenluft weit getragen.

Schritte. Ein Mensch. Er bewegte sich seltsam, trug etwas über seiner Schulter, stolperte immer wieder auf dem steilen und feuchten Weg.

Der schrille Schrei der Elster zerriss die morgendliche Stille.

Der Mensch erschrak und ließ seine Last fallen. Blondes Haar ergoss sich auf den grünen Rasen.

Er nahm unter Stöhnen seine Last wieder auf die Schulter und ging zum Rand eines Beetes. Vorsichtig entfernte er die Pflanzen und begann zu graben. Er wickelte den schweren Gegenstand, den er trug, in eine schwarze Folie und legte ihn in die Grube.

Die Sonne stieg langsam auf. Auf der Rasenfläche neben dem Weg blinkte etwas. Die Elster flog zu dem glänzenden Gegenstand.

1

»I’m pickin’ up good vibrations, she’s giving me excitations.«

Mags sang lautstark mit, während sie in ihrem Wagen über die schmalen Straßen nach Hause fuhr. Die Sonne schien auf die grünen Wiesen Cornwalls herab, und ab und zu konnte sie einen Blick auf das blaue Meer erhaschen. Heute war ein guter Tag.

Mags hatte sich erlaubt, die Kassette vorzuspulen. Eigentlich versuchte sie meistens, genau dies zu vermeiden. Es gab in ihrem klapprigen VW-Transporter zwar ein uraltes Kassettendeck, aber in diesem steckte seit Jahren das gleiche Band fest. Jim, der Vorbesitzer, war ein in die Jahre gekommener Surfer, der sich in Mags’ kleinem Heimatdorf Rosehaven zur Ruhe gesetzt hatte. Er schwor Stein und Bein, dass eben in dieser Kassette die Magie stecke, die den Transporter noch fahren ließ.

Mr. Smith, Rosehavens Mechaniker, widersprach nach einem ersten Blick auf den Motor und die verrostete Karosserie nicht. Es komme tatsächlich einem Wunder gleich, dass so etwas noch fahren könne.

Mags brauchte einen Transporter für ihren neugegründeten Gartenservice, und dieser hier kostete nicht viel Geld. Sie mochte seine grüne Farbe, und manchmal mochte sie auch an Magie glauben. Daher taufte sie ihn liebevoll Puckpuck, schrieb mit hellgrüner Farbe auf seine Seitentüren Evergreen Garden Service und ihre Telefonnummer und fuhr los. Meistens ging es gut.

Und so hörte sie nun schon seit zwei Jahren dasselbe Band, ein Mixtape von Jim mit den Liedern seiner Jugend. Es gab Schlimmeres.

Um das Band nicht auszuleiern und so womöglich Puckpuck sein magisches Herz zu nehmen, spulte Mags äußerst selten zu einem bestimmten Lied vor. Aber heute war so ein Tag.

Sie hatte die letzten Wochen hart gearbeitet, um den Garten eines alten Cottage in ein kleines Paradies zu verwandeln. Das Cottage hatte jahrelang leergestanden, der Garten war verwildert. Dann hatte sich ein Londoner Paar in das Häuschen verliebt, es gekauft und für viel Geld sanieren lassen. Leider hatten die Bauarbeiter wenig Rücksicht auf den Garten und seine Pflanzen genommen, so dass sich Mags bei ihrem ersten Besuch ein trauriger Anblick geboten hatte. Das Paar wollte nicht nur ein für Cornwall typisches Cottage, sondern auch den dazugehörigen Garten. Adam Wilkins, der Bauunternehmer, hatte ihnen Mags empfohlen, wofür diese sich schon mit einem wunderschönen Rosenbusch bedankt hatte. Ein Stück harte Arbeit lag hinter ihr, aber heute war das Paar aus London gekommen, und als Mags in die leuchtenden Augen geblickt hatte, wusste sie, dass es gut geworden war. Richtig gut. Mags hatte die verwilderte Hecke retten können und Teile der alten Steinmauer unter Bergen von Efeu und Brombeerranken hervorgeholt. Sie hatte die Obstbäume beschnitten und die alten Bäume am Fuß mit Kletterrosen bepflanzt. Neue Stauden füllten die Lücken in den Beeten, und da, wo der Garten einfach noch Zeit brauchte, um seine Wunden selbst zu heilen, hatte Mags mit großen Pflanztöpfen zumindest für diesen Sommer für Farbe gesorgt. Hummeln und Bienen summten von Blüte zu Blüte.

Das Rasenstück leuchtete jetzt, Mitte Mai, in sattem Grün. Die alten, schmiedeeisernen Gartenmöbel strahlten in einem frischen weißen Anstrich. Cornwalls Sonne hatte es an diesem Tag gut mit Mags gemeint und alles in perfektes Licht getaucht. Die Frau hatte mit Begeisterung nach dem Strohhut gegriffen, den Mags ihr als Geschenk mitgebracht hatte, und der Mann hatte lächelnd das kleine Gartenmesser mit seinem schlichten Holzgriff in die Hand genommen. Mags wusste, sie hatte sie an der Angel.

Doch ihr Gartengeschäft konnte nicht allein von solchen Aufträgen leben, dafür waren sie zu selten, und viele Hausbesitzer beauftragten lieber große Firmen, Gartenarchitekten und Landschaftsgärtner mit dem kompletten Entwurf und der Umsetzung ihres Gartentraums. Sie hingegen war ein kleines Unternehmen und hatte nur ab und zu Hilfe von Schülern aus Rosehaven, die sich ihr Taschengeld aufbessern wollten. Sie konnte sich keine Angestellten leisten, noch nicht. So ein Auftrag wie dieser war eher eine Seltenheit. Was Mags brauchte, um sich ein regelmäßiges Einkommen zu sichern, waren Aufträge, die fertigen Gärten weiterzupflegen. Die meisten Feriengäste waren nur für kurze Zeit und einige Wochenenden in ihren Häusern, und dann wollten sie nicht selbst in der Erde wühlen. Oder sie probierten es für einige Monate aus und stellten dann fest, dass Gartenarbeit Knochenarbeit war. Vielleicht mochten einige es auch, mit einer Gartenschere in der Hand durch ihren Garten zu wandeln und hier und da eine verblühte Rose abzuschneiden oder einige Kräuter zu ernten. Die, die auch die Knochenarbeit liebten, waren ziemlich schnell keine Feriengäste mehr, sondern verfielen ganz und gar dem Land. Bei den anderen kam Mags ins Spiel.

Nach zwei Jahren in dem Geschäft hatte sie gelernt, wie man Kunden an sich band – und nun hatte sie einen weiteren regelmäßigen, gutbezahlten Auftrag an Land gezogen. Wenn es so weiterging, wäre sie vielleicht bald auch die Schulden los, die ihr ihr verstorbener Mann hinterlassen hatte. Arthur war in Amerika, wo sie gelebt hatten, bei einem Autounfall verunglückt. Erst nach und nach hatte Mags herausgefunden, wie dramatisch Arthurs finanzielle Lage gewesen war, hatte sich eingestanden, dass Arthur sie nicht nur in ihrer Ehe betrogen, sondern sie auch tief in seine riskanten Geschäfte mit hineingezogen hatte. Auf zu vielen Papieren stand auch ihr Name – und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion war sie nach Cornwall zurückgekehrt und hatte das Haus ihrer Eltern verkaufen müssen.

»Schluss!«, sagte Mags laut zu sich selbst. »Nicht heute, nicht schon wieder!«

Sie drehte die Musik lauter und kurbelte das Fenster so weit herunter, dass ihr der Fahrtwind in den Augen brannte. Keine düsteren Gedanken mehr, nicht heute.

Sie würde Miss Clara, ihre Vermieterin und Freundin, zur Feier des Tages in den Pub einladen. Es war Montag, sicherlich hatte Mrs. Kelvin, die Wirtin, am Morgen frischen Fisch direkt von Alberts Kutter gekauft – und bei dem Gedanken an frittierten Fisch und die dick geschnittenen, hausgemachten Chips, die es im Golden Budgie gab, knurrte Mags’ Magen laut.

Albert war der letzte Fischer, den Rosehaven noch hatte, und auch er konnte nur überleben, weil er im Sommer neben der Fischerei Touristen auf seinem Boot für Angelausflüge über den Helford River fuhr. Wenn er, mittlerweile sicherlich siebzig Jahre alt, eines Tages nicht mehr hinausfahren würde, hätte Rosehaven ein weiteres Stück seiner Geschichte verloren.

