JOEY. du bist mein. - THEA WiLK - E-Book
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JOEY. du bist mein. E-Book

Thea Wilk

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Beschreibung

Das eisige Meer jagt die Kälte wie Speere in ihre Haut. Doch während der Schmerz vergeht, klären sich ihre Gedanken. Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten. Er ist nicht hier. Endlich wird sich alles verändern. Endlich werden wir eins sein. In einer abgelegenen Jugendherberge am Meer hofft Joey endlich zu finden, wonach sie seit Monaten sucht. Während die Wellen und der eisige Februarwind ihre Gedanken ordnen, führt eine Verkettung seltsamer Umstände auch die schöne Romy und ihren Freund Enno in den Ort. Enno mit den kurzen, blonden Haaren und dem hinkenden Fuß. Er sieht genauso aus wie er. Doch seine Blicke, sein Lachen, die Art, wie er sich ihr gegenüber verhält, alles ist anders. Kann sie ihm vertrauen?

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INHALT

Vorwort

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

.

Kapitel 4

..

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

….

Kapitel 10

…..

Kapitel 11

……

Kapitel 12

…….

Kapitel 13

Kapitel 14

……..

Kapitel 15

………

Kapitel 16

……….

Kapitel 17

Kapitel 18

………..

Kapitel 19

…………

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

………….

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

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Über mich

Mein Podcast

LARA. Thriller Trilogie.

Wenn du wieder gehst

Vielleicht … Reihe

Nur für diesen Moment.

Laufe Lebe Liebe.

Siebzehn Jahre. Ohne mich. Mit dir.

1974. Einer dieser Sommer.

1984. Einer dieser Sommer.

Meine Sachbücher.

Schreib dein Buch jetzt.

Wie du deinen Bucherfolg mit dem Herzen planst.

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für alle,

die überleben.

PROLOG

Im Tod bist du noch schöner. Das Blut lässt dich so verletzlich wirken. Du siehst aus wie ein gebrochener Engel. Es ist traurig, dass dieses Bild so schnell in sich zusammenfallen wird.

Die Dunkelheit wird zerrissen vom Blau des flackernden Lichts. Sie kommen. Zu spät. Alles ist zu spät.

EINS

JOEY

Die Wellen rollten vom Sturm getrieben in die Bucht und weiter an den Strand. Endlich hatte der Wind gedreht und kam nun von der Weite der See. Gestern hatte er nur an Land gestürmt und das Wasser wie eine spiegelglatte Oberfläche unscheinbar das Tageslicht reflektieren lassen.

So mochte ich es lieber. Ich liebte die Energie, die Wind und Wasser gemeinsam entwickelten. Es erfüllte mich selbst mit Vertrauen. Es erfüllte mich mit Vertrauen in meine eigene Stärke. Und dieses Vertrauen brauchte ich jetzt.

Ich schoss ein Foto mit dem Handy, um das Gefühl in einem Bild festzuhalten.

Eine Welle, größer als die anderen, spülte weiter an den Strand, benetzte den noch trockenen Sand. Sie erreichte meine nackten Füße, aber nach den Stunden, die ich hier verbracht hatte, spürte ich sie kaum. Es war Zeit, zurück auf mein Zimmer zu gehen. Doch was erwartete mich dort schon? Zwei Doppelstock-Betten, von deren Matratzen ich mir in jeder Nacht eine andere aussuchen konnte.

Wenigstens musste ich mir in dieser Jugendherberge Dusche und Toilette nicht mit anderen Leuten teilen. Nur eine eigene Küche fehlte, was ein Problem war. Das Essen war grausam. Gestern hatte es panierten Fisch mit einer Portion Karotten gegeben, die selbst Bugs Bunny und seine Kumpels nicht hätten verdrücken können. Das orangefarbene, breiige Zeug hatte nicht nach Karotten geschmeckt und die Menge in etwa der Tagesernte eines Bauern entsprochen.

Ich bewegte die Füße ein wenig, damit Blut in die Adern schoss und sie von innen wärmte. Es half nicht, also setzte ich mich widerstrebend in den kalten Sand, massierte erst die linken, dann die rechten Zehen und zog schließlich die warmen Wollsocken und danach meine Winter-Boots über.

