Julietta - Louise de Vilmorin - E-Book

Julietta E-Book

Louise de Vilmorin

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Beschreibung

Die eigensinnige Julietta verlobt sich in den Ferien am Strand von Arcachon mit dem älteren Prinz von Alpen. Aber schon der erste Kuss bringt sie ins Wanken. Auf der Rückfahrt nach Paris nutzt sie eine Gelegenheit zur Eskapade und quartiert sich bei André Landrecourt ein, einem jungen Anwalt. Julietta ergreift von seinem Landhaus Besitz, ohne zu ahnen, dass der Hausherr mit seiner Geliebten Rosie Facibey zurückkehrt. Damit Rosie sie nicht bemerkt, verfrachtet Landrecourt Julietta kurzerhand in die Dachkammer, doch streunt diese heimlich durchs Haus - und Rosie glaubt allmählich an Gespenster. Nach einer Weile geistert Julietta auch durch Andrés Träume, und als der Prinz von Alpen zu Besuch erscheint, müssen alle Beteiligten ihre Gefühle entwirren. Ein außergewöhnlicher Liebesroman, eine vor Einfallskraft sprühende Gesellschaftskomödie, die Louise de Vilmorin als würdige Erbin von Marivaux und Jane Austen ausweist.

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Seitenzahl: 247

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Louise de Vilmorin

Julietta

Roman

Aus dem Französischen neu übersetzt von Patricia Klobusiczky

DÖRLEMANN

Die Originalausgabe »Julietta« erschien 1951 bei Gallimard in Paris. eBook-Ausgabe 2013 Neuübersetzung Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten © 1951 by Gallimard, Paris © 2010 by Dörlemann Verlag AG, Zürich Umschlaggestaltung: Mike Bierwolf unter Verwendung einer Fotografie von Burazin Porträt von Louise de Vilmorin: © Lipnitzki/Roger Viollet/Getty Images Satz und eBook-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN 978-3-908778-25-7www.doerlemann.com

Louise de Vilmorin

Meinen Töchtern Jessie, Alexandra, Elena

Am 15. September traten der Prinz von Alpen und Madame Facibey gegen zwölf Uhr mittags aus dem Geschäft eines berühmten Pariser Juweliers. Ihre Eleganz, Ausweis eines kleinen internationalen Kreises, hatte etwas Unnachahmliches, Zwangloses und Akkurates an sich, das sie von gemeinen Sterblichen unterschied und die Aufmerksamkeit der Passanten auf sie lenkte. Mochte eine Spur von Neckerei in Madame Facibeys Blick dem Prinzen gelten, zeugte auf ihren Lippen ein argloses Lächeln allein vom Glück, das eine noch springlebendige Liebe in ihr auslöste. Der Prinz lächelte ebenfalls, aber mit leicht sorgenumschatteter Stirn. Die beiden Freunde blieben vor der Tür des Juweliers stehen, um sich noch einen Moment zu unterhalten. Madame Facibey gratulierte dem Prinzen, fragte ihn, wann seine Verlobte denn eintreffen werde, und fügte, das kleine Päckchen in seiner Hand fixierend, hinzu: »Ein wunderschöner Ring, Hector, hoffentlich gefällt er ihr.« Er erwiderte, seine Verlobte werde noch am selben Abend in Paris eintreffen, und dankte Madame Facibey für ihre Unterstützung bei der Wahl des Rings:

»Danke für Ihre guten Ratschläge, schöne Rosie«, sagte er.

»Ich hoffe, sie bringen Ihnen Glück«, erwiderte sie.

Der Prinz küsste ihr die Hand.

»Ihre Amouren billige ich nicht, das ist kein Mann für Sie, glauben Sie mir«, sagte er, »und ich bin sicher, dass Sie bald zurückkommen werden.«

»Sie kennen André nicht, sonst würden Sie anders reden«, antwortete sie. »Ich könnte mir keinen Besseren wünschen. Auf Wiedersehen, Hector, seien Sie glücklich und amüsieren Sie sich.«

Rosies anmutiger Gang, ihre graziöse Erscheinung fesselten den Prinzen noch einen Augenblick. Er sah ihr nach, während sie sich entfernte, klopfte mit der flachen Hand auf das Kästchen, das er in die Tasche gesteckt hatte, dann drehte er sich um und stieg in seinen Wagen.

