LARA. das Ende. - Thea Wilk - E-Book

LARA. das Ende. E-Book

Thea Wilk

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Beschreibung

Sommer. Alles hat ein Ende. Irgendwann. Er ist tot. Und auch wenn nicht eindeutig klar ist, wer ihn erschossen hat, muss seine Leiche verschwinden. Aber das ist nicht Laras einziges Problem. Und auch nicht ihr größtes. Sie weiß nicht, wem sie vertrauen kann. Trotzdem muss sie den Worten der drei Menschen um sich herum Glauben schenken, denn sie alle haben das gleiche Ziel. Zwei gleiche Ziele, denn noch immer muss die Leiche verschwinden, deren Telefon ununterbrochen klingelt. Doch dafür findet sich schneller eine Lösung, als Lara lieb ist.

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Inhalt

MOMENT NOCHMAL…

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

EPILOG

Rezensionen

Über mich

Mein Podcast

108 Dinge, die ich vor dem Schreiben meines ersten Buches gern gewusst hätte.

Wenn du wieder gehst

Lu & Nik. Dezember. Ein Jahr später

Lu & Nik. Und Ben. Zwei Jahre später.

Lu & Nik. Drei Jahre später.

Nur für diesen Moment.

Laufe Lebe Liebe.

Siebzehn Jahre. Ohne mich. Mit dir.

Danke!

An dich!

Dass du meine Bücher liest, bedeutet mir viel.

Weitere Kurzgeschichten zu dieser Serie

findest du in meinem Newsletter.

theawilk.de/newsletter

SCHULD

verjährt nicht.

MOMENT NOCHMAL…

Hi, ich bin’s wieder.

Juchu, ich habe den zweiten Teil überlebt. Wenn auch nur knapp. Hättest du gedacht, dass Finn, der alte Saftsack, tatsächlich der süßen Lara hinterherreist, um mich abzumurksen? Haha, er hat es nicht geschafft.

Moment, du kannst dich nicht an alles erinnern? Echt jetzt? Also gut, ja, ja, ich verstehe und erzähle dir gern Laras und meine Liebesgeschichte. 😊

Am Anfang habe ich mit der lieben Lara angebandelt, damit wir uns bei ihrer Familie für den Tod meines Vaters rächen konnten. Wir, das waren meine Brüder Finn und Karl und mein guter Freund Bill und ich. Das darf ich dir ja nun endlich verraten.

Der alte Bill ist leider vor ein paar Tagen an seinem zu großen Herzen krepiert, also, nachdem Lara ihn angeschossen hat. Sie war ein bisschen sauer auf ihn, weil er ihr nicht erzählt hat, dass er mich unterstützt, mir von ihrem Erbe gegeben und sie die gesamte Zeit über angelogen hat.

Zum Beispiel darüber, dass er ihren Großvater gehasst und es gebilligt hat, dass wir ihn und Laras Mutter töteten, damit er an das Geld vom Großväterchen rankam.

Finn und ich haben Lara dann in dessen Strandhaus ein kleines Abenteuer erleben lassen, bei dem leider Karl gestorben ist. Alle dachten, es sei Finn gewesen, den ich an derselben Stelle erschossen habe, an der Lara als siebenjähriges Püppchen unseren Vater erledigt hat.

Aber, nee, nee. Finn, der Schlawiner, hat es irgendwie geschafft, Karl an seiner Statt sterben zu lassen. Nicht sehr nett. Und dann hat er mich in Laras Wohnung auch noch davon abgehalten, sie endgültig zu erledigen. Dafür habe ich fliehen können und er ist drei Jahre in den Knast gewandert.

Na ja, Finn weilt nicht mehr unter uns. Endlich! Nur seine Leiche, die müssen wir noch entsorgen.

Und dann kann ich mich endlich wieder dem großen Plan widmen. Du weißt es bestimmt noch: Mein nichtsnutziger Vater war ein Kinderschänder und hatte einige Freunde, die seine Abart teilten. Es vielleicht immer noch tun. Diese Typen möchte ich gern abschlachten und ich glaube, auch Lara hat ein ordentliches Interesse daran, das Leben der Kinderschänder ein wenig aufzurühren.

Ihre neue Freundin, *würg*, Maja, die Waldhexe mit dem Luna-Dobermann, ist nämlich auch eines der Opfer. Genau wie Anna, die leider von einer Brücke gesprungen ist, Lara aber ihr Auto geschenkt hat, und Sweta, also Swetlana. Sie ist Polizistin, ist mir aber sehr dankbar, dass ich ihren Vater aus dem Leben gerissen habe. Deshalb hat sie mich und Lara nicht verpfiffen, als sie uns mit Bills Leiche erwischt hat.

Leider hat sie uns angelogen.

Und dann haben wir noch ein weiteres Problem: Finns Handy klingelt ununterbrochen. Wer zur Hölle ruft dieses Scheusal an?

Ich schlage vor, wir finden es gemeinsam raus.

Eins

LARA

Müsste nicht irgendwann mal der Akku leer sein?“

Ich sah zu Bobbi. Sie starrte auf Finns Handy, das auf Majas Couchtisch lag. Wir saßen in Majas Wohnzimmer, ob seit Stunden oder Minuten konnte ich nicht sagen. Im Kamin flackerte ein Feuer und ein paar Lampen erhellten den Raum.

