Just One Kiss: Böse Mädchen haben mehr Spaß... - Jana Aston - E-Book

Just One Kiss: Böse Mädchen haben mehr Spaß... E-Book

Jana Aston

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Beschreibung

Ich war immer ein gutes Mädchen. Habe hart gearbeitet, die Regeln befolgt und alle meine Ziele erreicht. Aber manchmal wollen gute Mädchen auch mal Dinge, die nicht gut für sie sind. Beispielsweise ihren ultrascharfen neuen Boss. Und manchmal tun diese Mädchen dann dumme Sachen, um dessen Aufmerksamkeit zu erlangen. Beispielsweise ihre Jungfräulichkeit während einer Auktion zu versteigern. Wer würde auch schon annehmen, dass der Mann der Begierde darauf so wütend reagiert? Vielleicht war das diesmal nicht der beste meiner bisherigen Pläne und ich sollte mein Vorhaben noch mal neu überdenken ...

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Seitenzahl: 358

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NEW YORK TIMES BESTSELLERAUTORIN

JANA ASTON

JUSTONEKISS

Böse Mädchen haben mehr Spaß …

Contemporary Romance

Aus dem Amerikanischen vonFriederike Bruhn

JUST ONE KISS:

Böse Mädchen haben mehr Spaß …

Jana Aston

© Die Originalausgabe wurde 2018 unter demTitel GOOD GIRL von Jana Aston veröffentlicht.

© 2019 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH8712 Niklasdorf, Austria

Covergestaltung: © SturmmöwenTitelabbildung: © deagreez1Korrektorat: Melanie Reichert

ISBN-Taschenbuch: 978-3-903278-01-1ISBN-EPUB: 978-3-903278-02-8

www.romance-edition.com

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

Epilog

Danksagung

Die Autorin

1. Kapitel

Lydia

»Wir verlassen diese Bar erst, wenn du jemanden geküsst hast«, sagt Payton, als wäre das die ganze Zeit schon unser Gesprächsthema gewesen. Dem ist allerdings nicht so. Dennoch nicke ich, da wir beste Freundinnen sind und ich solche Ausbrüche von ihr gewohnt bin.

»Du möchtest also, dass ich jemanden küsse, und dann können wir nach Hause gehen?« Ich stelle mein Glas auf dem Tresen ab und drehe mich etwas auf meinem Stuhl zur Seite, als würde ich den Raum nach möglichen Kusspartnern abscannen. Das mache ich natürlich nicht, zumindest nicht wirklich, ich spiele ihr Spielchen aber gern mit.

»Ja, wenn du einen Typen zumindest geküsst hast, können wir nach Hause gehen.«

»Zumindest?« Amüsiert wende ich mich ihr wieder zu. »Wie weit soll ich gehen? In einer Bar? Mit einem Fremden?« Ich lache, denn diese Idee ist absurd – und trotzdem … etwas daran finde ich auch verlockend. Die Vorstellung, dass ich jeden Mann in dieser Bar auswählen und ihn um einen Kuss bitten könnte … Vielleicht würde er sogar in einer Ecke mit mir rummachen. Vielleicht die Führung übernehmen und mich gegen die Wand drücken. Sein Knie zwischen meine Oberschenkel schieben, während er eine Spur von Küssen meinen Kiefer entlangzieht, ehe er meinen Mund mit seinem bedeckt.

Das war eine seltsam konkrete Vorstellung.

Ich streiche mir eine Haarsträhne hinters Ohr und lasse meinen Blick an Payton vorbei zu den beiden Männern wandern, die auf der anderen Seite sitzen. Insgeheim habe ich die beiden schon den ganzen Abend über beobachtet. Einer von ihnen hat einen britischen Akzent. Er ist betrunken und redet ununterbrochen über eine Frau, von der er sich vor Kurzem getrennt hat. Oder sie sich von ihm – ich bin mir nicht sicher und es kümmert mich auch nicht wirklich. Das Objekt meiner Begierde ist der zweite Typ.

Typ Nummer zwei ist perfekt.

Er ist so perfekt, dass ich ihn nicht mal direkt ansehen kann. Deshalb werfe ich ihm auch nur verstohlene Blicke zu. Er spielt definitiv eine ganze Liga über mir. Er hat dunkles verwuscheltes Haar, das sich ein klein wenig wellt. Es ist perfekt geschnitten. Instinktiv weiß ich, dass es sich unter meinen Fingern weich anfühlen würde und nicht voll mit ekligem Haargel. Auf seinen Wangen zeichnen sich Bartstoppeln ab, die so kurz rasiert sind, als könne er sich nicht zwischen einem Bartschatten und einem richtigen Bart entscheiden. Die Augen des Fremden sind dunkelbraun; jeder Blick draus lässt meinen Magen Purzelbäume schlagen. Seine Unterarme sind gebräunt, sehnig und muskulös. Sie werden für mindestens einen Monat den Mittelpunkt meiner sexuellen Fantasien bilden.

Er reibt Daumen und Zeigefinger aneinander, während sein Freund redet. Er tut das nicht auf eine nervöse Art und Weise, sondern langsam, als würde er das oft machen, wenn er nachdenkt. Vielleicht ist es aber auch eine Angewohnheit von ihm, die sich bemerkbar macht, wenn er jemandem zuhört. Er hat kurz geschnittene Fingernägel, die ansprechend geformt sind. Seine Hände lassen mich vermuten, dass er einen Bürojob hat, während das, was ich von seinem Körper sehen kann, den Schluss zulässt, dass er regelmäßig ins Fitnessstudio geht.

Wieder vollführt er mit seinem Zeigefinger eine langsame Drehung um seinen Daumen und, oh Heiliger, meine Gedanken driften in eine völlig andere Richtung ab.

Ich brauche dringend mal wieder Sex.

»Du musst dringend mal wieder flachgelegt werden«, stellt Payton fest, genau in dem Moment, in dem der Mann seinen Blick hebt und mir direkt in die Augen sieht. Ich sterbe gefühlt zehntausend Tode. Payton scheint nicht bewusst zu sein, dass ich soeben gestorben bin, denn sie brabbelt weiter darüber, dass wir jemanden zum Küssen für mich finden müssen, ehe wir gehen können.

Der Blick von Mr Perfect ist noch immer auf mich gerichtet.

»Ich mache es«, sagt er.

Oh mein Gott. Redet er mit mir? Passiert das gerade wirklich? Mit Sicherheit habe ich mich verhört. Es missverstanden. Er redet mit jemandem hinter mir oder dem Barkeeper oder dem betrunkenen Briten neben sich. Ich werfe einen raschen Blick über meine Schulter, um zu sehen, wer hinter mir steht. Doch da ist niemand.

»Ich mache es«, wiederholt er und für einen Moment setzt mein Hirn aus.

