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UNTER DEN STERNEN DER ÄGÄIS von LOUISE FULLER Magisch funkeln die Sterne über der Ägäis und wecken eine fremde Sehnsucht in Achileas. Doch der griechische Selfmade-Millionär darf nicht vergessen: Die junge Effie hat ihn nur aus einem Grund auf seine Insel begleitet – als seine falsche Braut. Oder liest er in ihren Augen dasselbe Begehren, das er in seinem Herzen verspürt? GEHEIMES RENDEZVOUS IM ROSENGARTEN von MELODY SUMMER Ein verwunschener Garten hoch über den Klippen Cornwalls: Hingebungsvoll kümmert sich Rosenzüchterin Charlotte um das grüne Paradies des Duke of Snowshill. Doch sie spürt: Ihr verwitweter Boss und seine kleine Tochter benötigen ihre liebevolle Zuwendung viel dringender … SIEBEN NÄCHTE MIT DEM EX von LOUISA HEATON Eine Woche gemeinsam in der Wildnis? Ärztin Beau kann nicht fassen, dass ihr Ex-Verlobter auch am Survival-Camp teilnimmt. Vor Jahren hat Gray sie vor dem Altar stehen lassen – trotzdem herrscht zwischen ihnen ein Verlangen, das so wild ist wie die faszinierende Natur des Yellowstone-Nationalparks!
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Seitenzahl: 595
Louise Fuller, Melody Summer, Louisa Heaton
JULIA SOMMERLIEBE BAND 34
IMPRESSUM
JULIA SOMMERLIEBE erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA SOMMERLIEBE, Band 34 06/2023
© 2022 by Louise Fuller Originaltitel: „Maid for the Greek’s Ring“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Eva Ritter
© 2022 by Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg für Melody Summer: „Geheimes Rendezvous im Rosengarten“
© 2016 by Louisa Heaton Originaltitel: „Seven Nights with Her Ex“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MEDICAL ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Nora Teludes
Abbildungen: Harlequin Books S. A., SituGupta, RBT_3010, neirfy, NYS444, chaluk / Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 06/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751520010
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Die Honeymoon Suite im legendären Stanmore Hotel in Mayfair war zweifellos der schönste Raum, den Effie Price je zu Gesicht bekommen hatte. Und ganz sicher unerschwinglich teuer, wenn auch nicht ganz so kostspielig wie die Royal Suite, wo eine Übernachtung vermutlich fast so viel kostete, wie sie als Zimmermädchen im Jahr verdiente.
Sie blickte an ihrem tadellosen schwarzen Kleid mit der blitzsauberen weißen Schürze hinab. Höchste Zeit, sich an die Arbeit zu machen. Schließlich wurde sie nicht fürs Staunen bezahlt, sondern fürs Putzen.
Leichter gesagt als getan in dieser absolut überwältigenden Umgebung. Das ganz in Creme gehaltene Wohnzimmer der Suite war groß genug, um als Landeplatz für einen kleinen Jet zu dienen. Die Kronleuchter funkelten, das Holz der handgefertigten Möbel schimmerte sanft. Darüber hinaus war die Suite mit allem ausgestattet, was die moderne Technik hergab. Alles ließ sich per Knopfdruck oder Sprachbefehl steuern. Rechtfertigte das den horrenden Preis?
Seufzend strich Effie über den marmornen Kaminsims. Eine rhetorische Frage. Abgesehen davon, dass sie nicht das nötige Kleingeld besaß, um sich hier einzumieten, hatte sie auch keinen Partner, mit dem sie hier ihre Flitterwochen verbringen könnte. Die niederschmetternde Wahrheit lautete, dass sie mit ihren zweiundzwanzig Jahren noch nie fest mit jemandem zusammen gewesen war.
„Hier steckst du. Ich habe dich schon überall gesucht“
Effie blickte über die Schulter zurück auf Janine und Emily, ihre beiden Freundinnen und Kolleginnen, die die Köpfe zur Tür hereinsteckten.
Janine hob die gebrauchten Handtücher vom Boden auf und warf sie in den Wäschewagen. „Schwupps! Wir können hier fertig machen.“
Effie schüttelte den Kopf. „Schon okay, ich bin fast durch.“
In Gedanken strich sie die To-do-Liste ab. Die flauschige Decke aus Entendaunen auf dem großen Himmelbett im Schlafzimmer war akkurat gefaltet, das Holz poliert, die Minibar aufgestockt. Im Badezimmer hatte sie alles sorgfältig geputzt und die Toilettenartikel aufgefüllt, frische Handtücher und Bademäntel hingehängt, die Spiegel poliert …
„Ich muss nur noch staubsaugen.“
„Das kann ich doch tun.“ Emily schnappte sich den Staubsauger. „Komm schon, Effie. Wir kriegen das schon hin. Du musst los. Heute ist der große Tag.“
Ihr wurde plötzlich ganz flau im Magen. Der große Tag.
Das klang wie aus einem Kitschroman. Nur dass es keine Fiktion war, sondern tatsächlich passierte. In einer Stunde, um genau zu sein.
Ihr Herz klopfte wild, halb vor Panik, halb aus Vorfreude. Schon als kleines Mädchen hatte sie davon geträumt, sich später einmal als Parfümeurin selbstständig zu machen. Ihre Mutter Sam hatte zu Hause ein Kosmetikstudio betrieben, und Effie hatte ihre Kundinnen kommen und völlig verändert gehen gesehen. Es war reine Magie gewesen.
Genauso magisch fand sie es, einen Duft zu kreieren, zu erleben, wie dieser die Persönlichkeit seiner Trägerin betonte. Parfüm besaß die Macht, die Stimmung zu verändern, sorgte dafür, dass man sich glücklich, sexy oder stark fühlte.
Doch sie wollte nicht nur das Leben von irgendwelchen fremden Leuten beeinflussen. Sie wollte, dass ihre Mutter sich nicht ständig um Geld sorgen musste.
Und heute würde sie endlich den ersten Schritt in diese Richtung unternehmen.
Ihre Haut prickelte vor Aufregung. Sie konnte es immer noch nicht wirklich glauben, doch wenn der Termin so verlief wie erhofft und die Bank dem Kredit zustimmte, würde das Geld in achtundvierzig Stunden auf ihrem Konto sein. Und dann würde sich auch ihr Leben zum Positiven verändern.
Das war ihr großer Traum – ihr Versprechen an sich selbst.
Wenn sich dieses Versprechen erfüllte, dann wäre es endlich mit all dem vorbei: Papierkörbe leeren, anderer Leute schmutzige Handtücher einsammeln … Nur die Zusammenarbeit mit ihren Freundinnen würde sie vermissen. Plötzlich wurde ihr die Kehle eng.
Zwei Minuten später hatte sie sich von den beiden verabschiedet und lief mit forschen Schritten den langen Korridor entlang. Ihre Brille drückte ein bisschen. Sie hatte sie gerade abgenommen und rieb sich den schmerzenden Nasenrücken, da verließ ein Mann den Fahrstuhl. An seinem Arm hing eine Frau, die sich an ihn klammerte wie an einen Rettungsring.
Effie verlangsamte zögernd ihren Schritt. Die Gäste in diesem Flügel des Hotels waren entweder sehr reich oder sehr berühmt oder beides zusammen. Wie auch immer, Kontakt zwischen dem Personal und den Gästen war vom Management nicht gewünscht. Instinktiv versuchte sie, sich so unsichtbar wie möglich zu machen, und hielt sich dicht an der Wand.
„Hm, sind wir hier überhaupt richtig?“
Beim Klang der Stimme des Mannes überlief Effie eine Gänsehaut. Normalerweise reagierte sie eher auf andere Sinneseindrücke wie Gerüche und Geschmack. Doch die Stimme dieses Mannes war unmöglich zu ignorieren. Sie klang tief und volltönend mit einem leicht spöttischen Unterton.
In einen Duft übersetzt käme es einer Mischung aus Lavendel und Tabak gleich, mit einem Hauch Tonkabohne.
Sie hob den Blick und hielt den Atem an. Dichtes schwarzes Haar umrahmte ein kantiges Gesicht mit einem kühn geschwungenen Mund und blauen Augen. So blau wie das Meer, eine Verlockung, darin einzutauchen.
Nie zuvor war ihr ein derart attraktiver Mann begegnet.
Ihre Kehle fühlte sich plötzlich ganz trocken an, und sie hat Mühe zu atmen. Rasch streckte sie die Hand aus, um sich an der Wand abzustützen, weil sie fürchtete, das Gleichgewicht zu verlieren.
Der Mann registrierte sie nicht, war ganz auf die Frau an seiner Seite konzentriert. Wer auch immer sie war, in ihrer Attraktivität stand sie ihm in nichts nach – groß und schlank mit einer wallenden Mähne schimmernden blonden Haars.
„Das ist das falsche Stockwerk.“
Der Mann drehte sich um, zog die Frau mit sich in den Fahrstuhl. Als er die Hand hob, um den Fahrstuhlknopf zu drücken, sah er in Effies Richtung.
Effie hielt den Atem an. Es war ein Gefühl, wie von einer riesigen Welle getroffen zu werden. Alles um sie herum versank in dieser Welle, ihr ganzer Körper bebte, und eine unbekannte Sehnsucht durchströmte sie.
Sehnsucht wonach?
In diesem Moment schlossen sich die Fahrstuhltüren.
Nachdem sie die Brille wieder aufgesetzt hatte, starrte Effie auf ihr Spiegelbild in der schimmernden Stahltür, erfüllt von Panik und Verwirrung. Die Frage konnte sie nicht beantworten. Wie auch? Sie hatte nie zuvor etwas erlebt, was sich mit diesem Gefühl vergleichen ließ.
