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Flirten, Dating, One-Night-Stands oder die späte (zweite) Liebe – auch in der zweiten Lebenshälfte ist alles erlaubt und vor allem: möglich!
Gabriele Pochhammer fragte sich irgendwann, wie viele Runden sie im Supermarkt wohl noch drehen müsste, bis ihr vor der Wursttheke ein Mann in die Hacken fahren würde, in den sie sich verlieben könnte. Und sie dachte sich: Das muss doch auch anders gehen. Mit Anfang 60 stürzte sie sich ins Datingleben. Bei den ersten Schritten auf dem Dating-Parkett war sie noch ein bisschen wacklig auf den Beinen, aber sie hatte unbändige Lust auf das ein oder andere Tänzchen. Die Schmetterlinge im Bauch leben nämlich noch und sind genauso fit wie mit 20. Und auch wenn der Rest des Körpers nicht mehr aussieht wie vor 30 Jahren: Das ist beim Gegenüber ja nicht anders.
Mit viel Witz und noch mehr „Budder bei die Fische“ zeigt Gabriele Pochhammer, warum es sich in jedem Alter lohnt, nach der Liebe (oder dem kleinen oder großen Abenteuer) zu suchen. Sie spricht gerade auch diejenigen an, die aus einer langen Partnerschaft kommen, vielleicht verwitwet sind, und sie macht Mut, das Liebesleben mit 60, 70 oder 80 in die eigene Hand zu nehmen, denn: Das Leben ist längst nicht vorbei, es kann noch so viel kommen. Die wilden Jahre fangen jetzt erst an!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 268
Wer sagt eigentlich, dass man sich mit Ü50 nicht mehr verlieben kann? Aber wie geht das noch mal? Gabriele Pochhammer ist Hamburgs bekannteste Partnervermittlerin - und hat in Liebesdingen selbst eine ganze Menge zu erzählen. Mit Anfang 60 stürzte sie sich wieder ins Datingleben. Und auch wenn die ersten Schritte auf dem Dating-Parkett noch ein bisschen wacklig waren, hatte sie unbändige Lust auf das ein oder andere Tänzchen …
Mit viel Charme und noch mehr Humor nimmt Gabriele Pochhammer Sie mit auf ihre Reise in den Dating-Dschungel - und gibt nebenbei zahlreiche Tipps für das eigene Dating-, Flirt- und Liebesleben. Denn egal ob Sie 60, 70 oder 80 sind: Es kann noch so viel kommen!
Gabriele Pochhammer (Jahrgang 1961) ging lange Zeit als Alleinkämpferin durchs Leben, den unbedingten Wunsch, sich zu binden, hatte sie nicht. Kurz nach ihrem 49. Geburtstag schlug der Blitz dann doch ein – Gabi verliebte sich. Als sie 59 ist, nimmt ihr Leben eine unerwartete Wendung: Ihr Mann stirbt plötzlich. Drei Jahre später gründet sie ein analoges Dating-Start-up, um gerade älteren Menschen bei der Suche nach der großen Liebe zu helfen. Gabriele Pochhammer lebt nach Jahren in Dubai und Südafrika heute wieder in ihrer Heimatstadt Hamburg.
GABRIELE POCHHAMMER
NINA FAECKE
Habe Falten, sehe aber auch deine nicht mehr so gut
Flirten, Dating & Liebe für alle, die sich neu verlieben wollen
WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
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Originalausgabe 01/2025
Copyright © 2025 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Dieses Werk wurde vermittelt von dots&plots.
Redaktion: Desirée Šimeg
Umschlaggestaltung: DASILLUSTRAT, München
Umschlagmotiv: Shutterstock.com (JuliaMaybug)
Bild Innenteil: Privatarchiv Gabriele Pochhammer
Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-32381-3V001
www.heyne.de
Zeit für eine LOVEolution!
Konventionen? Nein danke! Oder: Wie ich Hamburgs berühmteste Partnervermittlerin wurde
Ist man zusammen wirklich weniger allein?
Neue Türen öffnen
Meine Zeit ist jetzt
Alleinsein kann man lernen Oder: Der Zauber eines Solo-Dates
Von Sternschnuppen und anderen Zufällen
»Gute Reise, mein Liebling«
Witwenblind
Lebe ich nur allein, oder bin ich schon einsam?
Ein Date mit mir selbst
It takes two to tango! Oder: Wo lerne ich ihn oder sie kennen?
»Wie alt sind Sie noch mal?«
Online oder analog? Hauptsache, mutig!
Hobbys zum Verlieben
Flirty Talk?! Oder: Was, wenn der letzte Flirt 30 Jahre her ist?
Grundhaltung: Selbstliebe
Kleines Einmaleins des Flirtens
Von Dessous-Missgeschicken und gut geschlitzten Kleidern
Flirten ist vor dem Kennenlernen
»Trinken Sie noch Espresso, oder flirten Sie schon?«
… und es hat Zoom gemacht
(K)einen Apple Crumble, bitte!
Mein Date mit dem Leben
Mein erstes Date Oder: Warum fühle ich mich wieder wie 20?