Definitiv ja, denke ich. Wo werden wir es machen? Ich will ihn keinesfalls hier küssen, das wäre seltsam. Auch bin ich der Ansicht, dass wir nicht zu ihm nach Hause fahren sollten, immerhin ist er ein völlig Fremder für mich. Er könnte mit zu mir kommen. Genau. Payton könnte zu Target gehen und uns etwas Privatsphäre überlassen.

Ob es ihn stört, dass ich nur ein Einzelbett habe? Mir ist klar, dass ich längst ein größeres hätte kaufen sollen, aber das wäre teurer geworden und mein Zimmer ist winzig. Außerdem habe ich Platz für meine Nähmaschine gebraucht.

Heilige Scheiße, das hier passiert wirklich.

Dieser Mann, der zu heiß ist, um ihn direkt anzusehen, möchte Sex mit mir haben. Ich blinzle, dann redet er weiter, ein kleines Schmunzeln im Gesicht. »Ich werde dich küssen.«

Oh.

Richtig. Er ist natürlich nicht derart von mir angetan – einem beliebigen Mädchen in einer Bar –, dass er allein deswegen, weil meine Freundin gesagt hat, dass ich mal wieder flachgelegt werden müsse, mit mir ins Bett will. Wie dumm von mir. Ich bin wirklich eine Idiotin. Als ob er das wollen würde.

»Sie akzeptiert dein Angebot«, sagt Payton und schubst mich von meinem Stuhl. Ernsthaft, sie gibt mir tatsächlich einen kleinen Schubs. In etwa so, wie meiner Vorstellung nach Mütter ihre Kinder an ihrem ersten Schultag aus der Haustür schieben.

Jetzt, wo ich stehe, dreht sich der Fremde auf seinem Stuhl um und betrachtet mich ausgiebig von Kopf bis Fuß. Sein Blick wandert langsam meine nackten Beine hinauf, während ich Payton am liebsten dafür killen würde, dass sie mich in diese Bar gezerrt hat.

Wir haben das Wochenende damit verbracht, in unser neues Apartment einzuziehen, und ich dachte, dass wir bloß einen Burger essen gehen würden. Deshalb trage ich auch nur abgeschnittene Jeans und ein Tanktop. Ich hätte es besser wissen müssen. Sobald wir die Wohnung verlassen hatten, hat Payton darauf bestanden, dass wir die hiesige Kneipenszene erkunden; und jetzt stehe ich hier in Jeansshorts mit meinen knubbligen Knien und werde von einem Mann in Augenschein genommen, der aussieht, als würde er die Welt regieren.

Unsicher tippe ich mit meinen Zehen auf dem Boden herum, während ich mich frage, ob er es sich noch anders überlegt, doch dann steht er auf. Ich nehme an, dass er die Distanz zwischen uns überbrücken und mich direkt hier an Ort und Stelle küssen wird, aber das macht er nicht. Stattdessen bleibt er vor mir stehen. Ich muss den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen schauen zu können. Er ist locker dreißig Zentimeter größer als ich. Mein Kopf erreicht höchstens seine Schultern.

Er trägt Jeans und Slipper, dazu ein Hemd, dessen Ärmel er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hat. Seine Schuhe kosten wahrscheinlich mehr als alles, was ich besitze. Das Gleiche scheint ehrlich gesagt auch für seine Hose und sein Hemd zu gelten. Ich kämpfe gegen den Drang an, meine Hände in den hinteren Hosentaschen meiner Jeansshorts zu vergraben und mich unter seinem Blick zu winden, als er wieder das Wort ergreift. »Wie heißt du?«

»Lydia.«

»Lydia«, wiederholt er, mich immer noch unverwandt ansehend. Meinen Namen aus seinem Mund zu hören, muss für mich wie eine Art Vorspiel sein, denn mein Herz springt mir dabei fast aus der Brust. Seine Stimme ist tief und geschmeidig, gebieterisch und sexy as hell. »Nicht hier«, sagt er und nimmt meine Hand.

Dieser einfache Körperkontakt jagt mir eine Gänsehaut über meinen ganzen Körper. Dann setzt er sich in Bewegung, meine Hand in seiner haltend, und führt mich an der Bar vorbei. »Brady, ich benutze mal kurz dein Büro«, ruft er jemandem hinter dem Tresen zu. Ohne auch nur einen Moment auf eine Antwort zu warten, geht er weiter und kurz darauf sind wir allein.

Das Erste, was ich erkenne, ist, dass das Büro schöner ist, als ich es von einer Bar erwartet hätte. Vor mir steht ein großer Schreibtisch, auf dem ein zugeklappter Laptop thront; daneben liegt ein einzelner Stift. An einer Wand steht ein Ledersofa, das einen teuren, aber auch gern genutzten Eindruck macht.

Das Zweite, was mir auffällt, ist die Stille. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es sonderlich laut in der Bar war, aber hinter geschlossenen Türen realisiere ich, wie leise es ohne das Klirren von Eiswürfeln und Flaschen ist, wenn nur unser Atmen und mein Herzschlag an mein Ohr dringen.

Mehr kann ich nicht erfassen, da sich der Fremde in dem Moment zu mir umdreht und mein Kinn anhebt. Okay, eine Beobachtung kann ich doch noch machen. Er riecht wahnsinnig gut. Er riecht wie jemand, auf dem ich liegen möchte, den Kopf auf seiner Brust gebettet, während er mir mit den Fingern durchs Haar fährt. Mir ist klar, dass man diesen Eindruck nicht wirklich als Geruch bezeichnen kann, aber vertraut mir, was das angeht. Er riecht nicht nur nach frischer Wäsche, sondern auch würzig und männlich. Ich möchte mich am liebsten auf ihn stürzen.

Mit leicht gesenkten Lidern lässt er seinen Blick langsam und voller Selbstbewusstsein von meinen Augen zu meinen Lippen und zurück gleiten. Dass ich den Atem anhalte, merke ich erst, als er mich daran erinnert, wieder Luft zu holen. Sein Gesichtsausdruck wirkt erregt, aber auch amüsiert. Ich kann mich gerade noch davon abhalten, auf meinen Zehen vor und zurück zu wippen. Der Anflug eines Lächelns umspielt seine Lippen, als er mit einer Hand mein Kinn umfasst und die andere an meine Taille legt. Seine Hand ist so warm, dass es sich durch den dünnen Stoff meines Tanktops anfühlt, als würde er meine nackte Haut berühren. Dann neigt er den Kopf und küsst mich.

Sanft.