Die Wärme tat gut. Lange hätte ich das Frieren nicht mehr ausgehalten. In manchen Dingen war ich einfach zu schwach. Er hatte recht. Er hatte immer recht gehabt. Ich drückte die Augen fest zusammen und presste die Hände darauf, um sein Bild aus meinem Kopf zu verdrängen. Es vermischte sich mit einem anderen, das meine Nervosität steigerte. Ich hielt es nicht aus, suchte nach etwas Schönerem.

Doch das Einzige, das mir einfiel, war ein Zeitungsartikel, den ich auf der Bahnfahrt hierher gelesen hatte. Ein Mädchen war von einem Mann aus dem Internet gestalkt worden. Es hatte klein angefangen. Er hatte sie auf Instagram entdeckt, war ihr online gefolgt. Nach ein paar Wochen hatte er das erste Mal einem ihrer Fotos ein Herz gegeben. Ihr war das nicht einmal aufgefallen. Wieder ein paar Wochen später hatte er einen ihrer Posts kommentiert. Auch das hatte sie kaum wahrgenommen.

Zu diesem Zeitpunkt, als sie ihn noch immer kaum bemerkt hatte, seine Existenz nur erahnen konnte, war er besessen von ihr gewesen. Das Erste, was er am Morgen tat, war, ihre Profile durchzuchecken. Wenn sie nichts Neues gepostet hatte, sah er sich alte Bilder und Videos von ihr an, holte sich dabei einen runter und hielt sich davon ab, ihr zu schreiben.

Doch schließlich reichte ihm all das nicht mehr. Er schrieb ihr private Nachrichten. Erst fragte er sie ganz harmlos nach einem Buch, das sie gelesen hatte. Dann wurden die Fragen persönlicher: Wärst du gern wie diese Protagonistin? Was ist deine Lieblingsfarbe? Hast du einen Freund?

Irgendwann hörte sie auf zu antworten und blockierte sein Profil.

Er fühlte sich zurückgestoßen, erstellte einen neuen Account, fand heraus, dass sie auf ein bestimmtes Konzert in einer kleineren Bar gehen würde, und lauerte dort, bis sie mit ihren Freundinnen eintraf. Er verfolgte sie nach Hause, wusste nun, wo sie wohnte, und alles nahm seinen Lauf. Am Ende hatte sie sich selbst das Leben genommen. Oder er hatte es so aussehen lassen.

Diese Geschichte war meiner eigenen so ähnlich, dass ich sie gegoogelt und unzählige weitere Artikel dazu gelesen hatte. Doch bei mir würde es anders enden.

Der Gedanke gab mir neue Energie. Ich war hier, damit sich alles änderte. Ich würde mich nicht länger verstecken. Ich würde die Höhle verlassen, in die ich mich verkrochen hatte. Die Mauer einreißen, die ich wegen ihm aufgebaut hatte.

In den letzten Tagen hatte ich mir Zeit für mich genommen. Ich hatte diese Auszeit gebraucht und fühlte mich nun allen Widrigkeiten gewachsen, die auf mich zurollten. Genau wie den Wellen am Strand. Auch sie waren eiskalte Widrigkeiten.

Nein, ich würde mich nicht unterkriegen lassen. Hastig riss ich mir Schuhe und Socken und danach den Rest meiner Klamotten vom Körper und rannte, ohne eine Sekunde innezuhalten, in das eiskalte Wasser.

Die Kälte färbte meine Haut rot, sodass man die Striemen auf meinem Körper weniger gut sah. Die Wellen konnten sie nicht wegspülen und das war auch gut so. Sie zeigten mir jeden Tag aufs Neue, dass ich stärker sein musste, als ich es bisher gewesen war. Sie verdeutlichten mir jeden Tag, dass mein Leben nur dann gut war, wenn ich selbst dafür sorgte.

Ich rang nach Luft, weil mein Körper das Atmen vergessen hatte. Ich rang nach Luft, um im nächsten Moment unterzutauchen und fast alle meine Sinne zu verlieren, weil die Kälte sich wie Dornen in meinen Kopf bohrte. Nach fünf Schwimmzügen tauchte ich wieder auf, rannte an den Strand, zog mir meinen Pullover und die Leggings über, griff den Rest meiner Sachen und bewegte meine Füße so schnell es ging über den Sand auf die breite Häuserfront zu. Die frisch gestrichene Fassade der Jugendherberge reihte sich neben ein vor fast einhundert Jahren identisch gebautes Haus, das keinen neuen Investoren gefunden hatte und über die Jahrzehnte zu einer Ruine verkommen war.

