Jenseits der Prärie - Jutta Besser - E-Book
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Jenseits der Prärie E-Book

Jutta Besser

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Beschreibung

Freiheit, Wildnis und eine Frau zwischen zwei Männern – entdecken Sie den Liebesroman "Jenseits der Prärie" von Jutta Besser jetzt als eBook. Ein Traum geht in Erfüllung! Die Hamburger Fotografin Leonie bekommt den Auftrag ihres Lebens: Für ein Reisemagazin fotografiert sie die atemberaubenden Landschaften Montanas. Die unberührte Wildnis lässt sie ihr tristes Leben und ihre unglückliche Ehe in Deutschland komplett vergessen. Auf einer einsamen Pferdefarm begegnet sie Michael: Der erfolgreiche Schauspieler weckt Gefühle in ihr, die sie eigentlich nicht zulassen darf. Und plötzlich erscheint ein Starreporter auf der Farm – Leonies Ehemann Oliver … Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Jenseits der Prärie“ von Jutta Besser. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 539

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Über dieses Buch:

Ein Traum geht in Erfüllung! Die Hamburger Fotografin Leonie bekommt den Auftrag ihres Lebens: Für ein Reisemagazin fotografiert sie die atemberaubenden Landschaften Montanas. Die unberührte Wildnis lässt sie ihr tristes Leben und ihre unglückliche Ehe in Deutschland komplett vergessen. Auf einer einsamen Pferdefarm begegnet sie Michael: Der erfolgreiche Schauspieler weckt Gefühle in ihre, die sie eigentlich nicht zulassen darf. Und plötzlich erscheint ein Starreporter auf der Farm – Leonies Ehemann Oliver …

Über die Autorin:

Die Autorin, Songtexterin, Fotografin, Grafik-Designerin Jutta Besser arbeitete für verschiedene Verlage und Fachzeitschriften. Beruflich wie privat galt ihre größte Leidenschaft den Pferden, heute in erster Linie dem Schreiben. Sechs Jahre lang trainierte sie Rennpferde und veröffentlichte einen sehr erfolgreichen Bildband über Vollblutpferde. Sie hat zahlreiche Auslandsreisen unternommen, unter anderem auch nach Asien und in die USA. Dort hat sie dem Pferdeflüsterer Monty Roberts über die Schulter geschaut und Cowboys bei der Arbeit geholfen.

Bei dotbooks erschienen bereits Jutta Bessers Romane »Weit wie der Himmel« und »Hell wie das Licht«, die auch als Sammelband erhältlich sind.

***

eBook-Neuausgabe Juni 2014

Copyright © der Originalausgabe 2005 Fischer Taschenbuch Verlag in der S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München, unter Verwendung von Bildmotiven von Fotolia.com/adrenalinapura

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95520-608-6

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

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Jutta Besser

Jenseits der Prärie

Roman

dotbooks.

Ich bin frei geboren, frei wie der Adler, der über den großen blauen Himmel schwebt; ein leichter Wind streift mein Gesicht.

1

Das Handy klingelte im selben Moment wie das Telefon. Leonie entschied sich fürs Handy. Sie raste ins Büro, befreite ihr Nokia aus den Tiefen ihrer Manteltasche und meldete sich: »Ja?«

»Hi, Leonie. Hier ist Dirk«, vernahm sie die milchige Stimme des Jungredakteurs. Sie eilte den langen schmalen Flur der Dreizimmeraltbauwohnung entlang, die sie mit ihrem Mann Oliver bewohnte, wenn er mal da war.

»Hallo Dirk. Was gibt's?«

»Kannst du morgen zur Konferenz kommen? Wir hätten Arbeit für dich.«

»Morgen?«

»Ja. Um elf.«

»Morgen Vormittag geht nicht. Schade.« Sie betrat die Küche.

»Dumm. Wäre gut, wenn du dabei wärst.«

»Ich würde natürlich gern kommen, aber ich habe schon einen Termin. Ich könnte ...«

»Dann komm morgen Abend, um achtzehn Uhr. Es ist eilig. Wir müssen uns sonst jemand anderes nehmen.«

»Geht in Ordnung.« Leonie griff mit der linken Hand nach der Kaffeekanne.

»Es wäre mit der Digi-Kamera. Muss ganz schnell in die Redaktion.«

»Okay, kein Problem.«

»Gut, dann bis Mittwoch.«

»Ciao.«

Während Leonie das Handy ausschaltete, goss sie Milch in ihren Kaffee. Wieder einer dieser unseligen Klatschberichte, dachte sie und reckte sich dicht am Fenster hinauf, um den kleinen Ausschnitt des Himmels über der gegenüberliegenden Häuserfront in Augenschein zu nehmen. Eine leichte Hose und die neue Marni-Cardigan-Jacke. Das war die geeignete Kleidung für diesen Tag.

Sie flog in ihr Arbeitszimmer, stellte den Rechner an, ging in die Küche und strich in rasantem Tempo Butter und Honig auf eine schief geschnittene Scheibe Weißbrot. Sie seufzte. Dieses verdammte Wettrennen um die Jobs und trotzdem immer weniger Geld im Portemonnaie. Es wurde Zeit für eine Veränderung. Aber wie und in welche Richtung? Sie spürte feine Signale für eine nahende Wende. Die Indianer Nordamerikas sprachen in so einem Fall von einer Vision. Es war ein Gefühl, das sie sich nicht erklären konnte. Es war, als hätte sie das Bild von schneebedeckten, glitzernden Bergen und einem Indianer davor gesehen, ein bisschen unscharf, aber es sagte ihr, dass sie irgendetwas irgendwann in diese herrlichen Berge bringen würde. Vielleicht war es auch einfach nur ihr unbeugsamer Drang nach Freiheit und Glück, der sich seinen Weg bahnte. Vielleicht glaubte sie, dass etwas geschehen würde, weil sie es sich so sehnlich erhoffte.

Sie ging mit ihrem Brot ins Arbeitszimmer zurück, vorbei an Stapeln von Büchern, die sich wie Wolkenkratzer bis zur Decke türmten. Der Rechner war jetzt hochgefahren, und sie öffnete ihr Outlook. Fünf Mails warteten darauf, gelesen und eventuell beantwortet zu werden. Ihr Blick raste darüber, während sie ihr Brot verschlang. Dann blieb sie an einem Brief hängen. Er kam von ihrer ehemaligen Kollegin Marion, die seit kurzem als Bildredakteurin bei Merian arbeitete.

Hi, Leonie,

wir haben lange nicht miteinander gesprochen, aber ich habe

dich und deine Fotos, vor allem die herrlich melancholischen

Landschaften, nicht vergessen. Habe eventuell Arbeit für dich.

Ich rufe dich morgen an,

Marion

Leonie verharrte andächtig vor den Zeilen, als habe sie eine Prophezeiung aus höheren Sphären erhalten. Sie lächelte in den Bildschirm ihres Computers, atmete tief durch und schrieb: »Bin gespannt wie ein Flitzebogen! Kann deinen Anruf kaum erwarten.« Dann stellte sie den Computer aus.

Die Zeit, verdammt. Sie blickte zur Uhr. Eigentlich hätte sie schon im Auto sitzen müssen.

Sie sauste ins Bad vor den Spiegel, dachte dabei wieder an die Mail von Marion. Hastig zupfte sie die blonden gegelten Strähnen ihres jungenhaft kurz geschnittenen Haars ins Gesicht und fuhr sich über den Hinterkopf. Sie liebte es, ein bisschen Unordnung in ihre Frisur zu bringen. Schließlich blickte sie prüfend auf ihren breiten Mund. Sie presste die Lippen zusammen, um den Lippgloss zu verteilen, eilte zur Tür und warf sich im Vorübergehen die Regenjacke über den Arm. Dann war sie endlich im Treppenhaus, im Fahrstuhl und schließlich auf der Straße. Sie lief zu ihrem metallicblauen Mini Cooper, ärgerte sich wieder über die Delle, die sie ihm beim hastigen Zurücksetzen zugefügt hatte, schloss auf und ließ sich auf den harten Sitz fallen. Sekunden später fädelte sie sich in den dichten Verkehr ein und arbeitete sich von Ampel zu Ampel vor, bis sie endlich auf den Verlagsparkplatz abbog. Sie meldete sich beim Pförtner an und saß wenig später in der Graphik neben Jan, dem Art Director des Blattes, dessen Namen sie hartnäckig verdrängte. Es War das düsterste Kapitel ihrer beruflichen Karriere und ein Strohhalm, um sich in schlechten Zeiten über Wasser zu halten.

Nach kurzer Begrüßung richtete sie ihren Blick auf den riesigen Monitor seines Apple Macintosh. Das vornehm-dezente Summen des megaleistungsstarken Laufwerks in dem transparent-grauen Kunststoffgehäuse gab ihr immer wieder ein Gefühl von Wichtigkeit, vom Dabeisein, vom Mitwirken an der Formung der Wirklichkeit. Aber diese Fehlschaltung ihres Hirns hielt von Tag zu Tag kürzer an. Sie hatte immer häufiger den Eindruck, aus ihrem alten Ich herauszutreten, um mit einem mitleidigen Lächeln auf diese Kunstwelt zu schauen.