Alte Hasen auf neuem Terrain
Kino, Café oder Kletterhalle?
Wohin mit meiner Nervosität?
Pünktlichkeit ist – noch immer – eine Tugend
Dress to impress
Kuss oder kein Kuss?
Der zweite Blick nach dem ersten Date
Die hängenden Gärten von … Oder: Alternde Körper, tiefe Falten und das richtige Licht
»Falten! Wieso Falten?«
Alt und nackt: eine völlig neue Welt?
Solosex als Selbstfürsorge
Zusammen nackt – will ich das?
Ausflug ins Grüne
Wie viel Liebe braucht die Welt?
Nach dem Treffen ist vor dem Mindfuck Oder: Wer meldet sich zuerst?
Erstens kommt es anders …
… und zweitens, als man denkt
Mit Schirm, Charme und Handy
Unterwegs Richtung Wolke 70
Schwebezustände aller Art
Sexting, Nudes und One-Night-Stands Oder: Die wilden Jahre fangen jetzt an!
»Was hast du gerade an?«
»Was wirst du jetzt mit mir anstellen?«
Positives Kopfkino
Wort-Schätze
Zurück in die wilden Siebziger
Lust kommt (auch) von Vertrauen
Verlieben ist wie Fahrradfahren – besser mit Helm Oder: Bin ich bereit für die (zweite) große Liebe?
Die Welt gehört den Mutigen
Traue ich mich oder nicht?
Schlechtes Gewissen? Lohnt sich nicht
Was werden die Kinder sagen?
Liebeskummer – lohnt er sich?
Ich will’s noch mal wissen!
Schluss mit Schubladen
Später gibt es nicht
Von Käfern und anderen Glücksbringern
Anmerkungen
Wilde Liebe mit 50 plus, ein Urlaubsflirt mit Anfang 60 oder Hochzeit im Ruhestand? In der zweiten Lebenshälfte ist alles erlaubt und vor allem möglich – wenn wir es nur tun. Wir knutschen auf der Couch, fummeln im Auto und tippen prickelnde Textnachrichten in unsere Smartphones. Oder wir haben den Wunsch danach. Fest steht: Wir Älteren wollen es noch mal wissen, auch wenn der letzte Kuss Jahre her, die Schriftgröße im Smartphone zu klein und der Haaransatz längst grau ist.
Viele von uns haben ihre große Liebe verloren und fragen sich, ob da überhaupt noch mal etwas Schönes kommen kann. Andere kommen aus einer langen Partnerschaft und fühlen sich nun bereit für einen kleinen Flirt mit ungewissem Ausgang. Wieder andere wollen nur mal vorsichtig um die Ecke lugen und sehen, was das Leben noch für sie bereithält. Andere fragen sich: »Kann ich überhaupt noch flirten?«, »Wo finde ich denn meinen neuen Partner eigentlich?« oder »Was mache ich, wenn sich Schmetterlinge in Körperregionen melden, von denen ich gar nicht mehr wusste, dass sie existieren?«
Glauben Sie mir: Ein dicker Blumenstrauß an Gelegenheiten, Menschen, kleinen und großen Abenteuern erwartet Sie. Damit Sie nicht nächstes Jahr noch endlose Runden im Supermarkt drehen, in der Hoffnung, dass Ihnen ein schnieker Typ oder eine pfiffige Lady in die Hacken fährt, gibt es dieses Buch. Und aus einigen weiteren Gründen.
Manchmal gehören zur Liebe mit Lachfalten eine Menge Mut, Offenheit und Selbstwert. Das ist aber gar nicht so einfach, wenn unser Alter in der Dating-App gar nicht mehr anwählbar ist oder uns die Paten- und Enkelkinder ständig in Beschlag nehmen. Oder wenn wir das Gefühl haben, unseren verstorbenen Partner zu hintergehen, weil wir uns noch mal verlieben. Dagegen kann eines helfen: Menschen, die Ähnliches erlebt haben. Menschen, die ebenfalls Bekanntschaft mit dem Kummer gemacht haben, aber auch die Höhen kennen und auskosten. Menschen, die das Leben lieben und uns signalisieren: »Ich kenne diese Gefühle, die wunderbaren und die schrecklichen. Du bist nicht allein.«
Mein Name ist Gabriele Pochhammer, und ich bin mit Anfang 60 die wahrscheinlich älteste Neugründerin einer Partnervermittlung für Menschen in der zweiten Lebenshälfte. Ich habe jahrelang in der Touristikbranche gearbeitet, bevor ich mit 60 beschloss, ab sofort Amor, Eros, Aphrodite und Venus zu spielen. Ich bin aber auch einfach Gabi. Gabi, die als junge Frau beschloss, vieles anders zu machen als manche ihrer Freundinnen. Gabi, die sich manchmal einsam fühlte, aber immer schon die weibliche Version eines Stehaufmännchens war. Gabi, die ihre große Liebe erst fand, als alle anderen ihre Schäfchen längst ins Trockene gebracht hatten. Gabi, die mit Ü60 plötzlich selbst wieder auf dem Dating-Parkett stand und dabei große Augen machte. Seitdem weiß ich übrigens, dass die Suche nach der späten Liebe immer auch ein Date mit dem Leben voraussetzt. Und dass wir Best-Agerinnen, Silversurferinnen, Oldies, Frauen im besten Alter – wie auch immer man uns nennen mag –, Lust auf Begegnungen, Liebe, Zärtlichkeiten und Sexualität haben.