Als ich den steinigen Pfad erreichte, der zur Herberge führte, zitterte ich so stark, dass sich meine Finger verkrampften und mir die Schuhe aus den Händen fielen. Ich bückte mich mühselig, um sie aufzuheben, und lief weiter.

Die Mitarbeiterinnen an der Rezeption warfen mir spöttische Blicke zu, sahen einander an und schüttelten den Kopf. Ich hätte ihnen gern einen dummen Spruch zugerufen, aber die Synapsen in meinem Gehirn hatten mir den eisigen Tauchgang nicht verziehen und weigerten sich, mir mit etwas Geistreichem zur Seite zu springen.

Dann besann ich mich meiner vor wenigen Minuten getroffenen Entscheidung. Ich würde mich nicht länger vor anderen Menschen verstecken. Also lächelte ich sie an und freute mich über die Wärme auf den Fluren. Ich ging zum Treppenhaus. Ich schaffte es kaum, meine gefrorenen Gliedmaßen zu bewegen, und konnte die Stufen bis in die erste Etage nur schwerfällig hinaufsteigen. So brauchte ich fast fünf Minuten, bis ich mein Zimmer erreicht hatte und mich endlich unter die heiße Dusche stellen konnte.

Zuvor jedoch druckte ich auf einem kleinen Minidrucker das Bild aus, das ich am Strand gemacht hatte, und klebte es mit einem Stück Tesafilm über mein Bett, damit ich das gespeicherte Vertrauen aufsaugen konnte, wann immer ich es ansah.

Die Benachrichtigung, die inzwischen auf meinem Telefon eingetroffen war, übersah ich zunächst.

Das Piepsen meines Handys weckte mich ein paar Stunden später. Ich hatte mich nach dem Duschen ins Bett gelegt. Müde griff ich danach, löschte den Eintrag in meinem Mitteilungsscreen gemeinsam mit all den Erinnerungen und Nachrichten meines Handy-Anbieters über mein überschrittenes Datenvolumen und ließ mich für einen kurzen Moment zurück in die Kissen fallen.

Der Schlaf hatte nicht die erholsame Wirkung gehabt, die ich mir von ihm erhofft hatte. Normalerweise war das anders. Der Schlaf am Tag stärkte mich für die Nächte, in denen ich kein Auge zu bekam.

Vielleicht hatte ich es doch übertrieben mit meinem winterlichen Bad im Meer. Vielleicht hätte mein Körper etwas mehr Energieaufbauzeit gebrauchen können, bevor ich ihn wieder auf die Beine stellte und dazu motivierte, weiterzumachen.

Ich sah auf die Uhr. In zwanzig Minuten wurde das Abendbuffet eröffnet und ich wollte als eine der Ersten im Speisesaal erscheinen. Auf diese Weise konnte ich die Tür im Blick behalten und wusste immer, wer den Raum betrat. Es gab nur einen einzigen Eingang, der in den Speisesaal führte.

Wieder piepste mein Telefon. Ich las die Benachrichtigung und stand endlich auf. Mein Körper würde in Schwung kommen und die innere aufgeregte Lähmung bekämpfen, sobald ich ihn bewegte. Ich faltete die Decke ordentlich zusammen, schüttelte das Kopfkissen auf und begab mich widerwillig in Liegestützposition, absolvierte zwanzig Stück, legte mich auf den Rücken, um ebenfalls zwanzig Sit-ups zu machen, und stand wieder auf. Es folgten zwanzig Hampelmänner, zwanzig Kniebeugen und zwanzig Lunges auf jeder Beinseite.

Es hatte lange gedauert, ehe ich stark genug gewesen war, um dieses Programm durchzuziehen. Noch immer trieb es mir den Schweiß auf die Stirn und ließ meine Beinmuskulatur brennen wie Feuer. Dennoch, es musste sein. Vor ein paar Monaten hatte mich eine Freundin im Park zu einem Kräftemessen herausgefordert. Sie trainierte irgendeine Kampfsportart und war besessen davon, anderen zu zeigen, wie stark sie war.