Um auch diesen bedrückenden Gedanken wieder aus ihrem Kopf zu verscheuchen, drehte Mags die Musik noch lauter. Die Aussicht auf Fish and Chips und ein großes Glas Bier, Sonne am Himmel und einen dicken Auftrag in der Tasche verbesserte ihre Laune wieder. Heute war wirklich kein Tag, um Trübsal zu blasen.

Sicherlich hatte Miss Clara wieder neuen Dorfklatsch für Mags – auch wenn die resolute alte Dame niemals von sich selbst behauptet hätte, Klatsch zu verbreiten. Aber als ehemalige Postmeisterin von Rosehaven kannte sie nun mal jeden, und als Vorsitzende der Landfrauenvereinigung Rosehaven, des Planungskomitees für das bekannte Herbstfestival des Dorfes und als Ehrenmitglied des Rosehaven Gartenvereines war sie meist im Mittelpunkt des Geschehens und sah es als ihre Pflicht, über die Ereignisse in ihrem Heimatdorf informiert zu sein. Mags liebte es insgeheim, wenn sie ihr von all den kleinen Verfehlungen der Dorfbewohner erzählte – auch, wenn das stetige Drängen, sich selbst mehr in die Dorfgemeinschaft einzubringen, etwas anstrengend war.

Mags war noch nicht so weit, und außerdem wusste sie, dass ein Großteil des Dorfes sie mit gemischten Gefühlen beobachtete. In deren Augen war sie die Tochter des bewunderten und respektierten Maximilian Blake, die mit dem erstbesten reichen Kerl einfach so fortgegangen war und ihren Vater einsam zurückgelassen hatte. Und die dann, als sie wiederkam, nichts Besseres zu tun hatte, als ihr Elternhaus an wohlhabende Londoner zu verkaufen. Nur Miss Clara wusste, dass Mags keine andere Wahl gehabt hatte, als zu verkaufen – und Mags wusste, dass sie es nur zu gerne erzählt hätte, um den Gerüchten und schiefen Blicken ein Ende zu bereiten. Aber Mags hatte ihr das Versprechen abgenommen, zu schweigen. Cornwall war manchmal verdammt klein – und Arthurs Familie wusste doch nicht …

Diesmal hieb sie aus Frust über sich selbst mit der flachen Hand auf das Armaturenbrett, und die Musik verstummte kurz. Mags hielt den Atem an, bis das Band weiterlief.

Sie konnte es einfach nicht lassen, in ihren eigenen Wunden herumzustochern.

Wenige Minuten später setzte Mags den Blinker und bog nach rechts in einen kleinen Feldweg ab. Dort parkte sie so weit an der Seite wie möglich, so dass die Äste der Weißdornhecke durch das offene Fenster fast ihr Gesicht streiften. Sie wühlte in dem vollgestopften Handschuhfach, bis sie mit einem leisen, triumphierenden Schnauben eine Tüte mit weißen Schokodrops, ihrer Lieblingssüßigkeit, fand. Dann kletterte sie über den Beifahrersitz hinaus.

Der Duft der blühenden Weißdornhecke, die salzige Meerluft und der Blick auf die weißen Segel der Yachten, die auf dem Helford River trieben, verdrängten endgültig alle schlechten Gedanken.

Mags liebte diesen ruhigen Ort, auf den kein Schild hinwies und der in keinem der Reiseführer erwähnt wurde. Sie bückte sich, um unter dem Absperrband hindurch vorsichtig näher an den Rand zu treten. Im März hatte es einige Tage lang stark geregnet, und das Wasser hatte neue Spalten und Gräben in die zerfurchte Oberfläche gespült. Als das Kribbeln in ihrem Bauch stark genug wurde, setzte Mags sich vorsichtig auf den Boden und ließ ihren Blick über das Meer und den breiten Fluss schweifen.

Links konnte sie einige Dächer erkennen, der Großteil von Rosehaven war jedoch von den Klippen verborgen.

Sie brauchte das Dorf nicht vor sich zu sehen, um jede seiner Straßen und die Häuser vor ihrem inneren Auge aufrufen zu können. Immer, wenn sie in Amerika Heimweh gehabt hatte, wenn sie wieder einmal schlaflos alleine in dem großen Haus gesessen hatte, weil Arthur nicht nach Hause gekommen war, hatte sie die Augen geschlossen und war in Gedanken durch das Dorf spaziert. Meist hatten diese Wanderungen oben an der Hauptstraße begonnen. Dort lag auch die Bushaltestelle, an der Mags seit ihrem ersten Schultag bis hin zu ihrem Abschluss jeden Morgen eingestiegen und jeden Nachmittag wieder ausgestiegen war. Die Grundschule lag in Garras, wenige Kilometer entfernt, zur weiterführenden Schule war sie dann nach Helston gefahren. Wie viel Zeit sie wohl in dem alten Schulbus verbracht hatte? Mit den anderen Kindern spielend, vor sich hin träumend oder einen Sommer lang Händchen haltend mit Timothy Potts. Wie alt waren sie gewesen? Dreizehn, vielleicht vierzehn Jahre? Sie hatten Händchen gehalten und sich einmal verschämt hinter der Bushaltestelle geküsst. Und dann war er mit seiner Familie weggezogen – was er wohl heute machte?

Auf jeden Fall fing sie mit ihrem Rundgang an der Hauptstraße an, wo das kleine Ortsschild Rosehavens stand. Weiter ging es auf dem Kopfsteinpflaster ziemlich steil bergab die Main Street entlang in den Ort. Auf der rechten Seite lag ein großer Parkplatz. Man brauchte eine Anwohnergenehmigung, um durch die engen Gassen des Ortes fahren zu dürfen, und die Touristen mussten ihre Autos auf dem Parkplatz abstellen. Aber auch viele Dorfbewohner parkten dort, vor allem, wenn im Herbst und im Frühjahr das Hochwasser bei Flut in den kleinen Hafen und die Gassen gedrückt wurde.

Weiter ging es nach Rosehaven hinein. Kleine Häuser, die sich an den Hang schmiegten und deren Gärten sich oft auf unterschiedlichen Terrassen anordneten. Im Sommer wuchsen an jeder Mauer Stockrosen in leuchtenden Farben, und die Luft war immer erfüllt mit dem Gesumme der Hummeln.

Auf halber Höhe zum Hafen machte die Straße noch einmal einen Bogen, und in der Kurve hatte Mrs. Millers Lebensmittelladen seinen Platz. In Mags’ Kindheit war der Laden die einzige Möglichkeit gewesen, sein Taschengeld in Zeitschriften und Süßigkeiten umzusetzen. Heute gab es unten am Hafen noch einen Souvenir- und Geschenkeladen, und Mrs. Whyms hatte letztes Jahr neben ihrem Bed & Breakfast sogar einen kleinen Buchladen eröffnet.

Doch für Mags zählte nur das alte Rosehaven mit dem kleinen Laden und den Plastikgläsern mit Weingummi und Bonbons hinter der Theke, aus denen man sich für wenige Pennys eine gutsortierte Mischung zusammenstellen konnte.

Mit der Tüte in der Hand ging es dann weiter in Richtung Hafen. Wollte Mags als Kind nach Hause gehen, wäre sie an der nächsten Kreuzung links abgebogen in die Maple Street. Nach wenigen Metern hätte sie das von ihrem Vater in hellem Rot angemalte Gartentor erreicht. Wäre sie allerdings nach rechts abgebogen, hätte sie Rosehavens Kirche erreicht.

Dahinter stand das Pfarrhaus, damals noch verlassen und mit seinem verwilderten Garten ein perfekter Ort für Kinder. Den Garten hatte sie geliebt und zusammen mit ihren Freunden auf einer der massiven Buchen ein Baumhaus gebaut, von dem aus sie jeden Eindringling hatten sehen können. Ein geheimer Ort, frei von Erwachsenen.

Damals erschien ihr der Garten wie eine geheime Insel, wie Nimmerland, und eines ihrer Lieblingsspiele war es, als Peter Pan mit seinen verlorenen Jungs durch die Büsche zu toben im Kampf gegen Captain Hook und seine Bande.

Folgte man der gewundenen Straße weiter bergab, erreichte man den Hafen. Er war nicht groß, damals hatten vielleicht noch eine Handvoll Berufsfischer ihre Boote dort liegen und viele Anwohner ein kleineres Ruderboot zum Angeln. Auch die ersten schickeren Segelboote waren im Sommer zu sehen.