Bobbi hielt eine Flasche Vodka aus Majas Vorrat in der Hand, die zur Hälfte geleert war. Weder Swetlana noch Maja noch ich hatten mehr als ein Glas davon getrunken.

Ich beugte mich vor und warf einen Blick auf das noch immer leuchtende Display. Es zeigte ein Standard-Hintergrundbild, die Uhrzeit, einen Hinweis auf 23 verpasste Anrufe, eine Netzverbindung und eine kleine weiße Batterie in der rechten oberen Ecke. „Der Akku ist halb voll.“

„Ich finde, wir sollten es einfach ausschalten.“ Bobbi griff danach, aber Swetlana schlug ihr auf die Hand.

„Spinnst du?“

Wir hatten darüber gesprochen, ob das Handy eventuell getrackt wurde. Solange wir hier waren, spielte es vermutlich keine Rolle. Wenn wir es ausschalteten, würde der Anrufer vielleicht Verdacht schöpfen. Mehr als ohnehin schon.

Bobbi reagierte blitzschnell und packte Swetlanas Handgelenk. Sie zog sie zu sich. „Lass das!“

„Hört auf.“ Ich verlor die Geduld, wozu es in der aktuellen Situation nicht viel brauchte, und redete so laut, dass Luna aufhorchte, die selbst bei Bobbis und Swetlanas Handgemenge ruhig geblieben war. Bobbi hielt Swetlana eine weitere Sekunde lang fest und stieß sie dann von sich.

Ich beobachtete die beiden. Bobbi, die sich genervt nach hinten sinken ließ, und Swetlana, die wütend und etwas überrumpelt in ihrer Position verharrte, den Blick auf Bobbi gerichtet. Vermutlich war sie erstaunt darüber, dass diese zierliche und noch dazu betrunkene Frau es geschafft hatte, ihren Angriff zu erwidern. Ich war nicht erstaunt. Ich hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass man Bobbi nicht unterschätzen durfte.

„Wir brauchen einen Plan.“ Maja strich beruhigend über den Kopf der Dobermann-Hündin und sah uns erwartungsvoll und mit der gleichen Ungeduld an, wie sie in mir brodelte. Es war nicht das erste Mal, dass eine von uns diese Worte äußerte. Aber bisher hatte keine eine Idee gehabt, wie wir vorgehen sollten. Wir standen nicht unter Zeitdruck. Es war unwahrscheinlich, dass jemand die Schüsse gehört hatte, und es war genauso unwahrscheinlich, dass jemand Maja um diese Uhrzeit besuchen würde. Oder dass überhaupt jemand hier auftauchen würde. Das hatte sie mehrfach erklärt.

Dennoch konnten wir Finns Leiche nicht einfach im Eingangsbereich liegen lassen. Wir hatten den Körper mit einem alten Tuch zugedeckt, aber natürlich löste das das Problem nicht. Finn lag noch immer Blut überströmt auf Majas weichem und viel zu hellen Teppich. Er war noch immer tot. Eine von uns hatte ihn erschossen. Und noch immer war nicht klar, wer den tödlichen Schuss abgegeben hatte.

Aber spielte das eine Rolle? War es wichtig, wer seinen Tod zu verschulden hatte? Nein. Wir hatten alle auf ihn geschossen, weil Finn jede von uns, ohne mit der Wimper zu zucken, getötet hätte. Unser einziges Problem bestand also darin, ihn loszuwerden, ohne dass es jemand mitbekam. Natürlich hätten wir die Polizei rufen können. Natürlich hätten wir Mitleid mit Finns Seele haben können. Vielleicht hatten auch die anderen diese Gedanken. Aber keine sprach sie aus.

„Wir sind zu viert. Wir sind vier starke und unabhängige Frauen. Wir sollten ein Loch graben, ihn hineinschubsen, den Teppich austauschen und nie wieder ein Wort über Finn, den Barbaren, verlieren.“ Bobbi lallte ein wenig bei diesen Worten. Ich suchte in ihren Augen nach dem Schmerz, einen weiteren Bruder verloren zu haben. Aber wie auch schon vor drei Jahren im Strandhaus fand ich nichts.

Ich sah zu Swetlana und Maja. Sie erwiderten meinen Blick und ich konnte nicht erkennen, ob sie Bobbi zustimmten oder ihr widersprechen wollten. Stimmte ich ihr zu? Konnte es so einfach sein? Es würde einen Teil der Probleme lösen, die sich in den letzten Stunden aufgebaut hatten. „Du hast recht.“

Sie sah mich überrascht an. „Wie bitte?“

„Wir müssen uns darauf einigen, dass das hier unter uns bleibt.“ Ich sah die anderen an. Sie nickten.

„Okay, dann wäre das ja geklärt. Aber bevor wir irgendetwas mit dem da machen …“ Swetlana deutete zur Wohnzimmertür. In ihrem Blick lag eine seltsame Mischung aus Abscheu und Bedauern. „… sollten wir euer Auto vom Straßenrand wegschaffen.“

Sie hatte recht. Zwar war das Auto jetzt in der Nacht nur dann sichtbar, wenn man in den Waldweg einbog. Aber sobald der Morgen das Tageslicht über die Welt streute, würde man Annas Kombi erkennen. Vielleicht wurde das Auto noch immer gesucht. Vielleicht hatte der Polizist die Information, dass Anna das Auto an eine Lara Béyer verkauft hatte, noch nicht weitergeleitet.