Ich hatte ein bisschen was getrunken und mich darauf eingelassen. Diesen Übermut hatte ich mit einem gebrochenen Finger, zahlreichen blauen Flecken und der Erkenntnis bezahlt, dass ich mich nicht einmal gegen eine Frau wehren konnte, die kleiner und jünger war als ich.

Ich ging in den abgetrennten Bereich meines Zimmers, in dem sich eine Garderobe mit abschließbaren Schränken und zwei in Wandschränke eingelassene Kleiderstangen sowie ein Waschbecken und der einzige Spiegel im Raum befanden.

Nachdem ich mein Gesicht gewaschen und abgetrocknet hatte, betrachtete ich das Bild, das mir aus dem silbernen Glas entgegenblickte. Die großen braunen Augen hatte ich von meiner Mutter geerbt, die langen dunklen Haare ebenso. Er hatte sie gehasst.

Ich bürstete die Haare glatt, flocht sie zu einem französischen Zopf und legte etwas Make-up auf, um die Narbe zu verdecken, die inzwischen verblasst, aber noch immer gut sichtbar war. Die tönende Creme verdeckte sie so weit, dass jemand, der sie nicht kannte, nicht auf sie aufmerksam wurde.

Das war mein Ziel. Ich wollte für andere nie wieder das Opfer sein. Zu lange hatte ich diese Rolle ausgefüllt. Zu lange hatte ich mich nicht stark genug gefühlt, um meinen eigenen Weg zu gehen, selbst Täterin in meinem Leben zu werden.

Denn das waren wir doch alle, oder? Wir hatten die Macht über die Taten in unserem Leben. Niemand anderes sollte das Kommando übernehmen dürfen. Und es lag an uns, diese Entscheidung zu treffen und uns selbst immer wieder davor zu schützen, dass es anders lief.

In der Theorie hörten sich diese Worte für mich wunderbar schlüssig an. Sie ergaben nicht nur Sinn, sie motivierten mich auch und schafften es, die Energie zurück in meine Adern zu holen.

In der Praxis verlor ich die Motivation nach kurzer Zeit. Im echten Leben hielt ich immer Ausschau nach der Gefahr, suchte nach bekannten Hinweisen. Blonde kurze Haare. Breite Schultern. Ein hinkendes Bein.

Die Angst saß mir buchstäblich im Nacken, erinnerte mich immer wieder daran, dass ich nicht sicher war. Dass ich es nie sein würde, egal, wie viele Selbstverteidigungskurse ich besuchte. Egal, wie viele Liegestütze ich schaffte.

Ich wusch das Make-up von meinen Fingern, kämmte die Haare aus der Bürste, legte sie zurück in die Tasche und trug Mascara auf meine Wimpern auf. Dann erlaubte ich mir ein Lächeln. Ich würde es schaffen. Das hier war mein Neuanfang. An diesem Punkt übernahm ich die Kontrolle ein Stückchen mehr. Ich würde mir nehmen, was mir gehörte. Meinen Mut. Meine Freiheit. Mein Leben. Und dafür brauchte ich einzig die Gewissheit, dass ich es in der Hand hatte.

ZWEI

ROMY

Ich kann das allein tragen.“ Wütend schnaufte ich, weil das Gewicht des Koffers mich zwar nicht über- aber doch herausforderte.

„Ich weiß, dass du das kannst, aber das ist eine verdammt lange Treppe und ich könnte das doch machen.“ Enno stand ein paar Stufen unter mir.

Ich sah nicht zu ihm. „Oh ja! Du und dein kaputter Fuß.“ Es war nicht fair und nett schon gar nicht, so mit ihm zu sprechen, aber ich war wütend. So wütend, dass ich diese Energie in meine Schritte übertrug und die Glastüren vor ihm erreichte. Eine Jugendherberge. Wir waren fast dreißig, verdammt. Was sollten wir in dieser dämlichen Einöde anfangen? Urlaub am Meer hatte er gesagt. Ein bisschen ausspannen, den Wellness-Bereich eines Hotels genießen, über die Strandpromenaden flanieren und in guten Restaurants essen gehen.