Nicht, dass es ihr etwas ausmachte, noch Jungfrau zu sein. Wenn sie sich all die Trennungsgeschichten ihrer Freundinnen anhörte, war sie sogar ziemlich erleichtert. Die unglückliche Ehe ihrer Eltern hatte dafür gesorgt, dass sie Idealen wie Liebe und Hingabe zutiefst misstraute. Und was Sex betraf – da hatte sie wohl einfach noch nicht den Richtigen getroffen.
Nicht einmal den Falschen.
Es war nicht so, dass sie sich scheu und zurückhaltend verhielt. Doch weil sie sich schon früh um ihre Mutter hatte kümmern müssen, war ihr nicht viel Zeit für die Vergnügungen eines normalen Teenagers geblieben. Abgesehen von ein paar ungeschickten Küssen auf irgendwelchen Silversterpartys hatte sie nie was mit einem Mann gehabt.
Doch dieser Mann – dieser Fremde – hatte sie mit seinem Blick berührt. Und es hatte sich richtig echt angefühlt und so intim, wie sie es noch nie erlebt hatte.
Kopfschüttelnd setzte Effie sich in Bewegung und eilte den Korridor entlang.
Das alles ergab doch keinen Sinn. Wahrscheinlich war sie nur nervös wegen des bevorstehenden Termins. Deshalb fühlte sie sich so schwindelig und zittrig.
Unten angekommen, warf sie einen prüfenden Blick auf ihre Uhr. Ihr blieb noch reichlich Zeit, um sich umzuziehen. Doch wie üblich, wenn sie in ihrer Arbeitsuniform die Hotelhalle durchquerte, wurde sie zwischendurch von Gästen aufgehalten, die sich nach dem Weg zum Restaurant erkundigten oder etwas anderes wissen wollten. Was dazu führte, dass sie schließlich doch noch in Zeitverzug geriet und es nicht mehr schaffte, die Kleidung zu wechseln. Das war zum Glück nicht so schlimm. In der Bank wusste man, wie sie ihr Geld verdiente, und sie schämte sich nicht für ihren Job.
Während sie auf einen der Seiteneingänge zuhielt, streifte sie sich die Schürze ab und löste das Haar aus dem strengen Knoten. Plötzlich dachte sie sehnsuchtsvoll an die Frau, die vorhin in Begleitung des umwerfenden Mannes aus dem Lift gestiegen war. So würde sie auch gerne aussehen, elegant und weltgewandt. Stattdessen war sie viel zu dürr, mit langweiligen braunen Haaren und langweiligen braunen Augen unter einer langweiligen braun geränderten Brille.
Doch wer weiß. Würde sie als attraktive, weltgewandte Frau durchs Leben gehen, hätte sie vielleicht nie diese Leidenschaft für Düfte entwickelt, womit ihr wirklich etwas Großartiges entgangen wäre. Für sie bedeutete ein Duft nicht nur, einem schicken Outfit den letzten Schliff zu verleihen. Es war so viel mehr. Das Ticket in eine Welt jenseits der vier Wände ihrer winzigen Ein-Zimmer-Wohnung.
Ihr Herz klopfte vor Aufregung, als sie mit einem zuversichtlichen Lächeln um die Lippen nach draußen in den klaren Frühlingstag trat. Den letzten Gedanken sollte sie in ihrem Handy für das Vorstellungsgespräch festhalten. Plötzlich durchfuhr sie ein Schreck.
Ihr Handy!
Hektisch durchwühlte sie ihre Handtasche, vergeblich. Sie musste es in ihrem Spind vergessen haben. Ohne würde sie den Weg zur Bank nie im Leben finden, sie hatte einen fürchterlichen Orientierungssinn. Also blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als noch einmal zurückzugehen und es zu holen.
Alles wird gut, versuchte sie sich zu beruhigen, während sie die Straße zum Seiteneingang des Hotels entlangeilte.
In diesem Moment schwang die Tür auf, und ein Mann kam heraus, flankiert von zwei Kraftprotzen in schwarzen Anzügen. Seine Augen waren hinter einer modischen Sonnenbrille verborgen, sein Blick auf das Handy in seiner Hand gerichtet. Doch sie wusste auch so, dass er blaue Augen hatte.
Es war der Mann aus dem Lift. Und er war drauf und dran, sie buchstäblich über den Haufen zu rennen.
Rasch versuchte sie, ihm auszuweichen, doch es war bereits zu spät. Flüchtig registrierte sie eine breite Männerbrust in einem blauen Hemd, dann rutschte ihr die Tasche von der Schulter, als sie gegen die harte Wand definierter Muskeln prallte.
„Oh, es tut mir so leid“, entschuldigte sie sich ganz automatisch – denn der Gast hatte natürlich immer recht.
Im nächsten Moment umfasste er stützend ihren Arm. Sein Griff schmerzte nicht, sein atemberaubender Anblick hingegen ja. Ihr Herz machte einen Satz, und ihr wurde plötzlich schwindlig.
Der Mann strahlte eine beinahe animalische Vitalität aus, eine Macht und eine kaum gezügelte Wildheit, die sie in Panik versetzten. Ihr wurde bewusst, wie sich ihr Atem beschleunigte. Ihr Puls raste.
„Es bräuchte Ihnen nicht leidzutun, wenn Sie auf Ihren Weg achten würden“, versetzte der Mann barsch, während er sie mit einem Blick durchbohrte, der sie abwechselnd heiß und kalt erschauern ließ. Lässig tippte er mit dem Zeigefinger auf ihre Brille. „Vielleicht sollten Sie sich mal neue Gläser anschaffen.“
Effie sah ihn an, spürte, wie ihre Wangen brannten. Er war ihr viel zu nah, das benebelte ihren Verstand.
Schließlich schaffte sie es, ihm ihren Arm zu entziehen. „Eigentlich sind Sie ja in mich hineingerannt, Mr. …“
„Kane. Achileas Kane.“
Achileas … abgeleitet von Achilles, dem größten Helden des antiken Griechenlands. Furchterregend, unbarmherzig, unerbittlich.
Er war Resident der Royal Suite im Stanmore Hotel.
„Mit wem habe ich das Vergnügen?“ Seine Stimme klang sanft mit einem harten Unterton, der sie erbeben ließ.
„Effie Price.“ Nie gehört, bedeutete sein arroganter Blick. „Wie gesagt, Sie sind in mich hineingerannt. Vielleicht brauchen Sie auch mal eine Brille.“
Zorn flammte in seinen blauen Augen auf, und wieder stockte ihr der Atem. Hinter ihr schien der Lärm der Hauptstraße zu verstummen, sie nahm nichts außer dem Klopfen ihres Herzens wahr.
Ihre Haut kribbelte. Um seinem durchdringenden Blick zu entfliehen, bückte sie sich, wollte ihre Tasche aufheben. Er kam ihr zuvor, hielt die Tasche fest außerhalb ihrer Reichweite. Die Sonne zauberte faszinierende Lichtreflexe auf sein Gesicht.
„Ach, meinen Sie?“, fragte er gedehnt.
Sie spürte einen Anflug von Irritation. Die Sonne ließ ihn in himmlisch goldenem Licht wie einen mythischen Helden erstrahlen, was aber nichts an der Tatsache änderte, dass er ein arroganter Kerl war.
„Ja, das meine ich. Oh, und wo wir gerade beim Thema sind, ich nehme meine Entschuldigung zurück“, fügte sie spitz hinzu, als sie wieder zu Atem kam. Nur weil er wie ein griechischer Gott aussah, hieß das noch lange nicht, dass er sich auch so benehmen durfte.
„Wie bitte?“ Jetzt schaute er sie an, als sähe er sie zum ersten Mal.
Wahrscheinlich war es auch so. Sie war es gewohnt, ignoriert zu werden – warum sollte es nun anders sein? Vielleicht war er aber auch nur verblüfft, dass jemand, vor allem jemand wie sie, sein Weltbild ins Wanken brachte.
„Zurücknehmen?“ Seine Stimme klang sanft und leise, um seine Lippen spielte ein sinnliches Lächeln.
Plötzlich fühlte sie sich nicht mehr im Abseits, sondern von der Intensität seines Blicks gefangen genommen. Nur mit Mühe schaffte sie es, diesem Blick standzuhalten. „Es tut mir nicht leid“, erwiderte sie mit bebender Stimme. „Wie kann ich mich für etwas entschuldigen, das ich nicht getan habe? Ich wollte nur höflich sein. Eigentlich sollten Sie sich bei mir entschuldigen.“
Ernsthaft jetzt?
Achileas Kane starrte auf die Frau hinunter, erfüllt von Wut und Fassungslosigkeit.
Zu behaupten, er hätte schlechte Laune, wäre eine Untertreibung. Der Tag hatte schon mies begonnen, als sie heute Morgen endlich die Party in Nicos Haus verlassen hatten.
Sie. Sein Kiefer spannte sich an. Er war nicht mit Tamara gekommen, und er hatte ganz sicher nicht vorgehabt, mit ihr zusammen zu gehen. Ihre neunwöchige Beziehung war eine rein körperliche und für beide Seiten befriedigende Affäre gewesen, die er vor gut sechs Monaten beendet hatte.