„Ich gehe.“ Bobbi sprang auf, schwankte und ließ sich zurück in den Sessel fallen. Er knarzte unter ihrem Federgewicht.

Maja sah sie mit gerunzelter Stirn an und musterte sie. „Ich denke, du bist die Letzte, die sich jetzt um ein Auto kümmern sollte.“ Sie legte den Kopf schief. „Oder durch einen dunklen Wald laufen. Wahrscheinlich brichst du dir ein Bein und machst uns damit noch mehr Probleme.“

Ich lachte leise auf. Maja würde sich von Bobbi ganz sicher nicht unterkriegen lassen.

Maja sah zu Swetlana. „Ich schlage vor, du passt auf, dass die da nicht abhaut, und Lara und ich holen das Auto.“

„Ja, ja, das würde dir so passen. Du machst dich mit Lara aus dem Staub und lässt Sweta und mich allein in diesem Mist zurück.“

Majas Mund öffnete sich ein Stück weit, aber erst nach 2 Sekunden sagte sie: „Das ist mein Haus. Hast du das vergessen? Warum sollte ich euch zwei allein mit einer Leiche in meinem Haus zurücklassen? Ich könnte natürlich schnell einen Kaufvertrag aufsetzen und das Haus an dich überschreiben. Warte, ich rufe schnell meinen Anwalt an.“

„Sehr witzig.“ Bobbi verschränkte die Beine im Schneidersitz und trank einen weiteren Schluck Vodka. Einen großen. In ihrem Blick lag offene Abneigung gegenüber Maja. Sie war eifersüchtig und ich hatte das Gefühl, dass dies ein größeres Problem darstellen würde als Finns Leiche. Ich entriss ihr die Flasche. Zu schnell. Die Flüssigkeit schwappte über und lief mir auf die Hand.

„Hey, was soll das?“ Sie funkelte mich an, den Arm nach der Flasche ausgestreckt.

Ich wischte die Finger an meiner Hose ab. „Maja hat recht, wenn wir nicht auf dich aufpassen, wirst du noch mehr Probleme machen. Wir brauchen vier klare Köpfe. Also, sieh zu, dass du deinen von diesem Scheiß frei bekommst.“ Ich stand auf und kippte den Rest des Flascheninhalts in das Kaminfeuer. Es zischte und die Flammen loderten auf, bevor ein Teil von ihnen erlosch. Dann sah ich zu Maja. „Lass uns gehen.“

Meine Beine und meine Arme fühlten sich steif an. Es waren wohl doch eher Stunden als Minuten gewesen, die wir auf Finns Telefon gestarrt hatten. Ich griff in meine Jackentasche, ich trug tatsächlich noch immer meine Jacke, und zog den Autoschlüssel hervor. Dann sah ich zu Maja, die sich ebenfalls erhoben hatte, und deutete auf Luna, die neben ihr stand. „Nehmen wir sie mit?“

Maja blickte zu ihrer Hündin, die sie erwartungsvoll anschaute, und schüttelte den Kopf. „Nein, sie kann Swetlana helfen, auf die da aufzupassen.“ Sie deutete auf Bobbi und griff dann nach meiner Hand, um mich zum Eingangsbereich zu führen.

Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie Bobbi unsere Hände anstarrte. Sie hob den Blick, zog meinen auf sich und auf ihrer Stirn vertiefte sich eine Falte. Für eine Sekunde spürte ich die Herausforderung dahinter, die Wut und auch die Enttäuschung. Dann legte sich ein Grinsen auf ihre Lippen und sie wandte sich zu Swetlana. „Wenn unser Turtel-Pärchen weg ist, kannst du mir ja erzählen, warum du uns nicht gesagt hast, dass du mein Bruderherz doch gesehen hast.“

Das wollte ich auch wissen.

Bobbi zwinkerte mir zu. „Keine Angst, ich erzähle euch dann, was sie mir gesagt hat.“

Ich sah zu Swetlana, die auf den kleinen Teppich vor ihr auf den Boden schaute. Würde sie Bobbi die Wahrheit sagen? Und wenn ja, würden Maja und ich sie auch erfahren? Und würden wir sie noch immer auf unserer Seite wollen, wenn wir wussten, warum sie uns belogen hatte?

Maja drückte meine Hand leicht. „Lass uns gehen, Lara.“

Für eine Weile stand ich nur da. Ich betrachtete Bobbi und Swetlana. Keiner von ihnen vertraute ich. War es wirklich klug, die beiden allein hierzulassen? Sicher, wir alle steckten gemeinsam in dieser Scheiße, aber was würde sie daran hindern, abzuhauen?

Oder wäre das vielleicht sogar die Lösung? Ich hatte meine Antworten. Zwischen Bobbi und mir gab es nichts mehr zu klären. Ich hatte nicht länger Angst vor ihr und auch nicht davor, dass die Gefühle für sie wieder aufflammen könnten. Für mich war dieser Teil tatsächlich beendet.

Unglücklicherweise band uns nun etwas anderes aneinander. Nicht der tote Finn im Eingangsbereich. In wenigen Stunden hätten wir dieses Problem beseitigt und keine von uns hatte einen Grund, die andere zu verraten.

Nein, wir hatten ein anderes Ziel, das uns beide verband. Vielleicht würden wir nicht den gleichen Weg anstreben, um es zu erreichen, aber Bobbi und ich wollten beide, dass die Listenmänner bestraft wurden. Dass Anna und Maja, Swetlana, Bobbi selbst und all die anderen Mädchen gerächt wurden.

