Julia Exklusiv Band 306 - Jane Porter - E-Book

Julia Exklusiv Band 306 E-Book

Jane Porter

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Beschreibung

SO HEIRATET MAN EINEN MILLIARDÄR von BIANCHIN, HELEN Nach nur 72 Stunden ließ Kayla ihre Ehe mit dem Milliardär Duardo Alvarez annullieren, weil sie sich hintergangen fühlte. Jetzt ist sie völlig verarmt, wird von Gläubigern verfolgt. Ihr Ex-Mann verspricht Hilfe - zu einem hohen Preis: Er will die Ehe … nicht nur auf dem Papier! EINE LIEBE FÜRS LEBEN von WILLIAMS, CATHY Charlotte traut ihren Augen nicht, als sie bei einer Hausbesichtigung in London plötzlich ihre erste große Liebe Riccardo di Napoli wiedersieht. Sofort sind all die Gefühle von damals wieder da: die Wut, dass er sie so einfach gehen ließ - und diese unvernünftige Sehnsucht nach seiner Nähe. Doch Riccardo und seine adlige Familie dürfen auf keinen Fall von ihrem Geheimnis erfahren! MEIN GEHEIMNISVOLLER GELIEBTER von PORTER, JANE Rettung in letzter Sekunde! Der feurige Spanier Alonso hat die hübsche Sophie aus den Händen von Kidnappern befreit. Auf ihrer gemeinsamen Flucht fühlt sich Sophie mit jeder Berührung mehr zu ihrem Retter hingezogen. Doch noch weiß sie zu wenig über ihn, um dem Begehren nachzugeben ...

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Seitenzahl: 568

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Helen Bianchin, Cathy Williams, Jane Porter

JULIA EXKLUSIV BAND 306

IMPRESSUM

JULIA EXKLUSIV erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Erste Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg, in der Reihe: JULIA EXKLUSIV, Band 306 – 2019

© 2006 by Helen Bianchin Originaltitel: „Purchased by the Billionaire“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Iris Pompesius Deutsche Erstausgabe 2007 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 273

© 2007 by Cathy Williams Originaltitel: „The Italian Billionaire’s Secret Love-Child“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Alexa Christ Deutsche Erstausgabe 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1839

© 2003 by Jane Porter Originaltitel: „The Spaniard’s Passion“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Susanne Oppermann Deutsche Erstausgabe 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1637

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 01/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733713188

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

So heiratet man einen Milliardär

1. KAPITEL

Kayla erblasste. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich Unglaube, dann Entsetzen, schließlich Furcht. „Was? Was hast du getan?“

„Denk bloß nicht, dass es mir leichtgefallen wäre, zu Duardo Alvarez zu gehen und ihn um Hilfe zu bitten.“

Jacobs fast ärgerlich ausgesprochene Erklärung traf sie wie ein Schlag. Sie schwankte zwischen Wut und Verzweiflung.

Duardo Alvarez.

Schon allein der Name jagte ihr eiskalte Schauer über den Rücken.

Was für einen Aufstieg er hinter sich hatte! Vom Jungen aus ärmlichen Verhältnissen zum Unternehmer und Millionär mit Wohnsitzen rund um den Globus.

Alvarez war einmal ihr Ehemann gewesen. Und jetzt der allerletzte Mensch, der geeignet wäre, ihr oder ihrem Bruder zu helfen. „Warum, um Himmels willen, hast du das getan?“

„Ich hatte keine andere Wahl.“

Jacobs Stimme klang gequält, und Kaylas Magen zog sich vor Mitleid schmerzhaft zusammen.

Du liebe Güte!

Sie hatte ihren Exmann zuletzt bei einem traurigen Anlass gesehen: Während der Beerdigung ihres Vaters. Zu der waren nur wenige wirklich Trauernde, aber eine Menge Neugieriger gekommen. Sie selbst hatte versteinert vor Kummer das Ganze nur überstanden, weil sie wie ein Automat funktionierte.

Seitdem hatte es keinerlei Kontakt mehr zwischen Alvarez und ihr gegeben. Sie legte auch keinen Wert darauf.

„Jacob, verdammt noch mal. Wie konntest du nur?“

Ihr Bruder schwieg.

Sie drang nicht weiter in ihn. In neun Minuten fuhr ihre Bahn. Wenn sie die nicht erreichte, kam sie zu spät zur Arbeit. Deshalb legte sie sich den Riemen ihrer Tasche um die Schulter und griff nach der Jacke. „Wir sprechen später weiter.“

Jacob hielt ihr einen Zettel hin. „Duardos Telefonnummer. Ruf ihn mittags an.“

Das würde sie gewiss nicht tun. Eher sollte die Hölle gefrieren.

„Bitte!“ Ihr Bruder sah sie verzweifelt an.

Kayla nahm den Zettel und steckte ihn ein. „Du verlangst viel von mir.“ Viel zu viel. Sie fühlte sich überfordert.

Ohne ein weiteres Wort verließ sie die kleine Zweizimmerwohnung und rannte die Treppen hinunter. Einen Fahrstuhl gab es nicht. Auch der Vorort, in dem sie jetzt wohnten, war schäbig. Ihr Weg führte an terrassenförmig angelegten alten Häusern vorbei. Sie machten einen vernachlässigten und heruntergekommenen Eindruck.

Nichts, aber auch gar nichts hier erinnerte an Kaylas früheres Leben.

Vor fünf Jahren hatte sie noch zu einer der reichsten Familien in Sydney gehört. Und die Enright-Smythes waren gern gesehene Gäste gewesen. Damals, mit zweiundzwanzig Jahren, besaß sie schon einen Abschluss in Betriebswirtschaft und bezog ein beachtliches Gehalt für einen eher symbolischen Posten im Unternehmen ihres Vaters.

Sie gehörte zur Highsociety, ließ keine Party aus, verschwendete Unsummen für Kleidung, reiste viel und ließ sich von Männern umschwärmen. Ihr Leben war das eines glanzvollen Schmetterlings gewesen.

Bis Duardo Alvarez die Bühne betreten hatte.

Er war damals Mitte dreißig, gab sich geistreich und stand davor, im Finanzsektor der Stadt eine Position zu erobern. Doch man munkelte über seine Vergangenheit und spekulierte über Verbindungen zur New Yorker Halb- und Unterwelt während seiner Jugend.

Alvarez war alles andere als der Mann, den sich Kaylas Eltern für ihre einzige Tochter gewünscht hatten.

Und das hatte Kayla in diesen Jahren der Aufmüpfigkeit und Langeweile besonders gereizt.

Sie fühlte sich zu ihm hingezogen. Schon allein, weil ihn der Ruch des Verbotenen umgab. Er stachelte ihren Ehrgeiz an, und Kayla wollte ihn erobern. Es gelang ihr, ohne die Selbstbeherrschung zu verlieren und sich ihm körperlich hinzugeben. Aber dann war sie so verrückt gewesen, seinen Antrag anzunehmen, mit ihm nach Hawaii zu fliegen und ihn zu heiraten.

Zweiundsiebzig Stunden später war ihr Glück dann schon zu Ende.

Ihre Mutter Blanche war nach wenigen Stunden auf der Intensivstation einem Herzinfarkt erlegen. Für diesen Schicksalsschlag machte Benjamin Enright-Smythe seine Tochter verantwortlich. Sowohl im Familienkreis als auch öffentlich bezeichnete er ihre Heirat als verhängnisvolle und folgenschwere Torheit.

Kayla nahm sich den Vorwurf zu Herzen. Sie litt unter Schuldgefühlen. Der Gedanke, ihre überstürzte Hochzeit habe den Tod der Mutter verursacht, quälte sie maßlos. Und sie vermisste ihre Mutter, denn sie war nicht nur ihre Vertraute und Freundin gewesen, sondern auch Vermittlerin zwischen Vater und Tochter. Immer wieder waren die beiden aneinandergeraten. Der überhebliche Benjamin und die trotzige Kayla.

Nach der Beerdigung hatte sie sich betäubt gefühlt. Aber sie blieb an der Seite ihres Vaters, versuchte, ihren jüngeren Bruder Jacob aufzumuntern und schleppte sich von einem Tag zum nächsten. Dabei sehnte sie sich nach dem einzigen Menschen, von dem sie sich Trost und Stütze erhoffte, ihrem Ehemann.

Aber dem gab ihr Vater die Hauptschuld am Tod ihrer Mutter, obwohl alle medizinischen Untersuchungsergebnisse darauf hindeuteten, dass Blanche schon länger herzkrank gewesen sein musste. Dennoch ließ Benjamin sich nicht davon abhalten, dem verhassten Schwiegersohn Rache zu schwören.

Die nun folgende Zeit zerriss Kayla fast das Herz. Sie wusste nicht, auf wessen Seite sie sich stellen sollte. Ihr Bruder brauchte sie, und sie spürte, in welch schlechter seelischer Verfassung sich auch ihr Vater befand.

Wie konnte sie sich da für ihr eigenes Glück entscheiden?

Doch wie lange durfte sie noch auf Duardos Geduld hoffen?

Ihr Vater verschärfte den Gewissenskonflikt. Er stellte sie vor die Alternative: „Entweder du bleibst, oder du verlässt dieses Haus für immer. Wenn du gehst, darfst du es nie mehr betreten.“

Mit der Familie brechen? Das bedeutete Verrat an der toten Mutter. Denn für Blanche war Familie etwas Heiliges gewesen.

Außerdem bewies Benjamin seiner Tochter durch schriftliche Unterlagen, dass Duardo heimlich die Übernahme des Enright-Smythe-Imperiums plante und die Heirat mit Kayla nichts weiter gewesen war als ein Schachzug in diesem üblen Spiel.

An diesem Tag war etwas in ihr abgestorben.

Seitdem hatte sie Duardos Anrufe nicht mehr entgegengenommen und ihm, wie der Vater es verlangte, das Haus verboten.

