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Von manchen Männern lässt man besser die Finger. Kyle Kingston ist einer von ihnen. Er ist nicht nur ultraheiß und ziemlich reich, sondern auch verdammt schwer zu erreichen. Vor allem, wenn man ihm mitteilen möchte, dass man von ihm schwanger ist. Heikle Situationen verlangen nach gewagten Maßnahmen, also schlich ich mich auf die Ruhestandsgala seines Grandpas. Ein guter Plan mit katastrophalem Ausgang. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit einem Heiratsantrag. Kyle würde alles tun, um das Image seiner Familie zu wahren. Während er noch seinem Pflichtgefühl nachkommt, habe ich längst mein Herz an ihn verloren ...
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Seitenzahl: 328
Verliebte Mädchen haben einen Plan B...
L
Jana Aston
© Die Originalausgabe wurde 2019 unter dem
Titel PLAN B von Jana Aston, in Zusammenarbeit mit Bookcase Literary Agency veröffentlicht.
© 2022 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH
8700 Leoben, Austria
Aus dem Amerikanischen von Jennifer Kager
Covergestaltung: © Sturmmöwen
Titelabbildung: © Volodymyr TVERDOKHLIB (shutterstock)
Redaktion & Korrektorat: Romance Edition
ISBN-Taschenbuch: 978-3-903413-12-2
ISBN-EPUB: 978-3-903413-13-9
www.romance-edition.com
Daisy
Als ich Kyle Kingston vor einigen Monaten zum ersten Mal gesehen hatte, wusste ich, dass ich mit ihm einen Fehler begehen würde. Einen, der viel Spaß versprach, doch Fehler blieb Fehler. Ich hatte keine Ahnung, wer er war oder wie er hieß. Oder dass er es schaffen würde, mir in weniger als einem Tag das Herz zu brechen. Genauso wenig ahnte ich, dass er mich wie ein gemeiner Dieb bestehlen und dabei auch noch mein ganzes Leben auf den Kopf stellen würde. Eines war mir jedoch von Anfang an klar: Dieser Mann war keine gute Idee.
Rückblickend betrachtet, tröstet es mich, dass auf meine Instinkte noch ein wenig Verlass ist. An meiner Gewohnheit, mit Idioten zu schlafen, muss ich allerdings noch arbeiten. Wenigstens weißich mittlerweile, dasses Idioten sind.
Man soll auch kleine Erfolge feiern.
Als ich Kyle kennenlernte, befand ich mich mitten in einer Schwanzdiät. Wenn man wie ich ein unkompliziertes Mädchen ist, scheinen die Kerle zu denken, wirklich nur ihren Spaß haben zu können, ohne jede Verpflichtung eingehen zu müssen. Indem man ihnen nicht ständig Tränen, Dramen und Ultimaten vor die Nase setzte, kamen sie mit einem Minimum an Intimität und Fürsorge davon.
Aber ehrlich? Ich war es leid, wie Scheiße behandelt zu werden. Ich hatte die Nase voll von Typen, die mich nicht anriefen oder mir nicht mal während eines Gesprächs ihre Aufmerksamkeit schenkten. Männer, die an Silvester vor ihren Bros mit mir angeben, sich aber am Valentinstag nicht mehr an mich erinnerten. Als hätte mich der Erdboden verschluckt. Kerle dieser Kategorie haben generell Gedächtnislücken, auch bei simplen Dingen wie der Sorte meines Lieblingseises oder wie ich meinen Kaffee morgens am liebsten trinke. Nichts davon bedarf großer Hirnakrobatik. Vor allem nicht, wenn man der Person, mit der man schläft, auch nur ein Quäntchen Wertschätzung entgegenbringt. Mit sechsundzwanzig hat man diesen Mist nicht mehr nötig.
Wenn man seine Mittzwanziger erreicht, muss man genauer hinsehen, mit welchen Typen man ausgeht. Sonst wacht man jeden Morgen neben einem Idioten auf und beschwert sich für den Rest seines Lebens über einen Ehemann, der lieber Softball spielt, als sich um die Kinder zu kümmern. Oder der einen in den finanziellen Ruin treibt, weil er immer noch seinem Traum einer eigenen Band hinterherjagt. Oder seinen Job nicht behalten kann, weil er sich von der US-amerikanischen Wirtschaft unverstanden fühlt.
Nein danke.
Also entschied ich mich für eine sechsmonatige Schwanzdiät. Warum ausgerechnet diese Zeitspanne? Es erschien mir einfach angemessen. Ich hatte übrigens bereits vier Monate geschafft, als ich Kyle begegnet war.
Nicht, sagte ich mir. Tu es nicht. Du kannst den Rest deines Lebens glücklich sein, ohne je zu erfahren, wie dieser Mann im Bett ist. Halte dich von ihm fern. Denn mir war klar – noch bevor ich seinen Namen kannte –, dass er es nicht wert war, meine selbst auferlegte Regel frühzeitig zu brechen. Jemand, mit dem ich eine Zukunft haben könnte, wäre es wert gewesen. Kyle bedeutete jedoch einen Rückschritt.
Eine Nacht mit ihm und ich würde mich wieder mit Idioten zufriedengeben, die meinen Geburtstag vergaßen. Dabei wollte ich bei der Wahl von Männern zu der Sorte übergehen, die eine stabile Altersvorsorge einbrachten und das brennende Verlangen verspürten, sich nach meinem Tag zu erkundigen.
Doch ein Blick auf Kyle genügte und ich jagte meine guten Vorsätze zum Teufel.
Daisy
In der Hölle schmorten nun auch all meine Pläne für die nahe Zukunft. Warum? Weil ich von Kyle schwanger bin.
Mutterschaft stand noch nicht auf meiner To-do-Liste. Aber es ist in Ordnung. Ich kann mich anpassen. Ich war schon immer in der Lage, die Dinge umzusetzen, die ich mir vorgenommen habe. Der kleine Umstand wird nichts daran ändern. Bestimmt nicht. Außerdem habe ich mich immer mit Kindern gesehen. Nicht sofort und nicht auf diese Weise, aber natürlich will ich welche haben.
Eines Tages.