Wieder spürte ich den Druck von Majas Fingern an meiner Hand. Ich wandte mich zu ihr, was einen bewussten Kraftakt erforderte. In ihrem Blick lag Sorge, als sie mich musterte. Wir waren schon jetzt zu vertraut miteinander. Es war zu eng, zu nah, zu grenzenlos. Und doch war es genau das, was ich wollte und brauchte.

Als wir den Raum verließen, klingelte Finns Telefon erneut.

Zwei

Ich hatte ihm bereits in mehreren Textnachrichten verkündet, dass Finn meine Anrufe weiterhin nicht beantwortete.

Er hatte auf keine reagiert, also musste ich ihn anrufen. Er nahm nach dem zweiten Klingeln ab. Natürlich schlief er nicht, während ich die Drecksarbeit für ihn erledigte.

Er sagte nichts.

„Ich erreiche ihn nicht.“

„Dieser Idiot hat bestimmt sein Telefon im Wald verloren. Oder diese Biester haben ihn überwältigt.“

„Ich bin in zwanzig Minuten dort.“

„Warum dauert das so lange?“

„Es ist sind einige Polizisten unterwegs.“

Er lachte auf. „Lern, Bullen zu sagen.“

Ich erwiderte nichts.

„Wie lautet dein Plan?“

Ich zögerte. „Das Haus liegt tief im Wald?“

„Ja, es liegt idyllisch zwischen Fuchsbau und Eichhörnchen-Kobel.“ Seine Stimme wurde zu einem Zischen. „Ich weiß, wo das verdammte Haus liegt. Ich habe es dir auf der Karte gezeigt, du Idiot.“

Ich räusperte mich und versuchte, ruhig zu bleiben. Ich durfte seinen Zorn nicht weiterschüren. „Ich werde nicht mit dem Auto bis vor die Tür fahren können. Und es ist zu dunkel, um ohne Scheinwerferlicht zu fahren.“

Er schwieg und ich sprach weiter. „Ich werde zu Fuß gehen.“ Ich konnte meine Abneigung gegen diese Vorgehensweise nicht unterdrücken und sie war deutlich zwischen meinen Worten zu hören. Ich hoffte, er würde einen besseren Vorschlag machen. Aber er sagte nichts.

„Dann werde ich die Lage sondieren und mit dir besprechen, wie ich weiter vorgehe.“

„Was, wenn dir dazu keine Zeit bleibt?“

Ich zögerte und schwieg.

„Du wirst dafür sorgen, dass sie verschwinden.“

Ich schwieg weiter. Ich wusste ganz genau, was er mit ‚verschwinden‘ meinte.

„Haben wir uns verstanden?“

Wieder räusperte ich mich. „Ja, ja, sicher, das haben wir.“

„Dann gutes Gelingen.“ Er klang freundlich, als würde er mir vor einer Prüfung auf die Schultern klopfen, und legte auf.

Drei

LARA

Was geht in deinem Kopf vor?“ Maja hielt noch immer meine Hand. Inzwischen war es jedoch nicht mehr nur eine reine Bezeugung unserer Vertrautheit, sondern bloße Notwendigkeit. Wie vor ein paar Stunden war es zu dunkel, um den Weg ohne Taschenlampe zu erkennen, und wir wollten einander nicht aus den Augen verlieren.

So oder so, die Berührung tat gut. Sie brachte einen Funken Gutes in diese ganze Scheiße.

„Fragst du das echt?“ Wir waren seit etwas mehr als zehn Minuten unterwegs und hatten seither kein Wort miteinander gewechselt. Jede steckte in ihren Gedanken fest. Zumindest ging es mir so. „Entschuldige.“

„Nein, du hast recht. Die bessere Frage wäre wohl: Was ist gerade am stärksten in deinem Kopf los?“

„Ich traue ihr nicht.“

Sie lachte auf. „Wem genau?“

Ich zögerte und lachte dann selbst. „Keiner von beiden.“

„Ich auch nicht.“

„Warum hat Swetlana uns belogen?“

„Bobbi wird es rausfinden.“

Ich war unsicher, ob sie dazu in der Lage sein würde. „Vielleicht, aber wird sie es auch uns erzählen?“

„Sie ist eifersüchtig.“

„Du hast es auch gesehen.“

„Sie war von Anfang an eifersüchtig.“

„Das wird ein Problem werden.“

Maja lachte erneut auf. „Es ist bereits ein Problem. Hast du ihren …“

Ich ließ sie nicht weitersprechen. Oder gehen oder irgendetwas tun. Bevor sie ihre Frage beenden konnte, riss ich sie an ihrem Arm runter vom Weg, hinein in den Wald zwischen die Bäume. Wir stolperten über Wurzeln und fielen auf das Unterholz. Mein Telefon landete vor mir auf dem Boden und ich griff reflexartig danach, um die Taschenlampe zu verdecken.

Maja fragte nicht, warum ich uns vom Weg abgebracht hatte. Sie sah die Scheinwerfer selbst. Wir waren nur noch etwa einhundert Meter von der Straße entfernt und auf dem halben Weg bis dorthin näherte sich ein Auto. Sekunden später stoppte der Wagen ein dutzend Schritte vor uns und die Scheinwerfer wurden ausgeschaltet.

Wir warteten schweigend.

Schließlich öffnete sich die Tür und ein Mann stieg aus. Die Innenraumbeleuchtung des Autos tauchte ihn in ein fades Licht, das seine Züge kaum erkennen ließ.