Daraufhin stellte Duardo sie vor die Alternative: „Deine Familie oder dein Mann.“

Statt langer Erklärungen hatte sie ihren Ehering vom Finger genommen und ihn dem Mann zurückgegeben, dessen Name sie trug. Duardo war wortlos davongegangen.

In den folgenden Monaten ging es mit dem Unternehmen ihres Vaters bergab. Benjamin schob es auf heimliche Machenschaften seines Exschwiegersohns.

Kayla zog sich von allem zurück. Einladungen zu Partys lehnte sie ab. Irgendwann machten sich ihre Freunde nicht einmal mehr die Mühe, sie zu fragen. Sie hatte sich verändert. Keine Spur mehr von Leichtsinn und Lebenslust. Sie war ernst und traurig geworden.

Sie ging nur noch aus, wenn ihr Vater sie dazu drängte. Dann begleitete sie ihn zu langweiligen Geschäftsessen und musste miterleben, wie sein Ansehen und der Respekt vor ihm abnahmen und schließlich erloschen.

Schon nach einem Jahr konnte das Unternehmen Enright-Smythe seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Ausgerechnet Duardo Alvarez machte das Angebot zur Übernahme.

Zu dem Zeitpunkt hatte ihr Vater schon alles verkauft, was irgendwie von Wert war. Das Familienanwesen, die Kunstsammlung, den Bentley, sogar den Schmuck seiner verstorbenen Frau.

In den Medien war das alles breitgetreten worden.

Doch von seinem Unternehmen wollte Benjamin sich nicht trennen. Kurz bevor er endgültig bankrott war, beging er Selbstmord. Das tragische Ende ihres Vaters gab Kayla den Rest. Ihr verzweifelter Bruder drohte, den Halt zu verlieren.

Seit drei Jahren versuchten die Geschwister nun, sich mehr schlecht als recht durchzuschlagen. Nach ihrem Tagesjob kellnerte Kayla Abend für Abend noch fünf weitere Stunden in einem Restaurant, auch an den Wochenenden. Sie brauchte Geld. Nicht nur für den Lebensunterhalt, sondern auch, um wenigstens guten Willen zu zeigen, den riesigen Schuldenberg abzutragen.

Auch Jacob nutzte jede Stunde, um Geld zu verdienen. Dafür hatte er sein Studium abbrechen und die Hoffnung aufgeben müssen, jemals Arzt werden zu können.

Und nun das! Jetzt wurde er auch noch von dubiosen Kredithaien verfolgt. Denn Jacob hatte in seiner Verzweiflung Roulett gespielt und Spielschulden gemacht.

An eine Bank konnte Kayla sich nicht wenden. Banken verlangten Sicherheiten. Sie hatte keine zu bieten. Und noch mehr Jobs waren nicht zu bewältigen.

Sie erreichte die U-Bahn-Station, hastete die Rolltreppe hinunter und sah noch, wie ihre Bahn davonfuhr.

Wieder mal Pech gehabt! Es war schon fast komisch. Aber das Lachen blieb ihr im Hals stecken.

Was würde dieser Tag noch für unangenehme Überraschungen bringen?

Es war unklug, das Schicksal herauszufordern, fand Kayla. Selbst Anflüge von Humor und Zynismus rächte es umgehend. An diesem Vormittag musste sie nicht nur die übliche Arbeit erledigen, sondern auch zornige Anrufer besänftigen, den Streit zwischen zwei Kollegen schlichten und einen aufgebrachten Kunden beruhigen.

Zur Mittagspause blieb ihr keine Zeit, sie aß nur einen Jogurt und eine Banane am Schreibtisch. Der Nachmittag verging mit Besprechungen.

Es war schon nach fünf, als sie endlich ihren Laptop zuklappte. Dieser Teil ihres langen Arbeitstages war also geschafft. Müde griff sie nach ihrer Tasche und schaute auf die Uhr. In weniger als fünfundvierzig Minuten musste sie in dem italienischen Restaurant sein. Es lag in einem Einkaufszentrum in ihrem Stadtteil, war also vom Büro aus nur mit der Bahn zu erreichen. Dafür konnte sie am späten Abend zu Fuß nach Hause gegen. Das war ein Vorteil. Wie das warme Essen, das es für die Angestellten dort gab, obwohl sie selten Zeit fand, es in Ruhe zu genießen, und es meist zwischen den Bestellungen hinunterschlang.

Als das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte, zögerte sie. In genau zwei Minuten musste sie das Büro verlassen.

„Gut, dass ich dich erreiche“, begrüßte ihr Bruder sie am anderen Ende der Leitung.

„Jacob? Was ist los?“ Irgendetwas war nicht in Ordnung. Das spürte sie.

„Ich werde heute nicht nach Hause kommen.“ Seine Stimme klang tonlos. „Ich bin im Krankenhaus. Mit einer zertrümmerten Kniescheibe.“

„In welchem Krankenhaus?“ Er nannte eines, was am anderen Ende der Stadt lag, und Kayla hätte am liebsten laut aufgestöhnt. „Ich komme so schnell wie möglich.“

„Ruf Duardo an, Kayla. Ich muss dir wohl nicht erklären, warum.“ Er legte auf.

Kayla stockte das Blut in den Adern. War die zertrümmerte Kniescheibe eine Warnung? Sollten weitere Misshandlungen folgen, falls ihr Bruder seine Schulden nicht zahlen konnte? Wollte man ihm als nächstes die Rippen brechen? Die Nieren zertreten? Die Milz beschädigen? Wie lange würden diese Schläger warten, bevor sie Jacob eine weitere Lektion verpassten? Ein paar Tage? Eine Woche?

Ihre finanzielle Situation konnte sich nicht bessern. Solange Jacob nicht arbeitsfähig war, schon gar nicht. Dazu kämen die Arztrechnungen und Medikamente. Ihre Lage war hoffnungslos.

Sie schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, hatte ihr Gesichtsausdruck sich verändert.

Entschlossen griff sie in die Jackentasche, holte den Zettel heraus, den Jacob ihr am Morgen aufgedrängt hatte, wählte die Nummer und wartete darauf, dass sich Duardo meldete.

„Alvarez.“

Beim Klang seiner Stimme stockte ihr fast der Atem. Das Sprechen fiel ihr schwer.

„Hier ist Kayla.“

Wie sollte sie das Ganze nur überstehen?

Stille. Er antwortete nicht. Sein Schweigen hallte ihr durch die Leitung entgegen.

„Ich brauche deine Hilfe.“

Würde er darauf eingehen oder die Verbindung abbrechen?

„Ich erwarte dich in meinem Büro. In zehn Minuten“, sagte er und legte auf.

Sie wählte noch einmal seine Nummer, aber es meldete sich nur noch ein Anrufbeantworter. Duardo führte die Regie. Das ärgerte sie, weil sie keine Wahl hatte.

Da sie nicht an drei Orten gleichzeitig sein konnte, rief sie das Restaurant an, erklärte, warum sie sich verspäten würde, und versprach, so rasch es ging, zu kommen. Die Reaktion war dementsprechend. Denn nun ergoss sich ein mit italienischem Temperament vorgebrachter Redestrom über sie. Immerhin fehlten darin nicht Mitgefühlsbekundungen für das Unglück ihres Bruders.

Als sie endlich auf der Straße stand, warf Kayla einen Blick in den bleiernen Himmel. Kein Regen? Eigenartig. Der hätte zu diesem Tag gepasst.

Wie auf Kommando fielen die ersten dicken Tropfen.

Na, großartig!

Schützend hielt sie sich die Abendzeitung über den Kopf und betrat zehn Minuten später die mit Marmor ausgelegte Empfangshalle eines aus Stahl und Glas gebauten Bürohauses, stopfte das durchgeweichte Blatt in einen Papierkorb und fuhr mit dem Lift in das oberste Stockwerk.

Dort belegte Alvarez Holdings eine beeindruckende Zimmerflucht. Während sie sich zwischen den dicken getönten Glaswänden zu orientieren versuchte, kam es Kayla so vor, als ob der Firma die gesamte Etage gehörte. Alles wirkte luxuriös und auf dem neuesten Stand der Technik.

An der Rezeption saß eine perfekt zurechtgemachte junge Frau, die ohne weiteres nebenberuflich als Model hätte arbeiten können.

Kayla unterdrückte ihre zynischen Gedanken. Auch die Empfangsdame trug zum Image des Unternehmens bei. Denn ohne Image lief gar nichts im Geschäftsleben, und Duardo Alvarez konnte sich dieses Image leisten.

„Kayla Smythe“, sagte sie. Das Enright ließ sie schon seit geraumer Zeit weg. „Ich habe eine Verabredung mit – Mr. Alvarez.“ Schließlich kam sie in einer geschäftlichen Angelegenheit.

Ihr Gegenüber lächelte zwar höflich, aber Kayla war klar, dass es für einen wichtigen Besucher warmherziger ausgefallen wäre.

„Mr. Alvarez hat eine Besprechung. Vielleicht möchten Sie solange Platz nehmen.“ Die junge Frau wies auf eine bequeme Sitzgruppe.

Kayla begann, nervös zu werden. Nun, da sie schon einmal hier war, wollte sie das Ganze rasch hinter sich bringen. Doch die Minuten dehnten sich. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht immerzu auf die Armbanduhr zu schauen. Ohne zu lesen oder hinzuschauen blätterte sie in einer ausgelegten Zeitschrift.

Wie lange würde sie noch warten müssen?

Ließ Duardo sie absichtlich hier sitzen, um sie zu verunsichern?

Wenn ich doch einfach aufstehen und gehen könnte, dachte sie düster. Aber damit würde sie gar nichts erreichen. Und schließlich ging es nicht um sie, sondern sie war wegen Jacob hier.