Falls Sie als Mann hier mitlesen, beglückwünsche ich Sie. Denn nach der Lektüre werden Sie vermutlich mehr über Frauen wissen als die meisten anderen Männer. Falls Sie als Frau Frauen lieben, dann ist dieses Buch ebenfalls für Sie, auch wenn an mancher Stelle von Frauen und Männern die Rede sein wird. Meine LOVEolution ist für alle da, und ich wünsche mir, dass Sie alle sich willkommen fühlen!
LOVEolution – liebevolle Revolution –, so nenne ich mein bescheidenes Vorhaben: eine Neugestaltung für das Liebesleben jenseits der 50. Ja, wir sind älter geworden, aber wir sind noch da, und wir haben noch viel vor. Bloß weil wir mit dem ein oder anderen Hormonzirkus konfrontiert sind oder waren, heißt das nicht, dass wir kein Interesse mehr an Berührungen, lustvollen Stunden und genüsslichen Exzessen haben. Ganz im Gegenteil, mittlerweile weiß die Forschung nämlich: Das, was die etwas in die Jahre gekommene Libido kleinhält, ist zu großen Teilen die allgemeine Überzeugung, dass Liebe und Sex im Alter nicht mehr vorkämen. Oder wenn doch, dann nur heimlich, still und leise. Husch, husch ins Körbchen mit diesem Tabustatus, und hallo (Liebes-)Leben!
Wir Ü50-Frauen wollen Händchen haltend durch die Straßen schlendern. Wir wollen im Solo-Urlaub neue Leute kennenlernen. Wir wollen flirten, bis der Morgen graut. Wir wissen, was Dirty Talk ist, auch wenn ein Auffrischungskurs uns vielleicht ganz guttäte. Wir sind bereit, uns fallen zu lassen, auch wenn es sich ungewohnt anfühlt. Wir sind bereit, unseren älter gewordenen Körper neu kennenzulernen. Und wir sind bereit für unser Date mit dem Leben.
»Die schönsten Töne werden auf den ältesten Geigen gespielt.«
Ralph Waldo Emerson
Warum sind wir eigentlich der Meinung, zu zweit durchs Leben gehen zu müssen – oder zu dürfen? Wieso hat das Lebensmodell Single einen so schlechten Stand in der Gesellschaft, während die Ehe das einzig wahre Ziel im Leben zu sein scheint? Dabei kann Ungebundenheit doch so schön sein!
Ein Kapitel über unkonventionelle Entscheidungen, die Kraft der Selbstbestimmung und das längst überfällige Ende des Witwentischs.
»Ja, moin, könnte ich bitte mal Herrn Wattzeck sprechen?«, flötete der Mann am anderen Ende der Leitung ins Telefon.
»Moin! Sie wollen sicher die Tapioka-Preise haben. Die kann ich Ihnen auch durchgeben«, antwortete ich.
Jeden Morgen riefen die Händler bei uns im Büro in der Hamburger Speicherstadt an, um die aktuellen Preise für Getreide- und Futtermittel zu erfragen, um dann ihre Bestellungen zu tätigen. Die Frauen im Betrieb arbeiteten normalerweise in der Abwicklung und nicht im Handel, aber weil ich als Auszubildende in allen Bereichen eingesetzt werden musste, saß ich an diesem Tag zum ersten Mal im sogenannten Männerbereich.
»Na, aber ich höre doch ganz deutlich, dass Sie eine Frau sind«, stellte der Herr am anderen Ende der Leitung messerscharf fest. Schlagartig hatte sich in seinen flötend-freundlichen Ton Verwunderung, eventuell sogar ein Hauch von Empörung gemischt.
»Ich kann Sie aber genauso gut informieren wie Herr Wattzeck oder jeder andere Kollege.«
»Also ich weiß nicht. Das macht doch immer der Herr Wattzeck.«
»Wollen Sie die Preise jetzt oder nicht?« Nun war ich es, in der langsam, aber sicher ein Hauch von Empörung aufstieg.
»Kennen Sie die aktuellen Preise denn überhaupt?«
»Na klar kenne ich die, die Tabelle liegt ja hier vor mir.«
Der Herr hielt inne. Die Stille am Telefon war so laut, dass ich förmlich hören konnte, wie es in seinem Kopf ratterte. Nach kurzer Pause und einem schweren Ausatmen folgte sein Urteil: »Na gut, dann schieß mal los, mien Deern.«
1976 hatte ich meine Ausbildung als Kaufmann im Groß- und Außenhandel für Getreide- und Futtermittel in meiner Heimatstadt Hamburg begonnen. »Kaufmann«, Sie haben richtig gelesen. Damals gab es lediglich die männliche Bezeichnung, die Form »Kauffrau« existierte für diesen Beruf schlichtweg noch nicht. Ohne vorher großartig über Männer, Frauen oder sonst etwas nachgedacht zu haben, war ich als 16-Jährige in einer Männerdomäne gelandet.