Doch aus irgendeinem Grund hatte Tamara gestern Abend beschlossen, dass ihre Beziehung noch lange nicht vorbei war, sondern neu angefacht werden musste, und zwar auf einer ernsten Basis. Sie hatte sich furchtbar betrunken und war dann furchtbar krank geworden. Danach hatte sie sich geweigert, seinen Arm loszulassen, und sich so hartnäckig an ihn geklammert wie der Efeu an Nicos gregorianisches Herrenhaus, sodass es am Ende die beste Lösung gewesen war, sie einfach in sein Hotelzimmer zu bringen und sie ausschlafen zu lassen.
Erst als er ihr sagte, dass er gehen würde, explodierte sie, schleuderte ihm Beschimpfungen auf Englisch und auf Russisch entgegen und drohte ihm mit allen möglichen gewalttätigen und schmerzhaften Vergeltungsmaßnahmen.
Als ihn das nicht umstimmen konnte, hatte sie damit gedroht, ihren Vater anzurufen.
Oleg Iwanow war ein russischer Oligarch und hatte vor Kurzem eine seine Töchter mit einem Tech-Milliardär verheiratet. Nun suchte er aktiv nach geeigneten Ehekandidaten für ihre beiden jüngeren Schwestern.
Achileas’ Rückenmuskeln spannten sich an. Iwanow würde weitersuchen müssen. Heirat stand nicht auf seiner Agenda. Angesichts der Tatsache, dass jede zweite Ehe mit einer Scheidung endete, fragte er sich ernsthaft, warum andere sich auf dieses Wagnis einließen.
Man konnte noch so viele Gelübde vor einem Haufen Zeugen ablegen, es änderte nichts an den Tatsachen. Treue war ein soziales Konstrukt, kein biologischer Imperativ. Als ungewollter Spross des Reederei-Tycoons Andreas Alexios war er der lebende Beweis dafür.
Ein vertrauter Schmerz stieg in ihm auf. Manchmal fühlte es sich an wie ein ausgehöhlter Raum in seiner Brust – ein Vakuum, das nichts jemals ganz ausfüllen konnte. Unterschwellig war es immer da, und er hatte gelernt, mit dem Gefühl zu leben.
Nur dass sich jetzt unerwartet die Chance bot, das zu ändern.
Trotz des Scheiterns seiner Ehe war Andreas ein traditioneller griechischer Mann, ein Patriarch aus einer der ältesten Reederfamilien Griechenlands. Außerdem war er krank und sah sich angesichts seiner eigenen Sterblichkeit mit seinem Vermächtnis konfrontiert. Und das ohne legitimen männlichen Erben.
Aus diesem Grund war er nun bereit, seinen unehelichen Sohn in den Alexios-Clan aufzunehmen.
Nach zweiunddreißig Jahren, vier Monaten und zehn Tagen hatte Andreas beschlossen, dass er seinen einzigen Sohn in sein Leben einbeziehen wollte – besser gesagt in das, was davon übrigblieb.
Der Gedanke ließ Achileas zusammenfahren. Als Kind hatte er immer gewusst, dass Richard Kane nicht sein Vater war. Wie oft hatte er davon geträumt, seinen leiblichen Vater zu treffen. Natürlich war es dann nicht so gelaufen wie in seiner Fantasie. Es war, als würde er einem Fremden gegenüberstehen. Einem kühl blickenden, vornehmen Fremden. Der ihm Legitimität und Akzeptanz versprach.
Unter einer Bedingung.
Er wollte, dass sein einziger Sohn sesshaft wurde und heiratete. Und Erben produzierte, die den Fortbestand des Hauses Alexios sicherten.
Wenn es nur so einfach wäre.
Achileas dachte an Tamara. War es vielleicht doch so einfach? Sie war wohlhabend, schön und gut im Bett. Außerdem wollte sie eine ernste Beziehung. Nun, ernster als die Ehe konnte es nicht werden. Wenn er sie fragte, ob sie seine Frau werden wolle, würde sie bestimmt sofort Ja sagen.
Aber die Wahrheit war, dass er Tamara nicht heiraten wollte. Und Kinder in die Welt setzen … das kam nicht infrage. Wie sollte er, der seinen eigenen Vater nie gekannt hatte, wissen, wie man ein guter Vater war?
Wie auch immer, er hatte die Nase voll von Beziehungen, ganz besonders von Beziehungen mit Frauen, die glaubten, sie könnten ihren Willen durchsetzen, indem sie schrien und weinten und mit dem Fuß aufstampften. Das war ihm einfach zu unreif.
Sein Blick fiel auf die Frau, die provokativ mit dem Fuß wippte. Nicht dass sie geschrien oder geweint hätte.
Aber offenbar erwartete Effie Price, dass er sich entschuldigte.
Was glaubte sie eigentlich, wen sie vor sich hatte? Und noch wichtiger: Wer war sie, dass sie so mit ihm sprach?
Abschätzig ließ er den Blick über ihre flachen Schuhe und ihre billige Tasche gleiten. Und dann dieses unscheinbare Kleid, das aussah wie aus der Mottenkiste.
Wäre sie nicht in ihn hineingelaufen, hätte er sie wahrscheinlich gar nicht bemerkt. Sein Blick erreichte ihr kleines ovales Gesicht. Hm, irgendwie kam sie ihm bekannt vor …
Ach, zum Teufel, es reichte langsam. Er war müde und hungrig und hatte es eilig. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war, von dieser kleinen Miss Nobody belehrt zu werden.
„Das wird nicht passieren“, sagte er leise.
Sie blinzelte hinter den dicken Gläsern ihrer Brille, und es herrschte einen Moment lang Schweigen.
Eigensinnig schob sie das Kinn vor. „Dann haben wir beide uns nichts mehr zu sagen“, versetzte sie hochnäsig. „Geben Sie mir einfach meine Tasche zurück, ich muss los.“
Achileas’ Kiefer mahlten. Sie hatte ihn abgewiesen. Er starrte sie an, zu fassungslos, um etwas zu sagen. Sein Puls raste. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen? Nein, so funktionierte das nicht. Er hatte immer das letzte Wort.
„Entschuldigen Sie, Sir?“
Das war Crawford, der Chef seines Sicherheitsdienstes.
„Was gibt’s?“, fuhr er den Mann an, ohne sich umzudrehen.
„Wir haben ein Problem, Mr. Kane. Anscheinend hat Frau Iwanow ihren Bruder angerufen. Er ist auf dem Weg hierher.“
Achileas stieß einen unterdrückten Fluch aus. Wie er Roman kannte, würde der zweifellos eine gewaltige Szene machen.
Seine Lippen wurden schmal. Normalerweise wäre das kein Problem für ihn. Er blühte regelrecht auf in Konflikten und Konfrontationen. Das war einer der Gründe, warum er es vor seinem dreißigsten Lebensjahr zum Hedgefonds-Milliardär gebracht hatte.
Aber Andreas Alexios verabscheute Skandale. Aus diesem Grund hatte Achileas, sein unehelicher Sohn, nicht bei ihm aufwachsen dürfen.
Er spürte, wie sich der Schmerz in seiner Brust ausbreitete wie eine heiße Flamme. Es war alles lange vor seiner Geburt geklärt worden. Zu dem Zeitpunkt, als seine Mutter von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, war ein Team von Anwälten bei ihr angerückt. Als Gegenleistung für ihr Schweigen hatte sie eine großzügige finanzielle Abfindung erhalten.
Natürlich wusste Achileas jetzt, dass dieser Betrag auch zehnmal so hoch hätte ausfallen können, ohne das Vermögen von Alexios zu schmälern. Aber was noch mehr schmerzte, war die Tatsache, dass sein Vater sich mit seinen Anwälten zusammengesetzt und die Kosten für das Verlassen seines Kindes sorgfältig und genau berechnet hatte.
Es war gerade genug gewesen, um sicherzustellen, dass sein Sohn immer gut versorgt sein würde. Aber nicht genug, um ihn auf eine Stufe mit seinen Halbschwestern und Cousins zu stellen.
Das hatte sich inzwischen natürlich geändert. Er hatte es durch harte Arbeit und Entschlossenheit geändert. Und sein Ehrgeiz, sein Hunger nach Erfolg, nach Sieg, war von dem unausgesprochenen Bedürfnis getrieben, Andreas zu übertrumpfen, sodass er das Vermögen seines Vaters nicht mehr brauchte.
Und er wollte auch keine Beziehung zu Andreas. Die Zeiten waren lange vorbei.
Was er wollte, war Rache. Rache dafür, dass er so lange ignoriert worden war. Eine Abrechnung, um genau zu sein. Er wollte sich nehmen, was ihm von Rechts wegen zustand. Sich zurückholen, was man ihm schuldete. Außerdem war der Name Alexios gut fürs Geschäft. Sein Geschäft. Und das war alles, was für ihn zählte.
Seine Wut an Roman auszulassen, war ein Luxus, auf den er im Moment verzichten musste. Achileas konnte nicht riskieren, seinem Vater einen Grund zu liefern, um sich zurückzuziehen. Wenn das bedeutete, vor einem Kampf davonzulaufen, dann war es eben so.
Trotzdem nagte es an ihm, nicht das letzte Wort zu behalten.
„Zufälligerweise habe ich eine Menge zu sagen“, verkündete er und richtete seine ganze Frustration auf die Frau, die vor ihm stand.
Es herrschte einen Moment lang Schweigen, bevor sie ihn anfuhr: „Dann ist es vielleicht Ihr Gehör, das getestet werden muss, Mr. Kane. Denn ich habe Ihnen gerade gesagt, dass ich losmuss.“
Die Röte auf ihren Wangen ließ sie fast hübsch aussehen. Der Gedanke erschreckte ihn, ebenso wie das heiße Prickeln, das ihn dabei überlief.