Seine Hand liegt unverwandt auf meiner Taille. Der Druck seiner Finger ist fest und gibt mir Sicherheit. Ein nicht benötigter, aber gern gesehener Anker, denn ich gehe nirgendwohin. Ich lege ihm meine Hände auf die Brust und erfreue mich an dem Gefühl des Stoffs unter meinen Fingern. An seinem festen Körper, seinen Muskeln und der Hitze, die er ausstrahlt.

Er löst seine Lippen von meinen, gerade weit genug, um den Kopf noch etwas mehr zu neigen, ehe er sie wieder auf meinen Mund presst. Mit dem Daumen streichelt er mir über die Wange und ich beantworte diese Zärtlichkeit mit einem Stöhnen. Ich werde mit einem weiteren sanften Kuss belohnt, bevor er meine Lippen dazu anstiftet, sich für ihn zu öffnen. Die Stoppeln auf seinem Gesicht reiben an meiner Haut, was mich nur noch mehr erregt. Das leichte Kratzen lenkt meine Aufmerksamkeit auf seine Lippen, seine Stärke und die Macht des Effekts, den er auf mich hat. Er beißt mir in die Unterlippe, dann küsst er mich erneut, dieses Mal heftiger. Unsere Zungen treffen aufeinander, meine Knie werden weich und mein Herz rast.

Als er sich von mir löst, muss er mich stützen, da ich mich so weit vorgebeugt habe, dass ich gegen ihn gestolpert wäre, wenn er mich nicht festgehalten hätte. Ich fühle mich atemlos, als wäre ich gerade eine Runde ums Gebäude gerannt. Er streicht mir einmal mit dem Daumen über die Unterlippe, wirkt aber ansonsten unbeeindruckt. Dann tritt er einen Schritt zurück und mustert mich noch mal von Kopf bis Fuß. Ich frage mich, was er in mir sieht. Eine Frau, zu der er sich hingezogen fühlt? Oder ein Mädchen, das er aus einem Gefallen heraus geküsst hat? Er wirkt hundertfach gefestigter als ich.

»Du hattest deinen Kuss. Sei ein gutes Mädchen und geht nach Hause.«

2. Kapitel

Lydia

Das Wochenende vergeht wie im Flug. Die meiste Zeit verbringen wir damit, die Kartons von unserem Umzug zu zerkleinern und zum Pappcontainer neben unserem Apartmentkomplex zu schaffen, um sie zu entsorgen. Außerdem fahren wir noch einige Male zu Target, um diverse Besorgungen zu machen, und kaufen bei WinCo Lebensmittel ein. Zudem sind wir das erste Mal bei Del Taco, wo wir uns praktisch durch die ganze Speisekarte probieren. Und das alles, während ich den Kuss wieder und wieder und wieder vor meinem inneren Auge abspiele.

Morgen beginne ich mit meinem ersten Job. Nun, natürlich nicht mein allererster. Ich hatte schon Jobs, viele. Jobs während der Sommersaison, Jobs nach der Schule und Teilzeitjobs.

Aber morgen startet mein erster Job nach meinem Abschluss. Mein erster richtiger Vollzeitjob. Das ist schon irgendwie eine große Sache, oder? Eine Art Initiationsritus, der den ersten Tag meines Erwachsenenlebens markiert.

Ich bin genauso überrascht wie alle in meinem Umfeld, dass ich einen Job in Las Vegas gefunden habe.

In einem Casino.

Aber wie sich herausgestellt hat, gibt es in Casinos jede Menge Jobs. Insbesondere in brandneuen Luxuscasinos, die noch nicht mal eröffnet haben. Im Windsor werden fünftausend Menschen angestellt sein, wenn es zum Ende des Monats hin seine Pforten öffnet, und ich werde einer von ihnen sein.

Ich habe meinen Abschluss in Personalwesen gemacht, da ich eine hilfsbereite Person bin. Ich liebe es, anderen Menschen zu helfen. Das Gleiche gilt auch für Payton, aber sie hat ihren Abschluss in Management gemacht, da es an der LSU keinen Abschluss in Partyplanung gibt. Das waren ihre Worte, nicht meine. Sie mag es, Menschen dabei zu unterstützen, Spaß und eine tolle Zeit zu haben, während ich es lieber mag, ihnen beispielsweise dabei unter die Arme zu greifen, dass sie ihre Steuern rechtzeitig bezahlen. Als ich aufgewachsen bin, war ich die Art von Kind, die jedes Kästchen auf der Bestellliste der Pfadfinder-Cookies penibel ausgefüllt und das Kreuzchen genau in der Mitte gesetzt hat, sodass es unter keinen Umständen zu einem Missverständnis zwischen einer Bestellung für Tagalong-Cookies und Thin-Mint-Cookies kommen konnte. Wie ihr seht, konnte man mit mir so richtig Spaß haben …

Payton habe ich erst auf dem College kennengelernt, aber sie hat mir mal erzählt, dass sie bei den Pfadfinderinnen rausgeflogen ist. Wegen irgendeiner Sache mit den Pfadfinderabzeichen. Ich habe nie die ganze Geschichte gehört, denn als mir versehentlich rausrutschte, dass ich bis zum Ende der Highschool bei den Pfadfinderinnen war, machte sie sich vor Lachen fast in die Hose.

Ich versuche, diesen informativen Leckerbissen möglichst für mich zu behalten. Schließlich habe ich das nicht wirklich freiwillig erzählt, es ist mir irgendwie rausgerutscht, als sie mal etwas in Bezug auf die Pfadfinderinnen erwähnte. Außerdem füllten die Pfadfinderinnen eine innere Leere in mir, die dadurch zustande gekommen war, dass ich ohne mütterliche Bezugsperson aufgewachsen bin. Wie dem auch sei, ich war eine 1A-Pfadfinderin. Allein in meinem letzten Jahr habe ich über dreitausendsechshundert Keksboxen verkauft.

Keine Sorge, diese Tatsache behalte ich definitiv für mich.

Der Punkt ist, dass ich gern Regeln befolge. Ich bin überaus genau und gründlich, darum ist die Personalverwaltung auch absolut das Richtige für mich. Im letzten und vorletzten Sommer habe ich jeweils ein Praktikum im Personalbereich gemacht, sodass mir die Arbeit in der Verwaltung nicht fremd ist. Und ja, es ist natürlich ein Einstiegsjob, aber ich freue mich megamäßig darüber, dass ich in dem von mir gewählten Bereich arbeiten kann.