Nun weiß ich, dass dieser Tag nur noch sieben Monate entfernt ist. Von einer Singlefrau zur Singlemom. Das kriege ich hin. Ich muss meinen Job kündigen und mir Umstandshosen kaufen, aber das verkrafte ich. Ich habe alles im Griff.
Vorher steht allerdings noch etwas anderes an. Ich muss dem werdenden Vater die frohe Botschaft überbringen. Was sich als etwas schwierig gestaltet, da der Vater meines Babys unmöglich zu erreichen ist. Stellt euch das vor: Ich weiß, wer er ist, kenne seinen Namen, aber ich habe keine Möglichkeit, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Was nicht bedeuten soll, dass ich die Namen der Männer, mit denen ich schlafe, sonst nicht kennen würde. Das tue ich immer. Ich bin keines dieser Mädchen, das blindlinks durch die Gegend vögelt – nichts für ungut. Jedem das Seine. Ich kann die Anzahl meiner bisherigen One-Night-Stands an einer Hand abzählen. Das schließt jene auf dem College ein, obwohl jeder weiß, dass man die nicht mitzählen muss. Damit trete ich wieder ins Fettnäpfchen, oder?
Wie auch immer, ich werde es Kyle sagen. Er sollte wissen, dass er Vater wird. Auch wenn es meine Angelegenheit ist, nicht seine. Nun, irgendwie ist es auch seine, aber seien wir ehrlich – am Ende bleibt immer alles an der Frau hängen. Dennoch sollte er von seinem Kind erfahren.
Ich bin nicht auf irgendetwas aus, überhaupt nicht. Ich kann und werde diese Situation ohne ihn meistern. Es ist jedoch nur fair, dass er informiert ist. Auch wenn ich ihn als erstklassigen Idioten und potentiellen Mistkerl einschätze. Und obwohl es alles andere als fair ist, dass er mich geschwängert hat. Ich übernehme die volle Verantwortung für das Beenden meiner Schwanzdiät, aber die Kondomfehlfunktion geht auf sein Konto.
Also werde ich ihn informieren. Das ist ebenso korrekt, wie Recycling. Ich kann Leute nämlich nicht ausstehen, die nichts auf Müllverwertung geben. Vor allem, wenn beide Tonnen direkt nebeneinander stehen. Diese Egoisten, die lieber etwas für alle Ewigkeit auf einer Deponie versauern lassen, als diesem Ding ein zweites Leben zu ermöglichen. Außerdem ist Recycling wahnsinnig sexy. Ich habe kürzlich ein Buch gelesen, in dem der Held eine leere Wasserflasche in eine Wertstofftonne geworfen hat. Fast wäre ich gekommen.
Kein Scherz.
Wie auch immer. Der Punkt ist, dass ich recycle – und wenn mich jemand schwängert, sage ich es ihm. Obwohl er seinen Job mit dem Kondom vermasselt hat. Ist doch ziemlich typisch für einen Mann, den Part mit den langfristigen Konsequenzen zu versauen, während er bei der sofortigen Befriedigung brilliert, nicht wahr?
Argh.
Ich bin nicht wütend, nicht wirklich. Zu einem Tango gehören immer zwei. Ich hätte selbst Kondome mitbringen können. Oder mir einen Typen suchen, der schlau genug ist, sie richtig zu benutzen. War es kaputt? Alt? Google meint, Kondome seien in der Theorie zu achtundneunzig Prozent sicher. Aber Männer sind in der Praxis notgeile Idioten. Im Durchschnitt werden fünfzehn von hundert Frauen, die nur mit Kondom verhüten, schwanger.
Ich Glückspilz.
Okay, ich bin ein bisschen sauer. Ich pinkle auf Teststreifen und frage mich, wie viel Koffein in einem Chai Tea Latte steckt. Währenddessen lebt Kyle sein Leben munter weiter und trinkt so viel Koffein, wie er will. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass dieses Baby eines Tages etwas über seinen Vater wissen wollen wird. Ich muss Antworten parat haben. Nicht für die Frage, wie wurde ich gezeugt, – oh Gott, bitte nicht –, sondern darauf, wer ist mein Dad? Wenigstens das sollte ich meinem Sohn oder meiner Tochter bieten können, wenn ich ihr oder ihm bereits die Kindheit mit zwei Elternteilen und dem weißen Gartenzaun um das Vorstadthaus genommen habe. Ich trage die Verantwortung für dieses Kind. Wenn es eines Tages seinen Vater kennenlernen will, muss ich dieses Treffen ermöglichen können. Daher muss ich einen Kontakt herstellen.
Man würde meinen, ihn zu erreichen, sei der einfache Teil an der Sache. Schwieriger sollten die Worte danach sein: Hey, kennst du mich noch? Ich bin schwanger. In diesem Fall liegt das Problem darin, seine Kontaktdaten zu bekommen.
Inzwischen weiß ich, dass mein One-Night-Stand der Erbe von Kings ist, einer US-amerikanischen Kaufhauskette, deren Erfolgsgeschichte auf familiären Werten und niedrigen Preisen beruht. Mal ganz unter uns: Kyle Kingston hat nichts mit Familienwerten zu tun. Soll heißen, er ist ein mieser Bastard, und zwar auf die verlockendste Weise. Ich nehme an, das ist auch der Grund, warum er aus dem gesamten PR-Plan des Unternehmens herausgehalten wird. In der Werbung sieht man lediglich grinsende Familien und Rentnerpaare, die sich an den niedrigen Preisen für grüne Bohnen in Dosen und Papierhandtücher erfreuen. Eine Kampagne, in der Kyle mit einer günstigen Packung Kondome wirbt, ist vermutlich nicht das, was das Unternehmen anstrebt.
Das Problem ist, dass Leute wie er kein Facebook-Profil haben. Oder eines auf Twitter. Genauso wenig auf Instagram, Pinterest oder irgendeiner anderen Plattform. Es ist schlichtweg unmöglich, einen solchen Mann zu erreichen. Was praktisch sein muss, um nicht von Gelegenheitsbekanntschaften wie mir genervt zu werden, die er einfach abserviert hat. Dieses miese Arschloch.
Mir war nicht klar, wie ärgerlich es ist, wenn man jemanden nicht erreichen kann. Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Ich kenne seinen Namen, den seines Arbeitgebers und die Stadt, in der er lebt. Dennoch ist er unerreichbar für mich. Sehr ärgerlich. Zehnmal schlimmer, als wenn eine Freundin aus Versehen ihr Handy auf lautlos stellt und man stundenlang warten muss, bis sie die verpassten Textnachrichten bemerkt.