Nichts davon würden wir tun. Wir würden in diesem alten Gemäuer absteigen, dafür das bisschen Bargeld aufbrauchen, das ich eingesteckt hatte, und unsere Beziehung am Sonntag nach der Rückkehr vermutlich endgültig beenden. Ich sollte sofort zurückfahren, doch die Strecke war weit und ich war müde und wütend.

Die Tür öffnete sich, nachdem ich einen metallenen Schalter betätigt hatte. Für einen Moment war ich angenehm überrascht. Dies war keine Jugendherberge, wie ich sie aus meiner Teenager-Zeit kannte. Alles schien erst vor Kurzem einen Anstrich bekommen zu haben, die Bänke im Eingangsbereich wirkten modern und die Flure waren hell ausgeleuchtet.

Das Angenehme wurde jedoch Sekunden später vom finsteren Gesicht einer Frau hinter dem Empfangstresen überschattet. Ich wartete, bis Enno neben mir stand, und ging dann gemeinsam mit ihm zu ihr. „Guten Abend, wir haben vor zwanzig Minuten angerufen.“

Ihr Blick wurde noch gemeiner, wenn dies überhaupt möglich war. „Normalerweise müssen die Gutscheine vorher aktiviert werden.“

Nun schaltete Enno sich ein. „Das wissen wir. Es kam leider zu einem Missverständnis in dem Hotel, in dem wir unterkommen wollten. Diesen Gutschein habe ich vor ein paar Wochen von einem Kunden geschenkt bekommen.“ Er wirkte nervös, wie fast immer in solchen Situationen.

Die Dame setzte ein falsches Grinsen auf. „Na, dann, herzlichen Glückwunsch.“ Es klang wie eine Drohung. Sie nahm unsere Daten auf und schob zwei weiße Plastikkarten über den Tresen. „Sie wohnen in Zimmer 204.“ Mit diesen Worten wandte sie sich wieder ihrem Computerbildschirm zu.

Ratlos sah ich zu Enno und dann wieder zu der Frau. „Und wie kommen wir da hin?“

Genervt atmete sie aus und verpasste mir einen Blick, als hätte ich sie nach der Farbe der Zimmerkarten gefragt. „Dort hinten ist ein Fahrstuhl.“ Sie wandte sich wieder ab.

„Gibt es auch eine Treppe?“

Wieder sah ich zu Enno und entdeckte das kaum erkennbare Grinsen in seinem rechten Mundwinkel. Er machte sich über sie lustig. Seine Nervosität hatte sich in Übermut verwandelt. Auch das kannte ich schon.

„Gleich daneben.“

„Was ist mit dem Abendessen? Bekommen wir noch etwas?“

Wütend schaute sie auf. „Sie haben noch dreißig Minuten Zeit, bevor das Buffet abgebaut wird und der Speisesaal schließt.“

„Und Frühstück?“

„Enno“, zischte ich. In der Frau musste es kochen, während Enno sich mehr und mehr zu entspannen schien. Ich wusste nicht recht, was ich von der Situation halten sollte. Eines war jedoch klar. Ich hatte keinen Bedarf, noch länger in ihr zu verweilen. „Das finden wir schon heraus. Komm jetzt, Enno.“ Zu der Frau gewandt, fügte ich hinzu: „Danke für Ihre Hilfe. Haben Sie einen schönen Abend.“ Mit diesen Worten, die mir selbst schwergefallen waren, fasste ich den Griff meines Koffers und stiefelte in Richtung des Fahrstuhls.

Enno folgte mir.

„Was sollte das?“, funkelte ich ihn an, als sich die Edelstahltüren hinter uns schlossen und wir allein in dem engen Raum standen.

