John Sinclair 2419 - Stephen Kruger - E-Book

John Sinclair 2419 E-Book

Stephen Kruger

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Beschreibung

Seit Jahren erfreuen sie sich in London immer größerer Beliebtheit: Silent Discos!
Überall finden die Events statt - in Clubs, Restaurants, sogar in Museen. Menschen tanzen gemeinsam in einem stillen Raum, hören dabei über Kopfhörer die Musik, zu der sie sich auf der Tanzfläche bewegen.
Der Veranstalter Clyde Thicklein witterte früh das dicke Geschäft mit diesem Konzept und brachte es so innerhalb kürzester Zeit zum millionenschweren Unternehmer. Dann aber ließ er sich auf den falschen Partner ein. Denn der war kein Mensch, sondern ein Dämon - und verfolgte mit dieser Zusammenarbeit ein teuflisches Ziel!
Von da an brachten die Silent Discos den Tanzenden nicht nur heiße Beats, sondern auch eiskalten Horror ...

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Inhalt

Cover

Silent Horror Disco

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Silent Horror Disco

von Stephen Kruger

Seit Jahren erfreuen sie sich in London immer größerer Beliebtheit.

Silent Discos!

Überall finden die Events statt: in Clubs, Restaurants, sogar in Museen. Menschen tanzen gemeinsam in einem stillen Raum, hören dabei über Kopfhörer die Musik, zu der sie sich auf der Tanzfläche bewegen.

Der Veranstalter Clyde Thicklein witterte früh das dicke Geschäft mit diesem Konzept und brachte es so innerhalb kürzester Zeit zum millionenschweren Unternehmer. Dann aber ließ er sich auf den fal‍schen Partner ein. Denn der war kein Mensch, sondern ein Dämon – und verfolgte mit dieser Zusammenarbeit ein teuflisches Ziel.

Von da an brachten die Silent Discos den Tanzenden nicht nur hei‍ße Beats, sondern auch eiskalten Horror ...

Sie wollte Spaß und dachte nicht an den Tod!

Nancy Bulham feierte für ihr Leben gern. Für die 22-Jährige aus Shepherd's Bush, die sich das Geld für ihr WG-Zimmer mit zwei schlecht bezahlten Jobs verdiente, war am Wochenende Partytime. Und noch wichtiger als heiße Typen und coole Drinks war für sie gute Musik. Denn Tanzen war ihre Leidenschaft. Da konnte sie den öden Alltag mit all seinen nervigen Pflichten hinter sich lassen und einfach nur für den Moment leben.

Der Club, den sie an diesem Freitagabend betrat, war recht neu und befand sich nicht in irgendeinem runtergekommenen Schuppen in Soho, sondern in der altehrwürdigen County Hall direkt neben der Westminster Bridge am Süd‍ufer der Themse. Einst der Sitz des Lon‍don Council, wurde das Gebäude inzwischen für verschiedene Vergnügungseinrichtungen genutzt.

In diesem Teil des Gebäudes hatte sich bis vor einem Jahr unterhalb eines Fast-Food-Restaurants eine Arcade-Halle befunden. Nachdem die ihre Pforten geschlossen hatte, war der neue Club reingekommen.

Quiet Noise.

So der Name des Ladens. Und der war Programm. Die laute Musik und die dröhnenden Bässe drangen in dem Club nämlich nicht aus riesigen Lautsprechern, sondern aus Kopfhörern, die die Tanzenden aufhatten.

Das kam gut an, auch bei Nancy. Sie liebte Silent Discos, denn im Gegensatz zu normalen Clubs musste nicht jeder das Gleiche hören, sondern konnte aus verschiedenen Musikrichtungen wählen. Sie selbst stand vor allem auf Dark Wave aus den 80ern und 90ern, wie ›The Cure‹ oder ›The Sisters of Mercy‹, und Alternative Rock. Das aber wurde nicht mehr in allzu vielen Londoner Clubs gespielt, die immer kommerzieller wurden. Im ›Quite Noise‹ war das kein Problem.

Dreimal war Nancy schon hier gewesen. Nicht zuletzt, weil der Laden aufgrund seiner Nähe zu Sightseeing-Attraktionen wie dem London Eye vor allem bei Touristen beliebt war. Und das hatte seine Vorteile! Denn bei Touri-Boys, wie einheimische junge Frauen wie Nancy gern sagten, konnte man meistens gut was abstauben. Die gaben gerne Getränke aus, und man hatte sie hinterher nicht noch wochenlang an der Backe kleben.

