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Die schönste Zeit des Lebens
Erinnern Sie sich noch daran, wie es war, als Sie fünf Jahre alt waren? Im Radio liefen noch richtige Programme, nicht ständig dieses Gedudel, das einem in den Ohren wehtut. Süßigkeiten waren noch billig und aus richtiger Schokolade, die Comics noch mit viel Liebe zum Detail gezeichnet und die Filme viel spannender. Wünschen Sie sich nicht manchmal, wieder in diese Zeit zurückkehren zu können, in der die ganze Welt noch groß und bunt und aufregend war? Jeffty ist fünf und spielt gerne mit seinem Freund Donny. Doch während Donny älter wird, eine Ausbildung macht und sein eigenes Geschäft eröffnet, bleibt Jeffty fünf Jahre alt. Mehr noch: Er scheint in seiner eigenen Zeit zu leben, in der die alten Radiosendungen und Filme immer weiterlaufen …
Die Kurzgeschichte „Jeffty ist fünf“ erscheint als exklusives E-Book Only bei Heyne und ist zusammen mit weiteren Stories von Harlan Ellison auch in dem Sammelband „Ich muss schreien und habe keinen Mund“ enthalten. Sie umfasst ca. 31 Buchseiten.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 44
Harlan Ellison
JEFFTYISTFÜNF
ERZÄHLUNG
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
www.diezukunft.de
JEFFTY IST FÜNF
Als ich fünf Jahre alt war, gab es einen kleinen Jungen, mitdem ich spielte: Jeffty. Sein wirklicher Name war Jeff Kinzer, aber jeder, der mit ihm spielte, nannte ihn Jeffty. Wir waren beide fünf Jahre alt, und wenn wir zusammen spielten, war es immer wunderbar.
Als ich fünf war, war eine Clark-Waffel so dick wie der Griff eines Louisville-Baseballschlägers, und sie war fast fünfzehn Zentimeter lang, und sie nahmen richtige Schokolade für den Überzug, und die Waffel knirschte appetitlich, wenn man hineinbiss, und das Papier, in das sie eingewickelt war, roch frisch und lecker, wenn man es am oberen Ende abschälte, um die Waffel so zu halten, dass sie einem nicht die Finger verschmierte. Heute ist eine Clark-Waffel so dünn wie eine Scheckkarte, statt Schokolade nehmen sie irgendwas Künstliches mit einem widerlichen Geschmack, das Ding ist weich und pappig, es kostet fünfzehn oder zwanzig Cents statt einen anständigen, sauberen Nickel, und sie verpacken es so, dass man glaubt, es habe dieselbe Größe wie vor zwanzig Jahren, aber die hat es nicht mehr; es ist dünn und hässlich, schmeckt scheußlich und ist keinen Penny mehr wert, geschweige denn fünfzehn oder zwanzig Cents.
Als ich in diesem Alter war, fünf Jahre, wurde ich für zwei Jahre zu meiner Tante Patricia nach Buffalo, New York, geschickt. Mein Vater machte eine »schlechte Zeit« durch, und Tante Patricia war sehr schön und hatte einen Börsenmakler geheiratet. Sie nahmen mich zwei Jahre in Pflege. Als ich sieben war, kam ich nach Hause zurück und besuchte Jeffty, um mit ihm zu spielen.
Ich war sieben. Jeffty war immer noch fünf. Ich bemerkte keinen Unterschied. Ich wusste es nicht: Ich war doch erst sieben.
Als ich sieben Jahre alt war, pflegte ich auf dem Bauch vor unserem alten Atwater-Kent-Radio zu liegen und tollen Sachen zuzuhören. Ich hatte die Erdleitung mit dem Heizkörper verbunden, und ich lag dort mit meinen Malbüchern und meinen Farbstiften (als es in der großen Schachtel nur sechzehn Farben gab) und hörte dem roten NBC-Sender zu: Jack Benny im Jell-O Program, Amos and Andy, Edgar Bergen und Charlie McCarthy im Chase and Sanborn Program, One Man’s Family, First Nighter; der blaue NBC-Sender: Easy Aces, das Jergens Program mit Walter Winchell, Information Please, Death Valley Days; und das Beste von allen, der Gemeinschaftssender mit The Green Hornet, The Lone Ranger, The Shadow und Quiet Please. Heute schalte ich mein Autoradio ein, suche die Skala von einem Ende zum anderen ab, und alles, was ich kriege, sind Streichorchester, Hausfrauen und Fernfahrer, die ihr verqueres Geschlechtsleben mit aufgeblasenen Talkmastern diskutieren, Country-and-Western-Gedudel und Rockmusik, die so laut ist, dass sie meinen Ohren wehtut.
Als ich zehn war, starb mein Großvater an Altersschwäche, und ich war »ein schwieriges Kind«, und sie schickten mich in eine Armeeschule, damit mich jemand »in den Griff kriegte«.
Ich kam zurück, als ich vierzehn war. Jeffty war immer noch fünf.
Als ich vierzehn Jahre alt war, ging ich gewöhnlich samstagnachmittags ins Kino, und eine Vorstellung kostete zehn Cents, und für das Popcorn nahmen sie richtige Butter, und ich konnte immer sicher sein, einen Western zu sehen wie Lash LaRue oder Wild Bill Elliott als Red Ryder mit Bobby Blake als Little Beaver oder Roy Rogers oder Johnny Mack Brown; einen Gruselfilm wie House of Horrors mit Rondo Hatton als der Würger oder The Cat People oder The Mummy oder I Married a Witch mit Fredric March und Veronica Lake; dazu eine Folge aus einer großen Serie wie The Shadow mit Victor Jory oder Dick Tracy oder Flash Gordon; und drei Zeichentrickfilme; ein James-Fitzpatrick-Reisebericht; Movietone News; ein Schlagerspot und, wenn ich bis zum Abend blieb, Bingo oder Keno; und Gratisteller. Heute gehe ich ins Kino und sehe, wie Clint Eastwood die Köpfe von Menschen wie reife Melonen zermatscht.
Mit achtzehn ging ich aufs College. Jeffty war immer noch fünf. In den Sommerferien kam ich zurück, um im Juweliergeschäft meines Onkels Joe zu arbeiten. Jeffty hatte sich nicht verändert. Jetzt wusste ich, dass an ihm etwas anders war, etwas Falsches, etwas Unheimliches. Jeffty war immer noch fünf Jahre alt und keinen Tag älter.