Sie fragen sich vielleicht, warum ein Buch über spätes Verlieben und Sexualität im Alter in der Zentrale eines Getreide- und Futtermittelhandels beginnt. Dafür gibt es mehrere Gründe. Um den ersten zu erklären, muss ich ein bisschen ausholen: Wenn wir offen über Liebe, Sex und Zärtlichkeiten mit 60, 70 oder 80 sprechen, findet die Gesellschaft das nicht mehr ganz so sexy, wie wenn es um jüngere Menschen mit jüngeren Körpern geht. In den meisten Fällen hat sie Berührungsängste, selbst wenn sie einen scheuen Blick riskiert: »Ach so, ältere Frauen haben noch eine Libido! Wusste ich gar nicht.« Oder, und das ist der schlechteste Fall, die Gesellschaft schaut pikiert weg und ignoriert uns. Somit steht eines fest: Wir brechen mit Konventionen, wenn wir laut sagen, dass sich die 60-jährige Jutta gerade bei einer Partnervermittlung angemeldet hat, dass es Barbara mit ihrem Neuen krachen lässt, seit die Kinder aus dem Haus sind, oder dass unsere alte, verwitwete Großtante aus dem Ruhrpott frisch verliebt ist. Vielleicht sind Sie ja auch so eine frisch verliebte »alte Tante«? Umso besser! Wo mit Tabus und Konventionen gebrochen wird, fühle ich mich zu Hause.
Der zweite Grund für diesen unüblichen Anfang eines Ratgebers über die Liebe in der zweiten Lebenshälfte: Das hier ist kein üblicher Ratgeber für Frauen im sogenannten besten Alter, sondern ein Buch, das Lust machen soll. Auf das Leben, auf Genuss, auf prickelnde Begegnungen, auf älter gewordene Körper – den eigenen wie auch andere –, beflügelnde Flirts und echte Momente mit uns selbst und mit allem, was wir sind.
Und Grund Nummer drei: Wir Ältere wollen es noch mal wissen. Das stelle nicht nur ich fest, das belegen auch Zahlen: Über 30 Prozent der deutschen Singles zwischen 60 und 80 wünschen sich Liebe im hohen Alter. Fast ein Drittel von ihnen ist häufiger sexuell aktiv als ein Drittel der 20- bis 30- Jährigen im Durchschnitt.[1] Verschiedene Studien zeigen außerdem, dass sich 12 bis 47 Prozent der Frauen jenseits der 60 regelmäßig selbst befriedigen.[2] Halleluja! Ganz allgemein lebe die Generation 50 plus freier und kompromissloser als Generationen gleichen Alters vor ihr. Insbesondere Frauen fühlten sich energiegeladen und jung – im Schnitt acht Jahre unter ihrem biologischen Alter. Das sind Erkenntnisse, mit denen man gut arbeiten kann, würde ich sagen. Wie jung oder alt fühlen Sie sich?[3]
Silver Sex und die Frage: Will ich überhaupt noch?
Liebe, Sex und Zärtlichkeiten jenseits der 50? Nackte, um die 60 Jahre alte Körper? Die Gesellschaft tut gerade so, als hätte Leidenschaft ein Verfallsdatum, dabei hören Bedürfnisse in der zweiten Lebenshälfte nicht auf, sie verändern sich nur. Die Generation der Ü50-Jährigen ist sexuell aktiv. Nur 22 Prozent geben an, gar keinen Sex zu haben. 49 Prozent wünschen sich mehrmals im Monat körperliche Liebe.[4] Silver Sex hat also lediglich ein Image-Problem – lassen Sie uns das ändern.
Es gibt genug Silversurferinnen und -surfer, die sich regelmäßig im Internet tummeln und dabei nicht nach einer Zusatzversicherung oder einem Treppenlift suchen, sondern nach Online-Dating mit 50, 60 oder 70 Jahren. In der analogen Welt verhält es sich ähnlich: Da ist etwa die Freundin, die ihren alten Brieffreund zum ersten Mal nach Jahren wiedertrifft und auf einmal ein Kribbeln im Bauch bekommt. Oder die Nachbarin, die mit Mitte 50 zum ersten Mal online flirtet und seitdem immer so rosige Wangen hat. Oder vielleicht sind es ja auch Sie selbst, die seit dem Verlust Ihrer großen Liebe oder seit der Scheidung wieder etwas im Herzen spüren? Dieses Gefühl von: raus ins Leben und mal sehen, was es noch bereithält. Damit sind Sie nicht allein. Dieser Wunsch hört nicht auf, nur weil wir alte Hasen sind. Vielleicht ist nur unser inneres Stimmchen über die Jahre und die Erlebnisse und mit Blick auf unser Geburtsjahr etwas leiser geworden. Liebe und Sexualität im Alter gibt es, wir sprechen nur zu wenig darüber, und wir sehen zu wenig davon.