„Mit meiner Sehkraft und meinem Gehör ist alles in Ordnung, Miss Price. Wie auch sonst alles bei mir in Ordnung ist.“
„Abgesehen von Ihrem Ego.“ Sie hob die fein geschwungenen Brauen. „Das scheint ein wenig geschwollen zu sein … aufgebläht sogar. Vielleicht sollten Sie deswegen einen Arzt konsultieren.“
Im Vergleich zu den Beleidigungen und Anschuldigungen, die Tamara ihm vorhin entgegengeschleudert hatte, war das nichts. Warum also schmerzte es so sehr? Warum hatte er das Bedürfnis, ihr das Gegenteil zu beweisen?
Da er die Antwort auf diese Frage nicht kannte und auch nicht wissen wollte, blickte er zur Seite, wo seine Leibwächter in respektvollem Abstand warteten.
Verdammt.
Roman konnte jeden Moment auftauchen, und wenn das geschah, geriet womöglich die Versöhnung mit seinem Vater in Gefahr. Und doch zögerte er, das Gespräch zu beenden.
Aus dem Inneren des Hotels erklangen donnernde Schritte, und seine Schultern spannten sich an, als er bemerkte, wie seine Leibwächter herumfuhren.
„Sir …“ Crawford trat wieder vor. „Es wird Zeit.“
Achileas blickte auf Effie Price hinunter. Sie sah weich, klein und jung aus. Bei der Vorstellung, sie in dieser ruhigen Seitenstraße mit Romans explosivem Temperament konfrontiert zu sehen, verspürte Achileas einen Stich der Irritation. Er konnte sie damit nicht alleine lassen. Doch wenn er jetzt nicht sofort verschwand, was passierte dann? Was würde sie sehen und hören? Das Letzte, was er brauchte, war eine Zeugin.
Nimm sie doch einfach mit …
Später würde er sich fragen, was ihn dazu gebracht hatte, diesem völlig verrückten Impuls nachzugeben. Aber in der Hitze des Gefechts schien es nicht nur vernünftig, sondern zwingend notwendig, dass sie ihn begleitete.
„Sie haben den Mann gehört. Wir müssen los.“
Sie riss die Augen auf, rührte sich aber nicht von der Stelle. „Was soll das heißen?“
Hinter ihm drangen erregte Männerstimmen auf die Straße, undeutlich, aber unverkennbar russisch, und die Schritte kamen jetzt näher – zielstrebig, unaufhaltsam.
Es wurde höchste Zeit.
Er machte einen Schritt nach vorne. „Es ist wirklich ganz einfach. Ich muss hier weg. Und Sie kommen mit mir“, erklärte er.
Sie öffnete den Mund, um zu protestieren, aber es war zu spät. Er hatte ihre Tasche bereits auf den Rücksitz geworfen, ignorierte ihr leises, überraschtes Aufkeuchen, schob sie ins Auto und hechtete hinter ihr hinein.
Effie spürte, wie ihr Herz zu pochen begann, als die Autotür zuschlug. Sekunden später setzte sich der riesige schwarze Geländewagen in Bewegung.
Sie konnte nicht glauben, was da gerade geschah. Eben noch hatte sie auf dem Bürgersteig gestanden … im nächsten Moment hatte Achileas Kane sie in den Wagen geschoben, und sie hatte gehorcht, einfach so.
Nun lag sie auf dem Rücksitz seines Wagens, sein Körper dicht neben ihrem, die muskulösen Beine nur Millimeter von ihren Schenkeln entfernt, sein rechter Arm leicht auf ihrer Taille ruhend.
Als lägen sie zusammen im Bett.
Ihre Wangen brannten. Als ob ein Mann wie er ihr Bett teilen würde. Nur Jasper hatte das je getan. Und er war ein Kater.
Ihr stockte der Atem. Das konnte nicht real sein. Geschah das gerade wirklich? Solche Dinge passierten anderen Leuten, nicht ihr.
Sie schluckte. Als sie ihre Atmung wieder unter Kontrolle hatte, fragte sie leise: „Was genau soll das eigentlich werden?“
„Ich glaube, man nennt es Rettungsaktion.“
Seine Stimme war tief, dicht an ihrem Ohr. Ein erregender Schauer durchfuhr Effie, denn nun konnte sie seinen Duft nicht ignorieren. Sie hatte recht gehabt. Da waren Lavendel und Karamell. Und der Duft seiner Haut – sauber, warm …
Sie schloss die Augen und sog den Atem ein.
Männlich.
„Halten Sie Ihren Kopf unten.“
Sie riss die Augen wieder auf. Das war keine Bitte, sondern ein Befehl, barsch hervorgebracht von einem Mann, der noch nie um etwas hatte bitten müssen. Wahrscheinlich hatte er sich auch noch nie bei jemandem bedankt. Warum sollte er auch? Zweifellos war er von Geburt an in dem Glauben erzogen worden, dass er ein Anrecht auf das Leben hatte, das er führte. Wem sollte er danken wollen?
Durch das getönte Seitenfenster konnte sie nicht viel erkennen, aber sie hörte, wie die Hoteltüren aufflogen, und dann war da die Stimme eines Mannes, der wie ein wütender Stier brüllte.
„Wo zum Teufel steckst du? Achileas! Achileas!“
Dann folgte eine wütende Tirade in einer fremden Sprache …
Russisch vermutlich. Das frustrierte Heulen des Mannes hallte die Straße hinunter, und obwohl sich der Wagen bereits in Bewegung gesetzt hatte, konnte Effie nicht verhindern, dass sie zu zittern begann.
„Sie brauchen keine Angst zu haben. Bellende Hunde beißen nicht.“
Achileas’ tiefe Stimme beruhigte sie sofort.
„Ich habe keine Angst“, sagte sie leise, selbst überrascht, dass es die Wahrheit war.
Nur machte das nicht viel Sinn, denn eigentlich sollte sie sich fürchten. Immerhin war sie gerade von einem völlig Fremden in ein Auto verfrachtet worden. Aber – und das ergab nun überhaupt keinen Sinn – er war der Grund, warum sie keine Angst hatte.
Sie fühlte sich verblüfft, überrascht, das ja, aber nicht verängstigt.
Effie räusperte sich und wich von ihm zurück – weg von der hypnotischen Anziehungskraft seines Dufts. „Allerdings bin ich auch nicht geneigt, irgendetwas von dem zu glauben, was Sie sagen, Mr. Kane – wenn man bedenkt, dass Sie mich gerade am helllichten Tag von der Straße gezerrt haben.“
„Eine notwendige Vorsichtsmaßnahme“, erwiderte er leichthin. „Mein Sicherheitschef hatte Informationen über eine mögliche Gefahrenlage. Ich wollte nicht, dass Sie ins Kreuzfeuer geraten.“
„Haben Sie nicht eben noch behauptet, bellende Hunde beißen nicht?“
Effie registrierte sein Zögern. „Ja, und das stimmt auch“, meinte er gereizt. „Roman Ivanov ist nicht gewalttätig, aber unberechenbar. Und im Moment ist er ein wenig aufgebracht.“
Wie um das zu beweisen, hagelte es erneut Beschimpfungen draußen auf der Straße.
„Offenbar ist er sauer auf Sie.“
Die Muskeln seines Unterarms spannten sich unter der Jacke an. „Ja, Miss Marple, das stimmt. Aber das ist keine große Sache.“
„Es klingt, als wäre es eine große Sache für ihn.“
Abrupt rückte er von ihr ab. Sie setzte sich auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Er beobachtete sie schweigend, sein Blick kühl und abschätzend. Dann zuckte er mit den Schultern.
„Er macht viel Lärm um nichts, doch ich bin schon mit Schlimmerem fertig geworden. Das gehört dazu.“ Er verzog die Lippen, lächelte aber nicht. „Hausfriedensbruch. Kidnapping. Autodiebstahl. Es gab Drohungen, mein Haus niederzubrennen. Während ich drin bin. Nun, Sie können natürlich nicht ahnen, wie sich das anfühlt.“
Was grob übersetzt bedeutete, dass er reich und wichtig war, ganz im Gegensatz zu ihr.
„Natürlich kann ich das nicht“, konterte sie. „Ich habe nicht die Angewohnheit, andere Menschen zu verärgern.“
Er fixierte sie mit seinem dunklen Blick, ein Muskel pulsierte in seiner Wange. „Es war nichts“, sagte er schließlich. „Nur ein Missverständnis.“
Effie dachte an die schöne blonde Frau im Aufzug.
Sie mochte unerfahren sein, was Männer betraf, aber sie war nicht dumm. Und als Zimmermädchen in einem Hotel wie dem Stanmore bekam man eine Menge mit. Vermutlich war die schöne Blondine die Freundin des wütenden Russen. Oder seine Frau. Nicht, dass es sie etwas anging.
Herausfordernd sah sie ihn an. „Hat er auch nicht aufgepasst, wo er hingeht?“
Achileas zögerte, bevor er gedehnt meinte: „Als Sie meinten, Sie hätten keine Angst, habe ich Ihnen nicht geglaubt …“
Seine Stimme klang sanft und heiser. Effie erschauerte.
„Aber Sie haben wirklich keine Angst, oder?“
Die Intensität seines Blicks ließ ihre Haut brennen. Niemand hatte sie jemals zuvor so angeschaut – als ob er sie wirklich sehen würde.
Ihr Herz pochte, ihr Magen flatterte vor Panik – weitaus mehr Panik, als sie empfunden hatte, als er sie ins Auto gedrängt hatte.