Ich habe versucht, in der Firmenzentrale von Kings anzurufen, aber das hat mich nicht weitergebracht. Was niemanden schockieren sollte, denn man kann nicht einfach bei einem Großkonzern durchklingeln und bitten, mit einem der Konzernchefs zu sprechen. Zum Teufel, nicht einmal bei einem Ein-Personen-Betrieb bekommt man den Chef zu sprechen. Ich habe bereits überlegt, die Kontaktfunktion der Unternehmenswebseite zu nutzen, weil mein Anliegen in keine der vorgegebenen Kategorien fällt. Nein, ich habe kein Problem mit meiner Bestellung. Nein, ich habe keine Frage zu der Garantie meines Artikels. Und nein, ich brauche keine Hilfe bei der Bearbeitung meiner Rücksendung.
Seltsamerweise war Ihr CEO hat mich geschwängert nicht unter den Optionen gelistet. Nach zehn Minuten der Frustration habe ich die Kontaktseite verlassen und bin zu ihrem Onlineshop gewechselt, um mir Schwangerschaftsvitamine zu bestellen. Außerdem eine Tragetasche aus recycelten Wasserflaschen. Ich wollte eigentlich in meiner Wut standhaft bleiben, aber die Preise bei Kings sind wirklich günstig.
Zeit für Plan B.
Daisy
Erinnert ihr euch an den Film über die zwei Kerle, die sich auf Hochzeiten einschleusen, um Frauen aufzureißen, ohne Geld für Getränke oder Essen ausgeben zu müssen?
Was ich vorhabe, ist nicht exakt das Gleiche. Ich bin eine Frau, die uneingeladen auf einer Ruhestandsgala erscheinen wird, um dem Vater ihres ungeborenen Kindes ihre Schwangerschaft zu gestehen. Normalerweise würde ich mich nicht zu so etwas herablassen, aber ich bin verzweifelt. Es ist ja nicht so, als wollte ich zum Essen bleiben. Ich werde mich nur kurz reinschleichen. Und schon bin ich wieder weg. Niemand außer Kyle wird wissen, dass ich da war. Wahrscheinlich werde ich nicht einmal eine der Vorspeisen probieren, es sei denn, ein Kellner geht mit einem Tablett voller Essiggurkenhäppchen an mir vorbei und bringt mich in Versuchung. Ein Scherz. Ich habe keine klischeehaften Gelüste nach Essiggurken. Es ist mehr ein klischeehafter Heißhunger auf alles, was keine Gurke ist.
Das ist mein Plan. Mein Erfolg hängt davon ab, dass Kyle mit Anwesenheit glänzt. Ich denke, die Chancen stehen gut, dass er dort sein wird. Sein Großvater ist der Ehrengast, und meine Internetrecherche hat ergeben, dass Kyle erst kürzlich die Leitung des Familienunternehmens übernommen hat. Es geht hier um Kings, die größte Einzelhandelskette der USA. Und kürzlich wie in Eine Woche, nachdem er mich geschwängert hat.
Seine Beförderung zum CEO ist der einzige Grund, warum ich weiß, wer Kyle ist und wo ich ihn finden kann. Zwar hat er mir an jenem Wochenende seinen Namen verraten, doch ich habe nicht weiter darüber nachgedacht. Warum auch? Er war nur ein Typ, den ich auf der Durchreise in Philadelphia getroffen hatte. Und sein Nachname lautet Kingston, während die Einzelhandelskette Kings heißt.
Als ich feststellte, dass ich schwanger bin, habe ich nach ihm gegoogelt. In der Hoffnung, auf ein Facebook-Profil mit seinem Bild zu stoßen, damit ich ihm eine kurze Nachricht schicken und die Sache abhaken kann. Ihn abhaken. Stattdessen lieferte mir das Suchergebnis einen Artikel der New York Times, begleitet von dem Kings-Logo und einer professionell ausgeleuchteten Fotografie von Kyle. Der Artikel kündigte den Ruhestand von Kyles Großvater an, dem Firmengründer William Kingston, und stellte Kyle als den neuen CEO von Kingston Enterprises vor.
Kingston Enterprises. Dem alle sechstausend Kings-Filialen in den Staaten angehören. Die einzelnen Standorte variieren in ihrer Größe. Von dem kleinen Laden an der Ecke bis hin zu Super- und Mega-Kaufhäusern ist alles dabei.
Endlich fiel der Groschen und ich verstand zwei Dinge. Erstens: Kyle Kingston war der Erbe eines Einzelhandelsimperiums, das seinen Namen trägt. Und zweitens: An ihn heranzukommen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Durch einen glücklichen Zufall, einer Fügung des Schicksals oder einer kosmischen Intervention wurde ich zu einer Konferenz nach Philadelphia eingeladen, die in der kommenden Woche stattfinden wird. Ich dachte mir, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, richtig? Ich könnte die Konferenz besuchen, und während ich in der Stadt bin, Kyle finden. Also durchforstete ich das Internet und hoffte auf einen zweiten Glücksfall, der mir Kyles Adresse liefern würde. Wenn nötig wollte ich vor seiner Haustür campen, bis er auftaucht. Ich weiß, Stalking gehört nicht zum guten Ton, aber verzweifelte Zeiten bedürfen verzweifelter Maßnahmen.
Abgesehen davon, wer hat nicht schon einmal gestalkt? Jeder tut es in der einen oder anderen Weise. Oder hat schon mal die Sachen seines Freundes durchstöbert. In der Öffentlichkeit das Gespräch eines Fremden belauscht. Und jeder mit einem Internetanschluss hat schon mal etwas nachgeschlagen, was ihn nichts angeht. Völlig normal.