„Wer ist das?“ Ich flüsterte.

„Keine Ahnung. Du?“ Auch Maja sprach so leise wie möglich.

„Ich weiß es nicht.“ Auf diese Entfernung erkannte ich sein Gesicht zumindest nicht.

Er schlug die Tür zu, verriegelte das Auto und das Licht erlosch. Schließlich hörten wir seine Stimme. Leise, aber nicht flüsternd: „Ich bin jetzt hier. In fünfzehn Minuten sollte ich beim Haus sein.“

Ich schluckte und lauschte aufmerksam, als er nach einer Pause weitersprach. „Was soll ich mit den Frauen machen, wenn Finn nicht mehr dort ist?“

Wieder schwieg er, während mein Herzschlag sich weiter beschleunigte. Ich hätte aus dem Wald auf ihn zu rennen und ihn mit wenigen Schlägen und Tritten ausschalten können, aber was hätte das genutzt? Offensichtlich war er nicht der Einzige, der wusste, dass wir hier waren. Außerdem würde ich nicht eine Person nach der anderen aus dem Weg schaffen. Das hier war kein Computerspiel, in denen ich ohnehin nie besonders gut gewesen war.

„Und wenn sie bewaffnet sind?“

Er schwieg.

„Alles klar, ich sorge dafür, dass sie uns nicht im Weg stehen.“

Wieder hörte er der Person am anderen Ende der Leitung zu.

„Ja, ich verstehe.“

Maja flüsterte neben mir. „Er soll uns umbringen.“

Ich nickte. Es sah ganz so aus, als wäre dieser Typ hier, um Finn zu finden. Und um jeden aus dem Weg zu räumen, der ihn dabei behindern könnte. Was würde er wohl machen, wenn er herausfand, dass Finn nicht mehr lebte? Wir würden mit ihm fertig werden, ja. Aber wie viele Leute steckten hinter ihm und dem Anrufer? Stand er auf Finns Seite oder war er hier, weil das Gegenteil der Fall war?

Seine Stimme veränderte sich etwas. „Ja … ja, ich verstehe. Alles klar, ich mache mich jetzt auf den Weg.“ Damit beendete er den Anruf. Eine Sekunde später erhellte das Licht des Smartphones seine Gesichtszüge. Ich hatte immer noch keine Idee, wer er war. Er sah sich um und ging los. In unsere Richtung.

„Sollen wir ihn uns schnappen?“

„Psst.“ Ich legte Maja die Hand auf die Schulter.

Er schritt weiter auf uns zu. Nun beleuchtete die Taschenlampe seines Handys den Weg vor ihm. Das Displaylicht erhellte weiterhin sein Gesicht. Als er nur noch ein paar Meter von uns entfernt war, konnte ich es deutlich erkennen. Etwas darin kam mir bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht einordnen.

Der Radius des Taschenlampenscheins war nicht groß genug, um auf uns zu fallen. Er beleuchtete kaum genug Weg, damit der Mann erkennen konnte, wohin ihn sein nächster Schritt führen würde.

Es war gerade einmal ein paar Stunden her, dass Bobbi und ich diesen Weg entlanggegangen waren. Nur wenige Stunden, in denen so viel passiert war. Finn. Swetlana. Konnte sie etwas mit dem Unbekannten zu tun haben? Hatte sie ihn informiert? War der Mann ein Polizist? Einer ihrer Kollegen? Ein Polizist wäre sicher nicht allein gekommen. Oder? Warum fragte er, was er mit uns machen sollte? Als wären wir nur eine Last, die es loszuwerden galt.

So wie Finn für uns. Er war kein Mensch, dessen Leben durch unsere Schüsse ausgelöscht worden war. Er war ein Hindernis, eine Belastung. Etwas, das wir aus dem Weg räumen mussten. Wann hatte ich aufgehört, das Leben als solches zu schätzen? Ja, Finn hatte seinen Tod herausgefordert und genau genommen, hätte er längst tot sein sollen. Aber dass mir sein Tod so gar nichts ausmachte, fühlte sich nicht gut an.

Der Mann aus dem Auto hatte inzwischen einige Dutzend Meter zwischen sich und uns gebracht. Er steuerte direkt auf Majas Haus zu. Ich zog mein Handy hervor und schaltete es ein, bedacht darauf, den Schein der Displaybeleuchtung durch meine Jacke abzuschirmen.

‚Jemand ist auf dem Weg zum Haus.‘

‚Ihr müsst verschwinden.‘

‚SOFORT.’

Ich schickte jede der drei Textnachrichten einzeln ab in der Hoffnung, dass Bobbis Aufmerksamkeit auf diese Weise schneller geweckt wurde. Ich wagte es noch nicht, sie anzurufen. Der Wald lag still um uns. Und auch wenn die ersten Vögel ihren Lockgesang anstimmten, würde jedes andere Geräusch den Unbekannten aufhorchen lassen. Ich wollte nicht riskieren, dass er uns bemerkte. Zwar trug ich meine Waffe bei mir und hatte sie neu geladen. Jedoch hatte ich nicht vor, einen weiteren Menschen zu töten. Nicht in dieser Nacht. Nie wieder.

Ich hätte auch Swetlana schreiben können, aber ich wusste schließlich nicht, ob der Typ nicht doch mit ihr zusammenarbeitete.