»Cooles Foto, Leo«, sagte Jan bereits zum zweiten Mal, fuhr sich über den kurz geschorenen Kopf und den Dreitagebart. »Wir müssen nur sehen, dass ihr Haar und ihre Lippen ein bisschen voller und roter aussehen, einfach 'n bisschen sexier. Yellow und Magenta plus und Kontrast erhöhen. Und ihre Augen. Die sind zu blass. Da werde ich das Cyan etwas verstärken. Aber das kriegen wir schon.«

»Aber lass ihr die Fältchen um die Augen. Sonst nimmt uns keiner ab, dass das Foto aus diesem Jahr ist.«

»Sei nicht so naiv, Leo. Den Leuten ist doch längst der Blick verstellt. Kosmetik, Lifting, Schönheitschirurgie, Retusche. Die haben doch gar kein Gefühl mehr für das Alter.«

Leonie zuckte die Schultern. Zum Kotzen diese Arroganz, aber Jan würde schon wissen, was der Zeitgeist verlangte. Er war schließlich fünf Jahre jünger als sie.

Jan klickte ein weiteres Foto an, schloss es wieder, öffnete das nächste. »Das hier ist auch noch ganz gut. Wie sie so über die Schulter peilt. Und ihr Arsch! Nicht übel.« Er klickte weiter und hielt kurz inne. »Das hier, das ist abgefahren! Mal ganz anders. Hier sieht sie aus wie 'ne Proloschlampe. Echt hitverdächtig!«

»Na ja, da ist sie eben, wie sie ist. Sie war gerade aufgestanden.«

Er klickte sich durch die weiteren Fotos, ohne eins davon länger als zwei Sekunden anzusehen, und lehnte sich zurück. »Also zwei nehme ich. Das Porträt und das, wo sie vor ihrem Keyboard steht.«

»Das Schlampenfoto.«

»Genau.«

»Sonst keins?«

»Nee. Die anderen sind zu still, zu normal. Da geht nix ab. Wir haben ja auch noch jede Menge Material von Ole und Jannick.«

»Und dafür die ganze Reise?«

»Du kennst doch die Konditionen. War ja keine direkte Auftragsreise.«

»Aber ihr habt mir so was wie 'ne Garantie für mindestens zehn Fotos gegeben.«

»Na ja, Garantie. Wir haben immer gesagt; zehn Fotos, wenn sie gut sind.«

»Gut sind sie ja.«

»Wo liegt das Problem?«, fragte Max aus dem Hintergrund. Er war gerade in die Graphik gekommen und stellte sich hinter Leonie und Jan.

»Eigentlich gibt es keins. Leonie hat zwei brauchbare Fotos geliefert, aber ...«

»Lass sehn«, sagte Max mit der klassischen Chefredakteurs-Miene, die seine Souveränität, seine Macht und Entscheidungskompetenz über Wichtigkeit, Trendverträglichkeit und Verkaufsträchtigkeit von Fotos und Berichten widerspiegelte. »Darf ich mal?«, fragte er, und Leonie musste den Stuhl freigeben.

Max setzte sich, blickte prüfend auf den Bildschirm, während Jan die beiden Fotos aufrief. Leonie stand hinter den Männern und sah über sie hinweg auf eine Woche Arbeit, die nun nichts weiter einzubringen versprach als ein müdes Spesengeld.

Max lehnte sich zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und wippte ein paar Mal hin und her. »Mach das zweite mal groß«, befahl er seinem Art Director.

Jan zoomte das »Schlampenfoto« ein. Max blickte noch einen Moment lang darauf und erhob sich dann. »Okay. Das nehmen wir«, sagte er und legte Jan kurz die Hand auf die Schulter. »Mach was draus. Du weißt ja. Es geht darum, sie als Mutter darzustellen, die ihre Kinder für die Karriere im Stich gelassen hat.«

»Im Stich gelassen stimmt nicht ganz«, warf Leonie ein. »Sie musste ...«

»Über Inhalte werden wir jetzt nicht streiten«, sagte Max und ging zu der Graphikerin am Nebentisch.

»Und das Porträt?«, fragte Leonie, laut genug, um auch von Max gehört zu werden.

Jan zuckte die Schultern. »Ist wohl doch zu nett.«

Max nahm keine Notiz von ihrem Gespräch. Er war bereits mit einem anderen Thema beschäftigt.

Leonie kräuselte die Stirn. Ihre grünen Augen funkelten. »Na toll«, sagte sie trocken, nahm ihre Tasche und verließ grußlos den Raum. Sie ging den Flur entlang, blickte durch die gläsernen, von überall einsehbaren Büroräume, in denen ein Redakteur neben dem anderen saß, den Blick verbissen auf den Monitor gerichtet, damit beschäftigt, aus verzweifelten Müttern Schlampen und aus Versagervätern liebevolle Helden zu machen. Wie leid sie es war, für diese Gazetten zu arbeiten. Sie hätte so gern für ein solides Politmagazin oder eine Reisezeitschrift fotografiert. Aber seriöse Politmagazine gab es kaum noch, und der Markt war eng geworden. Kaum ein Fotograf hatte noch die Wahl.

Als Leonie an der Alster entlang nach Hause fuhr, dachte sie an die Mail von Marion. Sie fädelte sich in den Kreisverkehr ein, bog an der zweiten Straße von innen über die Außenspur nach rechts ab und zog hasserfüllte Hand- und Hupsignale auf sich. Nach gut einer viertel Stunde hatte sie endlich einen Parkplatz für ihren Mini gefunden.

Erschöpft vom Ärger stieg sie in den alten hölzernen Fahrstuhl und ließ sich in den vierten Stock hinaufziehen. Sie betrat die leere Wohnung. Oliver war noch unterwegs. Er würde erst am nächsten Tag von einer Reportage aus Berlin zurückkehren. Und wieder zweifelte sie daran, dass er tatsächlich über Nacht dort bleiben musste. Seit einigen Monaten ließ sie das Gefühl nicht mehr los, dass es vielleicht eine andere Frau gab. Aber das war nur eine vage Vermutung, ein Gefühl, das kam und ging.

Sie füllte den Filter der Espressomaschine, schäumte Milch auf und brühte sich einen Cappuccino. Sie liebte dieses schaumige Koffeinvergnügen am Nachmittag. Es war der einzige Lichtblick an diesem missratenen Tag. Sie ließ sich in die Couch sinken und blickte auf den gegenüberliegenden Balkon mit den bunten Windmühlen. Eines Tages, so hoffte sie, würde sie etwas ganz anderes machen und einen unverstellten Blick in die Ferne haben – wenigstens einen kleinen Garten. Oliver war ein reiner Stadtmensch. Er hatte nicht das geringste Interesse an Grünzeug, welcher Art auch immer, und ebenso wenig war er bereit, irgendwelche Kompromisse zugunsten seiner Frau einzugehen. Folglich hatte sich Leonie damit abgefunden, in einer schicken großzügigen Etagenwohnung mit einem ein mal zwei Meter großen Balkon zu leben, von dem aus man auf Asphalt, Reihen bunt lackierten Blechs, Skorbutbäumchen in Käfigen und Scharen von Menschen blickte.

2

Martin wartete, konzentriert, aufmerksam und beobachtend. Nur der angstgepeitschte Atem eines Mannes, das leise Klicken von Metall auf Metall. Sonst war es still.

Er hob langsam die rechte Hand, in der die Fünfundvierziger Magnum auf ihren Einsatz wartete. Er legte den Zeigefinger an den Abzug, fixierte dabei sein Gegenüber, das zitternd in etwa vier Metern Entfernung vor ihm stand. Er dachte an Hass. Sein Verstand, seine Augen und seine Gesichtsmuskeln konnten diesen Zustand in Sekunden hervorzaubern. Sein Blick war finster und kalt. In den Augen des dicken Mannes, der mit dem Rücken an der Wand des kleinen Zimmers, zwischen zwei in Gold gerahmten Rennpferden stand, lag Todesangst. »Nein, bitte, nein«, flehte er.

Aber Martin blieb ungerührt. Er starrte mit der Routine eines Fließbandarbeiters auf sein wohl tausendstes Opfer. Dann drückte er ab. Der Schuss hallte durch den Raum, fraß sich in Martins Ohr und legte ein weiteres Cookie im Speicher seines Bewusstseins ab. Der Mann vor ihm sackte stöhnend zu Boden. Dann war es wieder still.

Die Klappe schnappte zu.

»Schnitt! Wir machen Montag weiter«, hörte er Nigel rufen.

Die Kamera rollte zurück, das harte Licht der Scheinwerfer schräg über ihm erlosch und entließ Martin in die Halbwirklichkeit des dreiwandigen Raumes. Sein Opfer erhob sich, klopfte sich den Staub vom Anzug und lächelte. Es war geschafft. Die Szene war im Kasten.

Filmkamera und Lampen wurden in Alukoffer versenkt, zwei Crash-Autos abtransportiert, Akteure, Stuntmen, Komparsen, Beleuchter, Kameramann und Assistenten liefen durcheinander, warfen sich Wortfetzen zu und verschwanden in ihren Zimmern oder in Richtung Parkplatz.

Martin atmete tief durch, als ihm Nigel mit einem zufriedenen Lächeln auf die Schulter klopfte. Die tragische Ironie lag darin, dass er diese Anerkennung liebte, die ihm zuteil wurde, weil er entgegen all seinen einstigen Plänen als Killer, Mafioso und cooler Frauenheld mit Stuntfähigkeiten einfach unschlagbar war.

Er legte die Waffe erleichtert in eine Metallkiste. Er gehörte nicht zu den Möchtegern-Cowboys und De-Niro-Imitaten, die das Gefühl von Macht über Leben und Tod in ihrer Hand liebten. Was diese Dinge betraf, war er durch und durch Europäer geblieben. Er gehörte zu den wenigen waffenlosen, angstfreien Bürgern der Vereinigten Staaten, obwohl es in seinem Haus in Palm Springs einiges zu holen gab.