Also habe ich gesucht und gesucht. Es stellte sich jedoch heraus, dass meine Stalking-Fähigkeiten beschissen sind. Ich fand nichts über ihn, außer der Erwähnung einer Schwester namens Kerrigan. Übereinstimmende K-Namen sind das einzige, was sie mit den Kardashians gemeinsam haben, denn die Kingstons halten ihr Privatleben wirklich privat. Ich konnte bei seiner Schwester auch keinen einzigen Social-Media-Account finden. Ich hatte gehofft, durch sie auf Kyle zu stoßen. Fehlanzeige. Seine Eltern kamen bei einem Flugzeugabsturz vor fünf Jahren ums Leben. Darüber gab es ein paar alte Artikel, aber sonst nicht viel, was ich hätte gebrauchen können. Bis ich auf die Erwähnung einer Ruhestandsgala für William Kingston stieß. Da musste Kyle doch dabei sein, oder? Wie könnte er nicht anwesend sein, wenn er gerade zum CEO des Unternehmens befördert wurde, das sein Großvater gegründet hatte und aus dem sich dieser nun zurückzog. Diese Party war meine beste Chance auf eine persönliche Unterredung mit Kyle.
Ich gebe zu, in einen anderen Bundesstaat zu fliegen, um in eine Veranstaltung zu platzen, damit man mit jemandem sprechen kann, ist ein bisschen creepy und möglicherweise ein Bundesvergehen. So funktioniert das doch. Wenn man die Staatsgrenzen überschreitet, um eine Straftat zu begehen, wird es zu einem Bundesvergehen, richtig? Egal, es spielt keine Rolle. Die Hormone lassen mich dramatisch handeln. Ich werde nicht straffällig. Ich schöpfe einfach alle Möglichkeiten aus, um Kyle wissen zu lassen, dass er während unseres gemeinsamen Wochenendes versehentlich sein Sperma zurückgelassen hat. In mir.
Ich bin eindeutig noch nicht ganz über meine Wut hinweg, aber das wird schon. Außerdem bin ich auch aus beruflichen Gründen nach Philadelphia geflogen, nicht nur um jemanden zu stalken. Ich wollte schon seit ein paar Jahren an dieser Konferenz teilnehmen, konnte es aber nie einrichten. Vor zwei Wochen erhielt ich eine Einladung, als Gastrednerin aufzutreten, was für mich eine große Sache ist. Die Kosten für meine Unterbringung und die Konferenzgebühren werden sogar übernommen. Dieses Event bietet mir eine großartige Gelegenheit, neue Kontakte zu knüpfen. Ich habe meinen Tagesjob meiner Zwillingsschwester aufs Auge gedrückt und konnte mich auf diese Weise ein paar Tage früher auf nach Philly machen, in der Absicht, Kyle zu finden und diese unangenehme Sache hinter mich zu bringen.
Ich unterdrücke ein Stöhnen, als ich mich durch den Flughafen in Philadelphia bewege. Ich komme direkt aus Chicago und bin hibbelig wie ein Kleinkind im Zuckerrausch, weil ich zu lange sitzen musste. Und, ehrlich gesagt, bin ich ziemlich nervös. Jetzt ist es soweit. Heute Abend findet die Gala statt. Wenn ich Kyle nicht begegne, weiß ich nicht, wie ich ihn sonst erreichen soll. Die einzige Möglichkeit, die mir dann noch bleibt, ist, einen Anwalt einzuschalten. Aber ob das eine gute Idee ist? Immerhin ist es nicht so, dass ich etwas Spezielles von Kyle will. Ich habe somit gar kein Anliegen, das die Zeit eines Anwalts wert ist. Er würde nur mein persönlicher Nachrichtenkurier sein. Ich verlange weder nach Kyles Zeit noch erwarte ich, dass er mir beim Windelwechseln hilft. Ich möchte nur das Richtige tun, indem ich ihm die Neuigkeit mitteile, um danach mit meinem Leben weiterzumachen. Eventuell sollte ich mir seine Telefonnummer geben lassen, falls das Kind eines Tages seinen Vater anrufen möchte.
Warum ist es so kompliziert, sich richtig zu verhalten? Das ist auf so vielen Ebenen ungerecht. Aber ich werde tun, was nötig ist, um die Sache zivilisiert zu lösen. Für das Baby. Eines Tages muss ich in der Lage sein, eine passende Geschichte darüber zu spinnen, woher er oder sie kommt. Ich habe mich schon für etwas entschieden: Wir haben nicht zueinander gepasst, aber wir haben dich, und das ist alles, was zählt.
Ich seufze erneut und wippe mit dem rechten Fuß. Diese Geschichte klingt selbst für mich lahm, aber mir bleibt noch etwas Zeit, um daran zu feilen. Bis das Kind Fragen hat, werden ein paar Jahre ins Land gezogen und die Details nicht mehr so wichtig sein. Alles wird so weit in der Vergangenheit liegen, dass nicht wichtig ist, ob hinter nicht zueinander passen in Wirklichkeit One-Night-Stand steckt, denn deinDad hatte ein umwerfendes Lächeln und Bauchmuskeln wie ein griechischer Gott. Bis das Kind Interesse an seiner Herkunft zeigt, wird genug Wasser den Bach hinuntergeflossen sein, dass man die Fakten ein wenig verdrehen kann. Und Kyle ist bis dahin hoffentlich zwanzig Kilo schwerer und glatzköpfig.
Oh, das war gemein. Wahrscheinlich wird er mit zunehmendem Alter nur noch heißer. So wie es bei den meisten Männern ist. Und ich werde mich für ihn freuen, so wie es nette Menschen tun.
Es sei denn, ich muss einen Anwalt einschalten. Jede Story, in der ein Anwalt vorkommt, lässt sich nur schwer in etwas Romantisches verklären. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie viel das kosten würde, geschweige denn, was es für die Spielfilmadaption unseres Familiendramas bedeuten würde. Nicht dass ich daran interessiert bin, irgendwas davon an die große Glocke zu hängen. Ich mag Glocken nicht einmal.
Ich frage mich, ob sich Kyle an meinen Namen erinnert? Habe ich ihm überhaupt meinen Nachnamen genannt? Ich glaube nicht. In meiner Vorstellung sehe ich ihn bereits mit seinem Anwaltsteam in einer wöchentlichen Sitzung, in der sie meine Angelegenheit besprechen. Ich möchte sterben. Der letzte Punkt auf der Tagesordnung, Mr Kingston: Eine Miss Daisy Hayden möchte Ihnen mitteilen, dass Sie Vater werden. Sie bittet Sie, einen Auffrischungskurs in Sachen Kondombenutzung zu besuchen und ihr ihre Kamera zurückzugeben. Würde das diese Leute aufhorchen lassen? Oder bestiehlt er all seine One-Night-Stands? Spinner.