Er grinste nun vollkommen. „Was? Diese blöde Schachtel hatte es nicht anders verdient.“

„Diese blöde Schachtel ist der Grund, warum wir nicht schon wieder auf dem Nachhauseweg sind.“

„Jetzt fang nicht wieder damit an.“

„Ich soll nicht wieder damit anfangen? Spinnst du? Ich war noch lange nicht fertig damit.“

„Es tut mir leid, Romy, wie oft soll ich dir das noch sagen?“

„So lange, bis ich es verstehe. Wie konntest du dir dein Portemonnaie klauen lassen? Wieso konnten wir das Hotel nicht bezahlen? Warum hast du das nicht vorher getan?“

„Weil ich es immer vor Ort mache. Mensch, Romy, dir ist doch auch schon mal etwas geklaut worden! Vor ein paar Monaten hat jemand dein Handy eingesteckt, als wir essen waren.“

„Ja, weil du nicht darauf geachtet hast. Ich werde nie wieder auf dich hören und mein Portemonnaie zu Hause lassen. ‚Du brauchst an diesem Wochenende kein Geld, Schatz, ich übernehme alles.‘“, äffte ich ihn nach und ärgerte mich dabei mehr über mich selbst als über ihn. Ich hätte mich nicht auf ihn verlassen sollen. In letzter Zeit hatte er mir dazu ohnehin keinen Anlass gegeben.

Die Fahrstuhltüren öffneten sich wieder und wir orientierten uns an den Schildern, um unser Zimmer zu finden.

„Nach links.“ Ich ging voraus.

„Ich hatte es wirklich so geplant, Romy.“

„Ja, nur leider ist dem Plan das Leben dazwischen gekommen, richtig? Wieder einmal.“

„Es tut mir leid. Wie oft willst du das noch hören?“

„Überhaupt nicht mehr. Ich will, dass du dich verdammt nochmal endlich wieder an deine Versprechen hältst.“ Ich raste vorneweg, als die Tränen hochstiegen. Er sollte sie nicht sehen.

Beim Zimmer angekommen, öffnete ich die Tür, stellte meinen Koffer hinein und verließ den Raum sofort wieder. Wo war dieser verdammte Speisesaal? Ich las die Schilder im Treppenhaus, als Enno neben mir auftauchte.

„Ganz nach unten.“

Er hatte recht und so eilte ich die Treppen hinab. Enno rannte hinter mir her. Doch als wir das Untergeschoss erreichten, standen wir vor einer verschlossenen Tür. Verwirrt las ich auch hier die Schilder.

„Es muss hier sein“, bestätigte Enno meine Gedanken.

Dann fiel mir ein Buchstabe auf der Plastikplatte auf. „Wir sind im falschen Treppenhaus.“

„Du hast recht. Gehen wir.“

Er griff nach meiner Hand, doch ich entzog sie ihm sofort wieder. „Verdammt, Enno, wir verpassen noch das Essen.“

„Ist das dein Ernst? Gibst du mir daran jetzt auch die Schuld?“

Es war vielleicht nicht ganz fair, aber es war auch sehr einfach, ihm diesen Missstand ebenfalls in die Schuhe zu schieben. „Ist es meine Schuld, dass wir jetzt nicht in einem kuscheligen Restaurant sitzen und uns von einem höflichen Kellner ein leckeres Essen servieren lassen?“

„Nein, das ist nicht deine Schuld, aber es ist auch nicht meine Schuld, dass dieses Etablissement hier nicht sonderlich viel von Wegführung versteht.“

Wir stiegen die Stufen wieder hoch, eilten über den Flur zum nächsten Treppenhaus und schon beim Betreten von diesem wusste ich, dass wir hier richtig waren. Der Gestank des Kantinenessens wehte mir in die Nase und am liebsten hätte ich sofort wieder kehrt gemacht.

Meine Schritte verlangsamten sich.

„Komm schon, Romy, so schlimm wird es nicht sein.“ Er wollte nach meiner Hand greifen, aber ich zog sie erneut zurück, bevor er sie erreichte.

„Vermutlich nicht, nein. Vermutlich ist es schlimmer.“ Dennoch ging ich durch die nächste gläserne Tür. Das Buffet befand sich auf der gegenüberliegenden Seite, doch bevor ich darauf zugehen konnte, hielt mich ein in Kochkleidung verpackter Mann auf. „Essen gibt es noch fünfzehn Minuten.“

Ich sah auf die Uhr. „Sie meinen 25, oder?“

Er zuckte nur mit den Schultern und ging hinter die Theke, wo er mir Sekunden später ein Stück Fleisch, Bohnen und eine Portion Kartoffeln auftat, die ich auch dann nicht schaffen würde, wenn er uns bis zum nächsten Abendessen Zeit gab.