Nancy kannte sich also schon aus, als sie in der County Hall die schmale lange Treppe hinunterstieg, die zum Club führte. Die Sohlen ihrer Doc Martens verursachten ein leichtes Quietschen auf den Stufen, sonst war nichts zu hören. An den schwarz gestrichenen Wänden links und rechts der Treppe hingen elektrische Fackeln, die flackerndes Licht verbreiteten.

Nancy war noch nicht unten angekommen, als sie plötzlich ein ungutes Gefühl beschlich. Gleichzeitig wurde ihr eiskalt. Doch es war keine normale Kälte. Nicht so, wie man fror, wenn man im Winter draußen war. Die Kälte kam mehr von innen heraus. Außerdem glaubte Nancy plötzlich, beobachtet zu werden.

Sie blieb auf einer Stufe stehen und blickte über die Schulter nach oben. Niemand zu sehen. Sie war allein.

Kopfschüttelnd ging sie weiter.

Die Treppe endete vor einer schwarzen Metalltür, auf der in Leuchtfarbe das Logo des Clubs gemalt war: ein Kopfhörer, aus dem Blitze schossen.

Neben der Tür gab es einen Klingelknopf, den Nancy betätigte. Ein Summen ertönte, und sie drückte die Tür auf.

Im Grunde unterschied sich der Club nicht von den meisten anderen. Eine kleine Kabine, an der man den Eintritt bezahlte, eine Garderobe, wo sie Jacke und Tasche abgab. Der wesentliche Unterschied bestand darin, dass man an der Garderobe dann kabellose Over-Ear-Kopfhörer bekam. Diese setzte sich Nancy auf, doch noch war nichts zu hören. Wie sie wusste, hatten die Kopfhörer nur Empfang, wenn man sich auf der Tanzfläche befand.

Als sie schließlich durch einen dicken schwarzen Vorhang in den eigentlichen Clubbereich trat, herrschte dort schon dichtes Gedränge. Die Tanzfläche war brechend voll, die Körper der Tanzenden zuckten im Stroboskoplicht, das es aussehen ließ, als würde der Nebel, der aus Düsen im Bodenbereich drang, wie in Zeitlupe in die Höhe steigen. In Verbindung mit der Tatsache, dass keinerlei Musik zu hören war und sich zudem jeder in einem anderen Rhythmus bewegte, wirkte die Szenerie im ersten Moment ein bisschen komisch, fast schon comedyhaft. Aber daran gewöhnte man sich schnell.

Im hinteren Bereich gab es eine kleine Bar, zudem mehrere Nischen, wo man sich zum Verschnaufen hinsetzen konnte, wenn man das Glück hatte, einen Platz zu ergattern. Stimmengewirr und Gelächter drangen von dort zu Nancy herüber.

Das Herz des Clubs aber war das DJ-Pult. Es stand mitten auf der Tanzfläche auf einem Podest, sodass man es auch von Weitem über die Köpfe der Tanzenden hinwegsehen konnte, und drehte sich ununterbrochen im Uhrzeigersinn. An dem Pult wurde die Musik für die verschiedenen Kanäle aufgelegt.

Der DJ hatte ebenfalls einen Kopfhörer auf und wippte im Takt einer Musik, die nur er hören konnte. Die ganzen Songs kamen von einem Laptop, neben dem ein neongrüner Totenkopf auf einem schwarzen Kasten stand.

Nancy runzelte die Stirn. Der Schädel war ihr bei ihren vorherigen Besuchen nicht aufgefallen. Vermutlich wechselten die DJs und brachten jeweils ihre eigenen Laptops samt irgendwelchen Accessoires mit. Eigentlich auch etwas, das ihr egal sein konnte – wenn es nicht plötzlich wieder da gewesen wäre: das Gefühl, beobachtet zu werden. Und diesmal wusste sie auch, wer – oder was – sie beobachtete.

Der Totenkopf!

Er schien sie über die Tanzenden hinweg direkt anzustarren, und in den leeren Augenhöhlen flackerte es dabei dämonisch auf.

Was für einen Unfug sponn sie sich da zusammen? Der Schädel beobachtete sie nicht, das war unmöglich! Es war reiner Zufall, dass er genau in dem Moment, in dem sie hinsah, in ihre Richtung ›blickte‹. Im nächsten Moment drehte sich das Podest auch schon weiter, und der unheimliche Augenblick war vorüber.

Sie betrat die Tanzfläche. Sofort drangen ihr durch den Kopfhörer hämmernde Beats und eine wummernde Bassline ans Ohr.