Vermögender, sich wie ein Arsch verhaltender Spinner. Ich habe von Superreichen gehört, die Ladendiebstahl aus einer Art Nervenkitzel heraus betreiben. Außerdem von Perversen, die Unterwäsche von irgendjemandem als Trophäe mitgehen lassen. Aber meine Kamera zu klauen, war einfach nur gemein. Sie zu ersetzen, hat mich vierhundert Dollar gekostet. All meine Fotos sind verloren. Eine ganze Woche Bildmaterial, das ich noch nicht gesichert hatte!
Ich hatte Kyle am Ende einer Reisetour getroffen. Die Fotos waren für einen Blogbeitrag darüber gedacht, wo man in Philadelphia für unter zwanzig Dollar essen gehen kann. Kyle ist der Erbe eines Einzelhandelsimperiums. Er kann es sich leisten, für sich selbst eine Kamera zu kaufen. Wahrscheinlich hätte er sogar einen Familienrabatt bekommen.
Das Schlimmste ist, dass es mich nicht einmal so sehr gestört hat. Ich hatte einmal etwas mit einem Typen, der Geld aus meiner Brieftasche nahm, um eine Pizza zu bezahlen, die er – ohne mich vorher zu fragen – bestellt hatte. Pizza mit Oliven. Ich hasse Oliven. Kerle, die meinen letzten LaCroix tranken oder kein Geld für die Pizza hatten, waren bei mir so etwas wie die Norm. Dass Kyle meine Kamera mitgehen ließ, fühlte sich wie eine natürliche Weiterentwicklung an. Ich verdiene etwas Besseres. Doch daran arbeite ich bereits.
Seufzend verlasse ich den Flughafen durch eine Reihe automatischer Türen. Wie immer werde ich innerhalb von zwanzig Minuten nach der Landung in einem Taxi sitzen, denn ich reise nur mit Handgepäck. Ich bin eine Expertin darin, leicht und effizient zu packen. Wisst ihr, wer das nicht kann? Leute mit Kindern. Eltern und ihr Nachwuchs reisen mit zwei aufgegebenen Gepäckstücken, einem Kinderwagen und einem Plüschkätzchen namens Colechester, das unter keinen Umständen verloren gehen darf. Es sei denn, Sie wollen, dass die Hölle losbricht, David. Eine wahre Geschichte. Denn dieses Beispiel bezieht sich auf die Familie, die im Flugzeug hinter mir gesessen hat.
Kinder kommen mit einer Fülle von Mist. Wo sie auch hingehen, hinterlassen sie eine schmierige Spur von fischförmigen Crackern mit Käsegeschmack. Sie treten gegen die Rückenlehne von Flugzeugsitzen. Sie schreien. Manchmal werfen sie einem einen Cracker an den Kopf, wenn die Eltern nicht hinsehen, weil sie vor Erschöpfung die Augen geschlossen haben, noch bevor die Maschine gestartet ist.
Außerdem winken Kinder und grüßen einen mit der süßesten Stimme, die man sich vorstellen kann. Sie lächeln einen an, als hätte man gerade den besten Witz mit ihnen geteilt. Und wenn man großes Glück hat, bieten sie einem an, ein leicht feuchtes Plüschkätzchen namens Colechester zu halten. Kinder können also nicht nur schlecht sein.
Ich spreche ein stilles Gebet, dass mein Baby kein Sitztreter wird. Und dass ich in der Lage sein werde, einen Ersatz für sein oder ihr Lieblingsspielzeug zu kaufen. Außerdem einen Peilsender, damit ich es aufspüren kann, sollte es jemals verloren gehen. Das Spielzeug, nicht das Baby. Ich werde das Baby nicht verlieren.
Apropos Back-up: meins ruft gerade an.
»Hast du schon gekniffen?«, frage ich ins Telefon, während mein Handgepäck sanft hinter mir hergleitet. Ich reihe mich in die Schlange vor dem Taxistand ein. Dann verfalle ich in einen beherzten Vortrag darüber, wie einfach es für Violet sein wird, mich bei der Arbeit zu vertreten.
Ach ja, was das betrifft. Kyle von dem Baby zu erzählen – kurz: Plan B –, begann damit, meine Schwester aus meinem Haus zu bekommen. Das klingt schlimmer, als es ist. Ich liebe Violet. Mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt. Deshalb muss ich sie beschützen, indem ich sie loswerde.
Violet und ich sind übrigens eineiige Zwillinge. Sie ist gerade ein bisschen in Panik, weil ich sie gebeten habe, diese Woche für mich bei der Arbeit einzuspringen. Na gut, wenn wir es genau nehmen, habe ich sie gebeten, sich eine Woche lang für mich auszugeben. Was sich schlimmer anhört, als es ist. Oder ist es genau so schlimm, wie es klingt? Klar, etwas verrückt, aber auch eine wirklich tolle Idee.
Ich bin Reiseleiterin für Sutton Travel. Zumindest war ich das. Technisch gesehen bin ich es immer noch, aber meine Tage sind gezählt. Nicht weil ich nicht gut in meinem Job wäre. Das bin ich. Meine Kundenrezensionen sind hervorragend, meine Personalakte blitzsauber, und ich liebe, was ich tue. Ich liebe es wirklich. Nur ... das ist kein Job, den ich mit einem Kind ausüben kann. Also tick tack.
Stellt euch vor, es gäbe eine Person auf der Welt, die genauso aussieht wie ihr. Es wäre sehr kurzsichtig, diesen Vorteil nicht zu nutzen, nicht wahr? Ich denke, das wäre es. Fürs Protokoll: Es ist nicht so, dass ich einen Zwillingstausch jemals in böser Absicht oder zu meinem persönlichen Vorteil genutzt hätte. Abgesehen von dem einen Mal, als Violet und ich dreizehn waren. Ich überredete sie, einen Wissenschaftstest für mich zu schreiben. Es lohnte sich nicht. Sicher, ich habe eine Eins bekommen, aber Violet erstickte fast an ihren Schuldgefühlen und zwang mich, das Periodensystem auswendig zu lernen, damit sie mit der Täuschung leben konnte. Alte Spielverderberin. Wenn ich etwas über den Aufbau der Materie hätte lernen wollen, hätte ich im Unterricht aufgepasst und mir nicht die Mühe gemacht, mit ihr auf der Schultoilette Kleidung und Rucksäcke zu wechseln, um sie an meiner Stelle zu dem Test zu schicken.