Er ging durch die offene Rückseite des Raumes vorbei an Kamerakran und Regenmaschine in den Maskenraum. Sein Opfer Sam saß schon vor der Spiegelwand. Martin ließ sich neben ihm in einen der Drehstühle fallen und warf sich ein Handtuch über die Schultern.

»Fühl mich mal wieder wie neu geboren nach Cindys Massage«, sagte Sam mit einem Zwinkern.

»Ist ja nach dem zehnten Tod heute kein Wunder«, erwiderte Martin.

»Ich breche so ungern zusammen. Irgendwie klemmt's immer wieder bei mir, wenn's ums Sterben geht.«

Martin lächelte und blinzelte Cindy im Spiegel zu. Sie trug wie immer ein knallenges T-Shirt und getigerte Stretchröhrenhosen, was jedem männlichen Wesen signalisierte, dass sie gern jagte. Martin hatte sich ihr jedoch entziehen können, ohne das Verhältnis zu belasten. Er stand weder auf große Brüste noch auf herausfordernde Hüllen. Was zu offensichtlich war, kehrte sich bei ihm ins Gegenteil.

Er blickte auf sein Spiegelbild, betrachtete sein unverändert volles, graubraun meliertes Haar, seine große, aber wie er fand nicht zu große, gerade Nase, sein rundes, kräftiges Kinn und seinen scharf geschnittenen und dennoch vollen Mund. Und er fragte sich, was aus ihm geworden wäre, wenn seine Nase schief, sein Mund wulstig und sein Kinn fliehend gewesen wäre, und was wohl seine fernen Vorfahren dabei empfunden hatten, als sie ihr Spiegelbild das erste Mal im Wasser sahen. War die Eitelkeit, das Auswählen und Ausgrenzen nach Äußerlichkeiten bereits in dem Moment entstanden?

»Und? Wie läuft's, Marty?«, fragte Cindy. Sie trat hinter ihn und ließ feuchte Wattebäusche über sein Gesicht kreisen.

Martin zuckte mit den Mundwinkeln. Mehr konnte er ohnehin nicht unter ihren massierenden Händen herausbringen.

»Ich weiß, Marty. Auch Hollywood ist nicht Nirwana und nicht jede Kugel aus Gold. Aber lass nur. Für einen Deutschen hast du es hier verdammt weit gebracht.« Sie klopfte noch einmal sanft mit den bloßen Fingern über seine Wangen und nahm das Handtuch von seinen Schultern.

»Diese ewigen hohlen Schmalspurgewaltstreifen öden mich an, Cindy. Wenn man bedenkt, dass ich damit Millionen verdient habe.« Er schüttelte den Kopf und stand auf. »Ist eigentlich 'ne Schande.«

»Du bist und bleibst 'n deutscher Wermutstropfen«, erwiderte sie kopfschüttelnd.

»Besser als einer von diesen Non-Stop-Breitgrinsern.«

»Bist schon okay, Marty.« Sie hob die Hand und lächelte ermutigend. »Bis morgen dann. Und nimm ein heißes Bad!«

Er nickte und ging hinaus. Okay, was hieß das schon. Jeder hier fand, dass er es weit gebracht hatte, nur er selbst nicht. Klar, er besaß einen Haufen Kohle, ein dickes Haus, eine superschlanke attraktive Frau und zwei Kinder – hübsch, intelligent, unerträglich faul, gelangweilt und verwöhnt. Jessica kämpfte sich durch die Launen der Pubertät, und Kevins Welt bestand nur noch aus coolen Cocktails, Boss- und Marc-Jacobs-Klamotten, Prada-Schuhen, Billardspielen und schlechten Noten in fast allen Fächern, sodass sein Highschool-Abschluss in den Sternen stand. Er weigerte sich seit einem Jahr, auch nur ein einziges Wort Deutsch zu sprechen, was ein klares Zeichen von Ablehnung seinem Vater und seinen neuen Erziehungsmaßnahmen gegenüber war: einen Dollar Abzug vom Taschengeld pro gerauchte Zigarette als Emissionsabgabe an die geschädigte Familie, Rauchverbot in Küche, Bad und Schlafzimmer, kein Geld mehr für Videospiele und Entzug des Schlüssels für sein Zimmer, dafür Aufstockung des Taschengeldes für jede gute Note um zwanzig Dollar.

Martin ging zu seinem Mercedes Cabriolet, schwang sich über die Tür auf den Fahrersitz und rauschte vom Parkplatz auf die frisch geteerte Straße hinaus. Die Sonne war untergegangen,. die Luft ein wenig abgekühlt, aber es war immer noch zu warm für seinen Geschmack. Ein heißer, stickiger Sommertag folgte dem nächsten, und bald würde sich der Herbst anschleichen, ungesehen, ohne buntes Laub, kühle Nebelbänke und Raureif. In L.A. erkannte man den Herbst nur am Datum auf dem Kalender, daran, dass die Monate aus zweistelligen Ziffern bestanden.

Er verließ das Studiogelände, kroch in dichtem Verkehr über den Sunset Boulevard nach Osten und fuhr über den Highway 111 aus der Smogglocke von L.A. in Richtung Palm Springs hinaus. Gut zwei Stunden später hielt er vor einer weiß getünchten Mauer und öffnete mit der Fernbedienung das Eisentor zu seinem Haus. Lautlos schwenkten die schmiedeeisernen Flügel vor ihm auseinander und hinter ihm wieder ins Schloss.

Er dachte daran, wie er das erste Mal, vor gut fünfzehn Jahren, durch dieses Tor gefahren war. Er hatte gerade seine zweite Hauptrolle in einem amerikanischen Abenteuerfilm erfolgreich abgeschlossen und wenig später mit Kate dieses Grundstück gekauft. Es war ein berauschender Augenblick gewesen, zu dem auch Kate einen nicht unwesentlichen Teil beigetragen hatte. Sie war sozusagen eine gute Partie. Dann kam der Stararchitekt. Der Hausbau folgte, die Einrichtung nach den neuesten Trends. Alles roch nach dem großen Glück, aber die vermeintliche Erfüllung entpuppte sich bereits nach zwei Jahren als vergänglicher Zauber. Manchmal dachte er, dass es vielleicht besser gewesen wäre, mit oder ohne Kate in Deutschland zu bleiben.

Es war der Tag des Zweifels für Martin, und er blickte auf sein Haus, als habe es einen neuen Anstrich bekommen. Er empfand es plötzlich als abweisend, in gläserner Architekturraffinesse erstarrt, arrogant und kalt. Hatte es vielleicht auch deshalb seine Schönheit verloren, weil das Innenleben so hässlich geworden war?

Er stieg aus. Der Kies knirschte unter seinen Ledersohlen. Aus Kevins Partykeller dröhnten die Bässe seiner Mega-HiFi-Anlage. Techno – hart, ekstatisch und monoton, und aus Jessicas Zimmer im ersten Stock drang Teenagergekicher. Es war Wochenende.

Als er den langen Flur betrat, kam ihm Kate mit vorwurfsvoller Miene entgegen. Sie war gerade wieder beim Friseur gewesen. Ihr mahagonigefärbtes Haar war akkurat, wie mit dem Lineal auf halbe Halshöhe geschnitten und passte zu dem kantigen Interieur des Hauses. Eigentlich war Kate blond. Nach der Rückkehr in ihre Heimat hatte sie die Farbe geändert.

»Du kommst wieder zwei Stunden später als angekündigt. Kannst du dich nicht mal melden?« Sie blieb in einem Meter Entfernung vor ihm stehen.

»Kate. Wir haben durchgearbeitet. Ich bin gleich nach dem letzten Dreh losgefahren. Sam musste zehn Mal sterben. Nigel konnte nicht Schluss machen, bevor ...«

»Das Essen ist sicher auf die Hälfte zusammengeschrumpft.«

»Was ist mit den Kindern?«

»Die haben schon gegessen. Kevin hat seine Freunde unten. Die haben sich Pizza kommen lassen, und Jessica hat mit Laureen in der Küche gegessen.«

Martin nickte und wollte seine Jacke auf den blauen Bellini Chair werfen, den er hasste und den Kate liebte. Sie nahm sie ihm ab und hängte sie in die Garderobe.

»Es war wieder total dicht in der Stadt. Bin einfach nicht schneller durchgekommen«, entschuldigte sich Martin, weil er keine Lust auf eine Auseinandersetzung hatte.

Kate nickte teilnahmslos und stöckelte vor ihm den blanken, kahlen Flur hinunter ins Wohnzimmer. Martin folgte seiner Frau mit Blick auf ihr wippendes Hinterteil in der leicht transparenten weißen Seidenhose. Sie hatte trotz der beiden Kinder und ihrer vierzig Jahre eine makellose Figur, aber nichts regte sich mehr in ihm, bis auf ein Gefühl sachlicher Anerkennung ihrer Attraktivität.

»Ich gehe kurz zu den Kindern. Bin gleich wieder da«, sagte er und wartete nicht auf eine Antwort. Er huschte die Treppe hinauf und klopfte an Jessicas Zimmertür.

»Was ist denn?«, hörte er sie antworten.