Wieder überlief es sie heiß, sie fühlte sich seltsam schwindlig. Sie hatte ihn belogen. Er machte ihr tatsächlich ein wenig Angst. Er war einfach zu perfekt. Zu real. Zu maskulin. Zu nah.
Viel zu nah.
Vor allem aber hatte sie Angst vor sich selbst.
Heute Morgen war die Welt noch in Ordnung gewesen, und jetzt verlor sie den Boden unter den Füßen.
Aber war es wirklich Panik, was sie erbeben ließ? Nein, es war etwas anderes. Etwas, das sie nie zuvor empfunden hatte. Ein alles verzehrendes Feuer, eine unstillbare Sehnsucht …
Ihr Herz setzte einen Schlag aus.
Ihr wurde bewusst, dass sie fast das wichtigste Treffen ihres Lebens vergessen hatte.
Schock und Bestürzung durchströmten sie. Dieser Mann, dieser Fremde, hatte es geschafft, dass sie sich selbst vergaß und ihre Hoffnungen, ihre Pläne, ihre Zukunft aufs Spiel setzte.
Abrupt schüttelte sie den Kopf. „Warum sollte ich Angst haben, Mr. Kane? Sie kommen mir nicht gefährlich oder bedrohlich vor.“ Sie holte tief Luft. „Nur arrogant und rücksichtslos.“
Er sah sie aus zusammengekniffenen Augen an und legte die Stirn in Falten, als könne er nicht glauben, was sie sagte. Was verständlich war, denn sie konnte es ja selbst kaum glauben.
Eine unangenehme Spannung hing in der Luft, dann sagte er leise: „Ich habe Sie nicht nach Ihrer Meinung über mich gefragt, Miss Price.“
„Und ich habe nicht darum gebeten, dass Sie mich auf diese Achterbahnfahrt mitnehmen, Mr. Kane.“
Er beugte sich vor, und seine blauen Augen verdunkelten sich wie das Meer vor einem Sturm. „Wie bitte?“ wiederholte er gedehnt. „Sie haben Iwanow doch gehört. Ich habe Ihnen einen Gefallen getan“, behauptete er selbstbewusst. „Was wäre Ihnen lieber gewesen? Dass ich Sie dort alleine zurückgelassen hätte?“
Sie schluckte, die Kehle wurde ihr eng. Nein.
Plötzlich drehte sich ihr fast der Magen um, als ihr der Termin mit dem Bankdirektor in den Sinn kam. Sie dachte an all die Betten, die sie abgezogen hatte. An die Mülleimer, die sie geleert, die Toiletten, die sie geschrubbt hatte.
„Ja, das wäre mir lieber gewesen. Ich hatte einen wichtigen Termin in der Bank. Ihretwegen habe ich ihn verpasst.“
Er machte eine ungeduldige Geste. „Wenn es so wichtig war, warum haben Sie es nicht früher erwähnt?“
„Das habe ich doch“, protestierte sie empört. „Ich habe Ihnen gesagt, dass ich losmuss, aber Sie haben mir überhaupt nicht zugehört.“
Seine Miene verhärtete sich. „Sie sind eine erwachsene Frau, Miss Price. Wenn Sie wollen, dass man Ihnen zuhört, dann sollten Sie sich vielleicht mehr anstrengen, um sich Gehör zu verschaffen.“
„In diesem Fall“, sagte sie und straffte die Schultern, „möchte ich, dass Sie mich zurück zum Hotel bringen. Nein, wenn ich es mir recht überlege, können Sie mich auch einfach hier rauslassen. Dann brauchen Sie nicht zu befürchten, diesem Iwanow zu begegnen.“
„Wie Sie wünschen“, erwiderte er, plötzlich kalt und abweisend.
Er rief dem Fahrer etwas auf Griechisch zu, und innerhalb von Sekunden kam der Wagen zum Stehen.
Als der Bodyguard auf dem Beifahrersitz ausstieg, um ihr die Tür zu öffnen, nahm sie ihre Tasche.
„Passen Sie auf sich auf, Miss Price.“
Sie wandte sich um, ihre Blicke trafen sich.
„Ich bin es ja nicht, der sich versteckt, Mr. Kane“, sagte sie leise.
Sein Gesicht veränderte sich. Er sah erschrocken aus – als hätte sie einen empfindlichen Punkt bei ihm getroffen.
Im nächsten Moment stand sie auf dem Bürgersteig und drängte sich durch die Menge der Passanten. Sie wollte nur weg – weg von seinem wütenden saphirblauen Blick.
Ich bin es ja nicht, der sich versteckt.
Grimmig hob Achileas sein Glas mit Whisky – sein zweites – und stürzte den Inhalt hinunter, während er versuchte, die Fassung wiederzuerlangen. Anspannung war Teil seines Lebens, seiner Arbeit. Doch nie zuvor hatte er sich so zum Zerreißen angespannt gefühlt.
Nachdem Effie aus dem Wagen gestiegen war, war er so wütend gewesen, dass es ihm die Sprache verschlagen hatte. Schließlich hatte er den Fahrer knapp angewiesen, ihn in seine Wohnung zu bringen – in eines der vier Häuser, die er an strategischen Punkten rund um den Globus besaß.
Er schaute sich in der Wohnung um. Wie alle seine Immobilien war sie edel und teuer. Hohe Decken, große Fenster, viel offener Raum, alles in weitgehend neutralen Tönen gehalten. Es gab keine besonderen Merkmale, keine Familienfotos. Alles sah aus wie aus einer schicken Wohnzeitschrift – aber es war kein Zuhause.
Ein Zuhause kannte er nicht, hatte nie eins gehabt.
Er schloss die Hand fest um sein Glas. Am liebsten wäre er ins Stanmore zurückgekehrt, aber es bestand die Gefahr, dass Roman – oder schlimmer noch Tamara – sich im Hotel aufhielt, und er traute sich nicht zu, die Situation ruhig und gelassen zu meistern.
Das ärgerte ihn, denn es schien Effie Prices Anschuldigung zu bestätigen. Vielleicht war das der Grund, warum er seit über einer Stunde auf diesem Sofa saß und grübelte.
Missmutig blickte er aus dem Panoramafenster des Penthouses und ließ seinen Blick über die Skyline schweifen, zwischen den Wahrzeichen Londons hin und her springend. Es gab keinen Grund, Effies Worten einen zweiten Gedanken zu schenken. Sie bedeutete ihm nichts, er wusste nichts über sie. Und doch hatte er das Gefühl, sie sei hier, säße neben ihm und sähe ihn ernst an.
Plötzlich wusste er, warum er sich so fühlte. Es lag daran, dass er ihren Duft noch in der Nase hatte, er erfüllte seine Sinne.
Sein Puls beschleunigte sich.
Normalerweise war er kein großer Fan von Frauendüften, aber dieser hier war nicht so übertrieben verführerisch oder aufdringlich blumig wie viele gängige Parfüms. Effies Duft hatte etwas Subtileres, Geheimnisvolles – wie ein sinnliches Versprechen.
Sein Puls beschleunigte sich, als er sich daran erinnerte, wie es sich angefühlt hatte, sie so dicht neben sich zu spüren. Kurz hatte er gegen den Drang ankämpfen müssen, sie an sich zu ziehen und ihren Duft zu inhalieren, so betörend fand er ihn.
Wütend über die Tatsache, wie nahe er daran gewesen war, die Kontrolle zu verlieren, stand er auf und schlenderte durch den Raum hinaus auf den Balkon, der sich L-förmig um seine Wohnung schmiegte, Im Licht der frühen Nachmittagssonne wirkte London seltsam friedlich, mit einem warmen Schein, der die stählernen Wolkenkratzer vergoldete und die scharfen Ziegelsteinkanten weichzeichnete.
„Entschuldigen Sie bitte, Mr. Kane.“
Achileas drehte sich zu Beatrice, seiner Haushälterin, um. „Was ist denn?“, fragte er ungehalten.
„Es tut mir leid, Sie zu stören, Sir. Crawford hat dies im Auto gefunden und wollte wissen, was er damit machen soll.“ Sie hielt ihm eine Mappe hin.
Nach kurzem Zögern nahm er die Mappe an sich. Sie sah billig aus, war aus Plastik. Er schlug sie auf. Sein Blick blieb an dem Namen oben auf der ersten Seite hängen: Effie Price.
Es handelte sich um einen Business-Plan. Plötzlich wurde er sich des Hämmerns seines Herzens bewusst. „Ich kümmere mich selbst darum.“
Er setzte sich aufs Sofa und begann zu lesen, wobei er die Seiten mit geübter Geschwindigkeit überflog.
Aha. Sie war also Zimmermädchen im Stanmore. Das erklärte zumindest ihr Outfit.
Sein Herz machte einen Satz, als er sich an den Moment vor dem Hotel erinnerte. Sie war ihm so vertraut erschienen. Natürlich, er hatte sie bei der Arbeit gesehen – im Gang, als Tamara darauf bestanden hatte, in der falschen Etage auszusteigen. Nur hatte Effie damals keine Brille getragen.
Zehn Minuten später schloss er den Ordner. Wie bedauerlich, dass sie ihr Treffen verpasst hatte, denn es war ein interessanter Vorschlag. Und sie ist eindeutig eine leidenschaftliche Parfümeurin und dazu noch talentiert, dachte er mit einem Anflug von Wehmut.
Gleichzeitig war er sich jedoch sicher, dass ihr ein Kredit verweigert würde.