Wie auch immer, der Punkt ist, dass ich den Zwillingsvorteil nur für Gutes einsetze, wie eine Superkraft. Dieses Mal ist es für Violet, nicht für mich. Was ihr allerdings nicht klar ist, sonst hätte sie nie zugestimmt. Liebevolle Strenge, erinnereich mich und seufze laut ins Telefon. »Ich habe dein Gelaber so satt, Violet. Reiß dich zusammen und tu es einfach.«
»Danke, Daisy. Wieder sehr nett, was du da sagst.«
»Gern geschehen. Hör zu, niemand zwingt dich. Wenn du zurück zu mir gehen und weitere sechs Monate auf der Couch schmollen willst, kannst du das tun. Du kannst sogar mein Schlafzimmer haben. Ich bin sowieso nicht zu Hause.«
Geh nicht zurück zu mir, flehe ich insgeheim. Sie muss erst wieder mit ihrem Leben klarkommen, bevor sie von dem Baby erfährt. Es bringt mich um, dass ich es ihr noch nicht gesagt habe, aber es ist zu ihrem Besten. Wenn sie davon wüsste, würde sie meine Bedürfnisse über ihre eigenen stellen. Das lasse ich nicht zu. Außerdem bitte ich sie nur für diese eine Woche, meinen Platz einzunehmen, nicht für den Rest der Schwangerschaft. Ich will sie bloß ein wenig aus ihrer Komfortzone schubsen. Von mir aus kann sie dafür sorgen, dass ich gefeuert werde. Das macht mir nichts aus. Sobald ich diese Reise hinter mich gebracht habe, werde ich sowieso kündigen.
Es ist wahrscheinlich unnötig, das zu erwähnen, aber Violet ist der gute Zwilling. Die Verantwortungsvolle. Ich will damit nicht sagen, dass ich der böse Zwilling bin. Ganz und gar nicht. Ich bin ein guter Mensch, und es ist lächerlich zu denken, dass bei zweien einer immer richtig und der andere schlecht handeln muss. Das Leben ist nicht schwarz und weiß. Menschen sind nicht schwarz und weiß. Nicht wirklich. Wir sind wie Einmachgläser, die mit Skittles gefüllt sind. Eine Vielzahl von Geschmacksrichtungen und Gefühlen, Geschmäckern und Farben. Wir alle haben ein wenig Gutes und ein wenig Schlechtes in uns. Ein bisschen Licht und etwas Dunkelheit. Das macht das menschliche Verhalten schwer vorhersehbar, aber auch faszinierend.
Ich bin jedoch selbstreflexiv genug, um zu wissen, dass Violet diejenige ist, die von den Leuten als gut empfunden wird. Sie ist die Planerin, die sich an die Regeln hält. Das Mädchen, das seine Kreuze macht und seine Punkte setzt. So war sie schon immer. Sie war das Kind, das um Erlaubnis fragte. Ich hingegen stürzte mich in ein Abenteuer und bat danach um Vergebung.
Sie ist definitiv nicht der Zwilling, der von einem One-Night-Stand geschwängert wird.
Violet ist die loyalste Schwester der Welt. Sie würde alles für mich tun, auch ihr eigenes Leben zurückstellen. Genau das würde passieren, wenn sie von meiner Schwangerschaft und dem Grund wüsste, warum ich ihr das vorenthalte. Es bringt mich um, ein Geheimnis vor ihr zu haben. Normalerweise erzähle ich ihr alles. Aber sie ist im Moment in einer schlechten Verfassung. Deshalb wohnt sie bei mir. Vorübergehend. Sobald sie von dem Baby erfährt, wird sie darauf bestehen, dauerhaft zu bleiben. Um zu helfen. Sie wird ihr Leben danach ausrichten, das Beste für meins zu wollen.
Das kann ich nicht zulassen. Es ist an der Zeit, sie aus dem Nest zu werfen.
»Was du brauchst, Vi, ist ein Tritt in den Hintern. Ein Abenteuer!« Ich benutze meine Verkäuferstimme, binde ihr aber keinen Bären auf. Es ist wahr, sie könnte wirklich ein Abenteuer gebrauchen. Durch eine Reihe sehr unglücklicher Umstände hat sie ihren Job, ihren Freund und ihre Wohnung verloren – alles auf einmal. So ist sie auf meiner Couch gelandet. Die Ungerechtigkeit des Ganzen ist mir nicht entgangen. Violet ist eine sorgfältige Planerin, ich dagegen vertraue allein auf mein Bauchgefühl. Dennoch bin ich diejenige mit zwei Jobs und einer Eigentumswohnung. »Ist dir nicht langweilig, Violet? Du solltest ein bisschen leben. Wirf alle Vorsicht über Bord. Pack das Leben bei den Eiern!« Ich wünschte, sie würde jemanden bei den Eiern packen. Seit der Trennung von ihrem Ex-Freund war sie mit niemandem zusammen. Wenn jemand eine heiße Liebesnacht verdient, dann Violet. Ich bin sicher, dass ihr letzter Freund scheiße im Bett war, auch wenn sie es nie zugeben würde. Sie sagte, er sei gut gewesen. Mehr brauchte ich nicht zu hören. Gut im Bett ist kein gutes Zeugnis. Das wäre ein toller Titel für einen Blogbeitrag. Ich merke mir die Idee für den Fall, dass ich mich entschließe, mit meinem Blog eine andere Richtung einzuschlagen oder einen Artikel für die Cosmo zu schreiben. Gut im Bett: Wie Mann eine schlechte Sexbewertung vermeidet. Oder Gut im Bett: Worte, die kein Kerl hören will. Der Titel braucht noch etwas Feinschliff, aber die Idee hat Potenzial. Artikel auf Honorarbasis zu schreiben, wäre eine nette Ergänzung zu meinem Einkommen.