„Mrs. Smythe.“

Sie schaute hoch. Die Empfangsdame war hinter dem Tresen hervorgekommen.

„Mr. Alvarez hat jetzt Zeit für Sie.“

Reiß dich zusammen und gib dir den Anschein von Unnahbarkeit und Selbstvertrauen, sagte sich Kayla. Angesichts ihrer Nervosität war das fast unmöglich.

In den letzten Jahren hatte sie Duardos Gesicht immer wieder im Fernsehen, in Zeitungen und Hochglanzmagazinen gesehen. Aber es war lange her, seit sie ihm gegenübergestanden hatte.

Würde er immer noch so aussehen wie früher?

Die Frage entsprang reiner Hysterie. Und während sie der Empfangsdame den Flur hinab folgte, der auf eine Doppeltür zulief, versuchte sie, der zunehmenden Panik Herr zu werden.

Ruhig bleiben, sagte sie sich immer wieder. Sie durfte jetzt nicht die Nerven verlieren.

Doch sie fühlte sich wie jemand, der über heiße Kohlen ging. Dafür hasste sie Duardo, sich selbst und vor allem ihre verzweifelte Lage, die sie dazu zwang, sich an ihren Exmann zu wenden.

Die Empfangsdame klopfte leise an die Tür, drückte die Klinke hinunter und kündigte die Besucherin an. Dann zog sie sich zurück und überließ Kayla das Feld.

Wie erstarrt blieb sie auf der Schwelle stehen. Arme und Beine spürte sie nicht mehr. Duardos Gestalt hob sich wie ein Scherenschnitt gegen die vom späten Nachmittagslicht erhellte Glaswand ab, und Kayla versuchte vergeblich, seinen Gesichtsausdruck zu erkennen.

Schließlich kam er ihr entgegen. Ihr stockte der Atem.

Groß und breitschultrig, wie er war, strahlten seine Bewegungen eine Kraft aus, um die ihn Männer gewiss beneideten. Auch der harte Ausdruck seines gut geschnittenen Gesichts warnte jedermann davor, ihn zu unterschätzen.

„Komm herein, und mach die Tür zu.“ Seine Stimme klang spöttisch. Mit unbarmherzig abschätzendem Blick musterte er ihre zarte Gestalt, das blonde nasse Haar.

Offenbar legte er keinen Wert mehr auf Begrüßungsfloskeln. Aber was hatte sie denn erwartet? Zivilisierte Höflichkeit etwa?

„Ich bin nicht zu meinem Vergnügen hier.“

„Verstehe.“ Er deutete auf einen schweren Ledersessel. „Setz dich.“

Damit sie zu ihm aufschauen musste? „Nein, danke. Ich stehe lieber.“

Sein Ausdruck änderte sich nicht. Dennoch gewann Kayla den flüchtigen Eindruck, dass er sich innerlich auf einen Angriff vorbereitete.

„Ich habe wenig Zeit“, sagte sie und ärgerte sich, weil das wie eine nachgelieferte Entschuldigung klang. Sie wollte nicht klein beigeben, obwohl sie am liebsten auf und davon gerannt wäre.

Er trat näher, so dicht, dass er sie hätte berühren können. Und nun erkannte sie auch die Fältchen um die Winkel seiner fast schwarzen Augen. Die Kerben in seinen Wangen schienen ihr tiefer als früher, und sein Mund …

Himmel, den durfte sie sich gar nicht erst anschauen.

Fragend hob er eine Augenbraue.

„Jacob liegt im Krankenhaus“, brachte sie hervor. Dann reckte sie stolz das Kinn. „Du kannst dir sicher denken, weshalb.“

Er schwieg, bis sie jede Sekunde, in der er nicht antwortete, als körperliche Pein empfand.

„Dein Bruder läuft nicht davon“, sagte er schließlich. „Und du hast es nicht eilig.“

Kaylas blaue Augen sprühten Funken. „Wie bitte?“

Sie stand zwar mit dem Rücken an der Wand, aber einschüchtern lassen wollte sie sich nicht.

„Lassen wir die Täuschungsmanöver, ja?“, schlug er vor.

Darin war er ihr ohnehin haushoch überlegen.

„Du hast Schulden, von denen du in deinem ganzen Leben nicht mehr herunterkommst. Diese Schläger haben Jacob den ersten von mehreren Denkzetteln für zögerliche Rückzahlung verpasst. Und du hast niemanden als mich, an den du dich wenden kannst.“

Ihre Augen wurden hart. „Macht dich das glücklich?“

„Du kannst jederzeit gehen“, sagte er mit betonter Gelassenheit.

„Und wenn ich es tue?“

„Dann wirst du diesen Raum nie mehr betreten.“

Seine Worte klangen endgültig. Kayla zweifelte nicht daran, dass es ihm ernst war.

Vor ihrem inneren Auge tauchte das Bild eines offenen Sarges auf, darin lag ihr Bruder. Ein Schauer des Entsetzens und der Angst lief ihr den Rücken hinunter.

„Versuchen wir es noch einmal, okay?“ Er lehnte den Oberschenkel gegen den Schreibtisch und beobachtete, wie sie um Fassung rang.

Offenbar wollte er es ihr nicht einfach machen. Warum sollte er auch? Das Band zwischen ihnen war zerrissen. Was sie einander bedeutet hatten, war längst erloschen. Durch widrige Umstände zerstört.

„Jacob erzählte mir, dass du weißt, in welcher Situation wir uns befinden.“

„Du brauchst meine Hilfe“, sagte Duardo trocken und erntete dafür einen zornigen Blick.

Sie fühlte sich hilflos, aber sie wollte es nicht zeigen. „Ja“, sagte sie.

Sollte er sie doch zwingen, ihn zu bitten! Von sich aus würde sie es nicht tun. Oder doch? Für Jacob? Damit sie überlebten. Weil sie keine andere Wahl hatte.

„Wir brauchen Geld.“ Das Geständnis kam ihr nur schwer über die Lippen. „Um einige Schulden zu bezahlen.“

„Eure Schulden werden trotzdem nicht weniger, sondern mehr. Deshalb wird sich diese Situation sehr bald wiederholen.“

Er wusste alles. Er musste es wissen. Was immer Jacob ihm auch gesagt hatte, für Duardo war es ein Leichtes gewesen, ihre hoffnungslosen Lebensverhältnisse zu erraten.

Am liebsten wäre sie in Tränen ausgebrochen. Aber sie durfte sich jetzt nicht gehen lassen.

„Bitte!“ Ihre Stimme klang brüchig vor Verzweiflung.

„Es gibt Bedingungen.“

Damit hatte sie gerechnet. Trotzdem vibrierten ihre Nerven. „Was schlägst du vor?“

„Ich übernehme alle Schulden und finanziere Jacob das Medizinstudium.“

Das waren Millionen … Der Traum ihres Bruders würde sich erfüllen …

Dafür brauchten sie einen soliden Finanzplan, und der war an Zahlungen gebunden.

„Im Gegenzug verlangst du was?“ Die Frage hatte ihr auf der Zunge gebrannt.

„Ich möchte wiederhaben, was ich hatte.“ Er beobachtete, wie sie nur langsam begriff, was er meinte. Dann sprach er es aus. „Dich. Als meine Ehefrau.“

Kayla erblasste. Der Boden unter ihren Füßen begann zu schwanken.

Ehefrau?

Am liebsten hätte sie sich in den Sessel gesetzt! Aber das hätte Duardo ihre Verwundbarkeit gezeigt. Diesen Triumph gönnte sie ihm nicht.

Und gleichzeitig schlug ihr Herz immer schneller, weil sie nicht anders konnte, als sich vorzustellen, in seinen starken besitzergreifenden Armen zu liegen und sich den Verführungen seines Mundes und seiner Hände hinzugeben.

In den wenigen Tagen ihres ehelichen Beisammenseins hatte er sie körperliche Genüsse gelehrt, und sie hatte geglaubt zu lieben und geliebt zu werden.

Noch heute träumte sie manchmal davon und wachte schweißgebadet und voller Sehnsucht auf.

Kayla sah ihn immer noch sprachlos an. Seine Willenkraft und seine Stärke machten ihr Angst.

„Willst du dich rächen, Duardo?“, fragte sie schließlich.

Er ließ sich Zeit mit der Antwort. „Alles hat seinen Preis.“ Der Blick seiner schwarzen Augen schien sie zu versengen. „Und das ist der, den ich verlange.“ Seine Stimme klang glatt wie Seide. „Du hast die Wahl, Kayla, ob du ihn zahlen willst oder nicht.“

Sich ihm überlassen, ihm ihren Körper überlassen, seine Ehefrau spielen …?

„Für wie lange?“, fragte sie.

„So lange es geht.“

Bis er genug von ihr hatte? Unter dem Damoklesschwert leben? Warten, bis es sie erschlug?

Das konnte sie nicht.

Aber welche Alternative hatte sie?

Keine!

Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie bezwang das Bedürfnis, sich umzudrehen und davonzulaufen. Fort von hier. Fort von ihm.

Dass er es wusste, machte alles noch schlimmer. Er spielte absichtlich mit ihr. Er hatte die Macht dazu.

„Ich hasse dich.“ Das kam ihr aus tiefster Seele, anders konnte sie sich nicht wehren.

„Weil ich dich als Frau zurückhaben will?“

„Weil du mich erpresst.“

„Vorsicht, querida!“ Das klang wie eine Warnung.

Am liebsten hätte sie ihn zum Teufel gejagt. Aber sie musste an ihren Bruder denken, der verletzt im Krankenhaus lag. Deshalb hütete sie ihre Zunge.

Es gab nur einen Weg aus dem Unheil. Und nur einen Menschen, der ihr helfen konnte.