Okay, für seine Verhältnisse war der Betrag, den sie sich leihen wollte, winzig. Leider konnte sie so gut wie keine Sicherheiten vorweisen, und er sah Probleme sowohl mit dem Verhältnis zwischen Kosten und Einnahmen als auch mit ihrer Strategie zur Kundengewinnung.
Das konnte ihm natürlich alles egal sein. Es war nur eine willkommene Ablenkung, um den Moment der Wahrheit zu meiden. Denn nach Wochen des Nachdenkens und des Abwägens wusste er immer noch nicht, wie er aus dem Dilemma kommen sollte, das die Bedingung seines Vaters ihm eingebrockt hatte.
Allmählich lief ihm die Zeit davon.
Andreas wollte – konnte – nicht ewig warten.
Ungeduldig klopfte er mit den Fingern auf die Armlehne des Sofas. Achileas wollte nicht heiraten, aber er brauchte eine Frau. Und wer auch immer sie sein mochte, sie musste begreifen, dass ihre Ehe, wenn auch legal, nur zur Show dienen würde. Gleichzeitig musste sie seinem Vater echt erscheinen.
Das war das Problem.
Keine Frau, die er kannte, würde sich darauf einlassen.
Ein Ausweg wäre, jemanden zu bezahlen. Aber er konnte die Stelle kaum öffentlich ausschreiben. Seufzend ließ er die Schultern hängen. Es musste doch eine Lösung geben. Etwas, das er übersehen hatte. Hm, nach Monaten fruchtlosen Grübelns war es vielleicht an der Zeit, den Tatsachen ins Auge zu schauen. Wahrscheinlich existierte gar keine Lösung, keine Frau, die Geld brauchte und sich von seinem Vorschlag nicht abschrecken ließ.
Oder … Lag die Lösung vielleicht direkt vor seiner Nase?
Abrupt richtete er sich auf und griff nach Effies Mappe. Da stand sie: ihre Adresse. Praed Gardens. Eine Idee begann in seinem Kopf Gestalt anzunehmen.
„Beatrice?“
Seine Haushälterin erschien prompt. „Ja, Mr. Kane?“
„Sagen Sie Crawford, er soll den Wagen vorfahren. Ich habe noch ein Meeting.“ Auf dem Weg dorthin konnte es ja nicht schaden, einmal mit seinem Anwalt zu telefonieren …
Effie riss ihren Kühlschrank auf und schaute hinein. Nicht, dass sie nachzusehen bräuchte. Sie wusste auch so, was sich darin befand. Ein halber Liter Milch, eine Tüte mit fertig gewaschenem Salat, einige Joghurts, deren Haltbarkeitsdatum längst überschritten war, und ein Glas Tamarindenpaste.
Ihre Kehle schnürte sich zu. Sie hatte vorgehabt, heute Abend Essen vom Inder zu bestellen – zur Feier des Tages. Aber jetzt gab es nichts zu essen. Oder zu feiern.
Sich rasch im Supermarkt etwas zu besorgen, dazu konnte sie sich nicht aufraffen. Sie wollte nur, dass der heutige Tag einfach vorbeiging. Deshalb war sie auch schon im Pyjama. Denn was der größte Tag ihres Lebens hatte werden sollen, hatte sich in einen Albtraum verwandelt.
Nachdem sie zum Stanmore zurückgeeilt war und ihr Handy aus dem Spind geholt hatte, war sie bereits eine Stunde zu spät für ihren Banktermin. Alles, was sie tun konnte, war, sich zu entschuldigen. Sie hatte nicht erzählt, was passiert war. Schließlich konnte sie schwerlich die Wahrheit sagen. Wer sollte ihr diese abenteuerliche Geschichte denn abkaufen?
Oh, ich hatte mein Handy vergessen, und als ich zurückging, um es zu holen, hat mich einer der Hotelgäste in seinem Wagen entführt.
Frustriert klappte sie die Kühlschranktür zu. Zum Glück hatte sie ihrer Mutter nicht erzählt, dass heute der Tag war. Eigentlich hätte sie einen weiteren Termin vereinbaren sollen, aber sie fühlte sich zu erschöpft.
Insgeheim fragte sie sich, ob es vielleicht Schicksal war … ob ihre Träume nur dazu bestimmt waren, Träume zu bleiben.
Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. Effie wollte nicht weinen. Das tat sie selten. Ihrer Erfahrung nach änderte Weinen sowieso nichts, und es gab Schlimmeres, als einen Termin bei der Bank zu verpassen.
Sehr viel Schlimmeres.
Als Kind hatte sie die Spielsucht ihres Vaters erlebt, das Lügen, das Stehlen, die gebrochenen Versprechen …
Und dann hatte ihre Mutter den Schlaganfall, ihren ersten. Effie konnte sich noch lebhaft an den Schock erinnern, als sie ins Krankenhaus gekommen war und ihre Mutter an unzählige Apparate angeschlossen vorfand. An diesem Tag hatte sich Sams Leben für immer verändert. Sie hatte sich nie wieder ganz erholt. Aber sie hatte auch nicht aufgegeben. Sie konnte vielleicht keine Wimpern mehr färben, aber sie hatte sich selbst das Malen beigebracht – erst Stillleben, dann Porträts. Ihre Freunde, ihre Betreuer …
Und ihre Tochter.
Effie betrachtete das Porträt, das ihre Mutter von ihr angefertigt hatte. Plötzlich spürte sie, wie ihre Beine zitterten, als das Elend, gegen das sie den ganzen Nachmittag gekämpft hatte, ihr den Boden unter den Füßen wegzuziehen drohte. Trotz ihrer Gebrechlichkeit war Sam immer noch ihre größte Stütze, und den Kredit zu bekommen, das Geschäft zum Laufen zu bringen, hätte ihre Mutter so glücklich gemacht.
Wenn sie nur nicht ihr verflixtes Handy vergessen hätte! Das war Effie noch nie passiert, aber sie war abgelenkt gewesen.
Abgelenkt und mit den Gedanken bei einem faszinierenden Mann mit grimmigem Blick …
Ob ihr das Missgeschick mit dem Handy wohl auch passiert wäre, wenn sie ihm im Korridor nicht in die Augen gesehen hätte? Wahrscheinlich nicht. Nur wäre sie dann nie ins Hotel zurückgekehrt. Wäre nie mit ihm zusammengestoßen. Hätte niemals seine Hand an ihrer Taille gespürt oder den verlockenden Geruch seines harten, muskulösen Körpers eingeatmet.
Achileas Kane war eindeutig ein schöner Mann, es war, als würde man ein schönes Gemälde in einer Galerie bewundern. Aber das änderte nichts an seinem unhöflichen, arroganten und eingebildeten Benehmen.
Und doch, wenn sie die Gefühle, die er in ihr geweckt hatte, in Flaschen füllen könnte, diese aufregenden, schwindelerregenden Momente, als sie seine intensive Nähe im Wagen neben sich spürte – das Parfüm würde garantiert ein Verkaufsschlager werden.
In diesem Moment klopfte es an der Tür.
Oh, nein.
Ihr Herz sank. Es gab nur einen Menschen, der um diese Zeit bei ihr auftauchen würde.
Mark, ihr Kollege. Er arbeitete als Portier im Stanmore. Und er war hoffnungslos in Emily verliebt und nahm Effie bei jeder Gelegenheit über sie ins Kreuzverhör. Zu ihrem größten Verdruss hatte er sich angewöhnt, immer öfter auf dem Heimweg von der Arbeit bei ihr vorbeizuschauen. Normalerweise machte sie ihm nur eine Tasse Tee und ließ ihn reden, aber heute Abend könnte sie ihn nicht ertragen.
Sie würde einfach so tun müssen, als wollte sie noch ausgehen, um ihn loszuwerden.
Rasch schlüpfte sie in ihren Mantel an und schloss die Tür auf.
„Guten Abend.“
Effie blinzelte verwirrt. Nicht Mark stand dort, sondern Achileas Kane. Seine imposante Gestalt füllte den Türrahmen aus, seine blauen Augen waren fest auf ihr Gesicht gerichtet. Einen Moment lang konnte sie kaum atmen, geschweige denn sprechen. Woher hatte er ihre Adresse? Und noch wichtiger: Warum war er hier?
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, hielt er ihr eine Mappe hin … ihre Mappe.
„Die haben Sie in meinem Wagen vergessen.“ Er runzelte die Stirn. „Gehen Sie aus? Oder zu Bett?“
Ihr Herz flatterte wie eine Motte in einem Glas. „Weder noch.“
„Wenn das so ist, könnten Sie mich freundlicherweise hereinbitten.“
Wie bitte? Rasch schüttelte sie den Kopf. „Ich lasse keine Fremden in meine Wohnung, Mr. Kane. Nur meine Freunde. Und Leute, die ich hereinlassen muss. Um den Zähler abzulesen oder den Boiler zu reparieren.“
„Ich verstehe.“ Lässig lehnte er sich gegen den Türrahmen. „Nun, wir sind vielleicht keine Freunde, aber ich würde auch nicht behaupten, dass wir Fremde sind. Falls es hilft, kann ich auch gerne so tun, als würde ich den Zählerstand ablesen.“ Es herrschte einen Moment lang Schweigen, dann fügte er leise hinzu: „Bitte, Effie.“
Die Art und Weise, wie er die Betonung auf die zweite Silbe ihres Namens legte, ließ Effie erschauern, und ihr Widerstand bröckelte.