Ich glaube, als die Idee von einem Umzug nach Vegas aufgekommen ist, hatte Payton die Vorstellung, dass wir in einem Hochhaus direkt am Strip leben würden. Ich habe es geschafft, sie davon zu überzeugen, dass das Wohnen am Strip für zwei Mädchen, die beide noch für mindestens zehn Jahre ihre Studienschulden zurückzahlen müssen, nicht sonderlich realistisch ist. Daher leben wir jetzt in Henderson, auch bekannt als Vorort von Las Vegas. Unsere Wohnung ist toll. Zu unserem Apartmentkomplex gehören ein Fitnesscenter, ein Pool, ein Hundepark und Bocciaspielfelder. Auch wenn ich keinen Hund habe und niemanden kenne, der Boccia spielt – nicht, dass ich überhaupt wüsste, was das genau ist –, ist es toll, all das zu haben. Der Makler war jedenfalls sehr begeistert deswegen, als wir uns diese Wohnung angeschaut haben. Außerdem ist Del Taco so nah, dass ich dort bequem zu Fuß hingehen könnte, wenn ich wollte. Was bei fast achtunddreißig Grad Außentemperatur wahrscheinlich eher nicht der Fall sein wird, aber vielleicht im Herbst. Doch am wichtigsten ist, dass die Wohnung nur zwanzig Minuten von der Arbeit entfernt und bezahlbar ist, wenn man wie ich eine Mitbewohnerin hat.

Payton wird ebenfalls im Windsor arbeiten, da wir beide das Glück hatten, auf einer Jobbörse, die in unserem Abschlussjahr auf dem Campus der Universität abgehalten wurde, dort eine Stelle zu ergattern. Ich bin im sogenannten Bibelgürtel groß geworden, einer protestantischen Region im Süden der USA, genauer gesagt in Tennessee, und in einem anderen solchen Staat, nämlich Louisiana, zur Schule gegangen. Daher hätte ich es mir nie träumen lassen, ins Zentrum der Sünde zu ziehen, aber jetzt bin ich hier. Und bisher ist es genauso wie anderswo auch. Einfach normal. Schön. Außerdem gibt es in Nevada keine staatliche Einkommenssteuer, was bedeutet, dass ich meine Studienschulden umso schneller abtragen kann. Eine Win-win-Situation.

Meine Gedanken wandern zum Freitagabend. Zur Bar. Zu dem Typen.

Sei ein gutes Mädchen …

Warum nur hat mich diese Aussage dermaßen heiß gemacht?

Dieser Typ. So muss ich den heißesten Kerl, den ich jemals geküsst habe – und wohl auch jemals geküsst haben werde –, in Erinnerung behalten, denn ich habe zu keiner Zeit erfahren, wie er heißt. Gut, oder? Normal und höflich wäre es gewesen, wenn ich ihn gefragt hätte, nachdem er mich nach meinem Namen gefragt hat. Aber habe ich das getan? Nein, ich war viel zu abgelenkt von der Vorstellung, dass er mich küssen würde, um daran zu denken.

Das ist egoistisch, oder? Ich war so darauf fokussiert, seine Lippen auf meinen zu spüren, dass ich nicht mal gefragt habe, wie er heißt. Nicht, dass es von Bedeutung wäre. Er hat mich geküsst, als gäbe es kein Morgen mehr, und mich dann weggeschickt. Seine Abschiedsworte hallen immer noch in meinem Kopf wider. Sei ein gutes Mädchen und geht nach Hause. Das war eine herablassende Aussage, aber sein Ton hat nicht herablassend geklungen. Stattdessen war seine Stimme rau. Tief. Rauchig. Verdammt sexy.

Ich habe es satt, immer nur lieb und brav zu sein. Die einzige Art und Weise, auf die ich für diesen Mann ein gutes Mädchen sein möchte, ist auf den Knien vor ihm, seinen Schwanz in meinem Mund, während er mir sagt, wie gut ich bin. Gutes Mädchen, würde er flüstern und mir würde es gefallen. Zumindest gefällt es mir in meiner Fantasie. Sehr. Es hat etwas sehr Reizvolles, ein gutes Mädchen genannt zu werden, während man etwas sehr, sehr Böses tut. Oder in meinem Fall zumindest darüber nachdenkt, etwas Böses zu tun.

Ich muss das luderhafteste Nicht-Luder in diesem Land sein. Ich bin ein Möchtegern-Luder, was irgendwie traurig ist, oder?

Ich habe meine Collegejahre in der Erwartung verbracht, mich in den perfekten Mann zu verlieben. Nein, das ist eine Lüge. Schließlich bin ich nicht verrückt. Den perfekten Mann gibt es nicht. Das weiß ich, wirklich. Aber ich hatte erwartet, mich in jemanden zu verlieben, der es wert ist. Der es wert ist, dass ich ihm meine Jungfräulichkeit schenke.

Was denn? Ihr habt doch sicherlich nicht gedacht, dass ich schon in der Highschool meine Fühler ausgestreckt hätte, oder? In der Highschool war ich nämlich sehr beschäftigt, Stichwort Cookies und so. Ich will ja nicht angeben, aber diese Cookies haben mir eine Reise nach Costa Rica eingebracht. Okay, zugegeben, es handelte sich um zwei Wochen Mitarbeit bei sozialen Projekten, es war also kein Strandurlaub oder so was, aber trotzdem.

Wie dem auch sei, ich war in der Highschool nicht sonderlich an Jungs interessiert. Mir ist klar, dass die Highschool für viele Kids dazu da ist, Grenzen zu sprengen und sich zu Partys zu schleichen, aber an so was hatte ich kein Interesse. Partys klangen für mich eher gefährlich. Auf Partys sind ständig schlimme Dinge passiert. Man hat beispielsweise neue Leute kennengelernt. Oder Alkohol getrunken, obwohl man noch nicht volljährig war. Beides beängstigend. Gute Dinge hingegen passieren, wenn man lernt und hart arbeitet und seine Zeit dafür nutzt, anderen zu helfen.

Es war allerdings auch nicht mein Plan, das College als Jungfrau zu verlassen. Nicht mal annähernd. So viel Gutmenschlichkeit besitze ich auch wieder nicht. Ich hatte definitiv erwartet, dass ich meine Jungfräulichkeit bis zu meinem Abschluss erfolgreich verloren hätte.

In meiner Vorstellung war ich die Art von Mädchen, die ihren Collegefreund zwei Monate nach dem Abschluss heiratet.

Aber das ist nicht passiert.

Dass ich die Art von Mädchen bin, die ein Fremder in einer Bar heißmacht, hätte ich mir allerdings auch nicht ausgemalt. Niemals. Aber dieser Mann hat etwas in mir zum Leben erweckt. Lust, nehme ich an. Es war nicht nur der Kuss, er war es. Die Wahrheit ist, dass ich ihn die ganze Nacht über immer wieder beobachtet und mir vorgestellt habe, was er alles mit mir anstellen könnte. Dinge, von denen ich wollte, dass er sie mit mir anstellt.

Wie ich schon sagte: Möchtegern-Luder. Wer sitzt schon in einer Bar und stellt sich vor, wie sich ein fremder Mann über sie hermacht?