„Soll ich mit Blut unterschreiben?“

Er verstand sofort. „Deine Einwilligung?“

Ihre Augen blitzen vor Wut. „Ja, verdammt noch mal.“

Mit wenigen Schritten war er bei ihr. „Deine Dankbarkeit ist überwältigend.“

„Was hast du erwartet? Dass ich mich vor dir auf die Knie werfe?“

„Was für eine reizvolle Vorstellung!“ Sein anzüglicher Spott trieb ihr das Blut in die Wangen.

So würdevoll wie möglich hob sie den Kopf und trat einen Schritt zurück. „Gibt es sonst noch etwas zu besprechen? Ich habe nämlich Jacob versprochen, ins Krankenhaus zu kommen, bevor ich zur Arbeit fahre.“ Damit wandte sie sich zum Gehen, warf aber noch einen Blick über die Schulter und sagte: „Wenn die Formalitäten erledigt sind, wirst du dich ja wohl melden.“

Duardo hatte sich nicht gerührt, aber es kam ihr so vor, als sei er auf dem Sprung.

„Da wäre nur noch eines“, sagte er mit einer Lässigkeit, die sie erschauern ließ. „Der Vertrag tritt sofort in Kraft.“

„Wie bitte?“

Mit einem teuflischen Lächeln nahm er sein Handy aus dem Jackett und reichte es ihr. „Ruf das Restaurant an und sage, dass du nicht mehr kommst. Weder heute noch morgen.“

Als sie den Mund aufmachte, um zu protestieren, wurde sein Blick unbarmherzig.

„Wenn du es nicht tust, Kayla, nehme ich das in die Hand.“

Sie rührte sich nicht. Also erledigte er die Angelegenheit mit zwei kurzen Anrufen. Danach war sie arbeitslos.

Dass er wusste, wo sie arbeitete und mit wem er sich in Verbindung setzen musste, um für sie zu kündigen, brachte sie auf. „Scheusal“, stieß sie hervor.

Er legte das Handy zur Seite und kam näher. Auf das, was er dann tat, war sie nicht vorbereitet. Er strich ihr über das Haar, ließ die Hand bis zu ihrem Nacken gleiten, schlang die andere um ihre Taille und zog sie an sich.

Im nächsten Moment lag sein Mund fordernd auf ihren Lippen. Kayla war so überrascht, dass sie ihm keinen Widerstand bot und sich besitzergreifend, ja schamlos verführen ließ. Und sie erwiderte diesen Kuss. Er peitschte ihre Sinne auf, bis sie alles um sich herum vergaß.

Dieser Mann besaß Macht über ihre Sinne, löste Begierden aus und das Bedürfnis, sich ihm hinzugeben.

Es dauerte eine Weile, bis Herz und Verstand endlich einsahen, dass dies alles der Vergangenheit angehörte und in die Gegenwart nicht mehr passte.

Sie entzog sich ihm und ärgerte sich, weil er nicht einmal Anstalten machte, sie davon abzuhalten.

Ihre Augen blitzen, ihre Wangen glühten, und sie war völlig außer Atem. Es fiel ihr schwer, die Fassung wiederzugewinnen.

„Nun hast du einen triftigen Grund, mich zu beschimpfen.“

Kayla öffnete den Mund, aber sie brachte nichts heraus. Der plötzliche Wunsch, sich bei ihm anzulehnen, machte sie sprachlos.

Wohin sollte das alles führen?

Duardo beobachtete sie, widerstand aber der Versuchung, ihren Anflug von Schwäche auszunutzen. Offenbar reichte ihm die Gewissheit, es zu können.

Er selbst atmete nicht einmal schwer. Wieso wirkte er nach diesem Kuss so ruhig, während sie noch immer aufgewühlt war?

„Können wir jetzt gehen?“, fragte er.

Jacob! Das Krankenhaus! Wie hatte sie das vergessen können? Sie eilte aus dem Zimmer, Duardo folgte ihr zur Rezeption, wo er der Empfangsdame einen schönen Abend wünschte.

Während der Fahrstuhl sie hinunterbrachte, hätte sie ihm am liebsten böse Worte an den Kopf geschleudert. Sie bebte vor Wut. Statt sich erleichtert zu fühlen, dass ihre finanzielle Misere bald ein Ende hatte, lagen ihre Nerven bloß bei dem Gedanken an die Zukunft.

Das Leben, was sie seit einigen Jahren führte, würde sich vollkommen ändern.

Die Kabine hielt im Untergeschoss, wo sich das Parkhaus befand. Sie wollte auf den Knopf drücken, weil sie in der Empfangshalle aussteigen musste. Duardo hielt sie davon ab.

„Du fährst mit mir.“

„Das werde ich nicht tun.“ Ihre Augen blitzten zornig. „Es reicht, wenn ich ab morgen an dich gefesselt bin.“

„Wir fahren gemeinsam ins Krankenhaus“, sagte er kühl. „Danach bringen wir deine Sachen aus der Wohnung in mein Haus.“

„Verdammt. Ich …“

„Entweder du gehst auf deinen eigenen Füßen, oder ich werde dich tragen. Du kannst es dir aussuchen.“

Er meinte tatsächlich, was er sagte. Das konnte sie an seinem entschlossenen Gesichtausdruck ablesen. Wie gerne hätte sie sich ihm widersetzt. Aber sie ließ es lieber bleiben, begleitete ihn zu seinem sündhaft teuren Sportwagen, sank auf den Beifahrersitz und hüllte sich während der Fahrt durch die Stadt in eisiges Schweigen.

2. KAPITEL

Jacob lag in einem Mehrbettzimmer. Sein Bein war abgepolstert und fixiert. Über einen Tropf bekam er schmerzstillende Mittel.

Blass sah er aus, traurig und fast ängstlich. Erst als er Kayla entdeckte, hellte sich seine Miene auf, und schließlich lächelte er sogar, sobald er erkannte, mit wem sie bekommen war.

Offenbar empfand er ihren Begleiter als rettenden Engel. Sie hingegen hielt Duardo Alvarez eher für eine Personifizierung des Teufels.

„Hallo“, begrüßte sie ihren Bruder und gab ihm einen liebevollen Kuss auf die Wange. „Gott sei Dank“, murmelte Jacob.

Duardo setzte sofort Himmel und Hölle in Bewegung, damit Jacob ein Einzelzimmer erhielt. Außerdem engagierte er ein Team mit Spezialisten und setzte den Operationstermin fest.

Mit Geld ging eben alles. Eigentlich hätte Kayla dankbar sein müssen, und sie war es auch, aber nur für ihren Bruder. Zu mehr fühlte sie sich nicht verpflichtet.

Als schließlich Pfleger aus der Privatstation kamen, um Jacob dorthin zu verlegen, wünschte sie ihm eine ruhige Nacht und verabschiedete sich schweren Herzens.

Kurz nach sieben saß sie bereits wieder neben Duardo in seinem Sportwagen, betrachtete den rosa und orange gefärbten Abendhimmel und freute sich, bald zu Hause zu sein. Sie sehnte sich nach einer entspannenden Dusche und ihrem Bett.

Lange würde sie nicht mehr darin schlafen können, sondern in Duardos Bett wechseln müssen.

Der Gedanke daran, jagte ihr Hitze durch die Adern. Angestrengt schaute sie aus dem Fenster und versuchte, nicht an die kommenden Nächte zu denken.

Die Straßenlaternen gingen an und leuchteten mit den bunten Reklamelichtern um die Wette. Der Verkehr verdichtete sich, Hauptstraßen flossen zusammen und leiteten den Strom von Autos auf die Brücke, die über den Hafen führte.

Kurz darauf trat Duardo auf die Bremse und schaltete den Motor aus.

Kayla kannte weder die Straße noch die Gegend. „Warum hältst du hier?“

„Zeit für das Abendessen“, erklärte er, stieg aus und öffnete galant die Beifahrertür.

„Ich habe keinen Hunger“, protestierte sie schnippisch.

„Steig aus, Kayla.“ Als sie sitzen blieb, beugte er sich vor, um ihren Sicherheitsgurt zu lösen. Dabei streifte sein Arm ihre Brust. Ihr stockte der Atem. Er war so nah, viel zu nah. Erst als er ihr aus dem Wagen geholfen hatte, vermochte sie, wieder Luft zu holen.

Einwände wären zwecklos gewesen. Außerdem lag ihr Mittagessen schon Stunden zurück. Und als Mahlzeit konnte sie das bisschen Jogurt mit Früchten eigentlich auch nicht bezeichnen.

Sie spürte ihren leeren Magen und folgte ihm über die Straße in ein kleines Restaurant. Der Kellner begrüßte Duardo mit Namen und führte sie zu einem abseits gelegenen Tisch.

Wein lehnte Kayla ab. Sie wählte eine Vorsuppe, eine Vorspeise als Hauptgericht und frisches Obst zum Nachtisch.

„Bevorzugst du Schweigen oder leichte Konversation“, fragte sie, nachdem der Kellner die Bestellung aufgenommen hatte.

Duardo verzog spöttisch den Mund. „Warum erzählst du mir nicht, wie du die letzten Jahre verbracht hast?“

„Warum sollte ich?“, fragte sie und trank einen Schluck Wasser. „Du weißt doch ohnehin alles. Hast du jemanden beauftragt, alle meine Schritte zu verfolgen?“

Er hielt ihrem Blick stand und lehnte sich zurück. „Es ist kein Verbrechen, wenn ein Mann wissen möchte, wie es seiner früheren Ehefrau geht.“

Ausgerechnet jetzt brachte der Kellner die Suppe und frisch gebackenes Brot. Als er sich zurückgezogen hatte, betrachtete Kayla fast verächtlich Duardos undurchdringliche Miene.

„Dir ging es schon bei der Hochzeit um etwas ganz anderes.“

Duardos Gesichtsausdruck verhärtete sich, seine dunklen Augen glimmten drohend. „Diese Bemerkung musst du mir erklären.“

„Du hattest es auf das Enright-Smythe-Konsortium abgesehen.“

„Wirklich?“ Seine Stimme klang frostig, und Kayla rieselte es eiskalt den Rücken hinunter.