Bobbi antwortete: ‚Was redest du? Wer kommt?‘

Ich konnte die Trägheit ihrer Worte fast durch die geschriebenen Buchstaben spüren. Sie war betrunken und ganz sicher nicht in der Stimmung, ein weiteres Mal zu flüchten. Es hätte mir egal sein können. Was machte es schon, wenn jemand sie fand? Und Swetlana? Was wusste ich schon von ihr? Dieser Typ konnte zu ihr gehören oder nicht. So oder so hatte sie uns auf Finn bezogen angelogen.

Und dennoch. Etwas Größeres als das hier verband uns vier.

‚Ein Typ.‘

‚Er ist in den Waldweg gefahren.‘

‚In zehn Minuten ist er beim Haus.‘

‚Verschwindet!‘

‚Kommt zum Kombi.‘

‚Bringt Luna mit.‘

‚Wir warten dort.‘

Sekunden vergingen, bevor sie antwortete. ‚Ok.‘

„Ich denke, wir können raus.“ Maja flüsterte so leise, dass das Geräusch auch vom Rauschen der Blätter in den Bäumen hätte stammen können. Erst jetzt nahm ich meine Umgebung wirklich wahr. Die toten Äste und das alte Laub unter mir. Der modrige und gleichsam frische Duft des Waldes. Die vielen kaum hörbaren Geräusche, die die akustische Kulisse zum Gesang der Vögel bildeten: das Rascheln von Blättern, ausgelöst durch Kleintiere, Majas Atem, mein eigenes Herz, das rasend klopfte.

Ich wartete noch eine halbe Minute, bevor ich antwortete. „Okay, ich denke, du hast recht.“ Ich sah zum Auto. Es bestand das geringe Risiko, dass sich eine weitere Person darin befand. „Lass uns noch ein Stück durch den Wald gehen. Bis wir hinter dem Wagen sind.“ Auch ich flüsterte so leise, wie es mir möglich war.

„Okay.“

Wir krochen auf allen Vieren über den Waldboden. Da wir es nicht wagten, die Taschenlampen einzuschalten, stießen wir auf diese Weise alle paar Meter gegen einen Baum. Meine Finger und Knie schmerzten, wenn sie auf einen harten Zweig trafen und immer wieder fasste ich in etwas Glitschiges, das ein Pilz, aber auch etwas ganz anderes sein konnte.

Ich dachte nicht darüber nach und krabbelte weiter. Wir konnten nur Schemen des Wagens erahnen, die sich dank des matten Mondlichts gegen den dahinterliegenden Wald abgrenzten. Dennoch reichte das Licht, damit wir erkannten, wann wir das Auto passiert hatten.

Etwa zehn Meter dahinter verließen wir den Wald. Wir schlichen über den Weg und ich wollte Maja weiter zum Kombi ziehen, aber sie blieb stehen.

„Was ist los?“

Sie zog etwas aus ihrer Tasche, schaltete das Display ihres Telefons ein und in dessen Schein erkannte ich ein langes Messer. Dasselbe Messer, das Bobbi benutzt hatte, um das Kaninchen zu filetieren.

Vier

BOBBI

Was zur Hölle tust du da?“ Ich hantierte mit Lunas Leine, die mich misstrauisch bei dem Versuch beobachtete, sie an ihrem Halsband zu befestigen. Ich sollte diese blöde Töle einfach hierlassen. Jedoch war ich mir durchaus bewusst, dass sie nicht unnützlich sein würde, sollte sich dort draußen tatsächlich ein weiterer Schwachmat rumtreiben, der es auf uns abgesehen hatte.

„Ich packe die Dinge zusammen, die auf uns hinweisen.“ Swetlana griff nach Finns Handy und dann nach dem von Bill. Auch Finns Geldbörse sowie die von Bill steckte sie in ihre Jackentaschen. Wir hatten Finn durchsucht, als wir ihm das klingelnde Handy aus der Hosentasche gezogen hatten, und allerlei Dinge gefunden, die sich viel besser in einem tiefen Loch im Waldboden machen würden.

„Ich hoffe, du hast nicht noch vor, Majas Dokumente zusammenzusuchen, damit keiner errät, dass dieses Haus ihr gehört.“

„Nein, aber ich werde das Blaulicht von meinem Dach nehmen.“ Sie stöhnte auf und ich ging zur Vordertür, nachdem ich alle Lichter im Wohnzimmer gelöscht hatte. Abgesehen vom Kaminfeuer. Im Eingangsbereich drehte ich den Schlüssel im Schloss, um die Tür zu verriegeln, und zog Luna mit mir zur Waschküche. Swetlana folgte uns.

Wir hatten diese Tür vor Stunden verriegelt. Ich schloss sie nun wieder auf, spähte nach draußen und verließ das Haus. Luna und Swetlana folgten mir. Ich sah zu ihr, konnte ihre Gesichtszüge aber nicht erkennen. Es war zu dunkel, auch wenn es nicht mehr lange dauern würde, bis es dämmerte.

„Wir könnten mein Auto nehmen.“ Swetlana flüsterte.

Das wäre eine Möglichkeit. Allerdings nicht die beste. „Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn der Typ nicht weiß, wie lange das Haus schon leer ist.“ Wir hatten schon eine Weile kein neues Holz in das Feuer gelegt und Lara hatte einen Großteil der Flammen mit dem Inhalt meiner Flasche gelöscht. Diese blöde Kuh. Egal, vielleicht konnten wir ihn so täuschen.