Martin öffnete die Tür. »Ich wollte, nur kurz hallo sagen.«

Jessica blickte von ihrem CD-Stapel auf, warf ihre langen blondierten Haare zurück und lächelte zu ihm hinüber, als wolle sie ihm sagen, dass es gerade ziemlich unpassend war, hereinzukommen. Sie stand auf und ließ sich gnädig einen Kuss auf die Wange drücken. Ihre Freundin grüßte kurz. Sie war die Tochter eines Kollegen von Martin, weshalb es für Jessica keinen Grund gab, sich mit dem Schauspielervater zu brüsten. Sie spielte also – vielleicht genetisch bevorteilt – mit überzeugender Miene ihre ganze jugendliche Überlegenheit aus und ließ ihren Vater abblitzen wie einen für nett befundenen, aber uninteressanten Verehrer. »Du kommst spät, Dad«, sagte sie. »Mom hat das Essen schon seit einer Stunde auf der Heizplatte.«

»Ich weiß. Es ging nicht anders.«

»Ist ja nichts Neues.«

»Wenn ihr Chips wollt, wir haben noch ...«

»Nein danke, Dad. Wir haben gegessen«, erwiderte Jessica und zeigte auf ihre runden Hüften, die in einer hautengen dreckig-verwaschenen Schlagjeans steckten. Martins Blick blieb wie immer leicht irritiert an ihrem kleinen Brillanten am Bauchnabel hängen.

»Na gut.« Martin ging zur Tür zurück. »Du bleibst über Nacht, Laureen?«

»Ja.«

»Okay. Dann sehen wir uns ja morgen zum Frühstück.«

»Wartet nicht auf uns. Wir können uns auch selbst was machen, Dad«, warf Jessica ein.

Martin nickte, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich. Mit leichtem Druck in der Magengegend ging er zu seinem Sohn hinunter. Er klopfte, bekam keine Antwort, drückte die Klinke und erstarrte. Das Zimmer war abgeschlossen. Kevin musste den Schlüssel in seinem Schreibtisch gefunden haben. Martin kochte.

»Kevin!«, brüllte er gegen die Trance-Stimme und das Stampfen an. Er bekam keine Antwort. Der harte Technosound verschlang seine Stimme, und er ging unverrichteter Dinge zu seiner Frau hinauf. Er hatte heute keine Lust zum Kämpfen. Er war müde und hungrig. Es war bereits halb zehn.

Schweigend setzte er sich zu Kate an den großen runden Esstisch, der eigentlich für gemeinsame Mahlzeiten einer funktionierenden Familie gedacht war.

»Kevin hat den Schlüssel gefunden«, sagte er, als Kate ihm das zerfallende Kartoffelgratin auffüllte.

»Hast du etwa gedacht, er würde sich das gefallen lassen?«

»Oder hast du ihn herausgegeben?«

»Für wie plump hältst du mich eigentlich, Martin? Und was weißt du eigentlich von mir?«

»Ich denke auf jeden Fall, dass du Kevin immer vor mir in Schutz nimmst.«

»Du bist zu hart mit ihm. So erreichst du das Gegenteil von dem, was du willst.«

»Ich hab's eben nicht gern, wenn er sich mit seinen Freunden einschließt, erst recht nicht mit dieser Vivian. Du weißt, dass Madeleine sie mit Ecstasy erwischt hat.«

»So was würde Kevin nie anrühren. Er verabscheut Drogen.«

»Das hat er vor einem Jahr gesagt. Er ist in einem Alter, in dem man fast stündlich seine Meinung ändert, vor allem, wenn ein älteres Mädchen wie dieses Früchtchen Vivian ihn immer wieder an ihren gepiercten Bauch zieht.«

»Martin! Hör auf damit. Du kennst ihn ja kaum noch. Und weil er nicht mehr mit dir redet, versuchst du, alles Mögliche in ihn hineinzuinterpretieren.«

»Du erlaubst ihm alles, erfüllst ihm alle noch so überflüssigen Wünsche, nur, damit die Harmonie zwischen euch nicht gestört wird. Er macht mit dir, was er will, merkst du das denn nicht? Er nutzt deine um Gegenliebe bettelnde Güte aus, und das gefällt mir nicht.«

»Du bist ja nur eifersüchtig!«

»Eifersüchtig auf meine Frau? Auf seine Mutter?« Martin schüttelte fassungslos den Kopf.

»Martin! Kevin hat zur Zeit Probleme. Er hat andere Dinge im Kopf. Das gibt sich ganz von allein wieder.«

»Und was wird, wenn er den Highschool-Abschluss nicht schafft? Hast du darüber schon mal nachgedacht?«

»Den wird er schon schaffen. Und wenn nicht, gibt es andere Wege, um nach oben zu kommen. Dann nimmst du ihn endlich mal wieder mit ins Studio und machst deinen Einfluss geltend. Kevin lauert schon seit Monaten darauf. Die kleine Rolle damals hat er doch exzellent gemeistert.«

»Das hätte jeder halbwegs intelligente Junge geschafft, das sagt noch lange nichts über sein Talent aus. Er muss eine gute Schauspielschule besuchen, und er sollte nicht ständig zu diesen dusseligen Modeshootings gehen und seine Eitelkeit pflegen. Er muss erst mal seine Prüfungen bestehen. Schließlich soll er nicht als Sohn von Martin Hansen Karriere machen, sondern als Kevin Hansen mit einer soliden Ausbildung.«

Martin nahm einen Schluck Wein. »Und er soll vor allem nicht den gleichen Fehler machen wie ich und sich in Rollen verheizen lassen, die nichts mit seinen wahren Ansichten und Vorstellungen zu tun haben.«

»Ich kann die ewige Nörgelei über deinen Job nicht mehr ertragen, Martin. Und ebenso wenig diese depressiven pseudophilosophischen Betrachtungen über Sinn und Unsinn von Filmen. Wer will sich heute noch Filme über Einsiedler in der Wildnis oder Karatemeister ansehen. Für die Jungs heute gibt es andere Abenteuer.«

»Ja. Autocrashs und Technowaffen, Aliens und Rambos.«

»Na und? Waren die Western damals etwa besser?«

Martin atmete tief durch. Kate hatte ausnahmsweise mal Recht.

»Du hast diesen Weg beschritten«, fuhr sie fort. »Du hast gutes Geld damit gemacht, hast deinen Erfolg genossen. Die Frauen liegen dir zu Füßen, und du hast das wirklich nicht nur als lästig empfunden. Warum beklagst du dich immer?«

Martin schwieg. Kate würde das nie verstehen. Die meisten Amerikaner verstanden das nicht.

Kate stand auf. »Wir haben im August zwei Einladungen. Da werden die Dreharbeiten ja wohl beendet sein. Eine Poolparty bei den Riders und eine Orientnacht bei Liz und Robin.«

Martin seufzte und nickte. Ihm stand der Sinn nicht nach Cocktailparties und überdrehten Möchtegern-Diven.

»Plane mich nicht ein. Ich schätze, ich brauche erst mal Ruhe, wenn wir aus New Mexico vom Dreh zurück sind.«

»Wie du meinst.« Kate stand mit einem Ruck auf und ließ Martin vor seinem halb vollen Teller zurück. Er aß zu Ende, schenkte sich Wein nach und dachte für einen kurzen Moment an den letzten gemeinsamen Urlaub mit Kevin in Florida. Sie waren die Küste entlanggesegelt. Nur sie beide. Sie waren tauchen und schwimmen gegangen. Es war eine wundervolle Zeit gewesen, unbeschwert und voller gegenseitiger Zuneigung. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, aber bei genauem Nachrechnen waren es nur gut zwei Jahre. Kevin war damals vierzehn Jahre alt und ein umgänglicher, fröhlicher Junge gewesen. Vor zwei Wochen war er siebzehn geworden, genauso alt wie Martins Ehe. Kate und er hatten früh geheiratet, vielleicht zu früh. Es war eigentlich wegen Kevin gewesen. Jetzt würde er sie wieder – wie so oft nach einer ihrer unzähligen Streitereien über die Kinder und die Arbeit – mit eisiger Miene im Bett hinter einer Frauenzeitschrift finden.

Er brachte das Geschirr in die Küche, das die Putzfrau morgen in die Spülmaschine stellen würde, und ging ins Schlafzimmer. Ihm war nach Flucht zumute. Er dachte in letzter Zeit häufiger an die Jagdausflüge mit seinem Vater zurück. Zwar hatte er nichts für das Erschießen von Tieren übrig, aber die Stille und Einsamkeit im Revier hatte er immer genossen. Er konnte damals stundenlang an einen Baum gelehnt dasitzen, seinen Gedanken nachhängen und träumen. Wie sehr er das vermisste.

Er legte sich neben Kate ins Bett, wünschte ihr eine gute Nacht und flüchtete sich in den Schlaf. Am nächsten Morgen weckte ihn Jessicas quakige Stimme. »Du hast gesagt, du bringst sie gleich am nächsten Tag zurück«, hörte er sie die Treppe hinunterrufen. Er blinzelte in das fahle Licht, das durch die Gardine fiel. Kate war schon aufgestanden. Ihre Decke war sauber zurückgeschlagen.

»Kevin! Beweg deinen Hintern. Wir woll'n sie nicht erst zu unserer Beerdigung hören!«

»Reg dich nicht künstlich auf. Du kriegst deine verdammte CD gleich«, vernahm er Kevins vom Rauchen belegte Stimme.

»Und außerdem kannst du deinen Papierkorb mit deinen gebrauchten Tüten woanders entsorgen als bei uns. Wozu hast du 'n eigenes Bad!«

Jessicas allmorgendliche Beschwerde blieb ohne Reaktion. Martin drehte sich auf den Rücken. Er war froh darüber, dass Kevin zumindest so vernünftig war, Kondome zu benutzen.

Die Tür öffnete sich, und Kate stand im langen pfirsichfarbenen Morgenmantel da. »Wie ist es mit Frühstück?«, fragte sie streng.