Der Prinz von Alpen, ein stattlicher, vermögender Mann von großer Anziehungskraft, hatte von der Kunst der Verführung erschöpfend Gebrauch gemacht. Er war es leid, im Morgengrauen zu Bett zu gehen, war die Paläste leid, die Villen und Gondeln, in denen das Leben offenbar keine Wurzeln schlagen kann, er wollte sich in seiner gebirgigen Heimat niederlassen, wollte in seinem Schloss wohnen, ein paar Kinder bekommen, von einer unschuldigen jungen Frau, über die er eifersüchtig wachen würde, und ab und an auf Reisen gehen. Er kannte die Hitze sämtlicher Flammen, er wusste alles, was zu sagen, alles, was zu tun ist, wusste, was Blumensträuße kosten, wie Abende zu enden pflegen, und da er wusste, wie weit man gehen kann, und auch, was von ihm erwartet wurde, gab er viel und sorgte stets für Aufruhr. Von einem Instinkt geleitet, der stärker ist als das Herz, übt der Verführer eine verheerende Macht aus, die ihn dazu bringt, ohne Ansehen der Person zu erobern, und das Interesse an seiner Beute zu verlieren, sobald er sich näher mit ihr befasst. Als Opfer kann er selbst nur Opfer hervorbringen, gewissermaßen durch Ansteckung. Der Prinz von Alpen gehörte zu diesen Männern, und seine Opfer waren umso zahlreicher, als er über Intelligenz verfügte, über Phantasie, Geld und eine Art moralischer Integrität, die zu seiner geheimnisvollen Aura beitrug. Mit fünfzig wollte er nun ein junges Mädchen von achtzehn Jahren heiraten, ein bürgerliches Mädchen, dem er an einem Strand begegnet war. Es war eine Liebesheirat und zugleich eine Vernunftheirat.

Am selben 15.September stiegen Madame Valendor und ihre Tochter Julietta in Bordeaux gegen fünf Uhr abends in den Zug nach Paris. Madame Valendor, schön und blond, rund und gepflegt, war eine Blüte von vierzig Jahren, die sich ihre Frische dank einer erfreulichen Witwenschaft hatte erhalten können, weil sie die Luft der Freiheit uneingeschränkt atmen durfte. Ihr Liebesleben hatte aus einer Folge von kleinen Geheimnissen bestanden, da sie auf Äußerlichkeiten jedoch ebenso viel Wert legte wie auf Konventionen, Skandale verabscheute sowie ungeordnete Verhältnisse, Phantasten und Schwärmereien, hatte sie ihrer Tochter eine solide Erziehung angedeihen lassen, die ihr das Lob ihrer Freundinnen eintrug. Julietta war wohlerzogen, aber sie war auch verträumt, versponnen, unbeständig, nur in ihrer Phantasie nicht, und diese Phantasie führte sie außerhalb der Wirklichkeit in ein ausgedehntes Reich, in dem sie ihr Leben erfand. Schwer zu sagen, ob sie den Prinzen von Alpen liebte, sicher ist, dass sie für sein Werben empfänglich war. Belustigt nahm sie die eifersüchtigen Reaktionen der jungen Männer und Mädchen ihres Alters zur Kenntnis, angesichts der Aufmerksamkeit, die sie schürte und die ihr ein stattlicher Mann von fünfzig Jahren schenkte, der für seinen Charme, seine Eleganz und seinen erlesenen Geschmack berühmt war. Ebenso belustigt beobachtete sie den kaum verhohlenen Groll der Frauen, die sich verschmäht sahen und es ihr übelnahmen, ihnen einen Mann vorzuenthalten, dessen Gesellschaft ihnen mehr als jede andere geschmeichelt und Glanz verliehen hätte. Julietta fand Gefallen daran, über diese Leute zu triumphieren. Befriedigte Eitelkeit kann Liebe vorgaukeln, zuweilen bahnt sie ihr den Weg, zuweilen betäubt sie das wahre Bedürfnis des Herzens. Das Meer, die Dämmerung, der Septemberwind, der mal zu schwül, mal kühl weht, mischten ihre Töne in die Spaziergänge, die der Prinz mit Julietta unternahm, und der wirbelnde Dünensand, eine Muschel, ein erster Schal, ein erstes Feuer, ein am Rande der Nacht gemeinsam gepflückter Strauß zierten beider Erinnerungen mit einem Flechtwerk von Empfindungen. Bald waren ihnen die Harmonien der Natur lieber als die der Orchester, der Prinz sah sich als Künstler und Julietta sah sich als Eva. Er erzählte ihr von seiner Heimat wie von einem langen Abend, den sie sanft und sternengleich erhellen könnte, und während sie ihm lauschte, sah sie Wälder vor sich und in diesen Wäldern frei umherlaufende Pelze. Der Prinz liebte Julietta, aber ihre Jugend, ihre noch kindliche Anmut ließen ihn nachdenklich werden. So stellte er Vergleiche an, die ihm zeigten, was sie trennte, was sie verband, wo die Unterschiede lagen; er ließ seine Vergangenheit im Geist Revue passieren, stellte Julietta auf den Gipfel eines Berges, der mitten aus seiner Zukunft ragte, und beschloss, sie zu heiraten.

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