Am Montagmorgen biege ich in die Parkgarage des Windsors ein, den Magen voll aufgeregter Schmetterlinge, weil ich so gespannt auf meinen ersten Arbeitstag bin. Payton fährt gesondert zur Arbeit, weil sie in einer anderen Orientierungsgruppe ist und wir uns nicht sicher waren, ob wir gemeinsam Feierabend haben würden oder nicht.

Also bin ich auf mich allein gestellt, wie eine richtige Erwachsene, was ich ja auch bin. Ich bin erwachsen. Ich lächle so breit, dass ich mir auf die Innenseite meiner Wange beißen muss, um nicht gleich auszuflippen. Nicht, dass das nötig wäre, denn da ich allein in meinem Auto sitze, kann mich auch niemand wie eine Idiotin grinsen sehen.

Ich tippe mit den Fingerspitzen auf dem Lenkrad herum, während ich der Beschilderung folge, die mich zu den Parkplätzen für die Angestellten führt. Das Resort wird in weniger als einem Monat eröffnen und innerhalb der nächsten vier Wochen werden massenweise neue Mitarbeiter mit ihrer Arbeit beginnen. Ich werde während meines Jobs nicht in direktem Gästekontakt stehen, sondern im Hintergrund agieren und in dem Unternehmensbereich verschwinden, über den man im Allgemeinen nie nachdenkt. Personalverwaltung, Rechtsabteilung, Marketing, IT, Buchhaltung. Sie sind alle betriebsintern und unsichtbar für den Gast.

Nachdem ich einen freien Parkplatz gefunden habe, stelle ich meinen Wagen ab, überprüfe meinen Lippenstift gleich zweimal im Rückspiegel und steige aus. Ich schließe mein Auto ab und mache mir gedanklich eine Erinnerung, wo ich geparkt habe, damit ich meinen Wagen nach der Arbeit wiederfinde.

Okay, jetzt geht’s los. Erster Tag, ich komme. Erstes Apartment als Erwachsene. Erster Job. Erste Rückzahlungsrate der Studienschulden.

Und ich werde definitiv meine Jungfräulichkeit los, ehe dieses Jahr vorüber ist. Das wird dann eine besonders große Sache auf meiner Liste von ersten Malen, die ich abhaken kann. Es ist nicht so, dass ich nicht schon früher Gelegenheiten gehabt hätte, meine Jungfräulichkeit zu verlieren, aber ich war einfach nicht interessiert. Ich bin mit liberalen Eltern in einer konservativen Stadt aufgewachsen und war immer irgendwie zwischen diesen beiden Welten gefangen. Außerdem hatte ich es einfach nicht besonders eilig damit. In der Unterstufe habe ich einen Typen, den ich nicht sonderlich mochte, viel länger gedatet, als ich sollte, weil ich seinen Kater mochte. Und nein, das ist kein Euphemismus für etwas Cooleres. Es handelte sich um einen echten Kater. Einen riesigen, schwarzen, langhaarigen mit weißen Pfoten, der auf den Namen Mr MacGee hörte und den ich absolut geliebt habe.

Den Typen allerdings eher nicht.

Ich sag ja nicht, dass es vernünftig oder logisch war, aber es ist nun mal, was es ist.

Ich habe immer auf irgendwas gewartet, versteht ihr? Etwas, das mir das Gefühl gibt, mir mein Höschen vom Leib reißen zu wollen, aber dieses Gefühl trat niemals ein. Wie dem auch sei, dieses Jahr ist mein Ich-reiß-mir-mein-Höschen-runter-Jahr. Oder vielleicht eher das Jahr, in dem ich mein Höschen fallen lasse? Schließlich werde ich mir wohl kaum mein Höschen vom Leib reißen, richtig? Nein, das wäre seltsam. Ich werde es fallen lassen, mit Sicherheit. Ich bin offen dafür, dass mir ein Kerl mein Höschen vom Leib reißt, aber bisher habe ich noch nie die Art von Unterwäsche getragen, die in den Händen eines Mannes zerreißen würde.

Mist. Ich brauche neue Unterwäsche.

Wenn das hier mein Jahr ist, brauche ich angemessene Unterwäsche dafür. Ich mache mir eine gedankliche Notiz, mich mit neuer Unterwäsche zu belohnen, sobald ich meinen ersten Gehaltsscheck in den Händen halte. Ein weiteres erstes Mal! Mein erster richtiger Gehaltsscheck! Whoohoo!

Ich betrete das Gebäude durch den Angestellteneingang, zuversichtlich, dass ich das beste Jahr meines Lebens vor mir habe.

Eine Stunde später bin ich mir ganz sicher, dass es so ist.

3. Kapitel

Lydia

Ich entdecke ihn, als ich mich auf der Führung durch das Resort befinde. Diesen Typen. Den von neulich Nacht, der, der mich geküsst hat, dessen Namen ich aber nicht weiß. Er ist noch genauso perfekt wie in meiner Erinnerung. Löst Herzrasen in mir aus und lässt meinen Puls noch schneller schlagen als bei unserer ersten Begegnung. Heilige Scheiße, vielleicht arbeitet er hier? Was praktisch bedeutet, dass ich mit ihm schlafen werde, richtig? Richtig. Das wird so was von passieren.

Es ist vorherbestimmt. Kismet. Schicksal.

Natürlich nur, wenn er Interesse hat. Aber er hat mich immerhin geküsst, also hat er vielleicht auch Interesse daran, mit mir ins Bett zu gehen. Ich denke nach, denn ich bin mir nicht ganz sicher, wie das für Männer funktioniert. Ich habe schon Männer geküsst, mit denen ich nicht schlafen wollte, ganz offensichtlich, aber ich glaube, Männer sind da weniger wählerisch als Frauen. Gott, zumindest hoffe ich, dass er weniger wählerisch ist als ich, denn ich denke, dass er der Eine ist.

Der Eine, mit dem ich Sex haben möchte, nicht der Eine.

Natürlich nicht. Ich bin nicht so verrückt, dass ich eine Hochzeit und Kinder mit einem Mann, den ich nicht kenne, auf Grundlage eines einzigen perfekten Kusses plane. Ich möchte mich noch immer in den perfekten Mann verlieben, wer auch immer er ist, und glücklich bis ans Ende unserer Tage mit ihm zusammenleben. Allerdings ist es nun mal so, dass ich nicht weiß, wann er kommen wird, dieser Mann. Was, wenn ich dreißig bin, ehe er auftaucht? Ich sollte nicht bis dreißig warten müssen, um Sex zu haben.