»Wie spät ist es denn?«

»Halb elf.«

Martin hob müde den Kopf und nickte. Kate verschwand wieder. Er streckte Arme und Beine und ließ den Kopf ins Kissen zurücksinken. Am liebsten hätte er sich umgedreht und weiter geschlafen. Er war aus angenehmen Träumen geweckt worden und tauchte nur ungern in die Wirklichkeit auf. Er versuchte sich zu erinnern, sah noch schwach die Umrisse der Berge, ahnte, dass es mit Joe, dem alten Indianer in den Pryor Mountains zu tun gehabt hatte. Aber je mehr er nach den Bildern griff, desto schneller verflüchtigten sie sich und ließen ihn in der bedrückenden Spannung seines Familienlebens zurück.

Mit einem energischen Ruck klappte er die glatte, satinbezogene Wolldecke zurück und setzte sich auf die Bettkante.

»Kevin! Kommst du zum Frühstück?«, rief Kate über den Flur.

»Ich komme schon!«

Martin rieb sich das Gesicht, zupfte drei immer wieder penetrant nachwachsende Haare, die Jessica beim Sonnenbad am Pool entdeckt und beanstandet hatte, aus seiner Brust und stieg in Boxershorts und T-Shirt. Gegen die bleierne Schwere in seinen Gliedern kämpfend, erhob er sich schließlich. Es war das erste freie Wochenende seit vier Wochen. Sie hatten in New York gedreht und erst die letzten Szenen im Studio in Hollywood.

Er genoss die Dusche länger als beabsichtigt und kam als Letzter in die Küche. »Morgen allerseits«, sagte er mit einem unbefangenen Lächeln in Jessicas und Laureens Richtung.

»Morgen, Dad«, gab sie mit leichtem Vorwurf über sein spätes Erscheinen zurück. Laureen grüßte mit unverbindlicher Freundlichkeit. Kevin blickte kurz von seiner Müslischüssel auf, warf sein leicht gewelltes, blondes Haar aus der Stirn und brachte ein gelangweiltes »Hi!« hervor. Trotz der zwanzig Grad in der Küche konnte er auf seine schmerzhaft teure Jacke, die so aussah, als wäre er damit durch den Wüstensand gerobbt, nicht verzichten. Militärklamotten – was für ein Jugendkult, was für eine Botschaft, dachte Martin. Ihn schauderte.

Er setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. Jessica schob die Cornflakestüte zu ihm hinüber, und er füllte seinen Teller randvoll. Er würde noch mindestens zwei Meilen joggen und noch etwa eine Meile auf seinem Heimruderer zurücklegen. Es kam ihm immer wieder absurd vor, wenn er an die ganz normale harte körperliche Arbeit auf dem heimatlichen Hof in Schleswig-Holstein dachte, aber ein Waschbrettbauch und eine halbwegs ausgeprägte Armmuskulatur waren für seine Rollen unabdingbar.

»Deine Hussein-Chalayan-Jacke ist echt cool«, sagte Laureen mit anerkennendem Blick zu Kevin.

Er nickte und lächelte geschmeichelt.

»Wo hast du sie gekauft? Bei Dylan's?«

»Ja.«

»Deshalb könntest du sie trotzdem ausziehen, Kevin. Wir haben zwanzig Grad in der Küche«, sagte Kate mit zuckersüßer Stimme.

»Mir ist aber kalt.«

»Ich finde, sie ist mindestens eine Nummer zu klein«, warf Jessica ein.

»Falsch gedacht, Schwesterchen. Die bekommst du nicht. Der Fleck auf meiner Prada-Jacke hat mir gereicht.«

»Ha, ha. Wer hier wohl für Flecken zuständig ist.«

Martin goss Milch über seine Cornflakes, aß und beobachtete, wie Kevin schließlich doch die Jacke auszog und hinter sich über den Stuhl hängte. Sein Lass-mich-in-Ruhe-Gesicht war bleich. Er wirkte ziemlich übermüdet, und Martin dachte an Vivian und malte sich die gestrige Nacht aus. Er würde den Schlüssel von Kevin zurückfordern müssen, sonst hatte er für immer verloren.

»Wie war eigentlich der Mathetest?«, fragte er.

Kevin zuckte die Schultern.

»Ich hab dich was gefragt.«

»Wir haben noch keine Noten gekriegt.«

»Verdammt, Kevin. Ich will wissen, wie es gelaufen ist. Das wirst du doch wohl beurteilen können.«

»Bescheiden.«

»Musst du jetzt davon anfangen, wo wir gemütlich frühstücken?«, warf Kate dazwischen.

»Genau«, brummte Kevin.

»Wann soll ich ihn wohl sonst fragen?«

»Am besten gar nicht«, gab Kevin zurück. Er stand auf, holte eine Dose Red Bull aus dem Kühlschrank, ließ sich wieder auf den Stuhl fallen und öffnete sie. Martin hasste das Zischen der aggressiven Kohlensäure, die aus der Blechdose entwich.

»Solange du noch hier bei uns am Tisch sitzt und wir dreißigtausend Dollar im Jahr für deine Schulausbildung zahlen, hast du, verdammt nochmal, darüber Auskunft zu geben, noch bevor uns die Ergebnisse von deinen Lehrern um die Ohren geschleudert werden.«

»Ich werde demnächst mehr Geld mit Modeaufnahmen machen. Dann kann ich mir 'ne eigene Bude leisten.« Kevin zog eine Packung Lucky Strike aus seiner Jackentasche und drehte sie ungeduldig in der Hand hin und her.

»Vor dem Highschoolabschluss läuft das nicht«, gab Martin zurück.

»Oh Dad, das nervt. Bitte hört auf«, bat Jessica.

»Okay, Jessi. Tut mir leid.« Martin wandte sich wieder Kevin zu. »Aber wir werden nachher noch darüber reden. Und auch noch über etwas anderes.«

Kevin zuckte die Schultern ohne aufzusehen und schlürfte geräuschvoll sein Red Bull.

»Bist du fertig, Laurie?«, fragte Jessica.

Ihre Freundin trank ihren Orangensaft aus und nickte.

»Wie geht's deinen Eltern?«, fragte Martin schnell.

»Okay. Ich soll dich von Dad grüßen.«

»Grüß zurück.«

»Mach ich.«

Die Mädchen standen auf und gingen hinaus. Martin blickte zu Kate hinüber. Sie verstand sein Zeichen, nahm ihren Kaffeepott und erhob sich. »Ich lasse euch allein«, sagte sie.

»Warum, Mom? Trink doch noch deinen Kaffee aus«, erwiderte Kevin.

»Dein Vater will mit dir reden.«

»Aber ich nicht mit ihm.«

Kevin stand auf, aber Martin drückte ihn in den Stuhl zurück. »Du bleibst hier sitzen!«

Kate verließ die Küche, und eine Weile herrschte Schweigen. Martin goss sich seinen Kaffeebecher noch einmal voll und legte sich seine Worte zurecht. Kevins Blick war auf seinen Teller gesenkt, auf dem er die Reste seines Muffins zwischen Daumen und Zeigefinger zusammendrückte.

»Kevin. Wir beide sollten vernünftig und in Ruhe miteinander reden«, fing Martin an.

Kevin zuckte wieder die Schultern.

»Ich weiß, dass das leider zu selten vorkommt. Mir ist klar, dass ich mich zu wenig um dich kümmern kann. Aber du weißt auch, dass mein Job mir keine Wahl lässt. Dieses Wochenende haben wir endlich ganz für uns, und ich möchte, dass wir offen über deine Probleme, deine schulischen Leistungen und über den Schlüssel reden.«

»Ich wollte eigentlich mit dir über den Führerschein sprechen.«

»Das können wir morgen machen.«

»Immer geht es nur danach, was du willst.«

»Nein. Es geht darum, was für dich wichtig und gut ist.«

»Um das, wovon du meinst, dass es für mich gut ist.«

»Ich bin in einem Alter, in dem man etwas mehr Weitblick hat.«

»Ich brauche keinen Weitblick. Ich lebe heute.«

»Du bist nicht immer siebzehn, und du wirst nicht immer in einem behüteten Elternhaus leben. Du musst irgendwann alleine klar kommen, und das geht nur mit einer abgeschlossenen Schulausbildung.«

»Warum nimmst du mich nicht mehr zu den Drehs mit?«

»Weil du in der Schule nicht fehlen kannst. Wenn du nur auf meinen Namen baust, würde deine Karriere auf tönernen Füßen stehen. Deine Sprache lässt zu wünschen übrig und dein Fachwissen in Bezug auf Filmgeschichte ...«

»Ich weiß, ich weiß. Das sagst du mir jedes Mal. Wahrscheinlich werde ich sowieso kein Schauspieler. Wahrscheinlich hast du Recht. Ich bin zu blöd dazu.«

»Ich habe nicht gesagt, dass du zu blöd bist. Im Gegenteil. Du solltest deine Intelligenz nutzen und versuchen, bessere Rollen zu spielen, als ich es tue.«

»Ich soll das verwirklichen, was du nicht erreicht hast. Das ist doch Scheiße!« Kevin stand auf und wollte gehen, aber Martin war vor ihm an der Tür.

»Kevin! Lauf jetzt nicht weg. Setz dich!«

Er blieb stehen, verdrehte die Augen und steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans.