„Du hast recht. Gehen wir los.“

Zu gern hätte ich einen Blick auf den Fremden geworfen, aber die Gefahr, dass er uns entdeckte, war zu groß. Ich hatte keine Lust auf eine weitere Auseinandersetzung, die mit Blut oder toten Männern endete. Zwar hatten Laras penetrante Nachrichten mir einen ordentlichen Schub in Richtung Nüchternheit verpasst, aber ich fühlte mich nicht in der Lage dazu, einem weiteren Widersacher gegenüberzutreten. Und ehrlich? Ich hatte keine Lust dazu.

Natürlich konnte es auch einfach nur ein Nachbar sein, der sich einen Eimer Wasser für seine Kühe leihen wollte. Oder ein entfernter Verwandter, der die ganze Nacht über gefahren war und nun eine Unterkunft in Majas Waldhäuschen suchte. Vielleicht war Maja auch eine Nutte und dieser Typ einer ihrer Freier. All das war allerdings sehr unwahrscheinlich, weil er sein Auto zwanzig Minuten zu früh geparkt hatte, wobei mir die letzte Vorstellung ein Lächeln auf die Lippen zauberte.

Also gingen wir in den Wald.

Der Typ war nicht besonders schlau. Schon nach fünf Minuten sahen wir den Schein seines Handys, mit dem er den Boden vor sich beleuchtete. Luna knurrte leise. Doch ich beruhigte sie mit einem der Leckerlis, die ich in Majas Küche gefunden hatte. Es war mir ratsam erschienen, ein paar Bestechungsmittel für den Dobermann mitzunehmen. Die Doberfrau? War es nicht sehr unfeministisch, eine Hündin als Mann zu bezeichnen? Allerdings war diese ein Hund, den ich nicht vorhatte, zu mögen.

Wir warteten ab, bis der Fremde an uns vorbeigelaufen war. Doch etwa auf unserer Höhe blieb er stehen. Er sah sich um, leuchtete mit der Taschenlampe um sich. Wieder knurrte Luna und ich ließ sie einen weiteren Hundekuchen aus meiner Hand fressen. Ihr widerlicher Hundesabber benetzte meine Haut und ich wischte ihn an ihrem Fell ab. Auch das passierte alles nicht geräuschlos, aber man konnte das Rascheln für die Laute eines wilden Tieres halten.

Der Typ sah nun direkt in unsere Richtung. Ich machte mich kampfbereit. Bereit, Luna auf ihn zu hetzen und ihr, wenn nötig, mit erhobener Waffe in der Hand zu folgen. Doch im nächsten Moment wandte er sich ab. Swetlana und ich hielten eine weitere Minute inne und verließen dann den Wald, um auf dem Weg in Richtung Straße zu gehen. Nach wenigen Minuten verfielen wir in einen schnellen Trab und erreichten das Auto des Fremden kurze Zeit später.

Swetlana schaltete eine Taschenlampe ein. Eine echte, nicht die Attrappe auf ihrem Handy. Sie leuchtete damit in der Gegend herum. „Maja, Lara, seid ihr hier?“

Das Geräusch von Schritten, die über weichen Boden traten, drang zu uns und einen Moment später tauchte Maja mit einem Messer in der Hand hinter dem Auto auf. Swetlana leuchtete in ihr Gesicht. „Wo ist Lara?“

Fünf

Ich versuchte weiter ihn zu erreichen. Irgendwo musste dieser Kerl sein. Das Haus lag verlassen, auch wenn ich durch das Wohnzimmerfenster den Schein eines verglimmenden Feuers ausmachen konnte. Nichts wies darauf hin, dass sich jemand im Inneren befand. Vor dem Haus standen zwei Autos. Ein SUV mit einem regionalen Kennzeichen. Das andere Auto stammte aus einem Landkreis weiter östlich. Deutlich weiter östlich.

Das Freizeichen wurde von der Mailbox abgelöst und im nächsten Moment klingelte mein eigenes Telefon.

„Ja.“

„Was ist?“ Er klang ungehalten und das machte mir Angst. Wenn ich ihm nicht lieferte, was er erwartete, würde er nicht lange darüber nachdenken müssen, wie er den Druck auf mich erhöhen konnte.

Ihn zu belügen würde mich jedoch ebenso wenig weiterbringen. „Es ist niemand im Haus.“

„Was soll das heißen, es ist niemand im Haus?“ Er schrie nicht. Das war nicht seine Art. Er schaffte es, allein durch die Intensität seiner Stimme eine Bedrohlichkeit zu erzeugen, die mich frösteln ließ. Wie hatte ich mich nur jemals auf ihn einlassen können?

„Das Haus ist verlassen. Im Wohnzimmer brennt der Rest eines Kaminfeuers. Sonst leuchtet kein Licht. Die Vordertür ist verschlossen. Es scheint sich niemand im Haus zu befinden.“

„Was ist mit einem Seiteneingang?“

Ich ging um das Haus herum und entdeckte eine weitere Tür. „Moment, hier ist noch eine Tür.“ Es war zu dunkel, um etwas zu erkennen. „Ich brauche das Licht der Handy-Taschenlampe.“

„Wann besorgst du dir endlich eine vernünftige Ausrüstung?“

Ich reagierte nicht auf seinen Vorwurf und richtete das Licht auf die Tür. Das Fensterglas daneben war kaputt. Ich leuchtete ins Innere. Von innen war ein Türknauf angebracht. Ich griff vorsichtig durch das Loch und versuchte, ihn zu drehen. Es funktionierte und die Tür öffnete sich einen Spalt weit.