Also nein, ich plane nicht, ihn zu heiraten. Ich möchte ihm nur meine Unschuld schenken, da ich angesichts dieses einen perfekten Kusses annehme, dass er sehr gut darin wäre, mich zu entjungfern. Außerdem fühle ich etwas, wenn ich ihn sehe. Etwas, das ich bisher nicht gekannt habe, aber das ich als hemmungslose Lust einordnen würde. Als Verlangen. Eine besondere Regung, wenn man so will.

Entjungfern. Was für ein lächerliches Wort. In Gedanken mache ich mir eine Notiz, dieses Wort nicht zu benutzen, wenn ich ihn bitte, mit mir ins Bett zu gehen.

»Ich glaube, ich habe diesen Typen gesehen«, erzähle ich Payton, als wir uns beim Mittagessen in der Cafeteria für die Angestellten treffen. Mit Cafeteria meine ich die nobelste Cafeteria, die ich je gesehen habe. Es gibt eine Salatbar, eine Sandwichstation, eine Pizzastation und eine Auswahl an Gerichten, die, dem ausgedruckten Menü nach zu urteilen, möglicherweise täglich wechseln. Und es ist umsonst! Wie verrückt ist das denn bitte? Die Zusatzleistungen für die Angestellten sind erste Sahne, was mit ein Grund war, warum mir dieser Job so attraktiv erschienen ist. Auch wenn die vom Unternehmen angebotene Rentenvorsorge und Krankenversicherung ausschlaggebender waren als das kostenfreie Essen für die Angestellten, aber immerhin. Das ist ebenfalls ein supercooler Bonus. Die gesamte Belegschaft hat Zugang zu dieser Cafeteria. Egal, welche Abteilung. Der Geschäftsführer und das Zimmermädchen, sie alle werden die gleiche Cafeteria benutzen, was ich toll finde und zu mehr Gleichheit und so weiter führt. Der Raum ist riesig und eigentlich mehr wie ein Büfett konzipiert, was nötig sein wird, um die große Anzahl an Angestellten zu verköstigen.

»Welcher Typ?«, fragt Payton, bevor sie einen großen Happen von ihrem Pizzastück abbeißt. Sie ist sehr zierlich, obwohl sie Unmengen an Essen verschlingt. Als hätte sie den Stoffwechsel eines Highschool-Jungen.

»Den Typen aus der Bar. Von neulich Abend.«

»Nicht dein Ernst.« Sie lässt das Pizzastück auf ihren Teller fallen und bedenkt mich mit einem Grinsen, das die Grinsekatze stolz machen würde. »Hier?«, hakt sie nach, eine Braue angesichts des Vergnügens, das ihr diese Situation möglicherweise bereiten wird, verzückt nach oben gezogen.

»Natürlich hier. Ich war heute ja nirgendwo anders außer hier.« Ich schneide die Hähnchenbrust auf meinem Salat in kleinere Stücke, ehe ich eins mit der Gabel aufspieße und sicherstelle, dass ich die perfekte Kombination aus Fleisch, Salat und Dressing erwischt habe.

»Also arbeitet er hier? Hast du mit ihm geredet?«

»Ja, ich glaube schon, und nein, habe ich nicht. Ich habe ihn entdeckt, als ich mit meiner Orientierungsgruppe durch die Hotellobby gelaufen bin. Es ist irgendwie cool, schon hier zu sein, ehe das Ganze eröffnet, oder?« Das ist es wirklich. Wart ihr schon mal in einem Casino in Las Vegas, nachdem es geschlossen hat? Nein. Wart ihr nicht, denn wenn es erst mal geöffnet hat, hat es geöffnet. Vierundzwanzig Stunden am Tag, dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr. Wie viele Menschen bekommen die Gelegenheit, einen solchen Ort zu sehen, ehe er eröffnet? Nicht viele, wette ich.

In der Lobby herrschte reges Treiben. Bauarbeiter auf Gerüsten stellten die Lampen ein, während ein anderer einen Brunnen in der Größe eines kleinen Swimmingpools verfliesten. Lieferungen wurden in den Einzelhandelsgeschäften der Lobby abgeladen und zeitgleich unzählige Pappkartons zerkleinert und weggeschafft.

Auf der Ebene des Casinos wurde ebenfalls noch gearbeitet. Zwar standen schon die Spieltische an ihren Plätzen, aber natürlich waren sie unbesetzt. Reihenweise Spielautomaten erhellten den Bereich, jedoch ohne einen Mucks von sich zu geben. Ansonsten war die gesamte Etage wie leer gefegt, bis auf eine Bar in der Mitte, an der noch gezimmert wurde.

Es roch nach frischer Farbe und neu verlegtem Teppich, aber auch noch nach etwas anderem. Es roch nach einem Anfang. Nach Möglichkeiten und ungenutzter Energie und dem geflüsterten Versprechen eines bevorstehenden Abenteuers.

Es war unheimlich cool.

»Lydia, konzentrier dich.« Payton schüttelt die Eiswürfel in ihrem Becher, ehe sie einen Schluck daraus trinkt. »Ich brauche Details!«

»Ich habe ihn in der Lobby gesehen und nehme an, dass er hier arbeitet?«, sage ich, doch es klingt mehr nach einer Frage als einer Aussage, da ich schließlich keine Ahnung habe. »Er stand mit ein paar anderen Typen in der Nähe der Eingangstüren. Sie hatten ihre Blicke auf ein Tablet gerichtet und deuteten auf verschiedene Stellen an der Lobbydecke. Oh! Vielleicht gehört er zur Security oder so was? Mist. Ich weiß es nicht, aber er hat so gewirkt, als gehöre er hierher. Möglicherweise ist er ein Bauunternehmer und unsere Wege werden sich nie wieder kreuzen.« Ich kräusle die Nase und zucke mit den Schultern.

Es wäre wirklich ätzend, wenn das neulich meine einzige Chance war und ich sie vergeigt hätte. Selbst wenn er hier arbeitet, werde ich ihm jemals wieder über den Weg laufen? Dieser Ort hier entspricht einer kleinen Stadt. Bei Tausenden von Angestellten wird es viele Leute geben, die ich nur selten oder auch gar nicht sehen werde.

4. Kapitel

Lydia

An diesem Tag sehe ich ihn nicht wieder und auch nicht am nächsten. Aber ich übe. Mit üben meine ich, dass ich imaginäre Gespräche mit ihm führe, sodass ich für eine richtige Unterhaltung gewappnet bin, wenn ich ihn wiedersehe. Hey, erinnerst du dich an mich?, sage ich zu meinem Spiegelbild, während ich mir morgens die Haare föhne. Oh, du! Du arbeitest hier? Ich arbeite auch hier! Das wiederhole ich auf meinem Weg zur Arbeit in Gedanken so oft, bis es ganz natürlich klingt. Wenn ich an einer Ampel halten muss, unterstreiche ich diese Worte noch mit einem Schulterzucken und einer Handbewegung. Hey, du, kannst du es glauben, dass ich deinen Namen beim letzten Mal nicht mitbekommen habe?