»Du sollst gar nichts verwirklichen. Ich habe keine bestimmten Erwartungen. Ich möchte nur nicht, dass auch du irgendwann ...«

»Ich finde deine Filme cool. Diese europäischen Softiestreifen und Kunstfilme sind doch sterbenslangweilig. Und ich finde auch deine alternative Schule ziemlich verkrampft. Die quasseln da ewig von Anspruch und so. Da lass ich mich nicht reindrücken. Ich bin Amerikaner. Das solltest du endlich mal akzeptieren.«

»Von mir aus kannst du auch ganz was anderes werden als Schauspieler, und in meine Schule musst du überhaupt nicht gehen. Ich habe sie gegründet, um minderbemittelten Talenten ein Trittbrett zu bieten. Ich wäre nicht enttäuscht darüber, wenn du einen anderen Beruf ergreifen willst, aber ich wäre enttäuscht, wenn du ein mittelmäßiger Schauspieler wirst.«

»Das sagst du doch nur so! Mir kannst du nichts vormachen. Ich weiß, was hier läuft. Du bist unzufrieden, weil du hinter deinem Anspruch hinterherhinkst Und anstatt zu sagen – okay, das ist es jetzt, überträgst du deinen Frust und deine ganzen verdammten Erwartungen auf mich!«

»Ich war jahrelang sehr zufrieden. Aber die Filme und Rollen waren anders. In den letzten Jahren ist alles kälter, gewalttätiger und grober geworden.«

»Lass mich mit diesem albernen Früher-war-alles-besser in Ruhe!« Kevin wand sich an Martin vorbei und verschwand aus der Tür. Wenig später fiel im Keller die Tür zu seinem Zimmer ins Schloss.

Martin starrte auf den Tisch mit den Müsli- und Cornflakestüten, den leergegessenen Schüsseln, Bechern und Krümeln. Ein Schlachtfeld. Ja, dachte er, das war es, was von seinem Familienleben übrig geblieben war. Er spürte einen Druck in Kopf und Brust. Die Worte seines Sohnes hallten in ihm nach. Kevins Wut fraß sich lähmend in sein Inneres und hinterließ ein Gefühl von Verzweiflung. Er dachte an die Zeit von Kevins Geburt, an die Gefühle, die mit dieser ganz neuen realen Rolle aufgekommen waren, die Liebe, die keine Grenzen zu kennen schien, das bedingungslose Gebenwollen. Die Zeit, die folgte, war von tiefer Freude und tiefem Schmerz geprägt. Was Kevin begeisterte, erfreute auch ihn, was ihm wehtat, tat auch ihm weh. Er las ihm seine Wünsche von den Augen ab. Kevin war Mittelpunkt, seine Entwicklung, sein Gedeihen waren plötzlich wichtiger als die Karriere, und aus seiner Geliebten war so etwas wie eine Kollegin beim Großziehen des gemeinsamen Kindes geworden.

Er hatte Kate auf einer Gala in Cannes kennen gelernt. Sie arbeitete als Maskenbildnerin für einen der Wettbewerbsfilme. Er sah sie vor sich mit ihrem seidigen langen Haar und ihren engen, glänzenden Röhrenhosen, jeden Tag eine andere Farbe. Sie war sehr sexy gewesen. Und dann kam Kevin und sie heirateten – vielleicht übereilt. Der Alltag zog ein, das Kind wurde zur Normalität und häufig zur Belastung. Er sah Kevin, sein kleines, vor Anstrengung rot angelaufenes Gesicht. Er schrie die Nächte durch, und die Liebe war schließlich nicht mehr das Einzige, was das Leben bestimmte. Es gab Meinungsverschiedenheiten über die Erziehung, über Vorrechte und Arbeitsteilung. Er dachte daran, dass er aufgeatmet hatte wie ein Fisch, der zu lange ohne Sauerstoff in einem engen Teich gedümpelt hatte, als er ein Angebot aus Hollywood bekam Es war nur eine kleine Nebenrolle in einem Road Movie gewesen. Aber es war ein Einstieg, der ihn in eine neue, aufregende Welt gebracht hatte. Der Wechsel in ihre Heimat stärkte Kates Selbstbewusstsein. Sie war wie verwandelt. Als das zweite Kind kam, ungeplant wie das erste, war er auf dem Höhepunkt seiner Karriere, und Kate riss ihre Tochter immer mehr an sich. Schließlich hatte er sich in kurze Affären geflüchtet, die er noch nicht einmal bereute.

Er vernahm das Klicken von Kates Stöckelabsätzen auf dem Parkett des Wohnzimmers, dann auf der Treppe, das Zufallen der Haustür und schließlich das dumpfe Brummen ihres Porsche. Sie fuhr zu ihrer Stylistin.

Martin sah auf die Uhr. In einer Stunde würde sein Taekwondo-Trainer kommen. Er musste sich umziehen und warm machen. Es würde ihm gut tun. Das harte Training erforderte seine ganze Aufmerksamkeit und würde ihm die schweren Gedanken aus dem Kopf jagen. Er hasste es, zu grübeln. Er war ein Mensch, der die Klarheit liebte. Er hoffte, anschließend einen neuen Ansatz zu einem Gespräch mit Kevin zu finden. Es war noch nie einfach gewesen, mit ihm zu reden. Seine Seele war ein Tresor, in den er nur selten Einblick gewährte.

3

Das Telefon klingelte, und Leonie dachte sofort an Oliver. Er ließ mal wieder auf sich warten. Aber es war Marion, die sich meldete, und ihre Freude darüber war nicht minder groß.

»He, Marion! Lange nichts von dir gehört! Wie geht es dir?«, antwortete sie.

»Kann nicht klagen. Und du, was machst du?«

»Ach ... ich schlage mich so durch. Wie ist dein neuer Job?«

»Neu ist er ja auch schon nicht mehr. Die Arbeit ist nicht so aufregend wie die als freie Fotografin, aber dafür muss man nicht ständig mit gespitzten Ellenbogen und Geierblick durch die Gegend rennen. Und man hat eine geregelte Arbeitszeit. Freie Wochenenden. Der pure Luxus.«

»Ja, das hat sicher was für sich«, antwortete Leonie nachdenklich.

»Ich werde im nächsten Jahr die Leitung der Bildredaktion übernehmen.«

»Gratuliere!«, erwiderte Leonie, nicht ganz ohne Neid.

»Leo. Meine Mail und warum ich anrufe. Wir suchen jemanden, der für uns nach Montana reist. Es geht um eine sehr spezielle Story, die Amis sind ohnehin zu teuer, und um ehrlich zu sein, unser bester Fotograf für solche Sachen ist schwer erkrankt. Hättest du Lust und Zeit, einzuspringen? Du warst ja schon ein paar Mal in den Staaten und sprichst fließend Englisch, nicht?«

»Ja, sicher! Das ist ja, als hättest du meine Gebete erhört! Klar hab ich Lust dazu. Die Zeit werde ich mir nehmen. Läuft nämlich im Moment sehr mäßig. Nur Schrottaufträge. Ich tingele ständig mit meiner Mappe durch die Redaktionen und höre immer wieder dieses ›wunderschöne Aufnahmen, sehr künstlerisch, aber ...‹« Leonie spürte, wie ihr Blut in Wallung geriet. »Wann wäre denn das?«, fragte sie aufgeregt.

»In der ersten Augustwoche müsstest du los, vermutlich zwei Wochen. Es geht unter anderem um die deutsche Malerin Gesa Rodenberg. Kennst du sie?«

»Nein.«

»Sie ist nicht sehr bekannt, noch nicht, aber unter den Insidern ein Geheimtipp. Man geht davon aus, dass sie noch ganz groß herauskommt. Sie ist vor einem Jahr in die Staaten ausgewandert, lebt dort ganz zurückgezogen mit ihrem Mann irgendwo in der Nähe der Pryor Mountains und schreibt neuerdings auch Gedichte.«

»Das ist ja ein netter Auftrag! Welcher Autor wird das machen?«

»Olaf Lautner. Kannst du nächsten Montag vorbeikommen? Dann besprechen wir das mit dem Chefredakteur.«

»Ja, das geht.«

»Zehn Uhr?«

»Okay.«

Sie verabschiedeten sich und Leonie drückte die Aus-Taste. Sie legte das Telefon auf den Tisch zurück. »Jjjjjja!«, rief sie aus und drehte sich einmal um sich selbst. Wenn man glaubt, die Straße vor einem verengt sich oder bricht ab, eröffnet sich plötzlich doch wieder eine neue Perspektive, vielleicht eine viel bessere, dachte Leonie. Sie durchschritt das weitläufige Wohnzimmer und ließ ihren Blick über die silbergerahmten Schwarzweißfotos wandern, die sie vor Jahren geschossen hatte. Es waren Landschaftsaufnahmen, ein wenig schwermütige, stille, menschenleere Bilder, ihre Lieblingsfotos, die sie mit einer Reihe weiterer Naturaufnahmen und Stillleben in einer kleinen Galerie ausgestellt hatte. Nun würde dort auch bald ein Foto von Gesa Rodenberg hängen – vermutlich das erste von ihr in Montana.

Oliver kam nicht wie angekündigt am nächsten Morgen, sondern erst am Nachmittag. »Du kommst spät«, sagte Leonie mit fast gleichgültiger Stimme.

»Peter ist auch noch dageblieben«, entschuldigte er sich. »Wir haben zusammen Mittag gegessen und über die Story gesprochen. Geht ja schließlich nicht um irgendeine Pop-Ikone, sondern um einen Staatsanwalt, der angeblich eine Frau vergewaltigt hat.«

»Spar dir die abfälligen Bemerkungen über meine Arbeit. Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich hatte einen netten Tag und kann mich an keine Stunde erinnern, in der ich dich vermisst habe«, erwiderte Leonie, geradezu beflügelt von ihrem neuen Angebot. Sie lehnte sich entspannt in den Sessel zurück, während Oliver sein ausgebeultes Sakko an den Haken hängte und die Tasche mit seinem Notebook abstellte.