Die alten Fischerhäuser schmiegten sich vor dem Hafen eng aneinander, als würden sie sich, vom Alter etwas krumm und schief, gegenseitig stützen. Heute waren die meisten von ihnen bunt gestrichen, gehörten reichen Sommergästen oder wurden über die Gemeinde an gutzahlende Gäste vermietet. Zwischen den Häusern lag das Pub Golden Budgie, geheimnisvoller Treffpunkt der Erwachsenen. Ihr Vater hatte sie dorthin genau zweimal im Jahr mitgenommen. Einmal, wenn die großen Ferien begannen, und das andere Mal an seinem eigenen Geburtstag. Sie erinnerte sich gut an ihre Aufregung, an den dunklen Gastraum, den Wirt mit seiner Schürze über dem dicken Bauch, an die polierten Zapfhähne.

Folgte man der Hafenmauer, wurde die Straße immer schmaler, das Pflaster ging zunächst in Schotter über, dann in Sand und Gras. Der schmale Wanderweg führte entlang der westlichen Seite des Helford River bis hin nach Gweek.

Wandte man sich am Hafen nach links, dann stieß man auf den Küstenwanderweg, der zwischen Klippen und Buchten in einem stetigen Auf und Ab einmal um die Südspitze Cornwalls herum führte. Mags hatte ihn in einem Frühjahr zusammen mit ihrem Vater bewandert – und trug die schönen Erinnerungen daran tief in ihrem Herzen.

Sie dachte an Arthur, der wie sie in Cornwall aufgewachsen war, aber nie eine Verbindung zu der Landschaft aufgebaut hatte, der Wandern für Zeitverschwendung hielt und lieber in einem Cabrio mit offenem Verdeck fuhr. Am Anfang hatte sie genau das gewollt, neben ihm im Auto sitzen, sich frei fühlen, die Welt zu Füßen. Heute wusste sie, dass sie auf ihr Herz hätte hören, lieber die Klippen hätte entlangwandern sollen.

Wie sehr sie selbst das Land liebte, war ihr erst klargeworden, als sie in Amerika gewesen war. Das Heimweh hatte sie fast umgebracht, sie war in ihrem Kopf immer und immer wieder den Weg durch das Dorf gelaufen, nur um sich gegen die von allen Seiten auf sie einstürzende Einsamkeit zu wappnen.

Vor Mags flogen Uferschwalben ihre abenteuerlichen Manöver und fingen Insekten in der Luft. Die Vögel kehrten jedes Jahr wieder an ihre alten Nistplätze zurück, gruben ihre Höhlen tief in das weiche Kalkgestein der Klippen. Und wenn die Jungvögel groß genug waren, kletterten sie an den Rand der Höhle und flogen einfach los.

Mags war sich sicher, dass sie das nur konnten, weil sie nicht darüber nachdachten, dass sie fallen könnten.

Seufzend stand sie auf und ging zurück zu ihrem Bus.

2

Als sie Puckpuck vorsichtig in die von zwei niedrigen Steinmauern gesäumte Auffahrt zum Cottage lenkte, sah Mags, dass Miss Claras in die Jahre gekommener roter Mini nicht neben dem Haus stand.

Sie stellte ihren Transporter ab, griff sich den alten Bastkorb, der ihr als mobiles Büro, Handtasche und Werkzeugkoffer diente, und überlegte, bei welcher ihrer vielen sozialen Aktionen Miss Clara wohl sein könnte. Wahrscheinlich bei einer Veranstaltung des Gartenvereins, denn an diesem ersten Juniwochenende war in ganz Cornwall Tag des offenen Gartens, und auch Rosehaven würde stolz seine Tore öffnen.

Mags umrundete auf dem schmalen kiesbedeckten Weg das Cottage und atmete tief ein. Miss Clara hatte ihren Rosengarten über Jahrzehnte hinweg zur Perfektion gebracht, jetzt blühten die ersten Rosen, und Bienen summten neben dicken Hummeln um die Wette. Sie duckte sich unter einem Bogen mit weißen Kletterrosen, die den wunderschönen Namen Schneewittchen trugen, hindurch und stand dann vor ihrem eigenen Zuhause. Jahrelang war die kleine Scheune mit ihrer Fassade aus gesammelten alten Holzfenstern als Gewächshaus genutzt worden, bis Miss Clara sich nach langen Überlegungen ein modernes Gewächshaus auf die andere Seite des Grundstückes bauen ließ. Mags kannte die Scheune aus der Zeit, als ihr Vater dort, mit Miss Clara über die Anzuchttische gebeugt, gestanden und mit ihr über alte Rosensorten diskutiert hatte.

Als Mags wieder nach Rosehaven gekommen war und Miss Clara in einem schwachen Moment vom drohenden Verkauf ihres Elternhauses erzählt hatte, hatte sie ihr den Schuppen als Wohnhaus angeboten. Der Schuppen hatte einen Stromanschluss und einen wuchtigen Bollerofen, der den großen Raum auch im Winter warm hielt. Mags hatte sich eine Schlafempore mit einer Leiter in den hinteren Teil gebaut und mit Hilfe eines Boilers und einigen alten Schränken eine kleine Küchenzeile improvisiert. In einem kleinen Anbau waren eine Dusche und eine Toilette angeschlossen.

Es gab einen wackeligen Esstisch, und die alten Pflanztische hatte Mags etwas erhöht, um sie als Schreibtisch zu nutzen. Miss Clara hatte von ihrem Dachboden einige geknüpfte Teppiche, dunkle Holzstühle und sogar einen schweren Ohrensessel aus Leder beigesteuert.

Mags hatte aus dem Haus ihrer Eltern nur wenig mitgenommen. Viele der Möbel waren verkauft worden, und nur die wichtigsten Erinnerungsstücke und vor allem die Aquarelle ihres Vaters hatte Mags auf Miss Claras Dachboden verstaut. In ihrem Häuschen wollte sie sie nicht um sich haben. Nur die in grünes Leder gebundenen Gartenbücher ihres Vaters füllten zwei schwere Regalbretter neben dem dicken Lesesessel.

In Gartenbüchern hielten Gärtner sorgfältig fest, was sie wo gepflanzt hatten, was gedieh und was sie wieder entfernen mussten. Sie enthielten Notizen über das Wetter und die besten Pflanzzeiten, über neue Entdeckungen und die besten Methoden gegen Schnecken – heute führte kaum noch jemand welche.

Mags selbst hatte die Tradition ihres Vaters übernommen und schrieb jeden Abend in ihre eigenen Bücher, so wie andere Menschen vielleicht ein Tagebuch führten. Sie war keine so gute Zeichnerin wie ihr Vater, der in seinen Büchern viele mit Bleistift skizzierte Gärten und leuchtende Aquarelle eingelegt hatte, aber sie übte sich darin. Bei einigen der größeren Projekte griff sie auf Fotos zurück, was vielleicht weniger romantisch, aber um einiges detaillierter war als ihre Zeichnungen. Die Gartenbücher ihres Vaters waren für sie ein Schatz, den sie hütete wie ihren Augapfel.

Auf der ausgetretenen Steinstufe vor der Tür stand ein Tablett aus Holz, das mit einem rotkarierten Handtuch bedeckt war. Mags versuchte, sich ihren Korb auf die Hüfte zu klemmen und mit der freien Hand das Tablett anzuheben, als das laute Schrillen ihres Telefons sie zusammenzucken ließ und der Korb zu Boden fiel.

Fluchend kramte Mags ihren Schlüssel aus dem Wust von Dingen hervor, schloss die Tür auf, und als sie vorsichtig über das Tablett hinweggestiegen war und in ihrem Zuhause stand, hörte das Klingeln auf.

»Verdammt!«

Sie hatte schon wieder vergessen, ihren Anrufbeantworter anzuschalten.

Schulterzuckend hob sie das Tablett hoch und sah unter dem Rand des Tuches einen Teller mit goldgelben Scones und frischen Erdbeeren hervorblitzen. Miss Clara hatte gebacken und wie immer auch an sie gedacht.