Lassen Sie uns die Zeit ab sofort besser nutzen. Lassen Sie uns flirten, lachen, unter der Dusche singen, neue Bekanntschaften machen, dem Kribbeln im Schoß nachspüren und uns vielleicht sogar verlieben. Es ist nicht üblich, mit 60 noch über Quickies und Vibratoren zu plaudern? Oder sich hemmungslos zu verknallen, statt die Enkelkinder zu hüten? Na, dann machen wir es doch zu etwas Üblichem, und zwar im positivsten Sinne. Die Kleinen können Sie natürlich nach der Lektüre weiter hüten, aber jetzt sind erst mal Sie dran.
Es ist mir eine Herzensangelegenheit, einen Blick auf das Unübliche zu werfen, denn auch mein Lebensweg folgte oft nicht den Normen, die in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren für Frauen galten. Eher störten sich manche Menschen an meinen Entscheidungen, meiner Freude am Genuss, meiner Freiheitsliebe. Und später, jenseits der Jahrtausendwende, gerade als ich dachte, alles wäre in trockenen Tüchern, zog es mir den Boden unter den Füßen weg, sodass ich wieder mal »nicht richtig« war als Frau in dieser Gesellschaft. Aber der Reihe nach.
Als Auszubildende zum Kaufmann und Henne im Korb hatte ich meinen Platz innerhalb dieser Männerwelt rasch eingenommen. Und ich genoss ihn. Das zackige Tempo, in dem ich Transaktionen oder Verkäufe abwickeln musste, entsprach meinem Naturell. Ein Telefonat hier, ein Angebot da, zwischendurch Wareneinkäufe und immer einen kessen Spruch auf den Lippen. Und ganz nebenbei lernte ich, Menschen zu lesen. Während die meisten Männer nicht gern um Hilfe baten, wenn sie etwas nicht konnten, gingen Frauen offener mit Nachfragen um. Und wenn doch mal ein Mann um Hilfe fragte, dann führte er meist etwas im Schilde.
Es war die Zeit von Jane Fonda, die, nachdem sie sich laut gegen den Vietnamkrieg engagiert hatte, zur Aerobic-Ikone mutierte. Für Sport interessierte ich mich kaum, die Fonda fand ich aber toll. Weil ich aus einem klassisch hanseatischen Elternhaus kam, bekam ich all das nur aus weiter Ferne mit. Abendliches Ausgehen missfiel meinem konservativen Vater – »Um 22 Uhr ist das Kind zu Hause!« –, wobei »das Kind« damals bereits steil auf die 20 zuging. Ich hatte das Bedürfnis auszubrechen, zumindest ein bisschen. Also zog ich für ein Praktikum in einem Autohaus nach München um. Zum ersten Mal Miniröcke, Partys bis frühmorgens und jungen Männern schöne Augen machen – eine Art Erwachen für ein überbehütetes Mädchen wie mich. Erinnern Sie sich an das Gefühl, wenn man auf einer Schaukel sitzt und von hoch oben wieder Richtung Erde saust? Dieses unfassbare Kribbeln! Ich lernte es in diesen Jahren von einer völlig neuen Seite kennen. Dieses neue Lebensgefühl nahm ich sechs Monate später mit zurück nach Hamburg, wo ich nicht wieder bei meinen Eltern einzog, sondern mir eine kleine Wohnung suchte.
Statt in die Autobranche zu wechseln, zog es mich zurück in die internationale Welt des Handels und der Seefahrt. Ich heuerte in einer großen Schiffsmaklerei in Hamburg an. Bis auf die Tatsache, dass ich einen Macho-Vorgesetzten hatte, war das ein interessanter Job und vor allem die Vorstufe für meine nächste Stelle: Mit Mitte 20 fing ich in der sogenannten freien Schifffahrt an. In meinem Fall bedeutete das, Routen für Kapitäne und ihre Frachter zu planen, die beispielsweise Stahlträger von einem Hafen über den Suezkanal oder Kap Hoorn in den anderen verschifften. Noch immer rief der eine oder andere: »Nu’ mach ma hinne, mien Deern!«, aber ich wusste den rauen Ton, der in meiner Branche herrschte, zu nehmen.
Es war zwar eine handfeste Welt, in der ich mich da bewegte, aber bisweilen auch eine ungemein schillernde. Ich erinnere mich an opulente Feiern in edlen Hamburger Restaurants mit Schiffsmaklern und Reedern, mit deren Organisation ich als gerade mal Mitte-20-Jährige betraut war. Es wurde getanzt, getrunken, gelacht, und nebenbei schloss man weltumspannende Deals mit Handschlag. Nach jeder gelungenen Veranstaltung fühlte ich mich ein paar Zentimeter größer. Beruflich jonglierte ich mit fernen Ländern, privat bereiste ich sie. Besonders angetan hatten es mir Spanien, Großbritannien und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Während ich an meiner Karriere arbeitete, heirateten die meisten meiner Freundinnen. Ich hingegen liebte es, auf mehreren Hochzeiten zu tanzen. In so mancher stillen Stunde fragte ich mich: Stimmt mit mir irgendetwas nicht? Klar, auch ich verliebte mich dann und wann, auch aus tiefstem Herzen, aber nie kam es so weit, dass ich den Wunsch gehabt hätte, eine Bindung mit einem »bis dass der Tod euch scheidet« zu besiegeln. Doch von überallher schienen mir Hochzeiten, Kind und Kegel entgegenzuschreien.