Ich glaubte nicht daran, dass ich viel davon runterbringen würde, griff mir zwei Brötchen, etwas Käse-Aufschnitt, Butter und Schokoladenaufstrich, sowie ein paar Gurkenscheiben.

„Ich habe uns Besteck besorgt. Und Servietten.“ Enno sah mich mit einem Blick an, als hätte er damit alle Fehler, die ihm in den vergangenen Monaten unterlaufen waren, wiedergutgemacht.

Ich schüttelte nur den Kopf und ging in den anliegenden Essbereich. Er war fast leer. Die vielen Tische waren nicht nur unbesetzt, die dazugehörigen Stühle waren hochgestellt. Hier zu essen würde in etwa so gemütlich sein wie in einem Klassenraum nach der letzten Stunde an einem Freitagnachmittag.

Eine kleine Gruppe älterer Männer saß an einem Tisch zusammen. Außer ihnen entdeckte ich nur eine Frau, die meinen Blick für einen Moment gefangen nahm. Sie blickte auf ihr Handy, weshalb ich sie unbemerkt mustern konnte. Sie war hübsch. Sehr sogar. Der lange dunkle Zopf fiel ihr über den Rücken und sie wirkte so unschuldig und lieb, dass ich mich am liebsten zu ihr gesetzt hätte. Vielleicht würde ein Gespräch mit ihr mich auf andere Gedanken bringen.

In dem Moment, in dem sie das Handy zur Seite legte und aufschaute, fragte Enno: „Setzen wir uns hier hin?“ Er deutete auf einen Tisch, der von der jungen Frau weit genug entfernt stand, damit sie unser Gespräch nicht mit anhören können würde. Auch Enno blickte zu ihr. Nahm er ihre Schönheit genauso wahr wie ich?

Wie musste ich neben dieser Frau wirken? Wir hatten sechs statt drei Stunden Autofahrt hinter uns, weil die Straßen stellenweise vereist gewesen waren und wir die Geschwindigkeit hatten drosseln müssen. Danach die Abfuhr im Hotel, unser Streit. Ich trug meine Brille und keine Kontaktlinsen, weil ich mich auf Whirlpools und Saunen eingestellt hatte. Enno mochte die Brille nicht. Sicher sah ich aus, wie ich mich fühlte, was bedeutete, dass ich einen Schönheitswettbewerb mit ihr niemals würde gewinnen können.

„Ich möchte morgen zurückfahren.“ Während ich das sagte, räumte ich die Teller und das Essen von meinem Tablett und lehnte es gut versteckt unter dem Tisch an die Wand.

Enno tat es mir gleich. „Romy, bitte. Tu das nicht. Lass uns die Tage hier genießen. Morgen scheint die Sonne, wir können immer noch am Strand spazieren gehen und eine schöne Zeit miteinander verbringen.“

Ich musterte ihn, versuchte, das Bild zu sehen, das er sich ausmalte, scheiterte jedoch. „Wir werden sehen.“

„Wie ist dein Essen?“

Ich hatte es noch nicht gewagt, etwas davon in meinen Mund zu schieben.

„So gut wie meins?“ Er grinste schief.

„Wahrscheinlich.“ Mir war noch immer nicht nach Scherzen zumute. Ich halbierte eines der Brötchen, hielt inne und sah Enno an, der das Fleisch in Stückchen schnitt, bevor er es in den Mund steckte. Ich brauchte eine Pause. „Ich möchte eine Weile nicht reden.“

Er wirkte bedrückt, überraschte mich dann aber mit seiner Antwort. „Was hältst du davon, wenn du dir die Brötchen vorbereitest und damit auf unser Zimmer gehst? Ich werde mir die nächsten zwei Stunden hier unten und draußen vertreiben und du kannst ein bisschen bei dir ankommen.“

Das klang perfekt. Zu perfekt. Ich musterte ihn argwöhnisch. Sicher war er selbst vollkommen fertig. Warum sollte er darauf verzichten, die Beine hochzulegen und unser sinnloses Gespräch weiterzuführen?