Mir geht es finanziell sehr gut, was eine Menge Leute zu überraschen scheint. Ich bemerke die Blicke, die mir zugeworfen werden, wenn ich erwähne, dass ich Bloggerin bin: Oh, arbeitslos also. Und wenn ich erzähle, dass ich Reiseleiterin bin, sehe ich in fragende Gesichter: Ist das ein richtiger Job?
Manchmal kann man im menschlichen Miteinander nicht gewinnen.
Dabei ist der Blog seit zwei Jahren meine Haupteinnahmequelle. Und nicht unerheblich ertragreich. Meine Stelle als Reiseleiterin habe ich nur behalten, weil sie perfekt mit meinem Blog harmonierte, in dem es hauptsächlich auch ums Reisen geht. Außerdem biete ich über meine Webseite einen Kurs für Leute an, die lernen wollen, wie man mit dem Bloggen beginnt. Und wie man die sozialen Medien am besten nutzt, um sich eine Plattform aufzubauen und Werbekunden auf sich aufmerksam macht.
Die Arbeit als Reiseleiterin ist mit einem Baby nicht mehr zu bewältigen. Was bedeutet, dass meine Zeit in dieser Branche bald abläuft. Tick tack. Ich hatte geplant, in ein paar Monaten zu kündigen, je nachdem, wie die anstehenden Routen ausfallen und ich mich fühle. Mich durch die engen Mittelgänge in Bussen zu quetschen und Reisegruppen quer durch die USA zu führen, wäre am Ende einer Schwangerschaft unmöglich. Als alleinerziehende Mutter käme es genauso wenig infrage. Ich hätte niemanden, bei dem ich das Baby für sieben bis vierzehn Tage lassen könnte, während ich unterwegs bin. Ich möchte es auch nicht so lange allein lassen. Zumindest glaube ich das. Es ist zwar noch früh und die Nachricht kam überraschend, aber ich kann mir nicht vorstellen, so lange von meinem Baby getrennt zu sein.
Als ich zu dieser Bloggerkonferenz eingeladen wurde, wollte ich sofort meine Kündigung einreichen. Dann fiel mir eine bessere Lösung ein: Violet könnte für mich einspringen. Ein Doppelsieg, nicht wahr? Nur ist sie durch und durch ein Regelmensch. Das Yin zu meinem Yang. Ich bitte sie bloß dieses eine Mal, ich zu sein, um sie ein wenig aus ihrer Komfortzone zu schubsen.
Violet zu stressen, war jedoch nicht Teil meines Plans. Wenn sie das nicht tun will, ist das völlig in Ordnung. Ich wollte, dass sie Spaß hat, nicht, dass sie eine Panikattacke bekommt. »Es ist keine große Sache, Vi. Tu es oder tu es nicht. Bleib oder geh.«
»Keine große Sache?«, kreischt Violet förmlich in mein Ohr. »Du wirst gefeuert, wenn ich jetzt nach Hause gehe, Daisy. Diese Tour beginnt in fünf Minuten. Und du bist nicht hier. Wo bist du überhaupt? In einem Flughafen? Es klingt, als wärst du unterwegs. Wie kann es dir egal sein, ob du gefeuert wirst? Gefeuert zu werden, ist eine wirklich große Sache, Daisy.«
Da hat sie recht. Mit dem Flughafen, nicht mit dem drohenden Jobverlust.
»Gefeuert zu werden, ist nicht das Ende der Welt. Das sage ich dir immer wieder. Es kommt auf die Perspektive an, Vi.« Ich höre sie frustriert stöhnen. Ich fahre mit meinen aufmunternden Worten fort. »Das Leben ändert sich jeden Tag. Du weißt nie, was Morgen kommt. Carpe diem!«
»Was ist so dringend, dass du bereit bist, deinen Job aufs Spiel zu setzen?«, hakt Violet nach. »Es ist ein ziemlich toller Job.«
»Ich muss etwas erledigen«, antworte ich. »Ich lege jetzt auf. Steig einfach in den Bus, Violet. Du kannst dich durch diese Tour mogeln. Das mache ich auch, es ist nicht so kompliziert.« Ich habe sie vor einem Monat auf dieselbe Route mitgenommen, weil es noch freie Plätze gab. Damals wusste ich noch nicht, dass ich schwanger bin, aber jetzt muss ich über die Ironie lächeln. Da sieht man mal wieder, wie sich alles fügt, wenn man sich auf sein Bauchgefühl verlässt. Ich hatte nicht vor, Violet meine Rolle aufzudrängen, aber so ist es nun mal.
Ich sage ihr nicht, dass der erfolgreiche Verlauf dieser Tour irrelevant ist. Für mich zählt nur, dass sie Spaß hat und aus ihrem Trübsal herauskommt. Sie soll mit ihrem Leben weitermachen, bevor sie erfährt, dass ich schwanger bin, und alles stehen und liegen lässt, um mich zu umsorgen.
»Ich werde es vermasseln«, sagt sie. »Wie kann ich eine Reise leiten, die ich nur einmal mitgemacht habe?«
»Niemand weiß es, Violet. Wir haben das schon besprochen. Es wird nicht auffallen, dass du keine Ahnung von dem hast, was du tust. Du kannst den Leuten sagen, was du willst. Lächle einfach und pass auf, dass du niemanden beim Toilettengang verlierst. Dann ist alles gut.«
»Ich bin mir nicht sicher.« Violet zögert.
»Mir ist klar, dass du den Gehaltsscheck, den mir Sutton Travel für diese Tour ausstellen wird, gut gebrauchen kannst. Ich werde den Betrag auf dein Konto einzahlen.« Violet seufzt ins Telefon. »Du bist keine Idiotin. Du wirst wohl kaum das Weiße Haus mit dem Kapitol verwechseln. Schau einfach auf den Spickzettel, den ich für dich geschrieben habe.«
»Das ist eine schreckliche Idee«, murmelt sie. Aber in ihrer Stimme höre ich, dass sie es tun wird, denn ich kenne sie fast so gut wie mich selbst.