Als ich einmal zu Besuch bei einer ehemaligen Klassenkameradin in einem schicken Elb-Vorort war, die gerade ihr erstes Baby bekommen hatte, sah ich ein Keramikplättchen mit einer Inschrift über dem Kamin in der Stube baumeln. »Froh und bescheiden, so hat Gott dich gern«, stand dort geschrieben. Der Satz brachte mich zum Schmunzeln, empfand ich mich doch als das genaue Gegenteil; ich strebte auf der Karriereleiter immer weiter nach oben. Kreativität und Kommunikation wurden meine Stärken, Excel-Tabellen und Ablage meine Schwächen, was aber zum Glück nicht weiter tragisch war. Ich fuhr einen schicken Firmenwagen, arbeitete viel und traf mich nach Feierabend mit Freunden am Alsterufer. An den Wochenenden schwang ich die Hüften und schlürfte Sekt auf Eis. Eine Bombenzeit war das, ich kann es nicht anders sagen!
Doch je älter ich wurde, desto weniger Frauen gab es um mich herum, die so lebten wie ich. Bei Familienfeiern fragte man sich hinter vorgehaltener Hand – oder auch mich geradeheraus –, wann »es« denn bei mir endlich so weit wäre. Ich wusste natürlich, worauf man anspielte: einen attraktiven Mann mit hoch dotiertem Beruf und eine Gabi, die schon bald Ehefrau und Mutter werden sollte. Bei den Anspielungen der Verwandten aber kamen mir Gedanken an meine erste Liebelei in einem Griechenlandurlaub in den Sinn, Typ Burt Reynolds, und unverschämt erfüllende Nächte. Aber das war nichts, was sich älteren Tanten bei Donauwelle und Sachertorte gut erzählen ließ. Manchmal überhörte ich die Nachfragen, manchmal gab ich einen lockeren Spruch dazu ab.
So selbstsicher ich auch sein mochte, fing ich irgendwann an, mich zu fragen: Darfst du für immer die lockere und lebenslustige Gabi bleiben? Oder gehört es unumstößlich zum Leben dazu, bis spätestens 30 unter der Haube zu sein? Verstehen Sie mich nicht falsch, ich hätte nichts gegen die große Liebe gehabt, aber wenn sie bei mir doch noch gar nicht aufgetaucht war?!
So kam es, dass eines Tages ein Mann auf der Bildfläche erschien, der alles hatte, was Außenstehende mit anerkennenden Lauten honorierten. Auch mir gefiel dieser Mann gut, und als er mir die Frage aller Fragen stellte, wurde ich mir untreu – und heiratete ihn. Nicht völlig kopflos und für damalige Verhältnisse ganz bestimmt mit ganzem Herzen. Zum Scheitern verurteilt war unsere Verbindung dennoch, weil ich – so schlau bin ich allerdings erst heute – im Grunde nicht bereit gewesen war für eine Ehe mit diesem Mann.
Knapp anderthalb Jahre später waren wir geschiedene Leute. So hatte ich mir das Abenteuer Ehe nicht vorgestellt! Ich war sauer und enttäuscht vom Leben und dem kurzzeitig geträumten und geplatzten Traum. Doch weil ich Fässer nicht gern überlaufen lasse, sondern lieber reagiere, bevor es zu spät ist, suchte ich mir einen Therapeuten. Ich wollte mit dem Gefühlschaos aufgrund meiner gescheiterten Ehe nicht allein klarkommen müssen. Ein paar Monate später war ich wieder die alte Gabi. Ein Leben auf der Suche nach der großen Liebe verbringen, obwohl sie mir später oder vielleicht gar nicht vergönnt war? Nein danke! Lieber glücklich allein als noch mal auf Gedeih und Verderb eine Bindung eingehen, nur weil es der Gesellschaft so passen könnte.
Wieso überhaupt ist der Mensch seit Jahrtausenden der Meinung, zu zweit durchs Leben gehen zu müssen oder zu dürfen? Rührt aus dieser Idee auch die tief sitzende Überzeugung her, dass mit jemandem, der solo ist, etwas nicht stimmt? Meine gescheiterte Ehe hatte mir bewusst gemacht, wie unterschiedlich unsere Gesellschaft verschiedene Lebensmodelle bewertete. Als ich noch nicht verheiratet, aber sehr glücklich mit meinem Leben war, fragten sich alle: »Wann kommt denn die Gabi endlich in die Puschen?«, »Warum passt es denn mit keinem so wirklich, was stimmt da nicht?« Als ich dann unter der Haube, aber todunglücklich war, erkundigte sich niemand mehr nach meinem Zustand. Vielmehr gingen plötzlich alle davon aus, dass dies der Inbegriff des guten Lebens sein müsse. Ist das nicht schade? Auf jeden Fall war es eine Erkenntnis: Die Gesellschaft mag es, wenn alles in gewohnten Bahnen verläuft, egal, wie es hinter den Kulissen aussieht.