Mein Blick glitt durch den Raum, blieb bei der dunkelhaarigen Frau hängen und ein Gedanke setzte sich in mir fest. Sogleich schüttelte ich ihn wieder ab. Enno würde nicht so dreist sein und eine andere ebenfalls hierherlocken.

„Also, gut.“ Ich schmierte Butter auf die Brötchenhälften, zerteilte das Zweite und wiederholte den Vorgang.

„Hier, nimm meins auch. Ich kümmere mich um dein Essen.“

Nachdem ich die drei Brötchen fertig belegt hatte, wickelte ich sie in ein paar Servietten, steckte mir zwei Gurkenscheiben in den Mund und stand auf.

„Lass uns nachher reden, okay?“ Enno sah mich hoffnungsvoll an. Wollte er tatsächlich nur, dass es mir besser ging?

„Vielleicht, ja.“ Ich zögerte, beugte mich dann aber zu ihm, um ihn auf die Wange zu küssen. Sein Duft stieg mir in die Nase und für einen Moment vergaß ich, warum ich mich davon nicht mehr einhüllen ließ. „Bis später, Enno.“

„Bis später.“ Er lächelte liebevoll und ich ging. An der Tür drehte ich mich noch einmal zu ihm, aber er hatte den Blick abgewandt. In ihre Richtung.

DREI

JOEY

Ich versuchte, ihn nicht anzustarren. Seit er und das Supermodel den Speiseraum betreten hatten, war ich ihren Blicken ausgewichen. Zu groß war der Schreck des ersten Moments gewesen. Er sah ihm zum Verwechseln ähnlich, zumindest von hinten. Die kurzen blonden Haare, die breiten Schultern. Und er humpelte. Dennoch, ich durfte mich nicht mehr verstecken.

„Du bist also ganz allein hier?“

Ich sah nicht von meinem Teller auf. „Vielleicht.“

Er lachte leise auf. „Tut mir leid. Das könnte auch die Frage eines Serienkillers sein, richtig?“

Erschrocken hob ich den Kopf. Warum schnitt er dieses Thema an?

Mein Blick ließ sein Lachen verstummen und er hob entschuldigend die Hände, in denen er sein Besteck hielt. „Tut mir leid, ich hatte wirklich einen langen Tag.“ Er sah wieder auf seinen Teller.

„Möchtest du darüber reden?“ Ich fragte ihn vor allem deshalb, weil ich dadurch meine eigenen Gefühle und Gedanken zur Seite schieben konnte. Mein Herz hämmerte wie wild und ich musste mich davon abhalten, aufzustehen und wegzurennen.

Er schnitt sorgfältig ein mundgerechtes Stück Fleisch ab, führte es zum Mund und bevor er es hinein steckte, sagte er: „Ach, da gibt es nicht viel zu erzählen.“

Ich wartete, bis er gekaut hatte und bereit war, es trotzdem zu tun. Erzählen. Ich wollte seine Geschichte hören.

„Meine Freundin …“ Er deutete mit dem Finger nach oben, als befände sich ihr Zimmer genau über uns. „… und ich, wir wollten ein entspanntes Wellness-Wochenende am Meer verbringen. Ich hatte das Hotel herausgesucht, ein Zimmer und zahlreiche Massagen, Schlammbäder und all solchen Kram, auf den Frauen stehen, gebucht und …“

Ich unterbrach ihn. „Wie kommst du darauf, dass Frauen auf diesen Kram stehen?“

Er runzelte die Stirn. „Tut ihr das nicht?“

Mein Herzschlag beruhigte sich etwas. Auf diesem Niveau konnte ich entspannter mit ihm reden. „Also wirklich. In welchem Jahrhundert lebst du? Fändest du es toll, wenn deine Freundin ein Wochenende mit dir plant, auf dem ihr euch ein Fußball-, ein Eishockey- und ein Basketball-Spiel anseht, zwischendurch den Kopf mit Bier wegballert, in einen Striptease-Club geht und danach noch auf den Schießstand?“

Er grinste mit geschlossenem Mund, vielleicht weil er mich nicht daran teilhaben lassen wollte, was sich zwischen seinen Zähnen festgesetzt hatte. „Das hört sich nach einem verdammt guten Wochenende an.

---ENDE DER LESEPROBE---