„Mein Vater hat mir schriftliche Beweise vorgelegt.“

„Unmöglich! Es gibt keine.“

„Du lügst, ich habe die Briefe gelesen“, fuhr sie auf.

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst!“

Kayla schluckte. Die Situation, in der ihrer Liebe der Todesstoß versetzt worden war, würde sie nie vergessen. Nun stand sie ihr wieder lebendig vor Augen. Sie hatte Schreiben in der Hand gehalten, alle mit Duardos Namen unterzeichnet, während ihr Vater laut und anklagend auf sie einredete.

Fast blind vor Aufregung und Entsetzen hatte sie alles nur überfliegen können, ehe Benjamin ihr die Papiere entriss, sie auf die Erde schleuderte und mit dem Fuß daraufstampfte.

„Du kannst doch nicht leugnen, dass du mit deinem Übernahmeangebot schließlich nicht doch Erfolg hattest.“ Es gelang ihr nicht, sich zu beherrschen. „Hat es dir Spaß gemacht zu beobachten, wie mein Vater Bankrott ging?“

Duardo zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Der Zusammenbruch des Enright-Smythe-Imperiums bot mir die Gelegenheit, mein Unternehmen zu vergrößern. Ich bin Geschäftsmann. Wenn ich das Konsortium nicht übernommen hätte, wäre es jetzt in fremden Händen oder zerschlagen.“

„Du hast recht wie immer“, bestätigte sie ironisch, fiel jedoch sofort wieder in Schweigen, als der Kellner kam, um die leeren Teller abzuräumen. An den Geschmack der Suppe konnte sie sich kaum noch erinnern.

„Im Übrigen habe ich erst nach Ende unserer Ehe deinem Vater ein Übernahmeangebot gemacht.“

Die Spannung stieg ins Unerträgliche.

„Spiel nicht das Unschuldslamm“, erwiderte sie zornig.

„Du willst nicht wahrhaben, dass dein Vater dir eine Lügengeschichte aufgetischt und so genannte Beweise zusammengeschustert hat.“

Entrüstet riss sie die Augen auf. „Das hätte er niemals getan.“

Duardo wartete ab, bis der Hauptgang serviert worden war. „Benjamin betrachtete dich als kostbaren Besitz. Er hätte alles getan, um dich mir zu entziehen.“

Kayla starrte das kunstvoll drapierte Essen auf ihrem Teller an und fühlte sich dann plötzlich sterbenselend. „Das stimmt aber nicht.“

„Auch ich kann dir Dokumente vorlegen.“ Er griff nach der Gabel und spießte einen Leckerbissen auf. „Der Vergleich mit Benjamins Papieren könnte aufschlussreich sein. Glaubst du nicht?“

Aber diese Papiere waren längst verschwunden. Als Kayla ihren Vater danach gefragt hatte, um sie sich noch einmal genauer anzuschauen, lagen sie angeblich schon wieder bei seinem Anwalt. Aber der hatte trotz Nachforschungen nicht einmal eine Aktennotiz über sie finden können.

Was für ein schauderhafter Verdacht, ihr Vater könnte mit betrügerischen Mitteln die Zerstörung ihrer Ehe betrieben haben! Oder war er aus Kummer über den Tod seiner Frau vielleicht verrückt geworden?

„Iss doch etwas“, sagte Durardo leise.

„Ich habe keinen Hunger.“ Der Appetit war ihr wirklich vergangen. Mit flauem Magen schob sie den Teller zur Seite.

Was für ein schrecklicher Tag, und er war noch immer nicht zu Ende. Sie wollte fort von hier, fort von diesem Mann, seinen Feindseligkeiten, den Demütigungen, von allem …

„Denk nicht einmal darüber nach.“ Seine Stimme klang weich, aber Kayla erkannte die mitschwingende Drohung.

Ohne nachzudenken griff sie nach ihrem Glas und schüttete Duardo das Wasser ins Gesicht.

In Zeitlupe nahm sie wahr, wie er nach der Serviette griff, um sich das Gesicht abzutrocknen, wie der Kellner aufgeschreckt zur Hilfe herbeieilte. Und schon war sie auf den Füßen, griff nach ihrer Tasche und floh.

Auf dem Bürgersteig hob sie die Hand, um ein vorbeifahrendes Taxi anzuhalten. Doch da wurde sie schon von starken Händen bei der Schulter gepackt und herumgedreht. Sie schrie auf.

Duardos Gesichtzüge wirkten hart wie Stein in dem schummrigen Licht der Straßenbeleuchtung.

„Du tust mir weh“, fauchte sie ihn an.

„Glaube mir, das gerade versuche ich zu vermeiden.“

Für einen Moment war die Atmosphäre zwischen ihnen elektrisch geladen. Die kleinste Bewegung, und es würden Funken sprühen.

„Ich kann das nicht!“ Der Schrei löste sich aus der Tiefe ihrer Seele.

Er umfasste ihr Gesicht und zwang sie, ihn anzuschauen.

„Ich brauche Zeit“, sagte sie.

„Damit wäre nichts gewonnen.“

„Bitte“, flehte sie.

Mit dem Daumen strich er über ihre Lippen. „Nein.“

Sie biss zu. Kräftig. Hörte, wie er leise fluchte, schmeckte sein Blut und schrie wieder, weil er sie hochhob und über die Schulter legte. „Lass mich runter!“

„Gleich.“

Sie ballte die Hände und trommelte mit den Fäusten auf seinen Rücken ein. Ungerührt ging er zu seinem Wagen, öffnete die Beifahrertür, ließ sie auf den Sitz gleiten und schnallte den Sicherheitsgurt um sie. „Wenn du dich bewegst, garantiere ich für nichts“, drohte er.

Sie hasste ihn. Schon allein, weil er sie in diese erniedrigende Situation brachte.

Und wenn Duardo die Wahrheit sagte?

Und ihr Vater gelogen hatte bis zu seinem bitteren Ende?

Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. Sie konnte, sie wollte das nicht glauben. Dann starrte sie regungslos durch die Windschutzscheibe auf die nächtliche Straße, bis Duardo neben ihr saß und den Wagen startete.

„Ich möchte die Akten einsehen, die den Ablauf der Übernahme belegen“, sagte sie. Sie wollte die Wahrheit wissen und sich ihr stellen.

„Mein Anwalt wird dir beglaubigte Kopien zur Verfügung stellen.“

Während der restlichen Fahrt durch die Stadt versank sie in tiefes Schweigen. Duardo bot ihr ein schuldenfreies Leben. Ihr Bruder könnte seinen Wunschberuf ergreifen, studieren und Arzt werden.

Jacob war der einzige Mensch, den sie noch hatte. Er verdiente diese Chance.

Und sie? Verdiente sie auch eine? Kayla schloss die Augen. Hatte sie wirklich diese Chance verdient?

Was für eine Alternative gab es denn?

Keine. Also musste sie mit der Situation fertig werden. Für sie gab es keine Wahl.

Der Wagen hielt in der schmalen Vorortstraße, wo sie wohnte. In der Nähe parkte ein auffallend neues Auto. Duardo ging hin, sprach mit dem Fahrer und zeigte schließlich nach oben zu ihrer Wohnung. Dann führte er sie ins Haus.

Selbst das schwache Licht offenbarte die Schäden an den Wänden des Treppenhauses. Kayla stieg vor Duardo die abgetretenen Holzstufen hinauf. Es roch leicht, aber unverkennbar nach schlechtem Essen.

Hinter dem Sicherheitsschloss ihrer Wohnungstür verbargen sich zwei armselige Räume, die unpersönlich und spärlich möbliert waren. Hier wurde geschlafen, aber nicht gewohnt.

„Nimm nur mit, was du wirklich benötigst“, sagte Duardo.

Sie brauchte nicht lange, um ihre wenigen Habseligkeiten zusammenzupacken. Sie passten in eine Reisetasche. In eine zweite stopfte sie Jacobs Sachen. „Der Vermieter …“

„Spence hat das schon geregelt.“ Er zeigte auf einen kleinen Klapptisch. „Leg die Schlüssel dorthin.“

Als er nach beiden Taschen griff, schaute Kayla ihn fragend an.

„Ich habe das mit ein paar Anrufen vom Krankenhaus aus veranlasst.“

Er bezahlte also seine Leute, damit sie sofort zu seiner Verfügung standen. Vermögen oder besser Reichtum hatte zweifelsohne seine Vorzüge.

Wenige Minuten später waren sie wieder unten auf dem Bürgersteig. Eine dunkel gekleidete Gestalt tauchte auf, um Duardo die Taschen abzunehmen und sie im Kofferraum des nagelneuen Wagens zu verstauen.

„Das war Spence“, klärte Duardo sie auf. „Lass uns gehen.“

Konnte sie sich noch anders entscheiden oder war es zu spät dafür?

Aber da nahm sie schon schemenhaft wahr, wie der Mann sich hinter das Steuerrad setzte, den Motor anließ und davonfuhr. Und mit ihm ihr gesamter bescheidener Besitz.

Sie warf Duardo einen giftigen Blick zu. „Andere unter Druck zu setzen gehört wohl zu deinen Talenten“, sagte sie spitz.

„Willst du streiten?“ Obwohl er ruhig sprach, spürte sie seine Unerbittlichkeit.

„Nicht unbedingt.“

Er ging zu seinem Sportwagen, stellte die Alarmanlage aus und hielt ihr die Tür auf. Betont anmutig stieg sie ein und versuchte, ihren Unwillen zu verbergen. Eine erste Übung in das Spiel, auf das sie sich eingelassen hatte: so zu tun, als ob.