Zugegeben, an diesem letzten Satz muss ich definitiv noch etwas feilen. Es ist irgendwie ätzend, dass ich ihn im Rahmen meiner Fantasieübungen so ansprechen muss, aber so ist es nun mal. Ich habe darüber nachgedacht, mir einen Namen für ihn auszudenken, bis ich herausfinde, wie er wirklich heißt, aber ich wollte mich nicht zu sehr an einen falschen Namen gewöhnen. Denn wie wäre es beispielsweise, wenn ich ihn vorerst mal Sam nenne und der Name dann aus irgendeinem Grund in meinem Hirn haften bleibt und ich ihn dann im Bett Sam nenne? Könnt ihr euch das überhaupt vorstellen? Ich nicht. In Wahrheit habe ich es mir vorgestellt und mir sind bei dieser Vorstellung tausend Gruselschauer über den Rücken gelaufen. Ich habe mir vorgestellt, dass alles zwischen uns super lief – der Sex – und dass ich es genoss und er ebenfalls. In meiner Vorstellung habe ich eine wirklich gute Figur gemacht und dann – bäm – rief ich einen falschen Namen und ruinierte alles. Wenn ihr die Details wollt: Er war auf mir, voll dabei, ich hatte meine Knöchel hinter seinem Rücken verschränkt und stöhnte »Härter, Sam«, woraufhin er innegehalten hat, so wie man das eben macht, wenn man beim Sex mit falschem Namen angesprochen wird. Ich wiederum lief vor Scham knallrot an, während er sich angezogen hat und verschwunden ist.

Dabei war ich noch nicht mal gekommen.

Also muss Hey, du reichen, bis ich seinen Namen in Erfahrung gebracht habe. Ich nehme an, dass ich die Situation zumindest retten könnte, ohne ihn zu kränken, sollte ich ihn beim Sex aus Versehen mit Hey ansprechen. Also warte ich auf den richtigen Zeitpunkt, halte meine Augen offen und arbeite gedanklich an meiner Unterhaltung mit ihm.

Ich bin zuversichtlich, dass sich das auszahlen wird, denn meiner Erfahrung nach zahlt es sich immer aus, hart zu arbeiten und eine positive Einstellung zu haben. Denn immerhin gilt: Übung macht den Meister. Darum werde ich bereit sein, wenn ich ihn wiedersehe.

Am Freitag bekomme ich meinen eigenen Schreibtisch. Ich hatte noch nie zuvor bei der Arbeit einen eigenen Bereich außer vielleicht einen Spind, in dem ich meine Handtasche verstauen konnte. Um genau zu sein, ist es sogar ein kleines abgetrenntes Büro nur für mich. Der Bereich, den ich mein Eigen nennen kann, umfasst knapp drei Quadratmeter und draußen an der Wand der kleinen Arbeitsnische wurde sogar mein Name angebracht.

Lydia Clark. Ich streiche mit den Fingern über die Buchstaben und grinse, ehe ich meinen neuen Arbeitsbereich betrachte. Mein Schreibtisch ist L-förmig und es steht bereits ein Flachbildschirm darauf. Drei linierte Blöcke, eine Packung mit Stiften und ein Sechserpack Klebezettel, noch immer in ihrer Cellophanverpackung, liegen neben der Tastatur. Die Wände des Bürowürfels bestehen aus einer Art taupefarbenem Strukturgewebe in Industrieausführung, dienen aber gleichzeitig als Pinnwand, sodass ich ganz leicht Notizen daran befestigen kann.

Ich kann es nicht erwarten, dieses Wochenende einen süßen Stiftehalter zu kaufen. Vielleicht werde ich auch eine Briefablage und bunte Ordner besorgen. Ich lasse meine Handtasche in die Schublade des Aktenschranks unter dem Schreibtisch fallen und schreibe Payton.

Lydia:

Shoppen für Bürobedarf dieses Wochenende?

Payton:

Kann es kaum erwarten!

Oh, wow. Ich hätte nicht gedacht, dass sie das interessieren würde. Sie hatte nahezu keinerlei Meinung in Bezug auf die Sachen, die wir für unser Apartment gekauft haben. Ich frage mich, ob ich sie dazu bewegen kann, noch mal mit mir zu Ikea zu gehen.

Lydia:

Wirklich? Möchtest du nach der Arbeit mit mir zu Ikea?

Payton:

Nein, nicht wirklich, du Nerd. Es ist unser zweites Wochenende in Vegas. Wir werden unseren Freitagabend nicht bei Ikea verbringen.

Oh. Nun, dann vielleicht Samstag.

In fünf Minuten habe ich ein Teammeeting, daher stecke ich mein Handy ein und mache mich auf den Weg zum Konferenzraum. Der dritte bis vierte Stock in diesem Hotel umfasst nichts als Büroräume. Diese Stockwerke sind mit den Gästefahrstühlen nicht zu erreichen, sodass wir nahezu versteckt sind, wie in einem Gebäude innerhalb eines Gebäudes. Vom Angestellteneingang aus erreichen wir gesonderte Fahrstühle, die nichts als diese drei Stockwerke sowie die Suiten der Geschäftsleitung im vierunddreißigsten Stockwerk bedienen. Nicht, dass ich Letztere schon mal gesehen hätte – sie sind den Angestellten in Führungspositionen, die hier vor Ort leben, vorbehalten.

Könnt ihr euch das vorstellen?

Meine Abteilung – die Personalverwaltung – ist im vierten Stock, zusammen mit der Rechtsabteilung, der Buchhaltung, dem Sicherheitsdienst und den Büroräumen der Führungsebene. Ich als Mitarbeiterin unterstehe dem Direktor der Personalverwaltung, der wiederum dem Generaldirektor der Personalverwaltung untersteht. Das klingt nach einer Menge Leute, was auch stimmt. Ich bin einer von sieben Mitarbeitern in diesem Bereich, die alle gemeinsam diese Woche ihre Arbeitsstelle angetreten haben und schließlich aufgeteilt und den verschiedenen Abteilungen als Hauptansprechpartner zugeteilt werden – Housekeeping, Essensservice, Rezeption und Zimmerservice, Entertainment, Wellness, Verkauf und Casino. Und das sind nur die nach außen hin sichtbaren Bereiche.

Dieser Ort hier ist wirklich eine Welt für sich.