Sie verzog das Gesicht. Nein, der Sound war so gar nicht ihr Ding. Über einen Knopf am Kopfhörer sprang sie zum nächsten Kanal weiter, auf dem Chart-Pop gespielt wurde. Beim übernächsten landete sie mitten in Tori Amos' ›Cornflake Girl‹ und nickte.

Ja, schon besser. Automatisch verfiel Nancy in den richtigen Rhythmus und tat das, was sie so sehr liebte.

Tanzen!

Das Gefühl, eins zu sein mit der Musik, war für sie das Größte. Da konnte sie alles vergessen und einfach nur sie selbst sein. So auch jetzt wieder.

Bis ihr Blick erneut auf das DJ-Pult fiel – und sie direkt in die leeren Augen des Totenschädels sah, in denen es immer noch dämonisch flackerte.

Sofort war es wieder da, das ungute Gefühl, das sie vorhin schon gehabt hatte. Aber übertrieb sie da nicht? Das Flackern kam doch sicher von den bunten Scheinwerfern, die die gesamte Tanzfläche anstrahlten. Und dass sie genau in dem Moment erneut zum Pult blickte, als der Totenschädel wieder auf sie gerichtet war, konnte doch nur Zufall sein.

Ein Zufall, nichts weiter. Oder?

Während die Tanzenden um sie herum weiter feierten, stand Nancy stocksteif da und wartete darauf, dass sich die Illusion im Nebel und den zuckenden Scheinwerfern verlor. Doch nichts dergleichen geschah. Das Pult drehte sich nicht mehr, und noch immer hatte sie das Gefühl, dass die Augen dieses scheußlichen Schädels sie anstarrten, ja, sie regelrecht durchbohrten.

Ein eisiger Schauer überlief sie. Taumelnd wich sie ein Stück nach links, in der Hoffnung, dadurch dem seltsamen Phänomen zu entkommen. Doch zu ihrem Entsetzen drehte sich das DJ-Pult in dem Moment wieder, und der Blick des Schädels folgte ihr.

Sie schüttelte den Kopf. Nein, das musste Zufall sein. Hastig stolperte sie in die entgegengesetzte Richtung und prallte dabei fast in einige der anderen Tänzer, die jedoch in ihrer eigenen Welt versunken zu sein schienen und sie gar nicht richtig wahrnahmen.

Gehetzt blickte Nancy wieder zum Pult – und ein heiseres Keuchen entfuhr ihr, als sie sah, wie es sich wieder drehte, diesmal aber entgegen dem Uhrzeigersinn. Und noch immer starrten diese bösartigen Augen sie an.

Jetzt wurde es Nancy wirklich unheimlich zumute. Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen! Aber was ...

Am besten, sie verschwand erst mal von der Tanzfläche und legte an der Bar eine Pause ein – weit weg von diesem gruseligen Totenkopf!

Sie wollte sich gerade einen Weg durch die Menge der Tanzenden bahnen, als die Musik in ihrem Kopfhörer abbrach und stattdessen eine Stimme erklang.

»Nancy ...«

Die junge Frau verharrte. Im ersten Moment war sie sich nicht sicher, die Stimme überhaupt gehört zu haben. Dann, als sie ihren Namen erneut vernahm, sah sie sich um. Hatte jemand sie angesprochen? Doch schließlich erkannte sie, dass die Stimme tatsächlich aus ihrem Kopfhörer erklungen war.

»Sieh mich an, Nancy ...«

Wie automatisch ging ihr Blick wieder hinüber zum DJ-Pult, das sich nun nicht mehr drehte. Und als die Stimme ein weiteres Mal erklang, beobachtete Nancy fassungslos, wie sich der Kiefer des Totenkopfs bewegte.

Der verfluchte Schädel sprach zu ihr!

»Komm zu mir, Nancy ...«

Erneut erklang die Stimme direkt an ihren Ohren. Gleichzeitig wurde Nancy wie magisch von dem Totenschädel angezogen.

Ihr Vorhaben, die Tanzfläche zu verlassen, war mit einem Mal vergessen. Stattdessen drängte sich die junge Frau durch die Menge der zuckenden Leiber zur Mitte der Tanzfläche durch. Bunte Lichter flackerten um sie herum, der DJ wippte im Takt eines Beats, der nur für ihn hörbar aus seinem Kopfhörer drang, doch das alles nahm Nancy gar nicht wirklich wahr. Die Welt um sie herum war praktisch nicht mehr existent. Es gab nur noch diesen Totenschädel für sie.