„Was machst du?“ Seine Stimme drang leise zu mir. Nicht leise genug.

„Ich melde mich später.“ Mit diesen Worten beendete ich den Anruf und drückte langsam die Tür auf. Dann zog ich die Waffe aus meiner Jackentasche, entsicherte sie und zielte in die Dunkelheit vor mir. Nichts war zu sehen und ich wagte es nicht, den Raum mit dem Handylicht auszuleuchten. Also steckte ich das Gerät in die nun leere Tasche und tastete mich langsam durch den Raum.

Nach ein paar Schritten betrat ich ein anderes Zimmer, vermutlich den Eingangsbereich. Vor mir drang der Schein des Feuers aus dem Wohnzimmer über den Holzboden, erhellte ihn aber nicht ausreichend.

Ich schlich langsam weiter, bis ich mit dem Fuß gegen etwas Weiches stieß. Mein Blick glitt nach unten und ich konnte die Konturen von etwas ausmachen, das in etwa so groß sein musste wie ich. Ich stöhnte auf, als mir klar wurde, worauf ich gestoßen war.

Ich zog das Handy wieder hervor. Die Lampe brannte noch immer und beleuchtete nun, was vor mir lag. Ein Tuch bedeckte den Körper. Es war hell, wodurch sich die Blutflecke besonders gut auf ihm abzeichneten. Ich zog es vorsichtig zur Seite und leuchtete dem Toten ins Gesicht. Es war Finn, jetzt erinnerte ich mich an ihn. Und an seinen Bruder.

Verdammte Scheiße!

Ihm würde das gar nicht gefallen.

Fast tat es mir leid, die Frauen im Wald laufen gelassen zu haben. Ich hatte deutlich das Knurren eines Hundes gehört und schon zuvor die Stimmen zweier Frauen vernommen. Aber ich hatte nicht vorgehabt, eine von ihnen verschwinden zu lassen. Es ging nur um Finn. Ich hatte keine Ahnung, was er von Henrys Tochter wollte. Oder von den anderen. Es war mir auch egal. Meine Aufgabe bestand darin, nach ihrem Bruder zu suchen. Und das hatte ich getan. Ich hatte ihn gefunden.

Ich lief durch die restlichen Räume, fand sie jedoch verlassen vor. Ich hatte nichts anderes erwartet. Schließlich setzte ich mich in einen der Sessel im Wohnzimmer, schaltete die Taschenlampe aus und wählte seine Nummer.

„Das machst du nicht noch einmal.“

„Er ist tot.“

Für einen Moment verschlugen ihm diese Worte die Sprache. Dann sagte er: „Was soll das heißen, er ist tot?“

„Er liegt unter einem Leichentuch blutüberströmt im Eingangsbereich.“

„Wo sind die Frauen?“

Ich lächelte, denn es vermittelte mir ein Gefühl von Macht, sie entkommen lassen zu haben. Natürlich wusste er das nicht. Sie konnten vor Stunden verschwunden sein. „Sie sind weg.“

„Dann such sie.“

„Das habe ich. Es gibt keine Spur von ihnen.“

„Dann such im Wald.“

Für einen Moment überlegte ich, wie ich darauf reagieren sollte, aber dann kam er selbst zur Besinnung. „Nein, warte. Wir müssen uns um die Leiche kümmern.“

Ein Laut drang aus meiner Kehle. „Warum?“

„Weil man uns mit ihm in Verbindung bringen könnte.“

Ich ballte die freie Hand zu einer Faust. „Warum das?“

Er verriet es mir nicht. „Du wirst ihn in den Wald schaffen, ein Loch graben und ihn so tief verbuddeln, dass ihn niemand ausgräbt. Danach sorgst du dafür, dass auch im Haus alle Spuren verschwinden.“

Ich stand auf und ging in den Eingangsbereich. Finn lag auf einem beigefarbenen Teppich. Ich würde ihn mit ihm begraben müssen und hoffte, dass er das gesamte Blut aufgefangen hatte. Ganz sicher hatte ich keine Lust, die Dielen abzuschleifen.

„Was noch?“

„Na, na, na, wer wird denn da so patzig auf meine Befehle reagieren?“

Ich wollte auflachen. Befehle. Es klang so lächerlich. Aber letztendlich war es das. Er gab mir Befehle. Und ich befolgte sie, damit er mich nicht verriet und meine Familie in Ruhe ließ. „Das könnte ein paar Tage dauern.“

„Du hast Zeit bis morgen Abend.“

Dieser Drecksack. „Ich werde das Loch erst heute Abend graben können. Es dämmert und ich habe keine Lust, von einem Spaziergänger dabei beobachtet zu werden, wie ich Finn ein Grab buddele.“

„Morgen Abend erwarte ich dich zurück. Und sieh zu, dass du etwas über die Weiber herausfindest.“ Er beendete das Gespräch.

„Scheiße!“ Ich brüllte, kickte dabei gegen Finns Körper und verfluchte mich selbst. Ich sollte verschwinden. Ich sollte die Polizei rufen. Ich sollte meine Familie holen und abhauen. Aber er würde mich finden. Und dann würde ich genauso enden wie dieser Loser vor mir.

Sechs

LARA

Ich bin hier.

---ENDE DER LESEPROBE---