»Schön für dich, wenn du dich amüsiert hast. Dann kann ich ja gleich wieder gehen. Marc hat nämlich gefragt, ob ich mir nicht schon heute die Fotos ansehen will. Aber ich habe gesagt, dass ich erst mal nach Hause muss.«

»Betonung auf muss. Welch ein Pflichtbewusstsein!«

»Leo! Hör auf. Du weißt doch selbst, wie hart dieser verdammte Job geworden ist.«

»Klar. Der Job. Wenn's nur das ist.«

Oliver war bereits in seinem Arbeitszimmer verschwunden und hatte ihre letzten Worte nicht mehr gehört. Leonie vernahm den melodisch ausklingenden Akkord von Olivers Mac, wenig später das Klicken der Tastatur und schließlich das Signal für eingegangene Mails. Das Einzige, was sie vor dem Sturz in eine depressive Stimmung bewahrte, war die Aussicht auf ihre Reise nach Montana. Es war immer schon ihr Traumziel für einen Urlaub gewesen, aber Olivers viele Auslandsjobs führten meistens dazu, dass sie in der Freizeit zu Hause blieben, Freunde besuchten oder einen Wellnessurlaub buchten.

»Ich fahre dann nochmal kurz in die Redaktion«, rief Oliver. Der Rechner verstummte, und er kam mit einem unverbindlichen Lächeln auf sie zu. »Bin in zwei Stunden wieder zurück.«

Sie nickte, und er gab ihr einen flüchtigen Kuss. »Hast du Lust, nachher essen zu gehen?«

»Ich weiß nur, dass ich keine Lust zum Kochen habe.«

»Woll' n wir zu Gino gehen?«

»Können wir machen.«

»Dann kannst du mich ja abholen«, schlug Oliver vor.

»Wenn du zurückfährst.«

»Du weißt, dass ich nicht gern mit deinem Auto fahre.«

»Na gut, dann hol du mich ab. Wann kommst du?«

»Ich rufe dich an.«

»Also nach halb zehn läuft nichts mehr. Dann habe ich mir mit Sicherheit einen Döner geholt.«

»Später als neun wird's sicher nicht. Ich ruf an.«

Als die Tür ins Schloss fiel, dachte Leonie, dass es vielleicht doch der Job war und keine Geliebte. Sie überlegte, ob sie einen Blick in seinen digitalen Briefkasten werfen sollte, ließ es dann aber. Wäre dort etwas Verräterisches angekommen oder hinausgegangen, wäre Oliver sicher so schlau gewesen, es vom Rechner zu löschen. Stattdessen suchte sie ihren großen Amerika-Bildband heraus und sah sich die Fotos von Montana an. Ihr Blick verfing sich in den Ansichten menschenleerer Wälder, endloser Prärien, klarer Flüsse und wilder Pferde unter einem weiten Himmel. Ihre früheren Reiterlebnisse mischten sich mit Träumen von Galopps über endloses Grasland.

Und was ist, wenn es nichts wird?, fragte sie sich schließlich und holte sich ins Jetzt zurück. Vielleicht passt dem Chefredakteur meine Nase nicht, vielleicht ist ihm mein Rock nicht kurz genug oder meine Mappe zu schlampig. Es ist gefährlich, sich auf die Vorfreude einzulassen. Die Enttäuschung liegt immer auf der Lauer wie eine wilde Katze, stets bereit, einem die scharfen Krallen ins Fleisch zu schlagen.

Sie klappte das Buch zu, stand auf und ging ins Schlafzimmer. Und augenblicklich dachte sie wieder an Olivers Berlinaufenthalt. Hatte er ein Verhältnis mit einer anderen Frau? Oder hatte ihn seine Arbeit jetzt endgültig im Griff? Oder war es einfach nur die Abnutzung einer vielleicht zu früh geschlossenen Ehe?

Leonie öffnete den alten Kiefernholzschrank und blätterte sich durch ihr breit gefächertes Angebot modischer Kleidungsstücke. Sie entschied sich für eine schwarze Hüfthose mit weit ausgestellten Beinen und ihre Kaschmirjacke. Und während sie sich auszog, dachte sie, dass sie Lust hatte, sich richtig herauszuputzen, und dass sie es nicht für Oliver tun würde, sondern für die Blicke anderer Männer. Sie trat energisch unter die Dusche, bemüht, diesen Gedanken so schnell fortzuspülen, wie er gekommen war, und wandte ihre Aufmerksamkeit der Pflege ihres harmonischen, aber – wie sie mal wieder befand – etwas zu runden Körpers zu. Ihre Freundinnen lachten sie aus, wenn sie meinte, sie sei dicker geworden, seit sie die dreißig überschritten hatte, aber sie konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass sich ihr Bauch ein klein wenig wölbte und die Hüftknochen nicht mehr herausstanden, so wie sie es all die Jahre unter dieser magischen Altersgrenze getan hatten. Nun musterte sie sich von Tag zu Tag kritischer. Alles, nur nicht dicker werden, dachte sie. Es würde unausweichliche Erscheinungen des Alterungspozesses geben wie das Dünnerwerden der Haare, das Erschlaffen der Haut, Altersflecken. Das war der normale Lauf der Zeit. Aber Fett, nein, das durfte nicht sein.

Sie spülte das Shampoo aus ihrem streichholzkurzen Haar, spürte, wie es über ihren Rücken hinablief und sah plötzlich wieder das Bild von einem Wasserfall in Montana vor sich. Es wird klappen, sagte sie sich. Es muss klappen. Ich werde alles bewegen, um diesen Job zu bekommen.

4

»Hohw!«, schrie Martin, als er seine Faust nach vorne schnellen ließ. Er machte eine blitzschnelle Wendung seitwärts, ein schulterhoher Tritt folgte, dann ein Handkantenschlag an den Hals seines imaginären Gegners.

»Stopp!«, rief der Trainer, und Martin hielt inne. Sein Atem ging schwer. Er war schweißgebadet.

»Hier muss mehr Spannung, Marty. Und noch mehr Schnelligkeit, Dynamik ...«

»Ja, ich weiß.« Martin lächelte matt.

»Aaach. Zu weich, Marty, immer zu weich. Nächste Woche wir kämpfen«, sagte der Trainer, ein kleiner untersetzter Koreaner vom Typ Jacky Chan, freundlich und zugleich beinhart.

Martin blickte auf die Uhr und wischte sich mit dem Ärmel seiner weißen Baumwolljacke den Schweiß von der Stirn. »Okay, reicht wohl für heute, was?«

»Ja. Nächste Mal richtig. Dann Kampf.« Der Trainer lachte, Martin nickte. Sie verabschiedeten sich mit dem Zusammenlegen der Hände und einer leichten Verbeugung, und Martin entließ den Taekwondo-Meister in die dem Trainingsraum angeschlossene Dusche. Er selbst ging hinauf ins Bad, vorbei an Kevins Kellerraum, in dem bereits die Musik für den Abend gemischt wurde. Es würden wieder Freunde kommen.

Er knotete seinen Schwarzgurt auf, nahm die letzten drei Stufen im Flug und betrat das Bad. Eilig zog er sich aus, stopfte den schweißnassen Kampfanzug in die Trommel der Waschmaschine und stieg unter die Dusche. Er wusste nicht warum, aber urplötzlich, wie aus heiterem Himmel, erschienen ihm die Bilder von dem alten Indianer Joe, den er beim Dreh in Montana getroffen hatte. Wie seltsam, dachte er. Wie selbständig doch unser Geist ist. Er entwickelt Bilder aus dem Nichts, ohne ersichtlichen Anlass, ohne unsere Aufforderung, willkürlich aus dem unerschöpflichen Reservoir des Unterbewusstseins schöpfend. Oder doch nicht so willkürlich?, fragte er sich, als das warme Wasser über seine Schultern lief. Er hatte das dringende Bedürfnis nach Ruhe und Harmonie, und nichts anderes verkörperte der alte, weise Mann, der in seiner kleinen Hütte in den Bergen Montanas mit sich und der Natur im Einklang lebte.

Anstatt der ersehnten Ruhe jedoch vernahm er im Erdgeschoss bereits die Stimmen von Kevins Freunden. Sie rückten früher als erwartet an und ließen ihm keine Chance mehr für ein Gespräch. Es war, als ob ein Rudel Wölfe ins Haus einfiele, um den Keller innerhalb weniger Stunden in eine Müllhalde zu verwandeln. Abgegessene Teller, leere Cola- und Red-Bull-Dosen, zerknüllte Zigarettenschachteln, Burger-Packungen und achtlos liegen gelassene Klamotten – wertlos, weil bereits zur dritten Party getragen und trendzersetzende vier Wochen alt. Das Zimmer wäre verschlossen, die Party im Gange. Und er, Martin – Erzeuger, Vater, Erzieher, Ernährer – hätte nicht den geringsten Einfluss auf das, was dort ablief. Nahm Kevin Drogen? Er wusste es nicht. Vielleicht war es auch nur der Alkohol, der ihm zeitweilig den Verstand zu vernebeln schien. Nur hatte er gedacht, nur! Zum Teufel! So hatte auch ihm schon der unverantwortliche Umgang mit Whiskey, Bier und Cocktails, verpackt in so verschleiernde Namen wie Love an the beach, den Blick für die Realität verwischt.