Mags fand immer wieder Köstlichkeiten auf der Stufe ihres Hauses vor, die sie schon das ein oder andere Mal vor einem Abend mit knurrendem Magen gerettet hatten. Eigentlich konnte Mags kochen, aber sie schaffte es einfach zu oft, etwas auf dem Herd anbrennen zu lassen. Da der kleine Laden von Mrs. Miller nur bis fünf Uhr geöffnet hatte, blieb ihr Kühlschrank oft leer. Mags verabscheute die langen, in weißes Neonlicht getauchten Gänge des Supermarktes, den es in der nächsten Stadt gab, wo man ständig mit Musik und Werbung beschallt wurde. Das hatte sie in Amerika am meisten gehasst: Die Supermärkte und die Tatsache, dass man überallhin mit dem Auto fuhr. Sie hatte das Dorfleben so sehr vermisst und Arthur bekniet, etwas weiter in den Westen an die Küste zu ziehen, wo die Häuser Gärten hatten, wo es kleine Läden und vor allem das Meer gab, aber Arthur hatte nur gelacht und sie seine kleine Landpomeranze genannt. Zu der Zeit ahnte sie schon, dass er sie betrog. Doch wahrhaben wollte sie es nicht. Sie hatte weiterhin an ihn und ihre Liebe glauben wollen, hatte die Augen vor der Realität verschlossen. Bis es zu spät gewesen war.

Mit einem Knall stellte sie das Tablett auf die schmale Küchenarbeitsfläche und griff nach einem der Scones.

Er duftete nach Butter und Kindheit und war noch warm, als Mags hineinbiss. Schlechte Gedanken und Scones passten einfach nicht zusammen.

Schon besser gelaunt, trat sie nach draußen, um ihren Korb zu holen und dessen über die Steine verteilten Inhalt einzusammeln, als das Telefon erneut klingelte.

Diesmal war sie schnell genug.

»Evergreen Garden Service, Mags Blake. Was kann ich für Sie tun?«

»Maggie? Thomas Williams hier. Von The Shelter – erinnerst du dich noch?«

Und ob Mags sich erinnerte. Sie erwischte sich dabei, wie ihre freie Hand nach ihrem geflochtenen Zopf tastete, der schon seit Jahren nicht mehr da war. In jenem Sommer war sie fünfzehn Jahre alt gewesen. Ihr Vater war von Thomas’ Vater, George Williams, dem Besitzer der traumhaften Gartenanlage Shelter Gardens, beauftragt worden, Pläne der ursprünglichen Bepflanzung zu erstellen. Der Garten selbst war um 1840 angelegt worden, zog sich vom Haus aus durch ein breites Tal bis hinunter zum Helford River. Begrünt mit einer Vielzahl von Pflanzen, die die Expeditionen aus Übersee nach England gebracht hatten, war er ein Prunkstück gewesen. Leider hatte ein Vorfahre der Familie Williams Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts beschlossen, den Garten umzugestalten, ihn zu modernisieren – und damit einen großen Teil der ursprünglichen Anlage zerstört. Die Kriege und die finanziellen Verluste der Familie Williams in den Nachkriegsjahren hatten ihr Übriges dazu getan, den Garten fast völlig untergehen zu lassen. George Williams hatte dann das Familienvermögen wieder aufgestockt und den Plan gefasst, den Garten nach und nach wiederherzustellen. Es gab nur wenige Unterlagen, aber es gab Mags’ Vater. Der streifte wochenlang durch den Garten, wühlte sich durch die wenigen erhaltenen Gartenbücher und Schriftstücke und zeichnete dann ein Bild davon, wie Shelter Gardens ausgesehen haben musste. Mags war in diesem Sommer an seiner Seite gewesen, der letzte Sommer, in dem die beiden noch ein friedliches Verhältnis zueinander hatten. Thomas war damals als junger Mann mit achtzehn Jahren in den Semesterferien zu Besuch bei seinen Eltern gewesen, und Mags hatte ihn angehimmelt.

»Oh, ja, natürlich. Shelter Gardens. Das ist eine kleine Ewigkeit her.«

Mags merkte, dass ihr Gesicht glühte.

»Ja, ist es. Ich habe das Gefühl, dass ich gerade mit einem jungen Mädchen mit rotbraunem Zopf, einer ausgebeulten Jeanslatzhose und roten Chucks spreche.«

Mags blickte an sich hinunter auf eine ausgebeulte Latzhose und ein Paar verschlissener Chucks.

Sie seufzte. Aus ihr würde niemals eine elegante Frau werden. Sie wettete, dass es in Thomas’ Leben eine Menge davon gab.

»Nun, wir sind wahrscheinlich beide älter geworden, oder?«

Hoffentlich war das nicht zu kühl gewesen. Vielleicht hatte die Familie Williams ja einen Auftrag für sie. Zum Glück lachte Thomas nur.

»Ja, das hoffe ich doch. Ich war damals in einer Phase, in der ich mich sehr erwachsen und reif gefühlt habe und immer mit irgendeinem wichtig aussehenden Buch unter dem Arm durch den Garten gestreift bin. Ich war schrecklich. Und so überzeugt von mir …«

»Oh. So genau erinnere ich mich nicht mehr.«

Und ob Mags sich erinnerte. Sie hatte Thomas angehimmelt, gerade weil er mit irgendeinem wichtig aussehenden Buch auf den Bänken gesessen und dabei ziemlich gut ausgesehen hatte.

»Also gut. Maggie, warum ich anrufe: Am Sonntag öffnet Shelter Gardens traditionell seine Tore für Besucher. Im letzten Jahr hatten wir schon mit der Menge an Neugierigen zu kämpfen, und jetzt hat sich gerade einer der Gärtner krankgemeldet – uns fehlt einfach noch jemand, der die Gruppen durch den Garten führen kann. Du kennst den Garten doch, und ich dachte, vielleicht …?«

Mags merkte, wie sie bei dem Gedanken an den phantastischen Garten von einem Ohr zum anderen grinste. Natürlich wollte sie! Sie biss sich schnell auf die Innenseite der Wange, um ihrer Stimme einen professionelleren Ton zu geben, auch wenn sie dabei fröhlich auf und ab hüpfte.

»Ja, ja klar. Das mache ich gerne. Ich erinnere mich noch gut an den Garten, und ich habe noch die alten Gartenbücher meines Vaters. Er hat eine Menge über Shelter Gardens gesammelt. Es wäre mir eine Freude, euch zu helfen.«

Mags hörte, wie Thomas am anderen Ende der Leitung erleichtert aufatmete.

»Maggie, das ist perfekt. Ich hatte schon befürchtet, ich müsste selbst Besucher durch den Garten führen. Bei der ersten Frage wäre dann allen klargeworden, dass der junge Williams nicht den blassesten Schimmer von dem Garten hat, den er erben wird. Du bist meine Rettung. Wir beginnen am Sonntag um sieben mit einem Frühstück für alle Helfer, dann lernst du auch die anderen Gärtner kennen und bekommst den Ablaufplan. Wenn du noch mehr Informationen brauchst, sag Bescheid.«

»Ich bin am Sonntag da. Und, Thomas?«

»Ja?«

»Sag bitte Mags zu mir.«

Nur ihr Vater hatte sie Maggie genannt.

»Gut, Mags, dann bis Sonntag. Ich freue mich, dich zu sehen.«

Sie legte auf und griff grinsend zu einem zweiten Scone. Thomas Williams also. Wenn sie ihre Sache gut machte, würde sie vielleicht in Zukunft öfter in Shelter Gardens arbeiten können. Und die Familie hatte viele Freunde mit großen Gärten und dem nötigen Kleingeld. Ohne weiter an ihre vor der Tür verstreuten Sachen zu denken, zog Mags aus dem Regal neben dem Fenster die zwei dicken, in grünes Leder gebundenen Bücher hervor. Nach einigem Blättern hatte sie gefunden, was sie suchte. Die Skizzen und Notizen ihres Vaters zu Shelter Gardens. Ohne den Blick von der feinen Schrift abzuwenden, legte sie das Buch auf ihren Küchentisch und ließ sich auf einen der Stühle sinken. Sie würde eine verdammt gute Führung abliefern.

3

Mags parkte ihren Wagen, der heute Morgen wider Erwarten ohne größere Probleme angesprungen war, auf dem Weg, der am Zaun von Shelter Gardens entlangführte. Es war früh am Morgen, die Straßen noch leer und die Luft feucht und kühl. Sie hatte gestern beschlossen, sich den Garten doch vorher anzusehen – und vor ihrem ersten Termin blieb noch Zeit, sich hineinzuschleichen.

Mags hatte keine Lust, sich offiziell beim Haupthaus zu melden. Sicherlich würde sie dann entweder von einem der Gärtner oder von einem Mitglied der Familie Williams selbst durch den Garten geführt werden, aber sie wollte bei ihrem ersten Besuch ganz für sich sein.