Dabei kann Ungebundenheit etwas so Schönes sein! Das Alleinsein kann die besten Ideen hervorbringen. Und ich spreche nicht von der Mär vom stillen Örtchen oder der Dusche, wo angeblich so viele berühmte Menschen ihre kreativsten Einfälle hatten. Ich meine die Ruhe, die uns umgibt, wenn wir uns Zeit für uns selbst nehmen, und den Raum an Möglichkeiten, der sich dann auftut. Die Freiheit, die wir im Alleinsein spüren, kann Türen öffnen und neue Wege ebnen. Oft realisieren wir erst dann, wie wichtig Freundschaften sind. »Ich wüsste nicht, was ich ohne meine Freundinnen tun würde«, hat Jane Fonda einmal gesagt. »Ich existiere, weil ich meine Freundinnen habe.« Dabei sprach sie von women friends.
Ich stimme ihr zu und erweitere sogar noch: Auch männliche Freunde sind ein Segen, weil sie aus einer anderen Perspektive auf die Dinge schauen. Wenn wir in gewissen Phasen »nur« unsere guten Freundinnen und gute Freunde haben, bekommen wir nebenbei ein weiteres Geschenk vom Leben: nämlich dann, wenn wir nach dem gemeinsamen Abendessen beim Italiener um die Ecke zurück in unsere Wohnung kommen und allein sind. Allein ins Bett gehen, allein wieder aufstehen und uns im Laufe dieser Zeit bewusst werden, wer wir sind und wen wir an unserer Seite haben wollen, wenn es eines Tages (wieder) so weit ist. Selbstredend kann sich diese Ungebundenheit nur dann erfüllend anfühlen, sofern sie frei gewählt ist. Mit Beziehungen verhält es sich doch aber ähnlich, oder nicht? Ich frage mich schon mein Leben lang, ob sich so mancher Single in seiner Haut ein Stückchen wohler fühlen würde, würde ihm sein Umfeld nicht ständig signalisieren, dass ohne Partner oder Partnerin per se etwas fehle.
Ich liebe die Liebe, und ich bin ein großer Fan vom Leben zu zweit, was ich an den heutigen Zeiten aber ganz besonders gern mag, sind die Freiheit und die Offenheit, mit der viele Menschen zwischenmenschliche Beziehungen leben. Und genau dazu möchte ich Sie animieren. Keine Sorge, ich will Ihnen keine offene Ehe mit 50 plus aufzwingen – außer, Sie wollen es so. You do you. Wo wir uns von jüngeren Frauen aber eine Scheibe abschneiden können, ist die Selbstbestimmtheit, mit der sie ihre Lebens- und Liebesentscheidungen treffen, ob für Kind und Kegel, offene Beziehungen oder monogame Liebe. Die etwa 30-jährige Tochter einer Freundin zum Beispiel lebte zuerst lange mit einem Mann zusammen, seit ein paar Jahren nun liebt sie eine Frau. Eine andere junge Frau aus meinem Bekanntenkreis führt als CEO ein Unternehmen, während ihr Ehemann seinem Halbtagsjob nachgeht und in der anderen Tageshälfte Care-Arbeit und Kinder übernimmt.
Doch auch in unserer Altersklasse finden sich Beispiele für Lebensentwürfe fernab von Konventionen. Denken Sie etwa an die Schauspielerin Goldie Hawn. Seit Anfang der 1980er-Jahre lebt sie mit Kurt Russell in wilder Ehe, ohne Trauschein also, zusammen. Ich weiß, man kann den Menschen nur vor den Kopf gucken, aber auf mich wirken die beiden sehr zufrieden. Wie zufrieden ihre Kollegin Elizabeth Taylor war, weiß ich nicht, aber auch ihr kann man zumindest kein Leben im Namen der Konvention vorwerfen, heiratete sie zwischen 1950 und 1991 doch ganze acht Mal. Dieses bunte Gemisch aus klassischen Beziehungen und neuen Lebensentwürfen, -konstellationen und -modellen finde ich erfrischend.
Konventionen umschiffen – aber wie?
Einfach machen! Ob Sie mit 50 (noch mal) heiraten oder mit 60 zum ersten Mal online flirten: »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es«, das wusste schon der Autor Erich Kästner. Selbstbestimmtheit ist hier das Stichwort. Jedes Treffen, jedes Alleinsein fühlt sich besser an, wenn es selbst gewählt ist.