Martin drehte den Duschhahn zu, schob die leicht gerundete Glastür zurück und stieg auf den flauschigen weißen Badeteppich. Er zog ein frisches Badelaken aus dem Regal und frottierte sich ab, während sein Blick über Jessicas Badezimmerecke wanderte. Auf der Ablage über ihrem Waschbecken schichteten sich bereits wieder Wattebäusche, künstliche Wimpern, Lippenstifte, Nagellack, Tampons, abgenutzte Pappnagelfeilen, Kämme und Haarbänder aller Couleur. Die Putzfrau würde wieder alle Hände voll zu tun haben. Zum Glück war sie geduldig. Eine liebevolle mexikanische Mamma, die keine Ansprüche an ihre Arbeit stellte.

»Dad? Bist du da drin?«, fragte Jessica hinter der Tür.

»Ja!«

»Kann ich kurz reinkommen?«

»Klar. Wenn du den Anblick ertragen kannst.«

Die Tür öffnete sich und Jessica kam herein, einen kurzen prüfenden Blick auf ihn richtend.

»Brauchst du noch lange?«

»Keine fünf Minuten.«

»Ich finde das echt cool, dass du wieder mehr trainierst«, sagte sie, während sie in ihrem Wandschrank kramte. »Dieser kleine Ring über den Hüften sah nämlich ziemlich lächerlich aus.«

»Ring über den Hüften?«

»Na ja, so' n Ansatz. Laureen hat gesagt, dass sie ihren Vater wegen des Bauchansatzes in der Liebesszene doubeln mussten. Echt peinlich.«

»Ich vermute, dass Bob das nicht bedauert hat.«

»Auf jeden Fall hat es ihn ziemlich gekränkt.«

Martin schüttelte lächelnd den Kopf.

Jessica zog ihr Kosmetiktäschchen aus dem Schrank und begann, Make-up auf ihr junges, glattes Gesicht zu schmieren.

»Hast du noch was vor?«, fragte er.

»Ja. Ich gehe mit Laureen auf 'ne Party.«

»Weiß deine Mutter davon?«

»Ja.«

»Aha.« Martin nickte und warf sich den Bademantel über. »Und wo geht ihr hin?«

»Du kennst ihn nicht. Er heißt Brad und ist 'n ziemlich cooler Typ.«

»Und wo wohnt er?«

»Bei Burbank«

»Wie! In L.A.?«

»Klar. Jonah fährt.«

»Soweit ich weiß, hat er gerade seinen Führerschein gemacht, stimmt's?«

»Ja, Dad. Ich muss mich jetzt konzentrieren.« Jessica zupfte an ihren ohnehin schon bleistiftstrichdünnen Augenbrauen. Ein Jammer um ihr hübsches natürliches Gesicht, dachte Martin. Und dann dieser Jonah am Steuer. Wie konnte er verhindern, dass seine Tochter dort mitfuhr?

»Ist Kate zurück?«, fragte er.

»Ja.«

»Was hältst du davon, wenn sie dich hinfährt und ich dich abhole?«

»Ach, Dad. Du mit deiner Paranoia! Jonah kriegt den Cherokee von seinem Vater. Der schiebt uns supersicher damit nach L. A. rüber und zurück.«

»Er darf nichts trinken.«

»Dad! Ich werde nie fertig, wenn du so weiter nervst.« Jessica klebte ihre falschen Wimpern an, klimperte ein paar Mal damit, zog eine Kontur um ihren Mund und legte Glanz darauf.

Martin ließ sie allein und ging zu Kate hinunter. Jessica war noch keine sechzehn. Sie brauchte noch Aufsicht. Sie brauchte eine Führung, und die gab Kate ihr nicht. Und er selbst war zu viel unterwegs, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Er würde irgendwann mehr Zeit haben, nicht mehr jede Rolle annehmen, aber bis dahin ... Was blieb ihm übrig? Schließlich waren seine Kinder die Letzten, die ihn als Hausmann akzeptieren würden. Wenn er nichts mehr verdiente, wenn er ihnen klar zu machen versuchte, dass sie von dem leben könnten, was sie besaßen, würden sie ihn für verrückt erklären. Der immer unverhohlenere Druck durch Werbung und Medien machte sie zu Sklaven der angesagten Markenartikel. Er war mit seinen altmodischen Lebensansichten machtlos gegen diese allgemeine Entwicklung. Er war gezwungen nachzugeben, sonst würde er seine Kinder ganz verlieren.

»Kate?«, rief er ins Wohnzimmer hinein.

»Was gibt's?« Sie saß mit Gurkenscheiben auf Stirn und Wangen zurückgelehnt im Korbstuhl, eine Schüssel vor sich auf den Knien.

»Findest du es in Ordnung, wenn Jessica mit diesem Jonah nach L.A. auf eine Party fährt?«

»Ich bin nicht begeistert«, erwiderte Kate mit kehliger Stimme. Sie hob den Arm vor ihr Gesicht und blickte auf die Uhr.

»Wir sollten sie fahren«, sagte Martin mit fester Stimme.

Kate hob vorsichtig den Kopf, nahm die Gurkenscheiben von ihrem Gesicht und legte sie in die Schüssel zurück. Sie sah Martin an. »Sie wird das nicht zulassen. Mir scheint, sie hat sich in Jonah verliebt.«

Martin zuckte innerlich zusammen. »In dieses Dampfmilchbrötchen?«

»Für Väter sind alle Freunde ihrer Töchter erst mal Milchbrötchen! Ich kann mich noch gut daran zurückerinnern.«

»Kate. Er wird auf der Party sicher nicht nur Limo trinken. Ich möchte nicht, dass sie mit ihm fährt.«

»Dann sag du ihr, dass du sie fährst. Ich spiele die ganze Woche über Mama-Taxi. Ich möchte heute mal was für mich tun.«

»Du willst was für dich tun? So was kenne ich gar nicht mehr. Ich dachte, wir würden uns die Fahrt teilen. Ich bin ziemlich kaputt von den letzten vier Wochen.«

»Es ist doch deine Idee. Und davon abgesehen, glaube ich nicht, dass du damit bei ihr landen wirst.«

»Sie hat zu tun, was wir ihr sagen. Sie ist noch unmündig.«

»Du lebst auf dem Mond, Martin.«

»Nein. Ich bin Realist. Und ich werde sie fahren, zum Teufel.«

Martin ließ die Tür hart ins Schloss fallen. Aus Jessicas Zimmer ertönte ein Song von Robbie Williams, während aus dem Keller das wohlbekannte Techno-Stampfen drang. Er klopfte an ihre Tür, entdeckte dann an der Klinke das Schild Bitte nicht stören, das sie aus einem Hotel mitgenommen hatte.

»Könnt ihr nicht lesen!«, erscholl Jessicas ungehaltene Stimme aus dem Hintergrund.

»Ich muss mit dir sprechen!«, rief Martin.

»Nicht schon wieder.«

»Doch, Jessi.«

»Dad! Ich bin splitterfasernackt.«

»Dann zieh dir was an.«

Schweigen. Wenige Sekunden später öffnete sich die Tür und Jessica erschien fertig gedresst. »Was gibt's denn nun wieder?«

»Ich werde dich zur Party fahren.«

»Ich hab doch gesagt, dass Jonah mich abholt.«

»Ruf ihn an und sag ihm, dass ihr euch dort trefft.«

»Dad. Nein! Er wird gleich hier sein. Das ist alles längst abgemacht.«

»Jessica!«

»Mom hat's erlaubt.«

»Dein Leben ist zu schade, um es zu gefährden. Traurig genug, wenn Jonah sich die Ohren abfährt, aber ich lasse nicht zu, dass meine Tochter ...«

»Du redest wie dein eigener Opa. Hab immer gedacht, ich hätte 'n coolen Vater.« Sie schüttelte den Kopf. »Begreife doch, dass du mich lächerlich machst. Was soll denn Jonah von mir denken! Dass ich 'n verhätscheltes Püppchen bin, deren Vater man um Erlaubnis bitten muss, um sie auf 'ne Party mitzunehmen?«

»Du rufst jetzt Jonah an, Jessica!«

»Das tu ich nicht!«

»Dann werde ich es tun.«

»Ich sagte doch, er ist schon auf dem Weg.«

»Das werde ich dann ja sehn.«

Martin wandte sich ab, ging ins Wohnzimmer, suchte die Nummer der Adams heraus und tippte sie energisch ein. Aber dort war besetzt. Er rief auf Jessicas Handy an, und tatsächlich. Auch dort war besetzt. Sie sprach natürlich mit Jonah.

Martin kochte. Als er es erneut versuchte, hatte er Jonahs Mutter am Apparat. »Mrs Adams, entschuldigen Sie die Störung. Ich wollte nur kurz Bescheid sagen, dass ihr Sohn meine Tochter nicht abzuholen braucht. Ich werde sie hinfahren und abholen.«

»Aber er ist gerade aus der Tür.«

»Können Sie ihn noch zurückholen?«

Er vernahm Schritte.

»Er fährt gerade los. Tut mir Leid. Aber machen Sie sich keine Sorgen, mein Sohn ist ein guter Fahrer. Wir haben volles Vertrauen zu ihm.«

»Auch, dass er keinen Alkohol trinkt?«

»Wir haben ihm das eingebläut. Ich denke, er hat viel zu viel Angst, den Führerschein wieder zu verlieren. Schließlich hat er ihn ja erst seit drei Monaten.«

»Ja. Eben.« Martin seufzte. »Entschuldigen Sie nochmals, Mrs Adams. Schönen Abend dann noch.«

»Das wünsche ich Ihnen auch. Jonah wird Ihre Tochter unversehrt wieder abliefern.«

Martin drückte die Aus-Taste, und Kate blickte von ihrer Zeitschrift auf. »Und?«

»Er ist schon los. Aber ich werde Jessica abholen, ob ihr das passt oder nicht.«