Allein der große Eisenzaun, der den oberen Teil des Gartens in westliche und östliche Richtung umschloss, musste ein Vermögen gekostet haben.

Mags hatte es bereits als Kind geliebt, sich in die Vergangenheit zurückzuversetzen. Sie hatte ihren Vater dabei beobachtet, wie er durch die Gärten schritt, und sich dabei vorgestellt, wie der Garten vor zweihundert oder zweihundertfünfzig Jahren ausgesehen haben musste, wie eine ganze Schar von Gärtnern sorgfältig jedes Blatt und jede Blüte umsorgt und wie der Hausherr eine exotische Pflanze nach der anderen von seinen Besuchen aus London mitgebracht hatte. Oft hatten weder er noch seine Gärtner genau gewusst, um welche Pflanzen es sich handelte, wie man sie pflegte und wie groß sie einmal werden würden. Einen Garten anzulegen, Setzlinge von Bäumen zu pflanzen, mit dem Wissen, dass es Jahrzehnte dauern würde, sie in ihrer fertigen Form zu sehen – kaum jemand tat so etwas heute noch. Viele Kunden wollten fertige Gärten, die Bäume wurden für riesige Summen aus den Baumschulen von Deutschland nach Cornwall geliefert und dort eingepflanzt.

In Gärten wie Shelter Gardens hatten Gärtner über Jahrzehnte zugeschaut, wie Bäume wuchsen, hatten mit Geduld herausgefunden, was die exotischsten aller Pflanzen brauchten. Es waren Chusam-Palmen, riesige Bambusstauden, Gunnera Manicata, Sumpfpflanzen mit Blättern groß wie Regenschirme, Aronstäbe, australische Baumfarne und so vieles mehr gewachsen. Shelter Gardens hatte Ananasbeete neben englischen Gemüsegärten gehabt, doch leider waren davon keine Spuren mehr zu sehen. Der Vorfahre der Williams, dessen Name wahrscheinlich besser nicht laut in den Räumen des Herrenhauses ausgesprochen wurde, hatte Rasen und niedrige Hecken gewollt, und war wie ein Berserker über den Garten hergefallen. Nur nach und nach hatte George Williams es zusammen mit Mags’ Vater geschafft, die Wunden wieder zu schließen.

Wie gerne würde sie an einem so großen Projekt mitarbeiten. Aber ohne Studium, ohne irgendwelche Zertifikate auf dickem Papier, ohne die Kontakte ihres Vaters hinter sich, war das nur ein Traum. Sie kniff sich fest in ihren Oberschenkel. »Schluss!« Wenn sie so weitermachte, würde sie irgendwann schlechtgelaunt und verbittert enden.

Mags folgte dem Zaun nicht in Richtung Herrenhaus, sondern in die entgegengesetzte Richtung auf der Suche nach einer Lücke.

Sie hatte Glück, und wenige Meter weiter endete der Zaun und wurde von einer Hecke abgelöst, durch die Mags sich mit einigen Schwierigkeiten kämpfen konnte.

Sie fluchte, da sie wegen Thomas’ Bemerkung am Telefon auf ihre übliche Latzhose verzichtet und sich in eine schmal geschnittene Stoffhose, glatte Lederstiefel und eine flaschengrüne Bluse gezwängt hatte, die keinen Schutz gegen die feinen Dornen der Hecke bot. Und all das nur, weil sie Thomas über den Weg laufen könnte. Sie rutschte auf dem feuchten Boden aus und vermisste ihre Arbeitsschuhe.

»Idiotin!«

Sie hatte sich nach Arthurs Tod geschworen, nie wieder Kleidung und Schuhe zu tragen, die sie nicht mochte. Während der acht Jahre ihrer Ehe hatte sie sich jeden Morgen eine Verkleidung angezogen. Immerhin hatte der Verkauf der gesammelten Kostüme, Kleider und Mäntel eine gute Summe Geld eingebracht.

Mags seufzte. Der Tag fing ja gut an. Doch als sie sich aus der Hecke gekämpft hatte, blieb sie ehrfurchtsvoll stehen. Vor ihr lag der obere Teil des Gartens mit seiner von großen Rhododendren gesäumten Rasenfläche und dem Blick bis hinunter zum Helford River. Sie hatte fast vergessen, wie schön der Garten war. Hinter ihr lag das Herrenhaus mit seinen weißen Sprossenfenstern, dem großen Wintergarten und der überdachten Terrasse, vor ihr der von Wegen durchzogene Garten. Und weit und breit kein Mensch.

Damals war sie mit ihrem Vater hier entlanggegangen.

Sie merkte, während sie mit langsamen Schritten den Rasen überquerte und auf einen der schmalen Kieswege einbog, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Ihr Vater hatte Pläne gehabt für Mags, sie sollte studieren, dann wiederkommen, er träumte davon, mit ihr gemeinsam zu arbeiten und vielleicht sogar eines Tages selbst einen der alten Gärten Cornwalls zu kaufen und Schritt für Schritt wieder ins Leben zu holen. Blake und Tochter. Das hatte er immer gesagt. Und gelacht. Für ihn war alles so klar gewesen. Nur dass er sie nicht nach ihren Plänen gefragt hatte. Vielleicht hatte er wirklich nicht gesehen, wie seine Tochter größer wurde, eigene Träume und Ideen entwickelte, Entscheidungen treffen wollte. Immer, wenn sie versucht hatte, seine Vorstellungen für sie zu hinterfragen, von einem Studium im Ausland sprach, davon, wegzugehen, eigene Erfahrungen zu machen, ignorierte er sie. Als sie sich für Praktika weit weg von Cornwall bewarb, wurde er wütend und sagte ihr, dass er keine ihrer Flausen finanzieren würde. Es war eine schwere Zeit. Er hatte nicht wahrhaben wollen, dass aus seiner kleinen Tochter, die seinen Plänen immer mit Begeisterung zugestimmt hatte, eine erwachsene Frau wurde. Und dann hatte sie Arthur kennengelernt. Er schien ihr alles zu bieten, wovon sie träumte. Er sprach von Reisen, von der großen Welt – und sie hatte ihm geglaubt. Glauben wollen. Sie war gerade frisch verheiratet und mit ihrem Mann nach London gezogen, als der Anruf von Miss Clara kam. Ein Autounfall, auf dem Rückweg von einem Auftrag, es hatte stark geregnet. Ihr Vater war noch am Unfallort gestorben.

Mags verließ den Weg, um ihre Hände auf die Rinde eines Baumfarnes zu legen. Schon als Kind hatte sie das Muster der Rinde fasziniert.

Sie konnte die Stimme ihres Vaters neben sich hören, der ihr etwas über die Expeditionen der britischen Botaniker nach Australien erzählte. Maggie, Kleines, pass gut auf … Er war der Einzige gewesen, der sie so nennen durfte.

»Na, wenn das mal nicht eine Überraschung am frühen Morgen ist. Eine Elfe in Shelter Gardens.«

Mags fuhr erschrocken auf und drehte sich um. Vor ihr stand ein schlaksiger, in Cordhose und Hemd gekleideter Mann.

»Was machen Sie hier?«

Zu spät erinnerte Mags sich, dass sie es ja war, die sich auf das Grundstück geschlichen hatte. Sie hoffte, dass der Mann ihr gegenüber nicht sehen konnte, dass sie gerade geheult hatte.

Was fiel ihm ein, sich so einfach anzuschleichen und sich dann auch noch über sie lustig zu machen? Mags wusste, dass sie nun mal keine Elfe war. Mit ihren wilden roten Locken und den Sommersprossen auf der Nase würde sie nicht elfengleich über Wiesen wandeln. Für die Gartenarbeit brauchte man Muskeln.

»Oh, eine ausgesprochen höfliche Elfe. Ich bin hier zu Gast, genieße die morgendliche Ruhe und wollte gerade hinab zur Bucht gehen, als ich Sie den Baum da streicheln sah.«

Er setzte jedes Wort mit Bedacht, und Mags sah förmlich, wie er durch die Flure irgendwelcher teurer Colleges ging. Der Schnösel streckte ihr seine freie Hand entgegen.

»Samuel Hawthorn.«

Widerwillig schüttelte Mags ihm die Hand.

»Margaret Blake.«

Sie trat augenblicklich zurück.