»Diese Idee ist genial«, kontere ich mit einem Grinsen, das sie nicht sehen kann. Es ist wirklich genial. »Ich hab dich lieb, Vi. Du bist meine Erdnussbutter.«
»Und du bist mein Gelee«, erwidert sie und legt auf. Das ist so ein Zwillingsding zwischen uns. Eine von uns nennt einen Begriff, und die andere muss mit etwas antworten, das diese Sache ideal ergänzt. Ein perfektes Match, wie Zwillinge. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es gewesen wäre, ohne meine Schwester aufzuwachsen. Mich überkommt eine Welle der Traurigkeit, weil dieses Baby für eine lange Zeit ein Einzelkind sein wird. In absehbarer Zukunft gibt es nur uns beide.
Es sei denn, das Baby hat einen Zwilling. Zwei Babys zum Baden, Bäuerchen machen und Wickeln. Zwei hungrige Mäuler. Zwei Lieblingsspielzeuge, auf die man aufpassen muss, anstatt nur auf eins.
Jesus, bitte nicht.
Ich erinnere mich, dass die Chancen gut stehen – für ein Baby, nicht für zwei. Den Umstand, dass Statistiken an und für sich Schwachsinn sind, ignoriere ich. Rein theoretisch hätte ich bei dem einen Mal Sex, das ich seit Monaten hatte, nicht geschwängert werden dürfen. Sag das mal der Himbeere, die in meinem Uterus heranwächst. Moment, wachsen Babys im Uterus? In der Gebärmutter? Das ist doch dasselbe, oder? Warum weiß ich das nicht genau?
Es ist in meinem Uterus, entscheide ich und atme aus.
Definitiv.
Ich werfe mein Handgepäck auf den Rücksitz eines Taxis und setze mich daneben. Die Konferenz beginnt am Montag, aber die Wohltätigkeitsveranstaltung, die ich sprengen werde, findet heute Abend statt. Falls ich nicht eingelassen werde und nicht mit Kyle reden kann, weiß ich nicht, wie ich ihn ohne Anwalt erreichen soll. Ich würde das Baby-Daddy-Drama gern heute abwickeln, damit ich mich auf die Konferenz konzentrieren kann.
Es sollte nicht so schwer sein, mich auf eine Seniorenfete zu schleichen, oder? Es ist nicht die Met Gala oder eine Modenschau von Victoria’s Secret. Das ist nicht das Event des Jahres. Außerdem stand in dem Artikel, den ich gelesen habe, dass fünfhundert Leute kommen werden. Niemand wird eine kleine Frau wie mich bemerken. Ich gehe einfach rein, finde Kyle, erkläre, was Sache ist, und schleiche mich raus. Ganz leise, nur unter uns.
Ich atme erleichtert auf. Es wird klappen. Das muss es. Wenn nicht, gibt es keine Möglichkeit, anderswo auf Kyle zu treffen. Kein Grund zur Panik. Ich habe ein gutes Gefühl, was den heutigen Abend angeht. Das habe ich wirklich.
Lass das Spiel beginnen, Kyle Kingston.
Daisy
Ich betrachte mich im Spiegel, um sicherzugehen, dass ich keinen Lippenstift auf den Zähnen oder Deodorant an einer unpassenden Stelle habe. Ich trage ein schwarzes Kleid und meine Lieblings-High-Heels. Die Art von Stöckelschuhen, weswegen ich eine Schwanzdiät machen musste. Denn Absätze wie diese bringen einen Mann dazu, sich vorzustellen, wie sie an seinen Hüften aussehen würden. Ich betrachte das Paar reumütig und weiß, dass sie nach der Gala heute Abend nur in meinen Koffer wandern werden.
Ich liebe dieses Kleid. Es ist bodenlang, mit einem hohen Schlitz auf der linken Seite des Rockes. Das Material glitzert ein wenig und umspielt meine Beine beim Gehen. Es ist sexy, aber nicht zu knauserig mit dem Stoff. Zarte Spaghettiträger verbinden die Vorderseite mit dem Rücken und lassen meine Arme und Schultern frei.
Mein Haar ist hochgesteckt, die dunklen Strähnen zu einem Nackenknoten gebunden. Dazu einfache Ohrringe und eine schlichte schwarze Clutch. Ich besitze nichts, das für dieses Event schick genug wäre, aber ich habe mir eine gute Fassade zurechtgelegt. Wie es sich für diesen Anlass gehört, wählte ich ein dramatisches Make-up. Allein für meine Augen brauchte ich zehn Minuten. Kajal, rauchiger Lidschatten, Wimperntusche. Meine Brauen sind so dunkel wie mein Haar und zu einem perfekten Bogen geformt, was das Blau meiner Augen zum Strahlen bringt. Meine Lippen sind in einem matten Beerenton gehalten. Ich sehe richtig gut aus.
Ich rümpfe die Nase über meine Eitelkeit. Weil ich so fabelhaft aussehe, ist es nicht ganz so schlimm, mich auf diese Veranstaltung zu schleichen, um diesen einen Mann zu finden. Argh, Stalking ist nicht mein Ding.
Mit einem Seufzer lasse ich den Zimmerschlüssel in meine Clutch fallen. Sie dient zur Show. Wenn ich nur mit einem Hotelschlüssel in der Hand auftauche, würde Misstrauen erregen. Ich habe nicht vor, lange genug zu bleiben, um meinen Lippenstift mitnehmen zu müssen. Die einzigen Dinge in der Tasche sind mein Hotelschlüssel, mein Handy, eine Kreditkarte und etwas Bargeld.
Mir ist mulmig zumute, was seltsam ist. Es ist Abend, und ich habe in dieser Schwangerschaft noch keine Übelkeit verspürt, weder am Morgen noch sonst wann. Vielleicht habe ich die Konfrontationskrankheit, aber normalerweise bin ich nicht der Typ, dem so etwas auf den Magen schlägt. Andererseits war ich noch nie in einer Situation wie dieser. Also sollte ich mir etwas Zeit gönnen. Mit einem tiefen Atemzug verlasse ich mein Zimmer und mache mich auf den kurzen Weg zu dem Kongresszentrum, das an das Hotel angrenzt.
Die Übelkeit ist längst vergessen und meine Nerven sind unter Kontrolle, als ich lächelnd aus dem Aufzug steige und dem verglasten Übergang zwischen dem Marriott und dem Convention Center folge.
Fuck-a-ding-a-ling-a-ding-dong.
Die Gäste werden an der Tür kontrolliert.
Check-in samt Security.