Während der Fahrt durch die Stadt rang sie sich dazu durch, das Spiel genauer zu betrachten. Duardo hatte keinen Zweifel daran gelassen, was sie spielen sollte: seine Ehefrau.

Er erwartete einen warmen Körper in seinem Bett. Und eine gute Gastgeberin. Schloss die Rolle auch eine Schwangerschaft mit ein?

Kayla erschrak. Auf Verhütung war sie nicht vorbereitet, denn die hatte sie in den vergangenen Jahren nicht gebraucht.

„Willst du dich nicht mit mir unterhalten?“, fragte Duardo.

Sie betrachtete sein Profil. „Nein, ich schmiede gerade Pläne, wie ich dich ins Verderben stürze.“

Er lachte leise auf, und ihre Nerven vibrierten.

„Du glaubst mir wohl nicht?“

„Doch, doch. Versuchen wirst du es bestimmt.“

„Darauf kannst du dich verlassen.“ Trotzig schaute sie aus dem Fenster. Sie fuhren nun durch Sydneys östliche Vororte. Hier standen vornehme Apartmenthäuser und Villen, die hinter Mauern oder hohen Zäunen lagen. Aus den Medien wusste Kayla, dass Duardo mittlerweile auf einem luxuriösen alten Anwesen mit Blick auf den Hafen residierte. Angeblich hatte er es bereits vor ihrer Hochzeit erworben, doch sie hatte nie mit ihm dort gelebt.

Soweit sie wusste, war das Gebäude entkernt und dann nach seinen Vorstellungen ausgebaut worden. Ausstattung und Möbel sollten ein Vermögen gekostet haben.

Jedenfalls war das Anwesen geschützt wie eine Festung, stellte Kayla fest. Die gewundene und gut beleuchtete Auffahrt führte durch einen mit Rasen und Blumenbeeten angelegten Garten direkt auf ein elegantes Herrenhaus zu. Als Duardo den Wagen unter einem geräumigen Säulenvorbau zum Halt brachte, verspürte sie zunehmende Nervosität aufsteigen.

Die hohe zweiflügelige Haustür öffnete sich, und heraus trat eine schlanke Frau in mittleren Jahren.

„Maria ist meine Haushälterin“, erklärte Duardo, während er sich vom Sicherheitsgurt befreite.

Spence, Maria. Kayla prägte sich die Namen ein.

„Ihr Mann Josef kümmert sich um den Garten und kleine Reparaturen im Haus.“ Es gab also eine dreiköpfige Belegschaft. Wo die Leute wohl lebten?

„Über den Garagen liegen zwei abgeschlossene Wohnungen. Die eine gehört Maria und Josef, die andere Spence.“

Kayla stieg aus. Nachdem Duardo sie mit Maria bekannt gemacht hatte, betraten sie die mit wunderschönem Marmor ausgekleidete Eingangshalle. Von hier aus führten zwei Treppenbögen in das obere Stockwerk. Geschmackvolle Lampen beleuchteten antike dunkle Möbel. Hinter kunstvoll geschnitzten Holztüren lagen weitere Räume.

Von denen aus würde man tagsüber wohl einen herrlichen Blick auf den Hafen haben und nachts auf ein Lichtermeer schauen.

„Kaffee und Tee sind vorbereitet“, erklärte die Haushälterin. „Die Taschen wurden bereits nach oben in die Hauptsuite gebracht.“

Kaylas Magen krampfte sich zusammen. An das gemeinsame Schlafzimmer wollte sie nicht einmal denken, geschweige denn es betreten.

„Eine Tasse Tee würde mir guttun“, antwortete sie dankbar. „Aber vorher würde ich mich gerne ein wenig frisch machen.“

„Aber natürlich.“ Duardo ließ ihr den Vortritt zur Treppe.

Im linken Flügel des oberen Stockwerks befanden sich die Gästezimmer und ein gemütliches Wohnzimmer, im rechten Flügel drei Schlafzimmer mit angeschlossenem Bad und die Hauptsuite mit Blick auf den Hafen.

In der geräumigen Fensternische standen zwei bequeme Sessel. Sonst bot der großzügige Raum noch eine Ecke mit einem antiken Schreibtisch und eine zum Fernsehen. Zwei Türen führten in getrennte Bäder, zwei in getrennte Ankleideräume mit Schränken.

Kayla vermied es, das Bett genauer anzusehen. Doch selbst aus den Augenwinkeln betrachtet wirkte es riesig.

„Du hast ein schönes Zuhause“, sage sie.

„Darf ich das als Kompliment verstehen?“

„Zweifelst du daran, dass ich es so gemeint habe?“

Duardo zog das Jackett aus und hängte es auf einen dafür vorgesehenen Ständer, befreite sich von der Krawatte und knöpfte den obersten Hemdknopf auf. „In zwanzig Minuten erwarte ich dich unten.“

Als er gegangen war, fühlte sie sich erleichtert.

Es lockte sie, sich unter die Dusche zu stellen, das Haar mit einem der kostbaren Shampoos zu waschen, es zu föhnen, dann in den weichen Frotteemantel zu schlüpfen und sich einfach ins Bett zu legen, um zu schlafen.

Der Versuchung konnte sie nicht widerstehen. Rasch entkleidete sie sich, trat in die mit Marmor geflieste Dusche und ließ warmes Wasser auf ihren Körper prasseln.

Die Seife duftete, das Shampoo duftete, und Kaylas Muskeln entspannten sich. Was für ein lange entbehrter Luxus.

Hatte Duardo Maria gebeten, das alles für sie bereitzustellen? Oder gehörten die kostbaren Pflegemittel zur Ausstattung des Bades, damit jede Frau, die hier übernachtete, sich davon bediente?

Duardo war ein Mann, dem Frauen zu Füßen lagen. Er war nicht nur attraktiv, sondern auch reich, einflussreich und von einer gewissen gefährlichen Aura umgeben.

Kayla seufzte wohlig auf. Ach, es tat gut, sich nicht beeilen zu müssen, weil nach drei Minuten das warme Wasser ausging.

Sehr viel später drehte sie den Hahn zu, rubbelte sich trocken und warf den Bademantel über, bevor sie sich um ihr Haar kümmerte.

Nachdem sie es geföhnt hatte, liebäugelte sie mit dem Bett. Einladend sah es aus. Sie zog die Tagesdecke herunter, strich fast ehrfürchtig über das Kopfkissen.

Vielleicht sollte sie auspacken? Aber mehr als ein paar Minuten würde das nicht dauern. Sie besaß ja kaum etwas.

Sich wieder anzuziehen, und nach unten zu gehen, dazu verspürte sie keinerlei Lust.

Nach diesem aufregenden Tag fühlte sie sich schrecklich erschöpft. Deshalb kroch sie zwischen die Laken.

Keine zehn Pferde würden sie hier wieder herausbringen.

Eine Stunde später, als Duardo nach oben kam, um nach ihr zu sehen, schlief sie bereits. Er stand eine Weile vor dem Bett und betrachtete ihr blasses Gesicht. Dann verließ er den Raum, kehrte erst kurz vor Mitternacht zurück, duschte und legte sich neben sie.

Beim ersten Dämmerlicht erwachte er, weil Kayla sich im Schlaf an ihn schmiegte. Gleich darauf versuchte sie voller Panik, aus dem Bett zu springen. Duardo hielt sie jedoch an der Hand zurück und machte Licht.

Sie hatte sich aufgesetzt. Ihr Haar war zerzaust, ihre Wangen vom Schlaf gerötet. Mit angsterfüllten blauen Augen starrte sie ihn.

„Es ist alles in Ordnung. Hast du vergessen, wo du bist?“, versuchte er sie zu beruhigen.

„Ja“, erwiderte sie leise.

Wie dicht Duardo neben ihr lag. Seine Haut verströmte Wärme und einen männlichen Duft. Und wie muskulös sein Oberkörper war. Ihre Sinne reagierten. Sie musste sofort einen Sicherheitsabstand schaffen.

Während sie vorsichtig an den Bettrand rutschte, beobachtete er sie schweigend.

Kayla schluckte. Ohne größere Anstrengungen könnte er einfach die Hand nach ihr ausstrecken. Sie an sich ziehen. Seinen Mund auf ihre Lippen legen. Sie sanft und verführerisch küssen, bis sie in Flammen stand.

So hatte er es früher gemacht, während ihrer kurzen Flitterwochen auf Hawaii. Sie hatte rasch und willig von ihm gelernt und sich bald nach mehr gesehnt. Nach seinen Händen, nach seinen Berührungen, seinen Küssen.

Wie viele Nächte danach, war sie schlaflos geblieben, zerrissen von Selbstvorwürfen! Warum hatte sie ihn gehen lassen? Warum war sie nicht mutig genug gewesen, ihrem Vater die Stirn zu bieten?

„Schlaf weiter!“

Wenn das so einfach wäre.

„Oder brauchst du dabei Hilfe?“

Sie verstand. „Die darf ich wohl nicht ablehnen, wenn du sie mir anbietest.“ Ihre Stimme klang bitter und vorwurfsvoll.

„Heute ja.“

„Wie gnädig von dir.“

„Das Spotten steht dir nicht.“

„Tut mir leid“, sagte sie und sah ihn kühl an. „Zu mehr fühle ich mich gerade nicht in der Lage.“

Duardo lachte leise auf. „Dann trügt mich wohl die Erinnerung. Um diese Tageszeit pflegtest du früher ziemlich gesprächig zu werden.“

Früher, nachdem sie miteinander geschlafen hatten. Wenn sie sich an ihn gekuschelt hatte, ihr Kopf an seiner Schulter ruhte, hatte sie gesprochen. Über ihre Träume, ihre Liebe, ihre Hoffnungen.