»Ach, Sie sind die Gärtnerin, von der Thomas mir erzählt hat. Ich muss zugeben, nach seiner Beschreibung hatte ich mir ein junges Mädchen vorgestellt und nicht …«

Er musste das Funkeln in Mags’ Augen gesehen habe, da er seinen Satz nicht beendete.

»Ich bin ein Freund von Thomas. Als Historiker arbeite ich an einem Buch über die Geschichte Cornwalls, daher hat Thomas mich eingeladen, einige Wochen in The Shelter zu wohnen. Wir waren auf dem gleichen College, wissen Sie?«

Mags schwieg.

Der Mann neben ihr hatte sich so gedreht, dass er einen freien Blick auf das Tal hatte. Mags konnte am unteren Ende des Gartens durch den aufsteigenden Nebel die Bucht mit ihrem feinen Sand erahnen, davor das leuchtende Blau der Hortensien und das tiefdunkle Rot der großen Rhododendren.

Der Kerl sollte gehen. Sie wollte den Garten alleine erleben.

»Wollten Sie nicht zur Bucht?«

»Ach, ich habe es nicht eilig. Und Sie, was machen Sie denn so früh hier im Garten? Außer einen Baum zu streicheln? Thomas hat gar nicht erwähnt, dass er sie erwartet.«

Mags spürte, wie sie langsam gereizt wurde.

»Also erst einmal: Ich habe den Baum nicht gestreichelt, ich habe seine Rinde berührt und mir das Muster genauer angesehen. Wissen Sie überhaupt, was das ist?«

»Ein großer Farn oder so?«

Mags schüttelte den Kopf.

»Und Sie wollen Historiker sein, etwas über die Geschichte Cornwalls schreiben? Das ist ein Baumfarn, er kommt ursprünglich aus New South Wales. 1890 landete ein Schiff mit Farnsetzlingen in Falmouth. Sie wurden aufgeteilt auf die zehn besten Gärten Cornwalls. Und irgendwie schaffte es der damalige Gärtner von Shelter Gardens, an einige der Setzlinge zu kommen. Es gibt das Gerücht, dass er sie beim Kartenspielen gewonnen hat. Als der damalige Besitzer des Herrenhauses den Garten umgestalten ließ, rettete ein Gärtner die Farne und pflanzte sie weit hinten im Garten heimlich wieder ein. Dort hat mein Vater sie völlig überwuchert gefunden. Er grub sie aus und setzte sie hier wieder ein.«

Mags’ Stimme brach. So ein Mist, sie würde nicht vor dem Schnösel anfangen zu weinen. Sie holte tief Luft.

»Ich sehe mir jetzt den Garten an, um am Sonntag gut vorbereitet zu sein.«

Damit wollte sie sich umdrehen und gehen, als sie seine Hand auf ihrer Schulter spürte.

»Ich wollte nicht …«

»Auf Wiedersehen!«

Mags sah wirklich keinen Grund, noch länger stehen zu bleiben. Erst als sie um die nächste Ecke gebogen war, drehte sie sich vorsichtig um. Er war zu dem Baum getreten und hatte seine Hände auf die Rinde gelegt.

4

Mags’ Weg führte sie in einer weiten Rechtskurve hinunter ins Tal. Der Garten war in den letzten Jahren immer mehr in seine ursprünglich angedachte Form gewachsen. Als sie in einen schmalen, von hohem Bambus gesäumten Teil des Weges abbog, sah sie eine Elster vor sich auf dem Boden sitzen, die mit lautem Keckern vor dem Eindringling in den dichten Bambus flüchtete.

One for sorrow …

Zwischen dem hohen Bambus hatte sich die Kälte der Nacht gehalten, und ihr lief in ihrer dünnen Kleidung ein Schauder über den Rücken. Sie beeilte sich, wieder in den offenen Teil des Gartens zu kommen.

Schließlich gelangte sie zu dem kleinen Unterstand, der dem Garten der Legende nach seinen Namen gegeben hatte. Einer der ersten Williams soll als armer junger Mann gewandert, von einem Gewittersturm überrascht worden sein und hier Unterschlupf gesucht haben. Als er dann Jahre später, in Australien reich geworden, zurück nach England kam, kaufte er das Land, baute ein Haus und legte einen Garten an. Den Unterstand ließ er so, wie er ihn gefunden hatte.

Mags bezweifelte allerdings, dass der junge Wanderer damals auf eine komfortable Hütte mit Reetdach gestoßen war, wie sie jetzt dort stand.

Anscheinend wurde der Unterstand gerade renoviert, das alte Reetdach war schon zum Teil abgetragen, und die grauen Halme lagen in einem wilden Haufen auf dem Boden.

Hoffentlich warfen die Arbeiter die Halme nicht weg. Sie wären perfekt, um damit Beete abzudecken. Vielleicht sollte sie sie stapeln und später einem der Gärtner Bescheid sagen. Als sie näher trat, sah sie ein altes Vogelnest zwischen den Halmen liegen, neben dem etwas in der Morgensonne glitzerte.

Eine Kette! Mags schob vorsichtig die Halme beiseite, legte das Fundstück auf ihre flache Hand und rieb mit dem Daumen über das angelaufene Silber und über einen großen, unregelmäßig geformten schwarzen Stein umringt von kleinen Diamanten. Diamanten zwischen den Resten eines alten Reetdaches? Das Silber glänzte nicht mehr, an einigen Stellen klebte Vogeldreck. Die Kette musste länger hier gelegen haben. Aber wer trug so etwas Wertvolles bei einem Gartenspaziergang?

Erstaunt blickte sie auf den Fund in ihrer Hand, als sie Schritte hinter sich auf dem Kiesweg hörte.

Als sie sich umdrehte, sah sie einen großen dunkelhaarigen Mann in einem hellen Pullover, Jeans und festen Stiefeln auf sich zukommen. Thomas Williams. Auch wenn er älter geworden war, sah er immer noch verdammt gut aus.

Mags winkte und ging auf Thomas zu.

»Guten Morgen, Mags. Ich wusste gar nicht, dass du heute in den Garten kommen wolltest.«

Mags strich sich die Haare aus dem Gesicht und versuchte, nicht daran zu denken, wie ihre Kleidung nach dem Kampf mit der Hecke aussehen musste.

»Guten Morgen. Es war ein spontaner Entschluss, ich hatte noch etwas Zeit vor meinem ersten Termin.«

Sie sah, wie Thomas’ Blick erstaunt zu ihrer Hand wanderte.

»Das habe ich eben neben der alten Hütte gefunden.«

Sie hielt Thomas die Kette entgegen und wartete darauf, dass er sie ihr abnehmen würde. Doch Thomas trat einen Schritt zurück, blickte Mags an, und sie sah, dass er leichenblass geworden war.

»Gehört sie deiner Mutter? Sie muss irgendwie auf das Dach der Hütte gekommen sein. Da war ein Vogelnest. Vielleicht eine Elster? Ich habe vorhin eine gesehen.«

Mags lachte unsicher auf. Thomas hatte noch immer kein Wort gesagt und starrte auf die Kette in ihrer Hand.

»Es ist verrückt, oder? Ihr müsst die Kette doch vermisst haben? Oder vielleicht gehörte sie einer deiner Ahninnen, die sie im Reet versteckt hatte? Die Kette sieht echt aus.«

Doch von Thomas kam keine Antwort. Er starrte immer noch auf die Kette, auf seiner Stirn stand Schweiß, und Mags hatte Angst, dass er umkippen würde. Sie machte einen Schritt auf ihn zu und fasste seinen Arm.

»Thomas? Soll ich jemanden holen? Ist dir nicht gut?«

Thomas schüttelte ihre Hand ab und griff nach der Kette.

»Du … was machst du hier überhaupt? Was hast du hier zu suchen? Einfach in den Garten zu schleichen, du bist hier nicht zu Hause! Verschwinde!«

Thomas’ Gesicht war immer noch blass, aber diesmal funkelten seine Augen vor Wut, und seine Stimme wurde immer lauter. Mags war erschrocken einige Schritte zurückgestolpert.

»Ich wollte doch nur …« Thomas drehte sich um und rannte den Weg hoch zum Haus.

Mags blickte verständnislos auf ihre leere Hand.