Unmittelbar davor blieb sie stehen. Blickte dem Schädel in die leeren Augenhöhlen. Nein, leer waren sie nicht. Flammen flackerten darin.

Ein Schwindelgefühl überkam Nancy, während sie darauf wartete, dass erneut die Stimme erklang. Doch das geschah nicht. Dafür drang nun wieder Musik aus ihrem Kopfhörer. Aber diesmal eine andere. Nicht mehr die, die sie ausgewählt hatte, sondern eine düstere, eintönige Melodie. Ein ermüdender Singsang, der sich beinahe sofort in Nancys Sinne fraß und das Schwindelgefühl, das sie verspürte, noch verstärkte.

Innerhalb von Sekunden spürte die junge Frau die Veränderung in sich. Die Anspannung schwand, stattdessen wurde sie von einer enormen Trägheit ergriffen. Sie wollte ihre Beine bewegen, schaffte es aber nicht. Auch die Arme hingen schlaff herunter, ihr fehlte jegliche Kraft, sie konnte nicht mal den kleinen Finger rühren.

Stattdessen stand sie einfach nur reglos da.

Sekunden.

Minuten.

Bis sich ihre Glieder plötzlich von allein bewegten.

Wie fremdgesteuert ging sie los. Ihre Bewegungen erinnerten an die eines Roboters, als sie, ohne wirklich zu wissen, was sie da tat, die Tanzfläche verließ.

Sie fand sich vor der Garderobe wieder. Die junge Frau wunderte sich nicht darüber, dass ihr ein Mann sofort ihren Rucksack gab. An ihre Jacke dachte sie gar nicht. Sie machte auch keine Anstalten, ihren Kopfhörer abzugeben, und niemand sprach sie darauf an. Dass der Kopfhörer außerhalb der Tanzfläche noch Empfang hatte, nahm sie einfach als gegeben hin, während sie den Club verließ, wobei die monotone Melodie weiter an ihre Ohren drang.

Kühle Nachtluft empfing sie, als sie ins Freie trat. Der fast volle Mond stand hoch am nachtschwarzen Himmel, warf seinen silbrigen Schein auf das South Bank Areal.

Eine kleine Treppe führte vom Ausgang der County Hall hinunter zur Promenade. Am Fuß der Treppe blieb Nancy stehen. Wenn sie geradeaus sah, blickte sie auf eine niedrige Mauer, hinter der die Themse verlief. Nebelschwaden stiegen vom Fluss in die Höhe. Im Schein des fast vollen Mondes wirkten sie wie umherirrende Geister.

Passanten flanierten auf der Promenade oder standen an der Mauer und blickten auf das nachtschwarze Wasser hinunter.

Kurz sah Nancy nach rechts. Dort ragte das in wechselnden Farben beleuchtete London Eye in die Höhe, während links von ihr nach einigen Metern eine Treppe hoch zur auch um diese Zeit noch viel befahrenen Westminster Bridge ging, hinter der sie den hell angestrahlten Palace of Westminster mit seinem berühmten Glockenturm sah.

Als Big Ben zur Mitternacht schlug, nahm Nancy Bulham ihren Rucksack ab, drehte sich um und stellte ihn auf eine der Stufen ab, die sie gerade hinuntergekommen war. Kein Laut der Überraschung entwich ihrer Kehle, als sie ihn öffnete und darin etwas vorfand, das sie dort gar nicht hineingelegt hatte.

Ein langes, spitz zulaufendes Messer. Die silberne, beidseitig geschliffene Klinge blitzte im Mondlicht.

In dem Moment erklang wieder die Stimme an ihren Ohren und übertönte den monotonen Singsang.

Es war nur ein einziges Wort, das Nancy vernahm.

»Töte!«

Entschlossen nickte Nancy, während ihre Finger den Griff des Messers umschlossen ...

Die Irre glotzte genau in ihre Richtung!

Rebecca Griffins, von ihren Freunden meistens nur Becca genannt, spürte, wie eine Gänsehaut über ihren Rücken kroch.

Zusammen mit ihrem Freund Kevin lehnte sie an der niedrigen Kaimauer, die den South Bank Walk von den grauen Fluten der Themse abgrenzte.

Ja, die junge Frau, die gerade aus dem Gebäude gegenüber getreten war, wirkte echt merkwürdig. Nicht vom Aussehen her, das war eigentlich ganz normal. Skinny Jeans, schwarzes Crop Top und Doc Martens. Sie trug einen Over-Ear-Kopfhörer mit weißen Ohrmuscheln, die irgendwie von innen heraus zu glühen schienen, hörte aber offenbar keine Musik, die sie zum Mitwippen oder Mitsummen animierte. Sie stand einfach nur stocksteif da, wirkte dabei fast wie hypnotisiert.