„Wundert mich, dass du das noch weißt“, erwiderte sie spitz. „Nach all den Frauen, die du nach mir gehabt hast.“

„Du gehst also davon aus, dass es viele waren.“

So genau mochte sie gar nicht darüber nachdenken. „Wahrscheinlich haben sie Schlange gestanden.“

„Ein verstecktes Kompliment, Kayla?“

„Nur eine Feststellung.“

„Du sprichst wohl aus eigener Erfahrung.“

„Auf Unterstellungen reagiere ich nicht, Duardo.“ Niemals würde sie sich die Blöße geben und zugeben, dass sie vor und nach ihm mit niemandem zusammen gewesen war.

Eigentlich war es zum Lachen. Außer Duardo hatte sie sich nie für einen Mann interessiert.

Er lächelte. „Gut, dann sollten wir das Beste aus den verbleibenden Stunden bis zum Aufstehen machen.“

Wie er das wohl meinte? Alarmiert und unsicher sah sie ihn an.

„Lass uns schlafen“, sagte er sichtlich amüsiert und schloss die Augen.

Bereits nach einer Minute hörte sie ihn ruhig atmen. Sie drehte sich auf die Seite und versuchte, nicht enttäuscht zu sein.

3. KAPITEL

Als Kayla erwachte, schien die Sonne durch die Vorhänge, und sie war allein.

Überrascht schaute sie auf die Uhr und sprang auf.

Das Krankenhaus! Sie hatte Jacob versprochen, da zu sein, bevor er operiert wurde. Die Zeit reichte gerade noch für das Badezimmer. Auf das Frühstück musste sie verzichten.

Sie schlüpfte in Jeans, T-Shirt und Jacke. Steckte ihr Haar mit einer Spange hoch und zog die Lippen nach. Als sie ins Schlafzimmer zurückeilte, traf sie auf Duardo, der sich gerade die Krawatte umband.

In seinem maßgeschneiderten Anzug sah er atemberaubend aus. Jeder Zentimeter an ihm unterstrich den erfolgreichen Geschäftsmann.

„Du hättest mich wecken sollen“, sagte sie vorwurfsvoll.

„Wie wäre es mit einem Guten Morgen?“

Sie warf ihm einen hitzigen Blick zu. „Ich bin viel zu spät dran.“

„Maria bereitet das Frühstück für dich vor.“

„Aber …“

„Ich habe im Krankenhaus angerufen. Vor neun wird Jacob nicht in den Operationssaal gebracht.“

„Ich habe keine Zeit zum Frühstücken.“

„Doch, hast du.“ Er musterte ihren zarten Körper und fragte sich, wie viele Mahlzeiten sie wohl ausgelassen hatte. „Spence wird dich ins Krankenhaus fahren.“

Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen.

„Es gehört zu seinem Job“, erklärte Duardo und gab ihr ein Handy. „Das ist für dich. Die wichtigen Nummern sind bereits eingegeben.“

Kayla steckte es in ihre Handtasche. Als er ihr auch einen Stapel mit Papieren in die Hand drückte, sah sie ihn misstrauisch an.

„Du musst unterschreiben, damit wir das Aufgebot bestellen können.“

Er lieh ihr einen Füller und zeigte, wohin sie ihre Unterschrift setzen sollte. Dann überreichte er ihr die Kopie eines Dokuments. „Lies dir den Ehevertrag gründlich durch. Um zwölf Uhr hast du einen Termin beim Anwalt, um ihn zu signieren.“

Herr im Himmel! Er hatte an alles gedacht. Aber sie war nicht imstande, ihm dafür dankbar zu sein.

Stattdessen zwang sie sich zur Ruhe. „Du hast doch sicher auch schon den Hochzeitstermin festgesetzt, oder?“

„Wir werden morgen getraut. Und zwar hier im Haus.“

„Morgen schon.“ Sie schluckte.

Er öffnete die Brieftasche und nahm einige Geldscheine heraus. „Fürs erste. Ich lasse heute noch ein Konto für dich eröffnen. Eine Kreditkarte brauchst du natürlich auch. Spence wird dir bei dem unvermeidlichen Papierkrieg behilflich sein.“

„Hast du keine Angst, dass ich mich mit dem Geld auf und davon mache?“ Die Frage war ihr leichtfertig über die Lippen gerutscht.

Er verzog nicht einmal die Miene. „Du würdest nicht weit kommen.“

„Ich werde mich an die Abmachung halten.“

Duardo griff nach seiner Aktentasche und dem Laptop. „Wir sehen uns heute Abend.“

„Wann ich zurück bin, weiß ich noch nicht“, sagte Kayla. Als er fragend die Brauen hob, fügte sie erklärend hinzu: „Ich möchte Jacob nach der Operation noch einmal sehen.“

„Spence wird dich auch nachmittags wieder ins Krankenhaus fahren.“

„Ich nehme lieber die öffentlichen Verkehrsmittel.“

„Kommt nicht in Frage!“ Seine Stimme klang hart und unnachgiebig.

„Warum nicht?“ Sie wollte unabhängig bleiben.

Er schaute ihr fragend in die Augen. „Du möchtest wohl Grenzen setzen?“

Sie hielt seinem Blick stand. „Ja.“

„Darüber werden wir beim Abendessen diskutieren.“

„Das müssen wir wohl.“ Ohne ein weiteres Wort verließ sie den Raum und eilte zur Treppe. Duardo blieb an ihrer Seite, bis sie die Eingangshalle erreichten. Dort trennten sich ihre Wege.

Kayla fand das Esszimmer und begrüßte Maria mit einem Lächeln.

Was die Haushälterin für sie vorbereitet hatte, war ein wahres Festmahl. Orangensaft, Kaffee, Cornflakes, Obst, Rührei und Toast. Kayla hatte den nötigen Appetit, um von allem zu probieren, und setzte sich. Jahrelang war keine Zeit für ein ruhiges Frühstück gewesen.

Als sie ihren Kaffee ausgetrunken hatte, erschien Spence. Sie nahm ihre Tasche und folgte ihm zum Wagen.

Wegen des Morgenverkehrs kamen sie nur schleppend voran. Kayla hing ihren Gedanken nach. Sie hatte eine Menge Fragen an Spence, aber sie stellte nur eine einzige. „Kennen Sie Duardo aus New York?“

Der Fahrer lächelte. „Ja, viele Jahre schon. Ich bin dann mit ihm nach Australien gegangen und kümmere mich hier um seine Sicherheit.“

Hatten die beiden Männer damals gemeinsam krumme Geschäfte gemacht? Sich mit Glück und Geschick durchgeboxt? Leib und Leben für den Erfolg riskiert?

Duardo war gewiss nicht auf herkömmlichem Weg so weit gekommen.

„Sie sorgen also dafür, dass in seinem Leben alles glatt läuft“, stellte sie fest.

Spence lachte leise auf. „So könnte man es ausdrücken.“

Wahrscheinlich nahm er noch andere Sicherheitsaufgaben wahr und spielte nicht nur den Bodyguard und den Fahrer.

Es war fast halb neun, als sie das Krankenhaus erreichten. „In einer Dreiviertelstunde erwarte ich Sie hier“, sagte Spence. „Bevor Sie um zwölf den Anwaltstermin wahrnehmen, werden wir eine Einkaufstour machen.“

„Das ist wohl ein Scherz?“

Er schaute sie irritiert an. „Haben Sie etwas dagegen, dass ich Sie begleite?“

So hatte sie das nicht gemeint. Sie lächelte. „Um viertel nach neun bin ich wieder da.“

Wenige Minuten später stand sie in Jacobs Einzelzimmer.

„Hallo.“ Kayla trat an sein Bett vor dem Fenster und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Hallo“, erwiderte ihr Bruder mit schläfriger Stimme. Offenbar hatte er schon ein Beruhigungsmittel bekommen. Kayla strich ihm mitfühlend über das Haar. Jacob war für sie der wichtigste Mensch auf der Welt. Seit dem Tod ihrer Mutter hatten sie einander bedingungslos beigestanden, gemeinsam getrauert, gemeinsam der Verzweiflung getrotzt und um ein Minimum von Würde gekämpft, als ihr Vater mitsamt seinem Imperium untergegangen war.

Danach, als sie völlig verarmt waren, hatte Jacob alle anderen Pläne aufgegeben, und sie hatten beide bis spät in die Nächte gearbeitet, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und Schulden abzuzahlen.

Sie betrachtete die Verletzungen an seinem Kiefer und der Wange. Heute bei Tageslicht waren sie viel deutlicher zu erkennen als am vorigen Abend. Wie viele davon hatte man ihm noch zugefügt?

Am meisten aber sorgte sie sich um sein Bein mit dem zertrümmerten Knie. Sie dachte an die bevorstehende Operation und hoffte, dass sie erfolgreich verlaufen würde. Nicht auszudenken, wenn Jacob einen dauerhaften Schaden davontrüge, nicht laufen und Sport treiben könnte.

Die Angst um sein Wohlergehen rückte Duardos Angebot und auch ihre Gründe, es anzunehmen, ins rechte Licht.

„Wie fühlst du dich?“, fragte sie mitfühlend.

Ihr Bruder lächelte schwach. „Ich bin nicht mehr ganz da.“

„Alles wird gut ausgehen.“

„Danke.“ Er drückte ihre Hand, und Kayla musste alle Kraft zusammennehmen, um gegen die aufsteigenden Tränen anzukämpfen.

Wenige Minuten später kam eine Krankenschwester, prüfte seinen Zustand und rief dann Krankenpfleger, damit sie ihn in den Operationssaal brachten.

„Am Ende des Korridors gibt es einen Besucherraum, wo Sie warten können“, sagte die Schwester zu Kayla. „Aber in den nächsten fünf Stunden wird Ihr Bruder nicht in sein Zimmer zurückgebracht.“

Kayla bedankte sich für die liebevolle Pflege, hinterließ bei der Oberschwester ihre Handynummer und bat um einen Anruf, falls Jacob früher als erwartet aus der Narkose erwachte.