5

Auf dem Rückweg zu ihrem Transporter hatte Mags es geschafft, ihren Schrecken in Wut zu verwandeln. Sie preschte auf dem gleichen Weg durch die Hecke, auf dem sie gekommen war, und schimpfte dabei vor sich hin. Sie war eine erwachsene Frau, er konnte doch nicht mit ihr reden wie mit einem ungezogenen Kind. Wenn er nicht wollte, dass sie seinen Garten betrat, dann eben nicht. Sollte er doch sehen, wer dann die Besucher durch den Garten führen würde, aber sie würde definitiv keinen Fuß mehr in Shelter Gardens setzen.

»Oh Mags, meine Liebe. Ist alles gut bei dir?«

Miss Clara stand mit einer Gartenschere in der Hand neben dem Weg zu Mags’ Schuppen.

Sie zog nur ihre Schultern hoch und blickte an ihrer zerstörten Bluse hinunter. Sie war so müde.

Miss Clara zog fragend eine ihrer Augenbrauen hoch.

»Kein guter Tag? Wer hat dich denn verärgert?«

Und als wäre die Frage eine Einladung gewesen, ging die alte Dame mit kleinen Schritten zu einer der Gartenbänke und setzte sich. Auf dem kleinen Tisch sah Mags einen großen Krug mit Eistee und zwei Gläser stehen. Sie setzte sich erleichtert und griff nach einem der Gläser. Vielleicht würde sich Miss Clara ja einen Reim aus der ganzen Geschichte machen können.

»Ich war heute auf The Shelter.«

»Ah, ja. Ich habe George und Vivian Williams erst letzte Woche in der Stadt getroffen. Sie suchten noch jemanden als Verstärkung für die Gartenführungen am Sonntag, und ich habe deine Nummer weitergegeben.«

Miss Clara lehnte sich zufrieden zurück.

»Dann hat es also mit dem Auftrag geklappt?«

»Gestern rief mich Thomas Williams an. Ich soll am Sonntag die Besucher durch den Garten führen. Aber dann war ich heute Morgen da, um mir einen Überblick zu verschaffen, und dann habe ich bei dem alten Unterstand eine Halskette gefunden. Ich glaube, sie war wertvoll. Thomas wurde erst so still und dann aber wütend, er war – ich habe mich so erschrocken. Dann hat er mich aus dem Garten geworfen.«

Hastig trank Mags einen Schluck Eistee.

Miss Clara setzte sich aufrecht hin.

»Wie sah die Kette denn aus?«

Mags blickte ihre Vermieterin erstaunt an.

»Die Kette? Ich weiß nicht, eine Kette halt. Sie hatte einen schwarzen Stein, und …«

Miss Clara unterbrach Mags, was selten vorkam.

»War der Stein ein Opal? Also glänzte er irgendwie?«

Mags richtete sich nun auch auf.

»Ja, er hatte einen eigenartigen Glanz, sogar unter dem ganzen Dreck. Worum geht es hier eigentlich? Warum wussten Sie das?«

Doch Miss Clara schwieg erst einmal, und Mags konnte sehen, dass ihre Vermieterin Tränen in den Augen hatte.

»Oh, Mags.« Sie schien sich sammeln zu müssen.

»Du kennst nicht die ganze Geschichte. Armer Thomas, arme Vivian. Kein Wunder, dass er so aufgewühlt war. Es ist schon vier oder fünf Jahre her, es war das Jahr, in dem es Ende März noch mal fürchterlich kalt geworden ist. Ich hatte eine Menge Knospen verloren. Und dann der viel zu heiße Sommer. Alles war in diesem Jahr merkwürdig verschoben. Auf jeden Fall war es auch das Jahr, in dem sich Thomas mit Emily Franklin verlobte. Ich glaube, du kanntest sie nicht. Sie ist etwas jünger als du und war nur in den Ferien mit ihren Eltern hier. Die Familie kommt aus London, sie haben ein Ferienhaus östlich von The Shelter.«

Miss Clara machte eine kurze Pause, und Mags sah, dass die Geschichte sie mitnahm.

»Das mit Emily und Thomas war eine von diesen romantischen Geschichten. Sie wollte ihn zuerst nicht, aber er hat um sie geworben und geworben. Vivian hat mir damals erzählt, dass er ihr Tag für Tag Blumen schicken ließ. Und irgendwann hat er es dann geschafft, und schnell waren die beiden verlobt. Vivian war damals so glücklich. Thomas hatte ja die Jahre davor eher wenig Zeit auf The Shelter verbracht, und nach allem, was man so hörte, in London ein eher unstetes Leben geführt. Aber mit Emily an seiner Seite kam er zur Ruhe. Und Emily liebte den Garten und das Haus. Es war perfekt. Die beiden waren so schön zusammen, ich erinnere mich an das Verlobungsfoto aus der Zeitung. Im März fand dann die offizielle Verlobungsfeier auf The Shelter statt. Damals wäre ich gerne dabei gewesen – heute bin ich froh, dass ich verhindert war. Vivian und George sind fast daran zerbrochen. Und Thomas … Nun, ich weiß nicht, wie er all das geschafft hat. Vivian hat mir später einiges erzählt. Die Leute haben wochenlang über nichts anderes geredet.«

Miss Clara nahm einen Schluck Eistee und blickte über ihren Garten. Ihre Stimme war immer leiser geworden, und Mags merkte, wie ihr trotz der Sonne kalt war.

»In den Morgenstunden nach der Verlobungsfeier ist Thomas wohl aufgewacht, weil er das Geräusch von splitterndem Glas im Haus gehört hatte. Emily schlief in einem Nebenraum, da Thomas früh am Morgen nach London wollte. Als er nach ihr sah, war ihr Bett leer … Er machte sich auf die Suche und dachte wohl, sie sei in die Küche gegangen, da sah er die offene Tür zum Arbeitszimmer seines Vaters. Er trat ein und sah ein zerbrochenes Glas auf dem Boden – und die offene Tür des leeren Tresors, wo sie die Schmucksammlung von Thomas’ Urgroßvater aufbewahrt hatten. Thomas suchte nach Emily, fand sie aber weder im Haus noch im Garten. Auch die Polizei war ratlos.«

Miss Clara ließ den Blick über ihren Rosengarten schweifen und dann wieder zu Mags.

»Das Problem war, dass es keine Spuren eines Einbruches gab. The Shelter hat eine Alarmanlage, die weder ausgelöst noch irgendwie beschädigt worden war. Der Tresor war mit dem passenden Code geöffnet worden – und George und Vivian mussten sich eingestehen, dass außer ihnen eigentlich nur Emily die Kombination gekannt hatte. Sie war oft genug dabei gewesen, wenn der Tresor geöffnet worden war. Die Polizei ging davon aus, dass Emily in den Raub verwickelt gewesen sein musste. Es gab Gerüchte, Emily sei mit einem der Täter durchgebrannt, man habe sie in London an der Seite eines anderen Mannes gesehen oder der Dieb habe sie umgebracht und ihre Leiche in den Fluss geworfen. Es war schlimm.«

Mags versuchte, sich zu erinnern, was sie zu Thomas gesagt hatte und wurde blass.

»Oh Gott, das wusste ich nicht. Und ich habe noch Witze über die Kette gemacht.«

»Das konntest du nicht wissen, und Thomas wird es verstehen, wenn er sich beruhigt hat. Ich rufe nachher Vivian an.«

Mags schwieg und versuchte, sich Thomas’ Gefühle vorzustellen. Ihr Schock über Arthurs Verrat saß noch tief. Miss Clara schien ihre Gedanken gelesen zu haben.

»Thomas glaubte den Gerüchten nicht, er wurde fuchsteufelswild, wenn jemand in seiner Gegenwart Emily beschuldigte. Er versuchte mit allen Mitteln, die Polizei davon zu überzeugen, dass Emily selbst zum Opfer geworden war, dass sie den Dieb überrascht haben musste, vielleicht entführt worden sei. Er startete sogar einen Aufruf an die Diebe und setzte eine hohe Belohnung für Hinweise aus. Die Presse war voll damit. Aber immer mehr Zeit verstrich, ohne dass irgendeine Spur von Emily oder dem Schmuck auftauchte. Bis heute.«

Mags erinnerte sich an Thomas’ Gesicht, als er die Kette in ihrer Hand gesehen hatte. Was muss dieser Anblick in ihm ausgelöst haben?

»Und Sie glauben, die Kette, die ich gefunden habe, gehört zur Sammlung?«

Miss Clara nickte.