„Okay, Sie können reinkommen, aber bitte fassen Sie sich kurz. Ich muss morgen arbeiten.“
„Im Stanmore.“
„Woher wissen Sie das? Und wie haben Sie herausgefunden, wo ich wohne?“
Er zuckte gleichmütig mit den Schultern, als er durch die Tür schlenderte. „Ich habe Ihren Kreditantrag gelesen.“
Fassungslos sah sie ihn an. „Dazu hatten Sie kein Recht. Das ist privat.“
„Deshalb bringe ich Ihnen die Mappe ja zurück. Waren Sie bei Ihrem Termin?“ Sein intensiver Blick aus blauen Augen schien sie förmlich zu durchbohren.
„Nein, war ich nicht.“
„Bedauerlich, es ist nämlich ein guter Business-Plan. Ein wenig dilettantisch und nicht annähernd ehrgeizig genug, aber er ist gut argumentiert.“
Als er sich interessiert umblickte, folgte sie seinem Blick und versuchte sich vorzustellen, wie ihre kleine, saubere Wohnung für ihn aussehen mochte.
„Haben Sie das gemalt?“ Er deutete auf das Porträt.
„Nein, meine …“ Sie wollte gerade „meine Mutter“ sagen, aber er wusste schon genug über ihr Leben. Mehr brauchte sie diesem umwerfenden, arroganten Mann nicht zu verraten. „Nein, Sam hat es gemalt.“
„Sam?“ Seine Miene wurde düster. „Ist das Ihr Freund?“
„Nein.“ Sie wandte sich ab, damit er die Lüge in ihren Augen nicht erkannte. „Nicht, dass es Sie etwas angeht.“
„Stimmt.“
Als sich ihre Blicke trafen, überlief sie ein heißer Schauer.
„Das könnte sich allerdings bald ändern.“
Was sollte das jetzt wieder heißen? „Es tut mir leid, Mr. Kane …“
„Achileas“, korrigierte er sie. „Ich denke, wir haben die Formalitäten bereits hinter uns gelassen.“
Hatten sie das?
Ihr Herz klopfte heftig, seine Worte beschleunigten ihren ohnehin schon rasenden Puls. „Vielleicht … trotzdem verstehe ich nicht, worauf Sie hinauswollen.“
„Dann lassen Sie es mich erklären.“ Ohne zu fragen setzte er sich aufs Sofa und deutete einladend auf den Sessel gegenüber, als sei dies seine Wohnung und nicht ihre. „Ich möchte Ihnen etwas vorschlagen. Sie kennen das ja: Ich kratze Ihnen den Rücken, Sie kratzen mir den Rücken.“
„Nein, ich fürchte, ich verstehe nicht.“ Verzweifelt versuchte sie, nicht so panisch zu klingen, wie sie sich fühlte.
„Es ist ganz einfach. Ich gebe Ihnen das Fünffache von dem, was Sie von der Bank verlangt haben. Nur wird es kein Kredit sein. Sie müssen keinen Penny zurückzahlen.“
Verständnislos schaute sie ihn an. „Sie geben mir das Fünffache? Einfach so?“
„Nein, nicht einfach so.“ Sein Blick bohrte sich in ihren. „Ich erwarte natürlich eine Gegenleistung. Etwas, das ein wenig, sagen wir mal, unorthodox klingt.“
Sofort war sie alarmiert. „Also, was erwarten Sie von mir?“, fragte sie tonlos.
Er streckte seine langen Beine aus, und sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, das sowohl spöttisch als auch gefährlich war. „Ich brauche eine Frau.“
Er brauchte eine Frau?
Sie musste sich wohl verhört haben. Oder wollte er sich über sie lustig machen?
Doch dann bemerkte sie, dass seine Miene nicht länger spöttisch, sondern kühl und berechnend war. Als wäre sie eine Maus, die in die Falle getappt war, die er ihr gestellt hatte.
„Und Sie wollen mich heiraten?“
Er runzelte die Stirn, dann schüttelte er den Kopf und lachte. Nicht das nette, warme Lachen, das einen amüsanten Witz begleitet, sondern ein humorloses, hartes Lachen. „Natürlich will ich Sie nicht heiraten, Effie. Nehmen Sie es bitte nicht persönlich. Ich will niemanden heiraten.“ Er lehnte sich zurück, legte den Arm auf die Sofalehne. „Ich brauche aber eine Frau.“
Jetzt begriff sie gar nichts mehr.
„Mein Vater ist alt und sehr altmodisch“, fuhr er fort. „Er hat gewisse Erwartungen, Ambitionen …“ Er zögerte. „Gewisse Wünsche für sein Leben und für seinen Sohn. Und als sein Sohn möchte ich diese Wünsche erfüllen.“
Der Nebel ihrem Kopf begann sich zu lichten.
„Er will, dass Sie heiraten?“
„Richtig. Wie ich schon sagte, ist er sehr altmodisch. Seine Werte sind traditionell geprägt, vielleicht sogar ein wenig archaisch. Als ein Mann, der seit vierzig Jahren verheiratet ist, hält er die Ehe für einen wichtigen Eckpfeiler im Leben.“
Vierzig Jahre Ehe. Das war doch eine gute Sache, oder? Zumindest war es ein Beweis für das Engagement und die Liebe seiner Eltern. Und doch hatte Achileas nicht stolz oder glücklich geklungen, sondern im höchsten Maß frustriert.
Plötzlich fühlte sie sich den Tränen nahe. Wusste er denn nicht, wie glücklich er sich schätzen konnte, wie privilegiert er war? Zu erleben, wie zwei Menschen, die sich füreinander entschieden hatten, Liebe gaben und empfingen. Das war so selten und schwer fassbar wie Orris, das kostbare Öl, das aus einer Irisblüte gewonnen wird.
Effie konnte sich nicht vorstellen, das jemals als selbstverständlich zu betrachten. So zu sein wie er. So verwöhnt, so anspruchsvoll …
„Aber Sie glauben nicht daran?“
Er zuckte gleichmütig mit den Schultern, und sie konnte seine plötzliche Anspannung spüren.
„Warum sollte ich? Warum sollte das überhaupt irgendjemand tun? Die Menschen und ihre Vorfahren leben seit etwa sechs Millionen Jahren auf der Erde, und bis auf die letzten tausend Jahre nicht unbedingt monogam. Wie auch immer, die Ehe bedeutet meinem Vater viel. Und je älter er wird, desto mehr nimmt sie an Bedeutung zu.“
Ihr Herz pochte, als er aufblickte und sie aus seinen klaren blauen Augen ansah. „Und er wird immer gebrechlicher. Deshalb brauche ich eine Frau. Nur kurzfristig“, fügte er aalglatt hinzu, als würde das sein bizarres Ansinnen irgendwie verständlich machen.
Was es nicht tat.
„Sie brauchen vielleicht eine Ehefrau, Mr. Kane, aber ich brauche keinen Ehemann. Und ich will auch keinen. Nicht einmal kurzfristig.“
Als er seine dunklen Brauen zusammenzog, fühlte sie ihren Puls rasen. Stimmte das überhaupt? Okay, bis jetzt hatte sie nie erwogen zu heiraten, aber sie hatte ja noch nicht mal eine Beziehung gehabt.
Die Wahrheit war, dass sie bloß eine Handvoll Männer kannte, darunter nur einen einzigen Ehemann: ihren Vater. Und sosehr sie ihren Vater auch lieben mochte, sie würde nie mit einem Mann wie Bill Price verheiratet sein wollen. Einem Mann, der so süchtig nach dem Rausch des Gewinnens war, dass er am Ende alles verlor. Sein Zuhause. Seine Familie. Seinen Verstand.
Doch diese Wahrheit wollte sie nicht mit dem Mann teilen, der jetzt auf ihrem Sofa saß. Achileas hatte sich in ihr Leben gedrängt, nicht nur einmal, sondern gleich zweimal, und sie war gedanklich noch immer von ihrer letzten Begegnung überwältigt.
„Sie sind eine weise Frau“, sagte er leise. „Heiraten ist etwas für Monarchen und Narren. Ich biete Ihnen keine typische Ehe an, Effie. Unser Arrangement wäre eher pragmatisch. Betrachten Sie es als eine für beide Seiten vorteilhafte Interessensfusion.“
Interessensfusion …
Ihr Kopfkino präsentierte beunruhigende Bilder: schweißfeuchte Körper, zerwühlte Laken, heiße Leidenschaft …
Stopp.
„Wir haben keine gemeinsamen Interessen“, sagte sie schnell.
„Ich dachte, Sie wollen ein Unternehmen gründen, Effie. Ich dachte, es sei wichtig für Sie.“
„Ist es ja auch.“
Er sah sie an, seine blauen Augen schimmerten wie gehärteter Stahl. „Wie wichtig? Wie sehr wollen Sie es? Ich meine, wie weit sind Sie bereit zu gehen? Denn ich kann es einfach so geschehen lassen.“
Er schnippte lässig mit den Fingern.
Daran zweifelte sie keine Sekunde.
„Glauben Sie mir, es wird viel einfacher und weniger schmerzhaft sein, als sich mit einer Bank einzulassen. Wenn Sie überhaupt so weit kommen. Banken sind vorsichtig, wenn es darum geht, ihr Geld zu verleihen. Besonders an junge Unternehmen.“
„Das weiß ich“, erwiderte sie leise und drückte die Mappe schützend gegen ihre Brust.
Sie hatte die Statistiken gelesen, die ziemlich entmutigend waren. Zwanzig Prozent der neuen Unternehmen scheiterten innerhalb eines Jahres. In fünf Jahren waren es sogar erschreckende fünfzig Prozent.