Als Kayla aus dem Krankenhaus trat, wartete Spence bereits. Er fuhr sie in die teuerste Einkaufsgegend der Stadt, dorthin, wo auch sie früher eingekauft hatte. Kleidung, Schuhe, Handtaschen und Schmuck.

„Sie sollten zuerst das besorgen, was Sie für diese Hochzeit benötigen“, sagte Spence.

Erwartete er von ihr zur Schau gestellte Vorfreude? Oder gar Begeisterung? Sie hatte keine Ahnung, wie viel Spence über ihr Verhältnis zu Duardo wusste.

„Ich brauche ein paar Tipps“, gab sie offen zu.

Spence wusste sofort, was sie meinte. „Es ist eine kleine intime Zeremonie vorgesehen. Duardos Rechtsanwalt und ich sind Trauzeugen.“

Keine Gäste. Das machte vieles einfacher. Sie brauchte also nichts übertrieben Ausgefallenes, eher etwas Stilvolles.

Schon in der ersten Boutique entdeckte sie das perfekte Kleid für die Trauung. Es war cremefarben und im Stil der 20er Jahre geschnitten. Der mit winzigen Glasperlen geschmückte Überrock endete unter den Knien. Das ärmellose Oberteil betonte ihre schmale Figur. Sie fühlte sich wohl in dem eleganten Kleid.

Wie anders hatte das lange weiße Brautkleid ausgesehen, was sie für ihre erste Hochzeit in Hawaii eingepackt hatte. Damals war sie eine liebende Braut gewesen und hatte sich Duardo vertrauensvoll hingegeben.

Doch diesmal …

Wieder stand ihr die Hochzeitsnacht bevor. Würde sie die Augen schließen und Duardo etwas vormachen müssen? Oder genießen, was sie bereits miteinander geteilt hatten?

Die Erinnerung daran erhitzte und erregte sie.

Sie durfte nicht daran denken, sondern musste alles auf sich zukommen lassen.

Mit einem tiefen Seufzer betrachtete Kayla sich noch einmal kritisch im Spiegel. Ja das Kleid war genau das richtige für eine kleine Zeremonie.

Allerdings versetzte der Preis ihr einen Schock. Und auch die zum Kleid passenden Schuhe waren sündhaft teuer.

Vor fünf Jahren hatte sie keinen Gedanken an Geld verschwendet. Diesmal stand sie verlegen abseits, als Spence mit Duardos Kreditkarte bezahlte und die Verkäuferin die Sachen einpackte.

Der Auslage eines Wäschegeschäfts schenkte sie nur einen kurzen Seitenblick und wollte vorbeieilen. Doch Spence bestand darauf hineinzugehen.

Zwischen all der Seide und Spitze fühlte sie sich wie im Märchenland. Wie gerne hätte sie alles angeschaut und angefasst. Aber sie wählte nur rasch und gezielt einen passenden BH sowie eine schlichte Garnitur aus und ignorierte Spence’ Aufforderungen, doch mehr zu kaufen.

Nachdem sie die Bankangelegenheiten erledigt hatten, machten sie eine kleine Kaffeepause, bevor Spence sie zum Rechtsanwalt brachte. Dort unterzeichnete sie den Ehevertrag. Danach reichte der Mann ihr einen Umschlag.

„Duardo hat mich gebeten, Ihnen diese beglaubigten Kopien zu geben.“

Im ersten Moment begriff sie nicht. Dann fiel ihr ein, dass es sich um Duardos Angebot für die Übernahme von Benjamins Konsortium handeln musste.

Als der Fahrer Kayla zurück zum Krankenhaus brachte, war es schon nach zwei.

„Die Einkäufe nehme ich mit nach Hause. Maria wird sie in Ihr Zimmer bringen.“

„Danke“, sagte Kayla. „Und auch vielen Dank für den Tag. Sie haben mir sehr geholfen.“

„Das habe ich gern getan.“ Er lächelte warmherzig.

Jacobs Zimmer war noch leer. Kayla erfuhr von der Oberschwester, dass die Operation länger als erwartet gedauert habe und ihr Bruder in frühestens einer Stunde zurück auf die Station gebracht werde.

Sie setzte sich in die Cafeteria und versuchte, sich die Zeit mit einem kalten Getränk und einer Zeitschrift zu vertreiben. Doch ihre Gedanken schweiften immer wieder zu der kommenden Nacht.

Würde sie so harmlos vorübergehen wie die vergangene? Ihr Verdienst war es nicht gewesen. Wenn Duardo sie berührt hätte, wäre sie dahingeschmolzen.

Es war zum Verrückwerden! Bei Kayla wollten Körper und Geist getrennte Wege gehen.

Plötzlich fiel ihr ein, was sie vergessen hatte zu besorgen. Sie erhob sich, steuerte eine Ambulanz an und ließ sich ein Rezept für die Antibabypille verschreiben. Danach ging sie in die Krankenhaus-Apotheke.

Als sie in Jacobs Zimmer zurückkam, war er gerade hereingerollt worden. Solange Schwestern und Pfleger ihn versorgen, hielt sie sich abseits.

„Ihr Bruder hat schwere Beruhigungs- und Schmerzmittel bekommen“, erklärte ihr die Stationsschwester. „Er wird noch eine Weile benommen sein.“

In den nächsten Stunden bewegte er sich hin und wieder, schlug die Augen auf und lächelte Kayla an, bevor er schließlich einschlief. Doch Kayla blieb an seinem Bett sitzen.

„Sie sollten jetzt besser nach Hause gehen und morgen wiederkommen“, mahnte sie die Schwester, die stündlich nach Jacob sah.

„Eine gute Idee“, sagte eine vertraute Männerstimme.

Duardo stand in der Tür des Krankenzimmers.

„Ich habe mit dem Chirurgen gesprochen. Die Operation ist gelungen. Dein Bruder wird keine bleibenden Schäden davontragen.“

Kayla atmete auf, doch sie wollte nicht von der Seite ihres Bruders weichen. „Die Besuchszeit ist noch nicht zu Ende.“

„Ihr Bruder wird bestimmt bis morgen durchschlafen“, sagte die Schwester.

Nur widerwillig erhob Kayla sich und verließ an der Seite Duardos das Zimmer. „Bitte sagen Sie ihm aber, dass ich hier war.“

Schweigend gingen sie zum Parkplatz.

„Du hättest mich nicht abholen müssen“, sagte sie, als er ihr galant in den Wagen geholfen hatte.

„Fang nicht wieder damit an.“

Sie schaute finster. „Machst du das aus Rücksichtnahme, oder passt du nur auf deinen Besitz auf?“

„Steig ein, Kayla! Und hüte deine spitze Zunge.“

„Ist das eine Drohung?“

„Das kannst du deuten, wie du willst.“

Es war sinnlos, ihn zu provozieren. Also verstummte sie wieder und hing ihren Gedanken nach. Doch sobald sie Double Bay erreichten, begann Kayla, nervös zu werden. Hier lagen die exklusiven Restaurants. Wer sich sehen lassen wollte, der ging hierher.

„Ich habe keinen Hunger.“ In Wirklichkeit fand sie, dass sie in Jeans, T-Shirt und Jacke unpassend angezogen war.

Duardo ließ sich von ihrem Einwand nicht schrecken und parkte den Wagen. „Wir können jetzt beide etwas vertragen.“ Er musterte sie flüchtig. „Und mit deinem Aussehen ist auch alles in Ordnung.“

Kurz darauf, als der Oberkellner des kleinen Lokals am Pier sie zuvorkommend begrüßte und noch einen Tisch für sie organisierte, wurde Kayla wieder bewusst, was es bedeutete, in Begleitung von Duardo Alvarez zu sein. Automatisch öffneten sich auch ihr alle Türen.

Statt Wein bestellte sie Wasser und wählte wieder nur eine Vorspeise und Obst zum Nachtisch, während Duardo sich für ein exotisches Fischgericht entschied.

„Sagtest du nicht, dass wir beim Abendessen etwas zu besprechen haben?“, fragte sie.

Er sah sie spöttisch an. „Lass uns erst einmal in Ruhe essen.“

Gut, dann wollte sie sich an ihre Kinderstube erinnern und höflich Konversation treiben. „Ich möchte mich für Spence’ Unterstützung beim Einkaufen bedanken.“

„Musst du nicht. Es war schließlich mein Wunsch.“ Er lehnte sich zurück. „Hast du es genossen?“

„Letztlich kann keine Frau Einkäufen widerstehen.“

Es fiel Kayla schwer, sich auf das Essen zu konzentrieren. Sie fühlte sich beobachtet. Jeder hier kannte Duardo Alvarez zumindest vom Sehen, und zweifellos fragten sich die anderen Gäste, wer die Frau war, mit der er zu Abend aß. Wenn erst einmal bekannt würde, welche Rolle sie in seinem Leben spielte, würde die Neugier noch wachsen.

Die Gerüchteküche würde kochen und schmutzige Details über sie in Umlauf bringen. All das würde sie nicht kaltlassen. Sie fürchtete sich davor, mit ihren Gefühlen unter den Augen der Öffentlichkeit fertig werden zu müssen.

„Du bist so schweigsam.“

Kayla legte das Besteck beiseite und trank einen Schluck Wasser. „Erwartest du, dass ich dich unterhalte, Duardo?“

„Nicht unbedingt.“ Für ihn war es eine angenehme Abwechslung, einer Frau gegenüberzusitzen, die sich nicht krampfhaft darum bemühte, ihm zu gefallen.

„Dann könnten wir doch jetzt besprechen, was wir zu besprechen haben.“

„Du scheinst eine Liste mit Themen abarbeiten zu wollen“, sagte er sichtlich amüsiert.

„Du etwa nicht?“

Der Kellner räumte das Geschirr ab und fragte, wie sie den Kaffee wünschten.