»Ja, das glaube ich. Und Thomas scheint sie ja auch erkannt zu haben. Die Familie besaß Edelsteinminen in Australien. Unter anderem eine Mine in Lightning Ridge, in der die seltenen schwarzen Opale gefunden wurden. Jedes Schmuckstück der Sammlung besitzt einen solchen. Ich habe die Sammlung einmal gesehen. Die Steine sind einzigartig und die Fassungen erlesen. Ich denke, die gesamte Sammlung muss Millionen Pfund wert gewesen sein.«

»Und ich habe heute einen Teil davon gefunden. Das ist doch verrückt.«

Miss Clara nickte versonnen.

»Ja, unglaublich. Vielleicht waren es wirklich Elstern.«

Und dann stimmte sie einen alten Vers an, den fast jedes Kind in England kannte:

»One for sorrow, two for mirth

Three for a funeral, four for birth

Five for heaven, six for hell

Seven for a secret, never to be told …«

Mags fiel mit leiser Stimme ein, und gemeinsam beendeten sie den alten Kinderreim:

»Eight for a wish, nine for a kiss,

Ten a surprise you should be careful not to miss.

Eleven for health, twelve for wealth

Thirteen beware it’s the devil himself.«

Schon ihr Vater hatte jedes Mal, wenn er eine Elster sah, den Reim gesprochen.

Eine Elster steht für Leid, zwei für Freude, drei für eine Beerdigung, vier für eine Hochzeit. Fünf bringen dir den Himmel, sechs die Hölle, sieben stehen für ein lang bewahrtes Geheimnis, acht für einen Wunsch und neun für einen Kuss. Zehn für eine Überraschung, auf die man sich vorbereiten muss. Elf Elstern bringen Gesundheit, zwölf Reichtum – doch bei dreizehn Elstern bekommst du es mit dem Teufel selbst zu tun.

Auch Mags zählte manchmal die Elstern, die sie im Laufe eines Tages zu sehen bekam.

»Ich habe heute Morgen erst eine Elster gesehen. Kurz bevor ich die Kette gefunden habe.«

Miss Clara blickte die junge Frau an.

»Der Familie Williams hat die Elster auf jeden Fall Sorgen gebracht. Aber vielleicht wird es Zeit, ein altes Rätsel endlich zu lösen.«

»Glauben Sie, dass Emily den Schmuck gestohlen hat?«

Miss Clara schüttelte den Kopf.

»Ich weiß es nicht.«

Bevor Mags weitere Fragen stellen konnte, sahen sie, wie zwei Elstern über das Scheunendach hinweg zu Miss Claras neuem Gewächshaus flogen.

Miss Clara räusperte sich.

»Wirst du trotzdem am Sonntag in Shelter Gardens arbeiten?«

»Ja, ich denke schon.«

Mit dem Gedanken an Thomas’ schmerzerfülltes Gesicht sah Mags zu den beiden Elstern. Die dritte Elster an diesem Tag. Das war nicht gut.

6

Die Elster hatte sich an den Menschen gewöhnt, der nachts immer zu der Stelle zurückkehrte, wo die Beute vergraben war. Vor einigen Nächten war ihr Nest im Reetdach zerstört worden, und heute liefen immer mehr Menschen durch ihr Revier. Zu viele fremde Stimmen. Das Eichelhäherpaar war geflohen und hatte sich im dichten Unterholz am Rande des Gartens versteckt.

Die Elster aber blieb, während zwei Menschen mit ihren Werkzeugen begannen, unter den Hortensien zu graben. Mehr als Knochen würden sie nicht finden.

Am Tag des offenen Gartens lag über Rosehaven und der Bucht ein feiner Nebel, der sich allmählich lichtete. Die Sonne würde scheinen.

Mags war früh aufgestanden. Sie fühlte sich rastlos und nervös. Thomas hatte sich seit ihrer letzten Begegnung nicht mehr gemeldet. Auf ihrem Anrufbeantworter hatte sie eine Nachricht von Mr. Little erhalten, dem Hauptgärtner von Shelter Gardens. Er teilte Mags mit, dass sie sich bitte am Sonntag um sieben Uhr am alten Gärtnerhaus einfinden solle, um alle nötigen Informationen für die Führungen zu bekommen.

Sie konnte sich an den kleinen Mann, der seinem Namen alle Ehre machte, erinnern, doch schon damals war er ihr sehr alt vorgekommen. Anscheinend war er noch nicht bereit, seine Position aufzugeben. Immerhin war Mags also nicht gefeuert.

»Mach dir keine Gedanken, Mags, ja? Es hat damals so viel Wirbel in der Presse gegeben, das alles hat die Familie sehr mitgenommen. Wahrscheinlich wollen sie den Fund daher geheim halten. Geh hin, mach deine Arbeit, halte den Kopf hoch, und alles wird gut.«

Als sie vor einer halben Stunde in der Küche von Miss Claras Cottage gestanden hatte, mit dicken Arbeitsplatten aus Holz, Fliesenboden und einem großen Gasherd, mit einer Tasse Tee in der Hand, hatten die Worte sie getröstet.

Alles würde gut werden.

Doch je näher sie dem Herrenhaus auf den gewundenen Straßen kam, umso mehr verschwand die Zuversicht aus Mags’ Blick, und sie merkte, wie sie nervös mit den Fingern auf das Lenkrad trommelte. Aus Puckpucks knarzigen Lautsprechern klang die Stimme Neil Youngs, der auf der Suche nach einem Herz aus Gold über Ozeane reiste. Mags sang den Text leise mit und merkte, wie sie sich entspannte.

Rechts und links von ihr erstreckten sich weite Felder, unterbrochen von grauen Mauern und blühenden Weißdornhecken. Schafe hatten sich die ersten sonnenbeschienenen Stellen gesucht und grasten. Früher hatte es noch viele Schäfer gegeben, die mit ihren Herden von Wiese zu Wiese gezogen waren, heute hatten die meisten Bauern ihre eigenen Schafe, die sie mit dem Hänger transportierten.

Sie bog in die Auffahrt zum Herrenhaus ein und fuhr langsam um das Haus herum in Richtung der alten Stallungen. Hier hatte sie mit ihrem Vater auch immer geparkt, und eine bunte Ansammlung von Autos sagte ihr, dass die Angestellten des Hauses dies immer noch taten. Sie bezweifelte stark, dass George Williams in einem verrosteten Kleinwagen durch die Landschaft fuhr. Und auch Thomas selbst stellte sie sich eher in einem teuren englischen Sportwagen vor als in einem der hier versammelten Autos.

Als Mags den Motor abgestellt hatte, blieb sie noch für wenige Augenblicke mit geschlossenen Augen sitzen. Sie würde es schaffen, und sie würde ihre Sache gut machen. Verdammt gut.

Ein tiefes Knurren ließ sie erschrocken aufschreien und die Türverriegelung herunterdrücken.

»Was zum Teufel …«

Erst, als sie den freudig wedelnden Schwanz eines treu blickenden Hundes erkennen konnte, begann sie wieder normal zu atmen.

»Du hast mich aber erschreckt. Was bist du für ein großer Hund!«

Plötzlich wandte das Tier sich vom Fenster und rannte mit großen Sprüngen auf jemanden zu. Thomas.

Sie hatte gehofft, ihn noch nicht so früh wiederzusehen. Sollte sie so tun, als wäre die Sache mit der Kette nicht passiert? Nervös rieb sie sich die Hände an ihrer Hose ab und öffnete die Tür.

Der Hund stand nun neben Thomas, der ihn an einem Halsband festhielt.

»Jumbuck tut nichts, keine Sorge. Er denkt nur immer noch, er wäre ein kleiner Welpe, und springt jeden an, um auf den Arm genommen zu werden. Jumbuck, sitz!«

Mags ging vorsichtig auf den riesigen Hund zu und streckte ihre Hand aus, um seinen Kopf zu kraulen. Sofort ließ das Tier sich auf den Boden fallen und streckte ihr den Bauch entgegen.

»Er mag dich. Wobei er, um ehrlich zu sein, jeden Menschen mag und auf Streicheleinheiten oder Fressen hofft.«

Mags ging in die Knie, um dem Hund den Bauch zu kraulen.

»Was ist er denn für eine Rasse?«

»Keine Ahnung. Ich habe ihn an der Straße gefunden und mitgenommen. Er war eigentlich noch zu klein, um alleine überleben zu können, aber nach und nach wurde aus dem zitternden Fellbündel ein Riese.«

»Das ist dein Hund?«

Ein solcher Hund schien nicht zu Thomas mit seinen schicken Hosen und Hemden zu passen.

»Er ist wunderschön. Wächst er wohl noch?«

Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.