„Dann wissen Sie auch, dass man Ihren Vorschlag gründlich unter die Lupe nehmen wird. Realistisch betrachtet, ist die Gefahr ziemlich hoch, dass der Kreditantrag abgelehnt wird.“
Effie spürte, wie sich ihr Magen schmerzhaft zusammenzog. Er hatte recht. Banken waren keine Wohlfahrtsvereine. Als sie ihren Antrag geschrieben hatte, war sie sich ihres Mangels an Erfahrung und Sicherheit nur zu bewusst gewesen. Alles, was sie zu bieten hatte, waren glühende Leidenschaft und ein Traum.
Was, wenn das nicht reichte?
Falls sie Achileas’ Vorschlag akzeptierte, würde sie zumindest das Geld bekommen, ohne dass man ihr Fragen stellte. Fragen, die sie vielleicht nicht beantworten konnte. Andererseits – jemanden zu heiraten, den man nicht kannte, und sei es auch nur für einen begrenzten Zeitraum, war nicht nur unorthodox, sondern verrückt. Es war ja schon verrückt, es überhaupt in Erwägung zu ziehen.
„Ja, vielleicht weist man mich ab“, sagte sie bedächtig. „Aber das ist noch lange kein Grund, einen Mann zu heiraten, den ich nicht kenne.“
Lastendes Schweigen senkte sich über sie.
„Dann sollten wir uns kennenlernen“, meinte er schließlich. „Erzählen Sie mir von sich, Effie Price. Wer sind Sie?“
Achileas erschrak über sich selbst. Das war eine Frage, die er noch nie jemandem gestellt hatte – schon gar nicht einer Frau. Andererseits hatte er die Antwort auch noch nie wissen wollen, und wenn er die Frage jetzt stellte, dann nur aus dem offensichtlichen Grund, dass er eine Frau brauchte.
Sein Kiefer spannte sich an. Nein, korrigierte er sich im Stillen: Er brauchte Effie als seine Frau.
Als die Idee in seinem Kopf Gestalt anzunehmen begann, hatte er sofort gewusst, dass Effie die perfekte Kandidatin. Warum sonst hätte das Schicksal sie so zusammengeführt?
Leider kam Effie nicht zum gleichen Schluss wie er.
Ehrlich gesagt hatte er nicht damit gerechnet, dass sie sich so vehement gegen die Vorstellung von ihm als Ehemann sträuben würde. Natürlich hatte er erwartet, dass sie überrascht sein würde, fassungslos, sprachlos … Aber hey, er war Achileas Kane, Gründer und Geschäftsführer von Arete Equity. Er war reich, mächtig und gut aussehend. Und sie – nun ja, sie war ein einfaches Zimmermädchen, ein echtes Aschenputtel für einen Hedgefonds-Prinzen. Nachdem ihr erster Schock abgeklungen war, hatte er natürlich angenommen, dass sie wie jede normale Frau reagieren würde.
Was war nur los mit ihr? War ihr nicht bewusst, wie glücklich sie sich schätzen konnte? Er bot ihr an, ihr das Fünffache von dem zu geben, was sie von der Bank verlangte, und statt dankbar und begeistert zu sein, drückte ihre ganze Haltung nur Ablehnung aus.
Sie schüttelte den Kopf. „Sie wissen, wer ich bin. Sie wissen, wo ich arbeite, wie viel ich verdiene. Sie wissen, wo ich wohne … wie ich lebe. Wenn Sie es mit dieser ‚Vereinbarung‘ ernst meinen, dann müssen Sie mir erzählen, wer Sie sind.“
Einen Moment lang war er fassungslos, dann empört. Nein, so funktioniert das nicht, dachte er zum zweiten Mal an diesem Tag. Sie hatte nicht das Recht, ihn zu befragen, ein Urteil über ihn zu fällen.
Das durfte niemand.
Niemand außer einem Mann – dem einzigen Mann, den er weder besiegen noch zurückweisen konnte. Denn trotz allem, was Andreas getan oder vielmehr nicht getan hatte, war es der scharfe Schmerz über seine Abwesenheit, der Achileas jeden Tag aufs Neue quälte.
Er hasste das Gefühl der Machtlosigkeit, das dieser Umstand in ihm auslöste. Und jetzt stellte diese Frau auch noch eine solche Frage. Als ob er ihr oder jemand anderem jemals sein wahres Ich zeigen würde.
Also blieb er stur und schwieg. Da er so lange unter dem Schweigen seines Vaters gelitten hatte, wusste er genau, was für eine wirksame Waffe es war. Aber wenn er ihr nicht antwortete, was dann? Er ahnte, dass sie nicht einfach nachgeben würde.
Zähneknirschend brachte er hervor: „Was wollen Sie wissen?“
„Ich bin mir nicht sicher …“
Sie zögerte, und er spürte, wie sich etwas in ihm zusammenzog. Außerhalb des Stanmore, sogar im Wagen, war sie so gelassen, so ruhig gewesen. Jetzt aber, hier in ihrer Wohnung, mit ihrem geflochtenen Haar und ihrem unbewegten Blick, erinnerte sie ihn an ein verlassenes Waisenmädchen mit großen Augen. Sie wirkte kleiner, jünger, wachsam … und es gefiel ihm nicht, welche Gefühle das in ihm auslöste.
Wahrscheinlich lag es nur am Licht in ihrer Wohnung.
Oder an ihrem Pyjama. Er hatte noch nie eine erwachsene Frau in einer Aufmachung gesehen, die derart unsexy war. Rasch verdrängte er, was sicherlich nur die Folge von sechs Monaten unfreiwilligen Zölibats war.
Was Effie Price im Bett trug, war für diese Verhandlung irrelevant.
Effie war erwachsen, und dies war ein Geschäft, ein gutes Geschäft. Abgesehen vom Geld würde sie Zugang zu seiner Welt erhalten. Sie würde lernen, sich wie eine Geschäftsfrau zu geben und zu kleiden und zu leben – und vor allem würde sie am Ende ihr eigenes Unternehmen besitzen.
Er beugte sich leicht vor und sog ihren betörenden Duft ein, der so unspektakulär und gleichzeitig so faszinierend war.
„Außerdem würde ich gerne wissen, warum ausgerechnet ich?“ Sie musterte ihn eindringlich aus ihren braunen Augen. „Warum nicht jemand anders? Zum Beispiel die Frau, mit der Sie im Stanmore waren? Sie ist sehr hübsch.“
„Tamara?“ Er schüttelte den Kopf. „Ja, sie ist eine attraktive Frau, aber viel zu überspannt. Deshalb habe ich mit ihr Schluss gemacht. Nicht heute“, beeilte er sich zu versichern. „Schon vor sechs Monaten.“
„Es gibt doch sicher noch andere Frauen in Ihrem Leben?“
Die gab es. Unzählige Hochglanzschönheiten wie Tamara oder langbeinige Models mit aufgespritzten Lippen. Keine Affäre hatte länger als drei Monate gedauert, die meisten im Durchschnitt etwa eine Woche.
Achileas wählte seine Worte sorgfältig. „Sie besitzen gewisse Qualitäten, die ihnen fehlen.“ Effie war eigentlich ganz und gar nicht sein Typ. Zu dünn. Zu unscheinbar. Zu still. Aber das war auch gut so. Er brauchte keine unwillkommene Ablenkung, keinen Sex, sondern nur eine geschäftliche Vereinbarung. Dass Effie etwas zu bieten hatte, das es wert gewesen wäre, die ganze Sache zu verkomplizieren, konnte er sich nicht vorstellen.
„Sie meinen, weil ich arm bin?“
Ihre Unverblümtheit überraschte ihn. Aber es stimmte. Ihr Kontostand war erbärmlich, es gab keine nennenswerten Ersparnisse. Er schaute sich in dem kleinen Wohnzimmer um, registrierte, wie billig alles wirkte. Und doch war das nicht sein erster Gedanke gewesen.
„Auch, aber das ist nicht der Hauptgrund.“
„Sondern?“
„Vorhin im Auto haben Sie einen kühlen Kopf bewahrt. Ich kenne nicht viele Frauen – und auch nicht viele Männer –, die so gelassen reagiert hätten.“
Ihr Blick aus klaren braunen Augen ruhte auf seinem Gesicht. „Das ist es also, was Sie brauchen. Jemanden, der einen kühlen Kopf bewahren kann.“
Es war eine Feststellung, keine Frage. Trotzdem erwiderte er: „Ja, so ist es wohl. Das Ganze muss echt aussehen.“
„Und was ist mit Ihnen?“
„Was soll mit mir sein?“
„Können Sie das durchziehen? Ihren Vater anlügen und einen klaren Kopf behalten?“
Seinen Vater anlügen? Ja, das fällt mir nicht schwer, dachte er bitter. Als Andreas’ unehelicher Sohn verkörperte er ohnehin eine einzige Lüge. Er spannte den Kiefer an. Das war eines der Dinge, für das das viele Geld seines Vaters nützlich gewesen war: den Namen Alexios aus der Geburtsurkunde zu streichen.
Doch das brauchte Effie nicht zu wissen. Auch nicht, dass seine zukünftige legitime Stellung davon abhing, dass er heiratete. Oder dass er sich mit dieser Lüge bei seinem Vater rächen wollte.
„Das wird kein Problem sein“, bemerkte er kühl, wobei er ihr fest in die Augen sah. „Für mich zählt nur, dass mein Vater glaubt, ich sei glücklich verheiratet.“ Er neigte leicht den Kopf zur Seite. „Also, sind wir uns einig?“
Die Atmosphäre war plötzlich wie elektrisch aufgeladen.