Anfang der 90er und als Mitte-30-Jährige eine geschiedene Frau zu sein, war, zumindest im zugeknöpften Hamburg, eher unüblich. Noch unüblicher wurde mein Leben, als ich mit Ende 30 beschloss, Deutschland zu verlassen. Während die meisten meiner Freundinnen fleißig Hochzeitsjubiläen feierten, zog es mich hinaus in die Welt. Über die Jahre in der Schiffsmaklerei hatte ich unzählige internationale Kontakte geknüpft, besonders viele in der Touristikbranche. Da ich Neustarts schon immer aufregend fand, bewarb ich mich um einen Posten in einem Hotel an dem aufstrebenden Reiseziel schlechthin: die Vereinigten Arabischen Emirate. Damals gab es noch keinen Burj Khalifa in Dubai und keine Greater Abu Dhabi City. Meine Lust auf eine neue Herausforderung und einen Kulturkreis, in dem es vieles zu entdecken gab, war mit jedem gedanklichen Ausflug dorthin größer geworden. Als keine zwei Wochen nach meiner Bewerbung die Zusage für eine Stelle im Hilton Hotel in Abu Dhabi kam, packte ich kurzerhand einen großen Koffer, verabschiedete mich von meinen verdutzten Eltern und zog los.
Egal wie groß oder klein ein Neustart sein mag, meistens erfordert er ein gutes Portiönchen Wagemut. Selbst wenn Neuanfänge nach außen oft so wirken, als kämen sie aus dem Nichts, bin ich überzeugt davon, dass sie das Ergebnis eines Weges sind, den wir schon lange zuvor eingeschlagen haben – aus Neugier, nicht aus Not. Vielleicht sogar, ohne es zu merken.
Wir stecken das Wörtchen »Neustart« meist automatisch in die Berufsschublade und schreiben ihn so eher jüngeren Menschen zu. Aber lassen wir uns nicht täuschen: Neustarts kennen kein Alter. Das Erste, was beispielsweise eine alte Freundin von mir tat, als sie in Rente ging: Soziologie studieren. Ein lang gehegter Wunsch, für den sie sich früher keine Zeit genommen hatte. Eine andere Freundin fing nach der Trennung von ihrem Mann an zu töpfern, zuerst am Wochenende als Hobby, später eröffnete sie sogar einen kleinen Keramikladen. Mich fasziniert die Energie, die von Neustarts ausgeht. Mit ihnen beginnt das, was wir »Berge versetzen« nennen. Welch eine Ironie des Schicksals, dass einem das Neue dann nicht selten leichter gelingt als erwartet! Der Fokus verschiebt sich ganz auf das neue Thema im Leben, und wir befinden uns plötzlich in einem positiven Gedankentunnel, der sogar etwas Meditatives haben kann. Sobald der erste Schritt gemacht ist, können sich Türen öffnen, von denen wir vorher nicht mal wussten, dass sie existieren.
Mit leichtem Gepäck und großer Neugierde schlug ich also Ende der 1990er-Jahre meine neuen Zelte in einem Teil der Welt auf, in dem gerade Goldgräberstimmung herrschte. Die halbe, wenn nicht die ganze Welt wollte in die Emirate. Auf den Touristikmessen scharten sich die Menschen um unsere Hotelstände. Mich begeisterte, wie unterschiedlich Leute und Kulturen tickten, und ich wurde immer hungriger darauf, einzutauchen und sie zu verstehen. Was man heute in kostspieligen Life-Coachings und Marketingseminaren vermittelt bekommt, bekam ich damals nebenbei mit und saugte diese »Menschenlehre« auf wie ein Schwamm: Wie vermittelt man Menschen, die sich einer Sache gerade nicht sicher sind, Sicherheit? Was beflügelt die Leute? Was bremst sie?
Es folgten ein paar aufregende Jahre, in denen ich auf großen Galas die edelsten Abendkleider und stets rot lackierte Fingernägel trug, wunderbare Menschen traf, eine stürmische Romanze einging, mich wieder trennte und später nach Dubai zog. Die Routen mit den Zielen, die ich als junges Mädchen für die Kapitäne geplant hatte, bereiste ich nun selbst. Na, wenn mein erster Anrufer gewusst hätte, dass meine Tapioka-Preisauskunft gerade mal der Anfang gewesen war.
Mein neues Leben verlieh mir Flügel. Ich bereute nichts, nur manchmal packte mich die Traurigkeit darüber, dass ich keine Schwester oder eine andere Verbündete an meiner Seite hatte, die so lebte wie ich oder mich wirklich verstand. Ich vermisste eine andere Frau, zu der ich hätte sagen können: »Du, ich weiß gerade nicht weiter, können wir mal reden?« Ich fühlte mich damals oft allein, gleichermaßen wusste ich, dass ich mich auf mich verlassen konnte. Und diese Erkenntnis war viel wert.
Mit Mitte 40 tauschte ich meine Abendroben aus den Edelboutiquen der Emirate gegen T-Shirt, Bermuda-Shorts, Gummistiefel und ein neues Ziel: Südafrika. Genauer gesagt eine Safari-Lodge inmitten von Löwen, Impalas und Elefanten unweit des berühmten Kruger Nationalparks. Die Chefin der Lodge hatte eine Lodge-Managerin gesucht und mit mir eine peoples’ person obendrauf bekommen. Jemanden, der mühelos mit Menschen ins Gespräch kommt und den Austausch genießt. Die vergangenen Jahre hatten meine Antennen für Menschen und ihre Bedürfnisse geschärft. In Kombination mit den Wildtieren, deren nonverbale Signale es nun auch noch zu lesen galt, wurde Empathie zu meiner Superkraft.