Auf jeder Ebene gibt es einen Pausenraum mit kostenlosem Kaffee, darum lege ich dort einen Zwischenstopp auf meinem Weg zum Konferenzraum ein. Hier steht einer dieser modernen Kaffeevollautomaten, der Latte, Espresso, heißen Kakao und auch normalen Kaffee zubereiten kann. Heiliger, hier zu arbeiten, ist wie ein Tag in Disneyland für mich! Es gibt auch Obst und Snacks und Wasserflaschen und – oh mein Gott, ich bleibe abrupt stehen. Dieser Typ. Zum Pausenraum gehört auch noch dieser Typ. Damit meine ich, dass er hier ist, im Pausenraum. Nicht, dass er wie eine kostenlose Packung Erdnüsse, die es hier tatsächlich gibt, zu den Vorräten des Pausenraums zählt.

Verdammt, Lydia! Konzentrier dich!

Ich habe bereits zwei Schritte in den Raum gemacht und das Klackern meiner hohen Absätze auf dem Linoleum hat mich schon angekündigt, ehe ich das selbst tun konnte. Er ist dabei, den Deckel einer Wasserflasche abzuschrauben, und ich habe gerade mal eine halbe Sekunde Zeit, um ihn zu beobachten, bevor er mich bemerkt. Eine halbe Sekunde, um zu bestätigen, dass er es mir angetan hat.

Warum ist das so? Ich habe ihn doch nur geküsst, mehr nicht. Warum hat er diesen Effekt auf mich? Ich bin nun auch nicht so unschuldig, dass mich ein Kuss völlig aus der Bahn werfen sollte. Ich habe schon vorher Männer geküsst und keiner von ihnen hat mir dieses Gefühl gegeben. Stattdessen habe ich mich bei ihnen nur gleichgültig gefühlt, wenn ich ehrlich bin. Deshalb bin ich ja auch noch Jungfrau. Warum sollte ich eine Sache weiterverfolgen, wenn mir der Typ kein gutes Gefühl gibt?

Dieser Kerl hier wiederum gibt mir das Gefühl, endlich sexuell aktiv werden zu können. Jap. Wenn ich ihn sehe, bin ich mir sogar sicher, dass ich ungenutztes Luderpotenzial habe. Warum zur Hölle ist er nur so attraktiv? Es tut beinah weh, ihn anzuschauen. Ich fühle mich ganz warm und aufgeregt und seltsam.

Als er mich bemerkt, blitzt Erkennen oder Überraschung in seinen Augen auf. Ich vermute, dass es eine Mischung aus beidem ist. Es bedeutet, dass er sich an mich erinnert, nicht wahr?

Er sagt nichts, aber sein Blick bleibt unverwandt auf mich gerichtet, als er sich mir zuwendet. Er führt die Flasche zum Mund und trinkt einen Schluck daraus, scheinbar ungerührt, während er mich einfach nur ansieht. Sein Gesichtsausdruck verrät nichts. Wenn ich nicht das kurze Aufblitzen in seinen Augen gesehen hätte, als er mich bemerkt hat, hätte ich gedacht, dass er sich nicht an mich erinnern würde, aber das tut er. Ich weiß es.

Wir sind allein. Nur wir zwei, ein leerer Pausenraum, das Surren des Kühlschranks und der Geruch von Kaffee in der Luft.

Das ist meine Chance.

»Oh, hey, ähm, du arbeitest hier?« Das ist es, was mir für meinen großen Moment einfällt. »Wir haben uns neulich kennengelernt. Letztes Wochenende. Wie auch immer«, setze ich noch ordentlich was auf die Peinlichkeit obendrauf, die gerade meinen Mund verlassen hat.

»Das haben wir in der Tat«, antwortet er und nickt bestätigend. Er schraubt den Verschluss der Wasserflasche wieder zu, ohne hinzusehen, denn sein Blick ist noch immer auf mich gerichtet.

Verdammt, diese verfluchten Augen. Sie stellen etwas mit mir an. Schmutzige Dinge, zumindest in meinen Gedanken. Sein Blick wandert über mein Gesicht und ich erröte bis zu den Haarwurzeln. Ich mache ein paar zaghafte Schritte nach vorn, meine Absätze klackern wieder auf dem Boden. Er hat kluge Augen. Intelligente. Einfühlsame. Er sieht aus wie ein Mann, der schnelle Entscheidungen treffen kann. Wie ein Mann, dem keine Details entgehen.

»Also arbeitest du hier? Ich arbeite auch hier.« Ich klinge ein wenig atemlos, daher atme ich einmal tief durch und versuche, mich zusammenzureißen.

»Ja, wie es scheint, arbeiten wir beide hier.«

Ich glaube, ich wiederhole mich. Ich muss das Ganze vorantreiben, solang ich noch die Chance habe, ehe jemand reinkommt oder er einen Abgang macht. »Also, das war nett«, sage ich. »Als wir uns getroffen haben.«

»Nett?« Seine Lippen scheinen sich zu einem winzigen Schmunzeln zu verziehen und er hat fragend – oder aber amüsiert – eine Braue hochgezogen.

Ich wünschte, ich könnte mit meinem Finger über diese Augenbraue fahren. Über die kleine Falte auf seiner Stirn streichen und die Kontur seines Kinns nachzeichnen. »Die Sache mit dem Kuss«, stelle ich klar. »Für den Fall, dass du es noch mal wiederholen möchtest.«

Er reißt überrascht die Augen auf und zieht nun beide Brauen in die Höhe, das Schmunzeln auf seinem Gesicht ist verschwunden. Dann schüttelt er ein klein wenig den Kopf und lächelt.

Ich amüsiere ihn. Scheiße. Ich muss wie ein Teenager klingen, er ist mit Sicherheit Angebote gewohnt, die weit übers Küssen hinausgehen. »Oder was auch immer du sonst möchtest«, verbessere ich schnell. »Ich meine, falls du Interesse hast.«

»Heiliger«, sagt er langsam und nicht gerade auf ehrfürchtige Art und Weise.

Er hebt seine freie Hand und reibt sich über das Kinn, ehe er den Kopf etwas zur Seite neigt, als würde er ein wenig von der Anspannung in seinem Nacken lockern wollen. Er lächelt noch immer nicht. Moment mal. Habe ich das alles gänzlich falsch verstanden? Er hat mich doch geküsst.

Nicht, dass das einer großen Erklärung von Interesse gleichkam, aber er muss mich attraktiv genug gefunden haben, um das zu tun.

Er lässt seine Hand sinken. Die Wasserflasche baumelt zwischen den Fingern seiner anderen Hand hin und her und er trommelt damit immer wieder gegen sein Bein. Ich würde seine Aktion nicht als nervös einordnen. Nicht im Geringsten. Als unruhig vielleicht. Sein Gesichtsausdruck ist ein wenig gequält, wenn ich es präzisieren müsste. Aber seine Augen wiederum … Seine Augen verraten Interesse. Ich bin vielleicht nicht das erfahrenste Mädchen der Welt, aber ich glaube wirklich, in ihnen Interesse zu erkennen.