»Ist irgendwas?«, fragte Rebeccas Freund Ben, dem nicht entging, wie sie sich versteifte.

»Die Frau da«, stieß sie heiser hervor. »Mit der stimmt doch was nicht.«

Ben folgte ihrem Blick, zuckte dann aber nur mit den Schultern. »Was soll mit der nicht stimmen?«

»Da fragst du noch? Sieh doch nur, wie sie uns anstarrt! Wobei es fast den Eindruck macht, als sieht sie uns gar nicht. Als würde sie durch uns hindurchblicken!«

»Wahrscheinlich hat sie irgendwas eingeworfen oder so. Komm, Becca, ich lenk dich ein bisschen ab.« Ben baute sich grinsend vor ihr auf, legte die Hände auf ihre Hüften und zog sie zu sich heran.

Rebecca ließ es geschehen, und als er sie küsste, schloss sie die Augen und gab sich einfach den köstlichen Gefühlen hin, die sein Kuss in ihr auslöste.

Sie fühlte sich wie elektrisiert, als sich ihre Zungen trafen. Flatternd hob sie die Lider – und atmete scharf ein, als sie sah, dass die Frau jetzt direkt hinter Ben stand, der plötzlich innegehalten hatte, was sie aber nur am Rande registrierte.

Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dieser Frau. Großer Gott, was war mit ihrem Gesicht? Das war kein normales Gesicht mehr, sondern eine grauenerregende Fratze, die kaum noch etwas Menschliches hatte. Wie geschmolzenes Wachs, und in den Augen schien ein dämonisches Feuer zu lodern.

Mit einem heiseren Keuchen legte Rebecca die Hände auf Bens Brust und machte sich abrupt von ihm los. »Scheiße, was ...?«

Sie verstummte.

Die Frau. Sie war fort. Aber wie ...? Rebecca hatte doch nur einen Moment nicht hingesehen.

»Das war jetzt echt schräg«, sagte sie zu Ben und schüttelte den Kopf. »Hast du ...?«

Ein Zucken durchlief Bens Körper. Seine Augen rollten in den Höhlen, bis Rebecca nur noch das Weiße darin sehen konnte. Dann stieß er ein heiseres Röcheln aus ...

Und im nächsten Moment drang ein Schwall Blut aus seinem Mund!

»Ben!«, schrie Rebecca vor Entsetzen, als er vor ihr zusammensackte. »Ben, was ist los?«

Sie versuchte, ihn zu halten, aber sie konnte seinen Sturz nur verlangsamen, nicht stoppen.

Zuerst ging er in die Knie, dann sackte er zur Seite weg. Ein Zucken durchlief seinen Körper, dann rollte er auf den Bauch.

Erst da sah Rebecca Griffins das große Messer, das in seinem Rücken steckte.

Blut quoll aus der Wunde.

Rebecca schrie.

Als die Frau mit dem brennenden Kopf am Straßenrand auf der Westminster Bridge auftauchte, war Roy Hodger im ersten Moment nicht mal überrascht.

Der sechzigjährige Mann war Busfahrer. Und das seit mehr als fünfunddreißig Jahren. Da wunderte ihn längst nichts mehr. Wenn man so lange Zeit jeden Tag zehn Stunden auf Londons Straßen unterwegs war, hatte man fast alles schon mal gesehen: Betrunkene, die nackt über die Straße rannten oder seinen Bus mit einer öffentlichen Toilette verwechselten, Touristen, die für ein Urlaubsfoto auf die berühmten steinernen Löwen am Trafalgar Square kletterten und dabei riskierten, sich den Hals zu brechen, oder die sich für ein Selfie so weit über die Brüstung der Tower Bridge lehnten, dass sie beinah in die Themse stürzten ...

Wobei das noch die harmloseren Sachen waren. Natürlich passierte auch wirklich Schlimmes. Da musste Roy nur an zurückliegende Terroranschläge denken. Nie würde er das Bild des zerfetzen Busses am Tavistock Square vergessen. Danach hatte er monatelang Angst gehabt, zur Arbeit zu gehen.

Manchmal warfen sich auch Lebensmüde vor einen fahrenden Bus. Hodger wusste von Kollegen, die nach einem solchen Vorfall nie mehr froh geworden waren.

Zum Glück war ihm so etwas noch nie passiert. Sein Wunsch war, dass das die paar Jahre bis zu seinem Ruhestand noch so blieb.